Er ist auf jeden Fall leichter zu schlucken als dein Ego, dachte ich. Nach außen hin reagierte ich lediglich mit dem nicht viel aussagenden Wort “Manchmal.” und legte dabei einen gespielt nachdenklichen Blick auf. Der Wein tat mir nie weh, der Wein war nie gestresst und ließ seine Laune dann an mir aus, der Wein war immer für mich da. Dieses Rennen gewann die alkoholische Flüssigkeit klar, ohne sich ins Zeug legen zu müssen. Trotzdem waren Iljahs Lippen für mich der süßeste Geschmack überhaupt. Die machten mich süchtiger, als es der Wein je geschafft hatte. Es wunderte mich jedoch, dass der Tätowierte in dieser Sache einen Spaß über sich selbst machte. Das hieß dann ja, dass er ganz genau wusste, wie er sich zeitweise verhielt und dass es stellenweise nicht in Ordnung war, nur um es dennoch zu tun. Auch darüber dachte ich aber natürlich lieber später weiter nach, weil ich die letzte Person auf diesem Planeten war, die Zweisamkeit mit Iljah jemals den Rücken kehren würde. Ich wartete schon seit Wochen nur darauf. Schlimm genug, dass wir zuerst wieder einen Streit ausfechten mussten und uns damit selbst im Weg standen. Dass ich allein der Auslöser dafür war, mal dahingestellt. Ich hatte meine Gründe, er hatte seine. Dasselbe Szenario wie bei fast jedem unserer Streits. Ich wartete, bis der junge Mann saß, um mich dann ohne Umschweife direkt neben ihn zu setzen. Solange er noch dabei war, den Stress körperlich loszuwerden und den Kopf in dieser Zeit auf der Lehne ablud, drehte ich mich ihm mit dem Oberkörper aber trotzdem schon zu. Streckte meine Hand mit dem Ellbogen über der Lehne nach seinem Kopf aus, um sanft durch sein Haar zu streicheln und so vielleicht die offensichtliche Spannung von ihm zu nehmen. Von da aus ließ ich meine Finger irgendwann hinter seinem Ohr nach unten wandern, weiter abwärts bis zu dem strammen Muskeln, der sich vom seinem Hals bis zur Schulter spannte. Als er den Kopf schließlich anhob, schob ich meine Finger in seinen Nacken und musste unwillkürlich lächeln, als er nach meinen Beinen griff. Obwohl die Worte, die ihm danach Stück für Stück über die Lippen kamen, sehr ernster Natur waren, konnte ich nicht anders, als unter seinen Berührungen weiter zu lächeln. Ich liebte es, wenn er meine Nähe aus freien Stücken ganz für sich beanspruchte und mir dabei auch noch zeigte, wie liebevoll er sein konnte, wenn er sich nur erstmal den Ruck dazu gab. Perfekter Zunder für meine Illusion perfekter Liebe. Scheinbar hatte Tauren, den ich nach wie vor nur ziemlich flüchtig kannte, Iljah ordentlich ins Grübeln geworfen. Ich war damals nicht dabei gewesen, als Michail den Messerstich kassiert hatte und konnte das Ganze nicht gut beurteilen. Denn wenn ich ganz ehrlich war, dann hatte ich schon allein deshalb gerne einen Bogen um Iljahs Freund gemacht. Ich wusste, dass die beiden sich ewig kannten, dass Vahagn mal mit Michail zusammen gewesen war und was der Grund dafür war, dass Tauren einst auf ihn losgegangen war. Das alles kumuliert mit der Tatsache, dass ich Männern im Allgemeinen nicht gerade vertrauensselig gegenüber war, reichte völlig aus, um nicht viel Zeit mit Michail verbringen zu wollen. “Hmm…”, dachte ich laut nach und verzog das Lächeln dabei dann doch langsam. Ich senkte den Blick von dem kleinen Kreuz unter seinem Augenwinkel auf Iljahs Brust. “Ich weiß nicht. Ich meine, ich kenne Vahagn nicht besonders gut. Tauren auch nicht, er begegnet mir hier selten.”, stellte ich allem voran fest, dass ich vielleicht kein so guter Ratgeber in dieser Sache war. “Aber deine Schwester hat ganz generell eine sehr… verschlossene Persönlichkeit. Wenn sie nicht wollte, dass du… irgendwas siehst, dann zieht sie das bestimmt sehr konsequent durch. Sie schubst dich ja manchmal genauso weg, wie sie das bei mir macht.” Vahagn hasste mich. Sie war so ziemlich die letzte Person, die mich an sich heranlassen würde. Ich hatte bisher nur selten so extreme Abwehrmechanismen zu spüren gekriegt, wie bei ihr. Man nahm dann freiwillig Reißaus, weil es schnell unerträglich für das eigene Gemüt wurde. In meiner eigenen Beziehung war ich zwar definitiv diejenige, die häufiger herum jammerte, aber sogar Iljah hatte zwischenzeitlich schon bei unseren Telefonaten verlauten lassen, dass seine Schwester sich sehr extrem verhielt, seit sie nach Hause zurückgekommen war. “Warst du schon ins Familiengeschäft verwickelt, als sie was miteinander hatten?” Falls ja, war das sicher ein weiterer möglicher Grund dafür, warum Iljah etwas nicht aufgefallen sein könnte und warum sie sich so voneinander entfernt hatten. Stress und wenig Zeit im Alltag ließen sehr viele Dinge untergehen. Er war ständig und viel unterwegs und kam selten wirklich zur Ruhe, wenn er nicht gerade hier bei mir war. “Tauren wirkt auf mich bisher eigentlich vernünftig… aber Richard hat schon häufiger erwähnt, dass er nicht so ist wie die meisten anderen Männer in diesem Umfeld. Er scheint ziemlich sensibel zu sein, vielleicht interpretiert er da wirklich zu viel rein. Sieht einfach das, was er sehen wollte… vielleicht nur Eifersucht.” Ich zuckte etwas ratlos mit den Schultern und kraulte Iljah weiter den verspannten Nacken und versuchte mich dabei an die Zeit zurückzuerinnern, in der ich bei ihm gewohnt hatte. Das war nicht sehr lange gewesen, nur ein paar Wochen. Die meiste Zeit davon hatte ich mich um Iljahs Verletzungen gekümmert und ihn unterstützt, damit er sich schnell von der Folter erholte. Erst als er nach einer Weile einigermaßen fit war und dementsprechend angefangen hatte, das Haus wieder zu verlassen, war ich selten mal mit Michail allein gewesen. Während ich über genau diese rar gesäten Momente nachdachte, zog ich die Augenbrauen ein bisschen tiefer und hielt plötzlich mit den Fingern in Iljahs Nacken inne. “Andererseits… war Michail manchmal wirklich ein wenig seltsam, wenn ich mit ihm alleine war.”
Pain? I Love It. Anything else can be fake - happiness, crying, smiles, hugs... even the sweetest kisses. But Pain? Daaamn, that shit's real.
Es waren Unterhaltungen wie diese, die ich an der Beziehung mit Irina am meisten schätzte. Wenn wir uns nicht stritten, sondern entspannt gemeinsam auf dem Sofa saßen oder im Bett lagen, Zärtlichkeiten austauschten und über Gott und die Welt sprachen. Wenn ich einfach abschalten und loslassen konnte, ohne Angst haben zu müssen, dass sie mich auslachte, weil ich ihr mein Herz ausschüttete. Bisher gab es nur eine einzige Person neben Irina, mit der ich auf dieser Ebene Konversationen hatte führen können und dieser Mensch war niemand geringeres als meine Schwester gewesen. Damals eben, bevor der geschwisterliche Zusammenhalt nach und nach in die Brüche gegangen war. Es tat entsprechend gut, sich endlich mal wieder etwas Ballast von der Seele reden und sich eine Meinung oder Eingebung einholen zu können. Außerdem waren die Streicheleinheiten, die mir Irina währenddessen immer zuteil kommen ließ, Balsam für meine kaputte Seele. So gab ich mich auch dieses Mal bereitwillig den sanften Berührungen der Russin hin, während meine eigenen Finger auf ihrer Haut ein paar Kreise zogen. Eine ganze Weile sah ich Irina nicht an, hielt meinen Blick stur nach vorne gerichtet, als sie mir ihre Sicher der Dinge schilderte. Dabei analysierte ich jedes ihrer Worte akribisch in Gedanken, nickte hin und wieder nur zustimmend, war ansonsten aber eher ruhig. Ich zog hier und da ein paar Schlüssel, überlegte, was am wahrscheinlichsten war, nur um wenig später zu der ernüchternden Erkenntnis zu kommen, dass trotz all der Überlegungen trotzdem noch zwei von ihr angesprochene Szenarien im Rennen waren: Entweder es war tatsächlich etwas passiert und ich war zu beschäftigt gewesen, denn ja, das war auf jeden Fall zu der Zeit, wo ich schon im Familiengeschäft tätig war oder Tauren war wirklich nur eifersüchtig. Hatte zu viel hineininterpretiert, weil sich Vahagn nie gegen die Berührungen von Michail zur Wehr gesetzt hatte, obwohl sie schon immer eine sehr willensstarke Frau gewesen war. Mir fiel auf, dass ich mich mit der Zeit zu sehr in meinen Gedanken verrannt und Irina deshalb seit einer ganzen Weile keine Antwort gegeben hatte. "Sorry... ich war gerade irgendwie in Gedanken versunken.", entschuldigte ich mich dafür, dass sie kurzzeitig Selbstgespräche hatte führen müssen, weil ich so still geworden war. Anschließend setzte ich dazu an, meine Gedanken zu ihren Vermutungen mit ihr zu teilen. "Du hast schon Recht. Vahagn ist schon etwas speziell, aber sie war noch nie auf den Mund gefallen. Ich wüsste nicht, warum sie mir das hätte verschweigen sollen. Damals war sie auch noch nicht... naja, so distanziert. Wir hatten eigentlich ein gutes Verhältnis.", murmelte ich nachdenklich. Das ergab einfach keinen Sinn. Andererseits... wenn ich so darüber nachdachte, dann hatte sich ihr Verhalten erst nach der Trennung so stark verändert. Nachdem ich ihr wieder und wieder einzureden versucht hatte, dass Michail ein toller Kerl war und sie fantastisch zusammengepasst hatten. Dass sie dumm gewesen war, ihn abgeschossen zu haben. War ich mit dieser Aussage vielleicht einen Schritt zu weit gegangen? Hatte ich Michail so sehr in Schutz genommen, dass Vahagn befürchtete, ich würde ihr nicht glauben, wenn sie mir erzählte, was er ihr im Nachhinein alles angetan hatte? Gut möglich. Ich konnte mich sehr gut daran erinnern, dass der Stress mir damals sehr zugesetzt hatte. Es war daher gar nicht so unwahrscheinlich, dass ich meiner jüngeren Schwester oftmals ziemlich entnervt gegenübergestanden hatte. In Kombination mit der Tatsache, dass ich Tauren eigentlich auch als niemanden einschätzte, der voreilige Schlüsse zog, dämmerte mir langsam, dass ich wirklich einen unverzeihlichen Fehler begangen zu haben schien. Und als ich diesen realisierte, wandte ich den Blick von meiner Freundin ab, starrte auf meine zur Ruhe gekommenen Hand auf Irinas Bein. Worte konnten nicht beschreiben, wie ich mich innerlich gerade fühlte. Eine sehr ungesunde Mischung aus Selbsthass, Wut und Verzweiflung fraß sich durch jede einzelne Zelle meines Körpers und zum ersten Mal seit ewigen Zeiten, wusste ich nicht mehr wohin mit meinen Emotionen. Einerseits kochte es in mir, andererseits war mir zum Heulen zumute. Einzig und alleine die noch folgenden Worte der Schwarzhaarigen stabilisierten den Damm, der wenig später vermutlich gebrochen wäre. Statt Tränen loderte jetzt eine Flamme der Wut in meinem Augen, als ich Irina wieder ansah, kurz nachdem sie mir mitteilte, dass Michail sich auch ihr gegenüber schon einmal auffällig verhalten hatte. "Inwiefern seltsam?", wollte ich bestimmt wissen und verkrampfte mich im selben Augenblick etwas. War quasi sofort bereit dazu, mich noch heute um den Rückflug nach Russland und die Beseitigung dieses Parasiten zu kümmern, wenn er es ernsthaft für eine gute Idee gehalten hatte, nicht nur meiner Schwester, sondern auch meiner Liebsten zu nahe gekommen zu sein. Sollte Irina die Vermutung Taurens bestätigen, würde sehr, sehr bald ein Kopf rollen.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Ich schüttelte sofort ein wenig den Kopf und mein linker Mundwinkel zuckte nach oben, als Iljah sich für die aufgekommene Stille entschuldigte. Das musste er nicht. “Ist nicht schlimm.”, räumte ich die Sache sofort mit einem sanften Lächeln aus der Welt. Ich konnte überdeutlich sehen, dass sich im Kopf des hochgewachsenen Russen gerade unheimlich viele Zahnräder drehten und ich konnte mir gut vorstellen, mit welchen schwerwiegenden Selbstvorwürfen er sich gerade herumschlug. Da war es nun wirklich kein Wunder, dass er hier und da einen Moment länger brauchte, um sich zu sortieren. Ihn so zu sehen, war selbst für mich ungewohnt. Iljah öffnete sich nur selten so weit, dass man ihm die Emotionen tatsächlich gut aus dem Gesicht lesen konnte – doch gerade war so ein Moment und ich war die letzte, die das durch Ungeduld kaputt machen würde. Schließlich wollte ich nicht, dass er sich gedrängt fühlte und dann erst recht dicht machte. Er sollte sich sicher bei mir fühlen, immer. “Das stimmt allerdings…”, bestätigte ich Iljah murmelnd darin, dass seine Schwester sich für gewöhnlich lautstark Luft machte. Ich hatte irgendwann aufgehört, zu zählen, wie oft sie mich angeschrien hatte, obwohl ich ihr gar nichts getan hatte, in der Zeit, als sie und Hunter beide noch in Russland waren, nach dem Angriff auf die Sorokin-Villa. Das war aber der einzige Punkt, bei dem ich Iljah in dieser Sache zustimmen konnte. Als eine Frau, die selbst schon unzählige Male ohne Einwilligung angefasst wurde, konnte ich ihm aus erster Hand bestätigen, dass keines von uns Opfern gerne darüber sprach. Mit niemandem. Nicht mit Freunden und auch nicht mit Familie. Noch weniger mit der Polizei, weil die Beweise wollte, die man oft nicht mehr hatte, wenn man sich zu diesem Schritt erstmal überwunden hatte. Es wurde einem nicht geglaubt, man wurde belächelt, einfach nicht ernst genommen. “Aber ich kann dir aus jahrelanger Erfahrung sagen, dass keine Frau in so einer Lage gerne darüber redet. Mit niemandem… nicht einmal mit Gleichgesinnten.”, gab ich ihm nach kurzem Schweigen leise seufzend eine Sache zu bedenken, die er als Mann niemals erleben und vielleicht auch nur schwer nachvollziehen konnte. Ich hatte mit unzähligen Zwangsprostituierten unter einem Dach gelebt und alles davon mitbekommen. Keine sprach es direkt aus, aber wir konnten es alle aus einem tränenüberströmten Gesicht lesen, wenn wir es sahen. Was mich selbst in dieser Hinsicht anging, sprach ich dabei gar nicht über die hässliche Nacht, die Iljah und ich miteinander gehabt hatten. Doch sogar die begrub ich neben all den anderen traumatischen Nächten, die ich erlebt hatte, unter so viel Schutt, wie ich in mir nur auftreiben konnte, um so zu tun, als wäre es nie passiert. Egal, wem ich das erzählen würde – jeder würde mir sagen, dass ich Iljah in den Wind schießen sollte und mich fragen, ob ich komplett bescheuert war, trotzdem bei ihm zu bleiben und sogar meine ganze Existenz für ihn wegzuschmeißen, nachdem es schon passiert war. Ich wollte nichts davon hören und keinen dieser Blicke ertragen müssen, nur weil ich das Risiko in Kauf nahm, dass es nochmal passierte. Ich wusste auch so schon, dass mit mir was nicht stimmte und brauchte keine äußere Bestätigung dafür. Als Iljah mich auf die von mir ausgestreute Saat hin sofort wieder ansah und sein immer verzweifelter gewordener Gesichtsausdruck sich von einer auf die nächste Sekunde komplett stählerte, sich sein ganzer Körper unter meinen Finger verspannte, wurden meine Augen größer. Nicht, weil ich fürchtete, ihn verärgert zu haben, sondern weil zumindest zwischen Michail und mir nichts derartig katastrophales passiert war, wie das, was Tauren Iljahs langjährigem Freund unterstellte. Ich fing sofort wieder damit an, dem aufgebrachten Russen durch den Haaransatz im Nacken zu streicheln und legte meine zweite Hand auf seine pochende Brust. “Er hat mir nichts getan, keine Sorge.”, eliminierte ich dieses vielleicht aufgekommene Missverständnis sofort. “Aber wenn du da warst, hat er sich mir gegenüber eher zurückhaltend benommen… und wenn sich unsere Wege zufällig gekreuzt haben, während du unterwegs warst, war er oft überfreundlich. So, als würden wir uns schon ewig kennen, als wären wir super gut miteinander… und das war einfach nicht der Fall. Ich bin immer spätestens dann gegangen, wenn er mir seine Hand auf die Schulter oder an den Arm legen wollte und dabei über seine eigenen Witze gelacht hat.”, versuchte ich zu schildern, auf welche Art Michail sich unpassend bis zuweilen ziemlich schräg verhalten hatte. Es hatte für ihn gar nie überhaupt eine Chance bestanden, zu mir eine Freundschaft aufzubauen, weil ich ihm zu konsequent aus dem Weg gegangen war. Deshalb hatte er scheinbar versucht, das auf diese komische Art zu kompensieren, um mir so näher zu kommen. Ja, also wenn ich mich so reden hörte, dann reflektierte ich diese Momente rückwirkend ganz anders, als vor einigen Monaten. Michail war mindestens nicht ganz richtig im Kopf und im schlimmsten Fall hatte er Vahagn tatsächlich über eine ganze Zeit hinweg misshandelt. Das klang jetzt blöd, aber das war gefühlt die einzige Verbindung, die ich jemals zwischen der jüngeren Gniwek und mir gefunden hatte: Ungesund-gesundes Männermisstrauen und eine ganze Menge verdammt berechtigter Trust Issues.
