Ich lachte leise in mich hinein, weil es unter den heutigen Umständen eher nicht an meiner Unfähigkeit lag, dass Cosma sich selbst um den BH kümmern sollte. Es gab jedoch bereits Tage in der Vergangenheit, an denen ich zu betrunken dafür gewesen war. Meistens war der Rest dann allerdings genauso vergeudete Liebesmüh gewesen, weil Alkohol sich beschissen auf die männliche Potenz auswirkte. Heute sollte das allerdings kein Problem werden, weil ich mich – dank Ashton – nicht abgeschossen hatte. Davon überzeugte sich die Rothaarige selbst, als sie mit ihren zierlichen Fingern über den Stoff meiner Unterwäsche wanderte und damit ein vorfreudiges Kribbeln auslöste, das durch meinen ganzen Körper stromte. “Heute nicht.”, grinste ich süffisant, als sich Cosmas Hände gerade an den Bund der Boxershorts legten und ich die Hüfte kurz anhob, damit sie sich nicht unnötig dabei abmühen musste. Ich war mir schon ziemlich sicher damit, dass sie sich für das Vorspiel zu revanchieren plante, als sich ihre Hand um meinen Schwanz legte und ich ihren Gesichtsausdruck dabei sah. “Kanns kaum erwarten…”, nahm ich ihre Pseudo-Herausforderung leise grummelnd an und ließ zu keiner Sekunde den Blick von ihr. Zumindest so lange, bis ihre Lippen und ihre Zunge meiner Konzentrationsfähigkeit den letzten Tritt ins Jenseits verpassten. Mit einer Mischung aus anhaltendem Grummeln und einem tiefen Seufzen klappten meine Lider zu und ich ließ mich ganz darauf ein, ausnahmsweise mal keinen Handschlag selbst machen zu müssen. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich das Zepter, um das sich meine Finger sonst immer so eisern verkrampften, zumindest im Hinblick auf Cosma auch mal ganz fallen lassen konnte. Irgendwann hatte ich festgestellt, dass es sogar ganz angenehm war, den Kopf hon und wieder einfach mal ins Laken kippen zu lassen und zu genießen. Zu spüren, wie die sonst immer so unberechenbare junge Frau gezielt all ihre kleinen Tricks einsetzte und meinen kaputten Schädel damit für eine angenehme Weile leerfegte und mir die Verantwortung abnahm. Keine Sorgen, keine Bedenken, kein Pläneschmieden, keine Anweisungen austeilen – nur Genuss und pure Ekstase, die selbst meinen an manchen Tagen scheintoten Körper in Wallung versetzte. Zweimal erwischte sie, ziemlich sicher absichtlich, eine ganz besonders empfindliche Stelle mit ihrer geschickten Zunge und ließ damit meine Beckenmuskulatur zucken. Dafür erntete sie einen kurzen, fast schon mahnenden Blick aus verengten Augen von mir, weil wir beide wussten, dass das reine Provokation war. “Gottverdammte Französin…”, konnte ich mir einen wenig ernst gemeinten Kommentar dazu nicht verkneifen und streckte gleichzeitig die Hand nach ihrem Hals aus, schob meine Finger unter der auffälligen Haarpracht in ihren schmalen Nacken. Holte mir so einen Teil der Kontrolle zurück, machte die Augen mit einem unterschwelligen Stöhnen aber trotzdem direkt wieder zu – war ihr still und heimlich sehr dankbar für ihre Wurzeln, wenn das bedeutete, für den Rest meines Lebens die besten Blowjobs einzukassieren. Es rollte immer wieder Anspannung durch meinen gesamten Oberkörper, bis sich schließlich auch der Griff in Cosmas Nacken davon anstecken ließ. Eigentlich ihr Zeichen dafür, einen Gang zurückzuschalten, nur passierte das nicht. Ich war so von der beinahe explodierenden Lust eingenommen, dass sich der Griff an ihrem Hals erst kurz vor knapp derartig verfestigte, dass sie keine andere Wahl hatte, als innezuhalten. Ich öffnete die Augen mit einem hörbaren Schlucken und sorgte nur vorsichtig dafür, dass sie den Kopf anhob. Egal wie unempfänglich für Schmerzen ich all die Jahre über geworden war – nicht mal ich konnte mich für Zähne an meinem besten Stück begeistern. “Ziemlich guter Versuch.”, gestand ich Cosma lächelnd zu. Ich stützte mich mit dem freien Arm auf dem Ellbogen auf, als ich ihren Kopf und damit ihren ganzen, herrlich nackten Körper zu mir hoch dirigierte. Ihre Brust streifte meine und ich genoss das Gefühl ihrer nackten Haut an meiner, als ich mir einen leidenschaftlichen Kuss von ihren nassen Lippen holte. Dabei rutschte meine Hand aus ihrem Nacken, fühlte ihren Rücken abwärts bis zu ihrer Taille nach. “Aber wir sind hier erst fertig, wenn ich alles von dir hatte.”, grummelte ich erregt an ihre Lippen und löste mich dabei nur so weit von ihr, wie ich es musste, um sie mit lüstern funkelnden Augen ansehen zu können. Sie indirekt dazu aufzufordern, weiterzumachen, indem ich mit Druck durch meine Hand an ihrem unteren Rücken und einer rollenden Bewegung meiner Hüfte dafür sorgte, dass ihre feuchte Körpermitte an meiner rieb.
**ZS vong 2 Wochen aus Prinzip**
Zu sagen, es wäre auf der Insel sehr viel ruhiger geworden, würde es irgendwie nicht richtig beschreiben. Ich arbeitete im Grunde mehr als vorher für Hunter, weil er selbst weniger aus dem Haus gehen wollte. Allzu gerne hätte ich es ihm damit gleich getan, seit überdurchschnittlich viel Polizei in und um Havanna patrouillierte, weil mich dieses Szenario mental sehr nach Norwegen zurückversetzte. All die Verfolgungsjagden und das Blutvergießen waren nichts, woran ich mich gerne erinnerte. Von der Entführung, bei der ich beinahe gestorben war, mal ganz zu schweigen. Es kam mehr als einmal ein Alptraum aus der Kiste gesprungen und ich gab es jedes Mal auf, danach wieder einschlafen zu wollen. Doch anders als damals rannte ich mit den Jungs nicht herum, um italienische Ärsche auf den Boden der Tatsachen zu holen, sondern hielt lediglich das kurzzeitig wegen des Mexiko-Eklats wankende, tägliche Geschäft am Laufen. Trotz der Mehrarbeit, weil Hunter gefühlt nichts mehr selber machte – was mich zunehmend nachdenklich werden ließ – verlief mein Leben geregelter als vorher. Ich musste kaum etwas für den Amerikaner erledigen, das ich nicht schon im Schlaf absolvierte, abgesehen von einer einzigen Sache: Das Beschatten von Iljah und auch Sabin. Ich hatte meine komplette Mimik über Board geworfen, als er mir meine neue Aufgabe in Seelenruhe präsentiert hatte, so als gäbe es für ihn in dieser Angelegenheit überhaupt keinen Konflikt. Sabin als Freund auszuspionieren widerstrebte jeglichen meiner Moralvorstellungen und Iljah… ich konnte ihn nicht besonders gut leiden, aber seine familiäre Verbindung zu Vahagn war eine Katastrophe in dieser Sache. Erst hatte ich darüber nachgedacht, es der Russin anzuvertrauen, damit sie ihren Bruder warnen konnte. Ich hatte ihr schließlich versprochen, dass ich einen Weg dafür finden würde, Hunter loszuwerden und endlich frei mit ihr zu sein. Eigentlich wollte ich das aber sauber über die Bühne bringen. Wenn Hunter mich danach hasste, hatten wir schließlich nichts davon. Ich wollte auch nicht in der ewigen Angst leben, dass er uns irgendwann im Schlaf erwürgte. All diese Bedenken mündeten letztendlich darin, dass ich die Klappe hielt und mir beinahe jeden Tag selbst den Kopf darüber zerbrach, was ich in dieser Sache tun wollte. Vor allem immer dann, wenn ich mit Sabin und Richard in deren Pause vor dem Drogenkeller stand und meine noch dringender als sonst nötigen Kippen inhalierte, so als wäre nichts. Auch immer dann, wenn Hunter mich separat losschickte, um aus sicherer Distanz ein Auge auf den Verladebereich des Flughafens weit außerhalb Havannas zu werfen. Iljah sah ich dabei glücklicherweise selten. Er war nur einmal mit einer der Maschinen hier gelandet, um ein paar Tage bei Irina zu verbringen und dann wieder abzuhauen. Die Serbin hatte ich vor zwei Wochen sogar auch wieder getroffen, weil Richard mich auf einen ruhigen Abend eingeladen hatte. Wohl hauptsächlich, damit Samuele unterhalten war. Der taute zwar irgendwann auf, wirkte aber eher etwas teilnahmslos, während Irina und Richard sich in moderater Dosis an Wein bedienten und ich das eine oder andere Bier runter kippte. Es war eine nette Abwechslung gewesen, die Vahagn wegen Irina dankend abgelehnt hatte. Der Alltag mit meiner Freundin gestaltet sich zuweilen ohnehin tückisch. Ich wusste bis heute noch nicht, was sie damals dazu getrieben hatte, die Tasche nach mir zu werfen, als wäre ich der Ursprung allen Übels – welchen Übels auch immer. Wir hatten uns wieder angenähert, gerade weil Sabins schwere Verletzungen mir nochmal deutlich vor Augen geführt hatten, wie verdammt kurz das Leben plötzlich werden konnte, wenn man einen falschen Schritt wagte, aber ich tat mir schwer damit, ihr trotz allem noch voll zu vertrauen. Am Ende war das wohl der ausschlaggebende Grund dafür, dass ich ihr nicht sagte, warum ich seit einer Weile häufig zwei Tage am Stück für Hunter auf Achse war und ihren Bruder – beziehungsweise dessen Geschäfte – stattdessen klammheimlich scannte. Keine Ahnung wieso, aber ich hoffte ein bisschen darauf, dass der heutige Tag sie wieder auftauen ließ. Ich hatte Sydneys Sohn schon wenige Male angetroffen und er schien keine allzu komplizierte Persönlichkeit zu haben, weshalb ich vor zwei Tagen zusagte, als Sabin mich nach einer fünfstündigen Betreuung gefragt hatte. Er wollte Sydney mal wieder ungestört ausführen und ich gönnte ihm die Zeit zu zweit mit seiner Partnerin. Die beiden waren in Ordnung und für den Fall, dass ich ihr Leben zukünftig noch ruinieren musste, fühlte ich mich dann vielleicht minimal weniger hundsmiserabel. Noah entpuppte sich über die letzten Stunden hinweg als ebenso unkompliziert wie seine Eltern. Gleich als allererstes fielen seine Augen im Flur auf mein Skateboard, dem er natürlich noch gar nicht gewachsen war. Er war zwar kurzzeitig davon abzulenken, kam aber immer wieder darauf zurück und so gingen Vahagn und ich nach drei Stunden mit ihm nach draußen auf eine kaum befahrene Seitenstraße. Ich hoffte ein bisschen, dass die Russin durch die Zeit mit dem Jungen ausnahmsweise mal wieder in die Zukunft blicken konnte. Unsere Zukunft. Egal ob mit oder ohne Kind – darüber hatten wir bisher nie gesprochen – wollte ich nicht aufgeben. Ich liebte sie noch immer mit jeder Faser meines Körpers. Freute mich jedes Mal, wenn ich sie sah, sie in den Armen halten und einfach nur mit ihr aufwachen konnte. Ich konnte das nicht einfach so wegwerfen, trotz der anhaltenden Kommunikationsprobleme und dem immer wieder leise aufkommenden Stechen in der Brust. Ich konnte den Muskelkater von Morgen gefühlt schon in den Armen spüren, weil ich Noah die ganze Zeit über auf dem Skateboard unter den Armen festhielt, als Sabin und Sydney klingelten. Sie erkundigen sich danach, wie es gelaufen war, aber eigentlich reichte ihnen schon das gleichermaßen müde wie glückliche Gesicht des Jungen, den sie wieder mit nach Hause nahmen. Ich schloss lächelnd die Tür hinter der kleinen Familie und ging zurück zu Vahagn, die es sich im Wohnzimmer auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Sie schien die ganze Zeit über weniger gut als ich mit dem kleinen menschlichen Wirbelwind klarzukommen, zeigte sich aber auch nicht vollkommen teilnahmslos. Vielleicht hatte ich mich trotzdem etwas zu sehr in der Aufsicht von Noah verloren… hatte Vahagn schon die ganze Zeit so einen undefinierbar matten Schimmer in den Augen? Nein, oder? “War dir alles zu anstrengend, oder?”, fragte ich schwach lächelnd nach, als ich mich neben sie setzte und meine Hand nach ihrem Oberschenkel ausstreckte, um sie dort zu streicheln.
Ich mochte Sabin und Sydney - das tat ich wirklich -, aber am heutigen Tag hätte ich die beiden am liebsten zum Teufel geschickt. Es war schließlich nicht so, als plagten mich die Gewissensbisse hinsichtlich der geheimen Abtreibung nicht ohnehin schon seit Monaten, nein, jetzt bekam ich auch noch ein Kind direkt vor die Nase gesetzt. Es fühlte sich zum ersten Mal so an, als würde Karma wirklich existieren und mir heute mit einem gnadenlosen Backlash den Boden unter den Füßen wegziehen wollen. Bereits ab dem Zeitpunkt, als Sabin den Zwerg bei uns abgeladen hatte, spürte ich einen immer größer werdenden Kloß in meinem Hals, der mir zunehmend die Luft zum Atmen nahm. Dass Tauren sich über den kompletten Tag hinweg dann auch noch so unglaublich rührend um Noah kümmerte, machte die Sache natürlich nicht besser. Ich hatte keinesfalls erwartet, dass er den Bengel einfach im Wohnzimmer vor dem Fernseher parkte, aber hätte er nicht wenigstens ein bisschen weniger... ein guter Vater sein können? Es zerriss mein Herz in unvorstellbar viele Teile, die beiden miteinander lachen zu sehen. Sich vorzustellen, wie es wäre, wenn Tauren statt Noah seinem leiblichen Sohn dabei assistiere, nicht von diesem blöden Skateboard zu fallen. Man, die beiden sahen so verdammt glücklich zusammen aus. Klar, Kinder waren noch mal ein Stück weit einfacher zu begeistern, aber der Norweger..? Das letzte Mal, als ich ihn so hab lachen hören, war schon eine ganze Weile her gewesen, woran ich sicher nicht ganz unschuldig gewesen war. Immer wenn der kleine Stift mich in die Aktivitäten involvierte, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken, in der Hoffnung, dort die Bestätigung zu finden, dass das, was ich getan hatte, irgendwie zu vertreten gewesen war. Aber je länger ich mir das Ganze ansah und umso öfter Noah mich zum Mitspielen aufforderte, umso klarer wurde mir, was für eine Scheiße ich stattdessen eigentlich gebaut hatte. Keine Kinder haben zu wollen war die eine Sache. Sie dem Partner vorzuenthalten, wenn der Fall einer Schwangerschaft bereits eingetreten war, aber nochmal eine ganz andere und ja, die Einsicht kam wohl deutlich zu spät. Ich versuchte, mir meine schlechte Laune, die Trauer und die Wut auf mich selbst, nicht anmerken zu lassen, was mir von Minute zu Minute schwerer fiel. Ich war deshalb unglaublich froh war, dass Sabin keine Minute später als vereinbart an der Tür klingelte, um seinen Sohn wieder einzusacken. Doch auch ohne das unkomplizierte Kleinkind in der Nähe wollten meine Mundwinkel sich nicht mehr anheben. Da halfen auch die besorgten Worte des Norwegers nichts. Im Gegenteil, sie verstärkten das unangenehme Stechen in der Burst um ein Vielfaches. Als Tauren sich schließlich zu mir aufs Sofa gesellte und seine Hand auf meinen Oberschenkel legte, zog sich mein Magen krampfhaft zusammen und ich war nur einen tiefen Atemzug davon entfernt, kurz vor meinen Füßen auf den Boden zu kotzen. "Kann man so sagen.", gab ich leise zur Antwort. Wenn er doch nur wüsste, warum der Tag heute für mich so anstrengend gewesen war. Ob ich es ihm endlich erzählen sollte? Ahnte er vielleicht schon etwas? Ja, war wohl die Antwort auf beide Fragen. Er musste es definitiv wissen und gemessen an meiner überdurchschnittlich schlechten Laune in den letzten Wochen, dürfte er bereits ahnen, dass etwas nicht stimmte. Rückblickend betrachtet hatte ich daraus auch keinen Hehl gemacht, war immer wieder ziemlich aufbrausend und forsch im Umgang mit ihm gewesen. Untypisch abweisend und ausweichend. Ein Blinder mit Krückstock hätte gemerkt, dass mir etwas auf der Seele lag. Nicht zuletzt gaben sicher auch meine zickigen Antworten auf die immer wiederkehrende Frage, ob bei mir alles gut sei, Aufschluss darüber. Denn nein, es war absolut nichts gut. Nicht einmal im Ansatz und das nervte mich. Das Leben könnte mit Tauren kaum besser sein, wenn da nicht... diese Situation wäre. Dieses kleine Problem, was gar nicht mal so klein war. Es wurde immer größer und ich befürchtete, dass es mich auf lange Sicht von innen nach außen gnadenlos auffressen würde, wenn ich nicht endlich mal reinen Tisch machte. "Es gibt da etwas... was ich dir sagen will... muss, eher gesagt.", murmelte ich schob seine Hand vorsichtig mit meiner eigenen von meinem Oberschenkel. Atmete einmal tief durch, als würde es mir danach leichter fallen, die folgenden Worte auszusprechen. "Ich... ich weiß gar nicht, w-wie ich das... s-sagen soll, aber...", stammelte ich wirsch vor mich hin und bereute kurze Zeit später, diesen Ansatz überhaupt gemacht zu haben. Ich fühlte mich nicht bereit, ihm von meinen Taten zu erzählen. Andererseits würde ich das wohl auch nie und das Kind war jetzt schon in den Brunnen gefallen - wortwörtlich, ha ha. Es war eine Zeit lang still zwischen uns, ich brauchte etwas Zeit, um die richtigen Worte zu finden, aber im Endeffekt spielte es doch keine Rolle, wie ich das Ganze verpackte, oder? An der Tatsache, dass ich ohne sein Wissen Schwanger gewesen war und mich gegen das Kind entschieden hatte, war nichts schön zu reden und so entschied ich mich schließlich für den kurzen, schmerzlosen Weg. Wobei kein einziges meiner Worte nicht von Schmerzen getränkt war. "Ich war schwanger, Tauren. Aber ich... ich konnte nicht, also...", so viel dann zum Thema ganze und vor allem aussagekräftige Sätze. Ich faltete meine Hände ineinander, legte sie auf meinem Schoß ab und spielte nervös mit dem rechten Daumen an meinem linken Zeigefinger. Die Augen stur auf meinen Händen ruhend, denn ich war der felsenfesten Überzeugung, dass ich dem Blick des Norwegers kaum standhalten würde. Ich mochte tough sein, wissen was ich wollte, mich nicht herumkommandieren lassen und immer eine große Klappe haben, aber in diesem Moment. Scheiße, ging es nicht um mich. Es ging darum, dass ich etwas getan hatte, womit ich dem einzigen Mann, der mich nach einer sehr langen Zeit wieder unfassbar glücklich gemacht hatte, ein Messer in den Rücken gerammt hatte. Auf eine Art, die unfairer nicht hätte sein können. Und auch wenn ich meinen Satz nicht zu Ende gesprochen hatte, war ich mir sicher, er wüsste, wie ich ihn beendet hätte.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Schon der Tonfall ihrer ersten Worte sorgte dafür, dass das Lächeln langsam aber sicher aus meinem Gesicht rutschte. Es war wieder eine dieser Antworten, die keine richtigen Antworten waren. Sie gab mir Recht, ohne richtig darauf einzugehen. Ich war wirklich geduldig und versuchte ihr zu zeigen, dass sie mir alles sagen konnte. Unendlich ermüdend und ernüchternd, wenn es dann doch immer wieder aufs selbe rauslief. Trotzdem hatte ich nicht damit gerechnet, dass Vahagn mich gleichzeitig noch zu physischem Abstand verdonnerte. Blinzelnd sah ich zuerst auf unsere Hände und dann nur noch auf den Stoff ihrer Hose runter, bevor mein Blick genauso irritiert hoch in ihr Gesicht wanderte. War ich jetzt doch endlich zu ihr durchgedrungen? War der Dank dafür, dass sie die Beziehung nicht mehr wollte und mich jetzt endgültig aus ihrem Leben stieß? Ich wusste tief im Inneren, dass sie mir schon lange irgendwas verschwieg. Warum klang ihre Einleitung in meinen Ohren so, als würde sie mir gleich den endgültigen Todesstoß versetzen? Ich schluckte leise und es bildete sich eine kleine Falte auf meiner Stirn, als ich den Kopf zurück in Ausgangsposition drehte und geradeaus in den Raum sah. Nickte dann langsam, rang mir die gemurmelten Worte “Ist schon okay… nimm’ dir Zeit.” ab, obwohl ich in mir alles zu vibrieren anfing und ich mich daran hindern musste, nervös mit dem Bein zu wippen. Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf den Knien ab, lehnte mich auf diese Weise etwas nach vorne. Hauptsächlich deswegen, weil ich wusste, dass Vahagn sich mit dem Reden erst recht schwer tat, wenn ich sie die ganze Zeit anstarrte – so nannte sie das zumindest. Es dauerte lange, eine gefühlte Ewigkeit, bis die Stimme der Russin die erdrückende Stille im Wohnzimmer durchschnitt. Meine Augen weiteten sich und ich drehte den Kopf in ihre Richtung. Starrte ihr Gesicht an. Hoffte auf irgendein winziges Anzeichen dafür, dass das ein verdammt beschissener Scherz war. Dass sie nicht wirklich geglaubt hatte, dass ich sie dafür verurteilen würde. Dass sie nicht glaubte, ich hätte sie mit diesem Schmerz allein gelassen. Dass sie nicht glaubte, ich hätte versucht, ihr in diese Entscheidung reinzureden, obwohl es beim Austragen eines Kindes allein auf ihren Körper und ihren Willen ankam. Ich starrte sie auch nach zehn Sekunden immer noch an, während die Gedanken wie tonnenschwere Güterzüge durch meinen Kopf rasten und dabei alles mit sich rissen. Das nächste Messer bahnte sich einen präzisen Weg um mein Herz herum durch meine Brust und ich konnte spüren, wie es einfach herausfiel. Irgendwo auf den Boden, wo es weder mir, noch ihr jemals wieder im Weg stehen konnte. “Das ist nicht… das meinst du nicht…”, stammelte ich mit kratzigem Hals vor mich hin, was ausnahmsweise nicht von meinem überdurchschnittlichen Zigarettenkonsum rührte. Sie hatte mir mit wenigen Worten förmlich die Kehle zugeschnürt und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte schreien, als ich den Kopf zurück drehte und in meinen Händen verbarg. Der zittrige lange Atemzug, den ich als nächstes machte, war nicht zu überhören. Ich versuchte aber auch nur angestrengt, mich zu sammeln und hatte dabei nicht den Anspruch, so zu wirken, als wäre das alles keine große Sache. “Das ist es, oder? Was du mir schon die ganze Zeit verheimlichst…”, stellte ich nach erneuter Stille mit angeschlagenem Ton eine Frage dicht gefolgt von einer Feststellung in den Raum, als ich endlich nicht mehr das Gefühl hatte, meine Stimmbänder würden einfach jeden Moment auseinander reißen. “Warum zur Hölle dachtest du, dass du mir das nicht sagen kannst? Nach allem, was… was war… nachdem ich…” Meine Stimme brach doch wieder ab und ich sah mit verdächtig schimmernden Augen zurück in ihr Gesicht. Hey, wenigstens eine Sache war an alledem positiv zu sehen: Vielleicht war ich noch nicht ganz durch ihre unendlich dicke Wand gekommen, aber nach elendig langem dagegen schlagen hatte ich jetzt immerhin mal die erste Hand durch. Zu welchem verfickten Preis? Das hier war so viel schlimmer als die Alpträume, die mich aus Gewissensbissen jagten. Ich hatte ihr damals nach der fliegenden Tasche noch gesagt, dass sie es mir bitte erklären sollte, wenn ich irgendetwas falsch gemacht hatte. Irgendwie war's dann jetzt am Ende tatsächlich wieder meine Schuld, oder?
Auch wenn ich meinen Blick förmlich auf meine Hände getackert hatte, nahm ich im Augenwinkel leider viel zu gut die Bewegungen von Taurens Kopf wahr. Alleine der Gedanke daran, wie geschockt er mich gerade ansehen musste, ließ mich meine Augen gänzlich schließen, um selbst den Schatten des Norwegers nicht mehr sehen zu müssen. Ich konnte es gerade einfach nicht. Ihn ansehen. Mir vorstellen, was ich mit meinen Worten gerade in ihm ausgelöst hatte. Stille erfüllte eine viel zu lange Zeit den Raum und als ich wenige Sekunden später die Lider wieder aufschlug, rollte eine stille Träne über meine heiß gewordene Wange. Dann, endlich, sagte der junge Mann etwas zu meiner unvollendeten Beichte. Brachte dabei, bis auf eine Ausnahme, ebenso unvollständige Sätze hervor, wie ich es nur wenige Sekunden vorher gekonnt hatte. Aber es reichte. Allein der zittrige Tonfall, seine kratzige Stimme, war genug, um den Damm, den ich über die letzten Monate ohnehin relativ instabil gebaut hatte, zum Einstürzen zu bringen. Ich konnte nicht anders, als den Tränen nun freien Lauf zu lassen. Dabei machte ich mir nicht einmal mehr die Mühe, sie aus meinem Gesicht zu wischen. Hätte es zudem auch gar nicht gekonnt, weil mein ganzer Körper sich derart verkrampft hatte, dass ich, selbst wenn ich gewollt hätte, nicht einmal mehr dazu imstande gewesen war, meine Hand anzuheben. "Es tut mir leid.", flüsterte ich eine Antwort auf den einzigen geraden Satz, den Tauren hervorgebracht hatte. "Ich... ich wollte es dir sagen, wirklich...", versicherte ich, dass er irgendwann davon erfahren hätte. "... aber ich... ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Es hat... ich dachte... ich dachte, ich komme damit irgendwie klar. Aber..." Ich tat es nicht. Punkt. Nach heute erst Recht nicht, wo ich gesehen hatte, wie gut ihm ein Kind tat. Machte das Sinn? "Und ich meine... bei dem, was wir tun, wie wir leben...", da gehört ein Kind einfach nicht rein, vollendete ich in Gedanken den Satz, sprach ihn aber nicht aus. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, wieder Herr meiner Sinne und so drehte ich schließlich meinen Kopf vorsichtig in seine Richtung. Der Anblick, welcher sich mir bot, verstärkte meine stressbedingte Übelkeit nur noch, ließ den Kloß in meinem Hals auf eine unerträgliche Größe anwachsen. Wie Tauren da saß, wie fertig er war, die verdächtig schimmernden Augen mit denen er mich ansah. Es tat mir so leid. Nein, er tat mir leid. Ich widerstand dem Drang, dem Norweger heulend um den Hals zu fallen - um ihn davon abzuhalten, ebenfalls zu weinen - weil er mich gerade vermutlich eher weniger in seiner Nähe haben wollte. Und das verstand ich auch, wollte ich doch selbst am liebsten aus meiner Haut schlüpfen. "Bitte, Tauren... es hat... es hatte nichts mit dir zu tun. Ich...", gab es einfach auf. War nicht mehr dazu imstande, hier noch irgendetwas Sinnvolles beizutragen. Egal, wie sehr ich es versuchte, mich dafür zu rechtfertigen, ihn monatelang im Dunkeln gelassen zu haben, am Ende kam doch nur gequirlte Scheiße über meine Lippen. Es ließ sich nicht schön reden, eine solch wichtige Entscheidung, ein solche einschneidendes Erlebnis vor dem Partner geheim gehalten zu haben. "Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.", flüsterte ich kleinlaut. Schließlich war alles gesagt und Tauren würde wohl kaum heute Nacht neben mir schlafen wollen. Ich wünschte mir im Moment zwar nichts sehnlicher, aber ich musste realistisch bleiben. Ich hatte ihm gerade indirekt gebeichtet, ohne sein Wissen meine Schwangerschaft abgebrochen zu haben und auch wenn ich manchmal größere Probleme als keine große Sache abstempelte... das hier war eine Nummer zu groß. Diese Situation, dieses Gespräch, was wir gerade führten, war mit einer der Gründe, warum ich meine Gefühle jahrelang hinter eisernen Schlösser weggesperrt hatte. Warum ich diese dicken Mauern um mein Herz gebaut hatte - weil es sich einfach scheiße anfühlte, die Person, welche man innig liebte, leiden zu sehen. Es war schon schlimm genug für mich gewesen, ihn die letzten Monate über fast täglich anzulügen, aber das mit ansehen zu müssen, war noch mal eine ganz andere Hausnummer.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Natürlich tut es das, jetzt, wo du siehst, was du damit anrichtest. Ich war kurz davor, es auszusprechen. Ihr dieses eine Mal auf so fiese Art und Weise das Herz zu brechen, wie sie es bei mir immer tat. Immerhin, das musste ich ihr im Verlauf unserer Beziehung anrechnen, war sie inzwischen dazu imstande, sich für etwas zu entschuldigen. Das heute anzunehmen fiel mir jedoch so schwer wie noch nie. “So ist es doch jedes Mal, Vahagn.”, stellte ich so trocken fest, wie es die Tränen, die ich bis jetzt noch eisern zurückhielt, zuließen. Ich klang verletzter, als ich wollte. Zeigte ihr deutlicher, wie verdammt tief sie auch dieses Messer in meine Brust gerammt hatte, als ich ihr an diesem Punkt eigentlich noch zugestehen wollte. Ich war es leid, von uns beiden fast jedes Mal derjenige zu sein, der den Kürzeren zog und dann zusehen musste, wie er damit klarkam. In den meisten Fällen war das ein schlichtes gar nicht. Ich schluckte alles runter, versuchte es mir dabei schönzureden und machte einfach weiter. Sogar ich hatte inzwischen gemerkt, wie naiv das war. “Du denkst, mit allem alleine fertig werden zu müssen, nur um dann doch irgendwann zusammenzubrechen… ich hab wirklich kein Problem damit, Fehler zu verzeihen. Wenn man denselben aber immer wieder wiederholt… ist das eine Entscheidung. Du weißt ganz genau, dass ich… ich wäre für dich da gewesen, verdammt.” Zum Ende hin wurde meine Stimme wieder dünner und ich schüttelte noch immer vollkommen fassungslos den Kopf vor mich hin. Konnte sie nicht ansehen, wollte sie auch nicht ansehen. Dass sie weinte, konnte ich ohne visuelle Bestätigung heraushören. Ihre gedrückte Stimme war Beweis genug. Die Russin brachte im Ansatz noch einen einzigen Punkt in die Unterhaltung ein, den ich sofort so unterschrieben hätte. Ein Kind zu haben, ohne ihm die nötige Sicherheit bieten zu können, war wahnsinnig und dem jungen Leben gegenüber nicht fair. Solange Hunter in der Nähe war, müsste ich immer darum fürchten, dass er es tötete. Wäre nicht das erste Kind, das durch seine Hand starb. Sicher auch nicht das letzte. Für ihn gab es beim Töten keine Grenzen, wenn erstmal genug Sicherungen durchgebrannt waren. Sowas würde ich mir niemals verzeihen. Es war wieder einen Moment still zwischen uns geworden, weil ich dem Gedanken an unser Vielleicht-Kind nachgehangen hatte. Es war absurd, zum jetzigen Zeitpunkt. “Ich hätte dich nicht dazu überreden wollen, es zu behalten.”, sagte ich leise, aber nicht weniger gekränkt als vorher. Dann rieb ich mir ein weiteres Mal übers Gesicht, im verzweifelten Versuch, so einen Hauch Fassung zurückzugewinnen, als Vahagn zu allem Übel sagte, dass sie besser gehen sollte. Wie kam sie jetzt wieder darauf? Hatte sie immer noch nicht gemerkt, dass ich es hasste, wenn sie wegen eines Streits einfach ging? Vielleicht war es nicht hilfreich, sie weinen sehen zu müssen, um mich wieder zu beruhigen. Todsicher war es aber beschissen, wenn sie ging und sich die schier immer größer werdende Distanz zwischen uns so noch größer anfühlte. Irgendwann würde der Spalt zwischen uns so groß werden, dass keiner mehr drüber zu springen wagen würde, wenn das so weiterging. Ich ließ den Oberkörper schwer zurück an die Lehne kippen und zwang mich dazu, Vahagn ins Gesicht zu sehen. All die Tränen, die ihre geröteten Wangen runter liefen und ihre bebenden Lippen. Alles an der Schwarzhaarigen schrie danach, dass ihr das hier genauso wie mir viel zu viel des Guten war. Nur war ich nicht der Auslöser dafür. “Du fühlst dich also besser damit, das Loch zwischen uns noch größer zu machen, indem du mich wieder hier sitzen lässt?” Mich noch weiter wegschubst. Uns gar keine richtige Chance dafür gibst, das hier dieses Mal zusammen zu meistern. Die Worte schmeckten bitter auf meiner Zunge und klangen auch so. “Ich nämlich nicht.”, ließ ich sie kurz und knapp wissen, was ich davon hielt. Ich merkte, wie sich eine Träne aus meinem rechten inneren Augenwinkel löste und drückte die Augen kurz zu, als hätte das noch irgendwas daran ändern können. Trotzdem machte ich heute keinerlei Anstalten dazu, die junge Frau physisch davon abzuhalten, durch meine Wohnungstür ins Jenseits zu verschwinden. Dafür fehlte mir die Kraft und langsam aber sicher auch die Ausdauer. Wenn sie nicht bald aus eigenem Antrieb lernte, aus freien Stücken diesen Schmerz mit mir durchzustehen, dann würde sie es nie tun. Ich konnte sie nicht dazu zwingen, ohne mir damit selbst ins Knie zu schießen.
Ehrlicherweise wusste ich nicht, mit was für einer Reaktion ich seitens des Norwegers jetzt eigentlich gerechnet hatte, aber - berechtigte - Vorwürfe standen definitiv nicht auf der Liste. Ich wusste, dass er es in erster Linie gar nicht böse meinte und die Wut, vielleicht auch ein bisschen Trauer aus ihm sprach. Dass er damit einen der viel zu vielen wunden Punkte in mir traf, konnte ich trotzdem nicht einfach so hinnehmen. Es war so schon schwer genug, mit der ganzen Sache irgendwie klar zu kommen, da brauchte ich nicht noch Tauren, der - bewusst oder unbewusst - noch weiter Salz in die Wunde streute. "Du wusstest von Anfang an, worauf du dich einlässt. Ich habe dich mehr als einmal gewarnt und trotzdem mein Bestes gegeben, irgendwie an mir zu arbeiten... zählt das denn überhaupt nicht?", fragte ich mit immer dünner werdener Stimme. Für meine Verhältnisse war ich in Hinsicht auf den jungen Mann wirklich verdammt oft Kompromisse eingegangen, über meinen Schatten gesprungen und doch schien das alles nicht genug gewesen zu sein. Ganz zu Anfang unserer Beziehung hatte ich ihm sogar noch gesagt, dass ich nichts davon jemals tun würde und er damit leben müsste, dass ich immer dieses unnahbare Biest sein würde, welches sein Herz stets verschlossen hielt. Mit jedem Treffen, jeder Berührung und jedem Kuss war diese Aussage aber mehr und mehr in den Hintergrund gerückt. Ich hatte mich ganz automatisch Stück für Stück geöffnet und das war jetzt der Dank dafür? Nur weil ich seit langem eine Sache mal wieder für mich behalten hatte? Natürlich war das eine Entscheidung gewesen, die ich bewusst getroffen hatte, aber sie war zu seinem Besten gewesen. Zumindest dachte ich das, verdammt. Tja, und das hatte ich wohl jetzt davon. Ich raffte mich schweren Herzens vom Sofa auf, weil ich die Nähe des jungen Mannes gerade einfach nicht mehr ertragen konnte, als er mit wenigen Worten gegen meinen Entschluss schoss, die Wohnung zu verlassen. "Was bringt es uns, wenn wir jetzt beide wie ein Häufchen Elend hier sitzen und uns Gegenseitig irgendeine Schuld zuschieben?" Meine Stimme war inzwischen wieder etwas gefasster, aber keinesfalls so fest, wie ich es mir gewünscht hatte. Es schwang noch immer dieses unsichere Zittern mit. Als ich sah, dass auch Tauren eine Träne vergoss, wandte ich mich von ihm ab. Konnte es nicht ertragen, die Konsequenzen meiner eigenen Worte vor Augen gehalten zu bekommen. Ich wäre wirklich gerne hiergeblieben, das konnte er mir glauben, brauchte ich seine Nähe doch so dringend wie noch nie, aber wieso sollte ich hierbleiben, wenn er im Moment doch nur Wut und Enttäuschung für mich übrig hatte? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir ein konstruktives Gesprächen führen und uns am Ende wieder lächelnd in den Armen liegen würden. Diese Spannung zwischen uns war unerträglich und ließ sich nicht mal eben aus der Welt schaffen. Meines Erachtens nach sollte er das Gesagte also erst einmal in Ruhe verarbeiten, so wie ich es auch tun würde und dann könnte man sich sicherlich noch einmal zusammensetzen. Aber was das anging, waren wir wohl unterschiedlicher Ansichten. "Ich weiß nicht, Tauren... ich... ich kann das irgendwie nicht mehr. Ich dachte, ich könnte es, aber egal was ich mache, wie oft ich es versuche... ich hab das Gefühl, es läuft jedes Mal darauf hinaus, dass ich dich verletze. Und scheiße...", ich gab einen Ton von mir, der nach einer Mischung aus einem Schnauben und einem halben, verzweifelten Lachen klang. "...in der Vergangenheit war mir das egal, weil ich mich immer mit dem Gedanken getröstet habe, dass du wusstest, was dich erwartet, aber inzwischen... ist es mir das nicht mehr. Es gibt noch so viele offene Baustellen in meinem kaputten Kopf. Wenn jede einzelne davon aufzuarbeiten bedeutet, dich damit wieder und wieder leiden zu sehen, dann... lasse ich sie lieber unberührt.", war alles, was ich noch dazu sagen konnte, bevor meine Stimme wieder abriss. Die darauffolgenden Tränen, welche die bereits versiegten auf meiner Wange ablösten, nahm ich schließlich zum Anlass, mich nach einem letzten Blick auf den jungen Mann gänzlich von ihm abzuwenden. Schweren Herzens steuerte ich die Tür an, hielt im Türrahmen jedoch noch einmal inne. Ohne mich umzudrehen, sagte ich leise: "Es tut mir Leid. Ich liebe dich, Tauren...", bevor ich die Klinke nach unten drückte und etwa eine halbe Minuten später am Straßenrand Rotz und Wasser heulte. Verdammt, was hatte ich getan?
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Machte es das in ihren Augen wirklich besser? “Natürlich tut es das… aber du hast genauso gewusst, worauf du dich einlässt… ich hab dir immer Raum gegeben, wenn du das wolltest, obwohl mich das viel Überwindung kostet.. und es war nie genug.” Ich klang genauso kaputt und erledigt wie Vahagn. Sie war nicht die einzige, die sich für diese Beziehung zu ändern versuchte. Mir war klar, dass ich oft zu schnell zu viel von ihr gewollt hatte, besonders zu Beginn unserer Bekanntschaft. Also hatte ich versucht, ihr nicht immer sofort alles aus der Nase ziehen zu wollen, sondern einfach nur für sie da zu sein. Ihr nur meine Arme anzubieten und mich gleichzeitig so fern von ihrer Seele zu halten, wie mein eigenes Herz mir das erlaubte. Ich hatte ihr nie genug Freiheit gelassen und sie war nie nah genug zu mir zurück gekommen, damit ich dieses elendige Vertrauensproblem, das mich seit meinem Ausraster in Russland plagte, endlich hinter mir lassen konnte. Scheinbar hatte Vahagn nicht das Gefühl, jemals diesen Schritt in meine Richtung machen zu können und suchte die physische Distanz, als das Polster des Sofas sich unter ihrem schwindenden Gewicht bewegte. Ich war im ersten Moment gar nicht fähig dazu, all ihre folgenden Worte schnell genug richtig einzuordnen. Starrte sie einfach bloß aus gläsernen Augen an und blinzelte dabei übermäßig. Es war wie ein Rauschen, das sich immer mehr verdichtete und die Worte nur noch durch dicke Watte an meine Ohren ließ. Vielleicht lag das auch an dem Tinnitus, den ich bekam, weil mein Körper innerlich explodierte. Nur dieses halb hysterische Lachen, das ihre Kehle verließ, war etwas klarer. Erinnerte mich erneut an unseren letzten großen Streit, der kaum weniger hässlich als dieser hier abgelaufen war. Sie machte das immer, wenn sie ihre eigenen Gefühle nicht mehr aushielt. Nur war das nicht das einzige, womit sie nicht mehr klar kam – ich verstand erst, dass sie gerade die Beziehung beendet hatte, als die Tür schon hinter ihr ins Schloss gefallen war. Mein ganzer Körper fühlte sich betonschwer an und ich konnte mich nicht bewegen. Nicht mal die Lippen. Ihr von Tränen überströmtes Gesicht hing schemenhaft vor meinem inneren Auge fest. Sie liebte mich, das waren ihre letzten Worte gewesen. Wieso ging sie dann? Wieso ließ sie mich im Regen zurück? Ohne Herz, das mich wärmen konnte? Sie würde es immer haben. Ich hätte alles für Vahagn getan, immer. Sie war meine erste richtige Liebe. Die einzige für mich. Sollte sie das Herz behalten. Hunter hatte mir immer gepredigt, dass mein zu weiches Herz oder die Russin mein Ruin sein würden und ich hasste es, dass er damit Recht behalten würde und dabei seine eigene geliebte Frau in den Armen hielt. Wie konnte ein Mensch wie er mehr Glück in der Liebe haben als ich? Ich fing an, stumm an die Decke starrend zu heulen und es dauerte drei Stunden, bis mein Körper keine Tränen mehr produzieren wollte. Mein Körper zitterte stoßweise und ich hoffte, Vahagn würde zurückkommen, um mir eine Kugel durch den von hämmernden Schmerzen geplagten Kopf zu jagen. Weil diese Hoffnung unerfüllt blieb, dachte ich darüber nach, ins Schlafzimmer zu gehen und die – wegen Noah im Safe im Nachtschrank verstaute – Waffe zu holen, um es selbst zu erledigen. Ich konnte mich noch immer nicht rühren und musste in ein paar Minuten eigentlich los, um meine Brötchen zu verdienen. Ohne Vahagn hatte ich nichts, wofür es sich noch zu arbeiten lohnte. Ohne sie wollte ich mir keine Freiheit erkaufen. Scheiße, ich wollte nicht mal ohne sie atmen. Ashton und Desmond waren mittlerweile zu Freunden geworden. Solange Hunter nicht in ihrer Nähe war, waren die Jungs schwer in Ordnung. Trotzdem verfluchte Ashton mich dafür, als ich ihn darum bat, meine Aufgaben für heute zu übernehmen. Ich kam nämlich erst vom Sofa hoch, als mein Handy im Flur nicht zu klingeln aufhörte. Mein Herz raste konstant weiter, als ich mich ins Bad schleppte und mir das Gesicht wusch. Ich schnappte mir die Schlüssel des Dirtbikes, das ich eigentlich nicht mehr wirklich nutzte, seit ich den Dienstwagen von Hunter gestellt bekommen hatte. Es war jedoch viel unauffälliger, dieses Teil in einer Seitengasse in der Stadt zu parken, während ich mir gnadenlos die Kante in einer Bar gab, von der ich wusste, dass mich dort keiner suchen würde. Der Alkohol half nicht. Ich wurde nur noch trauriger und irgendwann lag mein Kopf auf dem hölzernen Tresen, während ich das Glas anstarrte und doch wieder eine einzige Träne meine Wange runterlief. “Hör mal, ich weiß, dass es dir echt scheiße geht, aber wir machen hier gleich dicht.”, drang mir das Spanisch des kubanischen Barmanns ans Ohr. Ich konnte kaum noch den Kopf heben, um ihn anzusehen. “Soll ich Jemanden für dich anrufen?” Das Kopfschütteln bekam ich noch hin, als ich vom Barhocker rutschte und mein Handy mit drei Versuchen umständlich im Gehen aus der Hosentasche zog. Ich scrollte durch meine Kontaktliste und fand dabei erstaunlich wenige Namen, die zur Auswahl standen. Unabhängig davon, dass ich sie nur noch schwer entziffern konnte. Ich drückte jedoch sofort aufs Display, als ich Richards Namen sah. Er war vermutlich noch wach und ziemlich sicher nüchtern, wegen des Drogenpunchens mit Sabin. Es dauerte nicht besonders lange, da hob er ab. Für eine Begrüßung reichte es in meinem Zustand allerdings nicht mehr. “K…kannst du m… mich abholen?” Er erwähnte, dass ich betrunken klang. “Verrrdammt ri…chtig.” Meine Worte klangen wahrscheinlich so undeutlich, wie ich die Welt um mich herum gerade wahrnahm. Ich versuchte noch, ihm zu erklären, wo ich war, aber das haute absolut nicht hin, weshalb ich ihm letztendlich einfach meinen Standort schickte. Ich versicherte mich nicht extra, ob er kommen würde. Er schuldete mir noch was. Und selbst wenn nicht, wars auch irgendwie egal. Erfrieren würde ich eher nicht an der kalten Hauswand, an die ich mich hockte, weil ich nicht gerade stehen konnte. Ich hatte meine Waffe bewusst nicht mit aus dem Haus genommen und ertrug es erst nicht, mich in ein Bett zu legen, das nach Vahagn roch. Ich würde mir ja doch noch den kalten Stahl an die Schläfe legen, wenn ich das leere Kissen sah.
Seit Cosma vor gut zwei Wochen das Weite gesucht hatte, war es in dem Bungalow ruhig geworden. Es gab keine Streitereien mehr, die einen morgens aus dem Schlaf rissen und diskutiert wurde beim Abendessen auch nicht mehr. Alles in allem gab es seitdem nur noch ein friedliches Miteinander und Worte konnten nicht beschreiben, wie schön das war. Zugegeben war es die ersten zwei Tage schon ein bisschen komisch ohne die Rothaarige. Sie hatte lange genug bei mir gewohnt, sodass sich einige Dinge wiederholt hatten und jetzt plötzlich nicht mehr da waren. Die Toilettenspülung, jeden Mittag zur gleichen Zeit, wenn sie nach der Schicht in der Bar ausgeschlafen in den Tag startete. Eine bestimmte Tasse in der Küche, die irgendwie immer an der gleichen Stelle zu stehen schien... Kleinigkeiten halt. Aber es war wohl für uns alle das Beste gewesen, dass die junge Frau ausgezogen war. Nicht zuletzt für den Italiener, der endlich etwas zur Ruhe kommen konnte, ohne jeden Morgen befürchten zu müssen, einen Streit zu provozieren, nur weil er seinen Kater füttern wollte. Ich hatte ihm im Anschluss an Cosmas Verschwinden versichert, dass er sich keine Schuld auf die Fahne schreiben brauchte und es in der Natur der Rothaarigen verankert war, manchmal einfach unausstehlich zu sein. Trotz meines Unmutes hatte ich auch noch versucht, die junge Frau ein wenig in Schutz zu nehmen, weil sie in letzter Zeit so viel durchgemacht hatte, betonte aber auch, dass ich ihr Verhalten trotzdem so nicht akzeptieren konnte oder wollte und ich somit nicht nur ausschließlich für ihn in die Bresche gesprungen war, sondern auch für meinen eigenen Seelenfrieden. Ich war noch lange nicht wieder ich selbst, würde es wohl auch kaum mehr werden, aber ich wollte es wenigstens versuchen. Und da konnte ich diese ständigen Auseinandersetzungen schlicht und ergreifend nicht brauchen. Ansonsten lief es auch in allen anderen Belangen meines Lebens okay bis gut, würde ich sagen. Die Zusammenarbeit mit Sabin war angenehm, das Drogenkochen als solches war hingegen weniger spaßig. Ich verspürte zwar momentan kein Unbehagen mehr in der Nähe von berauschenden Substanzen, aber schön war es bisweilen trotzdem nicht. Ich hatte vor wenigen Augenblicken das Labor abgeschlossen und mich auf den Heimweg begeben, als mein Handy klingelte. Überrascht, wer mich zu dieser Zeit des Tages anrief, lenkte ich den Wagen einige Meter die Straße runter an die Seite. Ich war nicht besonders multitaskingfähig, daher war es mir lieber, erst den Motor auszuschalten, bevor ich das Handy aus meiner Hosentasche kramte. Etwas verwirrt las ich Taurens Namen vom Display ab und überlegte, ob ich irgendeine Art von Verabredung mit ihm vergessen hatte. Wir hatten uns schon vor einer ganzen Weile ausgesprochen, aber wirklich viel miteinander gemacht hatten wir seitdem nicht. Verbunden mit der unchristlichen Zeit, zu der er anrief, vermutete ich nichts Gutes. Als ich realisierte, dass das Handy nun schon eine Weile klingelte und ich befürchtete, der junge Mann würde den Versuch, mich zu erreichen gleich einstellen, hob ich mit einem fragenden "Hallo?" ab. Eine Begrüßung seitens des Norwegers blieb aus. Stattdessen lauschte ich ein paar schwer verständlichen Worten, die mich das Handy fester ans Ohr pressen ließen, so als würde ich sie dadurch besser verstehen. Tat ich natürlich nicht, was offenbar daran lag, dass der junge Mann gut einen im Tee zu haben schien. Dem Lallen nach zu urteilen, hatte er nicht bloß ein, zwei Bier getrunken, was mich nachdenklich stimmte. Denn wenn ich mich recht erinnerte, dann hielt Tauren eigentlich einen guten Sicherheitsabstand zu stark alkoholischen Getränken. Ich ließ mir meine Vermutung, dass er getrunken hatte, bestätigen. Kurze Zeit später folgte die Frage, ob ich ihm abholen könnte. Ein kurzer Seitenblick auf die Uhr in meinem Auto entlockte mir ein leises Seufzen. Eigentlich hatte ich nicht wirklich Lust, ihn jetzt noch irgendwo in der Innenstadt einzusammeln, aber der Kerl brachte keinen geraden Satz heraus und brauchte damit offenkundig meine Hilfe. Nach allem, was Tauren für mich getan hatte, war es also das Mindeste, was ich tun konnte. Ich bat ihn, mir seine Adresse oder seinen Standort zu schicken und sich nicht von der Stelle zu rühren. Abhängig davon, wo er sich befand, würde ich in ein paar Minuten da sein. Nachdem wir aufgelegt hatten, wartete ich nur noch auf die Information, wo ich hinzufahren hatte, bevor ich den Motor des Autos wieder aufheulen ließ, um den Wagen kurze Zeit später wieder auf die Straße zu lenken. Es brauchte mich etwa fünfzehn Minuten, bis ich den Norweger in einer etwas abgelegenen Seitengasse ausfindig machte. Unweit von der Stelle, wo Tauren an die Wand gelehnt saß, stellte ich den Wagen ab und stieg aus. Zügigen Schrittes nähere ich mich dem überaus Betrunkenen und ging vor ihm in die Hocke. "Hey, Kumpel...", sprach ich ihn an und streckte meine Hand nach seiner Wange aus, denen ich kurze Zeit später einen Klaps verpasste, weil er nicht reagierte. "Mann, was ist denn passiert, was machst du hier?", ließ ich zwei Fragen folgen, aber ich befürchtete fast, dass ich keine vernünftige Antwort von ihm bekommen würde. So wie er aussah, hatte er deutlich zu viel getrunken, was absolut untypisch für ihn war. Entsprechend besorgt sah ich ihm schließlich ins Gesicht, als er den Kopf endlich anhob. Wenigstens schien er noch ansprechbar zu sein, auch wenn vermutlich nicht mehr viel gefehlt hatte, bis er es nicht mehr gewesen wäre.
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Es war angenehm still um kurz nach 3 Uhr nachts. Die meisten Kubaner hatten sich offenbar schon ins Bett gelegt – was eigentlich unter der Woche nicht ungewöhnlich war – und es war nur hier und da leise ein Motor im Hintergrund zu hören. Ich hörte auch die Tür der Bar zugehen und drehte den Kopf in jene Richtung, bevor mir wenig später die Augen zufielen und ich meinen Kopf schräg an die Wand lehnte. Wach zu bleiben wurde anstrengend und ich wollte es eigentlich auch nicht. Vielleicht tat es im Schlaf nicht mehr weh, denn das war wohl das einzige, wobei der Alkohol mir am Ende helfen konnte. Ich erhoffte mir einen möglichst traumlosen Schlaf. Oder vielleicht eher, dass ich schon schlief, dann aufwachte und feststellte, dass Vahagn doch neben mir lag. Ja. Ich war tatsächlich eingenickt, als ich dumpf eine Berührung an der Wange vernahm. Erst verzog ich bloß den Mund und die Nase, bevor ich den Kopf etwas anzuheben versuchte und dann mehr oder weniger gerade in ein bekanntes Gesicht blicken konnte. Das waren mindestens 1,5 Richards, die da vor mir aufgetaucht waren. Wo kam er denn jetzt her? War ich nicht eben noch allein in der Bar gewesen? “Was… ich hier mache? W-was machst du chier?” Hatte ich ihm geschrieben? Nein, oder? Warum sollte ich das machen? Das ergab alles keinen Sinn. Heute zumindest nicht mehr. Mein Tag war schon am Nachmittag gelaufen. Moment… seine Frage war gewesen, was ich hier machte. “Konnte nicht Zuhause bleiben.”, nuschelte ich undeutlich und schluckte dabei, weil ich unangenehmen Druck im Hals verspürte. Zumindest der Streit mit Vahagn drang zurück an die Oberfläche meines Bewusstseins. “Will nicht nach Hause.” Ich lieferte ihm zwei Mal fast denselben kurzen Satz, nur mit minimal inhaltlichem Unterschied. Je weniger Worte ich nutzte, desto weniger anstrengend kam mir das Sprechen vor. Ob das dann ausreichende Information für den jungen Mann mit der Narbe im Gesicht bot, war mir weder klar, noch dachte ich darüber nach. Reden war gerade noch anstrengender, als bloß schief an der Hauswand hängend vor mich hin zu existieren. “Verdammte… Alkohl hat nicht geholf..fen.” Je länger ich sprach, desto mehr Buchstaben gingen über meine Zunge hinweg verloren. Ich verzog ein weiteres Mal das Gesicht. Vielleicht lag das alles an dem Druck auf meinen Magen, der mysteriöserweise stetig zunahm. Keine Ahnung wieso. Ich hatte auf keinen Fall zu viel getrunken. Zwei Bier, ein paar Tequila, vielleicht noch… waren es ein oder zwei Gläser Rum gewesen? Eins wahrscheinlich. Hoffentlich. Ganz bestimmt. Angesichts der Tatsache, dass ich offensichtlich nicht effektiv mitgezählt hatte, war meine folgende Bitte sicher das dümmste, was ich seit langem eingefordert hatte. “Helf’ mir mal hoch… bitte.”, bat ich und tastete gleichzeitig unkoordiniert nach Richards Armen. Durch die kurze Sprechpause kamen die Worte wieder etwas klarer, wenn auch trotzdem noch reichlich genuschelt über meine Lippen. Wenigstens fehlten diesmal keine Buchstaben. Scheiß Alkohol. Wie viel Geld hatte ich eigentlich über die Theke getrunken? Auch wieder egal. Wusste sowieso nicht, wofür ich es sonst ausgeben sollte. Blumensträuße brauchte ich ja jetzt keine mehr zu kaufen. Ob Richard vielleicht einen wollte?
Was ich hier machte? Er war doch derjenige gewesen, der mich vollkommen betrunken angerufen und darum gebeten hatte, ihn abzuholen. Mit einem leisen Seufzen schüttelte ich den Kopf. Das schien er wohl schon längst wieder vergessen zu haben. Wie bereits am Telefon, war es verhältnismäßig anstrengend bis unmöglich, die Worte, welcher der junge Mann von sich gab, zu verstehen. Er nuschelte und wenn er sich doch dazu entschied, die Zähne mal etwas mehr auseinander zu kriegen, dann lallte er. Jetzt wusste ich, wie sich ein Großteil der Leute um mich rum wohl gefühlt haben mussten, als ich in einem Drogenrausch versucht hatte, meine Gedanken in Worte zu fassen und ich schämte mich rückblickend betrachtet wirklich dafür. Ich war jetzt schon genervt und dabei hockte ich noch keine fünf Minuten hier. Er konnte also nicht nach Hause, wollte es auch gar nicht... warum? Dass er nur einen schlechten Tag gehabt hatte, konnte ich mir nicht vorstellen. Er war schon oft ziemlich gestresst gewesen, nachdem Hunter ihn irgendeine Drecksarbeit aufgetragen hatte und nie war er dem Alkohol später so verfallen, wie an dem heutigen Abend. Irgendetwas stimmte hier also gewaltig nicht und so nervenaufreibend das wohl auch sein würde, meine Neugier überwog in diesem Fall ganz klar. Ich wollte herausfinden, was Tauren widerfahren war und was er versucht hatte, mit übermäßigen Alkoholkonsum zu ertränken. "Du hast mich angerufen und mich gebeten, dich abzuholen.", beantwortete ich erst einmal ruhig seine Frage und ließ währenddessen meine Hand wieder sinken. Dann folgte eine ausschweifende Geste mit beiden Armen, die Lippen zu einem schiefen Grinsen verzogen. "Tja, und hier bin ich. Wie viel hast du getrunken, man, du siehst gar nicht gut aus.", folgte eine Gegenfrage in Verbindung mit einer Feststellung. Tauren sah bisher zwar nie wirklich schlecht aus, aber im Augenblick mal mindestens ziemlich fertig. Meine Vermutung, dass er versucht hatte, sich wegen einer Sache zu betäuben, betätigte sich, als der Norweger noch einmal wenige Worte an mich richtete. Es hatte also nicht geholfen, sich die Kante zu geben... Nun, das tat es selten, wie ich aus eigener Erfahrung sehr genau wusste. Für kurze Zeit war man ein bisschen betäubt. Sobald die Wirkung jedoch nachließ, kam das, was man zu vergessen versuchte, nur leider wieder und holte einen auf den kalten Boden der Tatsachen zurück. Warum griffen wohl so viele dann erneut zur Flasche oder sehnten sich nach der nächsten Pille? Das war ein Teufelskreis, in dem ich Tauren nicht sehen wollte. Es war schon genug, dass ich einmal durch die Hölle gegangen war, er musste nicht das Selbe durchleiden. "Willst du darüber reden, was passiert ist... oder es zumindest versuchen?", bot ich ihm mein Gehör an. Manchmal konnte es wahre Wunder wirken, wenn man einfach jemanden hatte, bei dem man sich auskotzen könnte. Ich war mir zwar nicht ganz sicher, ob ich es lange aushalten würde, dem Lallen zuzuhören, aber ich war wohl aktuell nicht in der Position, irgendwelche Ansprüche geltend zu machen. Dass er aufstehen wollte, hielt ich ehrlich gesagt für keine so gute Idee. Er konnte vermutlich ohnehin nicht gerade stehen, vom Gehen ganz zu schweigen. Andererseits würden wir es irgendwie zu meinem Auto schaffen müssen. Ich hätte ihn zwar gerne über meine Schulter geworfen, weil ich der festen Überzeugung war, dass es so schneller gegangen wäre, aber dafür fehlten mir schlicht und ergreifend die nötigen Muskeln. Ich war also gewissermaßen auf seine Mitarbeit angewiesen und streckte ihm deshalb wieder meine Hand entgegen, um ihm auf die Füße zu helfen. Es brauchte zwei, drei Anläufe, bis der junge Mann einen einigermaßen festen Stand hatte. "Bitte sag' mir, dass du wenigstens ein paar Schritte laufen kannst. Du weißt, ich kann dich nicht tragen.", ließ ich ihn wissen, dass ich auf seinen Einsatz zählte. Wir uns hier keinen Meter weg bewegen würden, wenn er nicht mehr dazu in der Lage war, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
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Das war jetzt peinlich. Oder zumindest würde es das morgen sein. “Shit.”, kommentierte ich meinen Faux Pas oder viel mehr meine vom Alkohol inszenierte Vergesslichkeit. Vielleicht waren es dann doch zwei Gläser Rum gewesen. Vielleicht auch zu viel Tequila. “Ich…chab keine Ahnung.”, war dementsprechend meine wenig aufschlussreiche Antwort auf die Frage danach, wie viel Gift meine Kehle runtergeflossen war. Dass es zu viel gewesen war, brauchte ich jetzt wohl nicht mehr zu leugnen. Seinen Worten nach zu urteilen konnte er meinen Zustand leicht nur durch meine Optik erkennen. “Danke.”, rutschte mir stark verspätet ein einsames Wort über die Lippen und ich versuchte sogar, dabei seine Augen zu taxieren. War nur gar nicht so einfach. Aber er würde schon wissen, dass ich es ernst meinte. Dass ich ihm dankbar für seinen Rückhalt war, obwohl wir nicht immer nur gute Zeiten zusammen erlebt hatten. Es war auf befremdliche Art schön, dass ich dem Engländer scheinbar nicht egal war. Dass trotzdem noch irgendjemand ein Auge auf mich hatte, wenn Vahagn das von jetzt an nicht mehr tun wollte. Die Frage danach, ob ich über meine Probleme reden wollte, sorgte für ein unangenehm zugeschnürtes Gefühl in meiner Brust. Als würde er fest an den frischen Nähten ziehen, die das klaffende Loch verschlossen. Ich hatte schon dem jetzt nicht mehr ganz so unbekannten Mann hinter der Bar mein Herz ausgeschüttet und war ihm damit ziemlich sicher irgendwann gewaltig auf die Nerven gegangen. Wollte ich das nochmal? Hatte es was gebracht? Keine Ahnung, eher nicht. Aber Richard war nicht irgendein Fremder, sondern ein Freund. Vielleicht war das was anderes. “Das, was ihr alle vorhergsn… vor-her-ge-se-hen habt.” Ich musste mich dazu zwingen, das Wort silbenweise zu sprechen, weil das die einzige Möglichkeit war, es vollständig rauszukriegen. Leises, ziemlich tot klingendes Gekicher sprang mir halb im Nuscheln untergehend über die Lippen. Es war so dumm. Ich war dumm. Sie hatten es mir alle immer wieder unter die Nase gerieben und ich hätte verdammt nochmal zuhören sollen. “Sie hatm… mich verlassen… und ich will nch… nicht mehr leben.” Es sollte sarkastischer klingen, als ich sprechen konnte. Mal ganz davon abgesehen, dass das so oder so für Niemanden, der nüchtern war, lustig zu hören war, fraß sich der Schmerz gerade schon wieder viel zu heftig durch meinen Körper. Ich konnte spüren, wie meine Augen wieder feucht wurden, als Richard mir schließlich aufhalf. Es kam mir vor wie eine wilde Achterbahnfahrt, als er mich mühsam auf die Beine zog. Alles drehte sich viel zu schnell und es hätte mich beinahe direkt auf die Schnauze gelegt. Glücklicherweise half der Engländer mir mit dem Gleichgewicht auf die Sprünge und erstickte mein Gestolper im Keim. Mehrfach. Und die Übelkeit erst… die Übelkeit. Offenbar hatte der plötzliche Höhenunterschied meinem Magen den Rest gegeben. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig von Richard wegdrehen, um ihm nicht auf die wie immer sehr sauberen Schuhe zu kotzen. Tja, das hatte der Barmann jetzt davon, dass er mich für trinkfest gehalten hatte. Wenigstens bedeutete das, dass ich Richard zu allem Überfluss nicht auch noch das Auto vollkotzte. Ich fühlte mich jetzt schon schlecht damit, ihm zur Last zu fallen. War schließlich nicht seine Schuld, dass es mir so beschissen ging. “Gib m.. mir… noch eine Minute.” Inzwischen dürfte ich mich so ziemlich allem flüssigen Mageninhalt entledigt haben und stützte mich mit einem zitternden Arm an der Hauswand ab. Es drehte sich immer noch alles, der Geschmack auf meiner Zunge war wortwörtlich zum Kotzen und ich war mir sicher, dass der Kater morgen übel werden würde. “Okay… geht… denke ich.” Ich nickte leicht, als Zeichen dafür, dass wir durchstarten konnten. Um die Kotze herum, bestenfalls. Aber da musste ich auf Richard hoffen. Die Füße bekam ich noch irgendwie hoch, aber Koordination war mit derartig kreiselnder Sicht ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich tat Taurens Danksagung schwach lächelnd und mit einem Nicken ab. War ja an und für sich keine große Sache. Noch war ich nicht allzu müde und würde daher Zuhause sowieso noch eine Weile wach sein, bevor ich mich zu Sam ins Bett schlich, da konnte ich mich ruhig auch um einen betrunkenen Freund in Nöten kümmern. Schon als der Norweger erwähnte, dass er nicht zu sich nach Hause wollte - aus Gründen, die er mir erst wenig später verriet -, hatte ich bereits den Entschluss gefasst, ihn mit zu mir in den Bungalow zu nehmen. Es war für alle Parteien, mit Ausnahme meines vermutlich schon schlafenden Partners, wohl die unkompliziertes Lösung. Jetzt, wo Cosma nicht mehr bei mir wohnte, würde er sogar ein anständiges Bett haben, in dem er in Ruhe seinen Rausch ausschlafen konnte, ohne befürchten zu müssen, mit Rückenschmerzen wach zu werden. Ohne mir eine direkte Antwort auf meine Frage zu geben, verriet Tauren mir schließlich, was ihm auf der Seele lag. Geduldig hörte ich ihm zu, gab ihm die Zeit, die er brauchte, um die richtigen Worte zu finden und diese dann auch auszusprechen. Und na ja, als er fertig war mit Reden, wusste ich ehrlich gesagt nicht genau, was ich dazu jetzt sagen sollte. Wir haben dich gewarnt, wollte er wohl eher nicht hören, also schwieg ich lieber. Gab nur ein gemurmeltes "Mhm, verstehe..." von mir. Irgendwie schien mir das aber ein bisschen wenig, ich hätte ihm zumindest gerne noch ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg gegeben. Gerade als ich überlegte, was ich noch hätte sagen können, damit sich Tauren etwas besser fühlte, wandte er sich von mir ab. Nur um keine zehn Sekunden später seinen gesamten Mageninhalt an die Hauswand zu kotzen, an der er bis eben noch angelehnt gesessen hatte. Ich verzog etwas angeekelt das Gesicht und ein Schauer lief mir bei den unverkennbaren Würgelauten über den Rücken, aber ich wich ihm nicht von der Seite. Stattdessen gab ich ihm den nötigen Halt, den er brauchte, um jetzt nicht umzukippen. Wenn es ging, würde ich das nämlich ganz gerne vermeiden. Den Geruch bekam man schon aus Klamotten so schwer raus, da wollte ich erst recht nicht, dass mein ganzes Auto danach stank. "Kein Stress, wir haben Zeit...", ließ ich ihn wissen, dass wir ruhig noch ein paar Minuten hier stehenbleiben konnten, bis er sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Mit der Hand, die ich zum Zweck der Stabilisierung an seine Hüfte gelegt hatte, strich ich ihm in den Atempausen immer wieder aufbauend über die Seite, bis er sich schließlich wieder aufrichtete. "Geht's?", fragte ich mit einem schwachen Lächeln und kramte mit der freien Hand währenddessen in meiner Hosentasche nach Tempos. Etwas umständlich zog ich mit einer Hand ein Taschentuch aus der Packung, welches ich ihm wenig später anreichte, damit er sich die Speichelfäden aus dem Gesicht wischen konnte. Ich wartete noch etwa zwei Minuten, um mir wirklich sicher sein zu können, dass da nichts mehr kam, bis ich seinen Arm um meinen Hals legte und mich langsam mit ihm in Bewegung setzte. Zielstrebig, jedoch nicht zu schnell, mein Auto ansteuerte. Selbst wenn ich gewollt hätte, wäre ein schnelleres Tempo überhaupt nicht möglich gewesen. Dafür lag zu viel Gewicht des stark alkoholisierten Mannes auf meinen Schultern und auch jetzt wollte ich nicht unbedingt einen Sturz provozieren. Am Auto angekommen, öffnete ich mit einer Hand die Beifahrertür, um Tauren wenig später ins Innere verfrachten zu können. Ich warf die Tür sanft in ihre Angeln, nachdem auch seine Beine ihren Weg in den Fußraum gefunden und ich ihn etwas umständlich angeschnallt hatte. Während ich das Auto umrundete, um selbst auf der Fahrerseite einzusteigen, wischte ich mir einmal angestrengt mit der Hand über das Gesicht. Was ein Tag, dachte ich, als ich mich hinter das Lenkrad fallen ließ und meinen Kopf zu meinem Freund drehte. "Vahagn hat dich verlassen? Warum?", nahm ich das Gespräch von vor wenigen Minuten noch einmal auf. Ziemlich sicher würde er nicht gerne darüber reden wollen, aber ich konnte ihm effektiv nur gut zureden und helfen, wenn er mir verriet, was der Auslöser gewesen war. Dann ließe sich eruieren, wo das Problem lag und was man eventuell tun könnte, um es aus der Welt zu schaffen. So weit zumindest die Theorie.
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Ich hätte mir nicht mal Stress machen können, wenn ich es gewollt hätte. Das wäre entweder in dem Kotzehaufen, den ich glücklicherweise nur undeutlich erkennen konnte, oder anderweitig auf dem harten Beton geendet. Ich war schon froh, wenn ich einigermaßen standhaft auf den Beinen zu bleiben schaffte. Mein ganzer Körper war von der Kotzerei so verkrampft, dass das leichte Streicheln seitlich an meinem Körper kaum bis zu mir durchdrang. “Nein… aber bis Übermor…gen warten… ist keine Option.”, antwortete ich Richard auf die Nachfrage meines Zustands. Gefühlt ging bei mir gerade gar nichts. Ich wollte ihm eigentlich nochmal danken, vor allem für seine Geduld, als er mir gerade ein Taschentuch gab, das ich erst nach ein paar Sekunden auch als solches identifizieren und danach greifen konnte. Bis ich damit fertig war, mir die Überreste meines kläglichen Ausbruchs aus dem Gesicht zu wischen, hatte ich es jedoch schon wieder vergessen. Unter anderen Umständen würde ich sicher merken, dass es ein Stück weit respektlos von mir war, das Tempo einfach geradewegs in meinen Haufen der Schande fallen zu lassen. Mülleimer waren hier zwar sowieso ziemlich rar gesät, wenn man Havanna beispielsweise mit Oslo verglich, aber eigentlich hatte ich zu viele und zu gute Manieren, um sowas zu machen. Nüchtern jedenfalls. In diesem Moment wollte ich einfach nur das stinkende Tuch loswerden. Wir setzten uns in Bewegung und auch dieses Mal drehte sich mein Kopf dabei ordentlich. Ich ließ mich kommentarlos von Richard stützen und zum Auto eskortieren. Alles andere hätte mir nur wüste Schlangenlinien und mindestens einen Sturz eingebrockt. Selbst diese langsamen Schritte kamen mir vor wie fünfzig Kilometer pro Stunde und ich war heilfroh, als ich mich wieder setzen konnte. Mühsam und mit flackernden Lidern zog ich die müden Beine ins Auto, bevor ich den Kopf an die Stütze kippen und mich wie ein unfähiges kleines Kind von Richard anschnallen ließ. Meine Würde lag jedoch ohnehin schon auf dem Bordstein, also machte das längst keinen Unterschied mehr. Der Engländer tauchte wenig später zu meiner anderen Seite auf und ich meldete sich mit einer Frage zu Wort, die mich sofort ein schweres Seufzen ausstoßen und die Augen zumachen ließ. Es war sowieso besser, wenn ich nicht nach vorne auf die Straße sah, wenn das Auto sich erstmal in Bewegung setzte und die Müdigkeit steckte mir nach wie vor tief in den Knochen. “Sie hat… mir was verheimlicht… lange… bin ausgetickt…” Mir war schon am Tresen zwischen all den Shotgläsern klar geworden, wie heftig ich eigentlich reagiert hatte. Vielleicht war austicken dafür ein etwas heftiges Wort. Keiner konnte mir verübeln, dass mich sowas verletzte. Aber ich hatte eben auch nicht unbedingt penibel darauf geachtet, was ich ihr infolgedessen an den Kopf geworfen hatte. Doch ganz gleich, wie sehr sie mich im Gegenzug verletzt hatte, kam es mir nicht mal mit gefühlten zwanzig Promille in den Sinn, den Grund ihrer Heimlichtuerei zu nennen. Das abgetriebene Kind ging Niemanden was an. “Wir haben uns gesscch… gestritten… und dann hat sie gesssagt, dass sie dass… nicht mehr kann… will… was auch immer.” Kam ja aufs selbe raus. Sie war weg und ich war hier. Ob sie kommen würde, um die Sachen aus meiner Wohnung zu holen, die noch ihr gehörten? Ich wusste nur, dass ich mich nicht dazu imstande sah, zu ihrer zu fahren und nicht Zuhause sein wollte, falls sie nochmal dafür zurückkam. Da verzichtete ich lieber auf meine Besitztümer, sollte sie das Zeug von mir aus anzünden. “Sie will mich nicht mehr verletzen… was… keinen S… Sinn ergibt.” Zumindest in meinem Kopf nicht. In meinem betrunkenen noch weniger als im nüchternen. Ich wog kaum merklich den Kopf hin und her, ohne die Augen wieder aufzumachen. Es würde immer weh tun. Vielleicht an manchen Tagen weniger, als an anderen. Man sagte immer, dass die Zeit alle Wunden heilte, aber ich glaubte nicht an so eine Scheiße. So naiv war nicht mal ich.
Ich hatte gerade den Schlüssel im Zündschloss herumgedreht, als Tauren ein paar Worte vor sich hinmurmelte, die zum Teil vom Aufheulen des Motors verschluckt worden waren. "Sie hat dir etwas verheimlicht?", hakte ich also noch mal nach, um sicherzugehen, dass ich ihn trotzdem richtig verstanden hatte. Er nickte und ich gab daraufhin ein nachdenkliches "Mhm.." von mir, kurz bevor ich den Wagen in Bewegung setzte. Zugegeben, ich war kein großer Freund von Vahagn gewesen, war selbst einer derjenigen gewesen, der ihn vor ihr gewarnt hatte. Mir war von Anfang an irgendwie klar gewesen, dass diese Frau sein Tod sein würde - ob physisch oder psychisch spielte dabei nicht wirklich eine Rolle - und hier saßen wir nun. Der arme Kerl war vollkommen aufgelöst und hatte infolgedessen so viel Alkohol konsumiert, dass er wie eine ganze Brauerei roch. Naja, zumindest, wenn man sich den leicht beißenden Gestank des Erbrochenen wegdachte, welcher sich in Form von kleinen Partikeln irgendwo in seiner Kleidung festgesetzt hatte. Wir hielten gerade an einer Ampel, als ich mich erneut bei dem Gedanken erwischte, ihm unter die Nase zu reiben, dass er auf uns hören und die Finger von Vahagn hätte lassen sollen. Jedoch besaß ich auch um die späte Uhrzeit noch genug Intellekt und Taktgefühl, nicht alles auszusprechen, was mir gerade in den Sinn kam und so wurde es eine Zeit lang wieder still. Als die Ampel auf grün umschaltete, seufzte ich leise. "Das tut mir Leid zu hören.", murmelte ich und meinte es auch so. Es folgte eine kurze Pause, dann ein erneutes Seufzen. "Aber du weißt, dass Alkohol nicht die Lösung deiner Probleme ist, oder? Du bist ein feiner Kerl, Tauren. Wirf das nicht einfach für diese Frau über Bord. Ich... ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist, aber wenn es nicht sein sollte, bringt es nichts, in Selbstmitleid zu baden." Starke Worte für Jemanden, der seinerzeit kein Deut besser gewesen ist, aber einzig und allein aus dem Grund wusste ich genau, wovon ich sprach. Es brachte einen nicht weiter, wenn man ständig das Warum und Wieso hinterfragte. Manchmal musste man einfach akzeptieren, was passiert war, das man keinen Einfluss mehr auf den Ausgang einer Situation hatte. Der einzige richtige Weg war, den Kopf anzuheben und den Blick geradeaus zu richten. Als Freund würde ich ihm dabei natürlich zur Seite stehen. "Menschen sagen in der Hitze des Gefechts manchmal Sachen, die sie nicht so meinen. Ich weiß nicht, worum es bei dem Streit ging, aber vielleicht habt ihr einander ab einem gewissen Punkt nur noch falsch verstanden. Von negativen Emotionen gelenkte Konversationen enden selten gut. Wenn du der Meinung bist, sie noch nicht aufgeben zu wollen, solltest du dir die Zeit nehmen, das Gespräch zu reflektieren. Ich bin mir sicher, Vahagn wird das Selbe tun. Gib dem Ganzen ein paar Tage... oder von mir aus auch 'ne Woche, ganz egal. Und dann setzt ihr euch noch einmal zusammen.", schlug ich etwas vor, was mich selbst überraschte. Keine Ahnung, woher dieser Einfall gerade kam, aber er hörte sich doch eigentlich gar nicht so verkehrt an, oder? Du bist es einfach, Richie, klopfte ich mir im Geiste auf die Schulter. Ich wäre zwar ehrlicherweise kein so großer Fan davon, würde Tauren meine Worte in die Tat umsetzen, weil ich - wie bereits des Öfteren erwähnt - die Russin nicht ausstehen konnte, aber wenn sie in den Augen des Norwegers der Schlüssel zu seinem Glück war... Mein Gott, wer war ich dann, mich dem in den Weg zu stellen. Sei es jetzt mit Worten oder mit Taten gewesen. Meine Meinung zählte hier ganz einfach nicht. Witzig, denn jetzt, wo ich so darüber nachdachte, zählte meine Meinung auch in Hinsicht auf Cosma und Hunter eigentlich nicht, aber... das stand noch mal auf einem ganz anderen Blatt geschrieben.
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Mein Körper schien beinahe unabhängig von meinem Hirn zu funktionieren. Ich nickte schon, noch bevor ich mir darüber bewusst war, dass ich Richard meine vorherigen Worte nochmal bestätigen musste. Dass der Wagen inzwischen rollte, sorgte ohnehin dafür, dass meine Gedanken schnell wieder abdrifteten. Über meinen immer noch gereizten Magen hinweg zurück in mein Wohnzimmer, wo sich die Erinnerung schwummrig ein weiteres Mal abspielte. Als wäre das nicht heute schon ungefähr tausend Mal passiert, als hätte ich noch immer nicht genug davon. Als würde es mir irgendwas bringen, außer den Schmerz neu anzufachen. Der Wagen hielt und die Stimme des Engländers unterbrach mein Gedankenkarussell. Ich sah müde zu ihm rüber. Es war ironisch, das jetzt ausgerechnet aus seinem Mund zu hören. Trotzdem passend, weil ich ihm das damals genauso gesagt hatte. Dass Drogen keine Lösung waren. Als hätte er das damals nicht genauso gewusst, wie ich vor ein paar Stunden, als ich angefangen hatte, meinen Rachen mit dem ersten Bier zu ölen. “Ich könnte n…nicht mal, wenn ich wollte… Hunter… sch… scheißt mir was.”, stellte ich grummelig murmelnd fest. Ashton und Desmond konnten mein Pensum nicht auch noch permanent mit stemmen und außerdem würde der Amerikaner nach dem Grund für einen längeren Ausfall definitiv fragen. Ich brauchte schon Glück, damit er nicht nachhakte, weshalb ich heute nirgends aufgetaucht war. Es war Ashtons Pflicht, ihm das zu stecken und er hielt sicher nicht für mich den Kopf hin. Niemand wäre so blöd. Ganz abgesehen von meinen leider vorhandenen Verpflichtungen, vor denen ich liebend gerne noch ein paar Tage weggerannt wäre, würde ich niemals die Bilder vergessen, die meine Eltern mir förmlich ins Hirn gepflanzt hatten. Wie sie nicht ansprechbar in mehr als einer Ecke gelegen waren. Wie ich gehungert hatte. Wie allein ich gewesen war. Man machte nicht nur selbst, sondern auch sein Umfeld unfassbar schnell damit kaputt. Diese Schuld wollte ich mir unter keinen Umständen auf die Kappe schreiben müssen, aber der Ausrutscher heute war definitiv nichts, für das ich mich schlecht zu fühlen brauchte. Zumindest nicht psychisch. “Irgendwie ist das genau mein Problem… oder? Ich bin… immer zu nett.” Nüchtern hätte ich sowas nicht gesagt. Für mich gab es kein zu nett. Es war nichts falsch daran, seinen Mitmenschen grundsätzlich erstmal wohlwollend entgegen zu treten, solange man keine triftigen Gründe für anderes Verhalten hatte. Der Schwall an Worten, den der junge Mann hinterm Steuer als nächstes von sich gab, machte es mir beinahe schwer, ihm gedanklich zu folgen. Tief im Inneren wusste ich – als dann erstmal einigermaßen alles davon richtig angekommen war – dass er Recht hatte. Ich hatte zwar oft versucht, mich zusammenzureißen, wenn Vahagn und ich wieder mal einen Streit vom Zaun gebrochen hatten, aber es war mir immer schwerer gefallen, dabei keine Vorurteile in den Händen zu halten oder nicht verletzt zu wirken. Alles davon hatte Spuren hinterlassen. Ich konnte ihr nicht mehr so gegenüberstehen wie früher. Wir hatten mein etwas zu perfekt daher gemaltes Bild erfolgreich über die Zeit hinweg mit Füßen getreten und zerbrochen. Es würde nie mehr so sein. “Kann sein, da…” Ich musste aufstoßen und deshalb nochmal unterbrechen. Gallengeruch kam mit hoch und ließ mich angewidert das Gesicht verziehen. Bis zu meinem nächsten Versuch vergingen ein paar Sekunden. “Du hast schon Recht… gl… glaube ich.” Richard war zumindest, seit er wieder klar im Kopf war, nicht mehr unbedingt dafür bekannt, sinnfreie Sätze auszuspucken. Zwar begriff ich in meinem Zustand nicht ganz die Tragweite seiner Worte, stützte mich aber tatsächlich gerne auf sein Urteilsvermögen. Meins war ja offenbar komplett beschissen. “Aber ich werd’ nicht… nicht den ersten Schritt machen… nicht schon wieder… ich k… kann das nicht mehr.” Mit diesen Worten ließ ich meinen Kopf zur anderen Seite kippen und starrte mit leeren Augen aus dem Fenster, konnte die vorbeiziehenden Häuser nur verschwommen wahrnehmen. Vahagn hatte Schluss gemacht, nicht ich. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Wenn sie mir die ganze Dauer unserer Beziehung über auch nur einmal richtig zugehört hatte, dann wusste sie, dass ich sie nicht aufgab, nur weil sie die Kette zwischen uns endgültig gesprengt und mich weggeschubst hatte. Mein Stolz reichte sicherlich nicht an Hunters Größenwahnsinn ran, aber ich hatte genug davon, immer wieder an ihre Tür zu klopfen und sie darum zu bitten, nochmal darüber zu reden. Richards Worte hatten mich also lediglich dazu bewegt, mir selbst zu schwören, mich nicht bei der Russin zu melden, bevor sie das nicht zuerst in Angriff nahm. Ich war nicht mehr Hunters Fußabtreter und hatte jetzt endgültig auch genug davon, vor Vahagn auf die Knie zu gehen und ihr die Schuhe zuzubinden, damit wir gemeinsam weitergehen konnten. Sie war alt genug, um das selber zu machen.
Hunter... alleine der Name dieses Größenwahnsinnigen reichte schon aus, um meine Miene schlagartig zu verdunkeln. Ich war ganz froh, dass er sich seit Cosmas Auszug nicht mehr regelmäßig bei mir blicken ließ und ich auch sonst eher wenig bis gar keinen Kontakt zu ihm hatte. Es war kein Geheimnis, dass ich diesen Hurensohn - ein anderes, freundliches Wort gab es für ihn einfach nicht - hasste. Von der Narbe, welche er mir verpasst hatte, mal ganz abgesehen, war er auch der Hauptgrund für Cosmas starke Veränderung während der vergangenen Monate. Er tat ihr schlichtweg nicht gut, hatte einen schlechten Einfluss auf sie. Mochte zwar sein, dass Tauren wegen ihm in kein allzu tiefes Loch stürzen würde, schlichtweg weil der Amerikaner ihn eigenhändig am Kragen da raus zerrte, wenn es sein musste, aber ich war dennoch der Meinung, dass die Welt ohne ihn ein Stückchen besser dran wäre. Ich bog an der nächsten Kreuzung rechts ab, es war jetzt nicht mehr weit bis zum Bungalow. "Willst du meine ehrliche Meinung oder suchst du einfach nur Bestätigung?", stellte ich eine neutrale Gegenfrage, gab ihm jedoch keine Zeit, diese überhaupt zu beantworten. "Sollte letzteres der Fall sein, kann ich dir diese leider nicht geben. Du weißt genau so gut wie ich, dass du dir gerade etwas einreden willst, woran du selber nicht glaubst. Du bist nicht zu nett. Du gerätst mit deiner Herzlichkeit nur zu oft an die falschen Leute.", stellte ich sachlich fest und ließ ihn im Zuge dessen wissen, dass ich nicht hier war, um ihm ausschließlich den Kopf zu tätscheln oder ihm beizupflichten, wie schlecht doch alles war. Hatte er bei mir schließlich auch nicht getan und das war auch gut so gewesen. Wenn man am Rande des Abgrunds stand, brauchte man jemanden, der einem die Hand gab und einen Schritt zurück zog, statt gemeinsam mit ihm zu springen. Es dauerte nur noch etwa fünf Minuten, bis meine schwach beleuchtete Einfahrt das Ziel unserer Reise markierte. Bis ich das Auto geparkt und den Motor ausgemacht hatte, war es still im Inneren des Wagens geworden. Ich hatte mich noch nicht dazu geäußert, dass Tauren es leid war, den ersten Schritt machen zu müssen, weil dafür die Bedenkzeit einfach zu knapp bemessen gewesen war. Noch bevor ich also wieder das Wort an ihn richtete, stieg ich aus und umrundete erneut meinen Wagen, um die Beifahrertür zu öffnen. Stets darauf bedacht, dass der Norweger jetzt nicht einfach vom Beifahrersitz klappte. Hätte ich mit meinem Arm nicht durch die nur leicht geöffnete Tür seine Schulter stabilisiert, wäre nämlich genau das passiert. Bevor ich ihm aus dem Auto half, hockte ich mich erneut an seine Seite. "Hör zu, mein Lieber. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn du nicht schon wieder den ersten Schritt machen willst. Ich verstehe, dass es an deiner Kraft und auch an deinem Stolz nagt. Aber wenn du wieder nüchtern bist, solltest du darüber nachdenken, ob du dann nicht vielleicht vergebens wartest. Es gibt Menschen, die können das einfach nicht - den ersten Schritt machen, meine ich. Sie wurden in der Vergangenheit vielleicht zu oft enttäuscht, dafür ausgelacht oder was auch immer. Ist ja auch egal..." Ich merkte selber, wie ich abschweifte und damit die Aufmerksamkeit des Norwegers zu verlieren drohte. "Was ich damit sagen will ist, dass Vahagn sich vielleicht wünscht, die Situation, welche euch beide ganz klar belastet, aus der Welt zu schaffen, aber sich einfach nicht traut und stattdessen lieber wie ein Kleinkind an die Hand genommen werden will. Manche Menschen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden, so blöd sich das vielleicht auch anhören mag." Und von diesen besagten Personen hatten wir einige in unserem Umfeld. Keiner von den Pappnasen gestand sich gerne irgendwas ein, weder Gefühle und schon gar keine Fehler. Tauren war da, gemeinsam mit Sabin, wirklich eine Ausnahme. Dass genau diese Menschen dann öfter als alle anderen als schwach dargestellt wurden, lag schlicht und ergreifend daran, dass Vernunft und sich erwachsen zu verhalten oft mit Schwäche verwechselt wurde. Ich streckte dem jungen Mann mit einem schwachen Lächeln meinen Arm entgegen. "Wird Zeit, dass wir dich erst mal rein bringen, oder?"
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Why not both? Ich kam nicht dazu, das auszusprechen und machte den Mund direkt wieder zu, weil Richard schon dabei war, mir seine Meinung aufzutischen. Bestätigung wäre mir auch recht gewesen. Vielleicht sogar etwas lieber, damit ich weiter in meinem Selbstmitleid dahinsiechen konnte. Es war einfacher, als die Tatsache zu akzeptieren, dass meine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft immer wieder missverstanden oder ausgenutzt werden würden. Die Gesellschaft auf diesem Planeten war unumkehrbar kaputt und ich würde noch mehr als nur einmal Opfer davon werden. Wenn es nicht in meiner Natur lag, ein Arschloch zu sein, dann musste ich stattdessen vielleicht lernen, mir nicht mehr alles zu Herzen zu nehmen. Nichts mehr persönlich zu nehmen. Ich glaubte jedoch nicht daran, dass ich mir so einen kugelsicheren Panzer ums Herz schnallen konnte, wie der Amerikaner das tat. Dafür war ich nicht ausgelegt. “Manccch…mal wär ich gern die… Sorte Mensch, die gewis…senlos drauftreten kann.”, stellte ich nuschelnd fest und seufzte mit dem nächsten Atemzug schwer. “Sumindest bei den… falschen Leuten.”, fügte ich verspätet noch hinzu. Wohl auch nur, um mal wieder mein konstant anwesendes Gewissen zu beruhigen. Ich wollte schließlich niemanden verletzen, der es nicht verdient hatte… und Vahagn erst recht nicht. In meinen Augen würde sie immer die Richtige für mich sein. Es schien wirklich völlig egal zu sein, wie sehr sie mich verletzte – nicht mal jetzt verspürte ich das Bedürfnis, mich in irgendeiner Weise dafür zu revanchieren. Da war nicht mal ein Hauch von Rachegelüsten. Es lösten sich noch zwei einzelne salzige Tropfen von meinen Lidern, um ungehindert meine Wange runterzuwandern und schließlich von meinem Kiefer zu tropfen. Jetzt wollte ich doch nach Hause und meinen Kopf in ihr Kissen drücken. Die Russin geisterte sehr vehement durch meinen Kopf, bis der Wagen anhielt und kurz darauf ein kleiner Ruck durch meinen Körper fuhr, weil der Halt an meiner Schulter fortan von Richards Hand ersetzt werden musste. Ich versuchte mich wieder einigermaßen gerade hinzusetzen und tastete nach dem Abschnaller, weil wir unser Ziel scheinbar erreicht hatten. Ich löste gerade das klickende Geräusch aus, als der Engländer sich wieder an mich wandte. Ich drehte den Kopf in seine Richtung und versuchte seinen Sätzen zumindest mit einer Hirnhälfte zu folgen. War auch dieses Mal gar nicht so einfach. Eigentlich blieb langfristig nur das vergebens warten bei mir hängen. Möglich, dass er damit Recht hatte. Aber sagte das nicht schon wieder absolut alles über unsere Beziehung aus? “Mich nimm…mt auch nie Jemand an die Hand.”, war alles, was ich sagte, weil ich irgendwie den Fokus für eine Antwort auf die eigentliche Aussage verloren hatte. Gleichzeitig versuchte ich gezielt nach dem Arm des Engländers zu greifen und hob die Füße aus dem Auto, um daraufhin ungalant aufzustehen. Es war wieder Richard zu verdanken, dass ich nicht hinfiel. “Außer dir… du bist einer von den Guten, Richie.” Mein Ellbogen lag wieder um seinen Nacken und ich tätschelte mit dem eher schlaff hängenden Arm seine Brust. Ein verklärtes Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus, während ich meiner menschlichen Stütze dabei zusah, wie sie das Auto zumachte und für die Nacht absicherte. Wir schafften es schlurfend bis zur Haustür und ich spürte den Magendruck wieder deutlicher. “Bitte sag mir, dass du Mundssspülung hast… sonst kotz ich, weil ich… gekotzt hab.”, nuschelte ich an sein Ohr runter, weil mir das koordinierte Sprechen im Stehen wieder schwerer viel. Von Körperspannung und gerader Haltung mal ganz zu schweigen. Ich hörte den Schlüssel, der sich im Schloss der Haustür drehte und kniff ein paar Sekunden später, als Richard den entsprechenden Schalter betätigt hatte, gegen das gefühlt gleißende Licht im Flur an. Es konnte mir echt keiner erzählen, dass das schon immer so hell gewesen war.
Mit Gewissenlosigkeit ließ es sich in mancherlei Hinsicht bestimmt leichter leben, ja. Aber es machte einen dadurch nicht unbedingt sympathisch, wie man am Beispiel des Amerikaners ganz gut sehen konnte. Die meisten Menschen hatten schlichtweg Angst vor ihm. Angst davor, der Nächste auf seiner Abschussliste zu sein. Also stellten sie sich lieber gut mit ihm, wahre Sympathie konnte wohl kaum einer aufbringen. Natürlich oblag es jedem selbst, mit was er sich zufrieden gab. Wenn einem Freundschaften als Resultat von Angst ausreichend waren, dann war Gewissenlosigkeit sicher ein Segen. Ich für meinen Teil schätze jedoch noch die alte Schule, wo man aus Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft ein solides Fundament goss, um dieses über Jahre hinweg mit Respekt und Kompromissbereitschaft zu pflegen. Und wenn ich Tauren richtig einschätzte, dann sah er das bisweilen ähnlich. Es wäre schade, hätte Vahagn seine Sicht der Dinge mit ihren Aktionen in jüngster Vergangenheit zunichte gemacht, aber noch schien nichts unwiderruflich verloren. Ein bisschen Zuspruch hier und da könnten Schlimmeres vielleicht noch verhindern. Die Kraft schien den Norweger allmählich zu verlassen. Die Müdigkeit schien so langsam über ihn hereinzubrechen. Anders konnte ich mir nicht erklären, warum plötzlich ein gutes Stück mehr Gewicht auf meinen Schultern lastete, als ich mir wieder seinen Arm um meinen Hals gelegt hatte und nach Abschließen des Wagens langsam den Weg zur Haustür eingeschlagen hatte. Auf etwa halben Weg stieg mir ein beinahe unerträglicher Geruch von Magensäure in die Nase, als Tauren seinen Kopf mit ein paar wirren, aber irgendwie auch süßen Worten in meine Richtung drehte. Der Gedanke daran, wie bescheuert wir gerade aussehen mussten, in Kombination mit den amüsanten Aussagen des jungen Mannes, ließ mich verhältnismäßig laut, aber durchweg ehrlich und amüsiert lachen. "Scheiße man, das tut gut zu hören. Danke!", bedankte ich mich für die netten Worte zu meiner Person und das akustisch längst verebbte Lachen schwang in den Worten nach. Ich konnte zwar mit Sicherheit sagen, dass auch ich keine weiße Weste hatte und durch meine Hand auch schon einige Menschen gestorben waren, oder ihr Geld verloren hatten, aber ich gab mir immerhin Mühe, mich zu bessern. "Mach dir keine Sorgen, ich bin bestens ausgestattet. Eine frische Zahnbürste und Mundspülung habe ich noch da... und alter, das hast du auch dringend nötig.", zog ich ihn auf, dass sein Mundgeruch quasi nicht zu überriechen war. Zum Untermauern meiner Worte fächerte ich mit einer Hand symbolisch unter meiner Nase die Luft hin und her. An der Haustür angekommen, kramte ich den Schlüssel aus meiner Tasche hervor und wenig später hatten wir es dann endlich ins Innere geschafft. Ich stieß einen tiefen Seufzer aus, kurz nachdem ich Tauren auf dem Sofa zwischen geparkt hatte. Mit kreisenden Bewegungen der Schultern versuchte ich einem verspannten Rücken morgen früh etwas entgegen zu wirken. Mein Blick fiel dabei auf Bandit, der unweit der Couch seinen Schlafplatz für die Nacht bezogen hatte und sich als Reaktion auf die plötzliche Helligkeit verschlafen streckte. Noch schien es nicht zu ihm durchgedrungen zu sein, dass ein Fremder gerade das Haus betreten hatte. "Ich mache dir das Gästezimmer fertig, dann helfe ich dir noch ins Bad.", teilte ich meinem Freund mit, wie der weitere Plan lautete, bevor ich die Arme in die Hüften stemmte und Tauren für wenige Sekunden mitleidig ansah. "Und hey... um noch mal darauf zurückzukommen. Du bist toll, so wie du bist. Und ich bin mir sicher, dass sich bald schon wieder alles zum Guten wenden wird. Wenn du nicht daran glaubst, dann tue ich es für dich." Mit diesen Worten wandte ich mich schließlich zum gehen, um zielstrebig das Gästezimmer anzusteuern, welches ich seit Cosmas Auszug nicht mehr betreten hatte.
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“Gern geschehn.”, grinste ich verstrahlt vor mich hin. Einfach, weil es mich immer freute, wenn ich jemanden zum Lachen brachte und so Glücksgefühle auslöste. Lachen war gesund, wissenschaftlich anerkannt. Im Gegenzug hatte der Engländer sogar Zahnbürste und Co. für mich, das war ein in meiner Situation extrem lohnenswertes Geschäft. “Hab ich befürchret.”, gestand ich das absolut offensichtliche ein, im Hinblick auf die unumstrittene Tatsache, dass ich wahrscheinlich zehn Tequila gegen den Wind stank. Eher schlimmer. Meine Augen kämpften noch immer ein wenig mit der Beleuchtung, als mein Hintern auf dem Sofa landete und mein Körper stumpf an die Lehne kippte. Richard erklärte mir noch, dass er sich um mein Bett für die Nacht kümmerte, bevor er mich ins Badezimmer schleifen konnte. Ich nickte bloß leicht und hob die rechte Hand, um mir wenig zielgerichtet die langen Haare nach hinten aus der Stirn zu streichen. Die halfen zwar gegen das Licht, dafür sah ich aber auch sonst nicht mehr viel. Dabei setzte der junge Mann erneut zum Reden an und meine gläsernen Augen suchte nach seinen. Ich lächelte müde, aber ehrlich. Es war leider nicht Richards Anerkennung und Zuspruch, den ich eigentlich wollte. Er meinte es trotzdem gut, da war ich sicher. Ich konnte gerade leider nur das Meer aus Scherben um mich herum sehen und nicht, wie daraus jemals wieder ein Spiegel werden sollte, in den ich gerne hinein sah, obwohl Vahagn vielleicht nie wieder nach dem Aufstehen neben mir vor dem Waschbecken stehen würde. Keine Ahnung, wie das wieder gut werden konnte. Ich stöhnte angestrengt und machte die Augen zu, rutschte tiefer ins Polster. Es dauerte eine kleine Weile, dann spürte ich plötzlich etwas an meinen Haaren. Ich zog den Kopf zur Seite weg und sah schräg nach hinten zur Sofalehne. Ein schwarzes Fellknäuel mit Gesicht streckte sich nach mir aus und schnupperte. “Lass’ das lieber.” Ich spürte den Atem der Katze im Gesicht, als sie meinem Gesicht noch näher kam. Dann roch ich Katzenfutter und verzog die Nase, bevor ich unbeholfen die Hände nach dem Tier ausstreckte. Ich spürte nicht, dass der Kater mich kratzte, als er verzweifelt nach Halt suchte, weil ich durch die zu schräge Körperhaltung schließlich an der Lehne runterrutschte und ihn dabei mitriss. Ich hielt ihn noch mit den Vorderpfoten in der Luft über meinem Oberkörper, die hinteren Tatzen parkte er auf meinem Bauch und schlug unruhig mit dem Schwanz. “Diiiir putzzz ichauchdie Zähne. Wo hat Rischie dich denn ausegraben?” Ganz egal, woher der Pelzträger kam und seit wann er hier wohnte – falls ich an Weihnachten wirklich alleine war, musste ich ihn mir vielleicht ausleihen.
**ZS vong ~2,5 Wochen her**
Ich erinnerte mich noch bestens an den kleinen, aber immer sehr aufwendig geschmückten Weihnachtsbaum, der immer im Wohnzimmer der WG gestanden hatte. An die durchzechten Nächte auf Moskaus großem Weihnachtsmarkt und an all die Lichter, die überall in der Großstadt geleuchtet hatten. Mein Herz blutete, wenn ich nur daran dachte, dass inzwischen wohl keine meiner beiden Mitbewohnerinnen mehr lebte und dass das definitiv meine Schuld war. Ich hatte – hauptsächlich wegen Sam, mit dem ich mich beinahe täglich unterhielt, mitunter um mein Spanisch zu verbessern, wenn auch oft nur übers Handy – kurz darüber nachgedacht, ob ich nicht im Andenken an die beiden jungen Frauen zumindest ein bisschen weihnachtlich schmücken sollte. So, wie wir das sonst immer zusammen getan hatten. Als ich mit Iljah darüber sprach, wie er dem ganzen Fest eigentlich gegenüberstand, verging mir allerdings prompt die Lust darauf. Ich half stattdessen also nur Samuele dabei, Richards Wohnzimmer zu verunstalten – auch der Engländer war augenscheinlich ein Weihnachtsmuffel – weil ich keinen Sinn darin sah, ganz allein Zuhause in der Deko rumzuhocken. Das machte mich mehr depressiv als was anderes und ich versuchte eigentlich wirklich, wieder was aus mir zu machen. So schön es auch war, dass Iljah meinen Unterhalt im Grunde gänzlich bezahlte und mir sogar trotzdem auch noch kleine Geschenke zu Weihnachten machte, fühlte ich mich mit jedem weiteren Tag noch schlechter deswegen. Ich konnte ihm nichts zurückgeben, außer meine Liebe… und ja nicht mal das, weil er so selten hier war. Nicht, dass ich das nicht verstand: Seine Geschäfte betrieb er nunmal in Russland und das auf die andere Seite des Globus zu verlegen, war vielleicht nicht unmöglich, aber es würde ewig dauern. Zeit, von der ich das Gefühl hatte, dass wir sie eigentlich nicht hatten. Unsere Beziehung war noch weit entfernt von Stabilität und ihn nur alle paar Monate mal zu sehen, machte mich wahnsinnig. Zwischenzeitlich ging ich ihm richtig auf die Nerven. Zehn Nachrichten in zehn Minuten, obwohl er noch gar nicht auf die erste davon geantwortet hatte. Zu häufiges Nachfragen, ob er schon wusste, wann ich ihn wiedersehen konnte. Ständiges Erkundigen, was er so machte… außer Arbeiten natürlich. Ich vertraute ihm… zu 99%. Er hatte mir leider etwas zu deutlich bewiesen, wie sehr er die Jagd nach unnahbaren Frauen genoss, als dass ich mir jetzt so gar keine Sorgen darum machen musste. Ich überschüttete ihn mit so viel Liebe, Zuneigung und Sex, wie ich konnte, solange er hier bei mir war. Aber reichte das für all die Tage in zweistelliger Anzahl dazwischen, die er im entfernten Moskau totschlagen musste? Außerdem schlief ich wieder ziemlich beschissen. Wenn es nicht meine Paranoia war, die ihn mich im Traum fremdgehen sehen ließ, dann waren es Flashbacks aus dem Sorokin-Keller, Erinnerungen an die von mir getöteten Junkies oder die Leichenteile, die an Iljahs Haustür geliefert worden waren. Weil ich am heutigen Jahresende besonders launisch war und mein Kopf einfach ums Verrecken nicht die Klappe halten konnte, ließ ich es mit dem Einschlafen um 22.30 Uhr wieder sein und schlug mit einem Stöhnen die dünne Decke von meinem Körper. Sah auf die leere Betthälfte neben mir, dann mit einem tiefen Atemzug zurück an die Decke. Iljah schlief, Moskau hatte den Jahreswechsel längst hinter sich. Ihn jetzt aufzuwecken war auch keine Lösung, damit würde ich ihm nur den nächsten Morgen versauen. Eigentlich hatte ich mich bewusst dafür entschieden, heute nicht rauszugehen, weil es mich nervte, dass ich Iljah beim Feiern nicht dabei haben konnte. Liegenbleiben und stumm innerlich am Rad drehen war langsam jedoch auch keine gesunde Option mehr. Ich stand russisch fluchend auf, zog mir die Schlafklamotten aus und schmiss sie aufs Bett, bevor ich in meinem Kleiderschrank wühlte. Eine schwarze Leggings, ein kurz geschnittener schwarzer Hoodie und meine schwarzen Martens begleiteten mich aus dem Haus, nachdem ich mich mittels kurzer Nachricht an Cosma versichert hatte, dass Hunter heute nicht plante, sie in der Bar zu besuchen – ihn zu meiden war noch immer eine meiner höchsten Prioritäten. Hier am Rande der Stadt waren Busverbindungen um diese Uhrzeit leider ziemlich rar gesät, weshalb ich mir mittels Handy ein Taxi für zwei Blocks weiter bestellte. Auf dem Weg dorthin bündelte ich die langen schwarzen Haare in einem lockeren hohen Zopf, damit sie mich nicht nervten. Das Taxi kam sowas wie pünktlich und ich stieg ein. Der Fahrer war noch recht jung und die Unterhaltung verlief dank meinem noch verbesserungswürdigen Spanisch etwas holprig. Ich erkannte dennoch sehr schnell, dass er mit mir flirtete und beschloss im selben Moment, die Fahrt nicht zu bezahlen. Also dirigierte ich ihn nicht direkt zur Bar, sondern in eine relativ nahe Straße. Cosmas Tresen lag relativ zentral in einer der am besten besuchten Fußgängerzonen. Es bot sich also sowieso an und ich brauchte gottverdammt nochmal irgendeinen Kick. Irgendwas, dass mich davon ablenkte, dass ich nicht so leben wollte, wie es unumstößlich der Fall war. Ich tat so, als würde ich in der kleinen Fronttasche des Pullovers nach dem Geld tasten, bevor ich die Beifahrertür aufschmiss und los rannte. In Moskau hatte ich das öfter mal gemacht, hier aber noch nie. Unauffällig musste ich mich verhalten, hatte Hunter gesagt. Ich fand, dass einen Taxifahrer um sein verdientes Geld zu bescheißen, irgendwie nicht dazu gehörte. Schließlich hatte das mit dem Amerikaner absolut gar nichts zu tun. Das Kardiotraining der letzten Wochen zahlte sich auf jeden Fall aus, aber ich atmete trotzdem noch stoßartig, als ich über beide Ohren grinsend die Bar betrat. Das Adrenalin kochte noch in meinen Adern, als ich mich unweit des Rotschopfes an die Bar setzte, die Ellenbogen auf den Tresen schob und den Kopf in die Hände stützte. “Kannst du Pause machen?”, fragte ich Cosma mit einem lieblichen Blinzeln. Wir hatten uns öfter mal getroffen, seit wir uns kennengelernt hatten. Es schien sie nicht wirklich zu kümmern, dass ich in Russland ein linkes Spiel getrieben hatte und sie nahm mich so, wie ich war – manchmal super-anstrengend mit mindestens zehn lockeren Schrauben, die bei stärkeren Turbulenzen den Halt verlieren könnten. Genau deswegen kam ich mit meinem Anliegen auch zu ihr und nicht zu Sam. Weil die Bar gut besucht war, würde es sicher nicht einfach werden, sie davon zu überzeugen, ihre Angestellten an diesem umsatzstarken Tag allein zu lassen. Wenn ich ein Ziel vor Augen hatte, dann war ich bekanntlich aber auch nicht mehr so leicht davon abzubringen.
Auf möglichst leisen Sohlen schlich ich mich an meinem Schlafzimmer vorbei ins Gästezimmer. Um den Lärmpegel beim Neubeziehen des Bettes möglichst wenig nach außen zu tragen, schloss ich hinter mir die Tür und kramte anschließend aus dem nahegelegenen Schrank einen Satz frische Bettwäsche. Etwa fünfzehn Minuten durchgehendes Fluchen später war es dann endlich vollbracht und ich verließ mit der benutzen Dreckwäsche unter dem Arm den Raum. "So, das Bett ist be...", setzte ich an, unterbrach jedoch, als ich im Wohnzimmer angekommen nicht viel mehr als Bandit und ein Paar ausgestreckter Arme sah. Vom Rest des Norwegers fehlte förmlich jede Spur. Fragend legte ich den Kopf schief, als ich das Sofa umrundete und Tauren mitsamt des Katers in den Händen auf dem Boden sitzen sah. Besagter Anblick entlockte mir ein wahrscheinlich viel zu lautes Lachen. Hoffentlich hatte ich Sam damit jetzt nicht geweckt. "Was ist denn hier passiert?", fragte ich amüsiert. Zumindest war ich das so lange, bis ich die Schnittverletzung ins Auge fasste, aus der sich ein paar Bluttropfen zu lösen drohten. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich eins und eins zusammengezählt hatte, dann schmiss ich die Dreckwäsche neben dem Norweger auf das Sofa, um ihm anschließend das Fellknäuel aus der Hand zu nehmen. Er kam so schon kaum alleine auf die Beine, mit dem Kater zusammen brauchte er es also gar nicht erst versuchen. Ich setzte den liebevollen Krüppel, den ich über die letzten Wochen hinweg wirklich lieben gelernt hatte, mit allen vier Pfoten auf dem Boden ab und strich ihm beruhigend über den Kopf. Nachdem er sich ein, zwei Mal an meinen Beinen gerieben hatte, suchte er dann auch lieber das Weite. Wollte nicht noch mal Opfer der unkoordinierten Handlungen des Norwegers werden und brachte sich deshalb lieber in Sicherheit. Wehleidig sah ich ihm nach. Er traute Fremden ohnehin schon nicht über den Weg, direkt bei der ersten Begegnung einen Schock verpasst zu bekommen, half ihm sicher nicht, seine Schüchternheit auf lange Sicht abzulegen. Mein Blick wanderte wenig später zu Tauren zurück und ich begutachtete noch einmal die Kratzspuren, die ich mindestens mal mit einem Pflaster versorgen musste. Desinfizieren konnte auch nicht schaden. "Du machst es mir heute aber auch wirklich nicht leicht.", stellte ich schief grinsend fest, als ich mich wieder unter seinem Arm einhakte, um ihm beim Aufstehen zu assistieren. Die letzten paar Minuten würden wohl noch abenteuerlich werden, aber sobald es der junge Mann ins Bett geschafft hatte, konnte auch ich endlich abschalten. Mich zu Sammy ins Bett gesellen und mir meine wohlverdienten Kuscheleinheiten abholen, die ich gerade irgendwie ganz gut gebrauchen konnte. Vorausgesetzt, ich hatte ihn jetzt nicht geweckt und er war deshalb nicht sauer auf mich.
Dezember war schon immer mein liebster Monat im Jahr gewesen. Zwar konnte ich auf den zentimeterhohen Neuschnee, der einen um diese Jahreszeit in Norwegen das Leben teilweise zur Hölle gemacht hatte, wirklich gut verzichten, aber für den Umsatz der Bar war die Weihnachtszeit ein echter Segen. Es flüchteten sich schon seit jeher etliche Menschen an meinen Tresen, um ihren Frust wegen zerrütteten Familienverhältnisse und der daraus resultierenden Einsamkeit während der Feiertage in Alkohol zu ertränken. Später am Abend gesellten sich noch einige weitere hinzu, die nach der Bescherung noch einen Absacker tranken, um die stundenlangen Unterhaltungen mit Freunden und Verwandten über Religion und Politik zu verarbeiten und ein wieder anderer Teil kümmerte sich um die Festlichkeit allgemein einen feuchten Dreck. Wollte, wie an jedem anderen Wochentag auch, einfach nur ein Bier trinken. Das ließ die Kasse natürlich ordentlich klingeln, bedeutete im Umkehrschluss aber auch mehr Arbeit. Aus dem Grund hatte ich heute alle meine Angestellten in die Bar bestellt, um dem erhöhten Arbeitsaufkommen gerecht zu werden. Durch den Profit konnte ich die Bar an einem anderen Tag dann problemlos schließen, um so wiederum den wohlverdienten Freizeitausgleich gewährleisten zu können. Ich war schon eine ganze Weile auf den Beinen, hatte ich vor meiner Schicht doch noch etwas Zeit mit Hunter verbracht - mit dem es sich die letzten Wochen im Übrigen sehr gut leben ließ; die Pillen schienen wahre Wunder zu wirken - und entsprechend spürte ich den ganzen Stress schon ein wenig in den Knochen, als ich Irinas Nachricht vor wenigen Minuten gelesen hatte. Seitdem erwartete ich den schwarzhaarigen Wirbelwind jede Minute durch die Tür schneien. Sie schien allerdings ein ausgeprägtes Gespür dafür zu haben, genau dann aufzutauchen, wenn ich ihr gerade den Rücken zuwandte oder sie aus anderen Gründen nicht kommen sah. In diesem Fall hatte ich gerade das Eisfach unter der Theke aufgefüllt und es damit ein wenig zu gut gemeint. Einige Eiswürfel waren daneben gegangen und ich kümmerte mich gerade um die Beseitigung der Pfütze, als die Russin ihren Platz am Tresen bezog. Aufgrund von Hunter und einigen anderen Menschen war ich zwar nicht mehr besonders schreckhaft, zuckte aber trotzdem kurz zusammen, als ich beim Aufrichten plötzlich in die dunkelbraunen Augen der jungen Frau sah. "Mein Gott, erschreck' mich doch nicht so.", gab ich ihr lachend zu verstehen, dass sie meinem Herz gerade einen ungesunden Aussetzer verpasst hatte, bevor ich die nassen und sicherlich auch schmutzigen Lappen mit einem gekonnten Wurf in ein dafür vorgesehenes Behältnis beförderte. "Hast du gerade Jemanden überfallen oder warum atmest du so schwer?", ergänzte ich noch eine Frage bezüglich ihrer unregelmäßigen Atmung und kam ihr dabei über den Tresen ein wenig entgegen, damit ich nicht ewig gegen die laute Musik anbrüllen musste und sie zudem besser verstehen konnte. Was Irinas Frage anging... na ja. Ein Blick über die sich in kleinen Grüppchen verteilten Menschenmassen sprach eigentlich gegen eine Pause, aber ich hatte schon geahnt, dass die Russin irgendetwas vorhatte. Sonst hätte sie mir schließlich kaum geschrieben. In weiser Voraussicht hatte ich daher einer meiner Angestellten, Anita, bereits wissen lassen, dass sie den Laden auf mein Zeichen hin für einen Moment übernehmen musste und ich war mir sicher, dass der Schuppen nicht in sich zusammenbrechen würde, wenn ich mal kurz weg war. Besagtes Zeichen gab ich der jungen Polin und wandte mich dann wieder mit einem Nicken meiner neu gewonnenen Freundin zu. "Willst du was trinken?", fragte ich und angelte mit der rechten Hand bereits blind nach einem Glas. Selbst wenn Irina keinen Drink wollte, würde ich mir wohl einen genehmigen. Ich wusste nicht, was der Anlass des so spontanen Besuchs der jungen Frau war, hatte ich doch vermutet, dass sie an Heiligabend vielleicht bei Richard und Sam war, wo Iljah doch nicht hier war, um mit ihr Weihnachten zu feiern. Und für den Fall, dass sie irgendwelche Dummheiten anstellen wollte, musste ich mich erst mit etwas Alkohol bewaffnen. Ich hatte mich mit Irina über die letzten Wochen hinweg zunehmend mehr angefreundet und verbrachte gerne Zeit mit ihr. Sie war eine nette Abwechslung in meinem sonst eher von Männern dominierten Alltag und ich schätzte daher ihre spontanen Besuche in meiner Bar. Man konnte sich gut mit ihr unterhalten und lachen erst recht, was vermutlich an der Gehirnzelle, die wir uns scheinbar teilten, lag.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #