Quitt? Ich musterte seine Gesichtszüge, war mir irgendwie nicht so recht sicher damit, ob er das nun wirklich ernst meinte. Selber würde ich wohl die elendig lange Lügengeschichte noch mit auf mein Konto anrechnen. War schon sehr harter Tobak und es wäre in jedem Fall besser gewesen, ihm das schon vor einer Weile zu sagen. Nur war unsere Bindung zueinander wohl noch nicht lange so stark, wie sie jetzt vorhanden war - trotz der schlimmen Einbußen, die nur bedingt etwas daran zu ändern schienen, würde ich andernfalls doch längst irgendwo tot in der Ecke oder auf der Straße liegen. War im Gegenzug zwar vielleicht auch nicht die feine Art gewesen, mich nicht mal irgendwie ansatzweise vorzuwarnen, dass er was Sex anging derartig austicken konnte... aber welcher Mann würde das schon? Es hätte dann noch eine Ewigkeit länger gedauert, bis ich ihn rangelassen hätte. Vielleicht hätte ich es aber auch nie zugelassen, das wusste ich nicht. Hatte vermutlich auch gestern nur wieder mit ihm geschlafen, weil es nicht mehr wirklich hätte schlimmer werden können. Höchstens dann, wenn er mich danach noch um die Ecke gebracht hätte, aber dann hätte die Misere wenigstens auch ein Ende gehabt. Ich befand mich an einem Punkt in meinem Leben, in dem ich schlicht und ergreifend nur noch weniger als gar nichts zu verlieren hatte. Bis auf Freundschaften und die Beziehung zu Iljah eben. Zum aktuellen Zeitpunkt glaubte ich nicht, dass sich erstere retten ließen. Zumindest nicht, solange die Brüder noch lebten und mir nach dem Leben trachteten. Ich konnte nicht nach Hause zurück zu meinen beiden engsten Freundinnen - was auch klamottentechnisch ein ziemliches Problem war, hatte ich doch nach wie vor nichts zum Umziehen bei mir -, konnte eigentlich auch genauso wenig zu einem meiner wenigen normalen Freunde. Womöglich machten sie die auch ausfindig und lauerte in der Nähe, nur für den Fall, dass ich mich dorthin verkrochen hatte oder es noch tun wollte. Ihre Gesichter kannten sie bestimmt, die Bar in der ich häufig war auch. War gut, dass wir hier auf dem Schiff waren und nicht bei Iwan dem Softi. Wahrscheinlich würde ich aber selbst ihn vermissen, ganz gleich wie oft er mir auf die Nerven gegangen war. Blieb zu hoffen, dass Ksenia und Anastasia jetzt nicht wegen mir noch zusätzlich unter den Sorokins leiden mussten. Leider war die Wahrscheinlichkeit darauf aber ziemlich hoch und weil mir bei dem Gedanken daran nur noch mulmiger in der Magengegend werden ließ, als das ohnehin schon die ganze Zeit der Fall war, widmete ich mich nun doch lieber wieder dem Schwarzhaarigen. Kommentierte seine Aussage nur mit einem leisen Seufzen und einem schwachen Schulterzucken, bevor er mir letzten Endes noch etwas mild an den Kopf warf, das ich genauso verdiente wie alles andere. Nur änderte das leider nichts daran, dass er mir damit den nächsten imaginären Dolch in das ohnehin schon blutende Herz stach. Iljah revidierte die Aussage schon bald, aber wirklich viel retten tat er damit nicht, tat doch auch das ziemlich weh. Das und auch die Tatsache, dass er ansonsten so gar nichts dazu sagte. Worte - auch nicht ausgesprochene - waren eben nicht selten mit die schärfsten Waffen, die ein Mensch bei sich tragen konnte. "Ist okay.", war alles, was ich nach einem leisen Schlucken mit leisen Worten noch von mir gab, was das Thema anbelangte. Natürlich war es nicht okay, aber wenn es die Wahrheit war wohl angebracht. Wahrscheinlich war es mir am Ende sogar noch lieber hier über die Planke zu segeln und jämmerlich in dem eisigen Hafenwasser zu erfrieren oder zu ertrinken - vermutlich beides, ich war ohnehin keine besonders gute Schwimmerin und außerdem würden meine Beine sicher zeitnah bewegungsunfähig werden -, als noch einmal in die Hände der Sorokins zu fallen, ohne noch einmal versucht zu haben, mich auf die in meinen Augen richtige Seite zu stellen und dem Tätowierten zu helfen, der sich inzwischen auf den Weg zum Bett machte. Da waren wir dann auch bei meiner nächsten Frage - durfte ich mit ins Bett oder nicht? Ich an seiner Stelle hätte wohl definitiv ein Veto eingelegt, weil meine Paranoia gar nichts anderes zulassen würde. Andererseits machte es irgendwie keinen Sinn ihm erst die Wunde zu flicken und ihn dann im Gegenzug im Schlaf ersticken zu wollen... außer, wenn man in der Zwischenzeit aus seinem Mund hörte, dass man mit Pech vielleicht noch von ihm umgebracht wurde. Wie man es auch drehte und wendete, es wurde irgendwie nicht maßgeblich besser und allein käme ich was das anging vermutlich auch zu keinem Ergebnis. Auf den ersten Blick hin lag mehr als nur eine Decke auf dem Palettenbett, ich würde es mir also womöglich einfach irgendwo nahe der Heizung auf dem Boden bequem machen, wenn er mich von der Matratze lieber verbannen wollte. Ob ich auf dem harten Boden schlafen könnte, wo ich emotional doch ohnehin so komplett am Ende und durch den Wind war, sei mal dahingestellt, in diesem Punkt aber wohl auch nicht weiter von Bedeutung. Iljah brauchte den Schlaf dringender als ich und wenn er dabei lieber seinen Freiraum und Abstand wollte, dann würde ich das kommentarlos akzeptieren. "Darf ich mit ins Bett, oder... soll ich lieber irgendwo hier bleiben?", richtete ich die in meinem Schädel herumschwirrende Frage schließlich ziemlich neutral an den jungen Mann, der inzwischen längst auf der Matratze angekommen war. Kam mir dabei vielleicht minder wie ein Hund vor, der neben dem Bett seines Herrchens stand und ihn mit Hundeblick darum anflehte, mit ins Laken kommen zu können, aber was soll's. Ich konnte kaum mehr tiefer sinken, als ich jetzt schon war, oder? Konnte sicher auch schon von Glück reden, dass ich es überhaupt bis hierher in den Container geschafft hatte. An Iljahs Seite, obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte mich aus dem dreizehnten Stock nach unten auf den Beton klatschen zu lassen. Ich stand zumindest aber schon einmal langsam auf, während ich auf eine Antwort des Dunkelhaarigen wartete. Machte auch ein paar langsame, verunsicherte Schritte in seine Richtung, weil ich ja so oder so noch zum Bett musste. Mir zumindest eine Decke und eins der Kissen abholen musste, falls er mich auf den Boden verbannte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Meine Worte schienen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben, wirkte Irina doch postwendend stiller, als sie es ohnehin schon gewesen war. Gedanklich nickte ich deshalb zufrieden und klopfte mir selbst lobend auf die Schulter, als ich zu den letzten paar Schritten in Richtung des aus Europaletten zurechtgeschusterten Bettes ansetzte, auf dessen Matratze ich mich kurze Zeit später fallen ließ. Dabei das Gesicht verzog, weil die Tabletten leider noch einen Augenblick brauchen würden, um die Schmerzen ein wenig zu lindern. Erneut seufzte ich leise und beugte mich etwas nach vorn, winkelte den unverletzten Arm an, um ihn auf dem Knie abzustützen, dann sah ich zu der noch am Tisch befindlichen jungen Frau rüber. Genoss kurzzeitig einfach den fast schon gekränkten Gesichtsausdruck der Serbin, auch wenn er mir zeitgleich einen Stich ins Herz versetzte. Es war schließlich nicht meine Absicht, sie wieder absichtlich zu verletzten - egal, ob nun physisch oder psychisch -, aber ich musste mir bei Gott auch nicht alles gefallen lassen. Durfte auch mal zum Gegenschlag ausholen und gerade unter der Prämisse, dass mir ein Messer in die Brust gerammt worden war, dürfte mir das eigentlich niemand verübeln. Irina konnte an der Stelle wohl von Glück reden, dass sie mir wirklich etwas bedeutete, weil jeder andere sie vermutlich wirklich über das Balkongeländer in den Tod gestoßen hätte. Aber das wollte ich ja gar nicht - wollte sie nicht umbringen, sondern eher sicher an meiner Seite wissen. Auch unter der Prämisse, dass sie mich verraten hatte, änderte sich das nicht, was nicht zuletzt auch einer der Gründe dafür war, warum wir beide hier gemeinsam in diesem Container festsaßen. Irina hatte natürlich maßgeblich ihren Teil dazu beigetragen, weil ich sie in der Hitze des Gefechts sicherlich einfach im Hotel zurückgelassen hätte, wenn sie sich nicht ausnahmsweise so stur gezeigt hätte und mir weiter auf die Nerven gegangen wäre, aber im Grunde war das jetzt auch alles vollkommen egal. Die ganze Sache war einfach allgemein unglaublich unglücklich gelaufen, ließ sich von uns im Nachhinein nur leider nicht mehr ändern. Nachdem der Schock über den Verrat und die dadurch entstandene Wut nicht mehr so tief saß - beziehungsweise präsent war -, fiel es mir wieder deutlich leichter, rational zu denken. Natürlich war ich immer noch sauer und auch verdammt enttäuscht, überhaupt gar keine Frage, aber Irina würde es da kaum anders gehen und auch sie hatte sich irgendwie damit arrangiert. Warum sollte ich das nicht also auch können? Außerdem war es, sofern Irinas Aussagen der Wahrheit entsprachen natürlich, zudem irgendwie nachvollziehbar, warum sie so gehandelt hatte und letzten Endes schien sie sich doch noch für die richtige Seite entscheiden zu wollen, oder? Aber was war, wenn nicht? Vielleicht war das alles ja doch nur eine weitere Masche von ihr und sie manipulierte mich mit ihrem bezaubernden Gesicht gleich ein weiteres Mal? Ließ mich die Worte hören, die ich hören wollte, nur um wieder genug Vertrauen zu mir aufzubauen, mir schon bald mit einem weitaus effektiveren Plan umzubringen, nachdem es beim ersten Mal nicht geklappt hatte? Ob sie nicht doch noch zur Waffe griff? Mir einfach eine Kugel verpasste, sobald ich ihr den Rücken zugewandt hatte? Oder würde sie mich eventuell sogar vergiften wollen? Ich merkte, wie sich meine Gedanken langsam wieder überschlugen und ich anfing, paranoid zu werden, weshalb ich dem Ganzen kurzerhand einen Cut setzte und beschloss, es für heute gut sein zu lassen. Zu einem Ergebnis kommen würde ich ja so oder so nicht, war ich dafür viel zu müde. Nach einer Mütze voll Schlaf - sofern ich denn in diesen finden würde - wäre jetzt wohl genau das Richtige, um wieder klar im Kopf zu werden. Kurz nachdem dieser Gedanke zu Ende gedacht war, schob ich mir bereits die Jeans von den Beinen und sah auf, als sich auch der Körper der zierlichen jungen Frau unweit vor mir vom Stuhl erhob. Sie ein paar Schritte auf mich zumachte und dabei Worte formulierte, über die ich erst einen Moment lang nachdenken musste. Durfte sie mit ins Bett oder sollte sie lieber auf dem kaltnassen Boden des Containers nächtigen? Gute Frage eigentlich. Mein gekränkter Stolz riet mir natürlich, die sich anbietende Möglichkeit zur Demütigung auszunutzen und sie wie einen Köter mit einer Decke in der dreckigen Ecke schlafen zu lassen, aber in dem Punkt würde ich Irina wohl Recht geben müssen, wenn sie behauptete, dass das nicht ich war. Mir sah es einfach nicht ähnlich, eine Frau so zu behandeln, wo ich sie doch in den Wochen vor dem unschönen Zwischenfall förmlich auf Händen getragen hatte. Wohl war mir aber trotzdem nicht, als ich auf der Matratze ein Stück zur Seite rutschte und ich der jungen Frau somit etwas Platz machte, damit sie sich neben mir einfinden konnte. "Solange du nicht noch einmal versuchst, mich umzubringen...", kommentierte ich das Ganze murmelnd und ließ mich dann ohne ein weiteres Wort auf den Rücken fallen. Bequem war es hier nicht unbedingt, nach wie vor auch noch etwas kalt, obwohl die kleine Heizung ihr Bestes gab, aber ich würde es sicher überstehen. Müde griff ich nach einer der zusammengelegten Decken neben mir, um eine davon an Irina weiterzureichen und die andere über meinen Beinen auszubreiten. Als ich dann gen Containerdecke sah und darauf wartete, dass die Serbin sich zu mir auf die Paletten gesellte, fielen mir die Augen beinahe schon ganz von alleine zu und ich musste förmlich dagegen ankämpfen, nicht sofort wegzunicken. Dabei gingen mir noch etliche Dinge durch den Kopf, die mich eigentlich wachhalten sollten, nur mein Körper sehnte sich gerade nach ein bisschen Ruhe. Am liebsten hätte ich mich jetzt wohl in die schmalen Arme der Schwarzhaarigen geflüchtet, mich an ihre Seite gekuschelt und mir von ihr durchs Haar streicheln lassen, bis ich schlussendlich eingeschlafen war, nur wollte mittlerweile keiner meiner Muskeln mehr wirklich auf mich hören. Jetzt wo ich lag, schaltete mein Körper gänzlich in den Ruhemodus über, sodass ich froh sein konnte, mich zuvor noch der Hose entledigt zu haben, weil ich ansonsten wohl in den Klamotten eingeschlafen wäre.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte einen kurzen Moment lang, bis Iljah sich zu meiner Frage äußerte und ich fürchtete schon fast wirklich noch mit dem eisigen Containerboden Freundschaft schließen zu müssen, da begann der junge Mann ein kleinen Stück bei Seite zu rutschen. Das allein war schon eine recht viel aussagende Geste und noch dazu war sie dicht gefolgt von ein paar unmissverständlichen Worten. Ich atmete erleichtert aus, als der Tätowierte mir die offizielle Erlaubnis dazu gegeben hatte, trotz meiner vorherigen Taten wieder zu ihm ins Bett zu kommen und ich tat es ihm erst einmal gleich, was das Hinsetzen auf der Bettkante anbelangte. Die Sandaletten mit Absatz wollten endlich ausgezogen werden und so zögerte ich nicht damit die schmalen Schnallen zu öffnen und sie loszuwerden. Ich schob sie noch ein kleines Stück weiter in Richtung der Containerwand, damit beim Aufstehen später Niemand drüber fiel, danach öffnete ich dann auch den Mantel. Ich für meinen Teil würde bei den aktuell noch sehr kalten Temperaturen aber definitiv Hose und Shirt anbehalten. Außerdem fühlte ich mich wahrscheinlich auch grundsätzlicher wohler damit Iljahs Klamotten noch eine Weile anzubehalten, wenn ich mich schon nicht an ihn kuscheln konnte... oder durfte. Vielleicht würde er mich gar nicht wegschieben, aber ihm ungefragt auf die Pelle rücken wollte ich nun wirklich nicht. Es war schließlich nicht besonders abwegig, dass er unter den herrschenden Umständen froh darüber wäre, wenn ich mich möglichst in die am weitesten von ihm entfernte Ecke des Palettenbetts verkroch. Als ich den überflüssigen Anteil an Kleidung losgeworden war, schob ich mich müde auf die Matratze und nahm mit einem dankenden Nicken die Decke entgegen, die der Schwarzhaarige mir reichte. "Danke... und nein, keine Sorge...", murmelte ich noch ein paar wenige Worte vor mich hin, während ich mich unter die Decke verkroch und versuchte es mir dann auf einem der Kissen möglichst bequem zu machen. Das Bett im Hotel war natürlich deutlich komfortabler gewesen, aber das war gerade wirklich nichts, worüber ich mir Sorgen machte. Auch dann nicht, als Iljah längst eingeschlafen war und ich noch wach lag. Ich war hundemüde, aber mein Kopf gab keine Ruhe und so dauerte es sicher noch eine halbe Stunde, bis ich dann ebenfalls wegdämmerte. Von ruhigem und richtig erholsamen Schlaf blieb ich dank meiner zur Gänze auflebenden Schlafstörung aber meilenweit entfernt. Es stellte sich leider in den kommenden Tagen heraus, dass die Ruhe, die wir beide trotz der zwischen uns bestehenden Differenzen in dem abgelegenen Container gefunden hatten, nicht von langer Dauer war. Fast eine Woche lang ging die Sache gut und die Sorokins schienen uns draußen auf dem Frachter nicht ins Visier zu kriegen. Leider war nur der Kühlschrank nicht besonders groß und die Vorräte neigten sich deshalb nach 6 Tagen rapide dem Ende zu. Wir hatten weder noch etwas zu essen, noch etwas zu trinken und deshalb war Nachschub unabdingbar, wenn wir nicht verhungern wollten. Ich war alles andere als begeistert davon gewesen, dass Iljah selbst nach draußen gehen wollte, nur hatten wir was das anging wohl kaum eine andere Wahl. Handys hatten wir schließlich keine mehr bei uns und außerdem schien er auch was seine Geschäfte anbelangte irgendetwas Wichtiges klären zu müssen. Ich ließ ihn nur ungern ziehen, sah ihm auch ziemlich wehmütig und besorgt nach, als er aus dem Container huschte und mich allein zurückließ. Dann war es bis auf den Fernseher lange Zeit sehr ruhig um mich. Eine Uhr hatte ich hier drin nicht, aber als die Nacht hereinbrach und Iljah weiterhin nicht auftauchte, war ich mir sicher, dass etwas nicht stimmte. Zwei oder Drei Stunden, hatte er gesagt, mehr würde er kaum brauchen. Inzwischen musste es mehr als das doppelte sein und ich konnte nicht still sitzen und einfach gar nichts tun, während unter Umständen wirklich etwas Schlimmes passiert war. Ich zog mich an, wartete dann unentschlossen doch noch eine kurze Weile. Was, wenn er gleich zurückkam und ich mich dann umsonst in Gefahr begab? Nein, das war egal. Es war Iljahs Leben, das in meinen Augen gerade deutlich mehr bedeutete als mein eigenes, also schlich ich mich schließlich vom Hafengelände. Konnte vermutlich von Glück reden, dass die Autofahrerin, die