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Irina und ich sprachen dieselbe Sprache, ich verstand also jedes Wort, was sie sagte und trotzdem ergaben sie für mich anfangs keinen Sinn. Vahagn wusste doch, dass ich als ihr großer Bruder immer für sie da war. Damals schon und das hatte sich bis heute auch nicht geändert. Warum also hätte sie mir nicht erzählen wollen, wenn tatsächlich etwas Schlimmes vorgefallen war? Ich hätte ihr doch helfen können. Es brauchte einen Moment, in dem ich über Irinas Worte nachdachte, bis ich begriff. Und natürlich, sie hatte vollkommen Recht. Eigentlich hatte ich mir meine Frage gerade auch schon selber beantwortet, indem ich resümiert hatte, was meine Reaktion auf die Trennung der beiden gewesen war - Unverständnis. Wenn ich mich recht erinnerte, dann hatte ich meine Schwester nie gefragt, wie es ihr damit ergangen war. Sie nicht tröstend in den Arm genommen und mit ihr über die Gründe des Zerfalls ihrer Beziehung gesprochen. Stattdessen hatte ich lieber meinen besten Freund bemitleidet und aufzumuntern versucht. Natürlich war es dann naheliegend gewesen, dass ich ihr nicht geglaubt hätte und statt den Verrat der eigenen Familie über sich ergehen lassen zu wollen, hatte Vahagn lieber geschwiegen um damit den häuslichen Frieden zu wahren. Und zu welchen Preis das alles? Gott, was war ich dumm gewesen... Mir jetzt Vorwürfe zu machen würde jedoch auch nichts bringen, das wusste ich. Ich konnte die Vergangenheit nicht mehr ändern, sehr wohl aber die Zukunft. Eine Entschuldigung war wohl das Mindeste. Sowohl an meine Schwester, als auch an Tauren, der offenbar vollkommen Recht in der Annahme war, dass mit Michail etwas gewaltig nicht stimmte. In dem Punkt bestätigte mich Irina mit ihren kommenden Worten noch zusätzlich und ich rang kurzzeitig wirklich um meine Beherrschung. In mir tobte ein Sturm der Gefühle und ich fand nur deshalb etwas Ruhe, weil die junge Frau so beschwichtigend zu mir sprach. Mir versicherte, dass mein Freund - der er bald nicht mehr sein würde - sie nie unsittlich berührt hatte. Nur hier und da mal versucht hatte, seine Hand auf ihre Schulter oder ihren Arm zu legen. Für mich war das zwar immer noch zu viel Körperkontakt, aber es beruhigte mich trotzdem. Nicht zuletzt trugen sicher auch Irinas zärtlichen Berührungen ihren Teil dazu bei, dass ich die Augen schloss und einmal tief durchatmete. Mich dazu zwang, die Schultern wieder zu entspannen und allgemein etwas lockerer zu werden. Alles war gut. Naja, mehr oder weniger zumindest. Für den Moment auf jeden Fall. "Ich verstehe...", grummelte ich dennoch hörbar unzufrieden, hob meine Hand an meine Brust und legte sie auf die von Irina. Mit einem sanften Druck umschloss ich die zierlichen Finger und sah der meiner besseren Hälfte wieder in die Augen. "Sollte jemals irgendwer... dich anfassen... hab' bitte keine Angst, es mir zu sagen, okay? Versprich' mir, dass du dir von mir helfen lässt und dich traust, mich anzusprechen. Egal, mies gelaunt ich vielleicht drauf sein mag. Es gibt nie einen schlechten Zeitpunkt, über so etwas zu sprechen." Wenn ich schon Vahagn diese Sicherheit nicht hatte geben können, dann wenigstens meiner Freundin. Witzig allerdings, dass gerade ich das sagte, wo ich mir doch selber des Öfteren genommen hatte, wonach mir der Sinn stand. Frauen vor Irina in aller Regelmäßigkeit wie ein Stück dreht behandelt hatte, aber das mit der Russin war... das war anders. Ja, auch bei ihr war ich schon einmal übergriffig geworden, aber ich hatte mich dabei nicht ansatzweise so gut gefühlt, wie bei etlichen anderen Frauen davor. Es hatte mir leid getan und ich hatte mich aufrichtig bei der jungen Frau entschuldigt. Nicht, dass das im Ansatz ausreichend war, den seelischen Schmerz irgendwie zu lindern, aber viel mehr, als ihr anschließend zu versichern, dass es nicht mehr vorkommen würde, konnte ich nun mal nicht. Und bisher hatte ich mein Versprechen an sie nicht gebrochen. War auch überhaupt nicht nötig, denn die Schwarzhaarige überschüttete mich zuhauf mit Liebe und Sex, dafür musste ich nur alle paar Wochen durch die Haustür stiefeln und sie in meine Arme schließen. Einfacher ging es quasi gar nicht. "Scheiße, fühle ich mich gerade komisch. Ich... ich kann das noch nicht einmal beschreiben.", seufzte ich leise und ließ mich tiefer in das Polster sinken. Am liebsten wäre ich gerade gänzlich im Sofa versunken. Die Physik dahinter hätte ich vermutlich eher noch erklären können, als all die Gedanken und Emotionen, die gerade in meinem Schädel kreisten. Einerseits fühlte ich mich verantwortlich für die drastische Wesensveränderung meiner Schwester, dann kochte da in mir noch diese unbändige Wut und alles in allem war ich ziemlich verzweifelt. "Ich meine... wie schon gesagt, hatte meine Schwester schon immer ihre ganz eigene Art irgendwie, aber... aber glaubst du, wenn da nichts vorgefallen wäre oder sie mit mir gesprochen hätte, dass sie heute... ein glücklicherer Mensch wäre?", stellte ich Irina murmelnd eine Frage, die ich eigentlich gar nicht auszusprechen vermochte. Denn wahrscheinlich kannte ich die Antwort bereits und wusste daher, dass ich nicht bereit war, sie zu hören. Und doch brauchte ich das gerade. Die Bestätigung, dass Tauren Recht und ich als großer Bruder auf ganzer Strecke versagt hatte.
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Iljah gefiel nicht, was ich ihm erzählte und es hätte nicht einmal einen Blick in sein Gesicht gebraucht, um das zu erkennen. Sein ganzer, eng an meinem eigenen liegender Körper sprach für das schreckliche Wechselbad von Gefühlen, in dem er gerade förmlich ertrank… und dann war ich vorhin noch daher gekommen und hatte ihm einen weiteren Grund zur Sorge gegeben, nur weil ich den Drang nicht kontrollieren konnte, mich trotzig über sehr klar und fest abgesteckte Grenzen hinwegzusetzen. Ich spürte, wie sich das schlechte Gewissen um mein Herz legte und ein drückendes Gefühl hinterließ. Doch genauso wie Iljah konnte ich jetzt nichts anderes mehr tun, als den verursachten Kummer im Nachhinein zu lindern. Immerhin das funktionierte, denn er griff nach meiner Hand und dieses sanfte Gefühl von Verbundenheit stand widersprüchlich zu allem, was sonst gerade in ihm vorzugehen schien. Ich erwiderte seinen offenen Blick und das, was sich hier gerade abspielte, war unheimlich grotesk. Schon die ganze Situation an sich, aber das Versprechen, das er mir abverlangte, machte es noch viel skurriler. Vielleicht sollte mich das aber nicht wundern. Unsere ganze Beziehung zueinander war kompliziert aufgebaut und ich glaubte längst nicht, alles über Iljah zu wissen. Doch von seinem Verlangen, mich vor dem Rest unserer ziemlich grausamen Welt beschützen zu wollen, musste er mich nicht erst noch überzeugen. Diesen Beschützerinstinkt hatte er mir schon mehr als einmal bewiesen und vielleicht war genau das einer der Gründe dafür, warum ich mich bei ihm tief im Innern immer sicher fühlte. Obwohl er mir manchmal Angst machte. Obwohl ich wusste, wozu er fähig war. Ich nahm meine Hand aus seinem Nacken, um Iljah stattdessen über die leicht aufgeheizte Wange zu streicheln. Er brodelte innerlich weiter. “Ich kann dir nicht versprechen, dass mir das leicht fällt, aber ich werde mein Bestes geben, es dir klarzumachen. Versprochen.”, legte ich das von ihm gewünschte Versprechen in der einzigen Form ab, die mir möglich war. Allerdings hegte ich ohnehin keine Zweifel daran, dass er es merken würde, selbst wenn ich kein einziges Wort ausspuckte – ich würde Iljah nicht an mich ranlassen und versuchen, ihn physisch und auf seelischer Ebene komplett abzustoßen, sollte mir sowas noch einmal passieren. Er hatte selbst schon gesehen, wie ich mich danach verhielt. Er würde die Anzeichen sehen, wenn sie da waren. Ich hoffte jedoch, dass wir dieses Deja Vu nicht erleben mussten. Je länger wir hier saßen, desto mehr bekam ich das Gefühl, den mehr und mehr völlig verloren wirkenden jungen Mann in die Arme schließen zu müssen. Nicht auf die oberflächliche Art, wie es schon der Fall war, sondern richtig. Iljah machte sich schreckliche Vorwürfe und stellte sich Fragen, die jetzt überhaupt nichts mehr an den Dingen ändern konnten, die längst passiert waren. So machte er sich nur damit kaputt und ich wollte nicht, dass noch mehr in ihm starb. Sein Herz war auch so schon angeschlagen genug. Bevor ich irgendwas zu diesen abscheulichen Fragen sagte, schüttelte ich den Kopf und setzte mich in Bewegung. Entzog meine Beine seinen warmen Händen, nur um mich direkt im Anschluss breitbeinig auf seinen Schoß zu setzen und sein Gesicht in meine Hände zu nehmen. “Sowas darfst du nicht denken, Iljah.”, flüsterte ich ihm mit dem Gesicht nah vor seinem zu und streichelte mit den Daumen jeweils über die unmenschlich kantige, frisch rasierte Kontur seines Kiefers. “Du kannst nichts dafür, dass das passiert ist… und du hättest es auch nicht ungeschehen machen können. Das kann Niemand.” Michail hatte nach jetziger Beweislage etwas in Vahagn kaputt gemacht, was ihr Bruder niemals reparieren konnte. Vielleicht wäre sie weniger allein gewesen. Vielleicht hätte sie sich schneller davon erholt. Vielleicht wäre sie heute etwas weniger verbittert, wenn ihr Bruder sie nicht mit dieser Sache allein gelassen hätte. Doch nur, wenn es gar nicht passiert wäre, wäre Vahagn heute noch dieselbe Person wie damals und darauf hatte Iljah nie Einfluss gehabt. In jedem möglichen Szenario hätte er es erst danach erfahren. Dann, wenn es ohnehin schon zu spät war. “Glücklich sein kann nur, wer glücklich sein möchte… du kannst jetzt versuchen, ihr dabei zu helfen, aber dafür entscheiden muss sie sich am Ende selbst.” Ich schenkte ihm ein aufbauendes Lächeln, doch es spiegelte sich Sorge in meinen Augen. Wenn er bei seiner geplanten Abreise noch nicht besser aussah als jetzt, wo sich die kaputten Familienverhältnisse so offensichtlich wie schwarzer Nebel um seine Seele schlangen und drohten, ihn zu zermürben, dann war ich nicht bereit, ihn wieder fliegen zu lassen. Iljah musste versuchen, vorher wieder einen klaren Kopf zu kriegen. Erst Recht dann, wenn er vor hatte, dieses Problem in Form eines Menschen endgültig aus der Welt zu schaffen, wonach es hier gerade ganz schwer aussah.
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Eigentlich wäre das ein Thema gewesen, mit dem ich mich sehr wahrscheinlich lieber alleine beschäftigt hätte. Jetzt war ich jedoch ganz froh, es nicht getan und mich stattdessen dazu entschlossen zu haben, mit Irina darüber zu reden. Ich war unglaublich dankbar dafür, dass die junge Frau sich meinen inneren Zwiespalt bis zum Ende angehört hatte und nicht von meiner Seite gewichen war. Alles in ihrer Macht stehende tat, um mich davon abzuhalten, aus der Wut heraus vielleicht einen folgenschweren Fehler zu begehen. Mich aus dem Gedankenstrudel riss, der mich, wäre ich alleine gewesen, vermutlich an den Rande des Wahnsinns getrieben hätte. Und genau das war der Grund, warum ich nicht mehr ohne diese Frau sein wollte. Ja, sie war überdurchschnittlich oft anstrengend, strapazierte meine Nerven tagtäglich bis aufs Äußerste, aber wenn es darauf ankam, dann war sie da. Vielleicht war es naiv von mir zu glauben, dass das mit uns für immer halten würde, aber ich wünschte es mir. Es schien spielend leicht für Irina zu sein, ihre warmen Hände um mein kaltes Herz zu legen und mich damit auf mittel- bis langfristiger Sicht zu einem besseren Menschen zu machen. Dass die Russin mir ihr Wort gab, mich im Ernstfall im Rahmen ihrer Möglichkeiten darüber in Kenntnis zu setzen, damit ich im Umkehrschluss für sie da sein konnte, gab mir zumindest schon mal ein bisschen besseres Gefühl. Es machte zwar in Hinsicht auf Vahagn nichts ungeschehen oder gar besser, aber wie Irina mir mit ihren nachfolgenden Worten auch noch mal bestätigte, war das ohnehin nicht mehr möglich. Ich konnte nur noch im Nachhinein versuchen, so gut wie möglich für meine Schwester da zu sein. Wie gerne hätte ich die Brünette jetzt in den Arm genommen und mich für meine damalige Ignoranz entschuldigt. Wieder hing ich meinen Gedanken hinterher und bemerkte deshalb gar nicht, wie sich meine Freundin neben mir zu regen begann. Meine Hände über ihre Beine glitten und schließlich plump neben mir aufs Sofa rutschten, weil die Knie, auf denen sie bis eben geruht hatten, nicht mehr da waren. Nur langsam, wie in Trance hob ich meinen Kopf an und sah zu der Schwarzhaarigen. Dabei erwischte ich sie mit meinem Blick kaum noch, hatte sie sich binnen weniger Sekunden auf meinem Schoß niedergelassen. Ich starrte kurzzeitig auf das Sofakissen, gegen das Irina bis eben noch gelehnt hatte, dann verspürte ich auch schon zwei warme Hände an meinen Wangen, die mein Gesicht bestimmt in die richtige Richtung drehten. Mit einem abwesenden Blick sah ich in das Gesicht meiner Liebsten, die mir wenig später versicherte, dass ich nichts, aber auch rein gar nichts hätte tun können, um das, was Vahagn widerfahren war, ungeschehen zu machen. Es stand nur noch in meiner Macht, ihr unterstützend zur Seite zu stehen. Sie an der Hand zu nehmen und in Richtung eines glücklicheren Lebens zu geleiten. Ich ließ die Worte einen Moment lang auf mich wirken, dann löste ich mich aus meiner verkrampften Körperhaltung und nickte langsam. Ich legte meine Arme um die Hüfte der jungen Frau, die mich trotz allem, was ich ihr angetan hatte und egal, wie ich mit ihr umgegangen war, immer noch bedingungslos zu lieben schien. Mit aller größter Anstrengung rang ich mir ein schmales Lächeln ab. "Wahrscheinlich hast du Recht.", stimmte ich ihr zu, dass meine Schwester nicht automatisch ein komplett anderer Mensch gewesen wäre, wäre ich damals für sie da gewesen. So richtig überzeugt war ich davon zwar nicht, was auch deutlich aus dem unsicheren Tonfall herauszuhören war, aber ich musste zurück zu meinem Realismus finden. Durfte meine Sicht auf die Dinge nicht ausschließlich von Emotionen leiten lassen, die mich früher oder später wahrscheinlich unter sich begraben hätten. Das war ich einfach nicht. Kurzzeitig in ein Loch zu fallen war okay, das tat jeder mal, aber man musste dann auch wieder herauskriechen und der Wahrheit ins Gesicht sehen. Alles, was ich jetzt noch tun konnte, nachdem ich jahrelang nichts getan hatte, war, für Gerechtigkeit zu sorgen. Das zu tun, was ich schon längst hätte tun müssen und wovon ich Tauren bedauerlicherweise abgehalten hatte. Ich würde Michail zur Rechenschaft ziehen und ihn für alles, was er meiner Schwester angetan hatte, büßen lassen. In der Hoffnung, die Brünette würde so den Frieden finden, der ihr damals verwehrt geblieben war. "Danke, Liebes... für alles. Ich sage dir das vermutlich viel zu selten, aber ich bin dir unglaublich dankbar dafür, dass du es mit mir aushältst, auch wenn ich es dir nicht immer leicht mache.", richtete ich nach einer kurzen Pause noch ein paar aufrichtige Worte an Irina. Inzwischen war mein Blick wieder etwas klarer, ich war wieder ansprechbarer, als ich meine Hand anhob und sie an Irinas Hals legte, um sie die letzten Zentimeter, die zwischen unseren Gesichtern noch waren, an meine Lippen heranzuziehen. Dabei schlossen sich alle Gefühle, die in den letzten Minuten meinen Körper geflutet hatten, zusammen und vereinten sich in einem gleichermaßen liebevollen wie leidenschaftlichen Kuss.
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Wieder brauchte Iljah eine ganze Weile, um das, was ich gesagt hatte, parallel zu seinen eigenen Gedanken zurück in einen brauchbaren Einklang zu bringen. Ich hatte Zeit, streichelte solange einfach weiter über seine Haut und ließ ihn nicht aus den Augen. Auch dann nicht, als ich seine starken Arme an meinem Körper spürte und damit langsam wieder etwas Leben in seinen Körper zurückkehrte. Seine Mundwinkel hoben sich nur sehr träge an und so ganz kaufte ich Iljah das Lächeln nicht ab, aber es war ein Anfang. Genauso wie sein zögerliches Einlenken, das in etwa genauso wenig überzeugt wirkte wie die müden Mundwinkel. Aber das bekam ich schon noch hin. Ihn auf andere Gedanken zu bringen, war eine meiner Königsdisziplinen. Es war einen Moment lang still, was ich jedoch nicht als unangenehm empfand. Ich konnte mit Stille umgehen – wenn sie nicht wochenlang anhielt zumindest – und so teilte ich mein Mitgefühl weiter über das zärtliche Streicheln mit ihm. Iljah driftete allmählich ganz zurück ins Hier und Jetzt und richtete schließlich weitere Worte an mich. Das Lächeln auf meinen Lippen wurde immer breiter, je länger er sprach und ich ließ mich mühelos auf den Kuss ein. Mein Oberkörper schmiegte sich an seinen, als ich die Hände von seinem Kiefer nahm und die Arme um seinen Nacken legte. Den Kuss erwiderte ich genauso innig, wie er mir entgegenkam. Ließ ihn spüren, wie viel es mir bedeutete, sowas von ihm zu hören. So zog sich der allmählich etwas feuriger werdende Kuss in die Länge, bis ich mich schließlich doch einen für einen kurzen Moment von Iljahs Lippen löste. Gerade weit genug, um in seine Augen sehen zu können. “Einigen wir uns einfach darauf, dass wir beide schwierig sind..?”, stellte ich ihm eine rhetorische, humorvolle Frage mit einem schmalen Grinsen. Das war sicher einer der Gründe dafür, weshalb er Worte wie die von gerade eben nicht häufiger in den Mund nahm – es gab Tage, da machte ich es ihm schwer, auch nur normal mit mir zu reden, geschweige denn mir solche Dinge zuzugestehen. Ich hauchte ihm einen flüchtigen Kuss an die Lippen, bevor ich noch wenige Worte mehr anhängte: “Hab’ dir doch versprochen, dass ich immer für dich da bin.”, erinnerte ich ihn lächelnd, bevor ich meine Lippen zurück auf seine legte und mit dem Kuss da weitermachte, wo ich uns vorhin unterbrochen hatte. Wir hatten uns zu lange nicht mehr so geküsst und ich sehnte mich nach mehr davon. In guten wie in schlechten Zeiten, im Regen und in der Traufe, von mir aus auch im kältesten Blizzard Russlands – ich würde immer für ihn da sein und immer auf ihn warten. Er brauchte nur ein Zeichen zu geben und ich streckte ihm sofort meine offenen Arme entgegen, um die Wärme in meinem Herzen mit ihm zu teilen, wenn seines drohte, unterzugehen.
**ZS - 3 Wochen**
Seit dem Gespräch mit Vahagns Bruder war ich wieder ruheloser als vorher. Es hatte sich nichts daran geändert, dass ich ständig an meine Ex-Freundin dachte. Immer noch sehr viel öfter, als für einen konzentrierten Arbeitsalltag oder für eine gesunde Mütze voll Schlaf gut war. Wenn ich es tagsüber doch mal schaffte, ein bisschen weniger an sie zu denken, dann holte sie mich in meinen Träumen wieder ein. Alpträume, um genau zu sein – denn seit ich Iljah ein zweites Mal dazu geraten hatte, sich um Michail zu kümmern und dieses Arschloch endlich loszuwerden, spielte sich die Szene, die sich mir in Russland bis ins Mark eingebrannt hatte, immer wieder neu in meinem Unterbewusstsein ab. Ich hatte Vahagn nur helfen wollen und sie hatte mir ein Messer in den Rücken gestochen, ohne zu zögern. Müsste mich das nicht eigentlich darin bestätigen, dass es besser war, wenn wir getrennte Wege gingen, weil das immer wieder passieren könnte? Tat es nicht. Sie hatte sich von ihrer scheinbar größten Angst packen lassen und war nicht dagegen angekommen. Das konnte jedem Menschen passieren, wie sollte ich ihr dafür Vorwürfe machen? Für etwas, das so tief in ihr verankert war, dass sie bis heute noch nicht wirklich damit klar kam? Ich liebte sie und hatte auch heute wieder das blöde Gefühl, dass sich das niemals ändern würde. Der Regen prasselte seit etwa zwei Stunden ziemlich konstant an die Scheibe der überwiegend gläsernen Balkontür, während ich auf dem Sofa versumpfte. Damit ich nicht ständig nur daran dachte, wie leer das Polster ohne Vahagn war, hielt ich eines von Richards Büchern in den Händen. Vielleicht war es auch Samueles, keine Ahnung. Es war jedenfalls der Engländer gewesen, der es mir in die Hand gedrückt hatte, weil ich ihn vor drei Tagen besucht und dabei nach wie vor keinen guten Eindruck gemacht hatte. Wie auch, mit den Schatten unter den Augen und nur einem Bruchteil meines einstigen Frohmutes. Von meinem vor der Trennung noch beinahe grenzenlosen Optimismus wollte ich gar nicht erst anfangen, der war quasi komplett zerbombt. Ich erwischte mich regelmäßig dabei, wie ich einfach alles zum Kotzen fand und das auch an meine Mitmenschen abgab. Es war schon mehr als einmal vorgekommen, dass die Jungs, die ich tagein und tagaus durch die Gegend schickte, überrascht zusammen gezuckt waren, weil sie den angeschlagenen, sehr harschen Tonfall von mir nicht gewohnt waren. Es war jetzt schon ungefähr zwei Monate her und es wurde einfach nicht besser. Selbst an sonnigen Tagen war die Welt für mich verdammt düster und ich schnauzte jeden an, der mir etwas anderes zu erzählen versuchte. Deshalb stöhnte ich auch genervt und ließ das Buch auf meinen Schoß sinken, als ich die Klingel der Wohnungstür hörte. Richard hatte gütig angeboten, den heutigen Tag mit mir zu verbringen, damit ich mit all der freien Zeit nicht so alleine war – weil heute einer meiner rar gesäten, vollkommen freien Tage war – und ich hatte das dankend abgelehnt. Darum vermutete ich zuerst genau diese Person hinter dem unangekündigten Besuch, revidierte diesen Gedanken aber mit einem Blick auf die Uhr: Es war schon 22 Uhr. Er würde bald wegen der Drogen los müssen und da lohnte es sich nun wirklich nicht, noch für fünf Minuten vorbeizukommen. Mit entsprechend argwöhnisch zusammengezogenen Brauen legte ich das Buch auf dem flachen Holztisch ab und schob langsam die Füße vom Sofa. Auf dem Weg in den Flur tastete ich nach dem Taschenmesser in meiner Hosentasche und war bereit dazu, es zu zücken, als ich durch den Türspion sah. Stattdessen wäre ich beinahe nach hinten umgekippt. Wollte nicht glauben, was ich sah. Vahagn konnte nicht hier sein, sie war doch in Russland. Mein Herz sackte bis auf die zu dieser Jahreszeit kühlen Dielen und obwohl ich wusste, dass diese Wohnung wie beinahe alle Bauwerke auf Kuba sehr hellhörig war, konnte ich die Tür nicht sofort öffnen. Ich starrte wie versteinert auf den Türgriff, den ich bloß noch runterdrücken musste. Jeden Tag hatte ich mir gewünscht, sie wiederzusehen und jetzt, wo sie da war, war ich mir nicht mehr sicher. Alles kam zurück und erschlug mich förmlich. Der Schmerz, der Kummer, die Sorge, die unfassbare Frustration, einfach alles. Mein Brustkorb schnürte sich zu und löste ein flaues Gefühl in meinem Magen aus. Trotzdem fasste ich nach einer halben Minute mühsam den Mut, die Hand an die Tür zu legen und sie langsam mit einem fast schon schmerzhaften, schweren Schlucken aufzuziehen. Das wars dann aber. Ich sah einfach nur in Vahagns Gesicht, das mir so vor kam, als hätte ich es erst gestern gesehen und bekam dabei keinen Ton raus. Starrte sie einfach nur an, als wäre sie ein Geist, während sich meine Finger um die Klinke verkrampften.
Pain? I Love It. Anything else can be fake - happiness, crying, smiles, hugs... even the sweetest kisses. But Pain? Daaamn, that shit's real.
Die letzten zwei Monate hatten mir überaus deutlich vor Augen geführt, warum ich nie wieder Gefühle für einen Mann hatte entwickeln wollen. Es hatte mich verdammt lange gebraucht, um über meine letzte gescheiterte Beziehung hinwegzukommen und meine Liebe zu Michail war nicht einmal im Ansatz so innig gewesen wie die zu Tauren. Ich befürchtete daher, dass ich noch eine ganze Weile mit den Schlafstörungen und den Aggressionsproblemen zu kämpfen haben würde, die mich seit meinem Schlussstrich in der Wohnung des Norwegers verfolgten. Ich hatte gedacht, es würde besser werden, wenn ich die Insel verließ und ins kalte Russland zurückkehrte. Mich dort in Arbeit stürzte, um auch ja keine freie Minute zum Nachdenken zu haben. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mir noch schlechter gehen würde und doch war genau das der Fall gewesen. Zwar ging mein Plan insoweit auf, dass ich tagsüber keine Zeit hatte, mir über alles, was vorgefallen war, den Kopf zu zerbrechen, dafür war die Nacht umso erbarmungsloser. Ich konnte mich nicht dran erinnern, wann ich zuletzt so beschissen geschlafen hatte - wenn ich denn überhaupt zur Ruhe gekommen war. Die meisten Nächte war ich wachgelegen, hatte geweint und mich tags drauf mit einer ungesunden Mengen Koffein am Laufen gehalten. Essen tat ich auch nicht mehr regelmäßig, sodass ich bereits nach wenigen Tagen ziemlich kränklich aussah und mich körperlich mindestens genauso beschissen fühlte, wie psychisch. Auf meinem Gesicht zeichneten sich tiefe Augenringe ab, meine Lider waren angeschwollen und von einem rötlichen Schimmer umrandet. Ich hatte es ja doch nicht geschafft, nicht ständig an Tauren und unsere letzten gemeinsamen Minuten zurückzudenken. Die Bilder spielten sich in aller Regelmäßigkeit wie von selbst vor meinem inneren Auge ab und das Wissen, dass der Norweger ähnlich, vermutlich sogar heftiger unter der Trennung litt als ich, ließ mein Herz ganz schwer werden. Ich war gegangen, weil ich ihn nie wieder verletzen wollte, aber je länger ich durch Moskaus Straßen tigerte, umso klarer wurde mir, dass ich das noch eine ganze Weile unbewusst tun würde. Er hatte so sehr an mir gehangen, dass er wahrscheinlich noch eine ganze Weile brauchen würde, um über meine Abreise und den finalen Cut, den ich gesetzt hatte, hinwegzukommen. Wie töricht ich doch gewesen war... Dass ich inzwischen wieder mehr Zeit mit Iljah und Michail verbrachte, verhalf meiner Laune auch nicht unbedingt dazu, sich zu verbessern. Mein Ex war wie gewohnt ziemlich aufdringlich, wenn mein großer Bruder außer Haus war und mir nicht ständig aus der Nase zu ziehen versuchte, warum ich plötzlich wieder in die Heimat zurückgekehrt war. Es war anstrengend die beiden Männer auf Abstand zu halten und so zog ich mich wirklich nur dann in mein Zimmer zurück, wenn ich einen Abend lang keine Möglichkeit hatte, bei irgendwelchen One-Night-Stands unterzukommen, mit denen ich verzweifelt versuchte, meine Gefühle zu verdrängen. Unnötig zu erwähnen, dass keiner der Männer mich auch nur im Ansatz so befriedigen konnte, wie der Norweger seinerzeit. Weder auf intellektueller noch auf sexueller Ebene, was sicher auch zum Großteil daran lag, dass ich diese Möglichkeit niemanden wirklich einräumte. Tauren hatte sich seinen Platz in meinem Herzen hart erarbeiten müssen, ersetzen konnte ihn so schnell also sowieso niemand. Wenn das überhaupt je ein Mann wieder schaffen würde. Nach der Trennung von Michail hatte ich zwar genau das Gleiche gedacht und es war doch anders gekommen, aber Stand heute würde das wohl kein zweites Mal passieren. Irgendwann musste ich ja schließlich aus meinen Fehlern lernen, oder? Seit etwa drei Wochen war die Stimmung im Hause Gniwek irgendwie seltsam. Iljah war selber kaum noch Zuhause und wenn ich ihn überraschenderweise einmal am Frühstückstisch zu Gesicht bekam, dann wirkte er abwesend, fast schon distanziert. Normalerweise hätte mich das in Alarmbereitschaft versetzt, aber weil er mir seither nicht mehr auf die Nerven ging und mich in Ruhe meine Wege gehen ließ, ohne mich über den ehemaligen Mann an meiner Seite oder meine Rückkehr ausquetschen zu wollen, blieb ich gelassen und sprach ihn nicht weiter darauf an. Interessant war jedoch zu sehen, wie sein Umgang mit Michail war, denn dieser war... quasi nicht mehr vorhanden. Mein Bruder mied meinen Ex-Freund seit geraumer Zeit, was untypisch war, denn die beiden verbrachten normalerweise einen Großteil ihrer Freizeit zusammen. Aber auch das störte mich nicht weiter, war die einkehrende Ruhe Zuhause eine willkommene Überraschung. Abends war ich mittlerweile so gut wie jeden Tag alleine und konnte in meinem eigenen Bett endlich den Schlaf nachholen, welchen ich in den Laken von den verschiedensten Männern nicht gefunden hatte. Es war schließlich ein Donnerstagabend gewesen, der mein ganzes Leben verändern sollte. Ich kam gerade von einer Geschäftsreise aus Twer, etwa zweieinhalb Stunden von Moskau entfernt, zurück, als die offenstehende Haustür mein Misstrauen weckte. Die Temperaturen in Russland bewegten sich noch immer im zweistelligen Minusbereich, die Tür zum Lüften aufzureißen würde das Innere des Hauses binnen weniger Minuten in ein Kühlhaus verwandeln. Ich war drauf und dran, nach der Waffe unter meinem dicken Wintermantel zu greifen, als der hochgewachsene Russe mit einem Müllsack über den Schultern aus der Tür trat. Überrascht riss ich die Augen auf und schloss wenig später zu Iljah auf, der versuchte, das schwere Gepäck umständlich auf den Schultern zu balancieren, während er mit einer Hand in seiner Hosentasche nach dem Autoschlüssel kramte. Es war bereits dunkel und der Russe schwer damit beschäftigt, auf dem mit Eis bedeckten Boden nicht auszurutschen, dass er sich beinahe zu Tode erschreckte, als ich aus dem Schatten der Dunkelheit ins Licht getreten war und ihn fragte, was er da tat. Just in dem Moment färbten wenige Tropfen, die aus dem Müllsack liefen, den Schnee zu unseren Füßen rot. Einen Moment lang starrte ich das Blut sprachlos an, bevor ich meinen Blick wieder in Iljahs Gesicht anhob. Er sagte nichts und kümmerte sich lieber erst einmal darum, den Ballast im Kofferraum seiner S-Klasse zu verstauen. In weiser Voraussicht hatte er diesen ebenfalls mit Folie ausgelegt, damit der Innenraum von den Ausscheidungen des Toten, den er ganz offensichtlich gerade verschwinden lassen wollte, nicht ruiniert wurde. Erst als er den Kofferraumdeckel zugeschlagen hatte, traute ich mich ihn zu fragen, wen er da gerade abtransportiert hatte und was mit ihm geschehen war, obwohl ich mir die Frage beinahe selber hätte beantworten können. Denn außer uns zwei hatte eigentlich kein anderer etwas im Haus zu suchen, außer... Michail. Der Russe erklärte mir kurz und knapp, dass er seinen besten Freund mit aufgeschlitzter Kehle auf dem Sofa sitzend vorgefunden hatte und ich wusste zuerst nicht, was ich mit der Information anfangen sollte. Viel mehr war ich gerade damit beschäftigt, das Gefühl zu beschreiben, welches die Worte Michail und tot im Zusammenhang in mir ausgelöst hatten. Ich fühlte mich auf einmal sehr viel leichter. Als wäre gerade ein unfassbar großer Stein von meinem Herzen gefallen. Wenig später setzte ich zu der Frage an, warum er ihn umgebracht hatte, aber Iljah ließ mich gar nicht ausreden und unterbrach mich damit, dass der Mord nicht zu seinen Lasten ginge. Er aber mittlerweile nicht mehr besonders traurig darüber war, weil er bescheid wusste. Nicht über alles natürlich, aber entweder war es ihm tatsächlich endlich gedämmert, was für eine Missgestalt Michail gewesen war oder aber ein Vögelchen hatte es ihm gezwitschert. Jedenfalls gab er sich genau so ratlos über den möglichen Täter. Er schien zu überlegen, wer dafür hätte in Frage kommen können, als es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Vor wenigen Tagen noch hatte er mir gesagt, dass Tauren nach Russland kommen würde. Irgendwas Geschäftliches zu erledigen hatte im Bezug auf die Geldwäsche, die Hunter mit meinem Bruder hier am laufen hatte. Wenn Iljah es also nicht gewesen war, musste ja der Norweger dahinter stecken. Eine andere Möglichkeit gab es gar nicht. Wie in Trance wandte ich mich von dem jungen Mann ab und betrat langsamen Schrittes das Haus. Ging am Wohnzimmer vorbei, dessen Sofa und Fußboden aussah, als wäre hier ein Tier qualvoll ausgeblutet, direkt in mein Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir und noch bevor ich mein Bett erreicht hatte, brach ich heulend zusammen. Ich weinte nicht um Michail, um Gottes Willen, ich weinte, weil ich endlich frei war. Ich endlich wieder atmen konnte, ohne Angst haben zu müssen, jemals wieder die gierigen Griffel meines missratenen Ex-Freundes fürchten zu müssen. Natürlich war ich irgendwo auch ziemlich geschockt, aber in erster Linie war ich dem Norweger unfassbar dankbar dafür, dass er nicht aufgegeben und sich, trotz dass ich ihn verlassen hatte, um die Beseitigung meines größten Feindes auf diesem von Gott verlassenen Planeten gekümmert hatte. Und das war wohl der Grund, warum ich wenige Tage später wieder Fuß auf kubanischen Boden setzte. Ich hatte mich noch einmal mit Iljah unterhalten, das Geschehene etwas sacken lassen und war schlussendlich zu der Entscheidung gekommen, dass ich Tauren zumindest meinen Dank aussprechen wollen würde. Persönlich, weil ich das über das Telefon nicht übers Herz brachte. Sicher spielte es auch eine nicht zu verachtende Rolle, dass ich den jungen Mann unfassbar vermisste und mich mit jedem Tag mehr nach ihm sehnte, aber ich belog mich schon seit ich ins Flugzeug gestiegen war selbst mit der Aussage, dass dem nicht so war. Ich nur schnell vorbeihuschen, ihm danke sagen und dann wieder abzischen würde. So war zumindest der Plan, an den ich mich zu halten versuchen würde, denn einknicken stand heute nicht auf meiner To-Do-Liste. Ich hatte auf die nächste Abholung aus Kuba gewartet, um als Passagier gemeinsam mit Iljahs Handlangern mitzufliegen. Natürlich war ausgerechnet heute wieder einer dieser Tage auf Kuba, die sich durch ihren heftigen Regen auszeichneten. Weil ich anders als mein großer Bruder wusste, dass das Wetter auf der Insel normalerweise deutlich wärmer war als Zuhause, hatte ich in meinen Rucksack nur ein paar Shirts und eine kurze Hose gestopft, in die ich auf halbem Wege geschlüpft war. Der dicke Mantel und die gefütterte Jeans hatte ich im Flieger zurückgelassen. Bereits auf der siebenstündigen Autofahrt nach Havanna hatte ich das bereut, denn ich fing zu frösteln an. Umzukehren war jedoch keine Option. Vielleicht hätte ich in meiner Wohnung noch irgendwo eine Regenjacke gehabt, aber ich wollte das Aufeinandertreffen nicht noch weiter in die Länge ziehen. Entsprechend war ich klatschnass, als ich in der Nacht meine Hand an Taurens Klingel hob, ohne überhaupt zu wissen, ob der junge Mann heute da war. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich mich womöglich einfach vor der Tür auf die Treppenstufen gesetzt und gewartet. Ich würde das jetzt durch ziehen und wenn es mich noch so viel Überwindung kostete. Allerdings müsste ich lügen, würde ich behaupten, nicht mit dem Gedanken gespielt zu haben, kurz nachdem ich es im Inneren der Wohnung schellen hörte, wieder auf dem Absatz Kehrt machen zu wollen. Es tat sich auch eine ganze Weile erst einmal nichts, was mich resigniert seufzen ließ. Ich stand kurz davor, mich hinzuhocken, als der Norweger mir wider Erwarten doch noch die Tür öffnete. Überrascht darüber, dass er nach so langer Zeit trotzdem noch die Tür geöffnet hatte, sah ich ihn an. Nein, ich starrte ihn an. Saugte sein Antlitz förmlich mit meinen Augen auf, weil es für meinen Geschmack viel zu lange her gewesen war, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. "Hey.", rang ich mir eine leise und gekrächzte Begrüßung ab, weil die Stille zwischen uns langsam unangenehm wurde. "Kann ich... kann ich reinkommen? Ich... wollte mich bei dir bedanken.", folgten wenig später ein paar weitere Worte. Ich schlang indessen meine eigenen Arme um meinen Oberkörper, weil die nassen Klamotten auf der Haut sich wie kleine Eiskristalle anfühlten. Auf Kuba war es auch während es regnete relativ warm, aber der Wind war hässlich. Zudem arbeitete mein Körper noch an unzähligen anderen Baustellen in meinem Inneren und hatte daher eher weniger freie Kapazitäten, mich irgendwie warm zu halten.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Ich starrte. Sie starrte. Wir beide starrten. Wenn ich in all den letzten Wochen darüber nachgedacht hatte, wie es sein könnte, wenn ich die Schwarzhaarige wiedersah, dann war es nie so gewesen, wie es sich in diesem Augenblick abspielte. Ich hatte sie in meine Arme gerissen, sie geküsst, sie nicht mehr losgelassen. Ihr hundert Mal gesagt, dass ich sie vermisste und sie nie wieder gehen sollte, weil ich sie brauchte. Nichts davon passierte. Ich stand da, als hätte ich vergessen, wie man den Mund aufmachte. Mein Gehirn war wie lahmgelegt. Warum war sie hier? Würde sie bleiben? Hatte Iljah sie zurück nach Kuba geschickt, weil er nicht mehr mit ihr klar kam? War sie nur wegen mir zurückgekommen? Also von allen hundert Möglichkeiten ist DAS mit Abstand am unwahrscheinlichsten, du Idiot., rügte ich mich selbst in der Sekunde darauf. Sowas machte Vahagn nicht. Sie krempelte nicht plötzlich nur für mich wieder ihr ganzes Leben um, sie war gar nicht lange in Russland gewesen. Nicht lange war dabei zwar relativ, weil sich die zwei Monate für mich eher wie zwei Jahre angefühlt hatten, aber bekanntlich war ich von uns beiden sowieso immer derjenige, der sich die Dinge mehr – zu sehr – zu Herzen nahm. Nur wegen mir zurückgekommen… klar. Wäre ich dazu fähig gewesen, hätte ich über meine eigene Dummheit den Kopf geschüttelt. Es brauchte Vahagns leise Begrüßung, damit mein Gehirn einen einigermaßen brauchbaren Restart hinlegte und ich ein weiteres Mal schluckte. Egal, wie wenig ihre Stimme in diesem Moment von ihrem eigentlich immer festen Klang hatte – ich hatte sie unfassbar vermisst und sie verfolgte mich verdammt nochmal bis in den Schlaf. Sie fragte, ob sie rein kommen durfte und wer war ich da, sie wieder wegzuschicken? Wenn sie so komplett durchnässt und offensichtlich fröstelnd auf meiner Schwelle stand. Vermeintlich meine Hilfe brauchte... wobei die Worte, die sie nach ihrem Einlassgesuch noch aussprach, einen ganz anderen Grund für ihr Auftauchen erahnen ließen. Wofür denn bedanken? Ich hatte mich zwei Monate lang nicht bei ihr gemeldet, wir hatten nichts voneinander gehört. Ich kapierte hier gar nichts mehr. “Wofür…”, setzte ich zu einer Frage an, musste mich aber erstmal räuspern. Während ich den Druck in meiner Kehle beseitigte, trat ich einen Schritt zur Seite und zog die Tür weiter auf, damit Vahagn nach drinnen kommen konnte. Inklusive Wasser, das wenig zurückhaltend von ihren schwarzen Haarspitzen aus auf den Boden tropfte. “Wofür willst du dich bedanken? Ich… ich versteh’ nicht ganz…”, gab ich meine offensichtliche Ratlosigkeit mit monotoner Stimme preis, weil ich mir nicht sicher war, ob sie mir tatsächlich ins Gesicht geschrieben stand. Meine Gesichtsmuskulatur fühlte sich so an, als würde sich da so wie die ganzen letzten Wochen über nicht besonders viel regen – völlig taub, beinahe paralysiert. Ich machte die Tür hinter Vahagn wieder zu. Sollte ich ihr ein Handtuch holen? Ihr eine Decke anbieten? Trotz meiner Verwirrung war ich wirklich versucht, statt auf die Auflösung dieses vollkommen unerwarteten Wiedersehens zu warten, sofort loszurennen und dafür zu sorgen, dass sie allem voran nicht krank wurde. Doch das gebrochene, jetzt wieder ohrenbetäubend laut – inklusive Tinnitus – vor sich hin blutende Herz protestierte wie wild dagegen. Die Russin hatte mich, ohne ein letztes Lebwohl oder sonst was, einfach hier sitzen lassen und damit willentlich in Kauf genommen, dass ich mich erst recht beschissen fühlte. Es war doch klar, dass ich das über Umwege irgendwie mitbekam, jetzt wo Hunter noch mehr Geschäfte mit Iljah abwickelte. Unter Kriminellen war die Welt besonders auf einer Insel verdammt klein und sie hatte das gewusst. Genauso, wie sie wusste, wo in meiner Wohnung Handtücher waren. Sollte sie selber gehen oder ein paar Minuten frieren. Wenn ich diesen Herzschmerz überlebte, verkraftete sie sicher eine läppische Erkältung. In Russland war es tausend Mal kälter als hier, sie packte das schon.
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Tauren schien ähnlich überrascht zu sein, mich zu sehen, wie ich es gewesen war, als ich festgestellt hatte, dass ich die Idee herzukommen und mich zu bedanken tatsächlich für gut befand. Sowas lag mir normalerweise eher nicht und ich war bemüht, Gespräche dieser Art zu vermeiden, wenn es ging. Aber es schien mir angemessen in Anbetracht der Tatsache, dass er sicher auf eigenes Risiko und ohne einen entsprechenden Auftrag seitens Hunter operiert hatte. Er sich damit - wie so oft - auf ziemlich dünnem Eis bewegte, obwohl er mir absolut nichts schuldig war. Er hätte mich meinem Schicksal einfach überlassen und Michail weiterhin sein Unwesen treiben lassen können. Dass der Norweger anfänglich gar nicht zu wissen schien, wofür ich mich bedanken wollte, wunderte mich erst einmal nicht. Tauren war sicher ziemlich geschockt, mich so plötzlich auf seiner Türschwelle stehen zu sehen, möglicherweise waren deshalb ein paar Synapsen in seinem Hirn durchgebrannt. Oder aber er war ein Arsch und bestand darauf, aus meinem Mund zu hören, wofür genau ich ihm denn dankbar war, weil er wusste, wie schwer mir so etwas fiel. Vielleicht war das so eine Art beschissene Machtdemonstration oder so. Fürs Erste glaubte ich das aber nicht und trat deshalb wortlos ein, nachdem der junge Mann mir entsprechend Platz gemacht hatte. Meine Füße trugen mich ohne Umschweife in die Räumlichkeiten, die ich vor wenigen Monaten noch so etwas wie mein Zuhause genannt hatte. Wenn ich mich nicht in meiner eigenen Wohnung aufgehalten hatte, dann war ich hier gewesen, um unzählige Nächte gemeinsam mit dem Norweger zu verbringen. Es sah so aus und roch noch genau so, wie zum Zeitpunkt, als sich unsere Wege getrennt hatten. Ich zögerte nicht lange und steuerte ohne Umschweife erst einmal das Badezimmer an, um mir ein Handtuch zu holen, mir dem ich zumindest meine Haare ein wenig trocknen konnte. Tauren würde schließlich nichts dagegen haben, wenn ich mich an seinem Inventar bediente, oder? Wenn er genau so fühlte wie ich, dann dürfte ich mich sehr wahrscheinlich sogar ohne ein weiteres Wort in sein Bett legen, ohne befürchten zu müssen, direkt wieder vor die Tür gesetzt zu werden. Denn ich war inzwischen an genau diesem Punkt angekommen. So stark mein Drang auch war, die Distanz zu ihm weiterhin aufrecht zu erhalten, um ihn nie wieder verletzen zu können, so sehr wünschte ich ihn mir wieder zurück. Ich vermisste ihn schrecklich. Sein Lachen, seine gute Laune, seine Art, sein Geruch... einfach alles. Also nein, wären die Rollen gerade vertauscht, hätte ich definitiv nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn er sich einfach ins Bett gelegt hätte. Ich wäre ihm wortlos gefolgt und hätte mich in seine Arme gekuschelt, bevor mir die Tränen über die Wangen gelaufen wären. Kaum war ich mit einem Handtuch bewaffnet zu ihm zurückgekehrt, fragte Tauren erneut, wofür ich mich eigentlich bedanken wollte und spätestens jetzt hätte ich eigentlich skeptisch werden müssen. Schließlich war es recht unwahrscheinlich, dass er plötzlich vergessen hatte, Michail auf dem Gewissen zu haben. Seine Liste von bereits getöteten Menschen dürfte zwar ziemlich lang sein, aber es handelte sich bei meinem Ex Freund ja nicht um irgendeinen Unbekannten oder einen Kollateralschaden. Er sollte sich also bestenfalls noch daran erinnern können, ihm die Kehle aufgeschlitzt zu haben. Argwöhnisch schob ich die Augenbrauen zusammen, während ich mit dem Handtuch dürftig meine Haare bearbeitete. "Naja... du weißt schon...", murmelte ich und drückte mich eigentlich davor, es noch einmal laut auszusprechen, weil es mir irgendwie... unangenehm war. Dann aber riss ich mich zusammen, atmete tief ein und schloss für wenige Sekunden die Augen, in denen ich meinen Stolz herunterschluckte und über meinen Schatten sprang, bevor ich zu den nachfolgenden Worten ansetzte: "Danke, dass du dich um Michail gekümmert hast. Ich... ich hab gesehen, wie Iljah ihn... entsorgt hat, aber... aber er bestreitet, es selber gewesen zu sein und naja... du warst doch vor Kurzem in Russland, also habe ich eins und eins zusammengezählt.", erklärte ich zögerlich. Den Blick, nachdem ich die müden Lider wieder aufgeschlagen hatte, stur auf den Boden gerichtet. Die Nervosität überkam mich und ich begann damit, mit den Fingern unruhig an den Kanten des Handtuchs herumzunesteln.
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Es war, als wäre sie nie fort gewesen. Wie selbstverständlich ging Vahagn ins Badezimmer und suchte sich selbst, was sie brauchte. Ich konnte nicht anders, als ihr wie bestellt und nicht abgeholt hinterherzusehen. Wusste nicht, ob ich es dreist finden oder mich einfach darüber freuen sollte, dass die Barriere zwischen uns scheinbar viel niedriger war, als ich angenommen hatte. Ob ich auf den Schmerz hören und beleidigt sein, oder einfach der Sehnsucht und der potenziellen Erlösung in die Arme laufen sollte. Mein Kopf wollte etwas ganz anderes als mein Herz und letzteres wusste noch nicht mal, was es überhaupt wollte. Ich war nicht viel mehr als ein Haufen überschäumender innerer Konflikte und Emotionen, als ich mich dazu zwang, die verkrampfte Hand vom Türgriff zu lösen. Mit derselben Hand fuhr ich mir gerade durchs Haar, als Vahagn zu mir zurückkam. Waren ihre Augen schon immer so leuchtend grün gewesen, selbst im eher warmen Licht der Deckenleuchte des Flurs? Oder lag es an den von der milden Kälte rosig gewordenen Wangen, die der Farbe ihrer Iris noch mehr Kontrast verlieh, dass ich mir diese komplett bescheuerte Frage stellte? Es fiel mir schwer, mich auf die Antwort der Russin zu konzentrieren, während ich zum tausendsten Mal feststellte, dass sie für mich der schönste Mensch dieser Welt war und keine Frau ihr je wieder das Wasser reichen konnte. Scheinbar hätte ich wissen sollen, worauf sie anspielte, so, wie Vahagn mich aufklärte. Es fiel mir nur deswegen nicht schwer, meine Gesichtszüge komplett unter Kontrolle zu halten, weil ich mich der Situation sowieso schon seit der ersten Sekunde schutzlos mit dem Herzen ausgeliefert fühlte, als die Schwarzhaarige mir eröffnete, dass ich ihrer Meinung nach Michail umgebracht hatte… weil ich in Russland gewesen war, sie eins und eins zusammengezählt hatte. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, als ich mich daraufhin Halt suchend mit dem Rücken an die Wand lehnte und die Hände in die Hosentaschen der Jogginghose schob. Ich hatte natürlich gehofft, dass Iljah sich endlich und so schnell wie möglich um dieses Arschloch kümmerte, damit ich zumindest diese eine Sorge weniger hatte – dass er jedoch so weit ging, mir ein sehr unterschwelliges Zugeständnis zu machen, indem er seine eigene Schwester anlog, damit hatte ich nicht gerechnet. Das völlig stumme Hissen einer hoffentlich reinweißen Flagge, denn ich akzeptierte kein blasses Grau mehr. Wenn ich das jetzt annahm, dann musste ich darauf hoffen, dass wir beide dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen würden und ich wusste beim besten Willen nicht, ob ich ihm so weit trauen konnte. Andererseits hatte er selbst diese Lüge aus dem Boden gestampft, nicht ich. Er hätte also nicht besonders viel davon, im Nachhinein noch die Hand zu heben und zu beichten, dass das vielleicht nicht ganz die Wahrheit war. Irgendwie war es mir auch egal: Michail war tot und er würde Vahagn nie wieder anfassen, sie musste nicht mehr in Angst vor ihm leben. Ich hatte erreicht, was ich erreichen wollte. Sie war sicher vor ihm. Es war nicht lange still gewesen, vielleicht zehn Sekunden, bis ich mit völlig neutraler Mine schwach mit den Schultern zuckte. “War so nicht geplant… normalerweise hinterlasse ich keine Spuren, aber dein Bruder hat eine Vorliebe dafür, mir dazwischen zu funken.”, räumte ich murmelnd und mit bewusst sehr indirekter Wortwahl den Mord ein, den ich gar nicht begangen hatte. Ich lehnte den Hinterkopf mit einem angestrengten Seufzen an die kühle Wand, wobei mich die Kapuze des Hoodies ein bisschen nervte, und sah Vahagn von oben herab an. Mir entging nicht, wie nervös sie - wie üblich in solchen Momenten - war, aber ich konnte ihr gerade keine mildernden Umstände bieten. Mit ihr ins Wohnzimmer zu gehen schaffte ich nicht, weil mir unser letztes Gespräch in diesem Raum noch zu tief in den Knochen hing. Die Küche war nicht wirklich viel behaglicher als der Flur, Bad und Schlafzimmer schieden beide aus offensichtlichen Gründen aus. Ich machte also keinerlei Anstalten, mich aus dem Eingangsbereich meiner Wohnung wegzubewegen, was mir nicht ähnlich sah. “Ich hab’ den Gedanken nicht ertragen, dass er in deiner Nähe ist… dass du wieder Angst haben musst.”, fand ich allmählich ins Gespräch, obwohl ich noch immer ziemlich gezogen sprach. Müde, erschöpft, aber es war immerhin die pure Wahrheit. Es gab noch sehr viele andere Gedanken im Hinblick auf die schöne Russin, die schwer zu tragen waren – auch jetzt noch. Der erste Schock war verflogen und der Drang, die Hände nach Vahagn auszustrecken, wurde größer. Deswegen steckten sie auch gut verwahrt in den Hosentaschen, um mich vor irgendwelchen Dummheiten zu bewahren. “Bist du nur deswegen hergekommen..?”, stellte ich ihr die eine Frage, die mir gleich den Schädel sprengen würde, wenn sie nicht zügig darauf antwortete. Selbst auf diese Distanz konnte ich das verblasste Parfüm riechen, das Vahagn beinahe immer trug. Ihre nassen Haare hatten auf mich noch mehr Charme als die trockene Version, weil es mich an intime Momente erinnerte. Das Herz klopfte mir gegen die Rippen, als ich auf ihre Lippen runtersah. Ich musste mich zwingen, meinen Blick mit flackernden Lidern zurück in ihren zu lenken. Es gab in diesem Moment nichts, das ich mehr wollte, als sie wieder zu spüren. Alles in mir schrie danach, aber ich kämpfte tapfer dagegen an. Denn wenn sie nur hergekommen war, um sich bei mir für einen Mord zu bedanken, den ich gar nicht begangen hatte, hätte sie genauso gut eine Nachricht schicken oder anrufen können. Ich hätte Michail schließlich schon damals ohne zu Zögern abgestochen, wäre Iljah mir nicht dazwischen gekommen. Es war nicht das, was ich von Vahagn hören musste. Nicht das, was ich jetzt unbedingt von ihr brauchte, damit sie mein in Scherben liegendes Herz mit ihrem plötzlichen Besuch nicht restlos in so viele Einzelteile zertrat, dass gar nichts mehr zu retten war.
Pain? I Love It. Anything else can be fake - happiness, crying, smiles, hugs... even the sweetest kisses. But Pain? Daaamn, that shit's real.
Scheinbar hatte der junge Mann tatsächlich einen kleinen Denkanstoß gebraucht, um sich daran zu erinnern, wen er kürzlich umgelegt hatte. Auch wenn ich es zu unterdrücken versuchte, entlockte mir sein Kommentar bezüglich der hinterlassenen Spuren ein leises Lachen. Es war kaum hörbar, vielmehr ein Kichern und nicht ansatzweise ausreichend, meine Mundwinkel anzuheben. "Er hat ein Händchen dafür, ja...", stimmte ich ihm leise zu. Traute mich noch immer nicht, meinen Blick anzuheben. Zu groß war die Angst, sofort in Tränen auszubrechen, wenn ich den Schmerz in seinem Gesicht sehen würde. Schmerzen, die er nur wegen mir erlitt. Alleine der Gedanke daran hatte mein Herz über die letzten Wochen hinweg schon unendlich schwer werden lassen. Der Druck in meiner Brust wuchs immer weiter an und bei Taurens nachfolgenden Worten drohte ich beinahe zu ersticken. Er hatte den Gedanken nicht ertragen, dass Michail in meiner Nähe war. Dass ich wieder Angst haben musste. Wie gerne wäre ich ihm nach der Aussage um den Hals gefallen, aber ich hatte meine Entscheidung getroffen und wollte... nein, konnte jetzt nicht zurückrudern. Es war zu seinem Besten, das redete ich mir zumindest ein. Eigentlich war ja jetzt alles gesagt, oder? Ich hatte mich bedankt, mein Vorhaben damit erledigt und konnte eigentlich den Heimweg antreten. In meine Wohnung auf Kuba zurückkehren und den Alltag hinter mich bringen, bis Iljah die nächste Fuhre abholen und ich im Zuge dessen wieder zurück nach Russland fliegen würde. Aber warum wollten meine Füße nicht reagieren, als ich zum Gehen ansetzte? Egal, wie sehr ich es versuchte - es schien, als würden mich tonnenschwere Betonklötze an meinen Füßen an Ort und Stelle halten. Ich bewegte mich keinen Millimeter und starrte einfach nur auf das Handtuch in meinen Händen. Hätte Tauren nicht noch eine Frage an mich gerichtet, wäre ich höchstwahrscheinlich ein paar Stunden einfach so dagestanden. Als die Worte des jungen Mannes zu mir durchgedrungen waren und mein Körper sich langsam aus der Trance zu lösen schien, machte ich den Fehler und riss meinen Kopf nach oben. Mein Blick traf sofort den meines Verflossenen und wenn ich bis hierhin noch daran geglaubt hatte, ich würde mich an meinen Plan halten, war ich mir spätestens jetzt gar nicht mehr so sicher. "Ich... also...", fing ich an zu stammeln, wusste überhaupt nicht, was ich ihm antworten sollte. Nachdem ich für circa zehn bis zwanzig Sekunden geschwiegen hatte, um meine Gedanken zu ordnen, entschloss ich mich dafür, es einfach mit der Wahrheit zu versuchen und zu schauen, was sich daraus so entwickelte. "Ja... eigentlich war ich nur deswegen hergekommen.", räumte ich erst einmal ein, dass mir ursprünglich nicht mehr im Sinn gestanden hatte. Wieder kehrte kurzzeitig Stille ein. Ich seufzte und fuhr dann fort: "Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher... Es ist irgendwie... Man, ich vermisse dich." Wenn es möglich gewesen wäre, sich beim Sprechen etwas zu brechen, dass hatte ich das gerade getan. Die Kontrolle über meine Stimmlage schien ich komplett verloren zu haben und außerdem blinzelte wie eine Bekloppte. Konnte selber nicht glauben, was ich da gerade sagte, aber es war nicht weniger als die Wahrheit. Zwar in der abgespeckten Variante, weil ich gar nicht so viel Luft atmen konnte, wie ich Worte aussprechen wollte, aber naja. Schnell wandte ich den Blick wieder von Taurens Gesicht ab, in der Hoffnung, so gegen die sich anbahnenden Tränen ankämpfen zu können, aber ich hatte längst verloren. Stumme Tränen kullerten über meine heiß gewordenen Wangen, tropften an meinem Kinn angekommen gen Boden und versiegten im Handtuch, das ich seit einer Weile beinahe schmerzhaft umklammerte. Als könnte ich mich daran festhalten, um nicht von dem Sturm aus Gefühlen und Emotionen in meinem Inneren davongeblasen zu werden. "Ich vermisse dich so sehr. Jeden verdammten Tag wünsche ich mir, du würdest neben mir liegen, wenn ich die Augen aufmache. Und... und... ich hasse mich so sehr für das, was ich dir angetan habe. I-ich dachte, es wäre das Beste, einfach zu gehen und dich eine Frau finden zu lassen, die dir das bieten kann, w-was du verdienst, a-aber dich jetzt so zu sehen..." Ich brach ab. Meine Stimme war dünn, sie zitterte merklich und es war kaum zu übersehen, dass ich mit der Situation gerade maßlos überfordert war und mich der innere Zwiespalt förmlich auseinander riss. Eigentlich hätte mir doch klar sein müssen, dass das Gespräch so verlaufen würde, als ich mich dazu entschlossen hatte herzukommen. Hatte ich das vielleicht bewusst in Kauf genommen? Darauf gepokert, dass wir uns noch einmal aussprechen und dann wieder alles gut werden würde?
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Ich nickte nur noch einmal leicht, als Vahagn das Thema Michail und Iljah mit ihrer Bemerkung auslaufen ließ. Da ich im Grunde keine Ahnung davon hatte, wie ich diesen Mord begangen hatte – erschossen, erstochen, erhängt, es gab zu viele Möglichkeiten – war ich froh darüber, dass diese Sache sich so schnell hatte abhaken lassen. Alles andere könnte mich in die Bredouille schlittern lassen, bevor ich das nächste mal Iljah gesprochen hatte. Es dauerte, bis ich eine Antwort auf meine potenziell schmerzhaft endende Frage bekam. Nach dem ersten inhaltslosen Gestammel musste ich nochmal eine gefühlte Ewigkeit warten und als Vahagn dann sagte, sie wäre eigentlich nur deswegen hergekommen, ballte ich die Faust um das eingeklappte Messer. Ich hasste nichts mehr, als meine kaum noch vorhandene Emotionskontrolle und für die Russin war es ein leichtes, sie mir vollkommen zu entreißen. Wenn sie nur wegen des Danks hergekommen war, warum zum Teufel war sie dann immer noch hier? Sie sollte verschwinden, wenn das wirklich alles war, was sie mir nach so langer Funkstille zu sagen hatte. Ich schluckte hörbar und war kurz davor, ihr die Tür wieder aufzumachen, als Vahagns Lippen wider Erwarten weitere Worte formten… ich vermisse dich. Die Spannung in meinen Schultern weitete sich bis in meinen mahlenden Kiefer aus und ich war ganz und gar nicht bereit für den nächsten Augenblick, in dem die Schwarzhaarige mir die gefühlt schwerste Lebensaufgabe servierte, der ich jemals entgegenblickt hatte. Sie fing an zu weinen und mein Instinkt verlangte danach, dass ich sie sofort in den Arm nahm, damit sie damit aufhörte. Aber das allein reichte nicht. Es durfte nicht reichen, um mich komplett einknicken zu lassen. Nicht jetzt schon. Ich wusste, dass jeder Tropfen meines Verstands sofort wie auf einem heißen Stein verdampfen würde, wenn ich sie einfach an mich riss und küsste. Es kostete mich das letzte Bisschen meiner Willenskraft, ihren scheinbar genauso erschöpften, geschlagenen Körper nicht einfach an meinen zu ziehen, sondern darauf zu warten, ob da noch mehr kam… und das tat es. Ich konnte nicht verhindern, dass meine eigenen Augen glasig wurden. Es war ihr genauso wie mir gegangen. Sie hatte genauso gelitten wie ich, jeden gottverdammten Tag und jede Nacht und sie hielt es für einen Fehler. Mein rechter Kiefermuskeln zuckte, als ich mich zögerlich von der Wand abstieß und mich selbst dazu zwang, das Messer loszulassen. Die Finger zu lockern, den Schmerz und damit auch die kläglichen Schutzmauern fallen zu lassen, die ich mir mühsam mit Kollateralschäden an meinen Mitmenschen in den letzten Wochen aufgebaut hatte. Ich warf einen kurzen Blick zur Tür, wandte mich dann jedoch der Russin zu. Ein weiteres Schlucken rollte durch meine drückende Kehle und mein Herz raste so konstant weiter, als wäre ich mitten in einem Marathon. Nur die rechte Hand zog ich aus der Hosentasche, weil ich Vahagn dazu zwingen würde, mich anzusehen. Vielleicht war das brutal, aber die Konfrontation mit meinem kaputten Selbst war für sie bitter nötig, damit sie dazulernte. Also legte ich mit kurzem Stocken in der Bewegung meine Finger an ihren warmen Hals und schob nur den Daumen unter ihr von Tränen benetztes Kinn, um es anzuheben. Der Blick in ihre nassen Augen brach mein Herz gleich ein weiteres Mal. “Ich will keine andere Frau…” Meine Stimme klang rau und das kam ausnahmsweise nicht von meinem übermäßigen Zigarettenkonsum. “...und ich kann selbst entscheiden, was das Richtige für mich ist.” Sie sollte niemals wieder denken, sie wüsste das besser als ich. Völlig egal, wie verdammt weich der Kern meines Herzens war – nur ich allein hatte das Urteilsvermögen dafür, darüber zu entscheiden. Diese Bürde war meine und nur meine, nicht ihre. Sie hatte auch so schon genug auf emotionaler Ebene zu kämpfen, meine Kämpfe sollte sie also gefälligst mir überlassen. “Ich vermisse dich auch… mehr, als du dir vorstellen kannst… und ich will, dass du bei mir bleibst.” Damit schluckte ich zum dritten Mal und blinzelte übermäßig, weil der Druck in meiner Kehle immer schlimmer wurde. “Doch wenn ich dich jetzt wieder in mein Herz lasse… dann musst du mir etwas versprechen. Nur eine Sache, alles andere... ist nicht so wichtig.” Ich nahm den Daumen von ihrem Kinn, um stattdessen über ihre nasse Wange zu streicheln. Die weiche, sich so unendlich vertraut anfühlende Haut hätte mich beinahe in die Knie gezwungen und zu einem Kuss hingerissen, weshalb ich mich dazu abmühte, stattdessen weiterzureden. “Es ist mir egal, ob du mir wehtust… aber du darfst nie, niemals wieder einfach so weglaufen und uns kampflos aufgeben. Das… das verkraft’ ich nicht nochmal.”, der letzte, stockende Satz war nur noch ein Hauchen und meine Lider flackerten, während ein Zittern durch meinen angehobenen Arm bis an ihre Wange wanderte, ich den Blick in ihre hellen Augen aber eisern aufrecht hielt.
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Und wieder war da diese unerträgliche Stille. Tauren blieb stumm, gab keinen Mucks von sich. Warum sagte er verdammt nochmal nichts? Ich hätte mich am liebsten geohrfeigt für meine Worte, denn kurzzeitig beschlich mich das Gefühl, sie vollkommen umsonst ausgesprochen zu haben. Innerhalb weniger Sekunden flammte der Selbsthass wieder in mir auf und versuchte mühevoll, meine eigens mit den Füßen getretene Würde vom Boden zu kratzen, um doch noch die Biege zu machen, als ich plötzlich eine vertraute Wärme an meinem Hals spürte. Gleichermaßen erschrocken wie erleichtert über die Berührung schloss ich die tränenden Augen und hielt den Atem an. An diesem Punkt war es mir fast schon egal, was der Norweger noch zu sagen hatte, aber irgendetwas musste ich jetzt von ihm hören. Am liebsten natürlich, dass er mich mit Kusshand zurücknahm und wir alles gemeinsam durchstehen konnten, wenn ich mich nur darauf einließe, aber ich hätte es auch verstanden, wenn das Kapitel für ihn bereits abgeschlossen war. Denn ich war vieles zu ihm gewesen, aber bestimmt nicht immer fair. Hatte ihn sehr oft verletzt - ob wissentlich oder unwissentlich spielte dabei nur eine sekundäre Rolle, beides war gleichermaßen schlimm - und wenn er das nicht mehr wollte, dann wäre ich die Letzte gewesen, die ihn deswegen mit Vorwürfen bombardiert hätte. Zwar wusste ich nicht, wie das Leben dann für mich weitergehen würde, aber das war dann nicht mehr sein Problem. Den Kampf hätte ich mit mir selbst ausfechten müssen, wusste dann aber immerhin, wie die Dinge zwischen uns nun standen. Mein Herz machte einen Satz, als Tauren mein Kinn anhob und mich somit dazu zwang, ihm direkt in die Augen zu sehen. Am liebsten hätte ich mich gewehrt und sofort wieder von ihm abgewandt, aber erneut arbeitete mein Körper lieber gegen mich und verkrampfte sich. Es fiel mir unglaublich schwer, die Augen offen zu halten und all das Leid, welches ich verursacht hatte, auf mich wirken zu lassen. Es fühlte sich an, als würde mein Herz jeden Moment explodieren, je länger mich der Norweger mit seinen glasigen Labradoraugen ansah. Der Druck in meiner Brust war langsam nicht mehr nur unangenehm, sondern richtig schmerzhaft. Was, wie ich wenig später feststellte, wohl zum Großteil eher daran lag, dass ich noch immer nicht ausgeatmet hatte und mein Körper mir überdeutlich signalisierte, dass ich das verdammt nochmal so langsam tun sollte. Aber ich konnte es nicht. Nicht, solange ich nicht wusste, ob nach den wenigen vielversprechenden Worten noch ein Aber folgen würde, was durchaus möglich gewesen wäre. Ich konnte für ihn die einzige Frau in seinem Leben bleiben und er müsste nicht mal lügen, wenn er behauptete, mich zu vermissen. Beides bedeutete nicht sofort, dass er mir verzeihen und noch eine Chance geben würde. Also wartete ich und Gott sei Dank erlöste mich Tauren bereits wenige Sekunden später. Mit einem langgezogenen Schluchzen atmete ich endlich wieder aus und fiel wie von selbst ein Stück nach vorne gegen seine Brust. Ich vergrub meinen Kopf förmlich in seiner Halsbeuge und wollte am liebsten in ihn reinkriechen, anstatt nur das Handtuch fallen zu lassen, um meine Arme fest um seinen Oberkörper zu schlingen. "Ich verspreche es...", wisperte ich und nickte hektisch. Hatte vorher kein Stück darüber nachgedacht, ob ich überhaupt in der Lage war, dieses Versprechen halten zu können. Jetzt hatte ich ihm jedoch mein Wort gegeben und würde alles in meiner Macht stehende tun, dieses auch zu halten. Selbst wenn das im Umkehrschluss bedeutete, künftig wieder einige Kämpfe mit meinen inneren Dämonen aufnehmen zu müssen. Kein Kampf könnte mich je so in die Knie zwingen, wie es die Trennung von der womöglich einzigen richtigen Liebe meines Lebens getan hatte. Und laut Tauren könnten und würden wir gemeinsam alles schaffen, das klang doch gut, oder? "Es tut mir so leid... alles, was ich dir angetan habe. Ich werde versuchen, es wieder gut zu machen... auch das verspreche ich dir.", hängte ich eine für mich untypische Entschuldigung und ein weiteres Versprechen gleich noch hinten dran, als ich endlich wieder genug Sauerstoff in den Lungen hatte, um nicht komplett kraftlos und außer Atem zu klingen. Die Frage war nur, ob die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausreichend war. Ich wollte es glauben, wirklich, aber mein grundsätzlich eher pessimistisch veranlagtes Gehirn strampelte vehement dagegen an. Für den Moment unterdrückte ich dessen Einfluss jedoch lieber damit, die lang ersehnte Nähe Taurens zu genießen. Seinen Geruch aufzusaugen, mich von ihm wärmen, trösten und mich selbst einfach fallen zu lassen. Nein, so schnell würde er mich vermutlich nicht mehr loswerden.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Plötzlich spürte ich Vahagns Gewicht an der Brust und mir fielen dabei von ganz allein die Augen zu. Meine Hand rutschte von ihrer Wange in ihren Nacken und das Gefühl der Wiedervereinigung legte sich heilend um meine kaputte Seele, flutete meinen ganzen Körper mit wohliger Wärme. Ich brauchte diesen Moment, bevor ich die zweite Hand aus der Hosentasche nahm und den Arm eng um Vahagns Taille schlang. Vielleicht drückte ich sie zu fest, zu verkrampft, aber ich konnte nicht anders. Sie war endlich wieder hier, hier bei mir und sie würde bleiben. Ich konnte es noch gar nicht richtig fassen, doch Richard hatte sich geirrt und ich könnte nicht dankbarer dafür sein. Die Russin mochte einen Denkanstoß gebraucht haben, der kräftig genug an ihren sehr standhaften Gittern rüttelte, aber sie war zurückgekommen… und sie würde nicht einfach wieder wegrennen, wenn es das nächste Mal schwierig wurde. Vielleicht sollte ich mehr darauf pochen, dass sie mir weitere Beweise dafür lieferte, es ernst zu meinen. Ein Versprechen war immerhin genauso schnell gegeben, wie man es wieder brechen konnte. Im Grunde glaubte ich aber noch immer daran, dass wir trotz all unserer Unterschiede sehr wohl füreinander gemacht waren, wenn wir nur beide nicht damit aufhörten, aneinander zu arbeiten und einander zuzuhören. Vielleicht war das dumm und naiv, so oft, wie wir beide inzwischen schon schwungvoll auf die Schnauze geflogen waren. Doch ich wollte verdammt nochmal nicht, was jeder haben konnte – ich wollte Vahagn, mit all ihren verflucht tückischen Ecken und Kanten und mit all der einmaligen Liebe, die sie für mich entwickelt hatte. Ich lehnte meinen Kopf vorsichtig an ihren und atmete erleichtert aus. Mit dem nächsten, leicht stockenden Atemzug sog ich ihren süßen Duft ein und die Last auf meinen Schultern schien stetig kleiner zu werden. “Ich weiß… ich weiß.”, flüsterte ich mit heiseren Stimmbändern, unterbrochen von einem sanften Kuss auf ihr schwarzes, nasses Haar. Jedes Zucken, das von Vahagns Körper ausging, setzte weitere kleine Stiche in meine Brust. Jedoch war das gar nichts im Vergleich zu den letzten Wochen. Es dauerte einen Moment lang, bis sich meine Arme um ihren Körper ein wenig lockerten. Ich so endlich dazu fähig wurde, ihr beruhigend über den Rücken zu streichen, während der Daumen meiner anderen Hand unaufhörliche Kreise an ihrem seitlichen Nacken malte. Dabei machte ich selbst einige tiefe Atemzüge, um ihre Worte noch einmal sacken zu lassen und zu verhindern, in ihr Schluchzen mit einzusteigen. Nur langsam, über eine schiere Ewigkeit hinweg konnte ich die Tränen zurückdrängen und mein Puls beruhigte sich trotz der gleichmäßigen Atemzüge nicht. Es passierte gerade zu viel. Viel zu viel. Aber jetzt war alles gut, oder? Vahagn hatte sich sogar entschuldigt und gesagt, sie würde es wieder gutmachen. Vielleicht war nicht… tatsächlich alles gut, aber es würde jetzt besser werden und um das zu besiegeln, hob ich den Kopf nach ein paar Minuten schließlich an und nahm auch die Hand wieder aus Vahagns Nacken. Ihr Schluchzen war versiegt und ich strich behutsam ein paar Strähnen nach hinten über ihre Schulter, danach weiter über die Wange. Dabei sah ich die ganze Zeit über zu ihr runter, aber dieses Mal drängte ich sie nicht dazu, mich sofort anzusehen. Ich wartete geduldig und irgendwann, als Vahagn sich dazu überwinden konnte und ihr Blick auf meinen traf, erwartete ich sie schon mit einem Lächeln. Es mochte noch schmal sein und meine Augen blieben müde und gereizt, aber die Mundwinkel waren oben, immerhin ein bisschen. Ich sah sie nur kurz an, lange genug, dass sie das Lächeln bewusst wahrnehmen konnte, bevor ich mich zu ihr runter beugte und mir den Kuss von ihren Lippen holte, den ich schon die ganze Zeit wollte. Zuerst ganz sanft, liebevoll, doch die Sehnsucht nach mehr ergriff schnell das Ruder und ich gab einfach nach. Zog Vahagn tiefer in den Kuss hinein, der immer leidenschaftlicher wurde und mein Herz ein weiteres Mal Fahrt aufnehmen ließ. Ich schaffte es kaum, mich wieder von ihren weichen Lippen zu lösen, wusste aber, dass das besser war. Nichts überstürzen. “Du… du solltest raus aus den nassen Klamotten…”, murmelte ich etwas schwerer atmend an ihre Lippen. Weil das aber so klang, als würde ich sie stumpf dazu bringen wollen, sich für mich auszuziehen, ergänzte ich ein paar Sekunden später noch: “Wenn du willst, kriegst’ du meinen Hoodie… der ist schon warm.” Hm. Hatte ich’s jetzt schlimmer gemacht? Klang so, als würde ich wollen, dass wir uns beide auszogen – was ein Teil von mir definitiv sofort bewilligt hätte, obwohl das absolut keine gute Idee war. Wir sollten dringend zuerst wirklich alles aus dem Weg räumen, was noch zwischen uns lag.
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Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, die wir schweigend und ineinander verschlugen im Flur des Norwegers herumstanden. Ich genoss jeden einzelnen Augenblick, blendete alles andere um uns herum vollständig aus und konzentrierte mich ausschließlich auf Taurens Berührungen. Das sanfte Streicheln, der Kuss auf meinen Haaransatz, es hatte mir alles so unglaublich gefehlt. Mittlerweile war mir klar geworden, wie sehr ich diesen Mann an meiner Seite haben wollte und ich war unfassbar froh, dass er das genauso zu sehen schien. Wir deshalb wieder zueinander gefunden hatten, denn wir waren beide gleichermaßen daran zerbrochen, voneinander getrennt gewesen zu sein. Mit Taurens letzten Worten war mir auch das letzte Bisschen Gestein von meinem kaputten Herzen gefallen, ich konnte endlich wieder atmen. Fast fühlte ich mich wie neu geboren, als das Weine nach einigen Minuten ebenfalls sein Ende gefunden hatte. Das hatte mich zwar ziemlich müde gemacht, woran sicher auch die noch immer nassen Klamotten nicht ganz unschuldig waren - Kälte ließ einen bekanntlich immer müder werden, weil das Blut aus dem Gehirn in Richtung Herz floss, um dies wohl temperiert zu halten -, aber der Tag würde wohl kaum noch besonders lange dauern. Aller Wahrscheinlichkeit nach war der jungen Mann mir gegenüber mindestens genauso erschöpft wie ich. Wenn nicht von einem anstrengenden Tag, dann aber auf jeden Fall von der kräftezehrenden Unterhaltung. Und wenn ich ihn richtig verstanden hatte und er es zudem wirklich ernst meinte, dann würde ich heute hier bleiben und mir nach einer viel zu langen Zeit endlich wieder das Bett mit ihm teilen. Kaum vorstellbar, dass ich morgen dann tatsächlich neben ihm aufwachen würde. In den letzten Monaten war es mir von Tag zu Tag schwerer gefallen, morgens die Augen aufzuschlagen, weil mir doch recht schnell klar geworden war, dass die Hoffnung allein Tauren nicht plötzlich zu mir ins Bett zaubern würde. Nachdem wir einige Minuten bloß rumgestanden und die Nähe des jeweils anderen hatten auf uns wirken lassen, löste sich der Norweger etwas von mir. Am liebsten hätte ich ihn direkt wieder zurückgezogen, aber ihm schien etwas im Sinn zu stehen, gegen das ich mich ebenfalls nicht wehren würde. Ich hob zwar nur etwas zögerlich den Blick in sein Gesicht an, als er mich mit seiner Hand an meiner Wange erneut dazu aufforderte, aber es fiel mir deutlich leichter als noch vor wenigen Minuten. Der müde Anblick des jungen Mannes versetzte mir nach wie vor einen Stich ins Herz, aber das schwache Lächeln machte das Ganze etwas weniger schmerzhaft. Es kostete mich unglaublich viel Kraft, aber ich versuchte trotzdem, auch meine Mundwinkel etwas anzuheben. Vermutlich sah ich aus wie der letzte Idiot mit meinen aufgequollenen Augen, den aufgedunsenen Wangen, den nassen Haaren und dem schiefen Lächeln, aber das war mir egal. Und Tauren ganz offensichtlich auch, ansonsten hätte er wohl kaum noch seine Lippen auf meine gelegt. Nur allzu gerne erwiderte ich den zuerst sanften, dann immer leidenschaftlicher werdenden Kuss. Man konnte die zwei monatige Trennung förmlich schmecken, ganz sicher aber fühlen und am liebsten hätte ich gar nicht mehr von ihm abgelassen. Allerdings löste er sich kurze Zeit später bereits wieder von meinen Lippen und war mindestens genauso außer Atem, wie ich es war. Merkte an, dass es wahrscheinlich das Beste wäre, wenn ich zeitnah aus den durchnässten Klamotten raus kam und damit hatte er gar nicht mal so unrecht. Alleine der Temperaturunterschied zwischen Moskau und Havanna machte mir schon zu schaffen, seit ich aus dem Flugzeug ausgestiegen war, wohlgemerkt. Wenn ich jetzt noch länger in der klammen Hose und dem semi-dünnen Oberteil steckte, würde ich mir mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit eine Erkältung oder Schlimmeres einfangen. Die Aufforderung Taurens war in der aktuellen Situation allerdings etwas... naja, ungünstig formuliert? Ich wusste, worauf er hinauswollte und das sich hinter seinen Worten keine Anspielung befand und doch konnte ich ein leises Lachen und einen unqualifizierten Kommentar nicht unterdrücken. Schon gar nicht, wenn er sich beim Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, nur noch tiefer in die Scheiße ritt. "Du hörst dich an, wie ein pubertierender Jugendlicher, der auf die wahrscheinlich unklügste Art und Weise versuch, sein erstes Date ins Bett zu kriegen...", murmelte ich und es war, als wäre ein Teil der alten Vahagn schon wieder zurück. Der Teil, der nicht auf den Mund gefallen war und immer einen frechen Spruch in petto hatte. An dem sich Tauren unglaublich lange die Zähne ausgebissen hatte. Für den er mich lieben gelernt hatte... "Aber ja, klingt nicht verkehrt. Dein Hoodie im übrigen auch nicht.", fügte ich wenig später noch eine Bestätigung und eine indirekte Aufforderung, mir sein Oberteil zu geben, hinzu. Ihm war sicher nicht ansatzweise so kalt wie mir, er würde das sicher verkraften. Mittlerweile wieder etwas breiter lächelnd, hob nun ich meine Hand an seine Wange, um sanft über die Konturen seines markanten Unterkiefers zu streicheln. Müssten wir uns fürs Umziehen eigentlich voneinander trennen?
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Es war nur leise, aber es war ein Lachen. Wenn es Vahagn dazu brachte, schon so bald nach einem Sturzbach von Tränen wieder zu kichern, dann machte ich mich gerne zum Deppen. Nicht nur heute, sondern immer. Ich verzog die Lippen trotzdem zu einem schiefen, minimal peinlich berührten Lächeln, weil ich genau das erreicht hatte, was ich ursprünglich nicht hatte erreichen wollen. Dabei distanzierte ich den Kopf auch insgesamt wieder etwas von ihr, richtete mich etwas auf. Zum Glück war Vahagn nicht mein erstes Date und zum Glück hatte ich es nicht wirklich so gemeint. Das wussten wir beide und genau deswegen war es wohl auch so leicht, sich darüber zu amüsieren. “Wenigstens hat’s dich zum Lachen gebracht, weil du’s besser weißt.”, erwiderte ich und legte den Kopf dabei etwas schief, ohne das Lächeln zu verlieren. Ich war ein ziemlicher Gentleman im Alltag und es war auch ein bisschen so, wenn es darum ging, Sex zu haben – es käme mir nie in den Sinn, diesen doch sehr verletzlichen Moment der jungen Frau ausnutzen zu wollen, ganz egal wie sehr ich sie wieder auf jeder möglichen Ebene spüren wollte. Nicht, weil mich ihr von starken Emotionen geprägtes Gesicht gestört hätte, sondern weil man sowas einfach nicht machte. Es kam gar nicht mal selten vor, dass es Vahagn war, die die Intimität lostrat, aber wenn es auf meine Kappe ging, dann passierte das deutlich galanter als in diesem Augenblick – ich fragte sie nie stumpf danach, ihre Klamotten auszuziehen oder mit mir ins Bett zu steigen. Das war einfach nicht meine Art und genau deswegen hatte das gerade wohl so geklungen, wie es geklungen hatte. Ihre zierlichen, noch immer etwas kühlen Finger schickten ein Kribbeln über meine Haut und ich machte mit einem hörbar zufriedenen Durchatmen nochmal kurz die Augen zu. Dabei nahm ich die Hand von ihrem Gesicht und legte sie blind, aber absolut zielsicher an ihre Taille. Meine zweite Hand rutschte parallel dazu an die andere Seite, im mehr oder weniger ernsten Versuch, langsam wieder die Finger von Vahagn zu nehmen. An der Seite war schon besser als hinterm Rücken, richtig? “So wird das aber nichts…”, stellte ich mit einem fast schon angestrengt wirkenden Murren fest, das einzig daher rührte, dass ich mich nicht bereit dazu fühlte, sie loszulassen. Ich hatte sie doch gerade erst wieder bekommen. Warum musste ich immer der Vernünftigere von uns beiden sein? Ich beugte mich ein weiteres Mal zu der Schwarzhaarigen runter und holte mir noch zwei Küsse von ihren leicht geschwollenen, heißen Lippen, bevor ich mit den Fingern nach dem Saum des Oberteils suchte und es ihr in gewohnt vorsichtiger Manier über den Kopf zog. Nicht, weil es mir plötzlich nicht schnell genug gehen konnte, sondern weil das meine beste Möglichkeit dafür war, ihre Hände zuerst von mir wegzukriegen… zuerst loszulassen fiel mir schwerer als das hier. Ich versuchte trotzdem, möglichst wenig ihre nackte Haut mit meinem Blick zu streifen, als ich ihr kurz das nasse Teil in die Hand drückte, um mir den grauen Pullover über den Kopf zu ziehen und damit todsicher meine Frisur zu ruinieren. Danach tauschten wir und ich zupfte das dünne Tshirt zurecht, das mit hochgerutscht war. “Deine Sachen… sind noch im Schrank.”, gestand ich und blickte dabei noch nicht wieder vom Shirt hoch. Denn ja, wenn man das ganze Zeug seiner Verflossenen in seiner Wohnung stehen ließ, kam man erst recht nicht drüber weg – da sprach ich jetzt aus Erfahrung. Zwar hatte ich Vahagns Badezimmersachen im Unterschrank verstaut, aber das wars dann auch schon. Weiter war ich nie gekommen. “Die Hose brauch’ ich aber auch noch.” Mit einem schmalen Grinsen und einer auffordernden Handbewegung wechselte ich deswegen kurzerhand wieder das Thema. Wenn ich schon das Oberteil und das Handtuch mit ins Bad nahm, um das Zeug auf der einzigen in dieser Wohnung eingeschalteten Heizung aufzuhängen, wollte ich nicht zweimal gehen. Nachts wurde es dadurch manchmal ziemlich kühl in der Wohnung, aber das war für mich nicht schlimm. Normalerweise war Vahagn zum Kuscheln da gewesen und als sie es nicht gewesen war, war ich innerlich so oder so erfroren.
Ich hatte von Anfang an gewusst, dass die Beziehung zu Richard nicht einfach werden konnte. Das hatte mich eigentlich auch nie gestört. Es war zuweilen anstrengend gewesen, wenn er mich auf Abstand geschubst hatte, weil ich ihm zu aufdringlich geworden war. Als ich noch sowas wie einen angenehm anspruchsvollen Alltag gehabt hatte, war das aber halb so wild gewesen, weil ich mich dann einfach anderweitig beschäftigt hatte. In den meisten Belangen war ich ein geduldiger und sehr verständnisvoller Mensch – auch im Hinblick auf das schwere Trauma, das der Engländer in den Händen der italienischen Mafia, die nicht wirklich weniger als Teil meiner Blutsfamilie war, erlitten hatte. Aber vielleicht, nur ganz vielleicht, hätte ich ein paar Mal öfter darüber nachdenken sollen, bevor ich beschlossen hatte, ihn an einen meiner liebsten Plätze in Havanna zu entführen, mit ihm zu tanzen und ihn auf diesem Dach zu küssen. Das war verdammt leichtsinnig und kurzsichtig und es war niemals meine Absicht gewesen, ihn zu verletzen. Ich liebte ihn und seine zwischenzeitlich künstlerisch schräge Art. Ich liebte es, dass er so anders war und Gespräche mit ihm immer anregend, niemals langweilig waren. Die kriminelle Vorgeschichte, die hätte ich nicht unbedingt gebraucht, aber darüber konnte ich immer leichter hinwegsehen, je besser ich ihn kannte. Im Gegensatz zu Menschen wie Sabin oder Hunter war das ganz und gar nicht das, was Richard ausmachte. Er war gut so, wie er war. Nur ich war es offenbar nicht. Ich versuchte wirklich, mich so ganz ohne Job trotzdem sinnvoll zu beschäftigen: Sport zu treiben, die meisten alltäglichen Dinge im Haushalt wie Kochen, Waschen und Putzen zu übernehmen und ich fing sogar irgendwann damit an, Richards Bücher über Kunstgeschichte durchzuwälzen. Vielleicht konnte ich mich niemals so sehr für Kunst begeistern wie er, aber ich fand es durchaus interessant und es war irgendwie schön, sich jetzt auch darüber mit ihm unterhalten zu können. Manchmal traf ich mich auch mit Irina, aber sie schien es meistens zu bevorzugen, wenn der Engländer auch anwesend war… und das war nicht so in meinem Interesse. Dann fehlte mir nämlich die Möglichkeit, mich persönlich mit ihr über meine Probleme zu unterhalten. Über das Telefon war es nicht dasselbe. Ich wollte ihre ehrliche Meinung und die konnte man im Gesicht eines Menschen am Besten erkennen. Vor einer Woche hatten wir uns dann tatsächlich an einem sonnigen Nachmittag in einer Eisdiele getroffen und es überraschte mich nicht, dass sie sich gut in mein Problem hineinversetzen konnte – ihre Fernbeziehung lief zwangsläufig auch auf lange Intervalle ohne jegliche Intimität hinaus. Doch im Gegensatz zu mir bekam sie eben trotzdem Sex. Bevor ich den Aufpasserjob für Richard bekommen und damit mein ganzes Privatleben beerdigt hatte, war ich relativ konstant auf dieser Ebene aktiv gewesen und das war jetzt schon über ein Jahr her. Über. Ein. Jahr. Jetzt, wo ich mental noch immer durchhing und viel zu viel Energie übrig hatte, könnte ich es mehr denn je gebrauchen. Gefühlt sah ich auf der Straße nur noch attraktive Menschen und Irina schlug mir sogar einmal an den Oberarm, als ich einem attraktiven jungen Mann – offensichtlich ein Tourist – etwas zu lange schöne Augen machte. Ich wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken und sie riet mir, dringend mit Richard darüber zu reden. Was ziemlich ironisch war, weil sie – soweit ich informiert war – selber stellenweise sehr unzufrieden mit ihrer Fernbeziehung war und genau gar nichts dagegen unternahm. Naja, egal. Richard war hier bei mir und das jeden Tag. Jeden Tag musste ich ihm ins Gesicht sehen und wusste dabei ganz genau, dass er kaum zeitnah komplett einbrechen würde. Wenn wir Fortschritte auf intimer Ebene machten, dann waren die winzig. Von da, wo wir jetzt standen – ein bisschen nackte Haut, ein bisschen Streicheln, ein bisschen Küssen – bis zu einem Erlebnis, das mich komplett befriedigt zurücklassen würde, waren wir noch Lichtjahre entfernt. Und ich wollte es ihm sagen, ich wollte es wirklich, aber ich schaffte es nicht. Jedes Mal, wenn ich mir vornahm, ihm zu sagen, wie schwer es mir inzwischen fiel, ihm treu zu bleiben, blieb mir das alles einfach im Hals stecken. Die Alternative dazu war scheinbar, dass ich mich mit einer alten Freundin, bei der ich mich monatelang nicht mehr gemeldet hatte, in eine Bar schlich, als Richard wie immer mit Sabin für Hunter Chemie zu Gold machte. Ziza war überrascht, aber sehr leicht dafür zu begeistern. Sie wohnte noch immer in Havanna und kaum zweihundert Meter von einer der besten Partymeilen entfernt. Wir trafen in der Bar auf noch mehr bekannte Gesichter – in Bars und Clubs war Havanna auch nur ein Dorf – und es formte sich schnell eine Gruppe, die mich zu mehr Shots animierte, als ich eigentlich hatte trinken wollen. Zwei oder drei gute Gläser Wein genießen, das war meine Intention gewesen. Oder vielleicht auch nicht, weil es nicht so war, als müssten sie mich lange dazu überreden. Es wurde immer später und die Plätze am Tisch leerten sich mit der Zeit. Ich war nicht mehr so eisern wie früher, hielt aber bis zum Ende durch und saß dann nur noch mit einer Brünetten mit hinreißend karamellfarbener Haut am Tisch, die ich bisher immer nur über Ecken getroffen hatte. Bis hierhin hatten wir uns nie lange miteinander oder gar unter vier Augen unterhalten. Ich sollte gehen, als sie näher zu mir ran rückte. Das wusste ich. Stattdessen ließ ich mich tiefer ins Polster sinken und sah sie mir genauer an. Hielt das Gespräch am Laufen und als sich irgendwann unsere Blicke trafen, ihre Augen mir angeregt entgegen funkelten, da wusste ich, dass ich verloren hatte. Es war einzig mein Herz, dass mich dazu anschickte, den Kopf aus dem Gefahrenradius zu neigen, damit sie mich nicht küsste… nur war ihr das egal, sie nahm sich stattdessen einfach den präsentierten Hals. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht, wie lange ich auf dieser Bank neben ihr sitzend um meinen Verstand kämpfte. Erst als sie ihre Hand auf meinen Schritt legte, obwohl sich unsere Lippen nie berührt hatten, schob ich sie auf Abstand. Sagte ihr, dass ich einen Freund hatte, was sie stumpf mit ’Na, er kann doch einfach mitmachen’ und einem zum Sterben verführerischen Tonfall beantwortete. Ich hing diesem etwas zu schönen Traum zu viele Sekunden nach, in denen sie an meiner Halsbeuge weitermachte, bevor ich ihr schließlich nachdrücklich sagte, dass er schwul-schwul war und das hier nicht ging. Sie war zu Recht beleidigt, als sie ihre Tasche nahm und mich mit der wohlverdienten Beule in der Hose sitzen ließ. Karma. Die Taxifahrt nach Hause ging mir viel zu schnell. Es war schon gegen vier Uhr, als ich die Hand mit dem Schlüssel nach der Haustür ausstreckte und zögerte. Gott, ich wollte da nicht rein. Ich sollte wie ein gestrafter Köter auf der verdammten Fußmatte vor der Tür schlafen, das wäre fair gewesen. Doch es half nichts, ich schloss die Tür auf und ging rein. Schon im Spiegel über dem Waschbecken bei den Toiletten der Bar hatte ich die nicht gerade kleinen rötlichen Flecken an meinem Hals gesehen und dagegen konnte auch mein warmer Teint gar nichts ausrichten. Würde er ausrasten, mich rauswerfen? Ich wohnte hier umsonst und er hätte jedes Recht dazu. Warum war ich so verdammt undankbar? Tief durchatmend legte ich den Hausschlüssel bei Seite und schob mir die Schuhe von den Füßen. “Richard..?”, fragte ich nicht allzu laut nach meiner eindeutig besseren Hälfte. Sein Wagen stand schon in der Auffahrt und das Licht war noch an, er war also noch wach… was mich nicht wundern sollte, weil ich ihm nicht gesagt hatte, dass ich heute noch raus ging.
Pain? I Love It. Anything else can be fake - happiness, crying, smiles, hugs... even the sweetest kisses. But Pain? Daaamn, that shit's real.
Wenn es um den Punkt ging, mich in den unmöglichsten Situationen trotzdem zum Lachen zu bringen, dann war Tauren vermutlich einer der wenigen Menschen - vielleicht sogar der Einzige -, dem das in aller Regelmäßigkeit gelang. Ganz allgemein schien der Norweger einen unglaublich großen Einfluss auf mein Gemüt zu haben. Anfangs hatte mich genau das davon abgehalten, meine Gefühle für ihn zu akzeptieren, weil... weil es einfach seltsam gewesen war. Ich war immer so eisern gewesen, egal, worum es ging und das absolut ohne Anstrengungen. Das Gelächter blieb aus, wenn mir nicht der Sinn danach stand, ich stellte meine getroffenen Entscheidungen nicht infrage und entschuldigen tat ich mich ohnehin äußerst selten. Kaum war der junge Mann in mein Leben getreten, hatte er meine Welt in diesen Belangen gänzlich auf den Kopf gestellt. Es war daher weniger verwunderlich, dass ich mich anfangs dagegen gewehrt hatte, oder? Inzwischen ließ ich mich jedenfalls mehr und mehr darauf ein, es störte mich mit jedem Tag wenigen, was ganz allein Taurens Hartnäckigkeit zu verdanken war. Er hörte nicht auf, mich mit Liebe und Verständnis zu bombardieren, wie hätte ich da langfristig meine Mauern intakt halten sollen? Das war schlichtweg nicht möglich. Irgendwie war ich gedanklich ziemlich abgedriftet und hatte den Norweger bestimmt eine ganze Weile wortlos angestarrt, während ein weiterhin recht schwaches Lächeln meine Lippen zierte. Erst Taurens Worte und die darauffolgenden Küsse holten mich wieder zurück in die Gegenwart. Gemessen an seinen eher langsamen Bewegungen schien es ihm auch nicht in den Kram zu passen, sich von mir zu lösen, damit wir uns beide aus- beziehungsweise umziehen konnten, aber er wusste genauso gut wie ich, dass das schlichtweg notwendig war. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass bereits hören konnte wie die Erkältung anklopfte. Ich ließ mir also mit gemischten Gefühlen das Oberteil über den Kopf ziehen, hielt es nach entsprechender, wenn auch indirekter Aufforderung kurz fest und beobachtete im Anschluss daran, wie der Norweger sich seines Hoodies entledigte. Dabei bemühte ich mich noch nicht einmal darum, meinen Blick von ihm abzuwenden - ganz im Gegenteil. Ich hatte ihn vor Monaten schon sehr gerne angesehen und daran hatte sich absolut nichts geändert. Er hatte einen tollen Körper, von dem ich wahrscheinlich nie genug bekommen würde. Obwohl wir uns nun schon relativ lange kannten und ich Tauren des Öfteren oberkörperfrei oder ganz nackt gesehen hatte, fand ich immer noch Motive zwischen all seinen Tattoos, die ich bis dato noch nicht wahrgenommen hatte. Es wurde entsprechend nie langweilig und ich konnte ihn stundenlang einfach nur ansehen. Momentan wäre es mir allerdings lieber gewesen, ihn stundenlang zu spüren. Kuschelnd mit ihm im Bett zu liegen, um all die Nähe zueinander, welche uns in den letzten zwei Monaten so schmerzlich gefehlt hatte, aufzuholen. Geduldig wartete ich darauf, dass der Norweger mir sein Oberteil aushändigte. Ich seufzte zufrieden, als ich mir dann den grauen - und vor allem warmen! - Pullover über den Kopf gezogen hatte, machte allerdings keinerlei Anstalten, die Kapuze zurückzuschieben. Es war zwar nicht besonders angenehm, wenn sich die nassen Haare unter dem Stoff an meinen Schädel drückten, aber meine Ohren genossen die zusätzliche Wärme viel zu sehr. "Danke...", murmelte ich und schlang die Arme um meinen Körper. Unnötig zu erwähnen, dass das Oberteil nicht ansatzweise so gut saß, wie es bei dem jungen Mann der Fall gewesen war und ich mehr oder weniger darin versank. Aber es war angenehm warm und kuschelig, ganz wie ich es vermutet hatte. Ich beschloss, mir öfter wieder Taurens Pullover auszuleihen, auch wenn meine Klamotten noch im Schrank zu sein schien. Er hatte sie nicht entsorgt? Der irritierte Blick meinerseits, den der Norweger mit seiner Offenbarung hervorgerufen hatte, ließ sich leider nicht unterdrücken, entspannte sich dafür aber sehr schnell wieder. Weil er selbst den Blick abgewandt hatte, dürfte es ihm noch nicht einmal aufgefallen sein. Ich wusste nicht, ob ich etwas anderes erwartet hatte, lagen von ihm doch ebenfalls noch Sachen in meinem Kleiderschrank auf Kuba, aber... gerechnet hatte ich damit trotzdem nicht. "Ich glaube nicht, dass ich heute noch etwas von meinen Sachen braue, aber gut zu wissen.", kommentierte ich seine Aussage mit einem Lächeln. Wie er meinte Worte jetzt interpretierte, blieb ihm überlassen. Dass er wenig später noch meine Hose haben wollte, ließ mich allerdings eine Augenbraue anheben. "So langsam ist aber mal gut, oder?", witzelte ich und fand mich damit ab, dass meine Stimme heute nicht mehr fester würden werde. Sie blieb eher leise, zögerlich, als hätte ich Angst, etwas Falsches sagen zu können. Noch während ich redete, begann ich bereits damit den Knopf zu öffnen, um seiner Aufforderung trotzdem nachzukommen. Durch den viel zu langen Hoodie fühlte es sich ja noch nicht einmal an, als wäre ich halbnackt, denn der Stoff fiel noch ein gutes Stück über meinen Hintern und meine Oberschenkel. Allerdings nicht genug, um der Gänsehaut vorzubeugen, die sich beinahe schlagartig ausbreitete, als ich die Hose von meinen Beinen streifte und Tauren ebenfalls in die Hand drückte.
Irgendwie war heute nicht wirklich mein Tag gewesen und sollte es wohl auch nicht mehr werden. Zu sagen, ich hatte furchtbar geschlafen, wäre noch eine ziemliche Untertreibung gewesen, so oft ich wie ich durch Alpträume verfolgt aufgewacht war, aber beim Schlafmangel allein war es leider nicht geblieben. Es war einer dieser Tage, an dem alles schiefging, was nur schiefgehen konnte. An denen einen alles aufregte - wo man sowieso schon schlecht gelaunt war und dann auch noch mit dem Arm gegen die Türklinke lief. Genau so ein Tag war heute. Nachdem ich relativ schwer aus dem Bett gekommen war, stellte ich fest, dass ich bereits ein Loch in einem Paar neu gekaufter Socken hatte, beim Duschen fiel mir auf, dass mein Duschgel leer und mein morgendlicher Kaffee schmeckte irgendwie komisch. Von der Arbeit wollte ich gar nicht anfangen zu reden. Bereits auf dem Weg zum Labor hatte mein Wagen seltsame Geräusche von sich gegeben, welche ich versuchte mit lauter Musik auszublenden und trotz gewohnt übertriebener Vorsicht hatte ich es beinahe geschafft, Sabin und mich im Laufe des Abends in die Luft zu jagen, weil ich zwei Reagenzgläser mitsamt Inhalt vertauscht hatte. Glücklicherweise waren infolgedessen nur ein paar Glasbehältnisse gesprungen und mit einem anschließenden Knall zu Bruch gegangen. An dem Punkt hatte ich keinen wirklichen Sinn mehr darin gesehen, dem Tag noch eine Chance zu geben und war fluchend nach Hause gefahren. Das Radio war natürlich ausgefallen und so begleitete mich auf dem Rückweg nur das monotone Klopfen, welches ich vorhin bereits gehört hatte. In der Hoffnung, mich gleich mit Sammy auf dem Sofa verkriechen zu können, lenkte ich den Wagen in die Auffahrt. Kaum war ich ausgestiegen und hatte den Weg in Richtung Haustür eingeschlagen, schob ich nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Der Bungalow lag komplett im Dunklen, es sah so aus, als wäre Samuele gar nicht Zuhause. Nachdem ich die Tür geöffnet hatte und über die Türschwelle getreten war, war ich mir dessen sogar ziemlich sicher. Wo war er? Ich dachte kurz darüber nach, ob ich eine Verabredung oder Ähnliches vergessen hatte, aber soweit ich mich erinnerte, hatte er nichts dergleichen angeschnitten. Leise seufzend und sichtlich angespannt beförderte ich den Hausschlüssel an seinen vorgesehenen Platz neben der Tür und streifte mir die Schuhe von den Füßen. Ein Blick auf das Display meines Handys verriet mir, dass Sam mir keine Nachricht hinterlassen hatte und ich überlegte kurz, ob ich ihn anrufen und fragen sollte, wo er war und wann er nach Hause kommen würde. Letztlich entschied ich mich jedoch dagegen, aus dem ganz einfachen Grund, dass ich ihm vertraute und ihm eine Auszeit mehr als gönnte. Sam war eine unfassbare Hilfe im Haushalt und darüber hinaus heilte er einige der viel zu tief sitzenden Wunden, die ich aus der Zeit mit Agnolo davongetragen hatte. Und das alles, obwohl sein einstiges Leben in Schutt und Asche lag. Er selbst genug Baustellen hatte, um die er sich eigentlich hätte kümmern müssen. Trotzdem stand ich immer an erster Stelle und genau deswegen schien es mir mehr als fair, ihm eine ungestörte Auszeit zu gönnen. Ich ging nicht davon aus, dass er sich auf der Insel unbedingt in Gefahr befand und machte mir daher auch keine allzu großen Sorgen. Der einzige, vor dem Samuele Angst haben müsste, wäre Hunter und der hatte momentan wirklich keinen Grund, sich den Italiener zur Brust zu nehmen. Aber brauchte er den überhaupt? Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken daran, dass mein Freund sich möglicherweise in Gefahr befand, loszuwerden und kümmerte mich lieber darum, aus den Klamotten rauszukommen. Durch die kleine Explosion im Labor, war vor allem meine Hose mit Rußpartikeln übersät, das Oberteil war von dem Kittel glücklicherweise geschützt worden. Nichtsdestotrotz landete beides im Wäschekorb und ich duschte noch ein weiteres Mal am heutigen Tag, bevor ich mich erschöpft im Wohnzimmer auf die Couch fallen ließ und den Fernseher einschaltete. Bandit schlich sich wenige Minuten später zu mir und zauberte mir immerhin ein schmales Lächeln auf die Lippen. Wenigstens du bist hier, dachte ich, als ich mit der Hand über sein weiches Fell streichelte. Für eine Weile versumpfte ich vor der Flimmerkiste, bis sich mein Magen zu Wort meldete und mich wissen ließ, dass es Zeit für einen kleinen Snack war. Es war inzwischen kurz vor vier und Samuele war immer noch nicht wieder Zuhause. Mich beschlich so langsam die Vermutung, dass er es heute auch nicht mehr täte. Vielleicht blieb er die Nacht über bei einem Freund. Wieder schlich sich ein Seufzen über meine Lippen und es kostete mich unglaublich viel Kraft, mich vom Sofa aufzuraffen, um in die Küche zu schlurfen. Ich würde mir nur noch ein Brot machen und anschließend in Bett gehen, nicht länger auf den Italiener warten. Das schien ich überraschenderweise aber auch gar nicht mehr zu müssen. Ich hatte mich gerade gegen die Theke gelehnt und darauf gewartet, dass das Toast aus dem Toaster sprang, als ich die Haustür hörte. Nur wenige Sekunden später ertönte auch schon die liebliche Stimme des Mannes, an den ich mein Herz verloren hatte. "Ich komm' gleich!", rief ich zurück. Aus einem Schrank auf Kopfhöhe entnahm ich einen Teller und stellte ihn auf der Arbeitsfläche ab, bevor ich die Küche verließ. Sofort etwas besser gelaunt, schloss ich mit einem Lächeln auf den Lippen zu Sam auf. "Na, Spaß gehabt?", fragte ich gerade heraus, als ich nur noch etwa zwei Meter von ihm entfernt war. Bereits auf die Distanz konnte ich gehen, dass seine Wangen vom Alkoholkonsum gerötet waren und mir damit bestätigten, dass er scheinbar mit Freunden unterwegs gewesen sein musste. Als ich quasi direkt vor ihm stand, wich das Lächeln und all die mühevoll zusammenraffte, ohnehin kaum vorhandene gute Laune aber auch schon wieder gänzlich aus meinem Körper. Offenbar hätte ich mir die Frage, ob er Spaß gehabt hatte, eigentlich schenken können, waren die roten Flecken an seinem Hals doch Antwort genug. So wie es aussah, hatte er ein bisschen zu viel Spaß gehabt. Mein Blick verdunkelte sich schlagartig und mein Verstand war plötzlich wie leer gefegt. Sprach er es selber an oder hoffte er darauf, dass ich es einfach so stehenlassen würde, was natürlich nicht der Fall gewesen wäre?
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Ich warf der Schwarzhaarigen ein Lächeln zu, als sie sich für das kuschelig warme Kleidungsstück bedankte. In diesem für sie deutlich zu groß geratenen Pullover wirkte sie sofort sehr viel weniger wie eine ernsthafte Bedrohung. Nicht nur für mein angeknackstes Herz, sondern für ihre gesamte Umwelt. “Hab ich dir schon mal gesagt, wie süß du in meinen Klamotten aussiehst?”, eigentlich eine rhetorische Frage, weil ich mir da selbst ziemlich sicher war. Sie wirkte dann einfach immer ein bisschen verloren – erst Recht mit den verschlungenen Armen – und das führte grundsätzlich dazu, dass ich sie einfach nur in den Arm nehmen und festhalten wollte. Vielleicht musste ich das süß aber doch noch zurücknehmen. Die Russin war in Wortspielereien eindeutig besser als ich und meistens fand ich das unterhaltsam. Wenn es so wie jetzt dazu führte, dass sie mir in diesem Moment noch eher unangebrachte Bilder in den Kopf pflanzte, war das aber eher ein bisschen anstrengend. Es war am naheliegendsten, dass sie einfach nur weiter in meinem Hoodie rumlaufen würde, wenn sie nicht an ihre Sachen ging – was mich an jedem anderen Tag als heute kein bisschen gestört hätte. Dass sie kurz darauf ihre Hose auszog, war nicht besonders förderlich für klare Gedanken meinerseits. Mein an ihr ziemlich weiter Hoodie mochte so ziemlich alles dabei verdecken, aber ich wusste sehr gut, was sich direkt darunter befand. Oberhalb dieser langen, schlanken Beine, die für zwei oder drei Sekunden meinen Blick auf sich zogen. Dann sah ich zurück in Vahagns Gesicht und zog die Augenbrauen etwas zusammen, als ich die Hose entgegennahm. “Das Süß muss ich revidieren.”, korrigierte ich meine eigene Aussage mit einem leisen Seufzen, das irgendwo zwischen verträumt und angespannt lag, bevor ich mich bückte, um auch das Handtuch noch einzusammeln… wobei ich zwangsläufig nochmal visuell mit ihren nackten Beinen konfrontiert war. Dass sich dort eine leichte Gänsehaut über ihre Haut zog, war das einzige, was mein von Glückshormonen geflutetes Gehirn erneut zu einer würdigen Leistung ankurbelte. Ich warf einen kurzen Blick in Richtung Wohnzimmer, danach sah ich an Vahagn vorbei tiefer in den Flur hinein, wo das Schlafzimmer lag. “Geh’ schonmal vor…”, murmelte ich und nickte den Flur runter, bevor ich mich nach einem letzten Blick in ihre Augen schweren Herzens von ihr abwendete und mit den feucht bis nassen Stoffen einen Abstecher ins Badezimmer machte. Mir kam die angenehme Wärme des kleinen Raums entgegen, als ich dessen Tür öffnete und an der Heizung, die sich direkt dahinter befand, ein Teil nach dem anderen aufhängte. Es schön redend betrachtet, war es im Bett schlichtweg wärmer als im Wohnzimmer, wo ich nur eine dünne Decke für noch kühlere Tage hatte. Abseits davon war ich auf dem Sofa eigentlich nie eingedeckt, das war irgendwie nicht mein Ding. Richtig nüchtern betrachtet war es trotzdem dumm, meine guten Vorsätze mit dem direkten Gang ins Schlafzimmer ein Stück weit selber zu sabotieren. Ich war eben auch nicht perfekt. Andererseits machte es vielleicht überhaupt keinen Unterschied. Ein Bett war nicht der einzige Ort, an dem man Sex haben konnte. Ich rieb mir einmal fest mit beiden Händen übers Gesicht und verließ das Bad, um zu der Schwarzhaarigen aufzuschließen. Mit eher langsamen, beinahe bedächtigen Schritten, weil ich noch immer kaum fassen konnte, dass sie tatsächlich hier aufgetaucht war und sogar bei mir blieb, ohne zu zögern. Es war heftig und der Anblick, der sich mir bot, als ich durch den Türrahmen bog, wirbelte mein Herz gleich ein weiteres Mal auf. Vahagn unter der Decke zu sehen war wie ein zweiter Frühling und brachte sofort ein Lächeln zurück auf meine Lippen. Ich musste trotzdem noch einen kurzen Abstecher zum Schrank machen, denn das zweite Kissen fehlte – das war gewaschen in einer Ecke im Schrank gelandet, in der es mich nicht störte. Ihre Klamotten im Schrank zu sehen war eine Sache, aber der Geruch ihres Kissens hatte mich fertig gemacht und die Erinnerung an die ersten schlaflosen Nächte drohte sich an mein Herz zu klammern. Also bezog ich das Kissen nur schnell mit einem frischen Bezug, bevor ich zu Vahagn aufschloss und mich zu ihr ins Bett verkrümelte. “Sind deine Hände noch kalt..?”, fragte ich sie mit einem Seitenblick aus schmalen Augen, um mich wenn nötig schonmal mental auf ihre Eispfoten vorzubereiten. Gleichzeitig streckte ich einen Arm aus und machte es mir mit dem zweiten Kissen bequem.
Bitte nicht., schoss es mir durch den Kopf, als ich die eher dünne, aber noch immer etwas nasse Jacke an die Garderobe hängte. Der starke Regen war im Verlauf der Nacht zu einem seichten Nieseln geschrumpft. Ich fühlte mich gerade generell schon schlecht genug, aber gleich noch beschissener damit, dass ich Richard am liebsten komplett aus dem Weg gegangen wäre. Es war schließlich mein Fehler, also sollte ich mich den Konsequenzen meines Handelns auch stellen – hätte ich es geschafft, vorher mit ihm darüber zu reden, wäre ich heute Abend vielleicht gar nicht raus gegangen. Ich ärgerte mich unheimlich über mich selbst, aber davon konnte der Engländer sich auch nichts kaufen. Sein Lächeln war wie ein Schlag ins Gesicht, als er gerade aus der Küche kam und ich dabei war, mich in genau diese Richtung umzudrehen. Ich hielt inne, mir wurde flau im Magen und ich konnte das Lächeln nicht erwidern. Zu kotzen wäre in diesem Moment leichter gewesen. Und dann noch diese Frage… ich sah sofort ertappt auf den Boden runter und war versucht, den Hals so zu verdrehen, dass die Flecken weniger gut für ihn zu sehen waren. Doch das würde nichts bringen, es nur hinauszögern und noch schwieriger machen. Noch mehr Hitze flutete meine Wangen, als ich mich dazu zwang, den Blick langsam in Richards Gesicht anzuheben. Nur, um mir gleich darauf zu wünschen, ich hätte stur weiter auf den Boden gestarrt. Es tat weh, das so offensichtliche Entsetzen in seinen Augen zu sehen. Das konnte nicht das sein, was ich gewollt hatte. “Ich… ich glaube nicht, dass es an diesem Punkt ausreicht… offen dazu zu stehen, dass ich Mist gebaut habe… und dass mir das… unfassbar leid tut…”, brachte ich stockend die ersten paar Worte hervor, musste dabei jedoch mehrmals kurz den Blickkontakt abbrechen, weil es mir unfassbar unangenehm war. Gleichzeitig wollte ich aber auch nicht wie ein dummes Kind auf den Boden starren, in der Hoffnung, dass dann nichts passierte. So funktionierte das nicht. Alles von dem, was sich in den folgenden Minuten ereignen würde, ging einzig und allein auf meine Kappe, also würde ich jetzt auch dazu stehen. Ich wollte die Hand nach Richard ausstrecken, ihn in dieser verletzenden Situation beruhigen, aber ich war ziemlich sicher gerade die letzte Person, von der er sich anfassen lassen wollte. Also versuchte ich es erst gar nicht, sondern schüttelte unbewusst kaum sichtbar den Kopf und machte dabei kurz die Augen zu. Versuchte mich ansatzweise zu erden, wobei der noch durch meinen Körper zirkulierende Alkohol absolut keine Hilfe war. Ich war nicht sturzbetrunken, konnte noch klar sprechen, spürte den Einfluss aber deutlich. Immerhin war ich nicht auch noch auf die super Idee gekommen, mir wieder Happy Pills einzuwerfen. Die Möglichkeit wäre sogar da gewesen. “Ich… wir müssen reden, Richard. Nicht nur über diesen… sinnlosen Ausrutscher… sondern auch über uns.”, brachte ich murmelnd hervor und sah zurück in seine Augen. Dabei stand mir die Verzweiflung mit der in Falten gelegten Stirn, dem schimmernden Blick und den leicht bebenden Nasenflügeln förmlich quer übers Gesicht geschrieben.
Pain? I Love It. Anything else can be fake - happiness, crying, smiles, hugs... even the sweetest kisses. But Pain? Daaamn, that shit's real.
Eine Sache, die ich im Laufe unserer Beziehung gelernt hatte, war, den Norweger zu lesen wie ein Buch. Er mochte immer noch einen Großteil der Leute um ihn herum täuschen können, wenn er das denn wollte, aber bei mir hatte Tauren kein leichtes Spiel mehr. Ehrlicherweise machte er gerade aber auch keinen Hehl daraus, dass er mich am liebsten komplett ohne Klamotten gesehen hätte. Das wäre selbst einem Blinden mit Krückstock aufgefallen, so wie er mich kurzzeitig mit seinem Blick auszuziehen versuchte. Aber mich störte das nicht und ich konnte es verstehen. Zwar war ich in den letzten zwei Monaten sexuell recht aktiv gewesen, allerdings hatte in der Hinsicht kein Mann Tauren je das Wasser reichen können und auch auf etlichen anderen Ebenen war der junge Mann absolut konkurrenzlos geblieben. Sein Charakter und sein Aussehen waren einmalig und ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich seit unserer Aussprache - die lediglich aus einem Versprechen und einer Entschuldigung bestanden hatte - nicht darüber nachdachte, mich ihm einfach an den Hals zu werfen. Guter Sex hatte mir genauso gefehlt, wie der junge Mann an sich. Ich hielt es jedoch für keine gute Idee, gleich in unserer ersten gemeinsamen Nacht seit langer Zeit all in zu gehen. Schließlich gab es einige Dinge, über die wir dringend noch sprechen mussten. Die Wiedervereinigung jetzt als Vorwand zu nutzen, die zum Teil wirklich schwerwiegenden Ereignisse einfach ins letzte Eck unserer beiden Hirne zu pferchen und uns stattdessen der puren Lust hinzugeben war weder sinnig noch zielführend für die positive Entwicklung unserer Beziehung. Aber er machte es mir unglaublich leicht, ihn ein bisschen aus der Fassung zu bringen und Tauren wusste, wie viel Spaß mir das machte. Das hatte es damals schon, als er sich um gekümmert hatte, weil ich selber dazu nicht mehr in der Lage gewesen war und bis heute hatte sich das auch nicht geändert. Wieder zog ich argwöhnisch die Augenbrauen hoch. Hatte er mich gerade süß genannt? Der hochgewachsene Schönling wusste, wie viel ich von dem Geplänkel durchschnittlicher Beziehung hielt - nämlich gar nichts -, aber wenn es das war, was ihn glücklich machte, dürfte er mich meinetwegen gerne öfter so nennen. Im Umkehrschluss musste er jedoch damit leben, jedes Mal einen blöden Spruch von mir gedrückt zu bekommen, weil ich das nicht einfach auf mir sitzenlassen konnte. Ich war nicht süß, sondern ein Monster. Auf meine ganz eigene Art und Weise, nicht über Mord und Totschlag definiert, wie sich die meisten anderen Menschen eine solche Titulierung verdienten. Und ich war mir sicher, Tauren konnte das aus eigener Erfahrung bestätigen. "Nenn' mich noch einmal so und ich zeig' dir, wie süß ich wirklich werden kann...", richtete ich zwinkernd eine vermeintliche Drohung an den jungen Mann und sie klang müder, als ich es mir gewünscht hätte. Ich war zwar nicht mehr ansatzweise so schlecht gelaunt wie noch vor wenigen Minuten, als ich mit meinem Finger die Klingel betätigt hatte, aber müde war ich trotzdem, da konnte auch unsere Wiedervereinigung nichts gegen ausrichten. Entsprechend waren auch die Worte des jungen Mannes Musik in meinen Ohren und ich kam seiner Aufforderung ohne zu zögern oder Widerworte zu geben nach. Langsamen Schrittes bewegte ich mich in Richtung des Schlafzimmers, welches wir uns vor Monaten in aller Regelmäßigkeit geteilt hatten und ließ mich dort angekommen erschöpft ins Bett fallen. Etwas irritiert musste ich feststellen, dass auf meiner Seite des Bettes etwas fehlte. Ich schluckte schwer, als ich nach kurzzeitiger Überlegung feststellte, dass es sich um mein damaliges Kissen handelte. Betreten über die Tatsache, dass er es nicht aushalten konnte, meinen Geruch jeden Abend in der Nase zu haben, wenn ich nicht da war - und nicht vorgehabt hatte, je wiederzukommen -, senkte ich den Blick auf meine Hände, die ich über der Bettdecke ineinander verschränkt hatte. Als Tauren wenig später zu mir aufschloss, hob ich den Kopf wieder an, lächelte schwach und entschuldigend. Er kümmerte sich sofort um das fehlende Kissen und ich beschloss, vorerst nichts weiter dazu zu sagen. Wir hatten wieder zueinander gefunden und das war doch erst einmal das Wichtigste, oder? Alles weitere konnten wir besprechen, sobald wir beide etwas geschlafen hatten. Ich wartete geduldig darauf, dass der junge Mann zu mir unter die Decke gekrochen kam und sich richtig positioniert hatte, schüttelte in der Zwischenzeit selbst das Kissen zurecht, bevor ich mich schließlich an seinen warmen Körper kuscheln konnte. Meinen Kopf legte ich auf seinem Oberarm ab und drehte ihn ein Stück nach oben, um Tauren von der Seite aus ansehen zu können. Mit einem schiefen Grinsen quittierte ich die noch folgende Frage des Norwegers, weil ich genau wusste, weshalb er sich danach erkundigte. Ich hatte meine Hand auf seiner Brust abgelegt, ein Bein angewinkelt über seins gelegt. "Ich denke, meine Hände dürften nicht mehr so kalt sein. Aber das kannst du mir besser sagen.", murmelte ich und ließ meine Finger über seinen Bauch bis zum Saum des dünnen Shirts wandern, um wenig später darunter zu schlüpfen. Ich positionierte die Hand auf dem schrägen äußeren Bauchmuskeln und ließ dort meinen Daumen über die warme Haut wandern. "Worte können gar nicht beschreiben, wie sehr ich das hier vermisst habe. Wie sehr ich dich vermisst habe.", fügte ich noch ein paar müde Worte hinzu und reckte meinen Kopf etwas, um ein paar liebevolle, sanfte Küsse an seinen Hals zu hauchen. Wenn es nach mir ginge, müsste der Abend so wie er gerade verlief, nicht zwangsläufig enden.
Samuele versuchte gar nicht, sich rauszureden und ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich dazu sagen sollte. Für einen unfassbar langen Moment starrte ich ihn einfach wortlos an. Versuchte die Gefühle zu sortieren, die mich zu übermannen drohten. Ich stand kurz davor, meinen Mund aufzumachen, da kam mir der Italiener zuvor. Wir müssen reden. Ach, was er nicht sagte, wirklich? "Du willst jetzt reden?", blaffte ich ihn an und das Unverständnis war mir quer über das Gesicht geschrieben. Ich selbst erschrak über den verbitterten Unterton meiner Worte, war aber nicht in der Lage, diesen zu unterdrücken. Er sprudelte einfach aus mir heraus. Mit einem Schnauben löste ich mich aus meiner versteiften Körperhaltung und verschränkte die Arme vor der Brust. "Bitte, rede. Ich bin gespannt, was du zu sagen hast.", knurrte ich weiter, obwohl ich vermutlich nicht bereit war, eine sachliche Unterhaltung mit meinem Freund zu führen. Dafür war das Entsetzen und das Gefühl des Verrats gerade viel zu präsent. Egal, was der junge Mann gleich sagen würde, ob er noch mal auf seinen Ausrutscher zu sprechen kam... er konnte sich nicht herausreden, dass irgendjemand an seinem Hals gehangen und er das zugelassen hatte. Dafür waren die Knutschflecken viel zu präsent. Ich hoffte nur für ihn, dass... ja, was hoffte ich eigentlich? War er mir wirklich fremdgegangen oder hatte er lediglich fremdgeknutscht? Alleine der Gedanke daran, dass Sam es überhaupt in Erwägung gezogen hatte, auch nur irgendwas davon zuzulassen, war wie ein Schlag in den Magen und hinterließ einen unangenehm schnell anwachsenden Knoten. Ich merkte schon jetzt, wie die Übelkeit mich zu übermannen drohte und ich befürchtete, mich im Zuge unserer Unterhaltung übergeben zu müssen. War das der Dank dafür, dass ich ihm in diesen schwierigen Zeiten zur Seite stand? Ihm dabei half, sich seiner neuen und zugegebenermaßen unfreiwilligen Situation anzupassen? Mich ihm mehr und mehr geöffnet hatte? Ich konnte es einfach nicht fassen, wollte es gar nicht. Zwar wurde der Schmerz, den ich daraus resultierend fühlte, momentan noch von einem Schwall Wut übertüncht, würde mich aber in einer stillen Minuten sicherlich noch einholen. Fürs Erste war ich aber ganz zufrieden, dass der Ärger überwog, denn ich wollte mir in dem Moment nicht noch auch die Blöße geben, vor Samuele zu weinen. Das wäre zwar nicht das erste Mal gewesen, aber Schwäche in einer Situation wie dieser zu zeigen, bot nur unnötig viel Angriffsfläche, falls er vorhatte, auch noch das letzte Bisschen Selbstvertrauen in mir zu zerstören. So schätzte ich den jungen Mann eigentlich nicht ein, bis gerade eben dachte ich aber auch noch, ich könnte ihm vertrauen. Tja, da war ich wohl selber schuld, würde ich sagen. Mit vor der Brust verschränkten Armen und einem Blick, der hätte töten können, hielt ich den jungen Mann bewusst davon ab, weiter in den Wohnbereich einzutreten. Er wollte reden, bitte, das konnten wir in dem kleinen Flur gerne tun. Dann wäre der Weg für ihn nicht mehr ganz so weit bis nach draußen, wenn ich mich im Laufe der Unterhaltung dazu entschloss, ihn mit Sack und Pack vor die Tür zu setzen.
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