Mir war ehrlich gesagt nicht besonders danach, mich jetzt zu bewegen - geschweige denn zu gehen. Mein Körper sagte mir auch prompt wie viel er davon hielt, als Vahagns Männer mir auf die Beine halfen. Natürlich war ich dankbar dafür, jetzt nicht noch eine Stunde hier rumliegen zu müssen, bis ich mich denn dann auch mal dazu aufraffen konnte, selbst aufzustehen. Trotzdem schmerzte jeder Schritt, als ich mich in Beihilfe einer der beiden Männer schließlich in Bewegung setzte. Ich nickte schwach auf die Worte der Russin, weil viel mehr unter dem dröhnenden Kopfschmerz, dem aufkommenden Schwindel und den gebrochenen Rippen kaum möglich war. Es waren auch jene Schmerzen, die mich bisher noch sehr effektiv daran hinderten mich zu fragen, weshalb die Schwarzhaarige mir jetzt half, nachdem sie mir vorhin noch so offensichtlich böse gewesen war. Für den Moment war das noch deutlich weniger relevant, als ihre noch folgende Frage nach Noah. Ja, der Kleine war Zuhause. Nein, es wäre nicht besonders gut, wenn er mich so zu Gesicht kriegen würde. Das hatte ich schon damals vermieden, als ich noch mit Frau und Kind und Italien gelebt hatte, aber zu dem Zeitpunkt, als unser kleines Mädchen ins Leben getreten war, war mir sowas eigentlich auch gar nicht mehr passiert. Da war ich schon viel zu hoch aufgestiegen gewesen, keiner hatte sich gerne mit mir angelegt. Derart offensichtliche Verletzungen hatte ich selten bis nie mit nach Hause getragen. Volodymyr kam bereits mit dem Wagen in unsere Richtung gerollt, als ich Vahagn eine Antwort gab. "Ja...", ächzte ich unter dem stechenden Schmerz der lädierten Rippen, kurz bevor wir stehenblieben. "Ich versuch Sydney zu erreichen.", erklärte ich meine folgende Handlung. Erst löste ich mich vom Handlanger der Russin - was überwiegend durch meinen italienischen Stolz begründet war, weil ich eine Stütze eigentlich nach wie vor hätte brauchen können - und zog dann mit mit der rechten Hand das Handy aus meiner Hosentasche. Ich machte mir an und für sich eigentlich schon keine große Hoffnung damit, dass die Amerikanerin überhaupt noch wach war. Noah war immer recht bald wieder auf den Beinen wegen der Schule und dem passte sich seine Mutter natürlich an. Nur in Ausnahmefällen blieb sie morgens mal länger liegen, wenn sie die Spätschichten im Café bekommen hatte - was sich jetzt auch erledigt hatte - und es sich angeboten hatte, weil ich sowieso erst spät vom Drogenkochen nach Hause kam. Da hatte ich Noah manchmal dann erst noch für die Schule fertig gemacht, bevor ich ins Bett gefallen war und mich an meine Freundin geschmiegt hatte. Wie erwartet schlief Sydney aber bereits oder zumindest war das anzunehmen, weil sie nicht abnahm. "Schläft schon.", stellte ich fest und mein Gehirn ratterte einige Sekunden lang fieberhaft unter dem dröhnenden Kopfschmerz, während ich mich mit dem Einsteigen auf der Rückbank abmühte. Ich konnte nicht einfach nach Hause gehen und riskieren, dass Noah wegen des Krachs in den Flur kam. Das wollte ich nicht, er hatte in letzter Zeit schon mehr als genug mitgemacht. Außerdem wäre das nicht klug angesichts unserer noch recht frischen Vater-Sohn-Beziehung zueinander, die wollte ich nicht leichtsinnig den Bach runterstürzen. Als alle im Wagen saßen seufzte ich leise, hing etwas schief auf dem Rücksitz hinter dem Fahrersessel. "Lad' mich einfach im erstbesten Motel ab... mit Verbandszeug, wenn's geht.", sagte ich der Russin schließlich, dass sie mich einfach mir selbst überlassen konnte. Ich schätzte schon allein die Tatsache, dass sie mich vom Boden gekratzt hatten, sehr und hielt sie nicht für selbstverständlich. Wollte mich hier auch Niemandem aufladen, weil ich schlicht und ergreifend selbst an meinem Zustand schuld war. Ich rollte mich mühsam und italienisch fluchend aus meinem nassen Tshirt, um mir damit das Blut so gut es ging aus dem Gesicht zu wischen. War nur schwierig, weil die Platzwunde fleißig weiter blutete. Ich beseitigte es also nur so gut es ging und versuchte danach die Wunde mit dem Stoff abzudrücken.
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Anders als noch vor wenigen Augenblicken, gab mir Sabin auf meine nächste Frage recht zeitnah eine Antwort, die ich mit einem unzufriedenen Grummeln quittierte. Damit fiel es für mich persönlich nämlich schon mal raus, den Italiener einfach bei sich Zuhause abzuladen, eben weil das Risiko viel zu hoch war, dass der Bengel aufwachte und seinen neuen Ziehvater derart angeschlagen zu Gesicht bekam. Nachdem ich noch den ein oder anderen Gedanken an mögliche Alternativen verschwendetet hatte, stellte ich resigniert fest, dass es im Prinzip unausweichlich war, Sabin zumindest für den Rest der Nacht erst einmal mit zu mir zu nehmen. Zwar versuchte er am Auto angekommen seine Freundin zu erreichen, um jene nach Rat zu fragen, aber um diese Uhrzeit schien sie wohl schon zu schlafen. Also stiegen wir erst einmal ein, damit wir zumindest schon mal vom Hafen verschwunden waren, bevor ich weiter nachdachte. Zugegeben fiel mir das recht schwer, weil ich selbst auch langsam Kopfschmerzen bekam. Mein Gedankenstrudel wurde allerdings sowieso recht bald unterbrochen, als Sabin ein paar Worte an mich richtete, auf die ich mit einem Schnaufen und einem leichten Kopfschütteln reagierte. "Das werde ich nicht tun.", lehnte ich seine Bitte bestimmt ab, ohne mich dabei zu ihm umzudrehen. Zwar mochte ich dem Italiener durchaus zutrauen, dass er in der jetzigen Situation irgendwie für sich selbst sorgen könnte - und auch Verbandszeug wäre kein Problem gewesen -, aber ich musste hier auch ein Stück weit an mich denken. Kuba war technisch vielleicht noch nicht so weit fortgeschritten, dass sich an jeder Ecke in der Stadt irgendwelche Kameras befanden, dafür tratschten die Einheimischen unglaublich gern und ich wollte nicht riskieren, dass wir zusammen gesehen wurden. Irgendwer mitten in der Nacht eventuell mitbekam, dass ein schwerverletzter aus einer schwarzen Limousine entlassen wurde. Die Wahrscheinlichkeit war dahingehend vielleicht sehr gering, aber eben auch nicht null und außerdem... machte ich mir primär halt einfach Gedanken. Ich wollte Sabin in seiner Situation nur äußerst ungern alleine lassen, eben für den Fall, dass sich sein Zustand noch verschlechtern sollte. Es war immerhin nicht auszuschließen, dass sich nach den vielen Schlägen und Tritten noch Spätfolgen bemerkbar machten und je nach dem, welche genau das waren, machte eine Begleitperson die Sache ein Stück weit erträglicher. Ich erinnerte mich just in diesem Moment daran, wie ich vor einer sehr, sehr langen Zeit - da war ich noch ein Kind gewesen - von einem Klettergerüst gefallen war und ähnlich wie Sabin jetzt, hatte ich eine gebrochene Rippe und eine Gehirnerschütterung davongetragen. Durch letztere war mir in der Nacht derart schlecht geworden, dass ich mich hatte übergeben müssen und weil es furchtbar wehgetan hatte, mich beim Kotzen zu krümmen und gleichzeitig meine Haare aus dem Spuckradius zu schieben, hatte mir kurzerhand Iljah unter die Arme gegriffen und die damals bereits relativ lange Mähne für mich zusammengehalten. Es waren halt manchmal auch einfach die kleinen Dinge im Leben, die es einem leichter machten, mit einer blöden Situation umzugehen. Ich wäre jedenfalls ziemlich angefressen gewesen, hätte ich mir zusätzlich zu der ohnehin schon beschissenen Misere dann auch noch Erbrochenes aus den Haaren waschen müssen. Aber gut, genug von den kleinen Anekdoten meines Lebens und zurück zur bitteren Präsenz. Es kam für mich nicht in Frage, den Italiener einfach sich selbst zu überlassen. Ja, es wäre nicht direkt mein Bier gewesen, ich hatte schon mehr gemacht, als eigentlich nötig war und so weiter und sofort, aber ich wollte das ganz einfach nicht. Ich hatte ihn schon aufgelesen, da würde ich mich jetzt auch um seine Versorgung kümmern. Vorausgesetzt natürlich, er wehrte sich dagegen nicht direkt mit Händen und Füßen, aber das glaubte ich jetzt erst einmal nicht. Ich wies Volodymyr also an, direkt zu mir nach Hause zu fahren und gar nicht viel auf die Worte des auf der Rückbank befindlichen Mitfahrers zu geben. Er nickte die Anweisung als Zeichen des Verständnis kurz ab und tat wie ihm geheißen. Ich hatte, bis wir vor der Haustür anhielten, auch nicht weiter erwähnt, wohin ich ihn stattdessen bringen würde, weil ich es ganz einfach nicht für notwendig hielt. Er würde mir schon vertrauen, dass ich ihn nicht direkt ins nächstbeste Verderben schickte, weil ich leichteres Spiel gehabt hatte, als er regungslos auf dem nassen Boden des Hafengeländes gelegen war. Hätte ich ihm also etwas Schlechtes gewollt, dann wäre der Hammer bereits vor einigen Minuten gefallen. Jedenfalls verlor ich keine Zeit damit, aus dem Auto auszusteigen und Dmytro, der bei Sabin auf der Rückbank gesessen hatte, tat es mir gleich, um noch ein weiteres Mal seine helfende Hand anzulegen. Alleine wäre es für den verletzten jungen Mann nämlich sicherlich zur Tortur geworden, die Treppenstufen bis nach oben zu kommen und ich war bei der Masse an Körpergewicht leider der falsche Ansprechpartner - vor allem mit meiner eigenen Verletzung. Inzwischen hatte der Regen Gott sei Dank ein wenig nachgelassen, als ich an die hinteren Autotüren herantrat. "Du kannst für heute Nacht bei mir bleiben, nur... stell' einfach keine blöden Fragen. Ich weiß auch nicht, wieso ich das hier gerade mache...", murmelte ich zu dem jungen Mann herunter, dass mir vermutlich die selbe, unausgesprochene Frage durch den Kopf schwirrte, wie ihm. Und weil ich wirklich keinerlei Kapazitäten mehr hatte, um meinen Kopf noch mehr anzustrengen, als ich das ohnehin schon getan hatte, sollte diese Frage zumindest für heute auch erst einmal unausgesprochen bleiben. Morgen fand ich vielleicht eine Antwort, aber versprechen würde ich nichts.
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Würde sie nicht tun... nicht? Ich dachte es wäre genau das gewesen, wonach Vahagn am ehesten der Sinn stand: Mich schnell wieder loswerden. Sie war Niemand, der oft und gerne anderen half, da brauchten wir uns nichts vorzumachen. Umso mehr begann ich mich auf der Fahrt - wohin auch immer - zu fragen, warum nun ausgerechnet mir ihre Hilfe zuteil wurde. Hatte ich so sehr ihr Mitleid erregt? Oder glaubte sie, dass es schlicht und ergreifend falsch wäre, mich am betonierten Boden des Piers zurückzulassen? Vielleicht sollte ich ihre unerwartete Hilfe einfach akzeptieren und mir keine weiteren Gedanken dazu machen, aber es fiel mir trotz der penetranten Kopfschmerzen ziemlich schwer, mich nicht weiterhin zu fragen, was es mit der Sache nun auf sich hatte. Es war einfach grotesk, aber je länger wir unterwegs waren, desto schwerer fiel es mir das Shirt weiterhin an meine Stirn zu drücken. Die Platzwunde würde sicherlich eine Narbe hinterlassen und eigentlich brauchte ich nicht noch mehr davon... aber andererseits war das vielleicht auch ganz gut. Dann hatte ich jeden Tag etwas, das mich beim Blick in den Spiegel daran erinnerte, warum ich mir diese schweren, ersten Schritte zurück an die Spitze erneut antat. Damit genau sowas eben nicht mehr passierte. Damit Hunter keine Bedrohung mehr darstellte - für mich nicht, vor allem aber auch für Sydney und den kleinen Noah nicht. Als der Wagen schließlich am Straßenrand anhielt sah ich das erste Mal seit einigen Minuten wieder bewusst aus dem Fenster. Ich kannte die Gegend und war selbst schon hier gewesen - als ich Vahagn einen Besuch abgestattet hatte, um sie danach zu fragen, ob sie Sydney und mich in die Staaten bringen konnte. Oder eben zumindest nach Kanada. Meine Augen suchten etwas irritiert die ihren, als sie die Tür neben mir aufzog und darauf zu sprechen kam, dass sie selber scheinbar auch keine Ahnung davon hatte, wieso genau sie mir half. Oder wieso sie mich bei sich Zuhause schlafen lassen wollte. War am Ende aber auch ziemlich egal, oder? Ich sollte einfach froh darüber sein, dass mir diese Ehre zuteil wurde und ich mir nicht mühsam selbst mit einer Nadel die Stirn flicken musste. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mir meine Wunden selbst versorgte. Im Gesicht war das Ganze aber eben doch etwas heikler und vor allem auch nicht unbedingt schön. Jemand, der den Schmerz nicht fühlte, bekam die geteilte Haut sicherlich sauberer wieder zusammengenäht. Es war zwar nicht meine erste Narben im Gesicht, aber die anderen waren inzwischen so alt, dass man sie kaum noch sah. Teilweise verschwanden sie auch einfach unter dem Bartwuchs. "In Ordnung.", willigte ich in ihre Bedingung ein, einfach nicht weiter nachzufragen. Ich traute es der Russin nämlich durchaus zu, dass sie mich jetzt hier einfach am Straßenrand hocken ließ, sollte ich trotz ihrer Bitte weiter nachbohren. Manchmal sollte man sein Glück wohl einfach stumm akzeptieren. Ich ließ mir zwangsweise ein weiteres Mal dabei helfen auf die Beine zu kommen und war doch sehr dankbar dafür, dass Dmytro mir den Weg bis zur Haustür und dann auch noch bis nach oben zu Vahagns Wohnung eine Stütze war. Andernfalls wäre ich die Stufen wohl nach oben gekrochen oder einfach unten sitzen geblieben, schmerzten die Rippen doch bei jeder noch so kleinen Bewegung meines Oberkörpers - da reichte schon ein Atemzug. Von dem Schwindel mal ganz abgesehen. Während die Schwarzhaarige die Tür zu ihrer Wohnung aufschloss, fiel mein Blick dann zu ihrem Handlanger. "Danke... den Rest schaff' ich allein.", ließ ich ihn wissen, dass ich seinen Dienst zu schätze wusste, er sich jetzt aber um sich selbst kümmern konnte. Ich kannte ihn noch aus Norwegen. Erinnerte mich daran, dass er schon damals nach Beendigung der Fehde mit der italienischen Mafia - wobei Beendigung da sehr relativ war... - mit in Hunters Bude gewesen und auf Vahagn aufgepasst hatte. Aber genug der alten Zeiten. Mein Stolz fühlte sich von meiner erbetenen Unabhängigkeit gestreichelt, während mein Körper da weniger von begeistert war. Dennoch schleppte ich mich allein ins Innere der Wohnung, um auch dem Helfer seinen wohlverdienten Feierabend zu gönnen. "Tauren ist unterwegs, oder?", hakte ich etwas überflüssig nach. Andernfalls wäre er wahrscheinlich schon im Flur aufgetaucht, Vahagns Rückkehr sehnlichst erwartend.
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Sabin tat sich gut daran, einfach zu akzeptieren, dass wohl keiner von uns beiden gerade so recht wusste, was eigentlich Sache war. Warum ich ihn aufgelesen und mitgenommen hatte, obwohl vom Ding her tausend gute Gründe dagegen sprachen. Ich prinzipiell noch hätte nachtreten können, als er schon am Boden gelegen hatte, aber gut. Ich wollte keine unnötigen Gedanken mehr daran verschwenden, weil sie sowieso zu nichts führten und stiefelte stattdessen vor den beiden jungen Männern schon bald die Treppenstufen nach oben, um die Haustür aufzuschließen. Ich wunderte mich ein bisschen, dass jene Tür doppelt verschlossen gewesen war und auch kein freudestrahlender Norweger über mich herfiel, aber ich hatte wohl ganz einfach vergessen, dass Tauren sicher noch arbeiten musste. Er um diese Uhrzeit noch draußen unterwegs war und nur wenn es gut lief erst in den nächsten Minuten hier eintraf, eventuell dauerte es heute aber auch länger. Ich wusste es nicht genau, aber es verpasste meiner ohnehin schon angeschlagenen Laune nur einen zusätzlich Dämpfer. Nicht, dass er jetzt etwas dafür konnte, ich ärgerte mich nur über meine eigene Unachtsamkeit. Schließlich hätte ich es wissen müssen. Ich verabschiedete mich an der Tür noch von Dmytro, wünschte ihm gute Besserung und eine angenehme Nachtruhe, ehe ich auf dem Absatz Kehrt machte und mich wieder Sabin zuwandte. "Setz' dich schon mal... ich hole Verbandszeug.", wies ich ihn dazu an, sich eine Gelegenheit zum Sitzen zu suchen. Ob er sich jetzt in die Küche, auf die Couch im Wohnzimmer oder doch lieber auf den geschlossenen Toilettendeckel setzen wollte, war mir ehrlich gesagt ziemlich egal. Fakt war jedenfalls, dass es vermutlich recht schmerzhaft, aber vor allem kräftezehrend für ihn war, stehen zu müssen und ich hatte nur wenig bis gar keine Lust, geschweige denn die Kraft dazu, ihn später von Punkt A nach B schleppen zu müssen. Am besten ließ er sich also auf dem Sofa fallen, weil er dort sehr wahrscheinlich auch schlafen würde. Das allerdings erst, nachdem ich den Bezug hier und da mit Handtüchern ausgelegt hatte, damit er mir in der Nacht nicht alles voll blutete. Gerade als ich dazu ansetzen wollte, besagtes Verbandszeug zu holen, stellte mir Sabin noch eine Frage, die mich in meiner Bewegung innehalten ließ. Ich nickte bereits, da hatte ich mir über eine verbale Antwort noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Die folgte erst eine ganze Zeit später, sehr verzögert. "Ja... ja, ich denke, er müsste bald hier sein. Er wird dir dann mit der Platzwunde helfen.", ließ ich ihn wissen, dass er nicht damit rechnen brauchte, dass ich heute noch Nadel und Faden in die Hand nehmen würde. Ich hätte das bestimmt hingekriegt, keine Frage. Eben genau so, wie er sich womöglich auch selbst hätte verarzten können, aber den angeschlagenen Arm anzuheben und dabei noch konzentriert ein paar Stiche zu setzen, damit das Endergebnis nicht absolut beschissen aussah... das konnte ich nicht versichern und wollte das auch gar nicht. Es war sinnvoller, diese Aufgabe in die Hände des Norwegers zu legen in der Hoffnung, dass dieser sich nicht dagegen sträubte. Ansonsten - oder wenn er in ein paar Stunden immer noch nicht da war -, würde ich es wohl zwangsläufig machen müssen, aber fürs Erste war ich guter Dinge. Bis ich die restlichen Wunden desinfiziert und verbunden oder mit Pflastern getaped hatte, würden noch ein paar Minuten ins Land ziehen und dann konnte ich die Situation noch einmal neu beurteilen. Mal ganz abgesehen davon, dass auch mein Unterarm irgendwie noch so etwas wie medizinische Behandlung brauchte. Allem voran organisierte ich Sabin und mir jedoch erst einmal Schmerzmittel, weil wir das beide vermutlich gleichermaßen gebrauchen konnten. Ich hatte mich von dem Italiener inzwischen abgewendet und war ins Badezimmer getrottet, um dort ein paar Tabletten, Desinfektionsmittel und Verbandszeug zu holen. Auf dem Rückweg legte ich einen Zwischenstopp in der Küche ein, um mir eine Flasche Wasser unter den Arm zu klemmen, kurz bevor ich dann wieder zu Sabin zurückkehrte. Ich drückte ihm den Blister mit den Dragees in die Hand, das Wasser folgte kurz danach, bevor ich mich zu ihm setzte und anfing, die Wundversorgung vorzubereiten. Auch wenn ich die Platzwunde vorerst nicht nähen würde, wollte ich sie als womöglich schwerste - oberflächliche - Verletzung als erste ausspülen, damit sie sich wenigstens schon mal nicht ganz so schnell entzündete. Anschließend würde ich mich dann um die anderen Blessuren kümmern und Sabins Arm zum Schluss in eine Schlinge legen, damit er die Rippen nicht so arg belastete. Ein so fortschrittliches Band, welches man um den Torso spannen konnte, hatte ich leider nicht, also musste er mit der konventionellen Art und Weise Vorlieb nehmen, diese Verletzung zu behandeln.
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Meinen Arsch irgendwo zu parken, statt mich mühselig auf den Beinen zu halten, klang wie Musik in meinen Ohren. Allgemein klang sicher alles besser, als mir mit den lädierten Rippen und dem Übelkeitsgefühl weiterhin die Beine in den Bauch zu stehen. Dass Tauren nicht hier war, war angesichts der Tatsache, dass wir beide verletzt waren, nicht ideal. Es war aber wahrscheinlich zu erwarten gewesen, angesichts der Uhrzeit. Ich wusste zwar nicht, was der junge Norweger inzwischen alles für den cholerischen Amerikaner erledigen musste, aber es zog sich bestimmt des Öfteren mal bis in die frühen Morgenstunden. Um ehrlich zu sein hatte ich inzwischen ein wenig das Gefühl für die Uhrzeit verloren, aber war auch nicht so wichtig. Platzwunden bluteten zwar immer unangenehm, aber ich würde kaum so viel Blut verlieren, dass es mich in ein paar Minuten deswegen umlegen würde. Offenbar stach auch keine der Rippen in meine Lunge, hätte ich andernfalls doch längst angefangen Blut zu spucken, also war alles den Umständen entsprechend im grünen Bereich. "Okay.", meldete ich mich mit kratziger Stimme nur knapp zu Wort, aber es brauchte auch kaum mehr an dieser Stelle. Ich schleppte mich langsamen Schrittes rüber ins Wohnzimmer, um mich dort auf die von der Russin präparierte Couch zu setzen. Sollten trotz der Handtücher Blutflecken auf dem Polster zurückbleiben, hätte ich auch kaum ein Problem damit ihr die Reinigung zu zahlen oder ein neues Sofa zu organisieren. Das war wohl das Mindeste, was ich ihr an Aufwandsentschädigung zukommen lassen müsste. Ich ließ mich bemüht vorsichtig aufs Sitzpolster sinken, was sich aufgrund der gebrochenen Rippen reichlich schwer gestaltete. Am Ende ließ ich mich also doch einfach etwas unsanft aufs Sofa fallen, weil für mehr die Kraft nicht reichte. Ich war schon froh, dass ich die Hand mit dem Tshirt danach wieder angehoben bekam, um es erneut auf die blutende Wunde zu drücken. Dieses Mal allerdings nicht ewig lang, weil Vahagn zu mir zurückkam. Mit einem dankbaren Nicken nahm ich ihr das Schmerzmittel ab und warf mir die Tablette in den Rachen, ehe ich sie mit zwei, drei Schlucken Wasser runterspülte. Ich ließ die Flasche einfach neben mir aufs Polster fallen, als die Russin schließlich gänzlich zu mir aufschloss und sich um die Platzwunde kümmern wollte. Zumindest eben insofern, dass sie schon einmal desinfiziert war und sich keine Bakterien darin ausbreitete. Eine eiternde Wunde im Gesicht hätte mir grade auch echt noch gefehlt. Dank der vehementen Abgeschlagenheit fiel es mir wenigstens nicht übermäßig schwer den Kopf dabei stillzuhalten. Trotzdem kam ich um leises, zischendes Gefluche nicht umher, als mir das Desinfektionsmittel förmlich die Wunde ausbrannte. Danach händigte Vahagn mir ein Stück Mullwatte aus, die anstelle des verschwitzten Shirts auf die Platzwunden drücken konnte, damit der Cut von jetzt an möglichst sauber blieb... und ich das Blut nicht unnötig im Raum verteilte. Ich ließ sie mit dem Arm auf der Seite mit den verletzten Rippen einfach machen - kam aber auch hier nicht drum rum, das Gesicht zu verziehen und ein, zweimal zusammenzuzucken, weil auch die Bewegung meines Arms schlicht und ergreifend höllisch wehtat. Der Schmerz schwand nur langsam, als der Arm dann in der Schlinge lag und bestmöglich ruhiggestellt war. Meine anderen Kleinen Wehwehchen hier und da waren in meinen Augen kaum der Rede wert und bedurften kaum Aufmerksamkeit - nur das anschwellende Hämatom am Auge wollte gerne ein bisschen gekühlt werden. Vielleicht ließ sich damit vermeiden, dass die Schwellung noch weiter zunahm. "Danke... ehrlich.", bedankte ich mich, bevor ich irgendwas anderes sagte, erst einmal aufrichtig bei der Russin. Ich war einfach einer der letzten Menschen auf dem Planeten, der sich zu fein dafür war seinen Dank auch auszusprechen. Erst recht nicht, wenn es so sehr angebracht war, wie in diesem Moment. Erst einige Sekunden später wagte ich noch eine Frage anzuhängen. "Ich schick dich wirklich nur ungern hin und her... aber hast du irgendwas, das ich mir zum Kühlen aufs Auge legen kann? Vielleicht sieht's morgen dann zumindest ein bisschen weniger schlimm aus...", fragte ich mit Bedacht und dem nötigen Respekt nach. Dann war da nur noch das Problem, dass ich im Sitzen schlecht gleichzeitig die Mullwatte und eine Packung tiefgefrorene Erbsen festhalten konnte. Über kurz oder lang musste ich mich aber sowieso hinlegen, mein Kreislauf machte die aufrechte Körperhaltung schon jetzt nur noch schlecht mit. Ich hätte Vahagn gerne mit ihrem Arm geholfen, allein schon um mich angemessen zu revanchieren - sie konnte sich aber sicherlich selbst zusammenreimen, dass ich das nicht besonders gut auf die Reihe kriegen würde.
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Auch wenn es mir nicht direkt anzusehen war, kostete es mich unglaublich viel Kraft, Sabins Wunden auszuspülen und einigermaßen angemessen zu verarzten. Die letzten Tage waren einfach alles andere als entspannend gewesen und noch dazu hatte ich reichlich beschissen geschlafen - wenn überhaupt, wohlgemerkt. Dass ich selbst in Mexiko im Kugelhagel etwas abbekommen hatte, machte die Sache nicht gerade angenehmer und so war ich doch wirklich froh, als all die großen, offensichtlichen Verletzungen einigermaßen fachgerecht bearbeitet waren. Der Italiener hatte auch brav stillgehalten und sich nicht wie ein bockiges Kind verhalten, das bei jedem Bisschen direkt zu nölen anfing. Zu seinem Glück, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, denn ich hatte nicht besonders viel Lust, mich heute noch gegen Widerstand auflehnen zu müssen. Damit war aber halt auch absolut Niemandem geholfen, weder ihm, noch mir. Aber er spielte mit, hob, wenn nötig, den Arm an, hielt die Mullwatte an seine Stirn und schmiss sich außerdem die Schmerzmittel selber ein. Ich konnte mich also eigentlich nicht beschweren und so waren wir auch verhältnismäßig zügig mit der Erstversorgung durch. Fehlte eigentlich nur noch die Platzwunde und dann konnte der Italiener ein wenig Kraft tanken. Vorausgesetzt natürlich, er kam trotz der ganzen Schmerzen irgendwie zu ein bisschen Schlaf, was ich mir für ihn ehrlich wünschte. Es gab nichts Schlimmeres als schlechten Schlaf, wenn es einem ohnehin schon beschissen ging. Der Körper kam dann einfach gar nicht mehr richtig hoch und wirklich alles fiel einem noch schwerer, als ohnehin schon. Man fror und das bei vermeintlich angenehmen Temperaturen, außerdem fühlte man sich unglaublich kraftlos. Guter Schlaf war also für das persönliche Wohlbefinden unabdingbar und ich gönnte Sabin eine Mütze voll davon. Natürlich nicht ganz uneigennützig, weil ich hoffte, dass er morgen dann schon wieder eigenständig nach Hause konnte, aber das spielte für mich erst einmal eine nicht ganz so wichtige Rolle. Ich war jedenfalls gerade dabei, den Verpackungsmüll der Pflaster und der Mullwatterolle zusammenzuräumen, als Sabin ein paar Worte an mich richtete, die mich nur müde mit den Mundwinkeln zucken ließen. Zu mehr konnte ich mich zumindest was die Mimik anbelangte nicht aufraffen, aber ich brachte immerhin ein "Passt schon." über die Lippen. Dabei war ich mir damit gar nicht so sicher. Ob das so passte, meine ich, aber ich war wohl schon länger prädestiniert dafür, diese Bedenken gekonnt in den Hintergrund zu schieben und mich jedes Mal wieder aufs Neue enttäuschen und verarschen zu lassen. Bevor ich die Zeit fand, weiter darüber nachzudenken, ergänzte Sabin seine Danksagung noch um eine Bitte, der ich ausnahmsweise sogar ohne zu Murren nachgehen würde. Ich musste ohnehin in die Küche, um den Müll zu entsorgen. Da konnte ich auf dem Rückweg wohl auch ein Kühlpad aus dem Gefrierfach angeln, damit er zumindest versuchen konnte, die Schwellung etwas einzudämmen. Gut schätzte ich die Chancen dahingehend allerdings nicht wirklich ein. Das Auge war jetzt schon relativ angeschwollen, konnte er es doch kaum noch offen halten. "Mach dir keine Hoffnung... ich glaube, morgen siehst du noch beschissener aus, als das jetzt der Fall ist, aber ja. Ich bring dir was zum Kühlen...", gab ich mit einer dunklen Prognose des morgigen Tages, gepaart mit einer gewissen Prise Sarkasmus eine Antwort auf seine Frage und erwischte mich dabei, wie sich meine Lippen zu einem schwachen Grinsen formten. Und doch entsprachen meine Worte der Wahrheit. Gut, wenn ich den Blick für einen Augenblick lang mal schweifen ließ und mir die zahlreichen Tattoos besah, die sich anbetungswürdig über den trainierten Oberkörper des Italieners spannten, dann war das natürlich Quatsch. Auch wenn ich Taurens Aussehen - vor allem aber auch seinen Charakter - weitaus eher bevorzugen würde, als Sabins, stammte der junge Mann nicht gerade von schlechten Eltern ab. Und auch sein Gesicht war doch auch ansehnlich. Nur halt eben dann nicht, wenn er einen Tag vorher grün und blau geschlagen wurde. Auch wenn ich sarkastisch geklungen hatte, war der Kern der Aussage also ein Fakt. "Brauchst du sonst noch etwas, bis Tauren kommt? Eine Decke vielleicht? Ist dir kalt..?", erkundigte ich mich beim Aufstehen vom Sofa danach, ob er ansonsten noch etwas brauchte. Damit ich im Fall der Fälle eben nicht zwei Mal laufen musste, weil auch die paar Schritte mich unglaublich viel Kraft kosteten. Die Frage nach einer Decke war natürlich nur eine von vielen, die ich ihm hätte stellen können, aber er wusste sicher, worauf ich hinaus wollte. Wenn er Hunger hatte oder etwas anderes zu Trinken wollte, um den Kreislauf in Schwung zu bringen oder sowas, dann konnte er das natürlich genauso kommunizieren wie seine Bitte nach dem Kühlpad.
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Die Worte der Russin entlockten mir ein schwaches und reichlich schiefes Grinsen, das sich auch sehr schnell wieder in Luft auflöste, weil mir das Gesicht einfach ziemlich weh tat. Ja, wahrscheinlich würde sie Recht damit behalten, dass ich morgen schrecklich aussehen würde. Daran würde mich kein Weg vorbeiführen, aber selbst wenn es fürs Kühlen jetzt zu spät sein sollte und ich dadurch hinsichtlich der Schwellung nichts mehr bewirken können würde, dann könnte ich mir was auch immer die junge Frau mir zum Kühlen aushändigen würde, auch gegen die Kopfschmerzen in den Nacken legen. Manchmal wirkte das Wunder und vielleicht hatte ich ja zumindest in dieser Hinsicht etwas Glück, wenn die letzten paar Tage schon in so unsagbar unglückliches Pech getränkt worden waren. "Ich fürchte da könntest du Recht behalten...", sprang ich kurzerhand einfach auf den Zug mit Sarkasmus auf. Kein Trübsal zu blasen erleichterte die aktuelle Situation zumindest ein kleines bisschen. Ich hoffte dennoch darauf, dass das Schmerzmittel möglichst zeitnah anschlagen würde, damit zumindest die Schmerzen weniger penetrant wurden. "Eine Decke wäre nett, ja...", ließ ich Vahagn wissen, dass ich ihrem Vorschlag nicht abgeneigt war. Noch fror ich zwar nicht, aber früher oder später würde das passieren. Allein schon dem Blutverlust wegen und nicht zuletzt sicher auch, weil ich mich nicht wieder in das ohnehin vom Blut feuchte Tshirt zwängen würde. Etwas zu trinken hatte ich schon hier und nach Essen war mir nun wirklich nicht, da schaffte die anhaltende Übelkeit sehr gute Abhilfe. "Sonst brauch ich nichts, glaube ich.", meinte ich und schüttelte dabei schwach den Kopf. Ein Schulterzucken wäre angebrachter gewesen, aber die Schlinge am Arm erinnerte mich ganz gut daran, das besser sein zu lassen. Während die Russin sich dann noch einmal auf den Weg machte, um mir meine Wünsche zu erfüllen - was an und für sich schon sehr absurd klang, aber gut, ich würde wie gewünscht einfach mal nicht weiter nachhaken - versuchte ich mich in der Zwischenzeit schon einmal hinzulegen. Ich wusste nicht wie lange Tauren noch brauchen würde, bis er nach Hause kam und ich konnte nicht mehr ewig aufrecht sitzen bleiben. Gerade auch die aufkommende Gehirnerschütterung wollte gerne beruhigt werden und am besten half es da grundsätzlich sich wenig zu bewegen, bestenfalls Bettruhe einzuhalten. Gestaltete sich als Verbrecher leider immer etwas schwer, aber war ja nichts neues. Zuerst schob ich mir angestrengt die Schuhe von den Füßen, ehe ich mühsam die Beine aufs Polster hob und kurzzeitig die Mullwatte von der Stirn nahm, um mich mit jenem Arm abstützten zu können, während ich mich vorsichtig auf den Rücken sinken ließ. Meine Rippen protestierten trotz meiner bemüht vorsichtigen Bewegungen ordentlich und ich war froh, dass der Schmerz langsam wieder schwand, als ich in einer halbwegs bequemen, liegenden Position angekommen war. Danach legte ich mir die Watte auf der Platzwunde ab, weil Vahagn mit dem Kühlpad und der Decke zurückkam. Ersteres platzierte ich ohne große Umschweife auf der pochenden Schwellung ums Auge. Im Anschluss daran breitete ich die Decke etwas umständlich über mir aus und war auch an dieser Stelle nochmal ein bisschen auf die Hilfe der jungen Frau angewiesen. Zu zweit klappte das dann wenigstens zügig. "Wie spät ist es eigentl...", wollte ich mich gerade nach der Uhrzeit erkundigen, als ich hörte, wie sich ein Schlüssel in der Haustür drehte. Ah, der Arzt kam nach Hause. Quasi perfektes Timing, dann brauchte ich die Mullwatte nicht mehr lange an Ort und Stelle zu halten.
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Weise Entscheidung. Zwar war es auf Kuba in der Nacht nicht besonders kalt, aber unter gewissen Umständen - wie etwa Krankheit oder bei schweren Verletzungen - fing man wegen des Blutverlustes manchmal trotzdem an zu frieren und da schadete es nicht, für den Fall der Fälle eine Decke parat zu haben. Er musste sie ja nicht sofort benutzen. Ich nickte die Bitte also ab, ehe ich mit dem Müll in der Hand aufstand und erst noch Sabins blutdurchtränktes Shirt aufsammelte, bevor ich das Wohnzimmer verließ und den Weg in Richtung Küche einschlug. Dort entsorgte ich sowohl die Plastikverpackung, als auch das Shirt im Müll. Letzteres logischerweise nicht, ohne es vorher nicht mit ein paar Lagen Altpapier zu umwickeln. Grundsätzlich war ich eher ein Freund davon, den ganzen Scheiß zu verbrennen. Einfach keinerlei Spuren hinterlassen, aber zum einen wurden wir auf Kuba nicht ansatzweise so sehr verfolgt, wie das in Italien, Russland und Norwegen der Fall gewesen war und daraus resultierend würde sich zum anderen keiner die Mühe machen, Tonnen von Hausmüll zu durchsuchen, um ein Indiz bezüglich unserer Aufenthaltsortes zu finden. Ich war da also noch recht entspannt, als das verpackte Stück Stoff schließlich in den Plastikbeutel unter der Spüle wanderte. Gut fünfzehn Sekunden später hielt ich vor dem Küchenfenster inne und ließ meinen leeren Blick einen Moment lang ziellos durch die Dunkelheit wandern, ehe ich mich mit einem leisen dazu ermahnte, zurück ins Wohnzimmer zu schlurfen. Das letzte Bisschen Adrenalin wurde nämlich gerade aus meinem Körper gespült und ich merkte, wie ich zunehmend müder wurde. Und das, obwohl ich die Wunde an meinem Arm noch nicht ein einziges Mal angesehen hatte, seit wir in meiner Wohnung angekommen waren. Ich zwang mich also dazu, mein Tempo ein bisschen anzuziehen, mit dem ich ein Zimmer weiter ins Schlafzimmer ging, um dort eine der zwei Decken von meinem Bett zu angeln. Falls Tauren heute noch auftauchen würde, müssten wir uns eben eine teilen, was für mich in der Theorie erst einmal nicht besonders schlimm war. Ich hoffte zumindest darauf, dass ich nicht plötzlich zu frösteln anfangen würde und wenn doch, dann glich der Norweger das als menschlicher Heizkörper sicher gut wieder aus. Alles in allem brauchte ich nicht lange, bis ich wieder zu Sabin zurückkehrte, der sich in der Zwischenzeit um eine liegende Position bemüht hatte. Überraschenderweise wollte der junge Mann auch gleich jetzt die Decke über sich ausbreiten, wobei ich ihm hier und da noch ein wenig unterstützte. Dabei zischte auch ich immer mal wieder, weil mein Arm inzwischen bei jeder Bewegung stark schmerzte - ein Blick auf den dunkelbraun, fast schon mehlig-mürben Verband ließ bereits erahnen, warum. Das Ding musste jetzt ziemlich bald runter, wenn ich nicht noch eine ernsthafte Blutvergiftung riskieren wollte und so war ich ziemlich froh, dass das mit der Decke schnell vonstatten ging und ich mich unweit des Sofas auf einen Hocker fallen lassen konnte. Ich warf noch einen letzten Blick auf Sabin, der fürs Erste relativ zufrieden zu sein schien, ehe ich mir die Hände ein weiteres Mal desinfizierte und Hand an die Verbandsschere legte. Glücklicherweise war dieses Mal der wesentlich weniger wichtige, linke Arm verletzt worden und so ließ sich die Schere zum Durchschneiden des Verbandes recht leicht führen. Ich hatte gerade die mit Aluminium bedampfte Kompresse von der Wunde entfernt, diese also endlich aufatmen lassen, da richtete der Italiener noch einmal sein Wort an mich. Ich wandte meinen bemüht konzentrierten, prüfenden Blick von dem Streifschuss ab, der doch tiefer war, als ich anfangs angenommen hatte, Sabin erneut anzuschauen. Parallel dazu legte ich die blutdurchtränkte Wundauflage vor mir auf dem Tisch ab und griff gerade zu dem Desinfektionsmittel, als der junge Mann ziemlich am Ende seiner Frage unterbrach, weil er, ebenso wie ich, den Schlüssel im Türschloss vernahm. Mit einer Mischung aus Vorfreude, aber auch innerer Unruhe sah ich mit geneigtem Kopf in den Flur, in dem wenig später Tauren zu sehen war.
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Ursprünglich wäre ich wahrscheinlich noch gut eine Stunde länger unterwegs gewesen, um alles abzuhaken, was Hunter mir aufgetragen hatte. Dadurch, dass das Team rund um die Drogenschipperei länger unterwegs gewesen war als ursprünglich geplant, hatten ein paar Dinge umstrukturiert werden müssen und es herrschte kurzfristig ein bisschen Chaos. Man lernte die sonst so akribischen Zeitpläne des Amerikaners erst richtig zu schätzen, wenn sie plötzlich nicht mehr einzuhalten waren. Ich hatte sonst immer ganz genau gewusst, wann ich Zuhause sein würde - plus, minus einer Viertelstunde. Manchmal blieb ich ja beispielsweise ein paar Minuten länger am Labor, um mich ein bisschen mit Sabin und Richard auszutauschen oder ich holte mir irgendwo unterwegs was zu essen, weil mir der Magen knurrte. Kam aber nicht mehr so oft vor wie früher, weil ich schlicht und ergreifend weniger körperlich harte Dinge zu erledigen hatte. Mein Rücken und meine Schultern waren im Vergleich zu früher bei weitem nicht mehr so verspannt, dafür musste ich den Kopf mehr anstrengen. Ich war jetzt jedenfalls hauptsächlich deshalb schon auf dem Weg nach Hause, weil der abschließende Austausch mit dem Boss heute flachfiel. Es war entweder schlichtweg nicht notwendig - was nicht so abwegig war, weil heute Nacht nichts besonderes vonstatten gegangen war, wenn man von der Sache im Hafen absah - oder aber er hatte einfach keine Lust dazu, das noch heute zu machen. Wir hatten hier auf Kuba ein insgesamt sehr leichtes Spiel, Zwischenfälle waren selten. Die paar Worte zu wechseln schien bis zum morgigen Abend warten zu können, also machte ich mich auf den Weg zu Vahagns Wohnung. Die letzten Tage über war ich bei mir Zuhause gewesen, weil der Weg zu Ashtons Anwesen so ein wenig kürzer war. Wir trafen uns meistens noch zu dritt - also inklusive Desmond, manchmal auch in Hunters Anwesenheit - bei ihm Zuhause und sprachen noch einmal restlos alles durch, bevor sich jeder auf die Socken machte. Vorübergehend war das also praktischer, wenn die Russin ohnehin nicht da war. Außerdem hätte ich mich allein in ihrer Wohnung mit dem Wissen, dass sie tagelang weg sein würde, wahrscheinlich ohnehin sehr unwohl gefühlt. Allein schon wegen der unschönen Szenen kurz vor ihrer Abreise... Ich war doch ein klein wenig unruhig, als ich an der Haustür ankam. Erstens weil ich inzwischen im Bilde war, was die ganze Mexiko-Reise anging - dank Hunter - und zweitens, weil ich um Verletzungen ihrerseits fürchtete. Die Befürchtung legte sich auch nicht unbedingt, als ich zwei Blutstropfen auf einer der ersten Treppenstufen nach oben sah. Ich beschleunigte mit einem Schlucken also unweigerlich meine Schritte und schloss oben angekommen dann etwas hastig die Wohnungstür auf. "Vahagn..?", war meine erste indirekte Begrüßung und gleichzeitig auch Frage nach ihrem Aufenthaltsort in der Wohnung. Ich schob mir zuerst noch schnell die Schuhe von den Füßen, bevor ich mich erneut in Bewegung setzte und mich nach ihr umzusehen begann. Die Suche sollte auch gar nicht lang dauern, weil bereits der Blick durch den Türrahmen des Wohnzimmers Erfolg versprach. Allerdings hielt ich doch sichtbar irritiert im Rahmen inne, als ich neben der Schwarzhaarigen - die auf jeden Fall noch atmete und sitzen konnte - auch Sabin sah. Auf dem Sofa liegend, mit Kühlpad im Gesicht und Wundabdeckung an der Stirn. Ich wusste, dass er mehr oder weniger der Ursprung von Vahagns Reise war - Hunter würde dazu sicher auch morgen noch ein paar Worte sagen - aber es eigentlich an den Drogen gescheitert war. Es tat mir leid um Gunnar, er war eigentlich ein zuverlässiger Mann gewesen. Trotzdem würde jeder Tag, an dem ich nicht selbst von Hunter gerichtet wurde, ein guter Tag für mich sein. Es dürfte wahrscheinlich auch jener Amerikaner gewesen sein, der Sabin so übel mitgespielt hatte, aber das erklärte mir nicht, warum er nun hier war. "Hey, Tauren.", begrüßte er mich etwas undeutlich sprechend, sah einäugig zu mir rüber. Ich nickte ihm nur schwach zu, bevor ich nach wie vor sichtbar verwirrt zu Vahagn aufschloss. "Bist du okay? Brauchst du Hilfe?", fragte ich. Noch während meines zweiten Satzes fiel mir der angeschossene Unterarm ins Sichtfeld. Das fiel in meinen Augen definitiv schon nicht mehr unter noch okay... vor allem dann nicht, wenn die Wunde schon etliche Stunden offen lag. Mehrere Tage. Sabin war mir also - so leid mir das auch tat - im ersten Moment völlig egal.
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Es dauert nicht lange, bis der junge Mann zu uns ins Wohnzimmer getrabt kam und scheinbar erst mal einen Moment brauchte, um die Situation einzuordnen. Verständlicherweise, ich wäre sicherlich auch erst mal ein bisschen irritiert, wenn plötzlich eine andere Frau in der Wohnung von Tauren auf seiner Couch liegen würde. Die Hintergründe dazu wären mir auch erstmal egal, es ging da einfach ums Prinzip. Jedenfalls brauchte der Norweger nicht allzu lang, um sich aus dem Türrahmen zu lösen und zu mir aufzuschließen. Schwach lächelnd, aber ebenso mit leicht schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck folgte ich ihm dabei mit den Augen, bis er unmittelbar vor mir stand. "Hey.", murmelte ich und stellte das Desinfektionsmittel gerade auf dem Tisch ab, als Tauren sein Wort an mich richtete. Na ja, zu sagen, dass alles okay war, wäre wohl ganz offensichtlich gelogen, denn das war es nicht. Mir ging es um ehrlich zu sein sogar relativ beschissen, sowohl körperlich, als auch psychisch, aber im Moment konnte er mir wohl eher nicht helfen. Sabin hingegen schon. Also schüttelte ich schwach den Kopf und fügte zu meinen vorherigen Worten hinzu, dass er sich lieber um den Italiener kümmern sollte. "Mir geht es... den Umständen entsprechend, denke ich. Aber Sabin könnte deine Hilfe gebrauchen. Die Platzwunde an seinem Kopf... ich wollte sie nicht nähen, dafür bin ich einfach zu müde. Könntest du das übernehmen?", kläre ich meinen Freund also darüber auf, dass ich mit dem Streifschuss fürs Erste alleine klarkam. Ich würde die Wunde noch etwas atmen lassen und ihn danach eventuell bitten, das Ganze zu nähen oder zuzukleben. Angesichts der Tatsache, dass die Wunde nicht allzu tief und vor allem älter als sechs Stunden war, würde ich die Klebestreifen aber definitiv bevorzugen, hatte ich doch leider nichts mehr Zuhause, um die zu nähende Stelle lokal zu betäuben. Und auf den zusätzlichen Schmerz könnte ich ganz gut verzichten, war eine Narbe so oder so vorprogrammiert. Anders als bei Sabin, wo man zumindest noch versuchen konnte, das ansonsten fast makellose Gesichts zu retten. "Danach... könntest du mir bei dem Streifschuss helfen. Ist aber wirklich nicht so schlimm, ich hab mich um den wesentlichen Teil schon gekümmert.", meinte ich bloß, dass er sich um mich keine Sorgen machen brauchte. Ich ihm nicht direkt wegklappen würde, weil soweit alles im einigermaßen grünen Bereich war, aber am Ende könnte er mir dann eben doch noch helfen. Ich realisierte gar nicht, dass ich die ganze Zeit ein wenig vor mich hinlächelte, seit der junge Mann das Wohnzimmer betreten hatte und als es mir auffiel, wandte ich den Blick sofort von Tauren ab. Räusperte mich ein wenig und sah stattdessen lieber rüber zu Sabin. Ich wollte hier jetzt nicht direkt sentimental werden, aber der Norweger hatte mir gefehlt. Nach dem Streit vor meiner Abreise ganz besonders und ich hatte ihn doch sehr vermisst. Gerade, weil aus den ursprünglich geplanten zwei Tagen doch ein paar mehr geworden waren und meine Nerven wegen dem Zwist zwischen Hunters und meinen Männern vollkommen blank langen. Ich war wirklich dankbar darüber, dass es jetzt einigermaßen ruhig war, denn trotz der Schmerztabletten waren die immer stärker werdenden Kopfschmerzen leider ziemlich präsent. Nicht auszudenken, wie schlimm sie werden würden, wenn hier noch richtig der Teufel los wäre. Allerdings ging ich nicht davon aus, dass sich an der Ruhe heute Nacht noch groß etwas ändern würde. Tauren war sicher auch ziemlich im Eimer, Sabin würde, sobald die Wunde versorgt war, höchstwahrscheinlich direkt einpennen und ich sah aktuell auch keinen Grund, wegen dem ich länger als notwendig wach bleiben sollte. Gut, ich müsste auf jeden Fall noch einmal unter die Dusche, die schmutzigen Klamotten loswerden und das Blut von meiner Haut schrubben, mit dem ich mich zwangsläufig besudelt hatte, als ich mich nach Sabins Wohlergehen erkundigt hatte. Dann würde ich dem Norweger vielleicht noch erzählen, wie Scheiße doch alles gewesen war, aber dann... ja, dann würde ich vermutlich auch einfach einschlafen. So zumindest der Plan...
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Den Umständen entsprechend war nicht unbedingt das, was ich hatte hören wollen, aber es schien auf den ersten Blick wenigstens der Wahrheit zu entsprechen. Auf jeden Fall hatte ich Vahagn schon in deutlich schlimmerem Zustand gesehen, das konnte ich nicht verneinen. Diese Tatsache allein reichte aber nicht ansatzweise dazu aus meine Sorge um ihr Wohlergehen auszuradieren. Weder das, noch ihre wörtliche Versicherung, dass ich guten Gewissens zuerst Sabin helfen konnte, weil er mich ihrer Meinung nach wohl dringender benötigte. Noch während sie von ihm sprach wanderte mein Blick zu ihm rüber und ich musterte ihn ein weiteres Mal kurz, bis meine Augen zurück zu der angeschlagenen Russin wanderten. Obwohl sie mir mit ihren noch folgenden Worten eigentlich sehr deutlich machte, dass ihre Verletzung nicht unbedingt primär behandelt werden musste und sie ein paar Minuten Wartezeit mehr jetzt auch noch überleben würde, reichte mir auch das nicht als Absicherung. "Bist du sicher?", hakte ich also erneut nach. Natürlich versicherte die Schwarzhaarige mir ein weiteres Mal, dass es reichte mich erst später um ihren Streifschuss zu kümmern. Ich blieb trotzdem noch einen Moment lang bei ihr stehen und streckte vorsichtig die rechte Hand nach ihrem Gesicht aus. Streichelte ihr mit dem Daumen behutsam über den Wangenknochen bis hin zu ihrem seitlichen Haaransatz, um eine lose schwarze Strähne hinter ihr Ohr zu streichen. "Na gut.", murmelte ich dennoch hörbar besorgt und musterte im selben Moment ihre aufgeplatzte Lippe. Auch in meinen Augen spiegelte sich unweigerlich wider, dass ich noch ganz und gar nicht beruhigt war, was Vahagns Verletzungen anbelangte. Ich wollte aber nicht unnötig mit ihr diskutieren und am Ende den nächsten Streit damit vom Zaun brechen, also verließ ich den Raum schließlich noch einmal kurz, um mir ausgiebig die Hände zu waschen. Selbst wenn ich die Wunde nach Möglichkeit nicht direkt mit den Fingern anfassen würde, sollte das Risiko einer Infektion schlichtweg so gering wie möglich gehalten werden - auch wenn es dabei nur um Sabin ging. Ich kehrte also mit sauberen Händen, sowie auch entsprechendem Nähzeug zu den beiden Invaliden im Wohnzimmer zurück. Ich legte alles, was ich brauchte, auf dem Couchtisch nahe Sabin ab, bevor ich mir die Hände zusätzlich noch desinfizierte. Ich griff mir auch das Wunddesinfektionsmittel noch einmal vom Tisch, bevor ich Sabin mit einer Geste dazu anwies die Mullwatte von seiner Wunde zu nehmen. Sie blutete nur noch wenig bis gar nicht, aber die beiden Hautlappen klafften doch ziemlich auseinander. Ich musterte die Wunde erst ein paar Sekunden lang sehr akribisch, nachdem ich mich so gut es ging neben Sabin auf die Sofakante gesetzt hatte. Es hing ein winziges bisschen von der Verbandswatte in der Wunde, also griff ich zuerst nach der steril verpackten Pinzette, um daraufhin dann vorsichtig die Überreste des Mulls auf der Wunde zu fischen. Danach durfte sich der Italiener über eine weitere Ladung Desinfektionsmittel erfreuen und erst daraufhin machte ich Nadel und Faden bereit. Ich fragte ihn nur obligatorisch, ob er bereit war und setzte schon dabei mit der Nadel an. Es war nicht machbar eine Narbe zu vermeiden, aber ich atmete tief durch und versuchte meine innere Unruhe für den Moment beiseite zu schieben, um die Wunde so gut wie möglich zu kitten. "Bin leider kein Schönheitschirurg.", ließ ich den Italiener beiläufig und sarkastisch wissen, dass er nicht mit einer perfekten Narbe zu rechnen brauchte. Ich war zwangsweise zwar recht geübt darin und wurde sicherlich jedes Mal etwas besser, aber es war nicht unbedingt leichter sich zu konzentrieren, wenn ich wusste, dass auch Vahagn durchaus meine Hilfe brauchte. Am Ende war ich dennoch recht zufrieden mit dem Ergebnis und klebte die frische Naht noch mit einem Pflaster ab, damit sich keine Keime einnisteten. "Hast du sonst noch was?", fragte ich Sabin abschließend, woraufhin er verneinte. Wenn er keine anderen äußerlichen Wunden mehr hatte, dann war mein Job getan und wie man sich vorstellen konnte, kreisten meine Gedanken auch nach wie vor nur um die Schussverletzung meiner Freundin. Ich stand also ohne abzuwarten vom Sofa auf, um zurück zu der Russin zu gehen. "Hast du die Kompresse mal gewechselt..?", hakte ich nach, noch bevor ich ganz zu ihr aufgeschlossen hatte. Ehrlicherweise sah der Streifschuss nämlich eher nicht so aus, als hätte er die bestmögliche Versorgung bekommen. Klar - am besten hätte er sowieso sofort geflickt werden müssen, damit er gar nicht erst so lange offen lag. Aber wenn Vahagn die Kompresse nicht besonders oft oder gar überhaupt nicht gewechselt hatte, war das gefährlich. Sie hatte schon nach dem Biss des Köters in Russland im Krankenhaus gelegen und eigentlich wollte ich sie da nicht schon wieder hinbringen müssen...
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Taurens Berührungen taten gut. Zwar heilten sie nicht von jetzt auf gleich all meine körperlichen Wunden, aber zumindest streichelten sie ein bisschen meine Psyche und das war im Augenblick wirklich verdammt viel wert. Denn mir ging es vom Kopf her nach wie vor relativ beschissen und der innerliche Schmerz war mit dem der körperlichen Wunden nicht zu vergleichen. Ich hätte mir gewünscht, dass es nicht bloß bei den wenigen Streicheleinheiten blieb und er noch ein bisschen weitermachte, so wie er es immer tat, wenn wir unsere gefühlsduseligen fünf Minuten hatten, in denen wir wie ein ekelhaft verliebtes Pärchen gemeinsam im Bett lagen und uns einfach nur ansahen. Uns anlächelten und allgemein einfach... affig aussahen. Zum Glück hatte ich uns noch nie zusammen auf Bildern gesehen, die diesen Moment für die Ewigkeit festhielten, weil ich sonst sehr wahrscheinlich bemüht darum wäre, solche Intimitäten in der Zukunft einzustellen. Es war schön, wenn man gerade so dabei war, keine Frage, aber irgendwie ließ es einen auch ungemein verletzlich wirken, wenn man sich so emotional und gefühlvoll zeigte. Aber genug davon. Ich würde noch warten müssen und in Anbetracht der Tatsache, dass sich Tauren abwandte, um sich Sabin zu widmen, ließ mich das gedanklich ein wenig mit den Zähnen knirschen. Allerdings sagte ich nichts, schließlich hatte ich ihn dazu angewiesen und es war ganz einfach das Richtige. Sabin brauchte mit der offensichtliche Verletzung im Gesicht einfach dringender seine Unterstützung. Also richtete ich mich auf dem Hocker ein wenig auf und beobachtete den Norweger bei seinem Tun. Sah ihm nach, als er kurzzeitig aus dem Wohnzimmer verschwand und verfolgte dann jeden seiner Schritte akribisch mit meinem müden Blick. Glücklicherweise war der junge Mann bereits einigermaßen geübt darin, Wunden zu nähen und brauchte daher auch nicht besonders lange, sodass seine Aufmerksamkeit bald schon wieder mir galt. Tauren wandte sich mir wieder gänzlich zu und auf seine Frage hin ließ ich nur ein leises, im Ansatz belustigt klingendes Schnaufen von mir hören. "Hatte ich keine Zeit für. Und auf dem Schiff dann auch kein Verbandszeug...", gab ich wahrheitsgemäß eine Antwort, die der junge Mann sicher nicht hatte hören wollen und ich musste zugeben, dass ich mit den Worten selber nicht zufrieden war. Schließlich wusste ich bereits aus eigener Erfahrung, wie schnell eine unbehandelte Wunde einen mehr oder weniger dahinraffen konnte und sollte es deshalb eigentlich besser wissen, wenn es um die Versorgung von Verletzungen ging. Nichtsdestotrotz war mir das einfach ein bisschen aus den Händen geglitten. Ich war froh, dass ich zwischen der ganzen Scheiße in Mexiko überhaupt kurz die Zeit dafür gefunden hatte, mir einen Verband anzulegen. Später, kurz bevor wir auf das Schiff geflohen waren, hatte ich den Verband ein letztes Mal wechseln können und mir aufgrund der nicht vorhandenen Kompresse bei der ersten Versorgung den ganzen Scheiß wieder aufgerissen. Seitdem lag der Verband, dem ich mich vor wenigen Augenblicken entledigt hatte, unberührt an meinem Arm an und das war jetzt wie lange her..? Zwei Tage mal mindestens, was an und für sich bei einer nicht besonders stark blutenden, nicht infizierten Wunde noch unbedenklich war, aber allein der Tatsache wegen, dass ich eben nicht dazu gekommen war, den Streifschuss anständig zu desinfizieren und er zudem die komplette Kompresse durchgeblutet hatte, wäre ein Wechsel längst angebracht gewesen. Aber gut, ich konnte es jetzt leider nicht ändern und musste mich wohl damit abfinden, dass der Mist wieder länger zum Heilen brauchte, als er das unter normalen Umständen getan hätte. "Ich habe im Bad diese... Klammerpflaster. Das reicht sicher, 'ne Narbe bleibt so oder so.", ließ ich Tauren wissen, dass er sich keinem neuen Päckchen Nadel und Faden widmen musste, weil ich das ganz einfach nicht wollte. Vermutlich war es zwar sinniger, als diese blöden Wundnahtstreifen, aber eben auch schmerzhafter und dafür fehlte mir gerade einfach die Nerven. Ich sah ihn entsprechend bittend und zu gleichen Teilen entschuldigend an, weil ich ihn gleich noch einmal ins Badezimmer schickte, obwohl er dort bereits gewesen war. War mir halt leider entfallen, man möge mir diese Nachsichtigkeit verzeihen, nachdem ich eine halbe Ewigkeit zwischen pöbelnden Männern auf einem schmutzigen Schiff in einem beschissenen Container gesessen habe. Und das, nachdem ich mir fast mehrere Kugeln eingefangen hatte und meine letzte Dusche auch nur provisorischer Natur mit Salzwasser gewesen war.
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Wie ich bereits befürchtet hatte, war Vahagns Verletzung leider eindeutig zu kurz gekommen war. Es war zwar durch die nur oberflächliche Verletzung etwas weniger kritisch, als wenn sich wieder Zähne oder gar Kugeln in ihr Fleisch gebohrt hätten, aber eine Sepsis juckte es am Ende ungefähr gar nicht, wie die Wunde nun genau aussah. Wenn die eine Chance sah, dann ergriff sie die rigoros und das bereitete mir unweigerlich Sorgen. Ich kam also nicht umher zu seufzen, gleichermaßen besorgt wie nachdenklich. Einfach weil ich abzuwägen versuchte, was das Beste für die Schwarzhaarige war. Im ersten Moment war das grundsätzlich ein Krankenhaus - selbst wenn die Wunde bis jetzt noch nicht eiterte, dann konnte sie damit im Verlauf der nächsten paar Stunden noch anfangen. Gleiches galt für eine Sepsis. Jetzt mochte Vahagn sich vielleicht erstmal nur müde von der langen Reise fühlen, aber wenn das in naher Zukunft noch mit anderen Beschwerden einherging, dann konnte sie sich auch einer Blutvergiftung sicher sein. Man wäre was das anging nur dann auf der sicheren Seite, wenn man ihr aufgrund der mangelnden Wundhygiene gleich jetzt Antibiotikum einflößte, bevor nur noch härtere Mittel halfen. Einfach um das Worst-Case-Szenario zu vermeiden. Da würde ich sehr wahrscheinlich wieder gegen eine Wand reden. Ich hatte auch noch nie eine Wunde geflickt, die schon mehrere Tage lang mehr oder weniger offen gelegen hatte - was nüchtern betrachtet daran lag, dass meines Wissens nach wenige Stunden nach Eintritt der Verletzung die Gefahr auf Wundinfektion rapide anstieg. Wenn man sie danach nähte, konnte es passieren, dass man die Keime unter der Naht - oder unter der provisorischen Verschließung durch Pflaster - einschloss und so erst recht eine üble Infektion riskierte. Ergo wusste ich gerade ganz einfach nicht, was man in solchen Fällen am besten tat. Ich hob nach einigen schweigsamen Sekunden beide Hände ans Gesicht und rieb mir einmal von oben nach unten über die vom Nachdenken schon gefühlt völlig verkrampfte Gesichtsmuskulatur. Danach sah ich erst noch einmal auf den Streifschuss runter, bevor meine Augen mit einem schwachen Kopfschütteln gezielt Vahagns suchten. "Wenn ich das zumache und schon irgendwelche Bakterien drin sind, könnte dich das den ganzen Unterarm kosten.", stellte ich ernüchternd fest. Natürlich war das etwas extrem formuliert, aber das Risiko darauf war da. Selbst wenn ich die Wunde jetzt gefühlt mit Desinfektionsmittel ausbrennen würde, könnte sich längst etwas unter die offene Hautoberfläche geschlichen haben. "Hast du Antibiotika da?", fragte ich Vahagn und griff gleichzeitig erneut nach dem Handdesinfektionsmittel. Danach nahm ich mich dem Desinfektionsmittel für Wunden an und ging daraufhin neben dem Hocker, auf dem die junge Frau saß, auf die Knie runter. Mit der freien Hand griff ich vorsichtig nach ihrem Handgelenk, um sie so dazu zu bewegen, ihren Arm langsam ein wenig mehr in meine Richtung auszustrecken. Ich besah mir die Wunde noch einmal aus nächster Nähe, bevor ich Vahagn mit einem Blick in ihren Augen vorwarnte und dann das Desinfektionsmittel anhob. Nein, da war es in meinen Augen eben nicht damit getan, mal ganz grob hier und da ein bisschen was draufzukippen. Am Ende würde ich wahrscheinlich fast alles an Inhalt, was die Flasche noch hergab, durch die Schussverletzung fließen lassen. Das Gewebe war ohnehin schon völlig traumatisiert und geschädigt, da musste man ihm nicht auch noch Bakterien aufhalsen. Sollte Vahagn kein Antibiotikum im Haus haben... tja, dann würde ich wohl nochmal losgehen. Es war schließlich davon auszugehen, dass sie sich gegen einen Besuch im Krankenhaus noch wesentlich mehr wehren würde. Wenn ich sie an meiner Seite halten wollte, dann durfte sie mir aber nicht durch eine Sepsis wegsterben.
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Es wäre aber auch wirklich zu einfach gewesen, wenn Tauren einfach meiner Bitte nachgegangen wäre und die Wunde verschlossen hätte. Ich seufzte leise, weil mir definitiv die Kraft dafür fehlte, jetzt mit ihm zu diskutieren und deshalb sagte ich erst einmal auch nichts weiter dazu, sondern ließ ihn einfach machen. Ich persönlich wäre wohl schlichtweg das Risiko eingegangen, die Schussverletzung jetzt einfach zu reinigen und daraufhin dann Nadel und Faden oder die Klebestreichen einzusetzen, hätte mir da nicht weiter Gedanken drüber gemacht - aber wenn dem jungen Mann danach war, dann sollte er das ruhig machen. Solange ich mich nicht aktiv an der Umsetzung seiner Wünsche bezüglich meiner Wundversorgung beteiligen musste und es ausreichend war, geistig halbwegs anwesend hier auf dem Hocker zu sitzen, dann sollte mir das alles nur recht sein. Auch ein halbfauler Arm, der kurz vorm Abfallen war - so oder so ähnlich beschrieb der Norweger zumindest eine mögliche Nekrose - wäre mir in dem Moment wohl ziemlich egal gewesen. Hinterher, wenn der Unterarm tatsächlich nicht mehr war, natürlich eher weniger, aber gut. Jedenfalls schien sich Tauren einen ziemlichen Kopf darüber zu machen, wie er jetzt weiter mit meiner Verletzung verfahren sollte, denn es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er sich schließlich mit dem Desinfektionsmittel neben mich hockte, um seinen Plan - der wie auch immer lautete - zu verfolgen. Auf die Frage, ob ich Antibiotika im Haus hatte, zuckte ich nach kurzer Überlegung schwach mit den Schultern. "Ich weiß es nicht...", gab ich ehrlich zu und versuchte mich daran zu erinnern, was sich nebst Verbandszeug, Schmerzmitteln und allerlei anderer Arznei noch in meinem Badezimmer befand. Viel konnte es nicht sein, schließlich wohnte ich noch nicht besonders lange hier. Aber ich meine mich daran zu erinnern, dass ich vom letzten Mal, als ich es mit der Wundhygiene nicht allzu ernst genommen hatte, tatsächlich noch einen Restbestand an Tabletten übrig hatte. "Wobei... doch. Es sollten noch ein paar Tabletten vom letzten Mal übrig sein. Im Schrank neben dem kleinen Mülleimer. Viele sind das bestimmt nicht mehr, aber bis morgen reichen die sicher...", gab ich nachdenklich von mir und verzog bereits sichtlich angespannt das Gesicht, als Tauren sich mit dem Desinfektionsmittel zu mir runter begab. Es hatte schon wehgetan, nur die Wundränder zu desinfizieren und ich wollte ehrlich gesagt nicht wissen, was für eine Welle von Schmerzen mich gleich mitreißen würde, wenn er den Streifschuss gleich flutete. Allerdings schien das meinen Freund nur wenig bis gar zu interessieren - berechtigterweise - und so hob er ohne zu Zögern die Flasche an. Als Reaktion darauf war ich verleitet, den ausgestreckten Arm direkt wieder an mich zu reißen und laut loszuschreien. Aber Sabin, Tauren und auch mir selbst zuliebe blieb es bei einem kläglichen Jammern, gemischt mit ein paar kurzen, russischen Flüchen und angespanntes Gezische. Früher war ich nicht so eine Mimose gewesen. Konnte das Brennen, wenn die Bakterien in der Wunde förmlich explodierten, noch gut wegstecken, ohne eine Miene zu verziehen, aber irgendwie... na ja, war das mit der Zeit immer weniger eine Regelmäßigkeit und nur noch eine Ausnahme gewesen, dass ich mich derart häufig ernsthaft verletzt hatte. Seit ich hier auf Kuba Fuß gefasst hatte, schien ich allgemein aber ziemlich vom Pech verfolgt und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass die karibische Insel einfach nichts für mich war. Abgesehen von Tauren hielt mich hier auch nur recht wenig. Das Geschäft lief inzwischen zwar ganz okay, tendierte in Richtung gut, aber war noch lange nicht auf dem Level von Italien angekommen... sonst würde mir der ganze Scheiß wohl auch gar nicht erst passieren. Ich war ganz froh, dass das Brennen mich bald schon aus dem Gedankenstrudel riss und wieder zurück in die Gegenwart katapultierte, weil ich gerade etwas abzudriften drohte. Das half mir zwar, den körperlichen Schmerz in den Hintergrund rücken zu lassen, aber dafür wurde der seelische nur schlimmer.
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Es dauerte einen Moment, bis Vahagn mir eine wirklich brauchbare Antwort auf meine Frage geben konnte. Wenn man nicht unbedingt täglich Medikamente brauchte - was in unserem Alter verheerend wäre - dann schaute man eben nicht ständig in seinen Arzneimittel-Bunker. Ich für meinen Teil brauchte mich um sowas jetzt aber auch nicht mehr zu kümmern, weil Hunter grundsätzlich einen guten Vorrat parat hatte, zu dem ich mir als einer der oberen Mittelsmänner auch jederzeit Zutritt verschaffen konnte. Nur nicht für Vahagn, solange er das nicht autorisiert hatte. Ich hätte also fragen müssen und die Wahrscheinlichkeit auf ein Nein wäre besonders in diesem Fall sehr hoch gewesen. Ich hätte also stattdessen in eine Apotheke einbrechen müssen, falls es hier in Havanna keine gab, die 24/7 für den Notfall geöffnet hatte. Allein. Rosige Aussichten, aber mit entsprechender Maskierung wäre das schon gegangen. Hier auf Kuba war das mit dem Einbrechen auch schonmal grundsätzlich leichter als in meiner Heimatstadt. Dennoch war ich froh darüber, dass mir das heute Nacht erspart blieb und die Russin noch Überreste ihrer letzten Sepsis hier hatte. "Gut.", war vorerst alles, was ich sagte, während ich noch dabei war die Wunde in dem Desinfektionsmittel zu ertränken. Natürlich löste das Gefluche seitens Vahagn aus, aber es war nun mal ein notwendiger Schritt die Wunde so sauber zu kriegen, wie in diesem Stadium noch möglich war. Danach ließ ich den schlanken Arm der jungen Frau vorsichtig wieder los und stand auf, um ins Badezimmer zu gehen. Ihrer Beschreibung zu folgen war dabei nicht schwer und ich hatte die paar vorhandenen, verschiedenen Medikamente bald vor Augen. Es dauerte auch nicht lange das richtige Medikament zu finden. Ich besah mir zur Sicherheit noch einmal das Ablaufdatum, aber auch das war noch nicht überschritten. Das vorhandene Antibiotikum schaffte es meine Nerven hinsichtlich der Sorge um Vahagn zumindest ein bisschen zu beruhigen. Selbst wenn der Beginn einer Blutvergiftung schon eingetreten war, dann konnte das Medikament das mit etwas Glück noch im Keim ersticken und es passierte nichts Lebensbedrohliches mehr. Ich nahm mir auch noch passendes Verbandszeug mit, weil ich schlichtweg nicht vor hatte die Wunde heute noch zu verschließen. Wenn sie morgen nach einer Mütze voll Schlaf noch sauber und den Umständen entsprechend gut aussah, ja - dann konnte ich sie mit etwas weniger schlechtem Gewissen noch zumachen. Zuerst galt es aber abzuwarten, ob die Wunde sich noch entzündete. Sollte sie das tun führte auch kein Weg mehr an einem Arzt vorbei und es würde mich auch nicht kümmern, was Vahagn darüber dachte. Bei ihr war es einfach so, dass man ihr die Vernunft hin und wieder förmlich einprügeln musste, damit sie den Ernst der Lage verstand. Also kehrte ich mit der Arznei, sowie den anderen Utensilien ins Wohnzimmer zurück und schnappte mir kurzerhand auch die Wasserflasche, die nahe der Couch auf dem Boden stand. Ich warf dabei auch noch einen kurzen Blick zu Sabin, aber es schien ihm den Umständen entsprechend gut zu gehen. Er würde sicherlich zeitnah einschlafen, wenn der Trubel im Wohnzimmer erst einmal vorüber war. Ich hielt Vahagn dazu an ihren unverletzten Arm auszustrecken, damit ich ihr die Pille aus dem Blister drücken konnte. Während sie sich das Antibiotikum einwarf schraubte ich dann die Flasche auf, um sie ihr zu reichen - und ja, vielleicht war es ein bisschen sehr überfürsorglich, ihr jeden möglichen Handgriff abzunehmen, aber so war ich nun mal. Das ließ sich ganz einfach nicht abstellen, wenn es um die Person ging, die mir mit Abstand am meisten am Herzen lag und die mir in den letzten Wochen schon mehr als genug Sorgen bereitet hatte. "Ich werde die Wunde jetzt nur abdecken. Wenn sie in ein paar Stunden noch sauber aussieht und nichts eitert, kann ich sie immer noch zumachen.", setzte ich Vahagn darüber in Kenntnis, dass ich den Streifschuss jetzt nicht schließen würde. Das konnte ich schlichtweg nicht. Ich würde die nächsten Stunden allesamt wachliegen und ständig kontrollieren wollen, ob die Naht - ob nun genäht oder geklebt - noch okay aussah. Ob sie rot wurde, ob sie anschwoll oder anderweitig ungesund auszusehen begann. Also würde auch die Russin nicht gut schlafen können, obwohl sie den Schlaf dringend brauchte. Davon hätte Niemand was.
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Für meinen Geschmack dauerte es eindeutig zu lange, bis Tauren endlich damit aufhörte, mir literweise Desinfektionsmittel über die Wunde zu schütten. Zwar ging es mir, als das Brennen irgendwann endlich abgeklungen war, deutlich besser, was die Schmerzen im Arm anging und das war an und für sich schon ein gutes Zeichen. Allerdings fühlte ich mich deswegen nicht gleich fitter und sah Tauren dementsprechend müde nach, als er schließlich erneut aus dem Wohnzimmer verschwand, um die angesprochenen Tabletten aus dem Badezimmer zu organisieren. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der junge Mann mit dem Antibiotika zu mir zurück kam und mir jenes in die Hand drückte. Darauf bedacht, den verletzten Arm nicht allzu sehr zu bewegen, ließ ich die Pille postwendend in meinen Mund wandern und spülte sie mit dem angereichten Wasser des Norwegers runter. Sie schmeckte noch genau so bitter wie damals, als ich sie in aller Regelmäßigkeit im Krankenhaus hatte zu mir nehmen müssen und entsprechend angewidert verzog ich das Gesicht. Ablenken von dem ekelhaften Geschmack taten mich dann allerdings schon bald die Worte, die mein Freund noch an mich richtete und mit denen er mir ein leises Seufzen entlockte. "Von mir aus...", murmelte ich, war aber nicht wirklich begeistert. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er die klaffende Wunde einfach zugemacht hätte, aber ich wehrte mich trotzdem nicht gegen das Anlegen eines Verbandes. Mit den richtigen Kompressen ließ sich dieser ja sogar verhältnismäßig angenehm wechseln und war mit Abstand immer noch besser, als die Wunde einfach gänzlich offen zu lassen. "Ich würde... dann gleich noch duschen gehen. So möchte ich nicht ins Bett gehen.", klärte ich den Norweger darüber auf, dass ich mich mit den Blutflecken am Körper, die hier und da durch die Kleidung gedrungen waren nur ungerne ins Bett legen würde. Außerdem wäre es vielleicht vorteilhaft, wenn ich mir zumindest noch ein Brot oder dergleichen einverleiben würde, weil ich in den letzten Tagen nur recht wenig Nahrung zu mir genommen hatte. Und nachdem mein Körper jetzt allerhand zutun hatte und das Adrenalin aus meinen Blutbahnen verschwunden war, würde er sich über Hilfe in Form von Kalorienzufuhr sicher freuen. Der Hunger hielt sich zwar in Grenzen, aber ich wusste, dass die letzte Mahlzeit bereits lange her war und ich der Vernunft halber lieber noch etwas essen sollte. "Und vielleicht noch etwas essen...", ergänzte ich meine vorangegangenen Worte also nachdenklich um eine weitere Feststellung. Antibiotika auf nüchternen Magen schlugen zwar schneller an, als nach einer Mahlzeit, aber ich kannte mich und wusste, dass mir dadurch binnen der nächsten Minuten kotzübel werden würde und ich wollte mich heute nicht mehr übergeben wollen. Dafür fehlte mir wirklich die Kraft und den Flüssigkeitsverlust konnte ich mir in meinem jetzigen Zustand auch ganz einfach nicht leisten. Tauren tat also gut daran, sich mit dem Anlegen des Verbandes ein wenig zu beeilen. Je schneller ich in die Küche und ins Bad kam, desto schneller ging es mir besser und Sabin konnte in Ruhe schlafen. Der schien zwar bereits auf dem besten Weg in Richtung Tiefschlaf zu sein, aber man konnte ja doch nicht gänzlich abschalten, wenn um einen herum noch so viel Trubel herrschte. Zumindest ich konnte das nicht. Nachdem der Verband also angelegt war, stand ich ohne zu Zögern auf, was mein Kreislauf anfangs mit durchsichtigen Sternchen vor meinen Augen und einem leichten Wanken quittierte. Das legte sich allerdings schnell wieder und so schnappte ich mir schließlich die Wasserflasche, um mit ihr und meinem Freund im Schlepptau aus dem Wohnzimmer zu schlurfen. Anders als vorhin ließ ich den Müll jetzt allerdings auf dem Tisch liegen. Mir war gerade nicht mehr nach aufräumen und morgen war definitiv auch noch ein Tag.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich war froh darüber, dass ich keinen weiteren Widerstand von der Russin bekam, weil mir gerade wirklich nicht der Sinn nach Streit stand. Es war eben nur leider Fakt, dass ich von uns beiden - überwiegend, in den meisten Fällen - der Vernünftigere war und gerade im Fall einer solchen Wunde sollte man sich lieber zwei Gedanken zu viel als zu wenig machen. Davon hatte man am Ende einfach nichts außer vermeidbares Leid und Schmerz. Ich machte mich also daran ihre Wunde sorgsam wieder abzudecken, damit in den nächsten Stunden nichts mehr ran kam. Danach war eine Dusche für die junge Frau sicherlich auch nicht verkehrt - zwar würde ich es unmöglich übers Herz bringen sie aus dem Bett zu kicken, aber sie trug den Geruch der letzten Tage unweigerlich noch immer am Körper. Von dem Blut mal ganz zu schweigen. Auch an ihrem Hals klebte noch getrocknetes, das sicherlich von ihrer geplatzten Unterlippe rührte. "Ja, ist gut...", bejahte ich also murmelnd und war dann auch ziemlich fertig mit dem Verband. Ich fixierte das Ende nur noch entsprechend, damit in der Nacht nichts verrutschte und erhob mich dann aus der Position am Boden, weil langsam aber sicher meine Knie anfingen wehzutun. Der Boden war langfristig schlichtweg ziemlich hart. Auch dass Vahagn noch ein paar Bissen zu sich nehmen wollte war gut. Ihr Körper konnte die Energie sicherlich gut gebrauchen und außerdem schlief es sich mit leerem Magen in der Regel auch scheiße. Ich warf noch einen letzten Blick in Sabins Richtung, als auch die Schwarzhaarige sich von dem Hocker erhoben hatte und folgte ihr dann kurz darauf aus dem Raum. Der Italiener würde die Nacht allein klarkommen und wenn nicht, dann war er sicherlich dazu in der Lage dazu sich bemerkbar zu machen, wenn er Hilfe brauchte. Zwar war ich nervlich eigentlich so gar nicht dazu bereit mich um zwei Sorgenkinder gleichzeitig zu kümmern - aber eigentlich war Sabin auch gar nicht meine Sorge, oder? Ich war mir noch nicht einmal sicher damit, ob ich nicht sogar eher wütend auf ihn sein sollte, weil er es gewesen war, der Vahagn diesem unnötigen Risiko ausgesetzt hatte. In Kombination mit Iljah, von dem ich bis zu einem gewissen Grad auch schon wirklich die Schnauze voll hatte. Darüber sollte ich mir jedoch lieber erst Gedanken machen, wenn ich wieder etwas runtergekommen war. Was das letzte Mal passiert war, als ich aus einem bösen Gefühlsimpuls heraus gehandelt hatte, hing mir schließlich noch immer in den Knochen und im Alltag fest... "Geh ruhig schon duschen, ich mach dir in der Zwischenzeit was zu essen.", bot ich meiner Freundin an sich zuerst um ihre Hygiene zu kümmern. Dann konnte ich die Zwischenzeit sinnvoll nutzen und ihr den Teller schon anrichten, um ihr diese Mühe zu ersparen. Außerdem sparte es auch ein bisschen Zeit - je früher Vahagn sich auf einer Matratze niederlassen konnte, desto besser. Den Schatten unter ihren Augen nach zu urteilen hatte sie schon in den letzten Tagen entweder nicht genug oder durchweg beschissen geschlafen, ihr Körper hatte die Ruhe angesichts der Verletzungen also wirklich bitter nötig. Ich half der jungen Frau nur noch dabei den Verband am Arm mit Folie abzusichern, damit er nicht nass wurde - vor allem auch kein Shampoo-Wasser in die Schusswunde floss -, bevor sie sich auf den Weg ins Badezimmer machen konnte und ich mich solange darum kümmerte etwas für sie auf den Teller zu kriegen. Inzwischen kannte ich ihre Vorlieben fast in- und auswendig, sie würde selbstverständlich also auch das beste kriegen, was ich im Kühlschrank jetzt finden konnte.
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Auch wenn mich Taurens Überfürsorglichkeit oft ziemlich nervte, hieß ich sie hier und heute ein Stück weit willkommen. Ja, was den Verband anging, die Wundversorgung im Allgemeinen, hatten wir zwei unterschiedliche Ansichten und im Normalfall, wenn ich dazu die Kraft gehabt hätte, dann wäre das Ganze zumindest in einer kurzen Diskussion ausgeartet, aber er kümmerte sich wirklich rührend darum, mir allen möglichen, ziemlich unnötigen Scheiß abzunehmen, damit ich so schnell wie auch nur irgendwie möglich ins Bett kam. Ich hatte von Beziehungen zwar nicht wirklich eine Ahnung, glaubte aber zu wissen, dass ich mit dem Norweger zumindest in der Hinsicht einen guten Fang gemacht hatte und seine Fürsorglichkeit nichts Selbstverständliches war. Unterbewusst lächelte ich deshalb wohl auch ein wenig in mich hinein, als wir nach abschließender Kontrolle der Stabilität des Verbandes gemeinsam das Wohnzimmer verließen und damit zumindest für Sabin langsam Ruhe einkehrte. Im Flur trafen Tauren und ich schließlich noch die Vereinbarung, dass er mir Essen machen würde, während ich duschen ging und dann trennten sich unsere Wege auch schon. Ich verschwand zügig - wobei das bei mir aktuell wohl relativ war - im Badezimmer, um dort etwas umständlich die befleckten Klamotten loszuwerden und sie geradewegs in die Wäschetonne zu befördern. Das allein kostete mich schon ungemein viel Zeit, weil ich mit dem Arm ja doch irgendwie ziemlich aufpassen musste, aber als ich dann erst einmal nackt war, ging das Duschen an sich recht schnell. Ich verbrachte nicht mehr Zeit als nötig unter dem Wasserstrahl, schrubbte lediglich schnell all den Schmutz von der Haut, ehe ich mich in ein großes Handtuch kuschelte und mich für einen Moment lang im Spiegel betrachtete. Inzwischen stand mir die Erschöpfung quasi quer über das Gesicht geschrieben und ich hatte etwas an Farbe verloren. Nichts, was man mit einer Mütze voll Schlaf nicht wieder geradebiegen konnte und so knotete ich das Handtuch schließlich unter meinem Arm zusammen und schlurfte barfuß über den Flur rüber in die Küche, wo Tauren noch am herumwerkeln war. Ich trat langsam an ihn heran und... tat dann etwas, was für mich vermutlich ziemlich untypisch war. Als ich schräg hinter ihm zum stehen kam, während er noch mein Essen auf dem Teller drapierte, legte ich meinen heilen Arm um seine Hüfte und kuschelte mich mit geschlossenen Augen an seinen Rücken. Atmete einmal tief seinen Duft ein und murmelte ein leises "Danke...", in sein Shirt. Das ließ sich jetzt auch ziemlich weitläufig fassen, weil es sicher einiges gab, wofür ich ihm danken sollte und ich überließ es ihm, zu entscheiden, für was konkret ich ihm jetzt meinen Dank ausgesprochen hatten. Primär wohl erst mal wegen seiner Hilfe mit dem Verband und der Zubereitung des Essens, was sonst auf mich zurückgefallen wäre. Im Anschluss daran reihten sich eine Menge anderer Situationen, in denen ein Dank angebracht gewesen wäre, den er von mir aber nie zu hören bekommen hatte und gerade war mir einfach mal danach. Mir war nach Gefühlsduselei, kuscheln und affig aussehen... Außerdem hatte ich noch nicht einen einzigen Kuss bekommen, seitdem der junge Mann hier in der Wohnung aufgeschlagen war.
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Die letzten Tage verliefen... ein bisschen anders, als geplant? Besonders viel Ruhe war mir nicht mit Iljah vergönnt. Natürlich hatte ich gewusst, dass er wegen einer geschäftlichen Angelegenheit hier auf Kuba gelandet war und war deshalb nicht mit der Erwartung an die Sache rangegangen, dass er vierundzwanzig Stunden am Tag in meiner Nähe verbringen würde. Trotzdem musste Iljah öfter die neue Wohnung verlassen, als er das selbst geplant hatte, weil scheinbar irgendetwas nicht nach Plan gelaufen war. Dass seine Laune dementsprechend auch ein wenig ins Wanken geriet besserte mir den Umstand nicht unbedingt. Wüsste ich, dass die ganze Sache Hunter inkludierte und das theoretisch auf mich zurückfallen könnte, wäre meine eigene Laune wohl auch dementsprechend beschissen gewesen. Allerdings schwelgte ich bis heute noch in seliger Unwissenheit und bekam von alledem reichlich wenig mit. Die Stunden, die der junge Mann in den letzten paar Tagen nicht an meiner Seite verbringen konnte - oder wollte - nutzte ich dazu ein bisschen durch die Stadt zu schlendern und verhältnismäßig billige Deko für die Wohnung zu organisieren. Der Markt, der gestern inmitten Havanna stattgefunden hatte, war da auch recht ergiebig gewesen. Die Vasen waren allesamt Secondhand-Ware, aber es war ihnen nicht anzusehen und sie würden den Räumen mitsamt hübscher Blumen sicher schon etwas mehr Wohnlichkeit verleihen. Auch ein paar süße Kerzenständer und andere Kleinigkeiten fanden den Weg in meine Tasche und wurden Zuhause dann fröhlich verteilt... zumindest mehr oder weniger fröhlich. Denn ich müsste lügen, um zu sagen, dass Iljahs teils schlechte Laune nicht ein bisschen durch mein Unterbewusstsein loderte. Ich wollte ihn eigentlich nicht auf Distanz halten und versuchte bestmöglich sein Gemüt positiv zu beeinflussen, aber es war gleichzeitig doch auch etwas schwer ihn wirklich nahe an mich heranzulassen. Nur weil ich es wirklich gerne verdrängte und so tun wollte, als wäre es nicht passiert, hatte er mir eben trotzdem einmal sehr weh getan - mild ausgedrückt - als er mies gelaunt gewesen war. Eigentlich fürchtete ich nicht darum, dass er das noch einmal tun würde, aber die unguten Hintergedanken ließen sich dennoch nicht einfach so ausradieren. Es war also eher immer ein Stück weit erleichternd, wenn er vorübergehend das Haus verließ. Auch jetzt wartete ich Zuhause auf ihn - unwissend, ob er wieder wegen irgendeines geschäftlichen Anliegens unterwegs war oder deshalb, weil er langsam bemerkte, dass ich meine innere Anspannung nicht gänzlich vertreiben konnte, wenn er gereizt war. Vielleicht hatte es damals auch am Alkohol gelegen, er hatte mir - wenn ich mich recht erinnerte - an jenem Abend schon mit gefülltem Glas die Tür aufgemacht. Nicht, dass das eine gute Entschuldigung für so ein Verhalten wäre… aber ich verstand noch immer nicht, woran es gelegen hatte. Würde einfach gerne die Möglichkeit darauf, dass es doch nochmal passierte, vollständig durch Beseitigung der Ursache ausradieren. Wäre es nicht so eine furchtbar unangenehme Frage und stünde unsere Beziehung nicht mehr auf so wackeligen Beinen, würde ich ihn vielleicht fragen… aber so? Lieber nicht. Am Ende trat ich damit nur einen neuen Tornado los, dem ich mich lieber nicht aussetzen wollte. Ich schwelgte gerade in Gedanken an Cosma und Richard, während ich mir das Abendessen zwischen die Kiemen schob. Momentan war ich zwar meistens in Gesellschaft von Iljah, aber wenn er erst einmal wieder auf dem Weg nach Russland war, dann würde es hier doch sehr ruhig werden. Ob die Rothaarige noch wütend auf mich war, weil ich mich beim Treffen hinter Richard und Sam gestellt hatte? Ich sollte sie mal anrufen, irgendwann in den nächsten Tagen. Ich war es durch all die letzten Jahre einfach gewohnt immer Frauen um mich herum zu haben und ehrlich gesagt fehlte mir das. Wenn der Russe wieder weg war, dann konnte ich mich also gut und gerne mal wieder mit ihr treffen - sofern sie das auch wollte, versteht sich. Würde sich dann zeigen. Iljah unterbrach meinen Gedankengang, als er die Haustür aufsperrte. Die Nudeln kauend sah ich in Richtung Türrahmen und als er einige Sekunden später schließlich in jenem zu sehen war, hatte ich runtergeschluckt und lächelte ihn entschuldigend an. "Sorry, dass ich nicht gewartet habe… aber ich hatte echt Hunger. Ist noch mehr in der Küche, falls du auch willst...", setzte ich ihn über meinen einst knurrenden Magen in Kenntnis und grinste ihn vom Sofa aus schief an. Leider hatte er mir auch - wie immer - nicht gesagt, wann er genau zurückkommen würde. Das hatte dann eben zur Folge, dass ich schonmal mit dem Essen anfing, wenn der Hunger zu groß wurde. Mein eigener Teller war sogar noch halb voll, sollte ihm danach sein konnten wir also immer noch mehr oder weniger zusammen essen.
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Tja, es hätte mir wohl von Anfang an klar sein müssen, dass das eine absolut beschissene Idee gewesen war. Ganz einfach nichts Gutes dabei herausspringen konnte, ein bereits bestehendes Risiko noch weiter auszureizen - nämlich, dass sich in dem Kaffee ohnehin schon illegale Schmuggelware befand und dann sollte zusätzlich noch etwas unauffällig darin versteckt werden -, weil das Fass irgendwann schlichtweg voll war und etwas passieren musste. Schließlich war es auch nur recht unwahrscheinlich, dass ein Mord oder Ähnliches unentdeckt blieb - der Täter vielleicht, ja, weil der gut und gerne schon über alle Berge war, die Tat als solche allerdings seltener. Wenn ich ehrlich sein sollte, dann hätte ich jedoch nicht damit gerechnet, dass bereits die erste Überfahrt zum Supergau werden würde und mich direkt bereuen lies, Sabin meine Hilfe angeboten zu haben. Zwar hatte ich innerhalb der letzten Tage bereits mehrfach mit dem Italiener gesprochen, der mir weiterhin eine angemessene Entlohnung zusicherte, aber das war auch gar nicht der primäre Grund meiner schlechten Laune. Der Gesamtumstand nervte mich einfach. Dass die Sache aufgeflogen war, war Mist, keine Frage. Aber der Rattenschwanz, den diese Aktion hinter sich herzog, schlug mir noch sehr viel mehr aufs Gemüt. Nicht nur, dass der Deal wohl vorerst geplatzt war und Sabin nicht auf dem einfacheren, laut seiner Aussage zudem schnelleren Weg an seine Kohle kam, nein, jetzt waren auch ein Haufen meiner Männer und meine Schwester verletzt. Letzterer brauchte ich mich künftig wohl erst mal nicht mehr, als wenige Meter nähern, weil vorher bereits irgendetwas in meine Richtung geflogen kam und außerdem tat es mir leid, Vahagn da mit reingezogen zu haben. Ich hatte ihr hoch und heilig - mit sehr, sehr viel Nachdruck - versprochen, dass das eine schnelle Nummer werden würde und sie sich nicht so anstellen sollte. Tja, und jetzt? Stand ich blöd da, denn sie hatte mit ihrem Zweifel Recht gehabt. So als läge es ihr im Urin, mögliche Katastrophen vorherzusehen. Also war meine Laune alles in allem ziemlich beschissen, um es mal mild auszudrücken. Von ein paar erholsamen Tagen auf Kuba konnte nach der Sache leider auch keine Rede mehr sein, wobei ich sicher nicht erwähnen musste, dass mich das nur zusätzlich ankotzte. Zu allem Überfluss schien sich Irina mir gegenüber auch zunehmend seltsamer zu verhalten und ich wusste nicht, warum sie das tat. Man konnte mir also kaum verdenken, dass ich Sabin die Sache doch etwas krumm nahm, auch wenn ich wusste, dass es nicht seine Schuld gewesen war. Er eben nicht der Idiot gewesen war, der das Verpacken der Drogen verkackt hatte und trotzdem konnte das meine miese Laune kein bisschen beschwichtigen. Statt mich also am Strand liegend an der Sonne satt zu sehen und gemeinsam mit Irina ein paar schöne Tage und Nächte zu verbringen, verbrachte ich die meiste Zeit meines Aufenthalts ja doch wieder mit Geschäftlichem. Tätigte Anrufe, traf mich mit Sabin, mit den Jungs, kurz bevor sie abreisten, organisierte, machte hier was, dann da was und wenn ich letztlich nach Hause kam, dann hatte ich weder Lust auf Kuscheleinheiten, noch auf Sex oder allerlei anderer Art von zwischenmenschlicher Interaktion. Dann wollte ich nur noch meine Ruhe haben, aber trotzdem passte es mir nicht, dass die Serbin irgendwie... anders drauf war, wenn ich mich in ihre Nähe begab. Es war nicht so, als legte ich im aktuellen Augenblick viel Wert darauf, herauszufinden, woran das lag, weil ich momentan nun mal ganz andere Sorgen hatte. Ließ das Verhalten dementsprechend auch erst einmal unkommentiert, aber ich war nicht blöd. Ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Irina wirkte ebenfalls ein bisschen... gestresst? Nervös? Ich konnte es nicht so recht zuordnen, weil sie ja doch versuchte, sich Nichts anmerken zu lassen. Und bis sich die Sache hier auf der karibischen Insel nicht wieder gelegt hatte, alle meine Jungs wieder in Russland waren und ich mir sicher sein konnte, dass Vahagn noch lebte, war mir das auch erst einmal egal. Nachdem ich alles Notwendige heute erledigt hatte, war ich noch etwas spazieren gewesen. In der Hoffnung, dadurch den Kopf ein wenig freizukriegen, streunte ich durch Havannas Gassen und kundschafte ein bisschen die Gegend aus, bevor ich letztlich nur noch mäßig schlecht gelaunt zu Irinas neuer Wohnung zurückkehrte. So richtig gute Laune hatte ich zwar immer noch nicht wieder, aber sie war auch schon mal schlechter gewesen, sodass die junge Frau im Wohnzimmer nicht direkt einen Anranzer zu befürchten hatte. Ich schob mir noch im Flur die Schuhe von den Füßen und knöpfte mir das Hemd auf, welches bei den Temperaturen fast schon zu viel Kleidung darstellte, bevor ich im Türrahmen zum Wohnbereich inne hielt. Ich musterte kurz die junge Frau, das Gesamtbild, welches sich mir bot, ehe ich ihre Aussage mit einem unzufriedenen Schnaufen kommentierte und das geöffnete Oberteil kurze Zeit später von den gestressten Schultern rutschen ließ. Mit dem Stoff in der Hand zog ich schließlich weiter in Richtung der Küche, wobei ich an dem gekochten Essen ohne weiteres einfach vorbei ging. Ich hatte keinen Hunger, wollte eigentlich nur ein bisschen meine Nerven beruhigen, nachdem ich duschen war und beschloss deshalb, eine der Weinflaschen anzubrechen, den Richard zum Einzug der jungen Frau hiergelassen hatte. Da Irina logischerweise noch keinerlei extravagantes Geschirr hatte, musste ein einfaches Glas als Behältnis herhalten, dass ich doch etwas mehr, als bis zur Hälfte mit dem Rotwein auffüllte. In der Hoffnung, dass der Alkohol mir ein wenig die Sinne betäuben würde, nahm ich auch schon bald den ersten Schluck. Der zweite folgte kurz darauf und am liebsten hätte ich das Glas jetzt in einem Rutsch leergemacht. Tat ich aber nicht, weil ich mich schließlich nicht sinnlos besaufen wollte. Stattdessen lehnte ich mich grummelnd mit der Hüfte an den Küchentresen und schloss einen Moment lang die Augen. Atmete einmal tief durch, aber irgendwie... half das alles nichts.
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