mich kurz darauf an der Straße und in die Stadt zurück mitnahm, kein ekliger Mann Mitte 50 war. Die letzten beiden Kilometer bis zu Iljahs Anwesen musste ich laufen, aber das war nicht schlimm. So konnte ich wenigstens schon vorher ganz genau im Auge behalten, ob ich irgendwo Schläger der Sorokins sah und es war weit unauffälliger, als mit einem Taxi direkt vor seiner Einfahrt zu halten. Nur schien gar Niemand hier zu sein, was weiß Gott kein Gutes Omen sein konnte. Wenn sie nicht hier waren, dann doch nur, weil sie keinen Grund mehr dazu hatten, oder? Ich lief die Auffahrt hinunter und klingelte. Klopfte. Beides sehr hektisch und lautstark, weil es inzwischen mitten in der Nacht war und Michail offenbar schon geschlafen hatte. Er machte mir die Tür aber doch noch auf und meine erste Frage war natürlich, ob er denn wusste, wo Iljah war. Ob er Irgendwas gehört hatte, weil er als sein bester Freund doch sicher auch irgendwie in seine Geschäfte verwickelt sein musste - auch, wenn das natürlich nur eine blanke Vermutung war. In jedem Fall kannte er aber die in dieser Hinsicht engsten Vertrauten seines besten Freundes und er rief den blonden Kerl an - Nikolai, wie ich jetzt wusste, weil er seinen Namen nannte -, während ich unruhig von einem Bein aufs andere trat. Der wiederum sagte Michail, dass er gerade zum Hafen gefahren war, weil der Chef gar nicht aufgekreuzt war. Allerspätestens jetzt rutschte mein Herz gen Boden und meine ohnehin schon recht großen Augen weiteten sich in leerem Blick. Die beiden Männer diskutierten kurzzeitig, dann stieß Michail mich an der Schulter an und fragte, ob ich wusste, wo sie ihn hingebracht hatten. Wissen wäre womöglich übertrieben, aber ich hatte eine sehr starke, sehr unschöne Vermutung. Ich nickte langsam, bevor ich ihm sagte, dass er ziemlich wahrscheinlich im Untergeschoss der Sorokin-Villa feststeckte, in die er ohne mindestens eine kleine Armee kaum reinzuspazieren brauchte. Von den Dobermännern, die frei auf dem Grundstück herumliefen und alles ankläfften, was sie nicht kannten, mal ganz abgesehen, patrouillierten eigentlich auch permanent ein paar Männer die Grenze ab. Als Drogenbarone und Zuhälter machte man sich leider nicht gerade wenige Feinde. Also folgten ein paar weitere Telefonate, die ich mit den Ohren mitverfolgte - zwischenzeitlich wurde mir auch kurz der Hörer gereicht, weil ich selbst über die Situation ganz einfach am besten Bescheid wusste - und letzten Endes schien der Stand der Dinge zu sein, dass Iljahs Schwester aus dem Ausland einflog und das so schnell wie nur irgendwie möglich. Im Schlepptau den gruseligen Amerikaner, der sich scheinbar ohnehin in ihrer Nähe aufhielt und ein paar Männer mitbrachte. War ja alles schön und gut und es ließ mich minimal aufatmen, dass sowas wie ein Rettungskommando im Anmarsch war, aber es gab dabei ein paar Dinge, die mir inzwischen nur noch schlecht werden ließen. Er hatte eine Schwester, von der ich bis dato nichts gewusst hatte und die mich von vornherein - wohl wortwörtlich auf den Tod - hassen würde, weil es meine Wenigkeit war, die ihren Bruder überhaupt erst in diese Lage gebracht hatte. Die schon gerade am Telefon so geklungen hatte, als würde sie mich postwendend möglichst qualvoll auf einem Scheiterhaufen verbrennen wollen. Wenn Iljah mich nicht umbrachte, dann tat sie es ganz bestimmt und wenn nicht einmal sie es tat, dann würde es der amerikanische Pitbull sein. Der wusste nun zwangsläufig auch, dass er sich ausgerechnet einen Spitzel für seine Geldwäsche ausgesucht hatte und er hatte auf mich bisher eher nicht so gewirkt, als würde er gerne zweite Chancen geben. Wenn ich also mal ganz sachlich Bilanz zog, dann gab es in paar zu viele Leute, die mir sicherlich nach dem Leben trachten wollten und zugleich auf dem direkten Weg hierher waren. Dementsprechend bekam ich also auch keinen einzigen Bissen runter, als Michail mir etwas zu essen und zu trinken anbot, weil ganz einfach warten angesagt war. Das war Zeit, die Iljah vielleicht gar nicht hatte. Ich versuchte zwischendurch zu schlafen, aber auch das funktionierte nur wenig bis gar nicht, weil ich nicht aufhören konnte daran zu denken, was diese Arschlöcher womöglich gerade mit dem Schwarzhaarigen anstellten, der mir inzwischen so ans Herz gewachsen war. Es dauerte fast 21 Stunden, bis es an der Tür klingelte. Der Überflug von Kuba nach Russland dauerte eine halbe Ewigkeit - 18 viel zu lange Stunden - und bis alle Leute abflugbereit waren, hatte es sicher auch noch eine kleine Weile gedauert. Dann noch vom Landeplatz bis hierher zum Gniwek-Anwesen und jetzt war es dann wohl soweit die Besucher willkommen zu heißen. Michail hatte mir in der Zwischenzeit ein paar Klamotten besorgt - wollte mir erst ein paar alte von Vahagn geben, was ich aber lieber ablehnte - und so stand ich in der etwas zu langen, deshalb unten eingeklappten, sonst aber gut sitzenden schwarzen Röhrenjeans und einem ebenso schwarzen Hoodie ein ganzes Stück weit hinter dem besten Freund des Gekidnappten, als jener die Tür öffnete. Es brauchte nicht einmal sowas wie Adleraugen, um schon auf diese Distanz zu erkennen, wie ungemütlich das alles hier für mich gleich werden würde.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte, verdammt nochmal, ganz einfach wissen müssen, dass es auf kurz oder lang mit einer Frau an Iljahs Seite nicht gutgehen konnte. Er prädestiniert dafür war, sich nur verrückte, vollkommen kaputte Weiber anzulachen, die ihn irgendwann noch mal das Leben kosten würden. Allerdings hatte ich gehofft, dass es bis zum Zeitpunkt seines Ablebens noch eine Weile dauern würde und er sich nicht schon mit 28 Jahren dazu entschied, mich in Hinsicht auf unseren Stammbaum gänzlich alleine auf dieser Gott verlassenen Erde umherstreunen zu lassen. Zwar hatte ich inzwischen natürlich Tauren - den ich im Übrigen wahnsinnig vermisste -, aber es ging hier schlichtweg um das Prinzip, dass der Schwarzhaarige der einzige noch lebende Teil meiner Familie war und er einfach nicht vor mir zu sterben hatte - Punkt. Jedenfalls war der Tag, an dem ich durch Hunter von dem Verschwinden meines Bruders erfahren hatte, schon absolut scheiße gestartet. Als hätte die überirdische Macht mir bereits ein vorsichtiges Zeichen in Form von dröhnenden Kopfschmerzen und Übelkeit direkt nach dem Aufstehen geben wollen. Eventuell waren das aber auch nur reine Vorsichtsmaßnahmen, damit ich nach der Erklärung des Amerikaners, wer wie, wo und warum dafür verantwortlich war, dass Iljah sich vermutlich in den Krallen irgendeiner verfeindeten Organisation befand, nicht gänzlich Amok lief und noch jemand zu schaden kam. Im ersten Augenblick war ich natürlich geschockt gewesen und hatte Angst um das Wohlergehen meiner besseren Hälfte, gab mir an dem Verschwinden auch ein Stück weit die Schuld, hatte ich doch jetzt schon längere Zeit nichts mehr von ihm gehört, es aber als nicht weiter schlimm eingestuft. Ich hatte nun mal gedacht, er wäre schwer beschäftigt oder irgendwo unterwegs gewesen. Nicht aber, dass er aktuell auf der Flucht vor wem oder was auch immer war. Als Hunter und ich letztlich das Flugzeug betreten hatten und in Richtung Moskau aufbrachen, schwang die Verzweiflung und die Sorge jedoch schnell in Wut um. Zum einen weiterhin auf mich selbst, viel mehr jedoch auf diese Verräterin von Irina, aber auch auf den Amerikaner, der mir mit seiner Mannschaft bei der Befreiung meines Bruders unter die Arme greifen würde. Ich war ihm nach wie vor wirklich böse, dass er Tauren und mich auseinandergerissen hatte und ja, auch der Umstand, dass ich den Norweger inzwischen eine Woche lang weder gesehen, noch gehört hatte, machte meine ohnehin schon wirklich miserable Laune kein Stück besser. Ganz im Gegenteil sogar. Der mangelnde Ausgleich, den ich aus der Zeit mit dem normalerweise immer recht gut gelaunten jungen Mann inzwischen fast schon gewohnt war, fehlte mir wahnsinnig doll und sorgte nur dafür, dass ich deutlich gereizter unterwegs war, als normal üblich. Jemanden zu vermissen war nun mal ein echt mieses Gefühl und in Situationen wie diesen hätte ich Tauren wirklich gerne auf dem Sitz neben mir im Flieger gewusst. Vielleicht hätte mich das davon abgehalten, mindestens 17 der insgesamt 18 Stunden über den Wolken nicht vollkommen genervt, besorgt, erschüttert - etliche andere Titulierungen für mein aufgebrachtes Gemüt bitte hier einfügen - mit dem Fingernagel über die schmale Fensterbank im Inneren des Flugzeuges zu kratzen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, den Lack nach der Zeit schon fast abgekratzt zu haben, aber als ich im direkten Anschluss an die Landung aufsprang und in den Gang stürzte, erschien mir die Stelle lediglich etwas matter als vorher. Die Farbe war allerdings noch da. Es dauerte vom Flugplatz bis zum Anwesen dann Gott sei Dank nicht einmal ansatzweise so lange wie von Havanna bis nach Russland, sodass wir mit versammelter Mannschaft schon bald an der Haustür klingelten und Irina konnte von Glück reden, dass nicht sie diejenige war, welche es wagte, mir die Tür zu öffnen. Andernfalls hätte ich beim Erblicken ihres Gesichts durch den sich langsam öffnenden Spalt schon gegen die Tür getreten und gehofft, ihr damit mindestens mal die Nase gebrochen, möglicherweise aber auch einen oder gleich mehrere Zähne beschädigt zu haben. Und nein, das war keine Untertreibung, ich hätte das wirklich getan. Blöderweise war es Michail, der mir als erstes ins Sichtfeld trat, als ich mit noch immer pochenden Kopfschmerzen und der durch eine Tablette nur noch lediglich geringen Übelkeit neben Hunter die Auffahrt entlangstiefelte. Ich würdigte den Weißrussen jedoch maximal eines flüchtigen Blickes und schob mich ohne ein Wort der Begrüßung an ihm vorbei. Rammte ihn dabei sogar etwas zur Seite, weil er mir schlichtweg im Weg stand und er selbst wohl nicht darauf vorbereitet gewesen war, ein russisches Ungestüm zu begrüßen. Faktisch wäre es vermutlich schlauer gewesen, die Serbin hätte sich gleich nach dem Informationsaustausch an Hunter aus dem Fadenkreuz zurückgezogen, das nun einen feurig rot leuchtenden Punkt auf ihre Stirn warf, als ich vor ihr zum Stehen kam. Dabei war es mir ziemlich egal, ob sie selbst dadurch auch noch in die Fänge der Sorokins geraten wäre, verdient hätte sie es allemal. Stattdessen war mein Bruder jetzt der einzige, der unter der schier unendlichen Dummheit des kleinen Miststücks leiden musste, das mit ihrem ach so entzückenden Gesicht kein Wässerchen trüben konnte. Ich musste wohl nicht sagen, dass es grundsätzlich niemals angenehm werden würde, wenn man in den Händen von auch nur irgendeinem russischen Kartell, Clan oder was auch immer feststeckte, weil, wie ich auch Tauren gegenüber bereits mehrfach erwähnt hatte, Russen nun mal einfach einen gewaltigen Dachschaden hatten. Da spielte es keine Rolle, ob man den Feind nun gut kannte oder nicht, man konnte eigentlich immer davon ausgehen, dass Gefangene keine schöne Zeit haben würden. Auch bei der noch so kleinsten Organisation nicht. Allerdings machte es das natürlich nicht besser, dass das Kartell, dem Iljah zum Opfer gefallen war, das Drogenmonopol der Stadt war. Man kannte die Sorokins eigentlich, wenn man sich öfter durch die Gassen Moskaus bewegte und auch wenn ich mit den Brüdern bis dato noch keinen Kontakt hatte, ahnte ich bereits das Schlimmste. Und all die Angst, die Wut und meine Verzweiflung packte ich in die folgenden paar Worte, welche ich unmissverständlich auf Russisch an den Kopf der Schwarzhaarigen knallte, damit sie auch ja verstand, dass sie die Nächste wäre, die Folter über sich ergehen lassen müsste, sollte mein Bruder nicht lebend aus der Villa der Sorokins befreit werden können. Ich musste erst einmal tief durchatmen, weil mein Puls bereits bei Irinas Antlitz in die Höhe geschossen war, bevor ich bemüht ruhig zum Reden ansetzte. "Sollten wir meinen Bruder nur noch tot aus dieser Villa bergen können, werde ich dich dein eigenes Grab schaufeln lassen, nachdem ich dich all die Qualen hab durchmachen lassen, die Iljah in diesem Moment über sich ergehen lassen muss. Du hast dir die falsche Familie zum Bespitzeln ausgesucht, das kann ich dir sagen.", drohte ich der Schwarzhaarigen ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Dabei achtete ich auch nicht besonders auf meine Wortwahl, sondern posaunte genau das heraus, was mir gerade durch den Kopf ging. Dabei riss ich mich jedoch schon ziemlich stark am Riemen, weil sonst sicher noch einige Beleidigungen in ihre Richtung geflogen wären, die sie allesamt zwar verdient hatte, uns aktuell aber kaum weiterhelfen würden. Ich wollte eigentlich auch nur klarstellen, was ihr nach diesem Verrat blühte, sollte es der Russe nicht lebend aus dem Anwesen heraus schaffen. Und das war nur meine Art der ihr dann bevorstehenden Strafe. Nicht auszudenken, was Hunter zu dem Ganzen noch zu sagen hatte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich schluckte bereits dann hörbar, als die Brünette absolut unverkennbar stinksauer direkt auf mich zukam. Ohne Umwege, hatte sie doch sogar den recht großen Mitbewohner ihres Bruders einfach körperlich aus dem Weg geräumt. Was sie da wohl mit mir anstellen würde? Ich rechnete fast schon mit mindestens einer saftigen Ohrfeige oder einem Tritt in die Magengegend, wirkte Vahagn doch im Gegensatz zu all den anderen jungen Frauen, die ich kannte, wesentlich... härter. Ich wusste nicht, ob das nur ihrer Wut entsprang, aber ihre Präsenz und Aura an sich schüchterten mich schon ein bevor sie letzten Endes vor mir zum Stehen kam. Der undurchdringliche Blick lag scheinbar irgendwie in den Genen der Gniweks - oder war der gemeinsamen Vorgeschichte wegen schlichtweg antrainiert, was wusste ich schon über die Geschwister? - und es war wohl überflüssig zu erwähnen, dass ich auch vor der augenscheinlich jüngeren Schwester Iljahs einen gehörigen Respekt hatte. Vielleicht nicht ganz so extrem wie bei dem gutaussehenden Tätowierten zu Beginn, aber das war wohl hauptsächlich darin begründet, dass mein jetziges Gegenüber kein Mann war. Konnte man ihren Worten Glauben schenken, dann würde aber auch sie mir mehr als nur ein Haar krümmen, falls das Todesurteil ihres Bruders schon unterschrieben war. Ich senkte wie ein getretener Hund den Blick, brachte es wohl auch bei ihr ganz einfach nicht fertig sie anzusehen. Zumindest nicht, solange sie - vollkommen berechtigt - dermaßen auf 180 war. Sah mich selbst gerade auch wieder kaum dazu im Stande, irgendwelche Worte zu formulieren. Wusste auch gar nicht, was ich überhaupt hätte sagen können, ohne dabei meinen eigenen Tod zu provozieren, der so weit gerade nicht entfernt sein konnte. Ich hatte noch nicht wirklich Zeit dazu gehabt den Amerikaner genauer anzusehen, war ich doch beinahe schon in Schockstarre gefallen, als der wütende russische Tornado auf mich zugefegt war. Die unmissverständliche Drohung sorgte nicht gerade für mehr Selbstbewusstsein meinerseits, hatte ich doch absolut Niemandem hier Irgendwas entgegenzusetzen. Mal ganz davon abgesehen, dass sämtliche negativen Ausdrücke von Gefühlen in meine Richtung ohnehin berechtigt und auch von mir nachvollziehbar waren. "Ich hätte es auch nicht anders verdient.", hauchte ich lediglich leise vor mich hin und räusperte mich dann leise, weil meine Stimme doch sehr dünn in sich klang. Erst danach fing ich sehr zögerlich an den Blick anzuheben und Vahagns aufzufangen. Wünschte mir gleich im Anschluss daran, es nicht getan zu haben, weil ich den Ausdruck in ihrem Gesicht kaum ertrug. Sich mein ohnehin schon platzendes Schuldbewusstsein nur noch mehr verstärkte und ich mich am liebsten aus dem Gefahrenradius verkrümelt hätte, am liebsten über alle sieben Berge verschwunden wäre. Es vielleicht auch sehr verzweifelt versucht hätte, wenn ich nicht akut für die Befreiung des Schwarzhaarigen von Nöten wäre, um den ich selbst mir kaum weniger Sorgen machen dürfte, als das bei seiner Schwester der Fall war. Mit einem Fluchtversuch hätte ich zwar wahrscheinlich riskiert, dass der amerikanische Pitbull mir ins Bein schoss, um mich am Gehen zu hindern, aber das hätte kaum einen großen Unterschied gemacht. Der schrankbreite Kerl schien sich jetzt nämlich ebenfalls in die Konversation einklinken zu wollen und mein Blick hob sich noch weiter an, als ich ihn hinter der Brünetten näher an uns herantreten sah. Nicht gehetzt, bedächtig und sehr gezielt. Irgendwie wartete ich nur darauf, dass er irgendeine Art von Waffe zog und mir das Gesicht wegschoss, weil nicht schwer aus seinem Gesicht zu lesen war, wie unsagbar angepisst er war... und das schien mir noch eine sehr milde Umschreibung dafür zu sein, was er ziemlich bald mit ein paar überdeutlichen Worten zum Ausdruck brachte.
Es war schwer in Worte zu fassen, wie sehr ich mir gerne selber das Genick dafür gebrochen hätte, dass ich nicht auf mein Bauchgefühl gehört hatte. Dass ich es mehr oder weniger ignoriert hatte, dass mir an Irina irgendwas nicht ganz koscher vorgekommen war. Vielleicht lag es ganz einfach daran, dass ich in ihrer Wohnung rein gar nichts gefunden hatte, das irgendwie darauf hatte schließen lassen, dass sie nach wie vor in irgendeine Scheiße verstrickt war. Das ungute Gefühl war aber auch nach der Beschattung noch da gewesen und ich hätte wirklich darauf hören sollen. Es hätte mir wahnsinnig viel Ärger erspart und nicht nur mir, sondern auch Iljah. Zugegeben war ich aber auch auf ihn in diesem Punkt etwas wütend, weil er weit mehr Zeit dazu gehabt hätte sie genauer unter die Lupe zu nehmen, als es mir in meiner eher kurzen Russland-Reise möglich gewesen war. Außerdem hatte er sich ja sehr offensichtlich auch ausgiebig mit ihr beschäftigt - nur eben nicht so, wie das in meinen Augen notwendig gewesen wäre. Überflüssig zu erwähnen, wie sehr es mich inzwischen ankotzte, dass irgendwie Jeder in meinem geschäftlichen Umfeld der Meinung zu sein schien, persönliche Belange und Gefühle wichtiger zu nehmen, als das Geschäft an sich. Tauren hielt momentan tatsächlich aber die Füße still und hielt sich schlau an meine Verordnung, was womöglich auch daran lag, dass ich ihn förmlich in der Arbeit ersticken ließ. Das war ein Mitgrund dafür, warum er nicht mit nach Russland gekommen war. Er konnte kaum richtig fit sein, so viel wie er momentan von A nach B hetzen musste und außerdem konnte ich damit auch die Distanz zwischen ihm und Vahagn wahren. Gute Schützen hatte ich mehr als genug andere, dafür brauchte ich den naiven Norweger nicht. Dass seine Freundin mir das Ganze sehr übel nahm ging mir am Arsch vorbei. Wenn es sie störte, dann konnte sie mir das gerne sagen. Führte dann nur zwangsläufig dazu, dass sie ihren Bruder allein aus dem Keller welches Drogenkartells auch immer schleifen konnte, weil ich mir hier nicht von ihr und Tauren auf der Nase herumtanzen lassen würde. Das hatten sie sich schließlich selbst ausgesucht, also sollten sie gefälligst im Stillen heulen und das nicht an mich weitertragen. Meine eigene Laune war entsprechend der Situation auch nicht gerade die beste, als ich meine Männer dazu anhielt einige Waffen zu verladen und sich abflugbereit zu machen, weil es sehr spontan eine Mission in Russland zu erledigen gab. Zwischen all der Genervtheit und der Wut auf Irina, die sich vor mir kaum retten können würde, flackerte aber auch so ein winziges, kleines bisschen Freude auf. Zum einen darüber, dass zumindest Iljah bereits seine Quittung dafür bekam, dass er sich ausgerechnet an die Frau verlieren zu wollen schien, die auch mit meinen Geschäften zu tun hatte. Viel mehr lag die kleine Vorfreude aber der Tatsache zu Grunde, dass ich viel zu lang schon keine Action mehr gehabt hatte. So richtige, meine ich. Meine Geschäfte auf Kuba liefen allesamt sehr rund und ich hatte da eigentlich vor Niemandem irgendwas zu befürchten. Kubaner waren sehr friedfertige Menschen und auf sowas wie ernstzunehmende Kartelle oder Clans war ich bisher nicht gestoßen. Die Polizisten dort waren auch ein ziemlicher Witz und da brachte ihnen das Nachrüsten mit Waffen im Alltag was in vielen anderen Ländern ja Gang und Gäbe war - wirklich so gar nichts. Ich hatte keine Gegner auf kubanischem Boden, die das Verlangen nach todernstem Kampf in meinem Kopf befriedigen konnten. Die mir wirklich einen Adrenalinrausch gaben, der länger als zwei Sekunden anzuhalten vermochte. Ich fand zwar einen kleinen Ausgleich in Cosma, weil sie grundsätzlich dafür sorgte, dass ich etwas ausgeglichener war als noch vor ein, zwei Jahren, aber das reichte nicht. Hier und da zusammen auf dem Sofa oder im Bett liegen und Sex waren ja schon schön und ich wollte nichts davon mehr missen, aber es war eben nicht das, wonach mein Kopf sich verzehrte. Dementsprechend freute ich mich wohl ganz einfach darauf mal wieder ein paar Typen den Schädel wegzublasen und das in einem ernsthaftem Kampf, der nicht von vornherein schon entschieden war. Vahagns Worten nach hatten wir es mit den Sorokins schon mit einem unangenehmen Drogenkartell zu tun, das kaum kampflos das Feld auf dem eigenen Grundstück räumen würde. Konnte im Grunde also nur gut werden. Je nachdem, wie man es eben sah. Ich hoffte im Grunde nämlich schon darauf, dass wir Iljah noch lebend aus diesem Rattenloch ziehen konnten. Wenn man davon absah, dass er was Irina anbelangte scheinbar komplett blind war, obwohl es hier und da sicher Warnsignale gegeben hatte, dann lief die Geldwäsche mit ihm für mich profitabel und ich wollte ungern wieder auf diese Einnahmequelle verzichten müssen. Irina war für mich leicht ersetzbar, der ansonsten recht vertrauenswürdige Russe mit seinem Autohaus aber deutlich weniger. Ich hatte nie mehr Worte mit Vahagn gewechselt, als es notwendig gewesen war, weil das bei unser beider erhitzten Gemüter kaum hätte gut ausgehen können. Nach wie vor schweigend trat ich mit ihr auf die Türschwelle des Hauses der Gniweks. Hatte erstmal auch kein Problem damit ihr den Vortritt zu lassen, was ihre Wut auf das schwarzhaarige Miststück anbelangte. Michail schien wieder gerade stehen zu können, war meine Aufmerksamkeit aber kaum wert und so verfolgte ich lieber die Konversation der beiden Frauen mit den Ohren, als ich langsam in dem Flur trat und meine Tasche nahe der Garderobe wegstellte. Ich gab das ja nur ungern zu, aber Vahagn hatte schon Recht - mit ihren Machenschaften war die Serbin hier definitiv an der falschen Adresse und wenn sie glaubte, dass sie ihren Kopf aus dieser Schlinge noch rausziehen konnte, nachdem sie Iljah und auch mich hintergangen hatte, dann hatte sie sich geschnitten. Schon ihr Anblick ließ mir die Finger kribbeln, aber ich besann mich noch zur Ruhe. Wir brauchten sie noch, die Hinrichtung würde also wohl erst später erfolgen. Ich trat mit wenigen, direkten Schritten an die beiden Frauen heran und kam unweit seitlich hinter Vahagn zum Stehen, als meine Augen Irinas trafen. "Mach ihr doch keine falschen Hoffnungen... sie stirbt so oder so.", ergänzte ich trocken. "Aber vielleicht kratzt du weniger qualvoll ab, wenn du uns vorher noch hilfst." Als ob. Ich hatte noch nie Jemanden, der mich oder meine Geschäftspartner verraten hatte, schnell und ohne Tortur sterben lassen. "Hast du die Zeichnung?", schob ich ohne viel Zeit zu vergeuden grummelnd noch eine Frage hintenan. Irina waren in der Zwischenzeit sämtliche Gesichtszüge entglitten und wäre ich nicht Zeuge vom Gegenteil, hätte ich glatt meinen können, sie würde hier schon in einer Pissepfütze stehen. Es dauerte einen kurzen - für meinen Geschmack zu langen - Moment, bis sie stockend nickte und sich in Bewegung setzte. Während meine Männer hinter uns nach und nach ins Haus traten, warf ich nur einen kurzen Blick zu Iljahs jüngerer Schwester, bevor ich mich ebenfalls wieder in Bewegung setzte und der Schwarzhaarigen folgte. Sie hatte genug Zeit gehabt eine brauchbare Skizze der Stockwerke der Villa anzufertigen, also blieb für sie zu hoffen, dass sie wenigstens das auf die Reihe bekam. Mit Hilfe einer übersichtlichen Zeichnung war es schlicht und ergreifend einfacher ein Bild von der genauen Ausgangslage zu kriegen und eine brauchbare Taktik zu entwickeln. Einfach reinlaufen und drauf los schießen würde nur unnötig viele Männer in meinen eigenen Reihen das Leben kosten, also musste ein guter Plan her. Nachdem ich in Norwegen viele von Ihnen hatte zurücklassen und begraben müssen, war ich erpicht darauf im Idealfall keinen Einzigen zu verlieren.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
So ungerne ich das auch zugeben mochte, verschlug mir Irinas Antwort auf meine sehr offensichtliche, absolut unmissverständliche Drohung kurzzeitig die Sprache. Erstmal hatte ich überhaupt nicht mit einer Resonanz der jungen Frau gerechnet und dann wurde mir klar, was für ein bemitleidenswertes Stück Scheiße sie doch eigentlich war. Iljah sich nicht nur eine Verräterin, sondern zudem auch noch eines der schwächsten Glieder in der Nahrungskette angelacht hatte. Unterschätzen würde ich Irina deshalb zwar nicht, weil sie es ja offenbar trotzdem mehr oder weniger erfolgreich geschafft hatte, einen ihr aufgetragenen Job zielführend zu erledigen, aber ich stellte mir doch unweigerlich die Frage, wie sich die Beziehung zwischen den beiden unter diesen Umständen derart hatte vertiefen können. Dass mein Bruder eine weniger dominante Persönlichkeit bevorzugte, als er selbst eine war, konnte ich noch nachvollziehen - niemand wollte sich mit Jemanden auseinandersetzen müssen, der genauso stur war, wie man selbst -, aber musste es denn ein psychisch so gebrechliches Wesen wie Irina sein? Mit dem man sich nicht ein einziges Mal streiten konnte, weil sie immer sofort den Schwanz einzog? Klar, Frieden war schön und gut und das man sich in den meisten Sachen von vornherein einig war auch, aber hin und wieder mal die Fetzen fliegen zu lassen hatte eben nun mal seinen Reiz. Ich konnte mir nur leider überhaupt nicht vorstellen, dass sich die zierliche Schwarzhaarige Iljah gegenüber irgendwie aufmüpfiger verhielt oder lauter sprach, als in diesem Augenblick zu mir. Grundlegend konnte mir das Alles aber auch ziemlich am Arsch vorbeigehen, hatten mich die Beziehungen meines Bruders doch genauso wenig zu interessieren, wie ihn meine. Deshalb riss ich mich selbst schon sehr bald wieder aus dem Gedankenstrudel und wollte gerade erneut zu ein paar forschen Worten ansetzen, da grätschte mir Hunter von seinem hinter mir bezogenen Posten aus dazwischen. Entlockte mir mit seiner Aussage ein emotionsloses Lachen. "Auch wieder wahr.", bestätigte ich ihn kurzerhand genau so trocken, ohne meinen Blick währenddessen von der verstört wirkenden Schwarzhaarigen abzuwenden, der ich ein schmales, unehrliches Lächeln schenkte, dass meine Augen noch nicht einmal ansatzweise erreichte. Ehrlich gesagt war ich mir zwar noch nicht wirklich sicher, ob ich selbst ein Teil der Exekutive sein würde, aber auch das war im Augenblick nicht weiter relevant. Ich ging davon aus, dass Iljah - sofern er denn noch am Leben war, wenn wir ihn aus der Villa befreit hatten - ohnehin noch ein Huhn mit ihr zu rupfen hatte, ich musste mir also vermutlich noch nicht einmal die Hände schmutzig machen, damit Irina ihren verdienten Denkzettel verpasst bekam. Aktuell war sie aber leider noch ziemlich wichtig für die bevorstehende Operation, weil sie mit Abstand die meisten Informationen bezüglich der Sorokins und deren Aufstellung für uns parat hatte, wie sich im Folgenden zeigen sollte. Bevor wir nach Russland aufgebrochen waren, hatte Hunter um eine Skizze der Villa gebeten - konnte man sagen, dass der Amerikaner einen um etwas bat? - und die wollten wir uns nun gemeinsam ansehen. Die junge Frau, der sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war, tat sich gut daran, unsere Geduld nicht noch weiter auf die Probe zu stellen - machen wir uns da nichts vor: Hunter und ich waren alles andere als eine gute Kombination, wenn wir stinksauer waren - und führte uns geradewegs rüber ins Wohnzimmer, auf dessen Couchtisch bereits einige beschriftete Zettel herumlagen. Ich folgte ihr bis zum Sofa, hatte gehofft, bis dahin etwas von der Anspannung im Eingangsbereich bei Michail zurückgelassen zu haben, aber natürlich war nichts dergleichen passiert. "Setz' dich.", forderte ich Irina deshalb noch immer leicht knurrend dazu auf, sich hinzusetzen. Ich selbst blieb jedoch seitlich neben ihr Stehen, wollte der Serbin damit schlichtweg signalisieren, dass wir hier und jetzt das sagen hatten. Sie sich besser weiterhin so kleinlaut zeigte, damit nicht doch noch ein zeitnahes Unheil über sie hereinbrechen würde. Schließlich gab es noch so einige andere Methoden, Informationen aus ihr herauszubekommen. Freiwillig geben musste sie uns die nämlich nicht, war aber eben nun mal der weitaus einfachere, weniger schmerzhafte Weg, wenn man mich fragte. Mein Blick lag noch einen Moment auf dem Gesicht der besagten jungen Frau, bevor ich mich den Zeichnungen widmete. Als Kunstwerk würde ich die vielen Striche, die Notizen und Vermerke vielleicht nicht bezeichnen, aber es handelte sich tatsächlich um einige nützliche Informationen, die uns beim Einmarschieren in die Villa tatsächlich helfen könnten. Vorausgesetzt natürlich, dass all das, was dort geschrieben stand, auch der Wahrheit entsprach. Ich sah zu Hunter, kniff die Augen ein wenig zusammen, aber sagen tat ich nichts, dürfte diese Geste doch schon Aussage genug sein. Ich war in dem Punkt wohl schlichtweg ein bisschen paranoid und konnte mir nicht vorstellen, dass Irina von heute auf morgen einfach so die Seiten wechselte, aber im Grunde genommen oblag es Hunter, ob er ihr Glauben schenken wollte oder eben nicht. Ich würde zwar den Teil der Männer hier in Russland koordinieren, aber das Kommando hatte in dem Fall nun mal eher der Amerikaner. Ich musste bestimmt nicht sagen, dass mir das so gar nicht schmeckte, aber für das Wohl meines Bruders konnte ich darüber ausnahmsweise hinwegsehen. Also sollte auch Hunter darüber urteilen, wie mit der Skizze umzugehen war, ich würde mich dann nach ihm richten. Für den Fall der Fälle, dass all das auch wirklich stimmte, würde uns im Hause der Sorokins Einiges erwarten, worauf ich nicht gerade erpicht war. Anfangen tat es wohl schon mit der Hundestaffel, die teils mit und ohne Besitzer auf dem Grundstück rund um das Haus patrouillierten. Von den ganzen Wachen und Kameras mal ganz abgesehen. Wäre, wie damals bei der Befreiung Richards aus den Fängen der italienischen Mafia, wirklich kein schönes Unterfangen, aber danach fragte im Augenblick leider keiner. Iljah dort einfach seinem Schicksal zu überlassen kam für mich überhaupt nicht in Frage und wenn ich dabei selbst draufgehen würde... na ja, dann war das wohl so. Kampflos aufgeben war nun mal einfach nicht meine Stärke. Schon gar nicht, wenn es um das letzte lebende Familienmitglied ging. "Gibt es neben der Zeichnung noch irgendetwas, das wir wissen sollten?", richtete ich eine Frage an Irina, als ich den Blick wieder von Hunter abgewendet hatte. Damit meinte ich konkret, ob sie irgendwelche Schwachstellen der Sorokins kannte. Etwas, das wir gegen sie verwenden konnten, wie etwa feste Zeiten, zu denen sich die beiden zum Golfen oder Ähnlichem verabredeten. Was wusste denn ich schon...
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Die beiden waren eine absolut schreckliche Kombination und ich war mir nicht einmal sicher damit, wessen Blick nun der kältere und verhasstere war. Der kältere gehörte vielleicht dem Amerikaner und der von Hass und Verachtung geflutete Iljahs Schwester. So oder sah tat ihrer deutlich mehr weh und ich hätte mich wirklich gerne aufrichtig für Alles entschuldigt, was ich angerichtet hatte. Nur hatte ich zum einen einfach nicht das Gefühl, dass das Vahagn wirklich besänftigen würde - würde es mich an ihrer Stelle mit Sicherheit nämlich auch nicht, hatte ich doch selbst Geschwister - und zum Anderen fiel es mir wahnsinnig schwer überhaupt irgendwas zu sagen, wo der breite Kerl hinter ihr mir doch so unmissverständlich ins Gesicht sagte, dass ich gar nicht darauf zu hoffen brauchte noch lebend aus dieser Geschichte herauszukommen. Ich weiß nicht wie es den anderen beiden erging und ob sie sowas häufiger mal hörten, aber für mich war das ziemlich... lähmend. Natürlich hatten auch die Sorokins mir hier und da mal gedroht, aber das hatte ich ab einem gewissen Punkt nicht mehr wirklich ernst genommen. Einfach weil ich gelernt hatte, wie ich sie hier und da ein bisschen austricksen konnte. Natürlich konnte das immer schiefgehen, aber das war es offenbar nicht. Den bis unters Kinn tätowierten Kerl hier kannte ich aber wenig bis gar nicht und es gab keine Möglichkeiten für irgendwelche Tricks. Ähnlich war es mit Vahagn. Sie mochte eine Frau sein, aber von Schwäche war da nun wirklich keine Spur. Sie könnte mir mal eine Scheibe davon abgeben, hätte mir in den letzten Jahren kaum schaden können. Jedenfalls musste ich auch dann noch sehr geschockt aussehen, als ich mich stockend und die Augen wieder auf den Fußboden geklebt in Bewegung setzte, um den beiden die Skizzen im Wohnzimmer zu zeigen. Anfangs stand ich dann noch sehr aufgewühlt am Couchtisch herum, weil mir bei all der inneren Aufregung nicht unbedingt nach Hinsetzen war. Allerdings schien das ganz und gar nicht im Sinne der temperamentvollen Brünetten zu sein und so zuckte ich kaum merklich zusammen, als sie ihre forsche Stimme erneut an mich richtete. Ich nickte nur schwach und nahm mit einem leisen Schlucken auf dem Sofa Platz. Es dauerte nicht lange, bis der Amerikaner sich ebenfalls auf dem Sitzpolster niederließ, wenn auch mit ein wenig Abstand zu mir. Nur seine Lederjacke - ich hielt ihn wegen letzterer nach wie vor für doppelt bekloppt, das Ding konnte nie im Leben warm halten - aufmachte und an der vorderen Kante sitzend die Skizzen musterte. Ich hatte wirklich versucht sie möglichst übersichtlich anzufertigen, auch wenn ich nicht unbedingt zeichnerisch begabt war. Ein paar gerade Linien bekam ich hin und viel mehr war ja auch gar nicht von mir erwartet gewesen, was das anbelangte. Während der für meine Begriffe gruselige Typ noch dabei war sich die Zeichnungen genauer anzusehen, schweiften meine Augen erneut zögerlich zu Vahagn. Ich wünschte wirklich wir würden uns unter ganz anderen Umständen kennenlernen, nur blieb mir gar nicht so viel Zeit damit diesen Gedanken zu verfolgen. Nach einem Blickwechsel mit ihrem - und Iljahs - Komplizen lag ihre Aufmerksamkeit wieder vollumfänglich auf mir und sie stellte mir eine Frage, die ich so aus dem Stegreif nicht beantworten konnte. Deshalb senkte sich mein Blick auf die Blätter auf dem Tisch, während ich nachdachte. Welcher Wochentag war heute? Ich hatte bei all den Tagen im Container ein bisschen den Überblick verloren, aber ich glaubte zu wissen, dass es Freitag war. Wochenends waren die Brüder selten in Person Zuhause, was in meinen Augen schon ein Vorteil war, aber der Rest der Mannschaft flog deshalb nicht plötzlich aus. "Na ja... die beiden Brüder sind meistens an den Wochenenden nicht Zuhause... Geschäftsreisen und damit verbundene Partys. Ist vermutlich schon ein Vorteil, wenn sie nur aus der Ferne koordinieren können. Aber ihre rechte Hand lassen sie immer hier. Der sollte vielleicht... weg, sobald er sich zeigt. Ihn kann man eigentlich nicht verwechseln, er hat sich einseitig das halbe Gesicht tätowiert.", murmelte ich nachdenklich vor mich hin. War der Heerführer - sie titulierten ihn immer als Kriegsgott, aber dagegen weigerte ich mich vehement - auch noch aus dem Weg, dann wurde der Rest sicher unkoordinierter und leichter in Schach zu halten, beziehungsweise zu beseitigen. "Und haltet das Dach besser im Blick... ich weiß nicht, ob sie da immer Scharfschützen sitzen haben", wann ging ich schon mal rauf aufs Dach der Villa?, "aber spätestens wenn sie euch bemerken, schicken sie sicher welche rauf.", fiel mir noch eine weitere Kleinigkeit ein, die ich so auf der Zeichnung noch nicht verewigt hatte, weil ich das Dach da nicht mit inbegriffen hatte. Sie täten also auch gut daran, jene zeitnah auszuschalten. Das war vorerst aber alles, was mir dazu einfiel. Ich hob die Augen dann langsam wieder vom Papier an. Sah zuerst zu Vahagn, dann zu dem Amerikaner.
Ich wusste, worauf die Russin mit ihrem Blick hinaus wollte. Wusste, dass Irinas Auslegung der Dinge hier sehr mit Vorsicht zu genießen waren und sie im Grunde einfach nur ein riesiges Netz aus Lügen spinnen konnte, das nur auch noch den Rest der Familie - und mich eben - mit in den Abgrund ziehen sollte. War nicht so abwegig, wo sie ihr Spielchen doch schon so lange erfolgreich durchgezogen hatte. Sie konnte hier noch so kleinlaut und unterwürfig auftreten und ich würde trotzdem skeptisch bleiben. Andererseits blieb uns nicht wirklich etwas anderes übrig, als uns darauf zu stützen, dass sie die Wahrheit sagte, weil wir keine anderen guten Optionen hatten. Natürlich hätte sie sich auch alles, was auf den Skizzen zu sehen war, aus dem Hut ziehen können, aber es war doch schon ziemlich detailliert. Vielleicht war sie einfach nur perfekt darin ihre Fantasie spielen zu lassen, aber selbst wenn das so war, blieb sie nach wie vor die einzige Option. Ich würde mir womöglich lieber ein paar Asse mehr in die Ärmel legen und mir einen Plan B - Plan C, Plan D - überlegen, falls die Schwarzhaarige uns hier nur etwas vormachte, weil wir noch ein oder zwei Stunden zeit zum Aufbruch haben würden. Meine Augen schweiften auch wieder von Vahagn ab und zu Irina rüber, als sie auf die ihr gestellte Frage zu antworten begann. Die beiden führenden Köpfe schienen nicht Zuhause, was strategisch gesehen natürlich nur gut sein konnte. Für die Befriedigung meiner Rachegelüste weniger, aber darum ging es hier auch nur sekundär. Ich bekam die Arschlöcher schon noch. Ich war immer noch begeistert davon, wie perfekt meine Eltern unwissend über die Zukunft meinen Namen ausgesucht hatten. Einmal die Beute ins Visier gefasst jagte ich für gewöhnlich so lang, bis sie dem Erdboden gleichgemacht war. Die offenbar vorhandenen Sniper schmeckten mir wiederum so gar nicht, hatten sie vom Dach aus doch einen eindeutigen Vorteil und waren schwer aus einer niedrigeren Position zu erwischen. "Sind andere Häuser in der Nähe?", war deshalb die nächste Frage, die Irina gestellt bekam. Sie sah zögerlich wieder zu mir, während sie mit ihren Händen herumnestelten - ich hasste diese Angewohnheit von ihr übrigens - und zuckte dann leicht mit den Schultern. "In der Nähe würde ich jetzt nicht unbedingt sagen, die Villa liegt ja etwas außerhalb... ich schätze das näheste ist mindestens drei-, vierhundert Meter weit weg... nördlich. Gehört glaube ich einem älteren Rentnerehepaar.", gab sie mir eine Antwort, die ich mit einem "Nah genug." abnickte. Sie musterte meine Gesichtszüge, worauf ich aber gar nicht einging. Scharfschützen ließen sich gut mit anderen Scharfschützen ablenken, wobei maximal zwei dafür sicher reichen würden. Ging nur darum die Arschlöcher da oben wegzuholen, damit wir am Boden sicherer waren. Wem das Haus, auf das meine Jungs dafür klettern würden, dann letztendlich gehörte, sollte mir egal sein. Rentner ließen sich zumindest leicht dingfest machen, damit sie nicht die Bullen riefen, weil Ihnen Jemand aufs Dach klettern wollte. Es gab aber noch eine andere Frage, die mir gerade auf der Zunge brannte. Ich richtete die Augen dafür aber wieder auf die Skizze des Erdgeschosses, deutete mit dem Zeigefinger nacheinander auf die beiden Eingänge. Einer war logischerweise auf der Vorderseite, ein anderer seitlich versetzt an der Rückwand. "Sind das die einzigen beiden Eingänge? Du meintest er ist wahrscheinlich im Keller... gibt's für den einen direkten Eingang?", hakte ich mit nach wie vor sehr dominanter, wenn auch nachdenklicherer Stimmlage als zuvor nach. Mir schien zumindest auf der separaten Zeichnung für das Untergeschoss kein Eingang zu sein, wollte zur Sicherheit jedoch nachhaken. "Doch, schon... aber der ist immer von innen abgeschlossen.", äußerte Irina sich auch dazu noch leise und griff nach dem Stift, der noch auf dem Tisch herumlag. Zeichnete die Tür am Ende eines Flures im Keller ein, der am hinteren Ende des rechten Hausflügels mündete. Ich hob mit einem angestrengten Seufzen die rechte Hand, rieb mir übers Gesicht. Ich hatte eigentlich nach einem Eingang in den Keller gefragt, weil ich gerne ein separates Team - ob mit mir oder Vahagn war mir dabei relativ egal - unauffällig direkt auf Iljahs Befreiung ansetzen wollte und nicht, um die blöde Tür aufzusprengen und damit nur unnötig Aufmerksamkeit zu erregen. "Fenster..?", stellte ich eine weitere Frage, redete dabei allerdings so halb gegen meine eigene Hand, weil ich jene noch nicht hatte sinken lassen. "Zwei... aber die sind winzig. Glaube nicht, dass du oder deine Männer da durchpassen.", lieferte die Serbin mir auch darauf noch eine Antwort, die ich kurz sacken ließ, weil sie mir im ersten Augenblick nur noch einen Dämpfer zu versetzen schien. Dann aber kam mir ein anderer Gedanke und ich ließ die Hand sinken, bevor ich fast schon entzückt zu grinsen begann. "Macht nichts. Weißt du, wo der Schlüssel ist?" Es dauerte einen kurzen Moment, bis Irina zu begreifen schien, worauf ich hinaus wollte, dann aber entglitten ihr die Gesichtszüge erneut. Weil sie mit der Antwort etwas zögerte verfinsterte sich mein Blick jedoch schnell wieder und daraufhin folgten dann Worte ihrerseits. "Ja... normalerweise ist der Zweitschlüssel im Weinkeller.", stammelte sie und ich das war alles, was ich zur Vollendung meines Plan A's brauchte. Deshalb lehnte ich mich zurück, sah zwischen den beiden Frauen im Bunde hin und her. "Dann werden wir das Fenster einschlagen, damit du von innen aufmachen kannst... und Vahagn wird dich begleiten, weil du von mir definitiv keine Waffe kriegst und ich dir keinen Meter traue. Es wird sicher kaum Jemand im Keller bleiben, wenn die vermeintlich eigentliche Party schon oben stattfindet. Lasst ein paar von Vahagns Männern durch die Tür rein, damit sie die innere Treppe ins Erdgeschoss noch sichern können, dann könnt ihr Iljah quasi ohne Bedenken auflesen und ich hab solange meinen Spaß daran, diesen Wichsern die Gesichter wegzuschießen.", präsentierte ich den für meine Begriffe außerordentlich guten Plan. Natürlich war auch der nicht zu einhundert Prozent sicher, aber es war in jedem Fall besser, als sich erst im Inneren des Hauses zu ihm durchzukämpfen. Schüsse waren laut und auch, wenn die Villa etwas außerhalb lag, würden früher oder später mit Sicherheit die Bullen auf der Matte stehen. Ich konnte gut darauf verzichten, dass diese uniformierten Vollidioten uns auch noch von hinten in den Rücken schossen und deshalb täten wir gut daran, bis zu deren Eintreffen schon wieder so gut wie weg zu sein. In jedem Fall musste Iljah - sofern er denn überhaupt noch lebte - möglichst schnell und vor allem ohne weitere Kugeln im Körper aus der Schusslinie. Wenn man Vahagns Worten Glauben schenken konnte, dann war er mit großer Sicherheit in absolut miesem Zustand und da war schwer anzuraten, ihn möglichst unauffällig aus dem Gefahrenradius zu schleppen. Falls er nicht mehr gehfähig war, waren dann ja auch noch drei oder vier Männer mit im Untergeschoss, die damit Abhilfe schaffen konnten, sobald er gefunden war. Ich war ein kleines Genie. Auch, wenn ich mir fast sicher damit war, dass die jüngere Gniwek sich gleich absolut nicht erfreut dazu äußern würde, das kleine Biest begleiten zu müssen. Wenn sie einen besseren Plan für mich hatte - nur zu.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Es folgte ein relativ langer Wortwechsel zwischen Hunter und Irina, dem ich ehrlich gesagt nur mit einem halben Ohr folgte. Dass der Amerikaner zumindest nicht gleich zu Anfang sein Misstrauen der Serbin gegenüber äußerte, reichte für mich persönlich schon vollkommen als Bestätigung dafür aus, dass wir auf Grundlage der Skizze auf dem Wohnzimmertisch die Villa stürmen würden. Mehr musste ich erst einmal nicht wissen, weshalb ich mich für den Rest der Unterhaltung gedanklich kurzzeitig ausklinkte. Mich ein wenig im Wohnzimmer des Hauses umsah, das ich seit der unglücklichen Auseinandersetzung mit Tauren und Iljahs langjährigen Mitbewohner nicht mehr gesehen hatte. Dem Norweger zuliebe war ich nach der Sache hier nicht noch einmal aufgetaucht, auch wenn Michail sich sicherlich davor gehütet hätte, mir mit seiner Verletzung noch einmal zu nahe zu kommen. Zu groß war die Gefahr gewesen, von mir weiteren Schaden befürchten zu müssen und trotzdem hatte ich das Risiko wirklich minimieren wollen. Apropos Michail... besagtem Weißrussen hatte ich seit meiner Ankunft vor wenigen Augenblicken nicht einer einzigen Begrüßung gewürdigt, weil mein Zorn auf Irina so viel größer war. Mich übermannt hatte, aber jetzt, wo die junge Frau sich mit Hunter beschäftigte, sah ich mich ja doch noch einmal nach dem besten Freund meines Bruders um. Nicht etwa, um die versäumte Begrüßung nachzuholen und ihn freudig in meine Arme zu schließen, nein. Ich wollte einfach sehen, ob die Stichverletzung nicht vielleicht doch noch schwerwiegendere Folgen nach sich gezogen hatte, die mit dem bloßen Auge erkennbar waren. Vielleicht ein dauerhaft gekrümmter Gang aufgrund von Phantomschmerzen oder bleibende Nervenschäden, die ihn einseitig lähmten... irgendetwas eben. Bedauerlicherweise schien es Michail jedoch ganz gut zu gehen, so süffisant - wenn auch eher nur schmal -, wie er vor sich hin grinste. Unweit der Couch im Eingangsbereich an der Wand lehnte und uns beobachtete. Das reichte mir dann auch schon wieder, um mich mit den Augen rollend wieder dem Häufchen Elend und Hunter zuzuwenden, dem im Verlauf der Unterhaltung wohl eine besonders gute Idee gekommen zu sein schien. Ich sah ihn kurzzeitig etwas verwirrt an, bis mein Unterbewusstsein - quasi die andere Gehirnhälfte, die beim Gespräch verblieben war, während ich mich nach Michail umgesehen hatte - die Informationen vollständig aufgearbeitet hatte. Als das geschehen war, verfinsterte sich mein Blick sofort wieder und ich sah erst den Amerikaner, dann das Schwarzhaarige Miststück an. Mahlte daraufhin mit dem Kiefer und musste einmal ganz tief durchatmen, um das Kribbeln in meiner rechten Hand zu unterdrücken. Liebend gerne hätte ich jetzt nämlich auf den Tisch gehauen, ihn vielleicht sogar einfach aus dem Weg getreten, weil es mir überhaupt nicht schmeckte, dass ich Irina an die Hand nehmen musste und sie begleiten sollte. Konnten wir sie nicht einfach als Kanonenfutter in die Villa schicken und damit für Ablenkung sorgen? Ob sie dabei draufgehen würde oder nicht, wäre mir in dem Fall nämlich relativ egal. Andererseits konnte ich die Beweggründe seitens Hunter natürlich schon nachvollziehen und teilte seine Ansicht, dass es sinnvoller war, rund um einen sehr wahrscheinlich schwer verletzten Iljah nicht noch mehr Wirbel zu verursachen. Nicht, dass er noch einem Kugelhagel ausgesetzt und schließlich doch noch tödlich verletzt wurde. Und ja, auch die Begründung mit dem viel zu kleinen Fenster für eine männliche Person leuchtete mir ein, es machte alles Sinn. Nur gefallen tat mir das eben einfach nicht. Aber eine andere Wahl, als den Vorschlag seitens des Amerikaners stillschweigend abzunicken hatte ich wohl nicht. Denn mir war nicht plötzlich ein Alternativplan in den Sinn gekommen, was nicht zuletzt wohl auch ein Stück weit daran lag, dass ich irgendwie ein wenig durch den Wind war. Mich nicht richtig konzentrieren konnte, weil mich das alles wirklich mitnahm. Erst die Sache mit Tauren, dann das Verschwinden meines Bruders... auch für eine hartgesottene Persönlichkeit wie mich waren so persönliche Dinge einfach etwas belastend und ich war froh, dass das Denken in dem Fall jemand anderes übernahm. Dass dann aber eben auch Ideen dabei heraussprangen, die mir vielleicht nicht so gut passten, damit musste ich dann wohl leben. Ich nickte also, wobei mein finsterer Blick wieder auf der Schwarzhaarigen lag. "Passt mir gut, falls sie Faxen macht, kann ich sie gleich in der Villa noch umlegen. Selbiges gilt, wenn Iljah nicht mehr atmen sollte.", log ich trocken. Natürlich passte mir das absolut nicht, aber es war ja nicht alles schlecht an diesem Plan. Immerhin hatte ich so direkt die Möglichkeit, mich nach meinem Bruder und seinem Gesundheitszustand zu erkundigen. Würde gleich als Erste sehen, ob er noch lebte und wenn nicht, dann hatten die Bullen noch eine weitere Leiche aus der Villa zu bergen. War streng genommen also eine eigentlich sehr praktikable Lösung, ich jammerte nur wieder auf höchstem Niveau. Allerdings beschäftigte mich neben der angesprochenen Scharfschützen noch ein anderes Thema, auf das ich kurz nach meiner Zustimmung des Plans zu sprechen kam. "Was ist mit den Hunden?", fragte ich und deutete auf eine der entsprechenden Notizen. Wollte einfach wissen, ob es eine Möglichkeit gab, diesen Teil des Schutzmechanismus der Villa irgendwie zu umgehen. Vielleicht wenn die Köter Gassi geführt oder gefüttert wurden. Sie sich einfach nicht mehr unmittelbar auf der Grünfläche um das Haus herum befanden, denn jeden einzelnen davon abzuknallen kam absolut nicht in Frage. Angesichts der Tatsache, dass selbst schallgedämpfte Schüsse noch zu hören waren, würden sich die Männer der Sorokins sehr wahrscheinlich formatiert haben, bis wir uns durch die tierische Sicherheitsmaßnahme gekämpft hatten und das wäre alles andere als gut.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich sollte mit in die Villa. Mich irgendwo zwischen Kugelhagel und Kötern durch eins der kleinen Kellerfenster quetschen. In der stillen Hoffnung, dass mich - beziehungsweise uns, ich ging ja nicht allein - dabei Niemand sah, weil ich selbstverständlich nichts brauchbares bekam, um für meine eigene Verteidigung zu sorgen. Andererseits würde ich mit einer Schusswaffe zwar vermutlich sowieso nicht treffen, aber ich hätte wenigstens auf meine Reflexe dahingehend bauen können. Auch darauf, dass der Angreifer im Fall der Fälle wenigstens erst einmal Deckung wegen dem sich lösenden Schuss suchte. Nichts da, ich bekam stattdessen Iljahs Schwester an die Fersen geklebt. Dass das nicht gerade zu meinem Wohlbefinden beitrug, musste ich kaum erwähnen. Vahagn würde mich sicher sofort dem Erdboden gleichmachen, wenn die Tür offen und ihre Männer mit drin waren. Wozu brauchte sie mich denn dann auch noch? Der Keller war nicht überdimensional riesig, sie würde ihn schnell finden und außer der Tür nach draußen dürfte eigentlich nichts abgeschlossen sein. Die Folterkammer - die meiner Erinnerung nach mehr nur ein ziemlich leerer, kleinerer Raum war - war lediglich mit einem Riegel und einer Sicherheitskette von außen versehen, damit der Gefangene sich im Fall der Selbstbefreiung, die an sich schon unwahrscheinlich war, keinen Weg nach draußen verschaffen konnte, weil die Tür sich lediglich nach innen öffnen ließ. Abgeschlossen war da normalerweise also nichts und die Brünette konnte auch ohne meine weitere Begleitung zu ihrem Bruder, sobald sie erstmal im Untergeschoss war. Vermutlich blieb mir mit meiner Paranoia nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass sie mich zumindest noch sehen ließ, ob Iljah lebte. Ich hoffte, betete nun schon seit unzähligen Stunden darum. Wenn der Schwarzhaarige durchkam, dann konnte ich zumindest einen kleinen Teil meines Seelenfriedens wiederfinden und mein Abdanken leichter hinnehmen. "Werde ich nicht.", versicherte ich der jüngeren Gniwek murmelnd, dass sie nichts Schlimmes von mir zu erwarten brauchte. Vom Amerikaner erntete ich dafür ein ungläubiges Schnauben und ein Kopfschütteln, das sicher mehr als berechtigt war. Ich sah längst wieder auf meine Finger runter, als Vahagn noch eine letzte Frage an mich richtete und ansonsten nichts gegen den schon bestehenden Plan einzuwenden hatte. Ein bisschen hatte ich schon darauf gehofft, dass sie sich dagegen auflehnen würde, aber damit sollte ich jäh enttäuscht werden und so war die Sache fix - ich würde mit ihr im Rücken in den Keller kriechen. Was konnte da schon schiefgehen... "Wirklich Pausen von der Hundepatrouille gibt es nicht. Es sind immer welche draußen, die haben so einige von denen. Ich denke die meisten der Hunde werden sich automatisch in... das Gefecht auf der Vorderseite einmischen, sobald sie das hören. Die Ablenkung soll ja zuerst starten, wenn ich das richtig verstanden habe..?" Ich richtete mit der indirekten Frage meinen Blick auf den tätowierten Kerl neben mir, der bestätigend nickte. "Dann sind eher nur die beiden Seniors ein Problem, die haben ihre festen Posten an der Hundehütte nahe am Kellereingang, die bewegen sich da nicht weg. Aber mich kennen sie... ich glaube nicht, dass sie bellen, wenn sie mich erkennen.", dachte ich laut nach. Die beiden angesprochenen Hunden - ein Dobermann, ein belgischer Schäferhund - waren die beiden ältesten der Staffel, dürften inzwischen schon über zehn Jahre alt sein. Waren die diszipliniertesten, sie hörten am besten. Hin und wieder waren sie auch zu uns Mädchen gekommen, weil der Schäferhund eine sehr feine Nase hatte und nach nicht genehmigten Drogen hatte suchen sollen. Wenn sie danach manchmal noch geblieben waren, hatte ich nicht selten zum seelischen Ausgleich mit ihnen gekuschelt. Hatte eine ganze Weile gedauert, bis ich die beiden wirklich aufgetaut waren, aber eigentlich waren sie keine bösartigen Hunde. Auch, wenn sie Fremde ganz genau so ansahen. Sie waren sehr dominant, aber waren die Fronten geklärt einfach nur süß. Wortwörtlich zum Knuddeln. "Die Hecke auf der Grundstücksgrenze ist vom Kellereingang nicht sehr weit weg. Ich könnte die paar Meter vorgehen und sie einen Moment lang besänftigen, bevor du", meine Augen wanderten vorsichtig zu Vahagn, die mir anzusehen immer noch schwerfiel, "mit dem Rest aufschließt... das würde das Risiko zumindest senken.", machte ich mit einem leichten Schulterzucken den einzigen Vorschlag, der mir dazu einfiel. Meine Augen wanderten kurzzeitig zwischen den beiden finsteren Gesichtern im Raum hin und her, wobei der Amerikaner nur semi bis gar nicht begeistert davon wirkte, mich auch nur einen Schritt allein machen zu lassen. Er sagte aber nichts, kniff nur sehr vielsagend die Augen zusammen, durchbohrte mich mit seinem Blick und ich seufzte schwer, als ich meine Beine zu mir aufs Sofa zog. Sie relativ locker mit den Armen umschloss und meine Finger an den Schienbeinen verschränkte. "Ich weiß, dass ihr mir nicht trauen wollt... und ich versteh's, ich würd's auch nicht tun. Ist schließlich alles meine Schuld und die kann ich nicht wieder gut machen... aber ich will wirklich nur, dass Iljah da lebend rauskommt. Was danach kommt ist mir... egal. Wenn ich also schon mitkommen soll wegen der Kellergeschichte, dann lasst mich wenigstens so gut helfen, wie ich kann. Sein Leben für meins...", redete ich vor mich hin, wenn auch nicht besonders laut und der letzte Satz war wohl auch nur noch ziemlich leise. Legte dann den Kopf auf der Sofalehne ab, sah in Richtung Decke. Es kam mir vor als hätte ich genauso gut mit der reden können, weil meine anderen beiden Gesprächspartner ungefähr genauso undurchdringlich waren. Einen kurzen Moment war es ruhig, dann lachte der Amerikaner neben mir leise in sich hinein. "Jetzt versteh' ich, warum du das so lang durchziehen konntest... mit dem letzten Satz hättest du mich fast gehabt.", amüsierte er sich lediglich über meine Worte und ich machte nur mehr die Augen zu, atmete dabei tief durch. Ich würde meine Ganovenehre wohl nie mehr zurück kriegen und sollte mich damit abfinden, sie verspielt zu haben. Nur war das wirklich schwer, wenn man den betreffenden Leuten doch eigentlich nie etwas Schlechtes gewollt hatte. Allen voran Iljah... Gut, der Lederjackentyp hier war mir noch nie sonderlich sympathisch gewesen, aber das war für mich noch kein Grund ihn in eine Kreissäge zu schubsen. "Aber gut, von mir aus. Geh vor und kümmer' dich drum, dass die Köter die Schnauze halten... du weißt ja, wer dich erschießt, wenn du wegläufst.", lächelte er gestellt vor sich hin und warf einen eindeutigen Blick mit unterstreichender Handgeste in Vahagns Richtung, als ich den Kopf wieder angehoben und die Lider geöffnet hatte. Ja ja, ich hatte es jetzt langsam kapiert, mein Gott. Scheiße bauen ging zwangsläufig mit sterben einher, sie brauchten mir das nicht noch hundert Mal zu sagen und doch schien keiner von beiden genug davon kriegen zu können.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich glaubte Irina wohl erst, dass sie keine Faxen machen würde, wenn ich es mit eigenen Augen gesehen hatte. Erzählen konnte sie mir nämlich viel, aber wie sie sich letzten Endes dann wirklich verhielt war eine ganz andere Sache. Fürs Erste würde ich ihr aber tatsächlich meinen Glauben schenken, weil mir schlichtweg nichts anderes übrig blieb. Ich könnte mich natürlich dagegen auflehnen und ihr noch mal unterstreichend zu meinen vorherigen Worten zu verstehen geben, dass sie in meinen Augen schlichtweg eine dreiste Lügnerin war, aber bringen würde es mir wohl so ziemlich gar nichts. Ich müsste mich dennoch Seite an Seite mit ihr in den Keller der Villa schleichen, ihr trotzdem den Rücken freihalten, solange ich Iljah noch nicht hundertprozentig in Sicherheit wissen konnte, weil sie über Informationen verfügte, die sonst keinem von uns bekannt waren. Es sollte also vor allem in meinem Sinne sein, sie bis zum Erreichen der Folterkammer am Leben zu lassen und zu halten, sie notfalls zu verteidigen, weil sie weder von Hunter, noch von mir eine Waffe in die Hand gedrückt bekommen würde. Dass mir das nicht schmeckte, stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, aber ich nickte. Stimmte damit dem Vorschlag, sie ein paar Meter - die sie unter Umständen schon den Kopf kosten konnten - vorgehen zu lassen, zu, damit sie für uns die Hunde besänftigen konnte. Im äußersten Notfall hätte ich die Viecher wohl ungeachtet der Lautstärke einfach abgeknallt, aber es war doch schon von Vorteil, wenn wir uns den Weg bis zum Fenster ungestört bahnen konnten und uns dabei nicht noch mit ein paar weitern von Sorokins Handlangern auseinandersetzen mussten. Zu hoch war das Risiko, dass die unbewaffnete Serbin in der Hitze des Gefechts vorzeitig abdankte und je nach dem, wie der Schusswechsel dann ausfiel, konnten wir die Rettung Iljahs gänzlich an den Nagel hängen, weil niemand von uns mehr übrig war, den unteren Teil des Hauses nach ihm zu durchforsten. Ich wollte den Teufel jetzt natürlich nicht an die Wand malen - sollte man in dem Metier grundsätzlich nicht, weil einen Zweifel doch angreifbarer machten -, aber eine Niederlage war natürlich nicht ausgeschlossen. "Wo dann jetzt geklärt wäre, wer wen unter welchem Umständen umbringt... worauf warten wir dann noch?", fragte ich mit unverändertem Gesichtsausdruck, während mein durchweg kalter und abschätzender Blick zwischen Irina und Hunter hin und her wanderte. Ich wollte ungerne Zeit verlieren, die wir eventuell schon längst nicht mehr hatten und auch wenn ich mir wünschte, mich intensiver mit den Skizzen befassen zu können, würde es ausreichen müssen, die Zeichnung auf dem Weg zur Villa zu studieren. Ich zögerte deshalb nicht lange, um mich nach den Papieren zu bücken, sie aufzuheben und noch einmal kurz flüchtig zu besehen, bevor ich sie relativ handlich zusammenfaltete. "Wir schauen uns das auf dem Weg noch mal an.", ließ ich den Amerikaner, der für meinen Geschmack zu viel gespielte gute Laune hatte wissen, dass ich es kaum bei der oberflächlichen Inspektion der architektonischen Zeichnungen belassen würde. Ich durchaus gewillt war, mir das Alles genauer anzugucken, wenn wir uns auf dem Weg zur Villa befanden, die sicherlich eine gute Stunde Autofahrt entfernt am Rande der Stadt lag. Bevor wir jedoch dahin aufbrechen würden, drehte ich mich mit den Papieren in der Hand noch einmal in Richtung Michail um. Am liebsten hätte ich ihm dieses selbstgefällige, wenn auch nur schmale Grinsen gerne aus dem Gesicht gewischt, aber dafür hatten wir jetzt leider keine Zeit. "Hast du Nikolaj erreichen können? Sind alle soweit?", fragte ich ihn direkt nach dem Stand der Dinge auf russischer Seite. Ich hatte den Weißrussen gebeten, Iljahs rechte Hand damit zu beauftragen, den Rest der Mannschaft zusammenzutrommeln und über das Verschwinden meines Bruders aufzuklären, damit wir gemeinsam mit Hunters Jungs das Grundstück stürmen könnten. Mehr als ein einfaches Ja oder Nein hatte ich weder gebraucht, noch erwartet, aber Michail wäre schließlich nicht Michail, wenn er mir nicht auch in einer so ernsten Situation tierisch auf den Sack gehen würde. Ich hoffte inständig, nicht rot angelaufen zu sein, als er auf unangemessen zweideutige Art äußerte: "Wer wäre denn bei dir nicht sofort bereit?" Dabei selbstgefällig vor sich hin grinste, als hätte er schon längst wieder vergessen, dass er erst vor kurzem für so eine Aussage ein Messer in den Rücken gerammt bekommen hatte. Wortwörtlich. Ich schnaubte los, versuchte einfach zu ignorieren, was für ein unglaubliches Arschloch der junge Mann am anderen Ende des Wohnzimmers doch war und wandte mich stattdessen wieder dem Amerikaner und unserer kleinen Pestbeule zu, die ich mit einem vielsagenden Nicken dazu aufforderte, aufzustehen. Zum an die Decke starren war jetzt nämlich genau so wenig Zeit, wie sich darüber zu amüsieren, wie sie es geschafft hatte, Iljah so lange auf der Nase herumzutanzen und ich wollte gerne los. Konnte nicht länger seelenruhig hier im Wohnzimmer herumstehen und die Minuten nur so ins Land ziehen lassen, während mein Bruder vermutlich gerade Höllenqualen erlitt. Ich wollte mich gerade von dem Couchtisch distanzieren, als mir noch etwas durch den Kopf schoss, das mich innehalten und nachdenklich auf den Boden sehen ließ. Für den Bruchteil einer Sekunde verlor ich sogar die Kontrolle über meine Gesichtszüge und der Blick wurde mangels entsprechender Anspannung der Muskeln ein bisschen weicher. Dann öffnete ich den Mund, aber es wollte mir kein Wort mehr über die Lippen kommen und so schüttelte ich letzten Endes dann doch nur noch einmal den Kopf. Kurz darauf war auch die verlorengegangene Fassung wieder zurückgekehrt und ich stiefelte schnaubend von dannen. Sparte mir einfach die Frage nach dem Warum an die Schwarzhaarige, weil ich nicht glaubte, darauf eine zufriedenstellende Antwort von ihr zu bekommen. Womit ließe sich denn so ein Verrat schon rechtfertigen? Und warum interessierte mich das überhaupt?
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Nein, wirklich Zeit verlieren sollten wir jetzt vermutlich nicht. Auch, wenn ich gerne mehr davon gehabt hätte. Ich mochte es nicht besonders derartig spontan eine relativ große Aktion durchziehen zu müssen, die uns durchaus gefährlich werden konnte, aber Iljahs Leben unnötig länger auf Messers Schneide tanzen zu lassen wäre nicht zielführend. Schließlich war unser Ziel genau jenen Schwarzhaarigen noch lebend zu bergen, also stand ich nach einem schwachen Nicken vom Sofa auf. Wenn wir die Pläne mitnahmen - was offensichtlich auch im Sinne Vahagns war - und sie auf dem Weg noch ein wenig studieren konnten, hatte ich gegen den sofortigen Aufbruch nichts einzuwenden. Irina hingegen wirkte reichlich zögerlich und fühlte sich nach wie vor sichtlich unwohl in ihrer eigenen Haut, als sie letztendlich aufstand und dabei mit den Fingern an den Ärmeln des etwas zu großen, schwarzen Hoodies herumspielte. Sie ging nur relativ langsam vorwärts - was wohl daran lag, dass sie einen Moment lang noch fast schon entschuldigend zu der Brünetten hinsah - in Richtung Flur, weshalb ich ihr ein "Jetzt mach schon!" in den Nacken zischte. Sie zog reflexartig den Kopf ein und legte zu ihrem Glück auch prompt einen Zahn zu. Aber auch Michails Verhalten stieß mir sehr sauer auf. Denn sein blöder Spruch führte unweigerlich dazu, dass ich gedanklich erneut durchkaute, was Tauren mir nach seinem Aufenthalt in Russland gesagt hatte. Ich bekam deswegen zwar keine Zweifel daran, dass die Strafe dem Norweger gut tat und er dadurch vielleicht endlich mal lernte seine unnützen Gefühle hinten anzustellen, aber es führte dazu, dass ich ihm doch mehr glauben wollte, als das vorher der Fall war. Er war ohnehin nicht der Typ Mann dafür sinnlos andere abzustechen und würde wirklich irgendeinen Grund gehabt haben. Dass er sich den nicht nur ausgedacht hatte, sondern offenbar wirklich etwas an Michails Faible für Vahagn dran war, war hier und jetzt ziemlich offensichtlich für mich. Außerdem gefiel mir seine große Klappe nicht. Im Grunde hatte er hier gerade im Moment absolut gar nichts zu sagen, wo sein ach so guter Freund nicht hier war. Wieder kribbelte mir die Faust, als ich an ihm vorbei ging, weil ich ihm wirklich gerne dieses dumme, unangebrachte Grinsen aus dem Gesicht gewischt hätte. Sollten wir nur noch Iljahs Leiche bergen können, kam er ganz bestimmt auch mit auf meine Abschussliste. So oder so musste ich sicherlich noch ein, zwei Tage hier bleiben. Erstens, weil Vahagn je nachdem entweder eine angebrachte Beerdigung organisieren oder die ersten Tage der Genesung ihres Bruders verfolgen wollen würde. Zumal es auch bei Verletzungen in meinen eigenen Reihen sehr viel besser wäre, sie ein klein wenig heilen zu lassen und erst in ein paar Tagen wieder nach Kuba zu fliegen. Desmond und Tauren sollten dort auch alles im Griff haben, es gab also keinen triftigen Grund für eine sofortige Abreise, nachdem auf russischem Boden alles geregelt war. Ich bedachte Michail vorerst lediglich mit einem eisigen, sichtlich wenig erfreuten Blick, als ich ihn passierte und in den Flur trat. Das Karma holte jeden irgendwann ein, er würde sein Fett schon noch weg kriegen, daran hatte ich keinen Zweifel. Meine Aufmerksamkeit lag von da an auf meinen Leuten im Flur und ich wollte noch hier vor Ort zumindest eine kurze Lagebesprechung und eine grobe Fassung des Plans loswerden. Wir würde über Funk zwar verbunden bleiben, während wir auf dem Weg zu den Sorokins waren, aber ich sah meinen Leuten dabei einfach gerne ins Gesicht. Fragen konnten wir dann nebenher auf dem Weg klären. Ich hielt sie also mit gewohnt eindringlicher Stimmlage dazu an, mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken und schilderte den Plan, wählte auch im Anschluss direkt noch zwei der Jungs aus, die sich der Scharfschützen-Aufgabe auf dem Dach weiter nördlich annehmen sollten. Normalerweise wäre Desmond meine erste Wahl dafür, weil er eine sehr ruhige Hand und ein gutes Auge für Schüsse auf weite Distanz hatte, aber ich konnte schlecht meine rechte und linke Hand mit hierher nehmen. Tauren wäre zwar vielleicht sogar fähig dazu meine Geschäfte auf Kuba mit dem Rest der Jungs alleine zu bewerkstelligen, aber das war mir dann doch deutlich zu heikel. Außerdem hatte ihn dann keiner mehr im Blick, um die Strafe zwecks wenig Zeit und sehr viel Arbeit weiter aufrecht zu erhalten. Deshalb mussten andere dafür herhalten, weil Ashton an meiner direkten Seite unabdingbar war. Ich konnte im Gefecht schwer alle meiner Männer gleichzeitig im Auge behalten, weshalb er meine Befehle immer an diejenigen außerhalb meiner Reichweite weitergab, sobald sich mein Team breiter fächerte. Als die Ausgangslage und der Plan im Flur innerhalb von möglichst kurzen, kompakten Sätzen soweit besprochen waren, signalisierte Vahagn mit einem kurzen Blick, dass es losgehen konnte. Von da an dauerte es nur noch einen kurzen Moment, bis wir auf dem Weg zurück in die kalte Nachtluft waren. Meine Tasche würde erstmal weiter ihr Dasein nahe der Garderobe fristen, brauchte ich die doch jetzt erstmal nicht und außerdem war außer Klamotten auch gar nichts drin. Sollte Michail etwas zu neugierig sein, musste ich ihn also leider enttäuschen. Draußen verteilten sich meine Leute wieder auf die Transporter und ich gab das Steuer meines Wagens an Ashton ab. Einfach, damit die Russin und ich noch Zeit dazu hatten, uns die Pläne genauer anzusehen. Außerdem konnte ich mich dann schon mal mit Munition bestücken, was mitunter mit Waffengurten einherging. Sowohl an den Beinen, als auch oberhalb des Hoodies und der leichten, schusssicheren Weste, die ich anlegte. Die Magazine für das Maschinengewehr waren einfach recht groß und passten im Gegensatz zu denen für meine Pistole nicht in die Seitentaschen an meiner gewohnt schwarzen Militärhose. Mitnehmen würde ich beide Waffen, weil es einfach vollkommen situationsabhängig war, welche die bessere Wahl war. Außerdem war ein Backup nie verkehrt. Irina war die Fahrt über ebenfalls bei uns und ihr wich die Farbe mehr und mehr aus dem Gesicht, je länger wir unterwegs waren und je näher wir der Villa der Sorokins kamen. Trotzdem war sie noch fähig dazu mir bei Nachfrage zu bestätigen, dass es gut wäre, nicht ganz frontal anzugreifen, sondern über die vordere, linke Ecke des Grundstücks zu klettern. Denn die relativ große Grünfläche vor dem Haus war problematisch, bot kaum Schutz. Vorne links befand sich jedoch ein gemauerter, erhöhter Pavillon, der zumindest ein bisschen Schutz bot. Außerdem befanden sich auch noch ein paar steinerne, größere Statuen in diesem Bereich, die Kugeln ebenfalls abhalten konnten. Die Umschreibung schusssicher war für jene Westen nämlich weit übertrieben. Sie dämpften die Schüsse, aber größere Kaliber kamen problemlos trotzdem durch.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Glücklicherweise war es ebenfalls weniger in Hunters Sinn, die ohnehin schon rar gesäte Zeit jetzt noch weiter zu verschwenden, weshalb er dem Plan, sich die Zeichnungen von unterwegs aus noch einmal anzuschauen, zustimmte. Irina und er erhoben sich daraufhin dann auch von dem Polster der Couch, sodass es rein theoretisch schon sehr bald losgehen konnte. Wenn die Serbin nicht noch eine kleine Ewigkeit damit zugebracht hätte, mich anzustarren und stattdessen einen Zahn zugelegt hätte. Nach einer unmissverständlichen Aufforderung des Amerikaners tat sie aber auch das dann schließlich und ich schloss mich den beiden als Schlusslicht an. Stahl mich ohne ein weiteres Wort an Michail vorbei durch den Flur und ließ Hunter mit seinen Männern erst einmal im Inneren des Hauses zurück, um vor der Haustür nach meinem Handy zu kramen. Anstatt mich auf die Aussage von Iljahs besten Freund zu verlassen, wählte ich selbst noch einmal die Nummer von Nikolaj und ließ mir die Aussage des Weißrussen noch einmal bestätigen. Es waren soweit alle von Iljahs und auch meinen ehemaligen Männern informiert und zu den ein oder anderen organisatorischen Handlungen angewiesen worden, was mir zumindest einen klitzekleinen Teil der inneren Anspannung von den Schultern nahm. Ich fand es unglaublich schwierig, über eine gewisse Distanz zu dirigieren, denn das war im Grunde genommen wie stille Post. Ich sagte Niko etwas, der trug es weiter an Person X, die es wiederum an Person Y weitergab und auf dem Weg würde sicher irgendeine - teilweise wirklich wichtige - Information verloren gehen oder verfälscht werden. Dass das nicht gut war, musste ich sicher nicht noch einmal extra betonen, oder? Es konnte in dem Fall nämlich mehr Menschenleben kosten, als es das müsste. Dementsprechend glücklich war ich, als die linke Hand meines Bruders mir bestätigte, dass all das, worum ich ihn und die Mannschaft geben hatte, in die Gänge geleitet worden war. Außerdem wiederholte er meine Bitte auch noch mal, wodurch ich absolut sicher sein konnte, dass auch wirklich alles richtig angekommen war. Aber ein paar Transporter waren bereits auf dem Weg zum Grundstück der Sorokins. Einer davon würde unweit der Villa mit Munition, Westen und Waffen auf uns warten und der Rest würde dann die Männer an den Ort des Geschehens bringen. Ich wollte mich schlichtweg nicht mit den Ressourcen des temperamentvollen Amerikaners eindecken, weil... einfach, weil ich es nicht wollte. Ich weiterhin lieber auf seine Hilfe verzichtet hätte, aber etwas anderes, als ihn um Hilfe zu bitten, war mir nicht übrig geblieben. Natürlich tat er das alles hier jetzt nicht ganz uneigennützig, war mein Bruder auch für seine Geschäfte durchaus von Belangen, aber das hatte trotzdem nichts daran geändert, dass es für mich einfach unangenehm gewesen war, mir eingestehen zu müssen, dass mein Team und ich alleine gegen die Sorokins nichts ausrichten konnten. Da wir außerdem auch kein weiteres Wort darüber verloren hatten, wie es mit der Aufstellung und Aufteilung der Waffen aussehen sollte, wollte ich da lieber gar nicht erst weiter drauf eingehen. Informierte Hunter lediglich über den Stand der Dinge, als er fertig war, seinen Jungs das Notwendigste für die Mission wissen zu lassen und wir uns schließlich auf dem Rücksitz seines Autos wiederfanden. Dort hatte ich die in meiner Jackentasche verstauten Zettel wieder hervorgekramt und auf unserer beider Oberschenkel ausgebreitet. Ich besprach mich bis zur Ankunft am Treffpunkt mit Hunter und zwangsläufig auch mit Irina, um einen Teil der noch offenen Fragen zu klären. Als der Motor des Wagens schließlich ausgeschaltet wurde und ich mit einem Blick nach draußen mehrere Transporter vernahm, atmete ich noch einmal tief durch, nickte dem Amerikaner zu und stieg dann auch schon aus. Zu sagen, dass ich mich auf den Zugriff gut vorbereitet fühlte, wäre wohl maßlos übertrieben, aber es war jetzt nicht so, als hätten wir eine andere Wahl, als uns im Halbdunkel unseren Weg zu bahnen. Ich versuchte also, mir nicht unnötig viele Gedanken zu machen und berief mich darauf, dass wir - also Irina und ich - von der eigentlichen Action sowieso nur kaum etwas mitkriegen würden. Vorausgesetzt natürlich, es lief alles nach dem halbfertigen Plan, den wir uns zurecht gelegt hatten, aber daran wollte ich aktuell kein bisschen zweifeln. Blieb deshalb gewohnt gefasst, als ich einen Großteil meiner Männer aus Italien und natürlich den einheimischen Trupp begrüßte. Dabei lächelte ich sogar das ein oder andere Mal, auch wenn es dafür im Augenblick eigentlich keinen guten Grund gab. Iljah war schließlich verschwunden, eventuell sogar schon tot, nachdem er sich bereits viel zu lange in den Händen der Sorokins befand, aber es freute mich einfach ein Stück weit, dass es den meisten meiner damals sehr treuen Seelen einfach noch heute gut ging und nach dem Attentat in Sizilien nicht noch mehr von ihnen ihr Leben gelassen hatten. Allerdings hielt jenes Lächeln eben auch nur für die Phase der Begrüßung, die ich wie so vieles heute relativ kurz hielt, um keine Zeit zu verschwenden. Meine Beine trugen mich schon sehr bald an den Kofferraum von einem der Transporter, wo ich mich, wie Hunters bereits auf dem Weg hierher, mit ein paar Waffen und entsprechender Schutzausrüstung eindeckte. Noch das ein oder andere Messer an den Beinen befestigte und die einwandfreie Funktion der Magazine überprüfte. Es gab nichts Schlimmeres, als in der Hitze des Gefechts nachladen zu wollen und das Magazin klemmte. Ich ging zwar nicht davon aus, dass mir oder einem anderen Mitglied meines Teams das jemals passieren würde, weil wir doch sehr akribisch auf die Wartung und die Funktionstüchtigkeit der Pistolen und Maschinengewehre achteten, aber manchmal war der Verschleiß einfach unberechenbar. Ich ging in dem Punkt also lieber auf Nummer sicher und als ich mich schließlich zufriedenstellend an den Ressourcen bedient hatte, schloss ich wieder zu dem Amerikaner auf. "Ich wäre bereit. Und meine Männer auch.", ließ ich ihn wissen und nickte bezüglich des letzten Satzes vielsagend in Richtung der Gruppe junger Männer unweit von uns, die sich neben dem Transporter unterhielten. Ich hatte bereits am Kofferraum stehend mit einer Hand voll von ihnen besprochen, wer Irina und mich begleiten und wer Hunter an der Front unterstützen würde, sodass es für mich grundsätzlich losgehen konnte. Auf Hunters Wort würden wir uns dann in Bewegung setzen, wobei es in meinen Augen sinnvoll war, ihn vorgehen zu lassen. Das Spiel zu starten sozusagen, damit wir unbemerkt an der Hecke weiter hinter das Haus laufen konnten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich würde nicht sagen, dass ich wirklich nervös war. Ungeachtet der Tatsache, dass wir leider ziemlich wenig Zeit für die Vorbereitung gehabt hatten, war ich mir meiner Sache wie immer sehr sicher. Schließlich kannte ich mich selbst am besten und ich würde auch aus dieser Villa lebend rausspazieren. Dabei zu humpeln oder anderweitig Schmerzen zu haben, weil ich etwas abbekommen hatte, war natürlich nicht ausgeschlossen, aber davor hatte ich schon ziemlich lang keine Angst mehr. War dann unter Umständen eine neue, nicht unbedingt schöne Narbe und die Zeit der Genesung war immer nervtötend, aber das war's dann auch schon. Als der Wagen schließlich anhielt und ich ausstieg, dachte ich einen Moment lang an Cosma. Es war immer noch ein bisschen merkwürdig für mich, dass es jetzt schon eine ganze Weile lang Jemanden gab, an dem mein Tod tiefe Spuren hinterlassen würde. Ich glaubte wie gesagt nicht, dass ich in ein paar Minuten ausbluten und abkratzen würde, aber hätte ich mich trotzdem nochmal kurz bei ihr melden sollen? Ihr zumindest sagen sollen, dass es gleich ans Eingemachte ging und ich mich nochmal melden würde, wenn die Schießerei ihr Ende gefunden hatte? Irgendwie sowas? Vielleicht schon. Nur war der Zug jetzt wegen dem Zeitdruck schon abgefahren, also schickte ich die zwei auserkorenen Scharfschützen gleich mit ihrem Wagen weiter, sobald der Rest der Männer darin ausgestiegen war. Sie sollten Bescheid geben, wenn das Ehepaar dingfest war und sie jeden Moment ihre Position beziehen würden, damit ich mir ihrer Rückendeckung sicher sein konnte. Ich wollte die Verluste wie gesagt nach Möglichkeit so gering wie möglich halten und dafür waren die beiden Sniper unabdingbar, wenn Irina sich mit den Männern auf dem Dach der Villa nicht geirrt hatte. Erst als die beiden abgedampft waren, brachte ich mir selbst das Funkgerät mittels Kabel und Stecker am Ohr an. Ashton kümmerte sich in der Zwischenzeit darum, sich ausreichend mit Waffen und Munition, sowie ebenfalls mit einem Funkgerät zu bestücken, während Irina ein bisschen wie ein verlorener, kleiner Welpe neben dem Wagen stand, sich unruhig auf der Unterlippe herumkaute und die Arme vor ihrem Körper verschränkte. Ich dachte kurz darüber nach ihr eine der womöglich übrigen Schusswesten zu geben. Wir hatten grundsätzlich immer zwei oder drei mehr im Gepäck, nur für den Fall, das an einer der Verschluss nicht mehr richtig festhielt, abriss oder sonst irgendwelche Kinkerlitzchen. Abstriche dabei machen müssen wollte ich nicht - die Jungs genauso wenig - und Nummer Sicher war mir bekanntlich immer lieber. Andererseits wusste ich nicht, ob die Schwarzhaarige damit immer noch durchs Fenster passen würde, aber die recht freie Grünfläche zwischen Hecke und Haus war sicher auch das Kernproblem. Streng genommen sollten da hinten nur eigentlich im Idealfall gar nicht erst Schüsse fallen. Darauf eine Garantie geben konnte mir aber keiner und wir waren leider auf die schwarzhaarige Mistgöre angewiesen, bis die Tür zum Keller auch für den Rest - und Iljah, der kaum durchs Fenster krabbeln können würde - offen war. Also kramte ich noch eine der Westen aus einem der anderen Transporter, um sie Irina zu überreichen. Ich sah mich schon wieder so dämlich verunsichert an, weshalb ich ihr die Weste ziemlich unsanft an die Brust knallte. "Jetzt zieh' sie schon an, bevor ich's mir wieder anders überlege.", murrte ich zu ihr runter, was sie nur noch nicken ließ, ehe sie meiner unmissverständlichen Aufforderung nachkam. Sie brauchte auch dafür gefühlt ewig und in der Zwischenzeit kam Vahagn wieder zu mir zurück. Ich musterte sie flüchtig, während sie mir sagte, dass sie soweit fertig war und auch ihre Truppe in den Startlöchern stand. Es folgte ein gut sichtbares Nicken von mir und ich hob die linke Hand an den Funkstecker an meinem Ohr, um mich bei den beiden Auswärtigen zu erkundigen, was der Stand der Dinge war. Danach sah ich wieder zu der Russin und ließ sie ein knappes "Zwei Minuten." wissen, bevor ich eine drehende Handbewegung oberhalb meines Kopfes in der Luft machte. Daraufhin verstummten so ziemlich alle meiner Männer und sammelten sich dichter hinter mir. Ich dehnte mir noch etwas den Nacken und lockerte die Schultern auf, ehe ich das bisher nur um meinen Hals baumelnde Maschinengewehr mit der rechten Hand aufnahm. Wenige Sekunden später erreichte mich die letzte notwendige Statusmeldung der Sniper, die mir bestätigten, dass sie das Ehepaar dingfest gemacht hatten und ihre Position gerade einnahmen. Ich gab also nur noch zurück, dass wir hier jetzt loslegen würden und legte dann auch die zweite Hand ans Gewehr, als meine Augen ein letztes Mal zu der Brünetten wanderten. "Wartet noch, bis die Schießerei richtig in Gang ist. Ich will alle Läufe und Köter in meiner Richtung haben, sicher ist sicher.", richtete ich noch ein paar letzte Worte an Vahagn, warf einen abschließenden, kritischen Blick auf die Serbin und dann wendete ich mich auch schon von den beiden Frauen ab. Setzte mich in Bewegung und wies die mir angetraute Truppe mit einem Kopfnicken dazu an, mir zu folgen. Dann beschleunigte ich meine Schritte schon ein wenig, um die letzten Meter bis zum Anwesen möglichst zügig hinter mir zu lassen. Je länger wir den Hunden Zeit ließen uns zu wittern, desto blöder lief die Geschichte am Ende noch. Ich nahm bereits eine geducktere Haltung ein, bevor wir letztendlich an der Hecke ankamen und ich hatte schon jetzt wirklich wenig Lust dazu, mich durch dieses wahnsinnig dichte Geäst zu quetschen, aber was tat man nicht alles für seine Geschäftspartner? Es war leider auch kaum etwas durch die Hecke zu sehen. Das einzige, was ich sehen konnte, war ein Hund mitsamt menschlichem Anhang, der auf seiner Route gerade in unsere Richtung wendete. Ich bedeutete Ashton und den standardmäßig ihm zugeteilten Jungs noch etwas weiter nach links zu gehen, um unsere Truppe etwas breiter zu staffeln. Das Gewehr hing noch einmal in der Luft und ich griff nach meiner bereits mit Schalldämpfer versehenen Pistole. Zwar waren die Schüsse, die ich und mein Kollege rechts neben mir gleichzeitig auf Hund und Herrchen abgaben, mit Sicherheit trotzdem zu hören, waren aber nicht so laut und auffällig wie ein schrilles Kläffen und ein warnender Aufschrei des Russen an der Leine. Also ließen wir die beiden mit gezielten Schüssen ins Gras fallen und daraufhin schob ich mich unverzüglich durch die Hecke. Die meisten der Männer schafften es noch durch das Gestrüpp, bevor die ersten Hunde laut bellend in unsere Richtung rannten und erschossen werden wollten. Ab da war es dann mit der Ruhe vorbei und kaum hatte ich von der Pistole wieder zum Gewehr gewechselt, mich hinter eine der Statuen geduckt, fielen die ersten Schüsse in unsere Richtung. Genau das löste das Adrenalin in mir aus, das ich so unsagbar vermisst hatte. Jeder normale Mensch würde mich als absolut geisteskrank dafür abstempeln, dass ich anfing zu grinsen, ehe ich selbst die ersten Gegner ins Visier fasste und Schüsse abgab. Es waren so wie fast immer ein paar arme Schweine dabei, die Druck ausüben wollten und sich deshalb über die Grünfläche zu nähern versuchten. Dass sie damit nicht weit kamen, war vermutlich überflüssig zu erwähnen. Der Rest machte es allerdings weit geschickter und schoss überwiegend aus der Deckung heraus, beispielsweise aus geöffneten Fenstern heraus oder hinter dem ziemlich kitschigen Brunnen auf dem kleinen Schotterplatz direkt vor der Haustür hervor. Sich weiter zur Villa vorzuarbeiten würde wie erwartet also nicht leicht werden, erforderte eine Menge gutes Timing und ich würde die aktuelle Position meiner Männer hier erst ändern, sobald die Scharfschützen vom Dach waren. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, sowie die ersten paar Hunde und Männer abgeknallt, war auch schon der erste, deutlich lautere Schuss mit größerem Kaliber zu hören.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
In den zwei Minuten, die Hunters Jungs laut ihrer Aussage über die Funkverbindung noch brauchen würden, tat ich persönlich nicht viel. Nickte die Worte des Amerikaners lediglich für ihn gut sichtbar ab, bevor mein Blick ziellos an meinem Körper nach unten wanderte. Ich zupfte hier und da ein bisschen an der Weste herum, entfernte einige unerwünschte Fussel und gegen Ende der zwei Minuten wandte ich mich dann der Serbin zu. Irina hatte von Hunter offensichtlich ebenfalls eine Weste erhalten und auch die besah ich mir noch kurz, bevor besagter junger Mann das Wort ergriff und mich darüber in Kenntnis setzte, dass seine Sniper inzwischen ihren Posten bezogen hatten. Ich tat es ihm im Darauffolgenden gleich und hielt meinen Teil der Männer dazu an, die Ohren zu spitzen und sich final einsatzbereit zu zeigen, sodass einige Augenpaare auf dem Tätowierten lagen, als dieser uns nahelegte, bis zum Höhepunkt der Schießerei zu warten, damit wir auf unserem Weg zum Keller auf keine unangenehmeren Überraschungen stoßen würden, als uns die eh schon erwarteten. Auch das nickte ich ab und wies den Teil, der Hunter begleiten würde, mit einem Handzeichen dazu an, sich ab jetzt auf den Amerikaner zu konzentrieren, während ich mich mit den Hinterbliebenen noch eine ganze Weile auf Distanz halten würde. Denn bis man wirklich von einer richtigen Schießerei reden konnte, zogen noch ein paar schier unendlich lang andauernde Minuten ins Land, in denen Irina und ich uns in der Deckung hinter der hohen Hecke unweit des Pavillons bewegten. Erst als die Intervalle der Schüsse deutlich zunahmen und es allgemein einfach lauter und unruhiger wurde, gab ich wieder ein Handzeichen und bedeutete damit meinem Team, mir von nun an zu folgen. Wir würden uns jetzt auf den Weg machen und uns Schritt für Schritt an der Hecke entlang bis zum Keller bewegen. Ich führte dabei die kleine Gruppe bestehend aus Irina und fünf meiner Jungs an, weil ich die Lage ganz einfach im Blick haben wollte, auch wenn es durch das Gestrüpp nur wenig bis teilweise gar nichts zu sehen gab. Die Hecke war ziemlich dicht, nur an einigen wenigen Stellen, an denen das Laub bedingt durch die kalten Temperaturen etwas weniger war, ließ sich ein Blick auf die Grünfläche vor dem Haus der Sorokins werfen, auf dem - gelinde gesagt - ziemlich viel los war. Ich versuchte dem Ganzen aber nicht mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, als das wirklich nötig war, sondern konzentrierte mich primär auf das, was unmittelbar vor uns lag. Schließlich könnte uns hier jederzeit eine außerplanmäßige Patrouille erwischen oder aber wir wurden durch ein Fenster gesehen. Zwar bot die Hecke an sich ausreichend Schutz, wenn man aber im zweiten Stock der Villa nach draußen sah, konnte man bis zu einem gewissen Grad schon darüber hinweg sehen, weshalb ich vor dem Aufbruch noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, sich so nah wie nur möglich am Grünzeug entlang zu bewegen. Irina hatte ich dabei zwei Mal angesprochen, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass die Information beim ersten Mal wirklich angekommen war und das alleine hatte mich schon wieder tierisch genervt. Wie gesagt, hatten wir einfach keine Zeit zu verlieren und alles doppelt und dreifach erklären zu müssen war wirklich anstrengend. Es beruhigte mich daher ungemein, dass Nikolaj ein Auge auf die zeitweise in gebückter Haltung hinter mir her streunende Irina hatte und sie, wann immer das nötig war, zurechtwies. Sie sollte sich ducken, gerade gehen, sich mehr im Schatten der Hecke bewegen. Ich bekam das selbstredend alles mit und hätte mich sicherlich auch umgedreht, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass sie auf einen der mitunter Ranghöchsten nach Iljah und mir nicht hören wollte, aber glücklicherweise schien sich die junge Frau im Klaren darüber zu sein, dass sie sich besser keine Fehler erlaubte, wenn sie nicht vorzeitig erschossen werden wollte. Bis zu der Ecke, die uns geradewegs auf die Zielgerade zum Keller führen sollte, verlief unsere kleine Undercover Mission auch noch ohne Probleme. Ich hatte die Hand zwar durchgehend am Abzug meiner Pistole gehalten, die ich mit Bedacht vor mir herführte, aber zum Einsatz kommen musste sie glücklicherweise nicht. Die Sorokins schienen die Schießerei nicht als eine Art der Ablenkung zu klassifizieren, war doch hinter dem Haus auf den ersten Blick keine Menschenseele anzutreffen. Die Hunde hingegen witterten bereits unerwünschte Gäste, was nicht zuletzt wohl daran lag, dass ich meinen Kopf um die Ecke streckte, um mir den hinteren Teil der Villa flüchtig anzusehen. Ich musste ja schließlich wissen, wohin die Serbin tendenziell verschwinden konnte und wo ich zum Erschießen dann nach ihr suchen musste. Blöderweise sah ich dabei geradewegs in das Gesicht eines der Köter, woraufhin sich dieser in Bewegung setzte. Pflichtbewusst nachsehen wollte, wer es denn wagte, das Grundstück seiner Besitzer betreten zu wollen. Vermutlich hatte uns das feine Gehör der Hunde ohnehin schon einige Meter vor der Ecke vernommen, aber ich fluchte dennoch leise und zog mich zurück. Jetzt war Irinas Zeit gekommen und mehr, als ein paar Sekunden blieben uns nicht, bis der erste der beiden Viecher Laut geben und auf uns aufmerksam machen würde. "Na los, dein Part.", grummelte ich ebenfalls leise in Richtung der Serbin, als ich meine Hand nach ihrem Handgelenk ausstreckte und sie vor mich zog. Ich sah sie noch einmal eindringlich und mit einem keine Widerrede duldenden Blick an. "Verkack's nicht. Und keine Faxen.", ermahnte ich sie und zog sie dann die letzten paar Zentimeter an mir vorbei, sodass sie nun der Kopf des kleinen Teams war, welches vorzugehen und die Lage auszukundschaften hatte. An der Stelle konnte weder mein Team, noch ich gerade irgendetwas tun, außer die Fenster im Blick zu behalten. Im Inneren des Hauses regte sich natürlich auch einiges und es war nicht auszuschließen, dass plötzlich auch durch die Kellertür Männer der Sorokins ins Freie spazieren würde. Schließlich ließ sich der Spieß auch ganz einfach umdrehen, indem sie versuchten, die Bedrohung vor der Villa auszuschalten, indem sie sich von hinten an sie heranpirschten. Zwar ging ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht davon aus, aber ich blieb trotzdem auf Abruf, als ich die junge Frau in Richtung der Hunde stieß, um sie im äußersten Notfall beschützen zu können. Wäre blöd, wenn sie die Tiere beruhigen wollte und plötzlich eine Kugel in den Kopf gejagt bekam. Dann konnten wir uns das nämlich hier Alles wirklich sparen und uns mehr oder weniger der sinnlosen Schießerei anschließen, weil dann eh alles egal war.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Je näher wir der Villa kamen, die so unendlich viele schlechte Erinnerungen für mich bereithielt, desto höher schlug mein Herz. Zum einen hoffte ich wirklich, dass nicht ausgerechnet dieses Wochenende eines der sehr wenigen war, an denen die beiden Brüder ausnahmsweise mal Zuhause waren und zum anderen kroch mir ganz einfach die blanke Angst vor dem Tod im Nacken nach oben. Ich hatte inzwischen zwar vielleicht meinen Frieden damit geschlossen, für meine Fehler bezahlen zu müssen, aber das hieß eben nicht zwangsläufig, dass ich gerne schon auf dem Weg zu Iljah erschossen werden wollte. Ich wollte zumindest noch wissen ob der ganze Aufriss nun am Ende umsonst gewesen war, oder ob der Schwarzhaarige tatsächlich bis jetzt durchgehalten hatte. Es gab nichts, was ich mir in diesem Augenblick mehr wünschte und so würde ich zwangsweise eben auch die Mission mit in Angriff nehmen. Aber das fiel mir schwer. Ich konnte schon jetzt kaum mehr von A nach B denken, wo ich eine Schutzweste in die Hand gedrückt bekam, die ich im ersten Moment nur verwundert ansah. Es schien dem Amerikaner - er hätte sich wenigstens endlich mal offiziell vorstellen können, wenn ich sowieso bald Niemandem mehr seinen Namen kundtun konnte - dabei aber lediglich wichtig zu sein, dass ich die mir zugetragenen Aufgaben noch ausführen konnte, bevor mir ein paar Kugeln den Oberkörper durchbohrten. Ich trat unruhig von einem Bein aufs andere und zog mir die Kapuze über den Kopf, während die letzten Vorbereitungen im Gange waren und letzten Endes brach der Tätowierte dann auch mit seiner Mannschaft auf, um für Stimmung an der Front zu sorgen. Es war wahrscheinlich vollkommen überflüssig zu erwähnen, dass ich - im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden hier - absolut keine Erfahrungen mit Schießereien hatte. Dass es mir eiskalt den Rücken runterlief, als ich die ersten Schüsse hören konnte und wusste, dass der Garten um die Villa herum jetzt womöglich zum reinsten Minenfeld wurde. Jeder Schritt der letzte sein könnte, wenn man zufällig der falschen Person ins Blickfeld fiel. Mein Herz wollte am liebsten ganz aus meiner Brust springen, als ich mich dann auch in Bewegung setzen und Vahagn folgen musste. Es kam mir wirklich so vor als würden die Schüsse - die zwar irgendwie mehr oder weniger in der Nähe waren, aber gleichzeitig halt auch nicht, weil wir uns doch immer weiter davon distanzierten - mir nicht nur die Ohren, sondern auch den Kopf ein Stück weit förmlich betäuben. Sowas wie Konzentration hatte ich gerade nicht übrig, war mein gesamter Körper doch viel zu sehr mit dem Adrenalin beschäftigt. Mir zitterten die Hände und meine Beine fühlten sich schrecklich wacklig an, während ich an der Hecke - eher weniger als mehr - einen Fuß vor den anderen setzte. Ich versuchte ja wirklich hier keinen Mist zu bauen und uns nicht vorher schon auffliegen zu lassen, aber das war unter all der aufflammenden Panik und dem Adrenalin für mich wahnsinnig schwierig. Deshalb war es vermutlich am besten für alle Beteiligten, dass mir die rechte Hand Iljahs das eine oder andere Mal sagte, was ich falsch machte, weil es mir selbst nicht einmal auffiel. Ich viel mehr einfach nur das Bedürfnis dazu hatte mich permanent nach blutenden Schusswunden abzusuchen, so wie die Kugeln vor dem Haus hin und her flogen. Das war natürlich dumm, flogen doch aktuell noch keine in die unsere Richtung, aber da saß einfach meine Paranoia wieder vollständig am längeren Hebel. Wir kamen glücklicherweise unversehrt an der hinteren Ecke des Grundstücks an und jetzt war mein Part nicht mehr weit. Das machte auch Vahagn unmissverständlich deutlich, die nur einen kurzen Blick in den Garten warf und dann auch schon drauf und dran war, stattdessen mich in den akuten Gefahrenradius zu schubsen. Ich bekam nur noch ein paar weitere mahnende Worte mit auf den Weg - die wirklich überflüssig waren, aber gut, ich verkniff mir Kommentare diesbezüglich vor ihr und dem amerikanischen Pitbull besser weiterhin -, sah sie einen letzten, kurzen Moment an und dann fiel unweigerlich der Startschuss. Es gab hier keine Zeit zu verlieren und wahrscheinlich war es auch besser, wenn ich nicht noch länger Zeit dazu hatte mir auszumalen, auf wie viele Arten ich potenziell schon vor dem Erreichen des Kellers abkratzen konnte. Stattdessen stand ich jetzt geradewegs dem Dobermann im Weg, der mit gespitzten Ohren auf mich zukam. Ich lief wohl eher nur instinktiv etwas geduckt, als ich mich selbstständig in Bewegung setzte. Dabei einen um den anderen Blick nach links und rechts warf, als würde mir das im Ernstfall irgendetwas bringen. Als ich das anfänglich leise Knurren des schwarzbraunen Hundes vernahm und daraufhin seine angelegten Ohren sah, versuchte ich den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken und nannte "Jurij... ich bin's." beim Namen. Nicht unnötig laut, aber er würde es auch so hören können. Er blieb etwas irritiert stehen, hob den Kopf und stellte das leise Knurren aber nicht ein. Deshalb hob ich langsam die Finger an den Rand meiner Kapuze, um sie vom Kopf zu nehmen. Ihm so einen besseren Blick auf mich zu ermöglichen, was ihn zumindest das Knurren schon einmal einstellen ließ. Ich beschleunigte meine Schritte ein wenig und begann noch dabei, wieder mit ihm zu reden, was wohl nicht nur seiner, sondern auch meiner Besänftigung diente. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und ich war mehr als erleichtert, als er nach schier endlos langen Sekunden endlich die Ohren wieder aufstellte und mit leicht wedelndem Schwanz die letzten fünf Meter auf mich zugelaufen kam. Zumindest ein kleiner Teil der Last fiel von mir ab, als er verspielt einen kleinen Kreis um mich drehte und im selben Atemzug an mir roch, was vermutlich seine endgültige Bestätigung dafür war, dass ich wirklich Irina war. Eldar, der Schäferhund, hatte sich inzwischen ebenfalls auf die Beine gestellt, verharrte aber direkt vor der Hundehütte an der Hauswand und ich schloss mit Jurij die letzte, kurze Distanz zügig zu ihm auf. Einen Moment lang musterte mich der Spürhund noch wirklich skeptisch, aber als ich ihm die Möglichkeit gab mich zu beschnuppern, stellten sich auch seine Ohren wieder aufrecht... und er bellte. Nur ein einziges Mal, auch nicht besonders laut und vermutlich nur aus Freude, aber meine Augen weiteten sich reflexartig und ich legte sofort eine Hand auf seine Schnauze, ehe ich vor ihm in die Knie ging. Ihm direkt gegenüber verzweifelt einredete, dass er mir zu Liebe bitte um Himmels Willen die Schnauze halten sollte, weil er von den beiden eindeutig der aktivere Kläffer war. Ich hob die Hand erst ein paar Sekunden später vorsichtig wieder von seiner Fellnase an und es folgte lediglich noch ein leicht jauliges Gähnen von Eldar, bevor er sich nahe des Hütteneingangs zurück auf seinen Hintern setzte und mich abwartend ansah. Ich streichelte ihm den Kopf und hockte mich selbst ziemlich genau vor den recht großen Eingang der Hundehütte, bevor ich den deutlich größeren Dobermann dazu anhielt sich zu meiner anderen Seite hinzulegen. Erst als beide wirklich sicher ihren Platz hielten und mich ansahen, sah ich selbst zurück in die Richtung, aus der ich gerade gekommen war. Ich nickte überdeutlich, auch wenn mir der direkte Blickkontakt zu Vahagn durch die blöde Hecke fehlte. Ich war mir sicher, dass sie mich im Blick hatte und das sah, also richtete ich die Augen zurück auf die beiden Hunde und streichelte sie im Nacken, während ich ein weiteres Mal murmelnd mit ihnen zu reden begann. Im Notfall würde ich so zumindest leicht nach ihren Halsbändern greifen können... wobei ich wohl kaum eine Chance hätte beide gleichzeitig festzuhalten, wenn sie wirklich los wollten. Jurij allein zu halten wäre schon schwierig, bestand der Dobermann doch gefühlt nur aus Muskeln, wenn dann noch Eldar dazu käme wäre ich restlos aufgeschmissen und konnte nur noch darauf vertrauen, dass sie meiner Stimme ihr Gehör schenken würden. Blieb also wirklich zu hoffen, dass ich in den Köpfen der beiden Hunde als Rudelanführer hier stand und nicht als nur tolerierter, befreundeter Artgenosse.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Irina brauchte glücklicherweise nicht lange, um zu realisieren, dass sie besser einen Zahn zulegte, wenn ihr Leben nicht hier und jetzt schon ein Ende finden sollte, denn sie entfernte sich nach meiner Aufforderung zügig in Richtung der Hunde und ließ mein Team und mich damit einen - in meinen Augen viel zu langen - Moment alleine hinter der Hecke zurück. Als die Serbin die Eck verschwunden gewesen war, setzte ich mich wieder vorsichtigen Schritten in Bewegung und lief etwa einen halben bis maximal ganzen Meter zurück. Schob dabei meine Jungs wortlos wieder zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren, weil es dort eine weniger dichte Stelle in dem Gestrüpp gab, durch das man immerhin ein bisschen was sehen konnte. Mimik und andere Details zwar nicht, aber immerhin konnte ich mir so sicher sein, dass Irina auch wirklich in dem kleinen Vorgarten bei den Hunden inne hielt und nicht geradewegs durch die Kellertür ins Haus spazierte, nachdem sie auch die zweite Gniwek im Bunde - also mich - erfolgreich hinters Licht geführt hatte. Allerdings schien sie sich wirklich eingehend mit den Kötern zu beschäftigen, die drauf und dran gewesen waren, unsere Deckung auffliegen zu lassen. Das ließ mich zumindest kurzzeitig durchatmen, bis das dumpfe Bellen eines der Tiere zu hören war und sich mein Gesichtsausdruck schlagartig wieder verfinsterte. Ich hatte meine Waffe auf dem Weg zu dem durchsichtigeren Teil der Hecke wieder im Holster verstaut und legte gerade meine Hand zurück an den Abzug, um im nächsten Schritt sowohl den Dobermann, als auch den Schäferhund einfach kalt zu machen. So weit sollte es jedoch gar nicht erst kommen, weil Nikolaj mir beschwichtigend seine Hand auf die Schulter legte und somit meine Aufmerksamkeit auf sich zog. "Warte kurz.", bat er mich mehr oder weniger die Ruhe selbst, ehe er mit den Augen die Fensterfront am hinteren Teil des Hauses absuchte. Dann nickte er wieder in Richtung Irina, die sich inzwischen hingekniet hatte und in unsere Richtung sah. Augenblicklich lockerte sich der Griff um meine Pistole wieder und ich zwang mich dazu, einmal ganz tief durchzuatmen. Die Konzentration und den Fokus jetzt nicht zu verlieren, nur weil etwas nicht zu einhundert Prozent reibungslos ablief. Ich war wohl auch nur derart nervös, weil es hier nun mal nicht um irgendeinen mir vollkommen Fremden ging. Es mir nicht egal war, was mit der Geisel passierte, so wie es damals im Hotel in Norwegen der Fall gewesen war. Es ging hier um meinen Bruder und ich hatte Angst, dass auch nur Irgendetwas gehörig schiefgehen würde und das sein Todesurteil - vorausgesetzt natürlich er lebte noch - endgültig besiegeln würde. Niko half mir jedoch dabei, mich mental wieder klar werden zu lassen und signalisierte mir mit seiner Geste, dass der ziemlich verlorene, einzelne Laut des Hundes inmitten der unzähligen Schüsse wohl Niemandes Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Bis jetzt zumindest nicht. Ich nickte ihm kurz als Zeichen des stummen Dankes zu, bevor ich mich erneut in Bewegung setzte und ein weiteres Mal um die Ecke sah. Irina stand zwischen den beiden Hunden und ich schob nach und nach auch den Rest meines Körper in das Sichtfeld der zwei Tiere. Hob sogar beide Hände etwa auf Höhe meiner Taille an, auch wenn ich bezweifelte, dass das irgendetwas bringen würde. Bei Menschen vielleicht - die konnten so immerhin erkennen, dass man keinerlei Waffen in den Händen hielt, aber ob das bei Wachhunden auch der Fall war? Keine Ahnung. Im Grunde genommen war es aber auch ziemlich egal, solange uns die Viecher nicht anfielen. Das augenblicklich einsetzende, kaum zu überhörende Knurren des Dobermannes ließ mich etwa auf halben Weg innehalten und Irina mit meinem Blick dazu auffordern, dass sie sich gefälligst um den nervigen Plagegeist kümmern sollte. Noch war da ausreichend Distanz, dass ich andernfalls einfach die Waffe ziehen und schießen konnte. Eigentlich wäre es mir ohnehin lieber gewesen, wenn man die tierischen Vierbeiner kalt gemacht hätte, nur für den Fall der Fälle, dass doch irgendetwas schiefging und die ranghöheren, noch lebenden Herrchen Anweisungen geben konnten, aber aktuell war es weiterhin nicht besonders klug, mehr Lärm zu machen, als nötig. Auch dass wir hier mehr oder weniger vor den Fenstern zur... Küche, in einen Flur oder Ähnliches standen war keine besonders optimale Ausgangsposition, weshalb die Serbin sich wirklich gut daran tat, den Dobermann schnellstmöglich zu beruhigen. So schlossen meine Männer und ich auch noch die letzten paar Meter zu der zierlichen Gestalt auf, die in der Schutzweste ein Stück weit verloren wirkte und als wir kurzzeitig zum Stehen kamen, suchte ich den unteren Teil der Außenfassade mit meinem Blick nach dem von Irina angesprochenen Fenster ab. Und tatsächlich war etwa anderthalb bis zwei Meter links von uns die Treppe zur Kellertür, daneben war ein Fenster. So alt, wie die Villa zumindest vom Baustil zu sein schien, konnten wir wohl wirklich von Glück reden, dass das Glas nicht noch mit Metallstreben verstärkt und somit besser vor Einbrechern geschützt war, denn zu genau einem solchen würden wir jetzt alle mutieren. Einbrechern. Als ich mir wirklich sicher sein konnte, dass die Fellnasen bei der Serbin blieben und mir nicht folgten, machte ich ein paar Schritte zur Seite, ohne dabei die Gruppe aus den Augen zu lassen. Erst als ich auf Höhe des Fensters angelangt war, wandte ich meinen Blick ab und hockte mich hin. Versuchte durch das milchige Glas etwas zu erkennen, aber besonders erfolgreich war ich dabei nicht. Es war Dunkel im Inneren, so viel konnte ich sagen, aber ob sich jemand in dem zum Fenster gehörigen Raum befand oder ob dort noch weitere Wachhunde oder andere Abwehreinrichtungen gegen unerwünschten Besuch auf uns warteten, konnte ich nicht erkennen. Erneut seufzte ich also genervt und sah mich dann nach etwas um, womit sich das Glas zerstören ließ. Nur lag auf diesem perfekt gepflegten Rasen kein Stein, auch kein schwerer Ast, weshalb ich zwangsläufig wohl zu meiner Waffe greifen müsste. Ich schloss wieder zu den anderen auf, behielt dabei vor allem die Vierbeiner im Blick, die nach und nach jeden von uns beschnüffelten. Immer noch verhältnismäßig skeptisch, aber ruhig waren. "Wenn niemand eine bessere Idee hat, schieß ich die Scheibe kaputt.", gab ich meinen Vorschlag zum Besten, der aktuell unser einzige Weg zu sein schien, ins Innere des Hauses zu gelangen. Natürlich hätte ich dann genau so gut auf das Schloss an der Tür zum Keller schießen können, aber im Vorbeigehen hatte ich bereits gesehen, dass das Projektil bei der Bauart von Tür einem vermutlich bloß um die Ohren geflogen wäre und darauf konnte ich wirklich sehr gut verzichten. Außerdem war das auch gar nicht so einfach, wie einem das die ganzen Filme immer weismachen wollten.
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Mein Herz raste noch immer, als sich Vahagn schließlich in meine Richtung bewegte und damit unweigerlich auch auf die Hunde zuging, die beide sofort wieder etwas unruhiger wurden, als sie die fremden Gesichter die Grundstücksgrenze passieren sahen. Während Eldar nur drauf und dran war seinen Hintern wieder zu erheben - was ich mit händischem Druck auf seine Hüfte unterband -, kramte Jurij gleich wieder ein Knurren aus der Hau-ab-Kiste. Ich griff zur Sicherheit nach seinem Halsband, gab ihm einen leichten Ruck und redete ein weiteres Mal auf ihn ein. Er war auch prompt wieder aufgestanden, weshalb ich ihn dazu anhielt sich wieder hinzulegen. Als er beim ersten Mal nicht reagierte noch ein zweites Mal und das deutlich energischer. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er hin und her gerissen war und es dauerte noch eine Weile, bis er auch das Knurren wieder einstellte, nachdem er sich widerwillig zurück ins Gras gelegt hatte. Den Kopf legte er aber nicht wieder ab, behielt auch weiterhin ganz genau im Auge, was hier vor sich ging. Da half auch das Beschnüffeln nicht, war die Mannschaft ihm doch vollkommen fremd und Hunde waren nun mal nicht dumm. Er würde wissen, dass das hier nicht normal und eigentlich auch nicht okay war. Ich streichelte ihn noch eine kleine Weile lang zwischen den Ohren, während Vahagn das Fenster auskundschaftete und die anderen versuchten sich den beiden Hunden als ungefährlich zu zeigen. Funktionierte immerhin ein bisschen, aber wirklich ruhig würde der Dobermann wohl erst wieder werden, wenn wir später das Grundstück verlassen hatten. Die Brünette kam zu uns zurück und auf ihren Vorschlag hin sah ich erst einmal zwischen den anderen des kleinen Trupps hin und her. Schießen? War womöglich wirklich die einzige Möglichkeit, wenn sie Niemand mit blanken Fäusten einschlagen wollte, aber war das nicht laut? Vermutlich schon. Hatten wir eine andere Wahl? Eher nicht. Ich zuckte nur leicht mit den Schultern und nickte gleichzeitig kaum sichtbar, weil ich schlichtweg keine Alternative vorzutragen hatte. Auch der Rest schien sich diesem Vorschlag einfach anschließen zu wollen und so dauerte es nicht mehr lang, bis Vahagn sich dem Fenster mit der Schusswaffe widmete. Ich zuckte unweigerlich zusammen, was wohl der geräuschvollen Mischung aus zersplitterndem Glas, dem Schuss an sich und den ruckartigen Bewegungen beider Hunde entsprang, die sich zügig zurück auf die Beine stellten. Ich sog scharf die Luft ein, als ich sie reflexartig an den Halsbändern packte und dabei unweigerlich einen Schritt mit nach vorne gezogen wurde. Jurij fing erneut zu knurren an und ich fand meine Stimme nur wieder, weil ich ihn gerne vor dem Sterben bewahren wollte. Stauchte ihn zischend zusammen, weil es auch mir jetzt wirklich reichte und meine Nerven dieses Theater nicht mehr lange aushalten würden, lagen sie doch längst vollkommen blank. Während sich Eldar deutlich leichter zur Hütte zurückschicken ließ und sich mit einem beleidigten Winseln in den Eingang der Hundehütte legte, zog ich Jurij doch etwas umständlich zurück zur Hütte, um dort nach der Kette zu greifen und sie an seinem Halsband zu befestigen. Er mochte sie nicht, aber das schien mir der beste Weg ihn vorübergehend dingfest zu machen, solange ich nicht mehr hier war. Wenn er doch noch anfing zu bellen... naja, dann hatte ich immerhin alles versucht, um ihm die Kugel zwischen die Augen zu ersparen. Das Fenster war jedenfalls offen und das verlangte unweigerlich nach dem nächsten Schritt von mir. Ich schloss recht zügigen Schrittes zu Vahagn auf, hatten mir die Hunde doch gerade kostbare Sekunden geraubt. Da angekommen sah ich noch mal zum Fenster, dann einmal an mir herunter. Nein, mit der ziemlich sperrigen Weste passte ich da definitiv nicht durch. Also öffnete ich die Verschlüsse mit zitternden Fingern wieder, um sie einfach im Gras bei Seite zu legen. Die Russin hatte in der kurzen Zwischenzeit schon so gut es ging die restlichen, noch am Fensterrahmen haftenden Scherben beseitigt, weshalb es quasi sofort losgehen konnte. Ich warf nur noch einen nach Bestätigung suchenden Blick zu ihr, bevor ich mich ins Gras kniete und dann noch einmal kurz nach drinnen sah. Weder sah ich aber in einen Lauf, noch regte sich in der kleinen Abstellkammer sonst irgendetwas. Unterhalb des Fensters war immerhin eine Art alter, staubiger Kommode, auf die ich mich mit den Füßen stützen konnte, die ich zuerst durch den Rahmen schob. Schon dabei zerriss die Jeans an meinem Oberschenkel und ich verzog das Gesicht, weil die scharfe Glaskante auch meine Haut erreicht hatte. Trotzdem quetschte ich mich restlos durch das kleine Fenster und nahm dabei auch an der Hand noch einen blutigen Einschnitt mit, aber das Adrenalin betäubte den Schmerz immerhin ein bisschen. Drinnen angekommen stieg ich möglichst leise von der Kommode, bevor ich den Ärmel des Pullovers fest mit der Hand umschloss, um dadurch den Schnitt an der Handinnenfläche abzudrücken. Ich warf auch einen flüchtigen Blick auf meinen Oberschenkel, der ebenfalls leicht feucht wurde, aber wirklich viel sehen tat ich nicht. Es war ziemlich duster hier drin und es war einzig dem spärlich durchs Fenster fallenden Mondlicht von draußen zu verdanken, dass ich in der staubigen Kammer überhaupt irgendwas sah. Allerdings wanderten meine Augen sofort wieder zurück zum Fenster, als es dunkler im Raum wurde, weil Vahagn nun ebenfalls durch das Fenster nach drinnen kam. Ich ging dann aber schon mal vorsichtigen Schrittes zur Zimmertür, öffnete sie möglichst lautlos und sah durch den schmalen Spalt in den Flur. Auch da war es augenscheinlich so ruhig, wie es das eben sein konnten, wenn ein bis zwei Stockwerke weiter oben nur so die Kugeln ins Haus flogen. Allerdings war das schummrige Licht im Flur an, was mich doch noch einmal vermehrt die Ohren spitzen ließ. Der breite Flur hier unten hallte bei den schweren Schritten eines Mannes nicht selten nach und deshalb war ich mir nach ein paar Sekunden ziemlich sicher damit, dass Niemand hier unten war, waren doch keinerlei Schritte zu hören. Es würde wahrscheinlich einfach nur Jemand das Licht vergessen haben. Deshalb warf ich einen Blick über meine Schulter zu der Brünetten. "Ist sicher, denke ich.", gab ich die mit Blicken und Ohren erkenntliche Lage an sie weiter. "Der Weinkeller ist die dritte Tür auf der rechten Seite... gehst du vor, oder soll ich..?", gab ich eine Info an Vahagn weiter, die sie theoretisch auch aus dem Plan hatte lesen können, aber ich ging da einfach lieber auf Nummer sicher, falls sie selbst vorausgehen wollte. Andernfalls würde ich sicher gleich mehr in den Flur geschubst werden, daran hatte ich keinen Zweifel.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Wie ich bereits erwartet hatte, meldete sich keiner der Anwesenden mit einem Alternativplan zu Wort, weshalb ich kurze Zeit später bereits zum Fenster zurückkehrte und dort angekommen den Lauf meiner Waffe an den Rand der Fensterscheibe drückte. Schoss und kurz darauf mit dem nahezu unnachgiebigen Metall auch noch einen Großteil der im Rahmen hängengebliebenen Scherben entfernte. Anschließend hielt ich kurz inne, ging jedoch nicht davon aus, dass der durch einen Schalldämpfer deutlich leisere Schuss und der darauffolgende Zerfall des Glases zu einem Scherbenhaufen für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Zumindest eben nicht bei denen, die im vorderen Bereich der Villa aktuell um ihr Überleben kämpfen. Da ging sicher einiges zu Bruch, eine Scheibe mehr oder weniger würde da nicht einmal jemanden wundern. Mal ganz abgesehen davon, dass zwischen der Position der Sorokins und der meiner kleinen Truppe im besten Fall mehrere Meter im zweistelligen Bereich lagen. Hören tat uns hier hinten also hoffentlich niemand so schnell. Bis auf die Hunde natürlich, die prompt wieder einen Aufstand veranstalten wollten, den Irina aber schnellstmöglich zu unterbinden versuchte. Mehr oder minder erfolgreich, wie ich zufrieden feststellte, weshalb ich dem Knurren der Köter kaum mehr Beachtung schenkte. Als der deutlich wachsamere von den beiden schließlich durch die Serbin in Ketten gelegt worden war, lag meine Aufmerksamkeit gänzlich auf besagter junger Frau, die sich ohne eine weitere Aufforderung meinerseits bereits zum Fenster begab. Dort angekommen die schusssichere Weste ablegte, die ich kurz darauf Nikolaj in die Hand drückte. Zwar gab es die Dinger in unsere Metier wie Sand am Meer, wenn man die richtigen Kontakte hatte, aber sie waren trotzdem teuer und sie einfach hier im Hinterhof der Villa verrotten zu lassen kam gar nicht in Frage. Ich drehte mich gerade wieder zurück zum Fenster, da war Irina auch schon durch jenes verschwunden. Offensichtlich nicht ganz unbeschadet, hatte ich doch leider nicht restlos alle Splittert entfernen können, aber sie beschwerte sich nicht. Schlüpfte wie abgesprochen in die ziemlich düstere Kammer und als ich mir sicher war, dass sie dort nicht gleich abgeknallt oder anderweitig angefallen wurde, tat ich es ihr kurzerhand gleich. Entledigte mich meiner Weste, die ich ebenfalls Niko in die Hand drückte und stieg dann durch das alles andere als große Loch in der Wand ins Innere des Hauses. Auch ich verletzte mich dabei etwas, wobei ich viel eher in die umliegenden Scherben griff, als mich wirklich an ihnen zu schneiden. Aber auch die Splitter, die sich in meine Handfläche bohrten, waren alles andere als angenehm, sodass ich erst einmal meine Handflächen von eben diesen befreien musste, kaum hatte ich wieder festen Boden unter meinen Füßen. Anschließend sah ich mich in dem dunklen Kellerraum um, erkennen tat ich ehrlich gesagt aber nicht besonders viel, weshalb ich meine leicht vor sich hin blutende Hand schon kurze Zeit später wieder an die im Holster verstaute Pistole legte. Diese musste nach dem Einsatz in jedem Fall gründlich gereinigt werden. In der Zwischenzeit war Irina bereits an die Tür herangetreten und hatte die Lage auf dem Gang gecheckt. Mir schließlich grünes Licht gegeben, woraufhin es auch im Inneren des Kabuffs, durch das wir ins Haus gelangt waren, etwas heller wurde. Das Licht fiel vom Flur in den Raum und ließ mich den Kopf erst noch einmal kritisch in den Gang strecken, aber die Serbin schien mich nicht belogen zu haben. Auch ich konnte weder jemanden sehen, noch hören, was mich zugegebenermaßen wirklich beruhigte. Die Lust, mir den Weg erst noch frei schießen zu müssen, sobald wir Iljah oder das, was von ihm noch übrig war, gefunden hatten, hielt sich nämlich stark in Grenzen. Ich besah mir im Licht der Kellerleuchten gerade die Hand, die nicht an der Waffe lag, etwas genauer, als die Schwarzhaarige eine Frage an mich richtete und damit die Aufmerksamkeit von den rissen Handflächen wieder vollumfänglich auf sich zog. Es zogen womöglich ein paar kostbare Sekunden ins Land, in denen ich über eine Antwort nachdachte - je tiefer wir in die Gefilde der Sorokins eindrangen und je näher wir meinem Bruder damit kamen, desto unkonzentrierter wurde ich irgendwie -, obwohl diese eigentlich auf der Hand lag. Würde Irina sich hinter mir bewegen, könnte sie schließlich auf dumme Gedanken kommen, wobei ich inzwischen nicht mehr wirklich davon ausging. Sicher war trotzdem sicher und deshalb nickte ich mit dem Kopf in Richtung der von ihr angesprochenen Tür zum Weinkeller. "Geh' vor.", unterstrich ich die Geste auch noch einmal vollkommen überflüssig mit ein paar Worten und sah dann noch einmal hinter mich. Wie zu erwarten lauerte dort aber Nichts und Niemand - nur die abgeschlossene Kellertür, daneben ein dünnes, schmales Holzbrett, auf dem ein paar Leckerlies und Leinen ihr Dasein fristeten. Ich drehte mich wieder zurück, folgte der Serbin dann die paar Meter mit wieder deutlich angespannteren Schultern, hielt auf dem Weg vor jeder Tür einmal kurz inne, um mit dem Ohr nach Geräuschen zu lauschen. Schließlich wusste ich nicht, was sich hinter den hölzernen Blickfängern verbarg und ich wollte einfach sichergehen, dass derjenige, der hier unten das Licht im Gang angelassen hatte, sich nicht in einer der Räumlichkeiten aufhielt und zu einer Gefahr werden könnte. Gänzlich ausgeschlossen war das natürlich auch bei meiner Kontrolle nicht, weil das menschliche Gehör nicht ansatzweise so fein war wie das der Hunde beispielsweise, aber es beruhigte mich vorerst, kein lautes Stampfen oder durchdringende Stimmen zu hören. Vor der Tür des Weinkellers angekommen, bezog ich meinen Posten neben dem Türrahmen und forderte die junge Frau dazu auf, stehenzubleiben. Sie würde alleine reingehen, den Schlüssel besorgen, während ich hier draußen die Stellung hielt. "Wenn du zurück bist, gehst du vor zu Iljah, ich lasse meine Männer rein.", informierte ich sie über das weitere Vorgehen, sobald ich den Schlüssel zur Kellertür in den Händen halten würde. "Vorausgesetzt der Raum befindet sich hier auf dem Gang?", ergänzte ich noch Bedingung, die ich zu einer indirekten Frage umformulierte. An der Stelle war die nämlich durchaus angebracht. Schließlich waren wir bereits an zwei Türen vorbeigelaufen, hinter denen sich die Folterkammer prinzipiell befinden konnte, allerdings zog sich der Gang noch ein ganzes Stück und bog nicht zuletzt nach rechts ab. Sollte Irina um die Ecke verschwinden müssen, würden wir wohl ungeachtet der potenziell einzusparenden Zeit gemeinsam meine Männer ins Haus lassen, weil ich sie schlichtweg nicht gänzlich aus den Augen lassen wollte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte einen kleinen Moment, bis ich eine Antwort von Vahagn bekam und ich sah sie die ganze Zeit über abwartend an. Vermutlich wägte sie ein weiteres Mal ab, was für sie selbst das geringere Risiko darstellte. Nicht, dass ich ihr das übel nahm, waren die Bedenken bis zu einem gewissen Grad doch berechtigt und mit jeder unangenehmen Situation mehr in dieser Richtung wuchs der Hass auf mich selbst. Mich und meine unendliche Naivität, meine Unfähigkeit dazu sinnvolle Entscheidungen zu treffen, nur weil die weniger kluge Option vorübergehend vielleicht die schönere war. Leider würde ich kaum noch eine Gelegenheit dazu kriegen sowas wie richtig erwachsen zu werden. Natürlich war ich kein Kind mehr, aber ich hatte wohl nie wirklich eine Chance dazu bekommen, mich so richtig vernünftig weiterzuentwickeln, seit ich die Schule abgeschlossen und von da an fremdbestimmt gelebt hatte. Ich wischte jene Gedanken bestmöglich wieder zur Seite, als Iljahs jüngere Schwester mir bedeutete vorzugehen, weil ich jetzt hier nicht schon wieder die Fassung verlieren durfte. Noch nicht. Ich schluckte die blank liegenden Nerven also einfach runter und nickte, bevor ich den Kopf wieder zur Tür drehte und nach einem erneuten, prüfenden Blick dann die Tür weiter aufzog, um in den Gang hinaus zu schlüpfen. Obwohl ich nicht wirklich glaubte, dass bei all den Schüssen in den oberen Geschossen Irgendwer außer der Brünetten direkt hinter mir meine Schritte hören können würde, ging ich den Flur nahe der Wand und möglichst leichtfüßig entlang. Wollte mich instinktiv nicht auffälliger bewegen, als unbedingt notwendig war, bis wir schließlich ein paar Meter weiter an der Tür zum Weinkeller ankamen. Vahagn brachte mich zum Anhalten, als ich gerade meine Hand auf die Türklinke legen wollte und sicherte sich damit erneut meine Aufmerksamkeit. Einen kurzen Augenblick lang sah ich sie fast schon ungläubig an. Sie ließ mich vorgehen? So ganz allein, während sie mir beim Öffnen der Außentür zwangsweise den Rücken zukehren musste? Ehrlich gesagt fragte ich mich schon ein wenig, woher dieses plötzliche Vertrauen in mich kam. Womöglich wollte sie aber auch einfach nur ein paar Sekunden sparen, indem wir eben beide gleichzeitig vorgingen, wo gerade die Hunde uns draußen schon so einige davon gekostet hatten. Ich konnte jedoch nichts in ihrem Gesicht erkennen, das darauf schließen ließ, dass sie hier gerade einen absolut unlustigen Witz riss, nur um mich dann auf dem Weg zu Iljah zu erschießen, weil sie den Schlüssel hatte und mich nicht mehr brauchte. So oder so hatte ich ohnehin keine Wahl, also nickte ich und hängte mit den Worten "Ja, ist die letzte Tür links." noch die Information an, nach der sie verlangt hatte. Daraufhin hielt ich den Blickkontakt nur noch einen kurzen Moment, bevor ich mich wieder von ihr wegdrehte und die Tür zum Weinkeller öffnete. Ich tastete nach dem Lichtschalter neben der Tür und kaum waren die Deckenleuchten in Gang machte ich zügig ein paar Schritte zur gegenüberliegenden Seite des Raumes zwischen zwei hohen Weinregalen hindurch. Ich musste kurz überlegen, zog dann aber eine der Flaschen aus dem Regal direkt an der Wand gegenüber der Tür und mir fiel ein weiterer, kleiner Stein vom Herzen, als ich sah, dass dahinter noch immer der kleine Haken mit dem Zweitschlüssel hing. Warum ich wusste, dass er da hing? Einzig und allein deswegen, weil die Frau des älteren Sorokins ganz besonders großes Mitleid mit mir gehabt hatte, weil ich eine der Jüngsten war, die die Brüder je angeschleppt hatten. Natürlich war ich immer auf eigene Gefahr und nur für ein paar Minuten unerlaubt an die frische Luft hinaus geschlüpft, hatte meistens nur kurze Zeit lang an der Hauswand gesessen und durchgeatmet, wenn ein Tag mal wieder ganz besonders traumatisch verlaufen war. Ich war ihr bis heute dankbar dafür und die Brüder hatten wohl auch bis heute noch keinen Schimmer davon, wohin ab und an mal die eine oder andere Weinflasche verschwunden war - daher übrigens mein Faible für das alkoholische Traubengetränk. Ich zog den Schlüssel hastig hinunter und schob die Flasche noch zurück ins Regal, bevor ich den selben, schnurgeraden Weg wieder zurück nahm und noch im Vorbeigehen nach dem Lichtschalter am Türrahmen griff. Als ich Vahagn den Schlüssel entgegenhielt zog ich nebenher noch die Tür hinter mir zu und kaum hatte die Brünette mir den Schlüssel abgenommen, nickte ich ein letztes Mal zu und blickte sie einen kurzen Moment an. Wollte ihr nur noch einmal damit signalisieren, dass ich keine Dummheiten machen würde, auch wenn das kaum dazu ausreichen dürfte. Dann setzte ich mich aber auch gleich wieder mit zügigen, wenn auch weiterhin sehr bedachten Schritten in Bewegung. Trotzdem kam ich nicht umher auf den letzten fünf Metern zum Laufschritt anzusetzen, was durchaus Misstrauen bei der Russin hätte wecken können. Ich spürte meinen eigenen Puls in der pochenden Halsschlagader, als ich die zittrigen Finger an die dicke Sicherheitskette an der Tür legte. Sie hektisch aufschob und dann mit beiden Händen nach dem kleinen Knauf am Ende des breiten Riegels an der Tür griff. Er ging schwer auf - was ich vor allem der Tatsache zuschrieb, dass das Teil der Optik nach zu urteilen schon echt alt war - und ich stemmte mich mit den genuschelten Worten "Jetzt geh schon auf, verdammt." mit dem Gewicht meines Oberkörper vermehrt dagegen, wobei mir wegen der Schmerzen an der geschnittenen Handfläche die Tränen in die Augen stiegen. Deswegen und auch, weil ich nicht wusste, was mich hinter der Tür dann erwartete. Ich war nicht mit besonders viel Kraft gesegnet, deshalb war ich umso erleichterter, als sich das blöde Ding doch endlich bewegte und sich nach etwa der Hälfte dann problemlos wegschieben ließ. Meine blutige Hand legte sich automatisch an die Türklinke und ich schob die schwere, alte Tür von mir weg. Tastete dann mit der anderen Hand sofort nach dem Lichtschalter, von dem ich nicht wusste, ob ich ihn wirklich betätigen wollte. Denn schon das spärliche Licht, das an mir vorbei aus dem Flur in den Raum hinein fiel, ließ Schlimmes erahnen. Der recht helle Deckenstrahler ziemlich direkt über dem Stuhl, auf dem eine sich bis dahin nicht regende Gestalt saß, bestätigte mir mindestens die böse Vorahnung. Der Tränenschleier in meinen Augen verdichtete sich umgehend, als ich mit einem gehauchten "Iljah..!" die letzten paar wackeligen Schritte auf ihn zu taumelte und ihn dabei schon flüchtig musterte. Allein all das getrocknete, teils sogar noch relativ frische Blut ließ mich vom Schlimmsten ausgehen und weil sein Kopf noch immer regungslos nach unten hing, legte ich vorsichtig meine Hände an seinen Kiefer. Der schien so ziemlich das Einzige zu sein, das verschont geblieben war, war doch auch sein Gesicht vom Blut verschmiert und stellenweise unter unschönen Blutergüssen stark angeschwollen. "Iljah... wir holen dich hier raus, hörst du? Wir bringen dich nach Hause... deine Schwester ist hier... Vahagn.", stammelte ich ihm nun schon leise schluchzend ein paar Worte zu. Obwohl sich seine Lider - oder mindestens eins, bei dem geschwollenen Auge war ich mir nicht so sicher - langsam zu regen begannen, löste ich die linke Hand von seinem Kiefer und tastete an seinem Hals vorsichtig nach seinem Puls. Ich war kein Fachmann und eigentlich war ich mit den Nerven wohl jetzt schon zu weit am Ende, um auch noch den Teufel an die Wand malen zu wollen, aber im Gegensatz zu meinem eigenen Puls war seiner gefühlt schon tot. Dass er kein Shirt trug war bei den eher ziemlich kühlen Temperaturen hier unten im Keller sicher auch nicht gerade förderlich und so ließ ich behutsam wieder von seinem Gesicht ab, um stattdessen zur Rückseite des Stuhls zu stolpern. Noch fast hinzufallen, während ich mich hinkniete, um mit unruhigen Händen hastig den festen Knoten mit dem Seil, dass ihm die Hände schon fast abschnüren musste, zu lösen. "Halt durch... nur noch ein paar Minuten.", redete ich weiter unter Tränen vor mich hin, wobei ich mir nicht einmal selbst sicher war, ob ich nun nur mit ihm oder auch mit mir selbst redete. Es kostete mich drei Fingernägel den Knoten aufzukriegen und einer davon riss so tief ein, dass er zu bluten anfing. Nur merkte ich das gerade gar nicht, weil mein Tunnelblick den Fokus einzig darauf legte den Schwarzhaarigen von diesem blöden Stuhl zu erlösen und nach Hause zu bringen, bevor es doch noch zu spät war. Fehlender Doktortitel hin oder her, ein oder zwei Stunden mehr hätten wir uns kaum erlauben dürfen, hätte es dann unter Umständen doch vielleicht schon zu spät sein können.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Auch wenn ich Irina alleine losziehen ließ, nachdem sie mir den Schlüssel für die Kellertür in die Hand gedrückt hatte, wollte ich sie nur ungerne aus den Augen lassen. Zu groß war die Angst davor, sie würde das kleine Bisschen Vertrauen, das ich in sie setzte, ausnutzen. Ich ging deshalb rückwärts den Gang entlang und verfluchte schon kurz darauf meine Naivität, als Irina schneller wurde, einen Zahn zulegte. Kaum war ich an der Kellertür angekommen, wollte ich ihr deshalb auch schon hinterherstolpern, da stoppte sie glücklicherweise an der besagten letzten Tür links. Ich atmete lediglich für mich hörbar die scharf eingesogene Luft wieder aus und wandte mich dann langsam, nur zögerlich von der Schwarzhaarigen ab, um meinen Männern Einlass zu gewähren. Viel Zeit brauchte das an und für sich nicht, wenn meine Hand doch nur nicht so zittern würde. Ich verfehlte das Schlüsselloch bestimmt an die drei oder viel Mal, bis es endlich klappte und Nikolaj mir mit einem argwöhnischen Blick entgegentrat. Für mich - und damit auch gewissermaßen für das Team - war es vollkommen untypisch in Situationen wie diesen nicht die Ruhe selbst zu sein, war ich doch das Einbrechen in fremde Häuser, sowie angeregten Schusswechsel inzwischen gewohnt. Konnte mich gut damit arrangieren, aber auch ein kriminelles Wesen wie Hunter, Tauren oder ich es waren hatte irgendwo seine Schwachstelle. In meinem Fall war das nun mal mein Bruder, den ich um keinen Preis verlieren wollte. Man konnte mir unter der Prämisse, dass die Chancen, ihn lebendig aus der Folterkammer zu bergen, eher gering standen, wohl kaum einen Vorwurf daraus machen, dass ich etwas angespannt und doch auch emotional mitgenommen wirkte. Ich nahm Nikos Blick deshalb kommentarlos hin, während ich schon längst wieder auf dem Absatz Kehrt machte, um zu Irina aufzuschließen. Diese war nach einer schier unendlich langen Zeit, in der sie die Tür zu öffnen versuchte, letztlich im Inneren der Dunkelkammer verschwunden und als ich kurz davor war, in den Raum einzubiegen, drang mir die dünne Stimme der Serbin ans Ohr. Ich stockte in meiner Bewegung, was zur Folge hatte, dass auf dem Flur ein kleiner Auffahrunfall geschah und mich einer der Jungs förmlich in die Folterkammer stieß, weil er offensichtlich nicht damit rechnete, dass ich meine Bewegung verlangsamen oder gar anhalten würde. Ich stolperte dadurch mitten ins Geschehen, obwohl ich gedanklich noch überhaupt nicht so weit war, mir den verunstalteten Körper - tot wie lebendig - meines Bruder anzusehen. Dementsprechend wirkte ich eingangs wohl auch noch etwas geschockt, als Irina gerade an den Fessel zugange war. Von meiner Position im Türrahmen aus ließ sich leider überhaupt nicht feststellen, ob noch ein Fünkchen Leben in dem von zahlreichen Wunden übersäten Körper steckte und das wiederum trieb mir postwendend die Tränen in die Augen. Ich löste mich schnell wieder aus der Schockstarre, um stattdessen zügigen Schrittes auf meinen Bruder zuzugehen, mich vor ihm förmlich auf die Knie fallen zu lassen. "Iljah?", hauchte ich ihm seinen Namen mit einem fragenden Unterton entgegen, erhoffte mir daraufhin irgendeine Art von Reaktion seinerseits als Zeichen dafür, dass er noch lebte. Nur kam nichts dergleichen. Weder ließ sich eine Antwort in Form von Worten vernehmen, noch nickte er oder gab anderweitig Zeichen. Lediglich ein erstickt klingendes Röcheln entrann seiner Kehle. Vermutlich der verzweifelte Versuch, auf die äußeren Einflüsse, die im Moment auf ihn niederprasselten, zu reagieren. Erneut sah ich den Schwarzhaarigen entsetzt an. Dieses Mal allerdings auf positive Art und Weise, denn auch wenn es sich nicht gesund anhörte und noch lange nichts zu heißen hatte, schien der Russe zumindest aktuell noch zu leben. Ich begutachtete flüchtig all die Verletzungen, die seinen Körper zierten, während ich meine Hände an seinen Kiefer legte und den Kopf etwas anhob. In dem Augenblick lösten sich gerade die Fesseln um seine Handgelenke und der Körper, welcher überwiegend aus Muskelmasse bestand, kippte mir förmlich entgegen. Offensichtlich - und wenig überraschend -, konnte mein Bruder sich nicht einmal mehr eigenständig in einer sitzenden Position halten und wäre Nikolaj mir nicht sofort zur Seite gestanden, hätte mich Iljah kurzerhand unter sich begraben. "Shit... sorry... vorsichtig...", fluchte ich fast schon etwas verzweifelt klingend vor mich hin, weil ich mich kopflos und vollkommen unvorbereitet einfach gegen ihn gelehnt hatte, damit er nicht vom Stuhl rutschte. Dass ich dabei die ein oder andere blutverschmierte Wunde berührt und Druck auf sie ausgeübt hatte, war dabei unumgänglich gewesen. Nur war mir das immer noch lieber, als den Russen ungebremst auf den Boden zu verabschieden. Er hatte bis hierhin eindeutig genug mitgemacht, eine Platzwunde und ergänzend dazu eine Gehirnerschütterung wollte ich ihm deshalb gerne ersparen. Es machte mir jedoch wirklich große Sorgen, dass Iljah überhaupt nicht darauf reagierte, als ich mich mit den Händen gegen einige Brandnarben gestützt hatte, um seinen Oberkörper in der sitzenden Position zu halten, aber wer war ich schon, beurteilen zu können, wo ihm was gerade wie dolle wehtat. Ich wusste ja bis jetzt noch nicht einmal, was ihm hier unten alles widerfahren war und vermutlich wollte ich das auch alles gar nicht so genau wissen. Es traf sich in jedem Fall gut, dass ein Großteil der Wichser, die ihm das alles angetan hatten, ein bis zwei Stockwerke weiter oben gerade ihr Fett weg bekamen. Zwar waren damit die Drahtzieher noch nicht aus dem Spiel, aber auch die würden schon noch büßen, da konnten sie ruhig Gift drauf nehmen. Niko war so freundlich, mit mir die Positionen zu tauschen und ohne das ein weiteres Wort von Nöten war, schloss auch noch der Rest der Mannschaft zu ihrem Kameraden auf. Gemeinsam kümmerten sie sich mit der nötigen Vorsicht um den Transport ihres Chefs, trug man einen Mann von Iljahs Größe und Gewicht doch nicht mal eben alleine auf den Armen. Es tat mir im Herzen weh, meinen Bruder derart zugerichtet ansehen zu müssen, aber ich brauchte auch für den Rückweg noch einen halbwegs klaren Kopf. Ich schloss deshalb einen Augenblick lang die Augen und atmete tief durch. Wischte mir mit der weniger blutverschmierten Hand über das Gesicht, als würden sich dadurch meine zerstreuten Gedanken sortieren lassen. Es half immerhin ein kleines bisschen dabei, wenn auch nicht wirklich nennenswert. "Bringt ihn hier weg. Wir... müssen weiterhin vorsichtig sein. Jetzt ganz besonders.", wies ich die Jungs dazu an, auch auf dem Rückweg Acht zu geben, dass weder ihnen, noch dem Schwarzhaarigen, den unter den Armen und an den Beinen hielten, etwas passierte. Blieb nur noch zu hoffen, dass Hunter die Mitglieder des Sorokin Kartells oben gut in Schach gehalten hatte und es noch tat. Andernfalls wäre die Rettungsaktion wohl vollkommen für die Katz gewesen. Nikolaj und Anhang entfernten sich nach einem bestätigenden Nicken nach draußen auf den Gang, sodass ich einen kurzen Augenblick lang mit Irina alleine in der Folterkammer zurückblieb, die auf den ersten Blick erst einmal unscheinbar aussah, es jedoch in sich zu haben schien. Ich sah die Serbin aus leicht verengten Augen an, mahlte ein wenig mit dem Kiefer, weil ich nicht nur unfassbar traurig, als auch erleichtert zugleich, sondern auch wirklich wütend war. Wütend darauf, dass sie ihn in diesen Schlamassel hineingeritten hatte und Iljah nur wegen ihr diese Tortur über sich hatte ergehen lassen müssen. "Warum?" , sprach ich leise, kaum hörbar die Frage aus, die ich mir vorhin, kurz vor unserem Aufbruch zur Villa noch verkniffen hatte, weil ich wusste, dass mich die Antwort so oder so nicht zufrieden stellen würde. Aber jetzt, als mir das ganze Ausmaß der Aktion bewusst wurde, wollte ich es trotzdem gerne wissen. Ich würde sie dafür auch nicht weiter verurteilen, sie ihren Tod nicht schmerzhafter erleben lassen - ich wollte einfach nur wissen, was Iljah ihr getan hatte, dass sie ihn in so etwas hineinreiten musste. Und das, obwohl sie ihn ja angeblich so gerne hatte...
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #