Ursprünglich hatte ich die Frage nach dem Frühstück für absolut ungefährlich gehalten. Nicht mal ein bisschen in Erwägung gezogen, dass darauf irgendetwas in dieser Richtung folgen würde. Womöglich allein schon deshalb, weil es eben noch früh am Morgen - dem Mittagsmorgen eben - war und Iljah bis dahin keinen wirklich wachen Eindruck vermittelt hatte. Allerdings schien er sehr wohl schon wach genug dafür zu sein unterschwellig mit mir zu flirten und mir auf die Pelle zu rücken. An sich war das auch nicht wirklich schlimm, denn im ersten Moment interpretierte ich gar nicht allzu viel in seine Worte hinein, sondern griff einfach nur schwach grinsend nach dem Müsli. "Ist das so?", erwiderte ich eine vollkommen rhetorische Frage auf seine Art von Frühstück, ohne mich ihm zuzuwenden oder ihn anzusehen. Es sollte auch nicht lange dauern, bis ich den jungen Mann dann im Rücken stehen hatte und als sich seine Lippen an meine Halsbeuge senkten, hoben sich meine Mundwinkel automatisch noch weiter an. Kurzzeitig musste ich mich deshalb auch vermehrt darauf konzentrieren mit dem Müsli die Schüssel und nicht die Arbeitsfläche daneben zu treffen, vor allem wohl wegen dem leichten Klaps auf den Hintern, der mir doch einen leisen, überraschten Laut entlockte. Nicht im negativen Sinn, ich war wohl nur einfach mental nicht darauf vorbereitet gewesen. Als ich seine Worte dann kurz darauf gedanklich noch einmal wiederholte, weil sie in der neckischen Berührung irgendwie ein bisschen untergangen waren, war er leider schon wieder weg. Ich hätte es zweifelsfrei genossen ihn noch ein wenig in meinem Rücken stehen zu haben, aber ich wusste ja, dass wir gerade eher keine Zeit für dieses Herumgeplänkel hatten. Also warf ich lediglich noch einen Blick über meine Schulter hinweg in seine Richtung, als er schon drauf und dran war die Küche zu verlassen. Er verschwand bald durch den Türrahmen außer Sichtweite und ich drehte den Kopf mit einem leichten Kopfschütteln und anhaltendem Grinsen wieder nach vorne zum Müsli. Die Schüssel war eindeutig schon voll genug und so wanderte die Packung zurück an ihren Platz, bevor ich das Ganze mit Milch aufgoss. Dann ließ ich das Müsli aber doch kurzzeitig stehen, um zügig das Handyladekabel aus meinem Zimmer und das dazugehörige Smartphone aus meiner Tasche im Flur zu angeln. Ich steckte beides in Kombination an die Steckdose an dem kleinen Küchentisch, bevor ich mir auch den Kaffee und das Müsli dazuholte. Während ich mir einen um den anderen Löffel in den Mund schob und zwischendurch mehrfach an der Tasse nippte, arbeitete ich auch die paar wenigen Benachrichtigungen auf dem Display ab. Da war tatsächlich auch eine etwas längere Nachricht von Iwan, in der er sich darüber echauffierte, dass ich nicht Bescheid gesagt hatte Iljah zu dem Treffen mitzubringen und ich antwortete darauf gar nicht erst, weil es mir ganz einfach zu blöd und zu kindisch war. Ich rollte lediglich die Augen kurzzeitig nach oben und ließ das Ganze dann so stehen, bevor ich mich dem Rest widmete. Weil da aber nicht mehr wirklich was Wichtiges dabei war schweiften meine Gedanken schnell wieder zu dem Tätowierten ab, der sich ins Badezimmer verzogen hatte. Auch ließ ich seine Worte noch ein- oder zweimal Revue passieren und danach fing ich dann doch damit an sie etwas mehr zu hinterfragen. Grundlegend würde es mich wohl tatsächlich kein bisschen stören, wenn er nebenher mit anderen Frauen schlief - solange ich davon nichts hörte und auch nichts sah zumindest. Erstens, weil ich nun mal wusste, dass das mit uns beiden kaum von langer Dauer sein dürfte und zweitens, weil ich als ehemalige Zwangsprostituierte nun mal am besten wusste, dass Sex nicht wirklich immer was mit Gefühlen zu tun hatte. Es gerade für viele Männer mehr nur das Stillen eines Bedürfnisses war. Das mit dem 'ein paar Tage zu hungern hat aber noch niemanden umgebracht' war eher das, woran ich mich kurzzeitig aufhängte. Meine Paranoia suchte sich wie so oft - jetzt, wo sie wieder wach und auch nicht betrunken war - mal wieder Gründe dafür, warum das weniger ein Witz und vielleicht mehr sogar etwas ernst gemeint gewesen sein könnte. Schließlich brachten Männer wie er durchaus sehr wohl mal hier und da Jemanden um. Manche mehr aus Launen heraus, weil ihnen gerade der Sinn danach stand und andere wiederum eher nur dann, wenn es notwendig war um etwas zu vertuschen oder die eigene Haut zu retten. Es wäre schon irgendwie gut für mich zu wissen welcher der beiden Sorten Iljah angehörte. Ich glaubte eigentlich wirklich nicht mehr daran, dass es ihm im Sinn stand mir nur zu seiner eigenen Belustigung wehzutun sobald er mich mal hatte, weil einfach Nichts in seinem Verhalten mehr wirklich darauf hindeutete. Er hatte mir vermutlich viel mehr einfach nur damit sagen wollen, dass er es noch immer nicht allzu eilig hatte und mich nicht auf Biegen und Brechen dingfest machen wollte - dass das bei mir nicht funktionierte dürfte er inzwischen ja auch zweifelsfrei verstanden haben. Dieser eher absurde Gedankengang, der nichts als aus purer Paranoia entsprang, wurde also letztlich mit einem leisen Seufzen ganz bewusst von mir beseitigt, bevor auch der letzte Löffel voll Müsli in meinen Mund wanderte. Als ich runtergeschluckt hatte griff ich dann noch nach der Tasse und kippte den letzten Schluck Kaffee ebenfalls meine Kehle runter, bevor ich mir das leere Geschirr mitsamt Löffel schnappte und beides zur Spüle rüberbrachte. "Wirklich gut, dass dir beim Denken keiner zuhört, Irina.", redete ich kaum hörbar mit mir selbst und schüttelte schon langsam von mir selbst genervt den Kopf, bevor ich mein Handy am Tisch einsammelte und dann auch Iljah aus dem Bad kommen hörte. Es schien quasi perfektes Timing zu sein und er würde sicherlich auch eher nicht mehr länger damit warten wollen aufzubrechen, wo der Tag doch ohnehin schon so weit fortgeschritten war. Also schloss ich im Flur zu dem Tätowierten auf, der sich gerade noch in den Rest seiner Klamotten geschmissen zu haben schien. "Dann können wir los, oder?", stellte ich dem jungen Mann eine sicher relativ überflüssige Frage, weil mir nichts einfallen würde, das uns jetzt noch von der Arbeit abhalten könnte - gefrühstückt wurde bei ihm ja heute nicht. Also griff ich, nachdem ich mein Handy in der Handtasche für die Arbeit versenkt hatte, schon mal nach den schmal geschnittenen, schwarzen Stiefeln mit um die sechs Zentimeter Absatz, weil mir heute wirklich nicht nach kalten Füßen war. Die bekam ich in den Pumps, die ich sonst an den meisten Tagen immer trug, grundsätzlich. Im Büro war es dann zwar warm genug, damit sie wieder auftauten, aber damit konnte ich mich gerade einfach nicht anfreunden. Außerdem waren auch die Stiefel nicht besonders hoch und an sich eher schlicht. Keine unnötigen Schnallen oder Ähnliches, sondern glatte, dezent samtige Optik - es sollte sich daran wirklich Niemand stören können. Ich hielt es ohnehin auch für eher unwahrscheinlich, dass ich heute noch Kundschaft zu Gesicht kriegen würde, weil die meisten sich ja doch lieber vorher ankündigten, um sicher zu gehen, dass denn auch wirklich Jemand für ihre Beratung Zeit hatte. Ich warf Iljah nach dem Anziehen der Schuhe beiläufig noch einen Seitenblick zu und griff dann nach meinem Mantel, um auch den noch anzuziehen. Nach meinem Haustürschlüssel musste ich kurz Ausschau halten, weil er nicht am Brett hing, aber ich fand ihn schnell unweit von mir auf der Kommode und griff danach.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich war mir nach wie vor nicht ganz darüber im Klaren, was ich von der ganzen Kooperationsgeschichte zwischen Hunter und Iljah jetzt halten sollte. Einerseits schien die Geldwäsche zumindest in der Theorie ziemlich profitabel zu sein, was mich für meinen Bruder und die Firma natürlich freute - immerhin wusste ich mit am besten, dass der Amerikaner ein fairer Geschäftspartner war und man sich auf sein Wort verlassen konnte, wobei ich damit allgemein trotzdem noch eher vorsichtig war -, andererseits gefiel es mir nicht, dass ich über das ganze Unterfangen nicht den geringsten Überblick hatte. Weder Hunter, noch Iljah redeten mehr als nur das Nötigste mit mir, was die Organisation des Ganzen anbelangte und so beschränkte sich mein Aufgabenbereich wieder einmal lediglich darauf, fernab von Russland die Disposition der Flugzeuge und Frachter zu übernehmen - für kleinere, weitaus weniger wichtige Aufträge, versteht sich. Allerdings wurde mir auch dieser Job zwischenzeitlich weggenommen, weil eine kasachische Großfamilie sämtliche Ressourcen für einen einzigen Auftrag in Beschlag nahm. Es war daher sicherlich unnötig zu erwähnen, dass ich seit einigen Tagen verhältnismäßig schlechte Laune hatte, weil ich mich langweilte und irgendwie... unwichtig fühlte. Zwar wollte mir Tauren während unserer gemeinsamen Zeit genau das Gegenteil vermitteln, aber das Gefühl bezog sich viel weniger auf mich als Mensch und mehr auf das, was ich bisher alles geleistet hatte. Von weit oben - eigene Firma mit eigenen Unterstellten - so tief zu fallen war ein harter Schlag und ich konnte mich auf der Stufe, wo ich grundlegend eigentlich nichts eigenes mehr hatte, einfach nicht einfinden, fühlte mich hier nicht wohl. Das wiederum ließ mich zu dem Entschluss kommen, dass es vermutlich an der großen Distanz zwischen Kuba und Russland lag, dass es mir derart schwer fiel, wieder ordentlich Fuß im Bereich des Im- und Exports zu fassen. Es war nun mal gar nicht so einfach, über mehrere Zeitzonen hinweg Geschäfte zu vereinbaren und unter Berücksichtigung der Zeitverschiebung Termine zu planen und zu koordinieren. Vor Ort wäre das alles deutlich leichter und ich biss innerhalb der letzten paar Tage gedanklich wohl überdurchschnittlich oft auf die imaginäre Tischkante, weil ich Havanna nun nicht mehr ganz so einfach hinter mir lassen konnte, wie das einst der Fall gewesen war. Da gab es nämlich jetzt jemanden, an den ich die kläglichen Überreste meines Herzens verloren hatte und den Norweger einfach so hier zurückzulassen würde mir wohl ziemlich schwer fallen. Andererseits passte es mir aber auch nicht, dass er plötzlich mit mir nach Russland reisen sollte, wie ich vor wenigen Tagen durch ein Telefonat mit meinem Bruder und einem anschließenden Gespräch mit meinem Freund erfahren hatte. Unter anderen Umständen hätte mich das natürlich gefreut, mir mit Tauren irgendwo im kalten Moskau ein neues Leben fernab des nervtötenden Amerikaner aufzubauen, aber dafür musste jener wohl erst einmal ins Gras beißen, damit seine unterstellte Sippschaft mehr oder weniger frei war. Keine Ahnung, ob Hunter einen Erben auserkoren hatte, der den ganzen Spaß dann einmal weiterführen sollte, wenn er mal nicht mehr war, aber da glaubte ich ehrlich gesagt nicht dran und hoffte es schlichtweg auch nicht. Bis dato klappte der Versuch, eine halbwegs brauchbare Beziehung zu dem Norweger zu führen eigentlich ganz gut, aber ich bezweifelte stark, dass das Ganze für immer halten würde, wenn er in zehn Jahren noch immer unter den Pantoffeln des Amerikaners stand. Ich hatte jetzt nicht unbedingt vor, irgendwo in einem abgelegenen Haus fernab der Zivilisation eine Familie zu gründen und autark zu leben, aber einfach mal gemeinsam wegzufahren, ohne, dass sich Tauren dafür erst die Erlaubnis dafür einholen musste, wäre schon schön... Noch war ich, zumindest was das anging, relativ guter Dinge und machte mir nur wenig bis gar keine Sorgen darum, dass der Norweger irgendwann wieder sein eigener Herr war, weil ich momentan tatsächlich über Wichtigeres nachdachte. Beispielsweise über die anstehende Reise nach Russland. Scheinbar hatten Hunter und Iljah sich darauf geeinigt, ein paar Männer von Kuba nach Moskau zu verschiffen und diese dort für den Anfang der Geldwäsche einzuquartieren, was ja grundlegend auch erst einmal nachvollziehbar und nicht weiter schlimm war. Schließlich konnte der Amerikaner selbst nicht jedes Wochenende vorbeischneien, um zu schauen, wie die Sache denn so lief und brauchte demnach einige Augen und Ohren direkt vor Ort. Dass ich die Reise organisieren und mit von der Partie sein sollte, um den reibungslosen Ablauf zu gewährleisten leuchtete mir auch noch ein, aber warum in drei Teufels Namen sollte denn ausgerechnet Tauren mitfliegen? Wir hatten natürlich in den letzten Tagen viel miteinander geredet und ich wusste daher, dass der Jüngling auf dem besten Wege war, einer von Hunters besten Männern zu werden, aber mir passte es irgendwie trotzdem nicht, dass er derjenige sein sollte, der den Überblick über den Rest der Handlanger haben sollte. In Russland. Bei meinem Bruder. In seinem Haus. Nach all den Geschichten, die ich dem Norweger über Iljah, Michail und mein Leben in Russland erzählt hatte, war abzusehen, dass das Ganze kein besonders angenehmer Aufenthalt werden würde und dass das meine Laune dementsprechend nicht gerade erhellte, wo sie ohnehin schon sehr angeschlagen war, lag ja wohl auf der Hand. Ich hatte bereits mehrere Versuche gestartet, den jungen Mann davon abzubringen und Hunter davon zu überzeugen, dass er doch lieber jemand anderen für die Aufgabe abbestellen sollte, aber mehr als Streit war daraus nicht resultiert. Das war wohl auch der Grund, warum ich mich nur zähneknirschend und mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter dazu durchringen konnte, das Flugzeug letzten Endes doch noch zu betreten und die Horde Männer nicht einfach am anderen Ende der Welt sich selbst zu überlassen. Der Gedanke daran war eigentlich ganz witzig gewesen, aber es war wieder das Herz, was einen Stich versetzt bekam bei dem Gedanken, den Norweger eine ganze Weile nicht mehr zu sehen, weil die Anfänge der Geldwäsche sicher nicht binnen einer Woche erledigt gewesen wären. Außerdem machte ich mir gewissermaßen auch Sorgen um Tauren. Er kannte da drüben niemanden, sein russisch war vermutlich auch eher schlecht bis gar nicht vorhanden und wer wusste schon, was ihn da drüben letztlich erwartete. Ich konnte es mit dem letzten Rest meines vorhandenen Gewissens einfach nicht vereinbaren, ihn alleine gehen zu lassen, aber er durfte trotzdem spüren, dass ich alles andere als begeistert davon war, mit ihm in mein Heimatland zu fliegen. Dabei hatte ich ihm vor nicht allzu langer Zeit sogar einmal versprochen, ihm Moskau zu zeigen. Allerdings war das jetzt der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, wenn man mich fragte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Zugegeben hatte ich irgendwie erwartet, dass es noch deutlich schwerer sein würde sich unter Hunters Fittichen hochzuarbeiten. Es war ohne jeden Zweifel auch nach der strengen Einarbeitungsphase immer wieder stressig, aber ich hatte es mir tatsächlich noch wesentlich schlimmer vorgestellt. Das einzige, was mir zu Anfang dann doch etwas schwerfiel, war andere zu befehligen. Es war einfach ungewohnt. Eine schier endlos lange Zeit über war ich selbst ja einer derjenigen gewesen, die ziemlich tief in der Nahrungskette saßen und plötzlich mit anderen Augen gesehen zu werden war gewöhnungsbedürftig. Zwar hatte der Amerikaner den Jungs - kurz bevor sie zum ersten Mal auf Probe für eine kleinere Aktion unter meiner Flagge segeln sollten - noch einmal gesagt, dass sie spuren sollten, aber sie testeten mich natürlich trotzdem. Dem einen oder anderen hätte es sicher gut in den Kram gepasst, wenn ich den Posten gleich wieder hätte abgeben müssen. Einige schienen auch einfach nicht zu verstehen, warum nun ausgerechnet ich die Chance dazu bekam mehr aus mir zu machen und das resultierte bei einigen anfänglich in ziemlicher Unzufriedenheit. Ein bisschen konnte ich das auch nachvollziehen, aber ich konnte darauf nun schlichtweg keine Rücksicht nehmen, wenn ich nicht selbst wieder zu niederer Stufe degradiert werden wollte. Inklusive Strafe für meine Unfähigkeit richtig durchzugreifen natürlich. Hunter musste sich absolut darauf verlassen können, dass von mir geleitete Einsätze so weit es möglich war reibungslos verliefen und so schmiss ich - auch, wenn es mich ein bisschen Überwindung kostete, weil ich eigentlich nicht der Typ Mensch fürs laut werden war - doch schon bald das erste Mal dabei mit ziemlich eindringlichen, unmissverständlichen Worten um mich, als mir zwei der Jungs deutlich zu frech und aufmüpfig wurden. Danach hielt es sich dann fortwährend in Grenzen und ich konnte stolz behaupten, dass soweit alles wirklich gut funktionierte und sich das jetzt auch finanziell bald bemerkbar machen würde. Natürlich würde ich erst einmal den Großteil des Mehrverdienstes bei Seite legen und sparen, aber es wurde endlich absehbar mal etwas besser leben zu können. Mal nicht in einer kleinen Bude zu hausen, die eher nur ziemlicher Durchschnitt war und vielleicht auch mal ein etwas schickeres Autos fahren zu können. Ich machte mir nichts aus Statussymbolen und das Bike bot mit nach wie vor ausgezeichnete Dienste, aber sie hatten eben einfach deutlich mehr Komfort. Sowohl in Form eines Autos, als auch in Form einer lichtdurchfluteten, offenen Wohnung. Ob man hier auf Kuba eine Unterkunft in dieser Richtung überhaupt finden konnte? Würde sich irgendwann in Zukunft zeigen und bis dahin war auch die zumindest vor kurzem erst renovierte Wohnung tauglich. Über den Kopf wachsen würde mir das Geld, das ich jetzt verdienen würde, in keinem Fall. Ein bisschen was würde ich aber sicher abzweigen, um Vahagn ab und an mal auf einen Ausflug zu entführen. Apropos... es stand auch jetzt ein Ausflug für uns beide an. Allerdings ein unfreiwilliger und ich war mit inzwischen schon ziemlich sicher damit, dass er wenig spaßig werden würden. Ursprünglich hatte ich mich wirklich darauf gefreut etwas von Russland sehen zu dürfen und das auch noch mit gut bezahlter Arbeit in Verbindung bringen zu können, ja sogar meine Freundin auch mit dabei zu haben. Die war aber absolut gar nicht davon begeistert und ein kleines bisschen konnte ich das vielleicht auch nachvollziehen. Immerhin hatte ich ihr gegenüber schon offen kund getan, dass ihr Bruder mir bisher nicht allzu sympathisch rübergekommen war und außerdem wohnte der Kerl, der ihr so einige unschöne Dinge angetan hatte, ja auch immer noch dort. Ich würde wohl kaum um seine Gegenwart herumkommen und dass Michail von mir aus gerne ins Gras beißen durfte, war sicher überflüssig zu erwähnen. Er war kaum mehr als eine Made, die sich immer noch im Dreck um ihren Bruder herumwälzte und das sicherlich auch nur deshalb, weil letzterer absolut nichts von der ganzen Geschichte wusste. Also ja, theoretisch könnte es durchaus ungemütlich werden und Vahagns Bedenken waren womöglich berechtigt, aber ihre grundsätzlich komplett negative Einstellung konnte ich wie so oft nicht wirklich verstehen. Immerhin hatten wir trotzdem noch uns beide da drüben und das war doch besser, als für mehrere Wochen getrennte Wege zu gehen, oder? Das war zumindest meine Ansicht der Dinge und dass ich selbst gar nicht erst versuchte Hunter umzustimmen, was meine befristete Auslagerung nach Russland anbelangte, verstand sich wohl von selbst. Erstens hatte ich absolut keine Lust dazu mich mit ihm auch noch zu streiten und zweitens war ich nach wie vor fernab einer festen Position, in der ich sowas wie Ansprüche stellen durfte. Das wiederum resultierte dann aber natürlich in einigen Diskussionen mit der Russin, was bei mir irgendwann nur noch zum einen Ohr rein und zum anderen gleich wieder rausging. Einfach um meine eigenen Nerven zu schonen, weil ich es ab einem gewissen Punkt ganz einfach nicht mehr hören konnte. Es ließ sich nichts daran rütteln, also verliefen die Gespräche in dieser Richtung irgendwann sehr einseitig und bestanden nur mehr daraus, dass sie ihren Frust an mir ausließ und ich das halt ertrug. Womöglich stand mir das auch während des Fluges bevor. Ich befand mich schon seit ein paar wenigen Minuten mit dem Rest von Hunters Gefolgschaft im Flieger und unterhielt mich ein klein wenig mit Björn. Hauptsächlich deshalb, weil ich ihn schon länger nicht mehr in Ruhe angetroffen hatte und es absolut angenehm war sich mal wieder in meiner Muttersprache zu unterhalten. Außerdem war er der mit Abstand Jüngste im Flieger und mir lag etwas daran seinen Gemütszustand bezüglich der Reise herauszufinden. Ich glaubte nicht, dass wir wirklich gegen Irgendjemanden oder Irgendetwas vorgehen müssen würden, sondern dass alles friedlich und ohne größere Zwischenfälle ablief - aber falls doch, dann wollte ich kein Schwächeln eines Teammitglieds. Jedoch schien er mental absolut fit zu sein, also legte meine Aufmerksamkeit sich schnell gänzlich auf Vahagn, als der Abflug unmittelbar bevorstand. Sie nahm Platz und ich stand von dem Platz direkt neben dem Norweger auf, um stattdessen zu ihr aufzuschließen und mich auf den freien Platz neben ihr sinken zu lassen. "Wie lang hast du gesagt fliegen wir?", hakte ich in vollkommen ruhigem Tonfall erst einmal nach, weil mir diese Info schlichtweg nicht mehr präsent war. Gefühlt nahmen all die Aufgaben und all die kleinen Details, auf die ich laut dem Amerikaner achten sollte, wenn ich erst einmal drüber in Russland war, sämtlichen Platz in meinem Schädel ein. "Entspann' dich ein bisschen, Vahagn... wird sicher alles halb so schlimm.", versuchte ich sie ein bisschen verzweifelt zu besänftigen, weil sie noch immer extrem unruhig und verspannt wirkte. Allerdings hatte ich die Hoffnung darauf, dass sich das noch besserte, bevor sie es mit eigenen Augen sehen konnte, eigentlich schon vor ein paar Tagen aufgegeben.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Auch als ich das Flugzeug letztlich betreten hatte und sich die Tür daraufhin binnen weniger Sekunden hinter mir schloss, wollte sich die schlechte Laune nicht abschütteln lassen. Liebend gerne hätte ich sie hier auf Kuba zurückgelassen und wäre vollkommen entspannt, Seite an Seite mit Tauren in mein Heimatland gereist, aber es war mir wohl leider Gottes noch immer ziemlich deutlich anzusehen, dass ich von der Aktion hier nur wenig hielt. Wie immer sprach ich kurz vor dem Start im Cockpit noch mit den beiden Piloten des heutigen Fluges und erkundigte mich knapp danach, wann wir wo zur Betankung des Flugzeuges zwischenlanden würden und wie lange wir insgesamt unterwegs waren. Nach Erhalt der Informationen rang ich mir ein müdes Lächeln ab und nickte als Zeichen des Verständnis, kurz bevor ich mich an meinen Platz begab. Tauren saß bereits unweit von mir neben einem seiner Landsmänner, schloss aber zu mir auf, sobald ich den Fensterplatz meiner Reihe bezogen hatte. Ehrlich gesagt wäre es mir gerade tatsächlich lieber gewesen, wenn der junge Mann einfach bei seinem neuerdings ja irgendwie eigenen Unterstellten geblieben wäre, was ich auf gewohnt kalte Art und Weise auch bald zum Ausdruck brachte. Ich überschlug die Beine und lehnte mich auf den Ellenbogen, um den Kopf auf dessen Hand abzulegen und durch das kleine Bullauge des Flugzeuges nach draußen zu schauen. Just in dem Moment starteten die Triebwerke und ich legte daraufhin mit einer Hand den Sicherheitsgurt an, kurz bevor ich auf die Frage Taurens hin mit den schmalen Schultern zuckte. "Zwanzig Stunden mit einem Halt in Frankreich.", murmelte ich so knapp es ging, ohne ihn dabei anzusehen. Eigentlich hätte es mich freuen sollen, dass wir unweit der Stadt der Liebe zum Auftanken landen und dort ein paar Minuten Zeit verbringen konnten, aber das tat es nicht. Vermutlich würde ich das Flugzeug gar nicht erst verlassen und mich einfach für ein paar Stunden hinlegen. Seit Iljah mich darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass der Norweger und ich gemeinsam mit ein paar von Hunters Männern nach Russland reisen würden, hatte ich nämlich keine Nacht mehr wirklich gut geschlafen. War immer wieder aufgewacht oder hatte nur schwer in den Schlaf gefunden, weil mich Geschichten aus alten Zeiten verfolgten. Ich ahnte das Unheil nämlich schon kommen, würde mein Freund doch kaum ein Hotel in der Nähe, sondern gemeinsam mit mir ebenfalls ein Zimmer im Haus meines Bruders beziehen und das... behagte mir einfach nicht. Mittlerweile kannte ich den jungen Mann, der so viel Frust abzubekommen eigentlich gar nicht verdient hatte, gut genug, um mir sicher sein zu können, dass bei einer blöden Aktion seitens Iljah oder Michail die Fetzen fliegen würden, obwohl das Ganze in meinen Augen nur halb so wild war. Inzwischen hatte ich immerhin das Schlimmste mit den beiden Männern überstanden und war durchaus selbst in der Lage, mich zu verteidigen, falls das nötig sein sollte. Dafür brauchte ich Taurens ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit ganz einfach nicht, aber so wie ich ihn kannte, würde er sich ja trotzdem irgendwann einmischen und... mein Gott, ich könnte mich wohl stundenlang darüber aufregen und etliche Gründe dafür finden, warum es keine gute Idee war, dass er mitflog und je länger ich über die anstehende Zeit in Russland nachdachte, desto unruhiger wurde ich. Am liebsten wäre ich wohl durch das Sitzpolster hindurch in ein tiefschwarzes Loch verschwunden. Da half auch der gut gemeinte Rat, ich solle mich doch etwas entspannen nicht, weil ich das einfach nicht konnte, verdammt nochmal. Es spielten sich plötzlich einfach verschiedenste Szenarien vor meinem inneren Auge ab, wie ein möglichsten Aufeinandertreffen der drei Männer ausgehen konnte und keines davon war besonders schön, um ehrlich zu sein. Aber es half wohl alles nichts und das sollte ich womöglich einfach akzeptieren. Mich vielleicht tatsächlich ein bisschen entspannen, aber bereits beim ersten Versuch, für den ich meine Augen kurzzeitig geschlossen hatte, hätte ich irgendwem an den Hals springen können. Dabei standen die Chancen eigentlich relativ gut, dass Iljah uns sowieso nicht mehr auf den Geist gehen konnte, als das unbedingt nötig war, weil er aktuell ziemlich eingebunden zu sein schien, eine seiner Mitarbeiterin für die Buchhaltung fit zu machen - was bei meiner Affinität für Zahlen vermutlich gar nicht von Nöten gewesen wäre, wenn ich doch nur wieder in Russland leben würde -, und Michail befand sich seit Neustem wohl des Öfteren mal im Ausland, wenn ich den Aussagen meines Bruders Glauben schenken konnte. Es war also gar nicht so unwahrscheinlich, dass der Aufenthalt in meinem Heimatland gar nicht so schlimm werden würde, wie ich mir das gerade ausmalte, aber in der Hinsicht blieb ich wohl pessimistisch, bis ich mich vom Gegenteil überzeugt hatte. Bis dahin hieß es allerdings den Flug ohne Verletzte in Folge meines Zickenterrors zu überstehen, was mich einmal ziemlich tief durchatmen und schließlich in Richtung meines Freundes zu sehen, der mir durch seinen verzweifelten Versuch, mich irgendwie zu beruhigen schon fast ein bisschen leid tat. "Ich kann und will mich aber nicht entspannen, Tauren.", verpasste ich ihm daraufhin einen ziemlich genervt klingenden Dämpfer, den ich mit einem Augenrollen unterstrich. Wann bitte hatte eine solche Aufforderung bei mir denn jemals geholfen? Mittlerweile dürfte Tauren ja wohl wissen, dass er mit dieser Aussage eigentlich nur noch mehr Öl ins Feuer goss. "Du hast keine Ahnung, wie das da drüben abläuft. Eigentlich müsstest du derjenige sein, der mit dem Arsch auf heißen Kohlen sitzt - ich versteh' nicht, wie du so ruhig bleiben kannst.", redete ich verständnislos mit dem Kopf schüttelnd weiter und wandte meinen Blick nach vorne an die Rückseite der nächsten Sitzreihe ab. "Ich will einfach nicht... das... Russen sind einfach seltsam... und es wäre mir lieber gewesen, wenn du einfach hier auf Kuba geblieben wärst. Das kann ich nicht oft genug sagen.", brachte ich meine Sorge letztlich nach etwas Rumgedruckse nur noch murmelnd auf den Punkt, auch wenn ich wusste, dass wir uns über das Thema nun schon oft genug unterhalten und uns nie wirklich zufriedenstellend geeinigt hatten. Aber ich wäre ja nicht ich, wenn ich alte Kamellen nicht immer wieder aufrollen würde - in der Hoffnung, dass sich noch etwas für mich zum Positiven wenden würde. Jetzt war es dafür zwar ohnehin zu spät, weil das Flugzeug inzwischen rollte und sich bald in die Lüfte erheben würde, aber auch meinen Standpunkt machte ich nicht selten überdeutlich klar.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ja, das war ziemlich offensichtlich. Es brachte aber ganz einfach Niemandem etwas, wenn die Brünette weiterhin alle möglichen Teufel an die Wand malte und mehr oder minder ihr ganzes Umfeld darunter leiden ließ. Das machte ihre Laune nicht besser und meine erste recht nicht, wo ich mich doch von allen hier drin mit Abstand am öftesten in ihrer Nähe aufhielt. Deshalb folgte wohl auch ein etwas schwereres Ausatmen meinerseits, als ich den Gurt noch anlegte und danach die selbe Hand anhob, um mir damit etwas über das Gesicht zu reiben. Ich war nicht körperlich müde, aber geistig wohl doch ein bisschen. Schließlich hatte Hunter die letzten drei Tage über doppelt und dreifach sicher gehen wollen, dass das Falschgeld ordentlich verpackt war und auch sonst alles so weit wie voraussehbar reibungslos laufen würde. Dass Vahagn mir parallel dazu quasi ständig die Ohren vollgeheult hatte, machte es echt nicht unbedingt besser und es wäre eher kein Wunder gewesen, wenn ich langsam die Nerven verloren hätte - trotzdem war ich ruhig, wie sie das so schön sagte. Ich dürfte zwar kaum so gut darin sein wie unserer alteingesessener italienischer Mafioso im Bunde, der mit ziemlicher Sicherheit selbst die unangenehmsten Situationen mit kühlem Kopf betrachten konnte, obwohl es innerlich in ihm kochte, aber ich war mit meinem verhältnismäßig entspannten Charakter wohl trotzdem sehr vielen anderen von Hunters Männer um Meilen voraus. "Ich bleibe ruhig, weil mir alles andere absolut nichts bringt.", stellte ich mit etwa demselben Tonfall wie zuvor fest, sah nun auch wieder zu der Russin rüber. "Eben grade weil ich nicht weiß, was alles kommt. Klar, ich könnte mir jetzt den Kopf darüber zerbrechen was alles passieren könnte, aber davon hab ich nichts außer Stress. Ich kann mich ja sowieso nicht auf das einstellen, was dann wirklich kommt, also lass ich's einfach auf mich zukommen.", redete ich wahrheitsgemäß so vor mich her. Es war nun mal so, dass es generell immer genau so kam, wie man es nicht hatte kommen sehen. Also ersparte ich mir einfach lieber sämtliche von Stress geprägten Gedanken davor und nahm es gelassen. Ich hatte die letzten paar Jahre über schließlich bestens gelernt zu improvisieren - ohne machte man es als Verbrecher ja auch selten lang - und außerdem wusste ich mich für gewöhnlich zu benehmen. Es war ja auch nicht so, als hätte ich irgendwie komplett freie Hand darüber, wie ich mit Hunters Geschäftspartnern umgehen durfte. Es war nicht weniger als meine Pflicht Vahagns Bruder gegenüber zwar Hunters Interessen durchzusetzen, mich ihm gegenüber im selben Atemzug aber dennoch so lange respektvoll zu verhalten, wie er mir keine triftigen Gründe für etwas anderes gab. Von letzterem war nicht auszugehen, also hatte meine Freundin in Hinsicht auf ihn nicht wirklich Irgendwas zu befürchten. Schließlich schlugen wir unser Lager auch bei ihm auf und wer mir ein Dach über dem Kopf anbot - und wenn's nur wie alles andere heutzutage gegen einen Geldbetrag zu haben war -, dem schuldete ich meinen Dank und meinen Respekt. Die andere Pestbeule hingegen fiel nicht in das geschäftliche Raster und bot mir auch keine Unterkunft an - das war wohl auch ein ziemlicher Haken. Es ließ sich einfach schwer für mich vergessen, was er für eine Sorte Mensch war und was er der Brünetten angetan hatte. Aber das würde schon gehen. Schließlich würde ich nicht 24/7 in Iljahs vier Wänden campieren und solange ich Michail so viel wie möglich aus dem Weg ging, solange er selbst in jenen verweilte, ging das schon alles irgendwie. "Außerdem häng' ich schon mein ganzes Leben lang mit seltsamen Menschen rum... so viel schlimmer können Russen wohl kaum sein.", gab ich noch ein paar weitere, dieses Mal leicht sarkastisch angehauchte Worte von mir. Ich unterstrich das noch mit einem schwachen Schulterzucken. Meistens maß ich fremde Leute einfach an Hunter - alles, was nicht launischer und mordlustiger war als er, konnte nicht schlimmer oder gefährlicher sein als der Amerikaner. Vielleicht war es auch ein bisschen sehr einfach gedacht jeden um mich herum unterbewusst mit meinem Boss zu vergleichen, aber es erleichterte mir Vieles. Unterdrückte meine Angst in Situationen, in denen andere bereits um ihr Leben rannten oder abgestochen wurden. Es verlieh mir mehr Selbstsicherheit, mehr Selbstbewusstsein. Das konnte einem durchaus den Arsch retten, solange man der Überschätzung seiner Fähigkeiten zugleich trotzdem fernblieb. Vielleicht waren Russen irgendwie anders schräg als Alles, was ich bis heute so getroffen hatte, aber ich kam sicher auch damit klar. Wie gesagt - viel schlimmer als Amerikaner konnten sie wohl kaum sein. Ashton war ja auch irgendwie eine Sorte Mensch für sich, genauso wie Hunter. "Mach's mir doch nicht noch schwerer, als es sowieso schon ist... Hunter macht schon mehr als genug Druck von oben. Es wäre also echt hilfreich, wenn zumindest du mal einen Gang runterschalten könntest. Du weißt doch, dass ich mich benehmen kann... und es ist ja auch nicht grade so, als hätte ich in Russland Narrenfreiheit.", seufzte ich leise und sah dann einen Moment lang zur anderen Seite des Flugzeugs weg. Mir war auch durchaus klar, dass das alles hier ziemlich sicher mitunter auch wieder einer von Hunters unangekündigten Tests war. Dass ich die Probephase noch nicht gänzlich durchlaufen hatte war sicher und er ließ seine Untergebenen in jener Zeitspanne einfach immer gern in so viele unangenehme Situationen wie möglich schlittern. Das mit Michail konnte er natürlich nicht wissen, weil ich diese Geschichte konsequent jedem gegenüber für mich behielt, weil sie schlichtweg Niemanden etwas anging, aber er testete mit Sicherheit nur allzu gerne nochmal, ob Vahagn mich in irgendeiner Hinsicht manipulieren oder weniger effektiv machen konnte, wenn es um ein Geschäftsfeld ging, in das sie mit verwickelt war. Zwar brauchte er Ashton und Desmond meines Wissens nach sowieso Zuhause und sie wegzuschicken war nie zur Debatte gestanden, aber mich noch einmal auf die Probe stellen zu können war vermutlich ganz in seinem Sinn. War es immer und vor allem dann, wenn es dabei um mich ging. Dass Vahagn mir dabei auch noch Stress machte, wo eigentlich gar keiner sein müsste, kratzte leider doch an meinen Nerven.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mein verständnisloser Blick, der schon ziemlich bald wieder auf dem Norweger ruhte, dürfte ihm wohl ziemlich deutlich machen, dass ich trotz seiner Erklärung immer noch nicht nachvollziehen konnte, wie er um alles in der Welt so ruhig bleiben konnte. Ja, irgendwie leuchtete mir schon ein, dass man nie so richtig wusste, woran man eigentlich war, wenn man sich nicht in der entsprechenden Situation direkt wiederfand, aber machte er sich denn überhaupt gar keine Gedanken? Mochte sein, dass Iljahs und mein Hauptgeschäft grundlegend etwas vollkommen anderes war, als Hunters eigene, kleine Mafia, aber die Menschen, mit denen Tauren zutun haben würde, waren trotzdem nicht weniger gefährlich. Vielleicht ein wenig umgänglicher und nicht ganz so versteift und abgestumpft, weil das ihre Arbeit schlichtweg nicht erforderte, aber dafür waren es nun mal Russen. Und die hatten grundlegend einen ganz gewaltigen Knacks in der Schüssel, wie ich bereits mehrfach festgestellt hatte und waren dadurch beispielsweise grundlegend unberechenbar. Von einem Moment auf den anderen konnte dein russischer bester Freund dir ein Messer in den Rücken rammen, um deine Organe für ein nettes Sümmchen an den Nachbarn von nebenan zu verkaufen. Natürlich holte ich in dem Punkt sehr weit aus und ich wollte auch eigentlich gar nicht alle meine Landsmänner in einen Topf werfen, aber der Großteil war nun mal halt doch irgendwie ziemlich schräg und gefährlich. Mit Norwegern, Australiern oder Kubanern absolut nicht vergleichbar und ich wusste schließlich, wovon ich redete. Hatte ja lange genug in Russland gelebt und nicht nur Moskau, sondern auch andere Ecken des Landes gesehen, in denen die Einwohner allesamt eingewiesen gehörten. Das schloss die Frauen im Übrigen auch nicht aus, wofür ich vermutlich eines der absoluten Paradebeispiele war. Sich mit mir herumzutreiben konnte hier und da - wie im aktuellen Augenblick - wirklich anstrengend sein, was Tauren mittlerweile eigentlich wissen dürfte. Zwar war er noch nicht schreiend davon gelaufen und eigentlich sollte mich das in Hinsicht auf die Landung in ein paar Stunden beruhigen - denn wer mit Hunter und mir klar kam, der packte auch noch den Rest der verkorksten Welt -, aber irgendwie tat es das nicht. Vielleicht, weil ich mich dem Norweger noch nie so gezeigt hatte, wie ich unter anderen Umständen sein konnte? Immerhin hatte ich es bei dem, für das Metier verhältnismäßig sensiblen, jungen Mann noch nicht für nötig gehalten, auch den Rest meiner mentalen Geschütze hochzufahren oder ihm ein Messer an die Kehle zu halten, aber wenn er es gerne so weit kommen lassen wollte, dann brauchte er nur damit weiter zu machen, meine Nationalität zu verharmlosen und Begegnungen mit meinen Landsleuten einfach auf sich zukommen zu lassen. Ich seufzte schwer, genervt und hatte eigentlich schon gar keine Lust mehr, jetzt noch irgendetwas auf die Antwort Taurens zu erwidern, weil es ja doch wieder nichts bringen würde, außer, dass wir uns stritten. Und darauf hatte ich im Augenblick mal mindestens genau so wenig Lust, wie auf die zwanzig Stunden Flug. "Du weißt nicht, was du da redest.", war alles, was ich kopfschüttelnd noch dazu sagte, ehe ich das Kinn wieder auf die Hand stützte und aus dem Fenster sah. Dabei bezog ich mich sowohl auf seine Behauptung, dass Russen nicht viel schlimmer sein konnten, als all die anderen Nationalitäten, als auch darauf, dass ich es für vollkommen schwachsinnig hielt, wie er mit neuen, unbekannten Situationen umging. Aber gut, letzteres war wohl tatsächlich eher sein Bier, mit dem ich relativ wenig zutun hatte. Außerhalb des Fliegers entfernte sich der Boden unter uns zunehmend und schon bald befanden wir uns auf Flughöhe. Das Zeichen, den Gurt anzulegen, beziehungsweise ihn angelegt zu lassen, erlosch und in dem Moment löste ich das einengende, im Ernstfall vermutlich weniger lebensrettende Teil auch schon wieder. War einfach nicht besonders bequem, die ganze Zeit in den Sitz gezogen zu werden. Ich bevorzugte es, mich auch auf dem Platz einigermaßen bewegen zu können. Was dann die Bitte des Norwegers anging, entlockte er mir damit doch tatsächlich ein belustigtes Schnauben. Hunter machte ihm schon genug Druck? Tat mir ja unfassbar leid, wo er sich das doch selbst ausgesucht hatte und seinem Chef förmlich in den Arsch gekrochen war, um einen besseren Posten in den Reihen des Amerikaners zu beziehen. Sich jetzt darüber zu beschweren, dass ein besser bezahlter Job mit mehr Verantwortung plötzlich stressiger war und einem mehr Druck gemacht wurde, amüsierte mich einfach ein klein wenig, auch wenn es das vermutlich nicht sollte. In einer normalen, gesunden Beziehung würde ich als der Partner jetzt wohl eher verständnisvoll reagieren und wortlos auf die Bitte - in dem Fall sollte ich einfach nur ein bisschen ruhiger werden -, eingehen, aber die Bindung zwischen Tauren und mir war vermutlich genau so wenig normal, wie sie gesund war, also konnte er sich das getrost in die Haare schmieren. Die folgenden Worte formulierte ich zwar tatsächlich vom Ton her etwas ruhiger, weil nun mal die umliegenden Passagiere nicht unbedingt mitbekommen sollten, dass wir hier gerade eine kleine Meinungsverschiedenheit ausdiskutierten, aber vom Inhalt her war ich wohl immer noch recht bissig und kein bisschen einsichtig. "Du hast dich ja wohl für beides entschieden: die höhere Position unter Hunters Fittichen und die Beziehung zu mir. Das mit dem Druck hätte dir also vorher schon klar sein können. Entschuldige bitte, dass ich mich deshalb im Bezug auf Hunter genau so wenig verbiegen werde, wie du das für mich tust.", stellte ich nur etwas trocken fest und deutete dabei auf den freien Platz neben Björn schräg gegenüber. "Und wenn dir das nicht passt, steht es dir frei, den Platz zu wechseln, bis ich mich wieder beruhigt habe.", fügte ich noch ein paar ebenso ruhige Worte hinzu, die durch meinen ausdruckslosen Blick in seine Richtung unterstrichen wurden. Eigentlich stand mir, wie gesagt, weniger im Sinn, mich jetzt zu streiten und daher war es wohl für beide Parteien das Beste, wenn sich unsere Wege für den Rest des Fluges trennten. Ich konnte Taurens Verhalten scheinbar genau so wenig verstehen, wie er meines und bis ich mich nicht davon überzeugt hatte, dass alles nur halb so schlimm war, wie gedacht, würde ein Gespräch vermutlich jedes Mal derart ausarten, dass ich einfach gemein und unfair wurde. Daran hatte sich dem Norweger gegenüber nur wenig bis gar nicht geändert und würde es vermutlich auch nicht. Aber ich versuchte immerhin das negative Ausmaß des Ganzen ein wenig zu optimieren und zu beschränken, indem ich den jungen Mann schlichtweg dazu aufforderte, mir aus dem Weg zu gehen, wenn er mit meinen aktuellen Launen nicht zurecht kam. Das war weder böse gemeint, noch würde ich ihm das nachtragen, aber es hatte bis jetzt doch schon das ein oder andere Mal geholfen, eine Konversation einfach zu begraben, indem man sich für ein paar Minuten oder Stunden aus dem Weg ging. Nicht miteinander redete oder anderweitig beschäftigte, bis sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. Und nicht viel weniger würde im aktuellen Augenblick Sinn machen, wenn Tauren selbst es nicht darauf anlegte, mich weiter zu provozieren, um sich doch noch lautstark zu streiten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Vahagn war wohl wirklich eine der sehr, sehr wenigen Personen, die es schafften, mich beinahe sprachlos zu machen - im negativen Sinne. Mich zu begeistern war nämlich weit weniger schwer, wo ich mich doch auch über Kleinigkeiten leicht freuen konnte. Es waren manchmal einfach ganz genau die, die das Leben ausmachen konnten. Mich zum Strahlen zu bringen war dementsprechend nicht schwer, mir mit etwas Schlechtem die Worte zu nehmen schon eher. Dass ich nicht wusste, wovon ich redete, war wohl ganz einfach Ansichtssache und darüber weiter zu reden war demnach relativ überflüssig. Aber dass Vahagn mir jetzt einen Strick daraus drehen wollte, dass ich selbst nach mehr als dem Leben eines namenlosen Handlangers strebte, war wirklich die Krönung. Immerhin beschwerte sie sich ja in letzter Zeit selbst hier und da unterschwellig darüber, dass sie geschäftlich irgendwie auf der Stelle trat und jetzt kam sie mir so? Natürlich hatte ich mir das selbst ausgesucht und musste nun mal jetzt mit den Konsequenzen leben, dass Hunter mich aktuell noch akribisch im Blick behielt. Das hatte aber absolut nichts damit zu tun, dass das Verhalten der Russin nicht weniger als langsam aber sicher echt unverschämt wurde. Klar, ich hatte auch schon gewusst, dass die Brünette ab und an wirklich launisch sein konnte, wenn Irgendetwas nicht in den Kram passte, als ich mich auf die Beziehung mit ihr eingelassen hatte. Also ja, auch das war ein Übel, dass ich für die schönen Momente mit ihr gerne in Kauf genommen hatte. Aber es gab auch einen Unterscheid zwischen sehr launisch und einfach nur absolut egoistisch sein. Mit ersterem kam ich in einer Beziehung wohl auch gut klar, aber Egoismus hatte in einer solchen schlichtweg nichts zu suchen. Hunter und Cosma waren dafür das allerbeste Beispiel und auch, wenn ich Vahagn hier und da gerne mal nachgab, damit sie sich einfach besser fühlte, würde das hier und jetzt ganz bestimmt nicht passieren. Ich war kein streitlustiger Mensch, aber mit so einer stark ausgeprägten Form von selbstbezogenem Handeln konnte ich wohl noch nie besonders gut umgehen. Deswegen stellte ich hin und wieder ja auch durchaus Hunters Taten in Frage, weil der Amerikaner fast alles ausschließlich zu seinem eigenen Vorteil tat und auf sämtliche Folgen davon einen Scheiß gab. Würde er von der Geldwäsche in Russland selbst nicht genug haben, dann hätte er sich darauf nie eingelassen. Demnach war auch der Nebeneffekt, dass die Gniweks ebenfalls etwas davon hatten, mehr nur sehr sekundär und weniger, weil er irgendwie darauf erpicht war den beiden vollumfänglich zurück auf die Beine zu helfen. Vahagn war nun mal aber nicht Hunter. Sie war meine Freundin und sollte das Leben eigentlich eher erträglicher als noch schwerer machen. Das Prinzip einer Beziehung schien sie nur irgendwie einfach nicht verstehen oder umsetzen zu wollen, denn anders konnte ich mir diese überaus kühlen Worte kaum erklären. Dementsprechend vorwurfsvoll sah ich die Brünette wohl auch an, als ich zu einer Antwort ansetzte. "Oh, ja... tut mir leid, dass ich nicht den Rest meines Lebens Drogendealer oder Türsteher bleiben will. Ist ja mein eigenes Problem, wenn ich mir und damit auch dir irgendwann gerne mal mehr bieten können würde als eine Bruchbude und ein Fahrrad.", murrte ich doch hörbar angepisst mit einem Kopfschütteln zurück, wobei permanent reichlich viel Ironie mitschwang. Außerdem löste ich direkt im Anschluss den Gurt und war drauf und dran aufzustehen, drehte den Kopf dann aber doch noch einmal in Vahagns Richtung. Wirklich gerne hätte ich ihr noch irgendwann im Verlauf an den Kopf geschmissen, dass sie ihren Frust darüber, dass sie nur selber gerade in Hinsicht auf Geschäfte nicht vorwärts kam, nicht an mir auslassen sollte, verkniff es mir aber doch um Schlimmeres zu vermeiden. Wir gingen so ja auch schon wieder unschön auseinander, da wollte ich es nicht noch schlimmer machen als ohnehin schon. "Und Hunter ist mein Boss, nicht meine Freundin. Das ist ein verdammt großer Unterschied und das solltest du langsam echt mal in deinen Schädel kriegen.", fügte ich noch ein paar letzte Worte an, bevor ich aufstand, um mich zu verziehen. Ich war mir auch schon gar nicht mehr sicher damit, warum ich zu Vahagn aufgeschlossen hatte, was ich mir davon erhofft hatte. Es hatte wahrscheinlich von vornherein nichts Gutes dabei rumkommen können. Was ich jetzt davon hatte war schlechte Laune und Stress, was doch eigentlich genau das war, was ich konsequent mit den richtigen Gedankenmustern einzudämmen versuchte. Funktionierte nur denkbar schlecht, wenn die eigene Freundin sich mal wieder fernab von liebevoll und durchweg egoistisch verhielt. Björn schien zwar nicht wirklich etwas von dem, worüber wir uns unterhalten hatten, verstanden zu haben, aber dass ich durchweg genervt aussehend wieder neben ihm Platz nahm sprach wohl Bände und deshalb empfing mich sogleich sein fragender Blick. Ich hob jedoch nur die ihm zugewandte Hand, weil ich kein Interesse daran hatte ihm mein Problem zu schildern. "Tu dir einfach einen Gefallen und bleib single.", war mein einziger, durchweg trockener Kommentar dazu, woraufhin er die Augenbrauen in die Höhe zog. Aber ich sah ihn nicht einmal an und so wanderte auch sein Blick zeitnah wieder aus dem Fenster. Ich selbst saß dann erstmal eine ganze Weile lang mit dem Gesicht in die Hand gestützt da und verdeckte mir so mit der Handinnenfläche die Augen. Ich wollte gerade weder Blicke, noch Irgendwas anderes sehen.
Der für meinen Geschmack deutlich zu lange Flug zog sich durch die Auseinandersetzung zu Beginn ewig in die Länge. Natürlich machte ich mir vermehrt Gedanken darüber, obwohl ich das eigentlich am liebsten gar nicht wollte und schaffte es auch erst nach der Zwischenlandung - bei der ich gefühlt die ganze Schachtel Kippen leermachte - den Kopf was das anging einfach auszumachen. Danach haute ich mich auch noch drei oder vier Stunden aufs Ohr, weil ich bei der Ankunft ganz einfach fit sein wollte. Es galt das Falschgeld danach nämlich erstmal noch an seinen Platz zu bringen, weil es im Flieger zu lassen logischerweise nicht in Frage kam. Hunter war auch wie immer übervorsichtig und wollte in keinem Fall, dass das Geld irgendwo lag, wo Iljah ohne Zustimmung rankam. Deshalb entschied er sich für einen alten, recht großen Bunker etwas außerhalb der Stadt, der zu großen Teilen unter der Erde lag. Immerhin gabs da auch sowas wie eine Laderampe nach unten, hieß also die gut getarnten, verhüllten Paletten konnten einfach nach unten gerollt werden und ich musste die Geldbündel nicht noch gefühlt einzeln eins nach dem anderen irgendwo reinschmeißen. Auf die drei armen Seelen, die daraufhin dann in dem eher kalten, wenn auch von der Umwelt bestmöglich abgeschirmten Bunker die erste Wache schieben durften, war ich kein bisschen neidisch und freute mich an diesem Punkt noch einmal ganz außerordentlich über meine neue Position unter Hunters Regime. Danach ging es für mich und den Rest - was auch Vahagn mit einschloss, weil sie zur Navigation noch mitgekommen war - dann aber erst einmal ins Quartier. Das Geld war sicher verstaut und im Grunde stand vorerst noch nichts anderes an als anzukommen, weil der Flug auch ganz einfach ziemlich kräftezehrend war. Allerdings hatte ich bis dahin noch immer nicht mehr Worte als unbedingt notwendig mit der Brünetten gewechselt und deshalb war wohl immer noch so eine leise Grundanspannung vorhanden, als wir am Haus ihres Bruders hielten und ich zum Kofferraum einer der Mietwagen ging, um mein Gepäck rauszunehmen. Die beiden kleineren Lastwagen für das Geld waren hingegen vorerst an dem flachen Bunkergebäude stehen geblieben, weil sie da Niemanden stören dürften. Blieb jetzt nur abzuwarten, ob ich mich an Iljah rein menschlich gesehen weiterhin tendenziell eher stören würde, oder ob er eigentlich ganz in Ordnung war. Ich hoffte wirklich auf letzteres, hatte Hunter ihn doch auf geschäftlicher Basis als eher unkomplizierten und absolut nicht mit Vahagn vergleichbaren Typen beschrieben. Vielleicht hatte er also einfach nur einen gewöhnungsbedürftigen Humor und war sonst okay.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Der Rest des Fluges verlief dann im Gegensatz zum Start verhältnismäßig ruhig. Ich hatte mir über den Streit bereits wenige Minuten danach schon keine größeren Gedanken mehr gemacht, weil ich einfach wusste, dass wir früher oder später wieder zueinander finden würden. Zu sagen, dass mich das nicht verletzt hatte, was Tauren mir an den Kopf geworfen hatte, kurz bevor er angepisst abgedampft war, wäre zwar gelogen, aber in dem Fall nur fair, wo ich mich doch auch nicht gerade vorbildlich verhalten hatte. Etwas erwidert hatte ich darauf allerdings nicht mehr, weil mir die ganze Unterhaltung bis dahin schon zu blöd gewesen war - ich auch ganz einfach keinen Sinn darin gesehen hatte - und deshalb wartete ich bloß schweigend darauf, dass der Norweger seinen Hintern wieder neben seinem Landsmann parkte, um mich für den Rest des Fluges schließlich in Ruhe zu lassen. Ich beschäftigte mich dann in den darauffolgenden Stunden ein wenig mit meinem Handy, tigerte aus Langeweile ab und an durch den Gang und verschlief letztlich den Halt in Frankreich wie angekündigt, um nach einer geschätzten Ewigkeit dann relativ ausgeruht russischen Boden zu betreten. Kurz vor der Landung hatte ich in meinem Koffer nach einer der dickeren Jacken gekramt, die ich in weiser Voraussicht der anstehenden Temperaturunterschiede eingepackt hatte. In Moskau würde uns nämlich kaum die Sonne mit ihren angenehmen dreißig Grad auf den Pelz scheinen und ich konnte auf eine Erkältung aktuell gut und gerne verzichten. Dass ich den anhaltenden Frost inzwischen kaum mehr gewohnt war, wurde wohl ziemlich offensichtlich, als ich den Jungs bei der Verladung des Geldes zur Seite stand. Weil ich mich nämlich nicht besonders viel bewegte, sondern das ganze Prozedere lediglich mit meinen Augen verfolgte, nachdem ich die Fahrer zu dem Bunker gelotst hatte, kroch mir die Kälte förmlich in jeden einzelnen Knochen. Demnach war ich auch ganz froh, als es dann endlich hieß, dass wir uns in den Unterschlupf - was in dem Fall bei Iljah Zuhause war - zurückziehen würden, auch wenn ich bezüglich des Aufeinandertreffens immer noch gewissermaßen besorgt war. Allerdings hielt ich mich mit jedem Wort, das dahingehend zu viel gewesen wäre, gekonnt zurück und hoffte einfach still und heimlich, dass alles gut gehen würde. Nicht am ersten Tag schon Köpfe rollten und ich mich in aller Ruhe vor dem Kamin aufwärmen konnte. Von den abgelegenen Bunkern bis zu Iljahs Haus brauchte es ebenfalls eine recht lange Zeit, wobei das mit dem Flug natürlich nicht im Ansatz zu vergleichen war. Nach etwas mehr als fünfundvierzig Minuten Fahrt hielt der Wagen dann auch schon in der großen Auffahrt vor dem Haus an und ich stieg, ohne Tauren eines weiteren Blickes zu würdigen, weil ich an einer Unterhaltung noch nicht wieder interessiert war, schließlich aus, um mich schon bald meinem Köfferchen anzunehmen und mit diesem ungeachtet der hinter mir herumfuhrwerkelnden Männer die Haustür anzusteuern. Ab hier durfte dann gerne mein geliebtes Brüderchen die Koordination und Organisation übernehmen, ich war wirklich fertig für heute. Sowohl physisch - so ein Flug ging nun mal einfach nicht spurlos an einem vorbei -, als auch psychisch. Es war in Russland zwar noch früh am Tag - vierzehn Uhr, um genau zu sein -, aber mich würden heute keine zehn Pferde mehr vor die Tür kriegen. Erst recht nicht bei dieser beschissenen Kälte, die meine Finger beim Ausstrecken nach der Klingel wie bekloppt zittern ließ. Mittlerweile war ich doch einfach weitaus wärmere Temperaturen gewohnt, aber aktuell empfand ich vermutlich sowieso fast alles als absolut untragbar, bis die Beschwerden in ein paar Tagen dann wieder Schnee von gestern waren. Gerade als ich den Knopf nahe der Haustür betätigt und damit eine Melodie im Inneren des Hauses ausgelöst hatte, schloss der Norweger mit seinem Gepäck zu mir auf, was ich mit einem leisen Seufzen und einem flüchtigen Blick in seine Richtung quittierte. Nur wenige Sekunden später schwang dann auch schon die Tür vor unserer Nase auf und Iljah begrüßte uns mit einem Grinsen im Gesicht, dass sich über beide Ohren erstreckte. Ich war mir schon an dem Punkt nicht wirklich sicher, ob umdrehen und sich ein Hotel nehmen nicht eventuell doch die deutlich angenehmere und stressfreiere Variante war, aber ich erinnerte mich leider ein bisschen zu schnell daran, dass für so unnötige Aktionen momentan einfach das Geld fehlte. Also folgte ein weiteres, dieses Mal deutlich lauteres Seufzen, als ich meinen Bruder mit einem knappen "Hi." begrüßte. Daraufhin folgte noch die Frage nach dem Wohlbefinden, die ich ihm allerdings rein aus Gewohnheit in unserer Muttersprache stellte, ehe ich zu guter Letzt noch fragte, ob wir denn reinkommen dürften, weil er bis dato noch keinerlei Anstalten gemacht hatte, aus dem Weg zu gehen. Als er letztlich einen Schritt zur Seite trat, um uns damit im deutlich wärmeren Teil des Hauses zu begrüßen, lachte mir auf ein paar Meter Entfernung allerdings auch schon ein weiteres, nur allzu bekanntes Gesicht entgegen und ab da war der Rest des Tages dann gänzlich im Eimer. Mein Gesichtsausdruck verfinsterte sich schlagartig und ich rollte bloß mit den Augen, als ich mich an dem stämmigen Russen vorbei schob, um zielstrebig mein altes Kinderzimmer aufzusuchen, in dem ich immer dann übernachtete, wenn es mich mal in Situationen wie diesen hier nach Russland verschlug. Dort fühlte ich mich zumindest ein klein wenig geborgen, auch wenn der eigentliche Bezug zu den Räumlichkeiten schon lange nicht mehr vorhanden war. Über die Jahre hatte sich doch auch die Inneneinrichtung etwas geändert und lediglich die pinke Wand mit den zahlreichen Sternenstickern war von früher noch übrig geblieben. Ich war nur noch wenige Schritte von der Zimmertür entfernt, als ich die tiefe Stimme Iljahs hinter mir noch einmal vernahm. Er sprach auf Englisch zu mir, damit auch Tauren uns verstehen konnte, als er fragte: "Willst du uns nicht mit deinem Freund bekannt machen?" Uns. Michail und ihn. Ein absolut fürchterliches und unzertrennliches Duo, seit unsere Eltern nicht mehr waren. Wenn man es nicht besser wusste, könnte man behaupten, die beiden wären schwul oder mindestens ebenfalls verwandt, so innig war diese freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden. Die Anwesenheit des Weißrussen bestätigte mich im Übrigen kurzerhand nur noch mehr darin, dass der ganze Aufenthalt auf kurz oder lang ziemlich sicher in einer einzigen Katastrophe enden würde, weshalb sich meine Lust, Iljahs Frage und indirekter Aufforderung zu antworten irgendwie in Grenzen hielt. "Ihr kennt euch doch schon.", antwortete ich mit einem Schulterzucken und legte noch im gleichen Moment meine Hand an die Türklinke, in der Hoffnung, dass ich damit der weiteren Unterhaltung aus dem Weg gehen konnte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich folgte Vahagn mitsamt dem Rest der Sippschaft in meinem Rücken und versuchte dabei unbewusst die Schultern durch leichtes Wackeln und Kreisen etwas aufzulockern. Vielleicht ein bisschen wegen der Kälte und etwas mehr, weil ich einfach angespannt war. Ich stand nicht wirklich unter Strom, aber ich hätte gerade wohl nichts lieber als meine Ruhe. Also so ganz allein ohne eine andere Menschenseele, wieder irgendwo auf einem der Hügel im Tal mit den Tabakfeldern oder so. Einfach nur friedliche, gefühlt fast unberührte Natur ohne jegliche Form von Lärm oder nervtötenden Persönlichkeiten. War halt nur gerade auch unabhängig der Tatsache, dass ich mich in diesem auf mich eher ungemütlich wirkenden Land nicht auskannte, absolut nicht drin und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich dem Zusammentreffen zu stellen, als ein bekanntes Gesicht die Tür öffnete. Auch dieses Mal war ich mir nicht ganz sicher damit, was ich von diesem Grinsen halten sollte, das einen im ersten Moment förmlich erschlug. Ich meine, ja, okay, wenn das mit den Blüten alles glatt über die Bühne ging, dann hatte Iljah sicher einen sehr guten Grund bester Laune zu sein, aber vermutlich war jeder einzelne der Typen, die hier gerade auf seiner Türschwelle aufkreuzten - und auch Vahagn -, eher nicht so super gelaunt. Lange Reisen waren anstrengend, da durfte man meiner Meinung nach also auch nicht allzu viel verlangen. Ich überließ die beiden Geschwister erst einmal ihrer Art von Begrüßungsritual und hielt mich dabei etwas im Hintergrund. Fasste dann noch immer schweigend, erst einmal die Situation analysierend den zweiten Kerl ins Auge, der zu sehen war, als Vahagn sich dann als erste nach drinnen verzog. Angesichts der Tatsache, dass sie ihn nicht mal mit dem Arsch anschaute, sondern ihn geflissentlich zu ignorieren schien, war nicht wirklich schwer zu erraten, um welche ungeliebte Person es sich bei ihm handelte - Michail. Ich besah ihn mir jedoch erst einmal nur recht flüchtig und sah lieber der Brünetten nach, als sie sich ziemlich zielstrebig verdünnisierte. Auch ihr älterer Bruder schien sie dabei nicht mehr umstimmen zu können und ehrlich gesagt stand mir auch nicht wirklich der Sinn danach sie davon abzuhalten sich zu verziehen. Ich konnte auf ihre schlechte Laune gerade gut verzichten, wäre sie doch nichts als kontraproduktiv und deshalb seufzte ich dann nach ihren letzten Worten leise, bevor ich den Kopf zu Iljah drehte und ihm die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte. "Hi. Schön, dass wir uns diesmal unter wesentlich erfreulicheren Bedingungen sehen.", begrüßte ich den Schwarzhaarigen begleitend auch mit ein paar Worten, die angesichts seiner heute ganz besonders launischen Schwester vielleicht ein kleines bisschen ironisch angehaucht waren. Aber grundlegend war der Anlass hier bei unserer zweiten Begegnung natürlich weit besser als beim ersten Mal, als er die frisch zusammengeflickte Brünette bei mir abgeliefert hatte. Meine Worte waren also durchaus ernst gemeint und das unterstrichen auch die nach oben zuckenden Mundwinkel ganz gut. Der Handschlag fiel wie gewohnt für meine Verhältnisse zwar eher locker und wenig förmlich aus, hatte aber trotzdem den gewissen Druck, der die Ernsthaftigkeit dabei unterstrich. Niemand mochte einen lauen Händedruck, der unsicher wirkte. Die Reisetaschen hing mit dem Tragegurt noch immer über der Schulter der freien, linken Hand, als ich die andere wieder sinken ließ. Ich sah Iljah nur noch einen Moment lang an, bevor ich endgültig ins Haus eintrat und mit einem schwachen Handzeichen der linken Hand den paar Männern hinter mir bedeutete, dass sie folgen sollten. Meine Augen lagen dabei schon auf Michail und ich schloss selbstbewusst die paar Schritte zu ihm auf, um mich ihm des Anstands wegen ebenso vorzustellen. Ich konnte vielleicht nicht unvoreingenommen an ihn herantreten, aber ich hatte mir so einige Manieren die letzten Jahre über selbst beigebracht, nachdem meine Eltern damit beide ziemlich versagt hatte. Mein Vater noch deutlich mehr als meine Mutter, aber auch letztere hatte mir nur wenig Gutes mit auf den Weg gegeben. Mangelnder Respekt brachte einem jedenfalls häufig Ärger ein und so hielt ich auch Michail meine Hand hin, als ich ihn mit den Worten "Michail, nehme ich an..? Ich bin Tauren." begrüßte. Ich hielt mich an einen neutralen Tonfall und an eher schlichte Wortwahl, weil ich keinen Schimmer davon hatte wie so seine Englisch-Kenntnisse waren, aber im Grunde war mir wohl auch vollkommen egal, ob er mich verstand. Ich würde zukünftig bevorzugt ohnehin nicht mehr Worte mit dem Kerl wechseln, als unbedingt notwendig waren und auch der Handschlag fiel unterbewusst sicherlich kürzer aus als der mit Vahagns Bruder. Letzterer bekam dann auch schon wieder meine volle Aufmerksamkeit, weil der Verflossene - mal nett und freundlich ausgedrückt, so zur Abwechslung - meiner Freundin jene kaum wert war. "Wer zeigt den Jungs die Zimmer? War ein langer Flug.", wandte ich mich mit einer an sich simplen Frage an Iljah. Es waren zwar sicher ein paar der Männer mehr vom Jetlag betroffen als andere, aber es schlief auch nicht jeder gut in einem Flugzeug. Ich hatte gelernt prinzipiell überall und bei jeder Lautstärke pennen zu können, so viel wie sich meine Eltern früher gestritten hatten, aber diese Fähigkeit brachte nicht jeder mit und so konnten ein paar von Ihnen sicher ein bisschen Ruhe brauchen. Außerdem hätte ich wohl auch einfach gerne keine Meute mehr um mich herum oder hinter mir stehen, weil ich mich noch immer nicht restlos mit diesem Gefühl arrangiert hatte. Es hatte zwar auch etwas für sich, aber manchmal nervte es mich fast schon, dass mich alle permanent im Blick hatten und quasi auf Befehle oder Anordnungen warteten. Sollten sie sich ruhig ein bisschen ausruhen und je nachdem wonach dem älteren Gniwek der Sinn stand, konnten wir uns ein bisschen unterhalten - unter vier Augen, einen Michail würde ich dabei nur ungern dulden... und Hunter auch nicht, falls das Gesprächsthema teilweise auf Geschäftliches umschwenkte - oder ich schloss einfach zu seiner Schwester auf. Weniger um aktiv die Wogen glätten zu wollen und mehr nur, weil die Pestbeule von Exfreund in diesem Raum mit Abstand am unwahrscheinlichsten anzutreffen war. Außerdem musste ich die Tasche so oder so früher oder später loswerden, würde sie hier aber nicht wahllos als Zwischenlösung einfach irgendwo abstellen. Solange sie nicht in Vahagns Zimmer platziert war stand es ganz außer Frage mein Zeug aus den Augen zu lassen. Vertrauen war schön und gut, aber Kontrolle war bei Geschäften einfach deutlich wichtiger. Das machte Hunter seinen Männern schon zu Beginn klar und genau deswegen froren die Typen sich am Bunker ja gerade auch die Ärsche ab - Kontrolle, nicht Vertrauen. Allerdings hatten sie mit der ersten Schicht, die lediglich vom heutigen Mittag bis zum Abend ging, wohl auch die kürzeste erwischt und konnten sich danach einer recht langen Nacht erfreuen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Familie war in meinen Augen ja schon etwas Schönes. Ungeachtet sämtlicher Differenzen war es die Verwandtschaft, die einen oft bedingungslos den Rücken stärkte, wenn der Rest der Welt gerade gegen einen war. Sie nahm einen Teil der Probleme eines jeden einzelnen Familienmitgliedes auf sich, sodass man unter der Last nicht mehr gänzlich begraben wurde. Half einem damit durch die schweren Zeiten des Lebens und wenn die Sonne wieder hoch oben am Himmelszelt stand, dann erlebte man allerlei schöne Dinge mit seinen Eltern, Großeltern oder Geschwistern. Es sei denn, im Stammbaum tauchte irgendwo der Name Vahagn Gniwek auf, die in mancherlei Hinsicht das komplette Gegenteil von all dem war. Ich würde nicht bezweifeln, dass mir meine kleine Schwester nicht aus der Scheiße helfen würde, wenn ich sie tatsächlich brauchte - sah man ja an der aktuellen Situation ganz besonders gut -, aber zu sagen, dass wir mehr positive, als negative Erfahrungen miteinander gesammelt hatten, wäre wohl schlicht und ergreifend gelogen. Und ich konnte ehrlich gesagt nicht verstehen, woran das lag. Ich liebte meine Schwester und sie mich ganz offensichtlich auch, trotzdem stellte sie meine Geduld und meine ohnehin schon strapazierten Nerven mit jedem Besuch aufs Neue auf die Probe. Das letzte Mal war ich deshalb zugegebenermaßen wirklich froh gewesen, als sie gemeinsam mit Hunter wieder nach Kuba abgereist war, weil sie mir ständig wegen der Geldwäscherei und der damit verbundenen Planung in den Ohren gelegen hatte. Heute allerdings hatte ich mich wirklich gefreut, sie wiederzusehen. Seit dem Großauftrag der Kasachen entspannte sich die Lage in der Firma fortlaufend und ich war nicht mehr jeden Tag so gestresst. Außerdem half mir auch Irina ein bisschen dabei, auf andere Gedanken zu kommen und demnach hätten das ein paar richtig schöne Tage werden können, in denen Vahagn mit ein paar von Hunters Jungs bei mir campieren würde. Der Empfang fiel allerdings weniger herzlich aus und wollte sich auch mit einem lockeren Gesprächsansatz irgendwie nicht in eine halbwegs angenehme Richtung lenken lassen. Die Brünette verschwand daraufhin keine fünf Minuten, nachdem sie das Haus betreten hatte, auch schon in ihrem alten Kinderzimmer und ließ damit das eingangs sehr zufrieden wirkende Grinsen fast vollständig wieder verblassen. Dabei hatte ich gehofft, sie würde mir - offen, wie sie das mir gegenüber sonst auch immer war - vielleicht erst einmal ihren Freund vorstellen, bei der ich sie auf eigenen Wunsch vor einer ganzen Weile abgeliefert hatte, aber danach stand ihr scheinbar weniger der Sinn. Grundlegend wusste ich natürlich, mit wem ich es hier zutun hatte, wollte mich mehr nur mit der kleinen Zicke ein wenig unterhalten, aber dann sollte sie sich erst einmal zurückziehen und sich beruhigen. Der Tag war schließlich noch lang, vielleicht hatte sie ja heute Abend Lust, sich ein wenig auszutauschen. Irgendwann würde Vahagn ganz sicher auf mich zukommen. Tauren hingegen hatte in dem Punkt deutlich mehr Manieren und ich erwiderte den kräftigen Händedruck des jungen Mannes mit einem nur noch schmalen Lächeln auf den Lippen. "Freut mich auch.", erwiderte ich nur knapp ein paar wahrheitsgemäße Worte auf den Umstand des Wiedersehens, kurz bevor er sich auch Michail vorstellte, der aus dem Wohnzimmer ein paar Schritte zu uns aufgeschlossen hatte. Der brünette Weißrusse, der Tauren und mich in der Größe um wenige Zentimeter überragte, war freundlich und aufgeschlossen, wie sonst auch und erwiderte die Begrüßung mit der darauf üblichen Standardantwort, indem er sich ebenfalls mit seinem Namen vorstellte. Die Aufmerksamkeit des Norwegers lag kurz darauf allerdings schon wieder vollumfänglich auf mir, als er sich danach erkundigte, wer sich um den überwiegend ziemlich müde wirkenden Rest der Gefolgschaft kümmern sollte, die zu einem Teil bereits im Flur, ein paar wenige aber noch draußen vor der Tür standen und ich bat mit einem aussagekräftigen Nicken und den Worten "Michail wird das machen." meinen Mitbewohner darum, Hunters Männern ihre Zimmer im weitaus abgelegeneren Teil des Hauses zu zeigen. Michail setzte sich ohne Widerworte und bei bester Laune in Bewegung, um meiner Aufforderung direkt nachzukommen, sodass bald nur noch der Freund meiner Schwester und ich im Flur standen. Mit einer beiläufigen Handbewegung signalisierte ich diesem, dass er gerne schon im Wohnbereich des Hauses auf der Couch Platz nehmen sollte, während ich die Haustür zurück ins Schloss fallen ließ, um dann zu ihm aufzuschließen. "Musstest du das den ganzen Flug ertragen?", fragte ich leise seufzend mit einem Nicken in Richtung Vahagns Zimmer, als ich mich gerade auf einem der gepolsterten Hocker dem norwegischen Jüngling gegenüber hatte fallen lassen. Zuvor hatte ich von einer der im Wohnzimmer befindlichen Kommoden zwei Gläser und eine Flasche Wasser mitgehen lassen, die ich jetzt auf dem Couchtisch abstellte. Anschließend lehnte mich ein wenig nach vorne und stützte die Ellenbogen auf den Knien ab, bevor mein vollkommen ruhiger und neutrale Blick in dem von Tauren lag. Natürlich war meine Frage rein rhetorischer Natur gewesen, war es doch relativ schwer, sich in einem Flugzeug wirklich aus dem Weg zu gehen. Eigentlich wollte ich mich dadurch auch nur unterschwellig danach erkundigen, ob der Mann, der es geschafft hatte, sich das verkrüppelte Herz meiner Schwester zu angeln, eventuell auch wusste, warum sie zurzeit so schlecht drauf war. Mittlerweile konnte es nämlich nicht mehr daran liegen, dass sie halb durchlöchert meine fiesen Witze ertragen musste oder ich anderweitig Späße auf ihre Kosten machte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es schien als wäre ich Michail zumindest für den Moment erst einmal los, was mich doch gleich ein klein wenig entspannen ließ und mich erleichterte. Ich war dadurch zwar nicht automatisch die Ruhe selbst, weil die erneute Diskussion mit Vahagn, der lange Flug und all die stressigen Tage zuvor mir einfach nach wie vor in den Knochen hingen, aber es war immerhin ein kleiner Lichtblick. Ich wechselte nach Iljahs Antwort noch kurze Blicke mit dem Rest von Hunters Männern, die allesamt froh darüber zu sein schienen erst einmal etwas Ruhe zu kriegen, bevor mein Blick wieder zurück zum Hausherren schwenkte. Er bedeutete mir schon einmal ins Wohnzimmer zu gehen und ich nickte schwach, bevor ich mich ohne zu zögern in Bewegung setzte. Dabei fing ich wohl zum ersten Mal damit an die Umgebung aktiv etwas akribischer zu mustern, wobei ich aber natürlich nicht wirklich etwas Ungewöhnliches entdeckte. Solange Michail nicht da war - und Vahagn mit ihrem genervten Gesichtsausdruck nicht anwesend war - fühlte ich mich für den Moment ganz wohl, als ich am Sofa ankam und die Reisetasche unweit davon auf dem Boden abstellte. Iljah brachte etwas zu Trinken mit und dafür war ich tatsächlich auch ganz dankbar, weshalb ich ihm diesbezüglich ein gut sichtbares Nicken zukommen ließ. Gastfreundschaft war heutzutage stellenweise auch rar gesät und ich wusste sie durchaus zu schätzen, zeigte das gerne. Vahagns Bruder stellte mir schon bald eine Frage und ich griff erst einmal mit einem leisen Seufzen nach einem der Gläser und der Wasserflasche, um mir etwas einzuschenken. Noch während ich das Wasser wieder zuschraubte setzte ich zum Reden an. "Nur den ganzen Flug?", stellte ich ihm eine rein rhetorische, ironische Gegenfrage. Schön wär's. Es hätte mir einiges erspart, wenn ich die launische, pessimistische Ader meiner Freundin nur für 20 Stunden, statt für gefühlt 20 Tage hätte ertragen müssen. Ich schob mich erst einmal mit dem Rücken an die Lehne zurück, bevor ich ihm noch eine etwas ausführlichere Antwort gab. "Sie ist schon mies drauf seit sie erfahren hat, dass ich mit nach Russland komme.", ließ ich Iljah wissen wie es in etwa um die Gefühlslage seiner jüngeren Schwester stand und dass sich jene auch schon seit einer ganzen Weile tendenziell vermehrt nach unten bewegte. Ich hatte ja wirklich versucht sie immer wieder etwas aufzuheitern, aber das hatte offensichtlich nur sehr bedingt funktioniert. Zwar schien Sex sie hier und da immerhin ein bisschen entspannen zu können, aber wirklich von langer Dauer war das eben auch nie und ansonsten war die Brünette ziemlich immun gegen sämtliche meiner guten Argumente oder lieben Worte. Vahagn hatte einen sehr strikten Tunnelblick entwickelt und sie würde den wohl auch nicht mehr ablegen, bevor sie sich sicher damit war, dass all ihre Bedenken umsonst gewesen wären. Mich damit einfach abzufinden fiel mir als sehr hilfsbereiten Menschen nur leider sehr schwer. Ich nahm ein paar Schlucke aus dem Glas, was zumindest den aufkommenden, leichten Durst zu stillen vermochte. "Ich glaube sie denkt, dass ich mit Russen... oder ganz allgemein den Umständen hier nicht klarkomme und ist deswegen schon seit Tagen angepisst.", veräußerte ich seufzend noch ein paar letzte Worte dazu, die wohl etwas verallgemeinert waren. Sie entsprachen zwar durchaus so auch der Wahrheit, aber das Hauptaugenmerk lag dabei wohl nach wie vor auf der ungünstigen Situation mit ihrem Ex-Freund. Vielleicht war das russische Volk zwar auch an und für sich ein bisschen speziell, aber ich war ja grundsätzlich ein wirklich anpassungsfähiger und einfühlsamer Mensch. Mich auf andere, mir fremde Menschen einzustellen fiel mir nicht schwer, dahingehend gab es also schlichtweg keinen Grund dazu sich Sorgen zu machen. Sah Vahagn offensichtlich ganz anders. Mein Blick lag aber ziemlich ruhig in Iljahs, gab zumindest er mir aktuell ja keinerlei Gründe dafür mich auch noch aufzuregen. Das Glas behielt ich in der rechten Hand und stellte es dabei locker auf meinem Oberschenkel ab. Ich würde es sicherlich ohnehin zeitnah leermachen und es zwischendurch auf dem Couchtisch abzustellen schien mir da ein unnötiger Bewegungsaufwand zu sein, den ich mir ganz einfach sparen wollte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Taurens Antwort überraschte mich nicht. Vahagn hatte sich bereits nach dem Tod unserer Mutter verändert und als Vater dann auch noch von uns gegangen war, konnte man dem Fall ihrer sozialen Kompetenzen und der Freude am Leben förmlich zusehen. Sie lachte nicht mehr besonders viel und war grundsätzlich immer in irgendeiner Form genervt. Mal war es weniger schlimm, sodass man sich mit ihr immerhin noch ein Stück weit unterhalten konnte, in Fällen wie diesen hier ließ man sie dann aber doch lieber in Ruhe. Jeder Versuch, die Brünette aufzuheitern, würde sich sowieso im Sande verlaufen, denn wenn sie keine Lust hatte, gut drauf zu sein, dann blockte sie positive sehr Stimmung konsequent ab. Tauren konnte einem da in gewisser Hinsicht also nur leid tun, wenn er sich tatsächlich tagtäglich mit der miserablen Laune auseinander setzen musste. Mehr als ein leises Seufzen ließ ich von mir jedoch erst einmal nicht hören, weil ich mir kurze Zeit später ebenfalls Wasser in eines der Gläser füllte, um daraus den ein oder anderen Schluck zu nehmen. Für ein bis anderthalb Minuten wurde es daher ganz still, aber als wirklich bedrückend empfand ich die Ruhe keinesfalls. Sie half mir persönlich eher dabei, mir passende Worte für eine entsprechende Antwort zurechtzulegen, über die ich tatsächlich eine kleine Weile nachdenken musste. Manchmal schaffte es meine Schwester doch echt, mich sprachlos zu machen. "Vielleicht hat sie hier ja irgendwelche Geheimnisse, der du nicht auf den Grund gehen sollst?", mutmaßte ich mit einem belustigten Grinsen, weil es in meinen Augen nun mal einfach keine triftigen Gründe dafür gab, schlecht gelaunt zu sein, nur weil der eigene Freund mit ihr zusammen ins Heimatland reiste. Viel mehr sollte sie sich doch eigentlich freuen, ihm zeigen zu können, wo sie aufgewachsen ist und gerade Moskau hatte die ein oder andere nette Sehenswürdigkeit. Dass Vahagn aber ganz offensichtlich nicht besonders viel von unserer Nationalität und dem Land hielt und es dem Norweger offenbar nicht zutraute, sich im Umgang mit den Russen anzupassen, ließ mich nur ein wenig mit dem Kopf schütteln. "Na ja, Spaß beiseite. Ich denke, dass ich dich dahingehend beruhigen kann, wenn du da nicht ohnehin schon kaum was drauf gegeben hast. So sehr unterscheiden sich die Russen nun auch wieder nicht von anderen Nationalitäten. Vielleicht haben wir einen etwas schrägen Sinn für Humor und sind in mancherlei Hinsicht sehr rabiat, aber solange man uns nicht auf die Nerven geht, hat man eigentlich nichts zu befürchten.", ergänzte ich meine vorangegangen Worte noch um meine ganz persönliche Meinung zu dem ganzen Tohuwabohu seitens Vahagn, der in meinen Augen vollkommen überzogen war. Außerdem würden die beiden ja nicht für ewig hierbleiben, ein Ende war abzusehen, sobald die Sache mit der Geldwäsche erst einmal richtig in die Vollen ging. "Aber sie wird sich schon wieder beruhigen, da bin ich mir ziemlich sicher. Falls sie sich nach dem Abendessen immer noch aufführt wie ein pubertierendes Kleinkind, kann ich dir noch ein freies Zimmer auf der anderen Seite des Hauses anbieten.", ließ ich Tauren wissen, dass meine jüngere Schwester für gewöhnlich immer nur ein bisschen Zeit brauchte, bis man sich wieder halbwegs vernünftig mit ihr unterhalten konnte und sollte sich die schlechte Laune heute ganz besonders hartnäckig halten, gab es dann durchaus noch die Möglichkeit, ihr weiterhin aus dem Weg zu gehen. Ich ging zum jetzigen Zeitpunkt nämlich eigentlich davon aus, dass sich die beiden ursprünglich Vahagns Zimmer teilen wollten, aber ich könnte wohl auch gut und gerne darauf verzichten, eine Person mit derart viel negativer Ausstrahlung neben mir liegen zu haben. Da schlief es sich meiner Meinung nach einfach nicht wirklich gut. Im Bezug auf so manche Dinge konnte ich schon verstehen, dass sich meine jüngere Schwester den Kopf zerbrach, aber irgendwann musste man auch mal einen Punkt setzen. Sie konnte mir schließlich nicht erzählen, dass sie dort hingekommen war, wo sie in Italien letztlich gestanden hatte, weil sie ständig den Kopf in den Sand gesteckt hatte. Wohl eher nicht. Vielleicht war es gar nicht mal so schlecht, dass sie dieses Mal voraussichtlich etwas länger hier in Russland bleiben würde. Dann konnte ich ihr nämlich auf kurz oder lang mal den Arschtritt geben, der ihn scheinbar fehlte, um wieder gerade in der Spur zu laufen. Tauren war was das anging wohl noch ein kleines bisschen zimperlich, was ich ihm noch nicht einmal verübeln konnte, wo es sich doch absolut nicht miteinander vergleichen ließ, wie lange wir die Brünette jeweils kannten. Außerdem hatte ich als ihr Bruder grundlegend einen ganz anderen Draht zu ihr, als es der Norweger jemals haben würde. Was ein Gespräch mit der Brünetten anging war ich daher relativ zuversichtlich, auch wenn sich die Lust definitiv in Grenzen hielt. Ich hatte schließlich genug eigene Probleme, um die ich mich kümmern sollte, eine psychisch instabile Schwester war da eigentlich nichts, womit ich mich jetzt auseinandersetzen wollte, aber gut.
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Ich hoffte doch sehr, dass es nicht noch mehr schlechte Dinge gab, die sie mit Russland verband und die sie mir bisher konsequent verschwieg. So wie die meisten anderen Menschen auch konnte ich mit Geheimnissen innerhalb einer Beziehung nämlich nichts anfangen. Ich wusste zwar, dass Vahagn eindeutig die Sorte Mensch war, die eine ganze Weile lang erst einmal das nötige Vertrauen aufbauen musste, um sich schlussendlich dann auch zu öffnen, aber in meinen Augen gab es schlichtweg nichts, das sie mir nicht sagen könnte. So gut müsste sie mich inzwischen eigentlich auch wirklich kennen. Ich würde sie kaum für Irgendetwas verurteilen, das längst in der Vergangenheit begraben lag - andere Leute aber schon, wofür Michail wohl ein wirklich hervorragendes Beispiel war. Ich brauchte ihn dafür nicht zu kennen und er konnte sich mir gegenüber deshalb auch seine auf den ersten Blick vielleicht freundliche Ader sparen. Er hatte einem Menschen, der mir sehr am Herzen lag, Unrecht getan und fiel damit schlichtweg automatisch in die Sparte Feind, aus der man gerade bei mir nur schwer wieder herauskam. Wäre womöglich was anderes, wenn er das Ganze kundtun und es vor allem auch vor Vahagns Bruder offenbaren würde, statt weiterhin so zu tun, als wäre das Alles nie passiert. Zumal es mich ohnehin auch wahnsinnig interessieren würde, was dann eigentlich passierte. Ich konnte Iljah bis jetzt so gut wie gar nicht einschätzen, konnte mir aber wiederum trotzdem nicht vorstellen, dass ihm sowas vollkommen egal wäre. Sie war schließlich seine Schwester. "Bitte nicht.", war alles, was ich ironisch noch zu der Sache mit den Geheimnissen sagte, bevor ich das Glas ein weiteres Mal zum Trinken anhob und dabei den noch folgenden Worten des Schwarzhaarigen mein Gehör schenkte. Sobald das Glas mit nur noch ein paar kleinen Schlucken Wasser erneut nahe meines Knies seinen Platz auf meinem Bein fand, nickte ich langsam. Immerhin gab es damit mehr oder weniger genau das wieder, was ich schon die ganze Zeit dachte und sagte - Vahagn übertrieb einfach maßlos und ich würde nur unwahrscheinlich Probleme mit dem russischen Volk hier kriegen, wenn ich Niemandem gezielt auf die Füße trat. Letzteres war sowieso nicht mein Ding und das war auch so ziemlich jedem Menschen bekannt, der mich schon eine Weile lang in Person kannte. Ich war allein schon aus dem Prinzip her rücksichtsvoll, dass ich das von anderen genauso erwartete, wenn sie eine neutrale bis gute Beziehung zu mir anstrebten. Man konnte eben nicht erwarten, dass einem Kuchen geschenkt und der rote Teppich für einen ausgerollt wurde, wenn man sich wie die Axt im Wald verhielt. Das war wohl auch so einer der Gründe dafür, dass das Vertrauen zwischen Hunter und mir sehr oft gelitten hatte und sich erst jetzt stetig wieder aufzubauen begann. Aber selbst mit dem Amerikaner war ich jetzt auf einem wirklich guten Weg, da würde ich also mit ein paar Russen sicher genauso klarkommen. "Ja, eben... und ich kenn echt viele Typen mit staubtrockenem bis tiefschwarzem Humor, also ist das eigentlich nichts Neues für mich.", meinte ich verständnislos mit einem Schulterzucken. Ashton war dafür auch ein sehr gutes Beispiel. Er war so der Typ Mensch, der sich darüber amüsierte, wenn eine kürzlich umgelegte Person in lustig anzusehender Körperhaltung liegenblieb. Der auch sehr gerne permanent mit Witzen auf Kosten Anderer um sich schmiss, wenn auch oft nicht wirklich ernst gemeint. Er war einfach sehr direkt und man konnte ihn wahrscheinlich nur mögen oder hassen, weil er einen mit Worten schon auch mal in den Wahnsinn treiben konnte. Aber gut, er war eben schon so etliche Jahre mit Hunter befreundet, da sollte einen das nicht mehr wundern. Zwar war letzterer nach wie vor eine ganze andere Liga was schräg sein anging, aber man konnte wohl nur sein bester Freund werden, wenn man ähnlich bekloppt im Schädel war. Iljah bot mir im Verlauf dann für den Ernstfall auch noch ein anderes Zimmer an. Ich hoffte zwar wirklich nicht, dass es notwendig sein würde mich zum Schlafen in einen anderen Raum zu verziehen, aber falls doch würde ich darauf wohl zurückkommen. Wie gesagt konnte ich zwar unter fast allen Umständen gut schlafen, aber aktuell war es eigentlich schon notwendig, dass ich auch wirklich halbwegs gut schlief - so weit, wie das mit Jetlag in einer vollkommen fremden Umgebung eben möglich war. Ich musste körperlich und geistig fit sein, um hier alles zu Hunters vollster Zufriedenheit ausführen zu können und das ging ganz einfach nicht, wenn ich aufgrund mangelnden Schlafs ziemlich müde war. "Ich hoffe zwar wirklich nicht, dass das notwendig sein wird... aber falls doch, nehm' ich das gerne an.", sprach ich ihm indirekt und mit einem weiteren, aber kaum sichtbaren Nicken auch für dieses Angebot meinen Dank aus. Trotzdem würde ich es wenn irgendwie möglich wahrscheinlich strikt vermeiden Vahagn die Nacht über allein zu lassen. Einfach nur um mein eigenes, mulmiges Bauchgefühl bezüglich Michail so weit es ging zu unterbinden. Er müsste zwar gewissermaßen ein bisschen sehr lebensmüde dazu sein sich ihr aufdrängen zu wollen, wenn ihr Freund mitsamt Verstärkung im selben Haus schlief, aber ich kannte ihn ganz einfach nicht. Risiken waren nie gut, also lieber gleich im Voraus eindämmen. Der Russe wäre schließlich nicht unbedingt der erste, der mich aufgrund meiner an sich sehr aufgeschlossenen, freundlichen Art in Kombination mit meinem wenig angsteinflößenden Gesicht von vornherein unterschätzte. Anzuraten wäre ihm das jedoch nicht, weil ihm die paar Zentimeter an Körpergröße mehr ganz bestimmt nicht helfen würden.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Es waren jetzt etwa anderthalb Wochen ins Land gezogen, seitdem Tauren und ich gemeinsam mit Hunters Jungs den russischen Boden betreten hatten und ich wollte noch immer nichts sehnlicher, als einfach wieder auf die sonnig warme Insel zurückzukehren. Normalerweise fühlte ich mich bei Iljah Zuhause auch trotz des reichlich unangenehmen Mitbewohners eigentlich ganz wohl, weil ich nun mal selbst am besten wusste, wo ich sämtliche meiner Grenzen abgesteckt hatte und den jungen Weißrussen dementsprechend auch in seine Schranken wies, wenn es mir mit ihm zu blöd wurde. Dass aber plötzlich noch jemand ganz anderes die Situationen beurteilte und an manchen Stellen vermutlich vollkommen falsche Schlüsse zog, ließ diese gewisse Grundanspannung in meinen Schultern fortwährend bestehen. Meine Nerven wären wohl wirklich dankbar dafür gewesen, wenn mein Ex-Freund sich über die Zeit meiner Anwesenheit einfach irgendwo ans andere Ende der Welt verzogen hätte, weil ich mich dann nur noch um Iljah hätte Sorgen müssen. Der schien sich wider Erwarten aber verhältnismäßig gut mit meinem Freund zu verstehen, was mich nach dem ersten Aufeinandertreffen der beiden doch tatsächlich ein bisschen überraschte. Wirklich gut hatten sie über den jeweils anderen in der Zeit danach nämlich nicht gesprochen. Es war jetzt zwar nicht so, als saßen die beiden jeden Abend gemeinsam auf der Couch und amüsierten sich prächtig über das derzeitige Fernsehprogramm, aber sie stritten sich auch nicht und zu Handgreiflichkeiten war es bis dato ebenso wenig gekommen. Das war im Prinzip aber auch schon alles, worauf es in meinen Augen ankam und mehr verlangte ich von den beiden ja gar nicht. Stille Akzeptanz des jeweils anderen. Taten mir beide diesen einen Gefallen, dann trugen sie maßgeblich dazu bei, dass sich die Sorgen hinsichtlich eines erneuten Aufeinandertreffens der mir aktuell wohl wichtigsten Personen im Leben kontinuierlich verflüchtigten und das wiederum wirkte sich natürlich umgehend auf mein allgemein noch eher angeschlagenes Wohlbefinden aus. Nach ein paar Tagen, in denen ich den Umgang zwischen dem Russen und dem Norweger schließlich für respektvoll befunden hatte, hob sich meine Laune also wieder ein bisschen an und ein leises Lachen oder aufrichtiges Lächeln war daraufhin gar nicht mehr so selten, wie noch an den Tagen davor. Allerdings war Iljah nur eines von insgesamt zwei Problemfällen hier in diesem Haus. Michail war schließlich auch noch da und ich konnte wohl von Glück reden, dass er sich immer nur dann blicken ließ, wenn Tauren und Iljah gerade unterwegs waren. Wirklich viel zu tun hatte ich hier schließlich nicht und wenn ich nicht gerade doch das ein oder andere buchhalterische Problem des Mutterkonzerns nach mir rief, dann machte ich immer mal wieder einen Abstecher in die Stadt, um Konfrontationen mit dem Weißrussen von vornherein aus dem Weg zu gehen. Vielleicht auch ein kleines bisschen deshalb, damit sich der Norweger nicht allzu viele Gedanken machen musste, was alles tendenziell passieren könnte, wenn er mal nicht in unmittelbarer Nähe war. Demnach verbrachte ich ihm zuliebe ziemlich viel Zeit draußen und kam in der Regel abends gemeinsam mit dem Blonden wieder heim. Zwischendurch war ich dann aber doch auch mal daheim geblieben, weil die Außentemperaturen einfach kaum auszuhalten gewesen waren oder ich manchmal auch einfach keine große Lust dazu hatte, mir Moskaus Innenstadt nun bestimmt schon zum Millionsten Male anzusehen. An solchen Tagen handhabte ich den Umgang mit der Made, der aktuell offensichtlich wohl nicht arbeitete oder zufälligerweise gerade dann Urlaub hatte, wenn ich nach langer Zeit mal wieder vorbeischneite, wie ich das üblicherweise tat. Hier und da ließ Michail einen blöden Spruch verlauten, wollte mich an die guten alten Zeiten zurück erinnern oder streifte ab und an mal beiläufig mit seiner Hand meine Schulter oder meinen Oberschenkel. Als Resonanz darauf folgte in den meisten Fällen ein guter Konter oder eine klare Ansage, dass er seine Griffel gefälligst bei sich zu behalten hatte, obwohl ich ganz genau wusste, dass er keine Chance ungenutzt lassen würde, mich zu nerven und zu bedrängen, weil es ihm nach all den Jahren ganz offensichtlich immer noch Spaß machte. Eben weil er nun mal wusste, dass ich mich niemanden anvertrauen würde. Niemanden, der mir wirklich helfen konnte zumindest. Hatte ich seit Jahren nicht, warum sollte ich meinem Bruder gegenüber also genau jetzt mit der Sprache herausrücken? Das passte alles einfach nicht zusammen und darüber war er sich eindeutig im Klaren. Die Zwischenfälle der letzten Tage hatte ich selbstredend für mich behalten, um Stress ganz einfach zu vermeiden, aber heute schien mir das Schicksal dafür ordentlich eins auf die Mütze geben zu wollen. Und eines musste man dem Leben ja lassen: Wenn es von einer getroffenen Entscheidung so gar nicht begeistert war, konnte es schon mal richtig unangenehm und gemein werden... Tauren und Iljah waren wieder einmal außer Haus, dürften aber laut der Uhrzeit meines Handydisplays wohl jeden Moment durch die Tür schneien, als ich gerade die Duschkabine verlassen und mir ein großes Handtuch um den Körper gelegt hatte. Ein paar Minuten lang widmete ich mich vor dem Badezimmerspiegel noch der Hautpflege und auch meine Haare wollten noch geföhnt werden. Alles in allem verstrichen sicherlich an die zwanzig Minuten, bis ich aus dem Bad rüber ins Schlafzimmer huschte, um dort nach meiner Unterwäsche, einer hellblauen Jeans und einem weißen Top zu kramen. Aus Gewohnheit verschloss ich dabei hier in Russland natürlich immer ganz brav die Tür hinter mir, weil ich meine Pappenheimer nun mal zur Genüge kannte und das zudem eine der Präventionsmaßnamen gegen mögliche Konflikte mit Michail war. Allerdings schien mich der auf Kuba so vertraute Umgang mit Tauren einige meiner hier in meinem Heimatland vorherrschenden Prinzipien schlichtweg vergessen zu lassen. Lange Rede, kurzer Sinn - die Tür hinter mir war lediglich angelehnt. Noch nicht einmal ins Schloss gefallen und den Schlüssel herumgedreht hatte ich auch nicht. Demnach hätte mir eigentlich klar sein müssen, dass sich der hauseigene Geist - der mir tot tatsächlich sehr viel lieber gewesen wäre, als lebendig - direkt dazu animiert fühlte, diesen Umstand auszunutzen. Ich hatte Michail bereits im Augenwinkel wahrgenommen, als ich das Badezimmer verlassen hatte, aber es schien mir, als wollte er auf der anderen Seite des Hauses, dort wo die Zimmer von Hunters Jungs lagen, nach dem Rechten sehen gehen. Ich hatte ihn daher nicht weiter beachtet, was mich geradewegs in nachfolgende Situation katapultierte. Ich stand mit dem Rücken zur Schlafzimmertür gewandt, als ich durch den Spalt, der offen stand, vernahm, wie im Eingangsbereich die Haustür ins Schloss fiel. Stimmen hörte ich keine und vermutlich hätte mich das schon stutzig machen sollen, aber ich ging, gutgläubig, wie ich in den letzten Wochen, beziehungsweise Monaten durch den Umgang mit Tauren geworden war, natürlich trotzdem davon aus, dass es sich bei den Ankömmlingen nur um meinen Bruder und den Norweger handelte, nicht etwa um den von mir so gehassten Weißrussen, der scheinbar nur abchecken wollte, ob in der Auffahrt bereits Autos parkten. Dementsprechend wenig Sorgen machte ich mir wohl auch, als hinter mir jemand das Zimmer betrat und ich kurze Zeit später eine große, männliche Hand auf dem Hintern spürte. Ich ging selbstredend davon aus, dass diese Hand zu meinem Freund gehörte, der gerade vermeintlich das Haus betreten hatte, weil ich sonst vermutlich nicht derart gelächelt hätte und bei verhältnismäßig bester Laune gewesen wäre. Die Mundwinkel sackten dann aber doch relativ schnell wieder ab, als sich die Worte, die man mir ins Ohr raunte, nicht der englischen Sprache zuordnen ließen. Stattdessen strich die Hand mit ein paar unschönen russischen Titulierungen meiner Wenigkeit über den Stoff der Jeanshose und für den Moment fror ich wohl in der Bewegung, mir gerade das T-Shirt überziehen zu wollen, ein. Und das, obwohl es hier drinnen nun wirklich nicht kalt war. Zumindest nicht, wenn man ein Thermometer befragte.
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Wie bereits von mir prophezeit gestaltete sich die anfängliche Zeit in Russland eigentlich sogar relativ unkompliziert. Natürlich ließ mich allein schon Michails Anwesenheit hier und da gedanklich unnötig ein bisschen hochfahren, aber soweit ich das beurteilen konnte war die Lage trotzdem relativ ruhig und ich versuchte mich nicht zu sehr hineinzusteigern, was ihn anbelangte. Vahagn leistete mir damit auch ziemlich maßgeblich Unterstützung indem sie ihm einfach weitgehend aus dem Weg ging, solange ich nicht bei ihr war. Das war ein durchweg positiver Nebenfaktor, für den ich ihr dankbar war. So schienen wir uns einfach beide vermehrt entspannen zu können und ihre Laune kam auf ein erträgliches Maß zurück - demnach war ein separates Schlafzimmer für mich auch absolut nicht notwendig gewesen. Mal ganz unabhängig von alledem lief auch auf geschäftlicher Basis alles rund. Bisher hatte ich keinerlei Gründe dafür Irgendwas bei Hunter zu beanstanden, es gab keine Zwischenfälle. Dabei war ich eigentlich täglich mehrere Stunden außer Haus. Es gab ein paar Dinge, auf die ich in Iljahs Anwesenheit für Hunter noch einmal ein paar Blicke werfen sollte. Mitunter sollte ich natürlich unter die Lupe nehmen welche Investitionen der Russe mit dem gefälschten Geld zuerst tätigen würde. Der Amerikaner hatte mir zuvor noch übermäßig detailliert geschildert, in welchem Rahmen er sich das zu Beginn vorstellte und obwohl er das natürlich auch schon an Vahagns Bruder weitergeleitet hatte - andernfalls hätte er dahingehend ja kaum Irgendwas vorbereiten können -, sollte ich einfach nochmal einen abschließenden, prüfenden Blick darauf werfen. Ich hatte an der Vorgehensweise des Schwarzhaarigen aber rein gar nichts auszusetzen, weil er seine Hausaufgaben fehlerfrei erledigt hatte. Ich gab also das abschließende Go für die ersten Aktionen mit den Blüten - gab jene dann eben auch im entsprechend notwendigen Ausmaß frei - und die Geldwäsche lief problemlos an. Es war ein gutes Gefühl zumindest in dieser Hinsicht schonmal beruhigt schlafen zu können, weil ich nicht wirklich Zweifel daran hatte, dass der ältere Gniwek die Sache ernst nahm und ihm genauso viel daran lag, dass die Sache funktionierte, wie Hunter selbst. Ich wusste inzwischen ja auch wie hoch der Prozentsatz an der Gewinnbeteiligung für ihn war, also war seine akribische Arbeit nicht unbegründet. Auch sollte ich auf die auserwählte Buchhalterin nochmal einen Blick werfen, soweit mir das eben möglich war. Ich hatte mich zwangsweise grob mit Buchhaltung auseinandergesetzt, um zumindest ansatzweise eine Ahnung davon zu haben wie der Mist funktionierte, aber es ging wohl auch eher noch einmal um die Beurteilung ihrer Person an sich. Sie wirkte mit dem, was sie tat, aber sicher. Irina schien mit Worten mir gegenüber zu Beginn allerdings lieber sehr vorsichtig zu sein, was ich eigentlich nur darin begründet sah, dass sie wusste, wer mich herschickte. Denn als sie merkte, dass sie vor mir eher keine Strafe zu befürchten hatte, nur weil sie mich falsch ansah, entspannte sie sich zunehmend mehr und ich hatte auch an diesem Punkt der Geschäftssache nicht wirklich etwas zu bemängeln. Iljah würde sie zu Beginn ja ohnehin noch an die Hand nehmen, um mit dem ganzen Unterfangen rund um die geschönten Zahlen auf der absolut sicheren Seite zu sein, also auch hier alles absolut im grünen Bereich. Unabhängig von der Geldwäsche selbst sollte ich aber noch ein paar wenige Treffen mit anderen Leuten in Moskaus Untergrund für Hunter in die Hand nehmen. Dabei war ich natürlich nie allein unterwegs, weil der Amerikaner hier schlichtweg so gar keinen Namen hatte und sämtliches Gesocks hier mit großer Vorsicht zu genießen war. Es ging ihm auch lediglich darum ein paar Kontakte zu knüpfen, um irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft auch einen kleinen Stützpunkt in menschlicher Form auf russischem Boden zu haben. Allerdings eher weniger, weil er den Glauben hegte mit Iljah irgendwann Probleme zu kriegen, sondern weil einfach mit der Geldwäsche potenziell immer etwas schiefgehen konnte. Wenn Jemand die Blüten doch mal als solche erkennen sollte und Stress machte wollte er hier ein paar eigene Leute haben, die Gegendruck ausüben konnten. Ich glaubte nicht, dass das darin begründet lag, dass er es Vahagns Bruder allein nicht zutraute für Ordnung sorgen zu können, er war nur einfach... Hunter. Übervorsichtig und verließ sich gerade bei neuen Geschäftspartnern sehr ungerne auf Glück zu seinen Gunsten. Außerdem gab es Söldner, die sich für ausreichende Bezahlung immer gerne die Hände schmutzig machten, wirklich überall und es ging ausschließlich darum für den Ernstfall schon Kontakte zu haben. Mit Iljah selbst verstand ich mich gut. Hier und da pflegten wir vielleicht ein paar unterschiedliche Ansichten, aber das war ja nichts verwerfliches und er war relativ umgänglich, wenn man sich erst einmal auf ihn eingestellt hatte. So viel war sicher - der Amerikaner behielt Recht damit, dass man sich an ihn und sein Verhaltensmuster eher schneller gewöhnte, als an das seiner jüngere Schwester. Nachdem die ersten Geschäfte bezüglich der Geldwäsche über den Tisch waren, war ich am heutigen Tag noch einmal mit dem Schwarzhaarigen unterwegs um weitere Aktionen dahingehend in die Wege zu leiten. Das war für mich an sich aber relativ einfach und nur wenig anstrengend, weil Iljah die gesamte Vorarbeit zu diesem Zeitpunkt ja längst erledigt hatte. Dementsprechend recht entspannt und eigentlich auch gut gelaunt legten wir den Rückweg zu seinem Grundstück zurück. Ich telefonierte noch währenddessen kurzzeitig mit Hunter, wobei ich ihm aber lediglich schilderte, dass soweit alles in Ordnung war und ich hier weiterhin auf keine Ungereimtheiten stoßen musste. Er klang durchweg zufrieden, was bei ihm eher selten war - womöglich hatte aber auch er heute mal ausnahmsweise einen guten Tag erwischt und im Grunde hätte damit auch mein Tag schon perfekt sein können. Eigentlich. Auch, als ich hinter Iljah nach der Heimwahrt schließlich wieder in sein Eigenheim eintrat und bereits im Flur die Schuhe und den Parka loswurde, den ich seit der Abreise aus Norwegen nicht mehr hatte tragen müssen, war ich noch vollkommen entspannt. Iljah und ich gingen schon dort erstmal wieder getrennte Wege und ich machte mich den Gang runter auf den Weg zu Vahagns Zimmer. Ich kniff die Augen wohl schon zu dem Zeitpunkt nachdenklich zusammen, als ich sah, dass die Tür offenstand und ich verlangsamte meine Schritte automatisch, wurde insgesamt deutlich leiser beim Gehen. Allein die offene Tür war schon absolut untypisch und unterbewusst hoffte ich darauf, dass sie sich gerade einfach nicht im Zimmer befand. Natürlich meinte es das Schicksal aber weder gut mit ihr, noch mit mir - das erste, was ich beim Ankommen am Türrahmen sah, war nämlich der Rücken des von mir ohnehin schon so verhassten Kerls. Er verdeckte die Sicht auf die Brünette durch seinen Körper fast gänzlich, aber das reichte nicht ansatzweise dazu aus um zu verschleiern, was er hier gerade tat. Es dauerte also kaum eine einzige Sekunde, bis mir die sonst immer sehr stabilen Sicherungen im Hirn durchbrannten. Ich griff instinktiv nach dem Taschenmesser in meiner rechten Hosentasche, während ich die Distanz zu den beiden auf verhältnismäßig leisen Sohlen, aber sehr schnell überbrückte. Ich dürfte zwar trotzdem hörbar sein, aber ich ließ Michail durch die schnelle Fortbewegung gar keine Zeit dazu, sich erst noch zu mir umzudrehen und machte mir einfach zu Nutzen, dass er mich im Flur wohl noch nicht hatte kommen hören. Er konnte kaum so schnell gucken, wie ich ihm den linken Arm mit dem Ellbogen an seiner Kehle um den Hals gelegt hatte und ihn so mindestens zwei Meter rückwärts von Vahagn wegzog. Dass ich ihm dabei bestmöglich die Luft abdrückte war vermutlich überflüssig zu erwähnen. Dadurch, dass er ein paar Zentimeter größer war als ich musste er den Rücken auch zu einem Hohlkreuz formen und war damit in seiner Haltung insgesamt eher instabil. Ich zwang ihn konsequent mit der Spitze des Messers an seinem unteren Rücken dazu genau diese Position zu halten, während ich mich mit dem Kopf leicht seitlich neben seinem befand. Er dürfte mir seinen Hinterkopf zwar aufgrund meines Armes um seinen Hals sowieso eher nicht besonders schwungvoll ins Gesicht schlagen können, aber wie schon gesagt - Risiken waren nie dein Freund und ich wollte jetzt weder eine gebrochene Nase, noch unsagbare Kopfschmerzen. "Ich wusste es, verdammte Scheiße. Ich wusste, dass du dumm genug sein wirst genau das hier zu tun.", zischte ich ihm ans Ohr, wobei ein für mich normalerweise sehr untypischer, aggressiv-bedrohlicher Unterton in meiner Stimme lag. Aber ich konnte das gut, wenn ich das wollte und die Situation es erforderte. Das für ihn gerade nicht sichtbare, wütende Funkeln in meinen sonst so klaren Augen unterstrich die Ernsthaftigkeit der Situation auch ziemlich unmissverständlich. "Was gefällt dir besser? Soll ich dich zuerst kastrieren oder dir doch lieber zuerst die Niere durchlöchern? Ich hoffe du hast noch beide, könnte sonst kritisch werden.", stellte ich ihn knurrend vor die imaginäre Wahl, als hätte er eine oder als könnte er wirklich mit klaren Worten darauf antworten. Direkt im Anschluss fing ich allerdings schon damit an mit dem Messer mehr Druck aufzubauen und die Klinge durch den Stoff seines Shirts langsam in seinem Fleisch zu versenken. Nicht so, dass ich damit wirklich schon seine Organe erreichte, aber ich ebnete den Weg dafür zwischen seinen unteren beiden Rippenbögen. Natürlich war die Anatomie eines jeden Menschen bis zu einem gewissen, eher kleinen Grad individuell, aber in etwa an der selben Stelle lagen die Organe eben doch und im Fall der Niere war es ziemlich genau auf Höhe der unteren beiden Rippen. Ich würde ihn bedeutend lieber auf der Stelle umlegen, aber da war eben doch noch so eine leise Stimme in meinem Hinterkopf, die mir klarmachte, dass das eher zu riskant war. War das hier vermutlich auch schon, aber so weit reichte der Verstand gerade dann doch nicht mehr. Er hatte eine Strafe mehr als verdient und die bekam er jetzt. Wenn Vahagn das nicht konnte, dann leistete ich liebend gern Abhilfe dabei. Ob sich Hunters neue Brandmarke wohl gut auf seiner Haut machte?
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Zugegebenermaßen war ich wirklich froh, als Tauren und ich uns heute nach dem verhältnismäßig langen Arbeitstag dann endlich auf den Heimweg machten. Irgendwie war ich nämlich ziemlich genervt, zudem taten mir die Knochen weh und ich hatte Kopfschmerzen. Dementsprechend sehnte ich mich danach, nach der ziemlich langen, in meinen Augen außerdem wirklich anstrengenden Woche endlich die Füße hochlegen zu können, weil bezüglich der anstehenden Geldwäsche wohl so ziemlich alles im grünen Bereich war. Allerdings hätte es mich auch gewundert, wenn dem nicht so gewesen wäre, weil ich nun doch eine ganze Weile damit verbracht hatte, den Plan bis ins kleinste Detail auszuarbeiten und dabei stetig mit Hunter in Kontakt geblieben war, damit dieser mir das entsprechende Vorgehen absegnete. Dass es in diesem Punkt also zu Ungereimtheiten kommen würde, hatte ich eher nicht erwartet und Taurens durchweg positive Resonanz bestätigte mich in dieser Vermutung nur zusätzlich. Im Grunde drehte sich die Endabnahme also nur noch um ein paar Kleinigkeiten, die im Prinzip nicht wirklich der Rede wert waren. Lediglich die kleine Lernkontrolle, welche der Norweger mit Irina durchführte, um ihr aktuelles Wissen - wobei ich das Schönen von Zahlen schon viel eher als Können bezeichnen würde -, sowie ihren Umgang mit Problemen auf die Probe zu stellen, machte mir ein klein wenig Sorgen, aber in Endeffekt schien auch die Serbin fein aus der Sache raus zu sein und sich bewiesen zu haben. Nicht nur menschlich, sondern auch was ihr Fachwissen anbelangte. Allerdings hatte es ja auch lange genug gedauert, ihr die ganze Scheiße einzubläuen und ich wäre wohl maßlos enttäuscht gewesen, wenn sie plötzlich nichts mehr auf die Reihe bekommen hätte. In den Lernstunden war sie schließlich immer verhältnismäßig motiviert gewesen und hatte nicht den Eindruck erweckt, als wäre mein Gerede einfach zum einen Ohr rein und zum anderen gleich wieder raus gegangen. Und selbst wenn, dann war offensichtlich trotzdem noch genug hängengeblieben, um den Norweger und damit letztlich auch Hunter von ihren Qualitäten in der Buchführung zu überzeugen. Das war wohl auch einer der ausschlaggebenden Gründe dafür, dass die mit Hunter vorläufig vereinbarte Summe für die erste Investition schließlich vom Gesandten des Amerikaners abgesegnet wurde und die Geldwäsche somit ins Rollen kam. In den darauffolgenden Tagen war der Norweger dann ein Stück weit auf sich allein gestellt gewesen, schien sich im Auftrag seines Bosses noch um irgendwelche anderen Kleinigkeiten zu kümmern und ich nutzte die Zeit dazu, mich für die Zukunft schon über ein paar weitere Investitionsmöglichkeiten zu informieren. Sobald ich etwas als geeignet einstufte, unterhielt ich mich am Abend dann mit dem deutlich jüngeren Tauren darüber, der sich wiederum mit Hunter austauschte, welcher mir im Endeffekt dann das Go gab, das Vorhaben weiter auszuarbeiten oder mir nahelegte, mich anderweitig noch einmal umzuschauen. Ein Vorschlag hatte es dabei in die engere Auswahl geschafft und ich saß bestimmt zweieinhalb bis drei Tage daran, Pro und Kontra Argumente gegenüberzustellen, die benötigten Blüten abzuwägen und zu beurteilen, inwieweit sich das Ganze denn überhaupt rentieren würde. Nachdem die Vorarbeit in der Hinsicht dann aber auch grünes Licht bekam, warteten nur noch ein paar absolut nicht nennenswerte Anliegen, um die sich gekümmert werden mussten und das hatten Tauren und ich am heutigen Tag weiterhin relativ problemlos über die Bühne gebracht. Weil ich in der Nacht zuvor aber nicht besonders gut geschlafen hatte - vielleicht war es die Vorahnung auf den Sturm, der losbrechen würde, sobald der Jüngling und ich das Haus betreten hatten -, war ich trotz des körperlich, wie psychisch eher geringen Aufwands ziemlich erledigt, als ich den Mercedes in der Auffahrt vor meinem Anwesen parkte und gemeinsam mit einem der insgesamt reichlich vielen neuen Mitbewohner die Haustür anstrebte. Bereits im Hausflur verabschiedete ich mich mit einem "Ich leg' mich wohl für ein paar Minuten hin." von dem Blonden, während mich meine Beine bereits durch das Wohnzimmer in Richtung Küche trugen, wo ich mir noch schnell etwas zu Trinken besorgen wollte. Der Norweger war hingegen den Gang in die andere Richtung des Hauses hinunter gelaufen und ich konnte mehr oder weniger wohl von Glück reden, dass mein Gehör zum einen wirklich noch sehr gut funktionierte und ich zum anderen einfach unglaublich träge gewesen war. Denn nur deshalb stand ich wohl noch auf der Türschwelle von der Küche zurück ins Wohnzimmer, obwohl sicherlich an die fünf Minuten ins Land gezogen waren. Andernfalls hätte ich womöglich weder den spitzen Aufschrei meiner kleinen Schwester, noch das schmerzverzerrte Stöhnen eines Mannes zur Kenntnis genommen, was mich insgesamt wohl reichlich misstrauisch die Stirn in Falten legen ließ. Ich befürchtete schon, dass Vahagn wieder einen ihrer launischen Anfälle hatte und aus welchem Grund auch immer auf Tauren losgegangen war, sie sich deshalb nun lautstark stritten, aber irgendwie war doch alles ganz anders. Nicht unbedingt gehetzt, aber doch etwas beunruhigt verließ ich das Wohnzimmer noch einmal in den Hausflur, wo ich im Vorbeigehen die Wasserflasche auf einer der Kommoden abstellte, um die Hand stattdessen um das kalte Metall meiner Waffe legen zu können. Diese trug ich zugegebenermaßen nicht besonders gerne mit mir - würde ich mich jetzt nicht grundlegend als jemanden titulieren, dem das beabsichtigte Morden besonders viel Spaß bereitete -, aber an Tagen wie heute, wo man sich hier und da auch mal in den weniger schönen Ecken Moskaus herumtrieb, fühlte ich mich mit doch eindeutig wohler, als ohne. Ihr Dasein fristete sie dabei stets in einem Holster unter meinem Mantel, den ich seit der Ankunft vor wenigen Minuten noch nicht abgelegt hatte. Ich besaß zwar eine Garderobe, die sich direkt neben der Haustür befand, aber die war nun mal doch eher für Gäste gedacht, während ich meinen eigenen Scheiß dann logischerweise im Schlafzimmer verstaute. Und weil ich es bis dorthin nun mal noch nicht geschafft hatte, ging ich der Geräuschkulisse wohl in voller Montur auf den Grund. Dem Schrei nach zu urteilen und dass auch das Grunzen lauter wurde, je mehr ich mich von der Haustür in Richtung Vahagns alter Kinderstube bewegte, ließ darauf schließen, dass ich mit meiner Vermutung bezüglich eines Streit gar nicht so weit daneben gelegen hatte, aber überraschenderweise war es einmal nicht meine Schwester, die dafür sorgte, dass sich mein Gesichtsausdruck schlagartig verfinstere. Denn als ich den Türrahmen letztlich passierte und im Inneren des Zimmers zum Stehen kam, war die zierliche Russin wohl diejenige, die aktuell am verstörtesten wirkte. Der Grund dafür war offensichtlich und noch bevor ich hier überhaupt irgendetwas in Frage stellte, zog ich vorerst wortlos die Waffe unter dem Mantel hervor und richtete sie auf den Hinterkopf des Norwegers, der mir bis dato eigentlich recht sympathisch gewesen war. Natürlich würde ich aus der Position heraus niemals wirklich abdrücken, weil die Kugel aller Voraussicht nach auch noch Michail treffen würde, der ziemlich unschön vor sich hin jammernd und mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck in Taurens Armen hing. Mit den Worten "Es ist nicht besonders nett, den Mitbewohner und besten Freund des Gastgebers abstechen zu wollen." spannte ich schließlich den Hahn und gab somit ein sehr eindeutiges Zeichen dafür, dass ihm das Messer in dem Fall nur für den sich unmittelbar in seiner Nähe befindlichen Weißrussen etwas bringen würde und ich mit der Schusswaffe definitiv am längeren Hebel saß, wenn es hier um Leben und Tod ging. "Ich gebe dir ganz genau eine Chance, dich zu erklären, Tauren. Und es hat besser einen guten Grund, warum ich mit ansehen muss, wie du dich erdreistest, in meinen vier Wänden Gewalt gegenüber anderen anzuwenden. Lass ihn los.", knurrte ich ein paar hörbar verärgerte Aufforderungen in seine Richtung, weil mir gerade erst einmal am wichtigsten war, Michail aus der schmerzhaften Position, mit einem im Fleisch versenkten Messer zu befreien. Danach würde ich dann dem Grund des Aufstandes nachgehen. Als ich mich auf verhältnismäßig leisen Sohlen an das Schlafzimmer meiner jüngeren Schwester herangetastet hatte - um nicht unnötig Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, falls ich ein bisschen zu viel in die Laute hineininterpretiert hätte -, war gerade so noch ein Bruchteil der geknurrten Worte Taurens bei mir angekommen und hatte mich natürlich entsprechend neugierig gemacht. Just in dem Moment, als ich das Metall auf Höhe des Kopfes positioniert hatte, flehte mich Vahagn von der Seite aus in unserer Muttersprache an, ihrem Freund nichts zu tun, aber mehr als lautstarkes "Ruhe!" bekam sie von mir vorerst nicht als Antwort. Es stand mir ja auch eigentlich gar nicht im Sinn, dem Norweger jetzt eine Kugel zu verpassen, weil ich mich dann ziemlich sicher vor Hunter erklären müssen würde, aber als ein sehr effektives Druckmittel taugte die Waffe in meinen Augen schon.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Normalerweise war die Brünette wohl die Person, die auf Gefühlsebene mit Abstand den engsten Draht zu mir hatte. Trotzdem interessierten mich ihr doch gewissermaßen geschockter Gesichtsausdruck und der kurzzeitige Aufschrei gerade herzlich wenig, weil meine Priorität auf Jemand ganz Anderem lag. Eigentlich war sämtliche Art von Geräuschen, die purem Schmerz und Unbehagen entsprangen, nicht unbedingt etwas, woran ich mich erfreute. Es ließ mir eher unwohl werden, auch wenn ich das im Laufe der Jahre gekonnt auszublenden gelernt hatte, weil schlichtweg tagtäglich mein eigenes Leben von meiner Konzentration abhing. Aber jetzt gerade störte es mich kein bisschen. Worin das begründet lag war wohl offensichtlich - ich hatte nicht einen einzigen Funken Mitleid mit diesem Arschloch. Ich war ein durchweg empathischer Mensch, der schnell mit anderen mitfühlte, wenn es ihnen schlecht ging, aber in diesem Fall hier war es mir nur recht, wenn er litt. Er und auch jeder andere Mann, der Vahagn ohne ihr Einverständnis zu nahe kam. Ich würde um jeden Preis beschützen was zu mir gehörte. Nicht, weil ich glaubte die junge Frau würde wortwörtlich mir gehören oder weil ich ein besonders besitzergreifender Mensch war, sondern weil ihr Niemand auch nur ein einziges Haar krümmen durfte, solange es in meiner Macht stand das zu verhindern. Alles Andere würde ich mir nie verzeihen und die Schuld noch mit ins Grab nehmen. Allerdings sollte mir ihr älterer Bruder bei meinem Blutrausch - gut, das war etwas übertrieben, aber ich hatte wohl wirklich noch nie einen derartigen Tunnelblick dafür entwickelt einer anderen Person so gezielt und vor allem gewollt wehzutun - jäh dazwischengrätschen. Denn ich hätte Michail wirklich gerne eigenhändig kastriert, damit er sich endlich hinter die Ohren schrieb, dass man sich Frauen nicht aufzudrängen hatte. Vor allem nicht Vahagn, aber auch sonst keiner. Sollte nur leider nicht mehr dazu kommen, weil Iljahs Stimme den Raum durchschnitt, als ich mit der Klinge beinahe bei der Niere des Ekelpakets angekommen war. Das Ganze wurde begleitet von einem mir allzu bekannten, klickenden Geräusch und ich hielt inne, atmete hörbar laut tief durch während mir das Adrenalin förmlich die Halsschlagader sprengte. Es ging mir wirklich am Arsch vorbei, was der ältere Gniwek davon hielt, dass ich dem Typen vor mir ein Messer in den Rücken stach. Ich regte mich auch so lange weiterhin keinen einzigen Millimeter, bis der Schwarzhaarige noch eine unmissverständliche Drohung anhängte, die ich mir besser zu Herzen nehmen sollte. Dass auch die recht aufgebrachte Stimme meiner Freundin noch einmal die Luft durchschnitt - mit mir unverständlichen, russischen Worten, aber das war in diesem Fall auch weniger von Bedeutung - trichterte mir wohl noch einen weiteren Funken mehr Vernunft ein, der ausreichte, um die Situation zu Michails Gunsten zu kippen. Ich brachte Vahagn schließlich nichts mehr, wenn sie mich später nur noch leblos vom Boden kratzen konnte, weil ihr Bruder mir den Schädel eingeschossen hatte. Es folgte also nur noch ein hörbar angepisstes Knurren meinerseits, bevor ich das Messer wieder aus dem Rücken des Russen zog und danach lockerte ich auch den Arm an seinem Hals, um ihn mit jenem stattdessen zur Seite weg aus meiner Reichweite zu stoßen. Nicht unbedingt sanft, aber er hatte auch schon froh darüber zu sein beide Nieren und seine Hoden behalten zu dürfen. Hinfallen tat Michail deswegen auch nicht, also sollte er sich nicht so haben und mit dem Gejammer aufhören. Ich hob beide Hände etwa auf meine Kopfhöhe als Zeichen dafür an, dass mir nicht im Sinn stand das blutverschmierte Messer noch weiter gegen Irgendwen hier einzusetzen, aber loslassen tat ich es nicht. Ganz einfach deswegen, weil ich mich hier nicht schutzlos hinstellen würde, solange das Stück Dreck noch mit im Raum war. Zwar wirkte er eher nicht so, als würde er gerade Bäume ausreißen können und mir am liebsten seine Faust ins Gesicht schlagen, aber auch an dieser Stelle ging ich lieber kein Risiko ein, als ich mich langsam zu Iljah umdrehte und damit unmittelbar dem Lauf der Waffe entgegensah. Jene potenziell tödliche Aussicht änderte jedoch rein gar nichts an meinem wütenden Gesichtsausdruck und den noch immer sehr lebhaft vor sich hin funkelnden Augen. "Bester Freund..." Das folgende, verächtliche Schnauben meinerseits war kaum zu überhören und für einen Moment drehte ich den Kopf mit einem schwachen Kopfschütteln leicht in Michails Richtung. Als ich kurz danach erneut zum Reden ansetzte lag mein Blick aber wieder direkt in Iljahs. "Ich glaube du solltest dringend mal darüber nachdenken deinen Freundeskreis etwas zu dezimieren, Iljah. Oder befindest du es etwa für gut, dass er sich einfach so deiner Schwester aufdrängt und das nicht grade zum ersten Mal?", lieferte ich ihm noch immer leise knurrend die gewünschte Antwort in Form einer eher rhetorischen Frage. Ich hielt es schließlich für ziemlich unwahrscheinlich, dass er darauf mit einem Ja antworten würde. Wenn doch, dann konnte ich ihn liebend gern auch noch mit unter der Erde verscharren, gar kein Problem. Gräber ausheben hatte ich zu Genüge gelernt, darin war ich Profi. "Es ist mir scheißegal wie du zu ihm stehst - wenn er das nochmal macht schneid' ich ihm die verdammte Kehle durch. Er hatte lang genug seinen Spaß und damit ist jetzt endgültig Schluss.", fügte ich noch ein paar mehr giftige Worte hinzu, die ich ganz genau so meinte, wie ich sie sagte. Weiterhin hier auf Iljahs Grund und Boden zu hausen kam jetzt zwar mit Sicherheit eher nicht mehr in Frage - ehrlich gesagt wollte ich das sowieso nicht mehr, weil mir hier zu viel Abschaum herumlief -, aber Michail blieb mit Sicherheit nicht für immer innerhalb dieser vier Wände. Ließ er sich nochmal was zu Schulden kommen, setzte danach auch nur einen Fuß vor die Haustür und mir kam das zu Ohren, dann war's das für ihn. Vielleicht verscherzte ich es mir dadurch dann endgültig mit Vahagns Bruder, sofern ich das nicht grade schon getan hatte, aber das interessierte mich nicht. Der Schwarzhaarige musste nicht mein bester Freund werden, damit ich mir sicher damit sein konnte das Richtige getan zu haben und ziemlich genau so sah ich ihn auch an: Nichts darauf gebend, was er denn nun von meiner Aktion hielt, weil es für mich nun mal keine Rolle spielte. Es waren wohl der noch immer leicht anhaltende Tunnelblick und die seltsame, unterschwellige Gewissheit, dass Hunter mir glauben würde, die mich hier gerade zu nicht gerade milder Sorte von Rage beflügelten.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Obwohl ich für gewöhnlich ein recht geduldiger Mensch war, brauchte Tauren in meinen Augen viel zu lange, um meiner Aufforderung nachzukommen. Dabei war diese verhältnismäßig simpel und anders als mit Vahagn, zu der ich aktuell ausschließlich auf Russisch sprach, unterhielt ich mich mit dem Norweger hier weiterhin auf Englisch. Und trotz des schwerwiegenden osteuropäischen Akzents dürfte es kaum Verständnisprobleme gegeben haben, weshalb ich letztlich davon ausging, dass der junge Mann schlichtweg kein Interesse daran hatte, von Michail abzulassen. War natürlich verständlich, wenn man sich gerade von Hass und Zorn leiten ließ, aber akzeptieren wollte ich das deswegen logischerweise trotzdem nicht. Als ich dann gerade zu der ersten und letzten Warnung ansetzten wollte, entfernte sich der Körper meines besten Freundes dann aber doch plötzlich von dem des Norwegers, der sich daraufhin mit mehr oder weniger erhobenen Händen zu mir herumdrehte. Ich machte automatisch einen Schritt nach hinten, während ich die Waffe weiterhin auf sein Gesicht richtete. Solange er das Messer nicht aus den Händen gelegt oder es anderweitig gut verstaut hatte, wollte ich lieber nicht riskieren, dass er plötzlich auf mich zustürmte und ich der nächste war, dem eine Stichwunde geflickt werden musste. Apropos... Mein Blick glitt beiläufig - lag meine primäre Aufmerksamkeit doch weiterhin eher auf dem Unruhestifter vor mir - rüber zu meinem Mitbewohner, der mit schmerzverzerrten Lauten den verzweifelten Versuch startete, die Blutung zu stoppen, indem er mit einer Hand Druck auf jener Stelle ausübte. Dass das bei der Lage der Nieren nur leider gar nicht so einfach war, wie beispielsweise eine offene Wunde am Bein abzudrücken, ließ den Weißrussen nach einem kurzen Augenblick der Stille nur laut fluchen. Ich erkundigte mich danach - ebenfalls in unserer Muttersprache -, ob es ihm so weit gut genug ging, dass er sich selbstständig um seine Verletzung kümmern könnte, weil es mir gerade ehrlich gesagt nicht wirklich den Eindruck machte, aber er bejahte die Frage und trotz dass Tauren eine ziemlich schwere Anschuldigung gegenüber des Weißrussen in den Raum stellte, entließ ich letzteren vorerst ins Bad, damit er sich zumindest um die nötige Grundversorgung kümmern konnte. Außerdem bat ich Michail, dass er Kontakt zu einem unserer befreundeten Ärzte aufnehmen sollte, damit sich dieser das Ausmaß des Messerstichs noch einmal genauer ansah und die Wunde dann auch nähte. Befragen würde ich ihn zu den Umständen der Auseinandersetzung später, weil ich zum jetzigen Zeitpunkt davon ausging, dass ohnehin kaum ein vernünftiges Gespräch mit auch nur irgendeinem der derzeit im Raum Anwesenden möglich war. Mein bester Freund und langjähriger Mitbewohner hatte mit der Verletzung und den daraus resultierenden Schmerzen genug um die Ohren, während meine Schwester noch immer reichlich erschrocken an der Wand ihren Posten bezogen und diesen seit meiner Ankunft auch noch nicht wieder verlassen hatte. Sie schien sich aktuell ebenfalls eher nicht unterhalten zu wollen, weshalb ich sie bat, das Zimmer einfach zu verlassen und im Wohnzimmer auf mich zu warten - aber das kam für Vahagn überhaupt nicht in Frage, sie wollte unbedingt hierbleiben. Klar, jetzt wo Michail nicht mehr im Weg stand, wäre es immerhin ein Kinderspiel für mich, einfach abzudrücken und den Unruhestifter damit aus dem Weg zu räumen. Dabei wusste sie doch eigentlich am allerbesten, dass ich nicht der Typ dafür war, willkürlich Leute unter die Erde zu bringen, nur weil mir die Nase nicht passte - was der Zirkus sollte, konnte ich mir deshalb nicht erklären. Vor dem Hintergrund, dass die Anschuldigungen Taurens meine Schwester allerdings im Licht des Opfers darstellten und ich es tatsächlich auch ein bisschen merkwürdig fand, was Michail in ihrem Zimmer zu suchen gehabt hatte, nickte ich es letzten Endes dann doch ab und die sonst eher gefasste, eiskalte Russin, die momentan nicht viel mehr als ein Häufchen Elend war, durfte bleiben. Aber auch nur, weil ich die Chance nutzen wollte, sie direkt zu den Äußerungen ihres Freundes zu befragen. Dafür schwenkte ich wieder zurück zur englischen Sprache, weil nun auch der Norweger verstehen können sollte, dass ich seinen Worten durchaus mein Gehör, sowie meine Aufmerksamkeit geschenkt hatte und ich nun von Vahagn wissen wollte, was sie dazu zu sagen hatte. Ein vielsagender Blick in Richtung der jungen Frau sollte ihr signalisieren, dass sie sich ebenso für alle verständlich auszudrücken hatte. "Stimmt das, Vahagn? Hat Michail sich dir aufgedrängt?", kam ich mit einer sehr direkten Frage an das letzte lebende Familienmitglied auf den Punkt, weil ich mir bei bestem Willen nicht vorstellen konnte, dass der Weißrusse dumm genug war, ausgerechnet meiner kleinen Schwester ohne ihre Erlaubnis auf die Pelle zu rücken. Ich wusste, dass es zwischen den beiden über die Jahre hinweg immer mal wieder gekracht hatte, weil Parteien einer gescheiterten Beziehung nun mal in den seltensten Fällen noch weiterhin Freunde waren, aber nie war die Anschuldigung laut geworden, dass der junge Mann sie ohne ihr Einverständnis angefasst hatte. Wenn Vahagn so etwas behauptet und ich herausgefunden hätte, dass sie mir keine Märchen, sondern die Wahrheit erzählte, dann würde der junge Mann wohl kaum noch unter den Lebenden weilen. Ich mochte dem weiblichen Geschlecht gegenüber auch nicht immer ein Gentleman sein und könnte es ihm sogar verzeihen, wenn er sich regelmäßig an anderen Frauen vergriff, aber bei aller Liebe: Er hatte in der Hinsicht definitiv die Finger von der Schwester seines angeblich besten Freundes zu lassen. Und weil er mir bis dato immer einen recht intelligenten Eindruck gemacht hatte, war ich auf die Antwort meiner jüngeren Schwester gleich doppelt gespannt. Zwar würde eine Belastung des Weißrussen nicht automatisch zu seinem Tod führen, weil ich trotzdem noch mit ihm sprechen würde, aber ich könnte zumindest ein Stück weit nachvollziehen, warum Tauren hier einen solchen Aufstand angezettelt hatte. Ich wäre in dem Fall dann nämlich auch eher wenig bis eigentlich gar nicht begeistert gewesen.
In diesem Moment wünschte ich mir mal wieder eines dieser schwarzen Löcher herbei, durch die ich an einen besseren Ort verschwinden konnte. Denn nichts anderes wünschte ich mir gerade, hatte sich die Sache doch binnen weniger Minuten von schlimm zu schlimmer geht's gar nicht entwickelt. Als hätte ich es nicht von Anfang an geahnt, dass es zwischen Michail und Tauren zu Problem kommen würde, mischte sich im Verlauf der ziemlich einseitigen Handgreiflichkeiten dann auch noch Iljah in die ganze Sache mit ein und machte es dadurch nicht unbedingt weniger kompliziert. Ich hatte mich nach dem anfänglichen Schock, den die unerwünschte Hand auf meinem Hinters ausgelöst hatte, eigentlich schnell wieder gefasst und war gerade im Begriff gewesen, dem Weißrussen schwungvoll meine Hand durchs Gesicht wischen zu wollen, als plötzlich der Norweger hinter mir aufgetaucht war. Dieser hatte dann auch gar nicht lange gefackelt, mit dem Mitbewohner meines Bruders kurzen Prozess machen zu wollen und das war dann ein Stück weit der Punkt, wo mir sämtliche Gesichtszüge entglitten und ich bis auf den überraschten Aufschrei vollkommen sprachlos dagestanden war. Denn derart aggressiv hatte ich Tauren nämlich noch nicht erlebt und wusste demnach auch überhaupt nicht, wie ich mich am besten verhalten sollte. Zum einen war überflüssig zu erwähnen, dass Michail es verdiente, für seine Gräueltaten bestraft zu werden, aber er musste meiner Meinung nach nicht unbedingt in meinem Schlafzimmer sterben und noch sehr viel weniger im Beisein meines Bruders, der, was für ihn absolut typisch war, einfach viel zu viele Fragen stellte. Es wäre mir lieber gewesen, wenn es den Weißrussen einfach irgendwo auf der Straße erwischt und man seine Leiche danach nicht aufgefunden hätte. In dem Fall wäre der Norweger vermutlich auch nicht in den engeren Kreis der Verdächtigen gerückt, weil er nun mal nicht besonders viel mit Michail am Hut gehabt hatte, aber das Schicksal meinte es in diesem Punkt weder wirklich gut mit ihm, noch mit mir. Denn während mein Freund dabei war, meiner verflossenen Liebe auf eher unkonventionelle Art und Weise klarzumachen, dass er seine Griffel gefälligst bei sich zu behalten hatte, stürmte der breit gebaute Russe ausgerechnet mit einer Waffe in den Händen die Party und so kam dann erst richtig Fahrt in die ganze Sache. Nachdem er seinen besten Freund aus den Fängen des aufbrausenden, aktuell sogar mir ein wenig Angst einflößenden jungen Mannes befreit und diesen zur Erstversorgung seiner Wunden ins Badezimmer geschickt hatte, wollte er sich mit Tauren alleine unterhalten. Dass ich das nicht zulassen konnte, weil auch Iljah mir momentan einen unberechenbaren Eindruck machte, war wohl überflüssig zu erwähnen. Besonders begeistert war er darüber logischerweise nicht, aber dass Hunters Gesandter einen Vorwurf in den Raum stellte, der unter anderem mich direkt betraf, ließ ihn gen Ende dann doch noch weich werden. Allerdings war der Preis dafür ziemlich hoch und am liebsten hätte ich Tauren einfach nur einen Alles vernichtenden Blick zugeworfen, dass er doch jetzt tatsächlich in der Gegenwart meines Bruder auf die Problematik zu sprechen kam. Die Kontrolle über meine Gesichtszüge war bis jetzt jedoch noch nicht wieder zurück gekehrt und deshalb stand ich wohl eine ganze Weile lang mit vollkommen teilnahmsloser Miene einfach nur da und dachte nach. Denn eigentlich wollte ich nach wie vor nicht mit meinem älteren Bruder über die Vorfälle reden, weil sie mir auch heute einfach immer noch unsagbar unangenehm waren, aber auf der anderen Seite wäre das ganze Chaos hier doch nicht entstanden, wenn eben... nichts passiert wäre. Es brauchte mich sicherlich eine halbe Minute - als würde ich in der Zeit einen klaren Gedanken fassen können -, in der ich meinen Blick auf den Boden geheftet hatte, bis ich ihn wieder anhob, leise seufzte und dann langsam mit dem Kopf schüttelte. Vermutlich hatte Tauren Recht und es war längst überfällig, dass ich mit dem Schwarzhaarigen über die unzähligen Nächte redete, in denen mir Unrecht getan wurde, aber zum einen überschlugen sich meine Gedanken gerade derart rasant, dass ich kaum mehr geradeaus denken konnte und zum anderen wollte ich mir durch niemanden - und das schloss den Norweger mit ein - vorschreiben lassen, wann ich mich über welche Themen mit wem auch immer unterhielt. Außerdem hatte ich dem Blonden im Vertrauen erzählt, was damals vorgefallen war und dass er das jetzt einfach so in den Raum stellte, ohne vorher mit mir darüber geredet zu haben, ließ mich zu gleichen Teilen wieder ein Stück vor ihm verschließen, als ihn ganz offensichtlich auch in den Rücken fallen, indem ich die Anschuldigungen an Michails Person erst einmal konsequent abstritt. Eben so lange, bis ich mir selbst einen Ruck geben würde, den Weißrussen an meinen Bruder zu verpetzen. "Ich weiß ehrlich gesagt gerade auch nicht, wo das Problem liegt. Wir... ich hab Michail gerade nur etwas aus alten Zeiten zeigen wollen, was ich wiedergefunden habe.", log ich deshalb und unterstrich die mehr nur gemurmelte Aussage mit einem schwachen Schulterzucken. Den Blick hatte ich indessen schon längst wieder auf den Boden geheftet, weil ich das nächste Donnerwetter schon kommen sah und den Blick des Norwegers gerade nicht standhalten können würde. Ich konnte ja verstehen, dass der junge Mann mit dem Messer in der Hand sich bloß um mich sorgte und vielleicht auch wollte, dass ich diese Bürde endlich nicht mehr mit mir herumschleppen musste, aber er hatte auf die denkbar ungünstigste Art versucht, das in die Wege zu leiten und auch wenn es mir leid tat, ihn so emotional vor dem Lauf dieser Waffe stehen zu sehen, wandte ich mich schließlich von ihm ab, sodass ich nunmehr mit dem Rücken zu ihm stand. Dabei klammerte ich mich im Übrigen an das Top, welches ich die ganze Zeit über bloß an meinen Oberkörper gepresst hatte, weil ich es vor dem Attentat auf Michail nicht mehr geschafft hatte, in dieses hineinzuschlüpfen.
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Es dauerte zu lange. Nachdem der Köter sich aus meiner Sichtweite getrollt hatte, was sicher besser so für alle Beteiligten war, wandte der Schwarzhaarige gegenüber sich an seine jüngere Schwester. Die wiederum ließ sich mit einer Antwort aber erst einmal eine gefühlte Ewigkeit Zeit und ehrlich gesagt hielt ich das allein schon für ein schlechtes Omen. Ich wusste ja, dass Vahagn ihrem Bruder nichts von alledem sagen wollte, nur hätte sie wohl kaum eine bessere Gelegenheit dazu als diese hier. Auch ganz unabhängig davon, dass ich es nach wie vor kein bisschen nachvollziehen konnte, warum sie darüber nicht mit ihm reden wollte. Natürlich wäre es wie ein Schlag ins Gesicht für Iljah, wenn sie ihm plötzlich steckte, dass sie sich seit Jahren nicht einfach nur so ein bisschen mit Michail stritt. Dass diese ganze Sache viel tiefgehendere Ursachen hatte und sein bester Freund vielleicht gar kein so guter Freund war - weder für ihn, noch ehemals für seine jüngere Schwester. Aber er war ein erwachsener Mann, der mit diesem Verlust schon umzugehen wusste. Wenn man eines mit steigendem Alter lernte, dann, dass Leute im Leben nun mal kamen und wieder gingen. Dass auch langjährige Freundschaften mal ein Ende finden konnten, wenn es blöd lief. Ich verstand einfach nicht wovor die Brünette so unsagbare Angst hatte, dass sie jetzt doch tatsächlich zu einer Lüge griff und mir damit quasi mit Anlauf in den Rücken sprang. Das war wohl auch der einzige Grund dafür, dass ich ihren älteren Bruder und damit auch die Waffe aus den Augen ließ, als ich den Kopf zu ihr rüberdrehte und im gleichen Atemzug die Schultern mitsamt Händen sinken ließ. Zu sagen, dass ich sie entsetzt ansah, war wahrscheinlich noch untertrieben. Mir stand tatsächlich der Mund ein klein wenig offen und ich sah sie wohl mit einer Mischung aus purer Enttäuschung und blanker Entrüstung an. Wie konnte sie das tun? Es hätte doch gereicht, wenn sie einfach nur bestätigt hätte, dass ich hier und heute einen Grund dafür hatte diesem Arschloch ein Messer in den Rücken zu stechen. Sie hätte nichts von alledem, was vorher schon passiert war, mit auch nur einem Wort erwähnen müssen. Ich glaubte zwar nicht wirklich, dass Iljah mich am heutigen Tage ohne zu fackeln erschießen wollte - weil ich ihn nicht für dumm genug hielt es sich aufgrund dessen mit Hunter zu verscherzen, der danach definitiv keine Geschäfte mehr mit ihm machen wollen und wie ein wütender Tornado gefühlt ganz Moskau zerstören würde -, aber Vahagn gab ihm nüchtern betrachtet einen Grund dafür es doch zu tun. Entweder dachte sie in ihrem wiederholt reichlich selbstorientierten Verhalten gar nicht daran, oder es war ihr schlicht und ergreifend scheißegal. "Ich fass' es echt nicht, dass du jetzt auch noch lügst um diese Scheiße zu vertuschen. Das ist so feige.", war das erste, was ich noch immer hörbar gereizt mit einem deutlich sichtbaren, fassungslosen Kopfschütteln sagte, während ich die Klinge des Taschenmessers an meinem Shirt abwischte und es dann zuklappte, um es zurück in meine Hosentasche wandern zu lassen. Michail war schließlich nicht mehr da und man kam mit einem Messer auch nicht zu einer Schießerei, also konnte ich es mir sparen die Klinge weiterhin festzuhalten. Außerdem war das sicher auch gut, um zu signalisieren, dass es mir wirklich nicht im Sinn stand noch mehr der Anwesenden zu verletzen. Für Michail würde ich aber kaum garantieren, falls er mir noch einmal unter die Augen trat, bevor ich hier weg war - hierzublieben stand schließlich nicht zur Debatte. Mir war das Risiko im Schlaf erwürgt zu werden irgendwie einfach zu groß und außerdem war ich mir auch ziemlich sicher damit, dass Iljah nur ungerne weiterhin Jemanden in seinem Haus haben wollte, der seinen besten Freund beinahe abstach. Erstmal wandte ich den Blick wieder an jenen Tätowierten, der bis dato noch keine Anstalten gemacht hatte die Waffe zu senken. "Bitte, dann glaub eben lieber deiner Schwester als mir. Tu mir dann nur den Gefallen und ruf Hunter gleich an, dann kann ich mir sein Gebrüll noch auf dem Weg zum Hotel anhören und hab da meine Ruhe.", äußerte ich einige ziemlich trockene, angepisste Worte, bevor ich mich in Richtung meiner Tasche nahe dem Bett in Bewegung setzte. Selbstverständlich machte ich dabei aber einen möglichst großen Bogen um den Russen, um nicht den Anschein zu erwecken ihm nahe kommen zu wollen. Noch während ich die Reisetasche auf die Matratze warf, um das wenige Zeug reinzustecken, das hier von mir herumlag, fing ich an mich selbst dafür zu verfluchen, dem Amerikaner mit meinen Taten auch noch Recht zu geben. Er hatte mich von Anfang an schon davor gewarnt, dass die Beziehung zu Vahagn nichts als Probleme bringen würde. Tja, und hier stand ich nun - während mir die Person, die als meine Freundin eigentlich unter fast allen Umständen zu mir halten sollten, im übertragenen Sinne eiskalt in den Rücken schoss, hielt ihr Bruder unweit davon tatsächlich eine Waffe auf mich gerichtet und das erste, was mich auf Kuba erwarten würde, war voraussichtlich eine saftige Strafe von Hunter. Es blieb wohl zu hoffen, dass er mir zumindest glauben würde, dass ich nicht einfach nur aus Eifersucht auf dieses Stück Dreck losgegangen war, weil es das einzige war, das die Strafe für mich mit Glück ein kleines bisschen abmildern konnte. Drum herum kommen würde ich in keinem Fall, hatte ich doch eine ziemlich essentielle Regel gebrochen, aber das nahm ich in diesem Fall gern in Kauf, sofern Michail von nun an die Finger von Vahagn ließ. Wenn nicht, dann... tja, musste ich mir wohl einen neuen Decknamen und einen Ort weit weg von Russland und Kuba für ein neues Leben als Einsiedler aussuchen, weil der Amerikaner und auch Iljah mich womöglich bis ans andere Ende der Welt jagen würden. Zumindest sofern dessen jüngere Schwester bis dahin nicht mit der Sprache rausrückte. Als ich mit dem Packen fertig war drehte ich mich wieder um und hob langsam die rechte Hand an - eben immer darauf bedacht keine ruckartigen, verdächtigen Bewegungen auszuführen -, um ein ziemlich lautes, fast ohrenbetäubendes Pfeifen loszuwerden. Solange die Pistole noch im Spiel war würde ich mich davor hüten einfach an Iljah vorbeizugehen, aber ich wollte hier so wenig Zeit wie möglich verlieren. Der Puls war noch immer auf mindestens 200 und ich glaubte nicht, dass jener sich wieder signifikant senkte, solange ich noch hier war. Es dauerte auch nicht lange, bis Björn im Türrahmen auftauchte und dann erstmal wieder zwei Schritte zurückging, als er die brenzlige Situation erfasste. "Sag den Jungs sie sollen packen, wir verschwinden.", gab ich eine kurze Anweisung an ihn raus, woraufhin er nur nickte und dann auch schon wieder verschwand, um es weiterzugeben. Ich ließ meine Rückendeckung sicher nicht freiwillig hier und so wanderten meine Augen wieder zu dem älteren Russen im Raum. Mein Blick war noch immer nicht wesentlich weicher oder ruhiger geworden, aber zumindest die in meinem gesamten Körper angespannte Muskulatur vermochte sich bei den Schultern beginnend langsam wieder etwas aufzulockern.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mir war klar gewesen, dass Tauren meine Lüge nicht einfach unkommentiert lassen würde und doch tat es mir gewissermaßen weh, dass er mich so von der Seite anschnauzte. Dabei hätte ich vermutlich nicht anders reagiert, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre und sogar mit Nachdruck versucht, ihn dazu zu bewegen, sich doch noch an der Wahrheit zu bedienen. Mich wäre er in keinem Fall so schnell losgeworden, aber einen Strick würde ich ihm daraus vermutlich eher nicht drehen. Er war nun mal einfach nicht ich. Und ich nicht er. Demnach wäre es vermutlich vollkommen egal gewesen, wie sehr er versucht hätte, auf mich einzureden. Wenn ich nicht darüber reden wollte, dann würden wir hier morgen früh noch stehen und diskutieren und das wusste der Norweger besser, als kaum ein anderer. Schließlich gehörte er inzwischen zu den sehr, sehr wenigen Menschen, denen ich doch tatsächlich ein Stück weit mein Herz geöffnet hatte. Nach der Geschichte würde ich mir für die Zukunft zwar definitiv überlegen, was ich ihm denn noch alles anvertrauen würde, aber das war ein anderes Thema. Mittlerweile durfte ich jedenfalls wissen, dass Druck ausüben bei mir nie eine gute Idee war und auch ein bis dato relativ gutes Verhältnis dadurch ziemlich schnell kippen konnte. Der temporäre Rückzug des Norwegers war daher vermutlich gar nicht mal so schlecht, bis sich die Wogen wieder ein wenig geglättet haben, aber musste er denn dafür unbedingt in ein Hotel ziehen? ...und dann auch noch seine ganze Sippschaft dahin mitnehmen? Eingangs hatte ich Taurens harsche Worte kommentarlos hingenommen und für mich vollkommen untypisch auch seinen Blick gemieden, den ich trotz allem sehr deutlich auf mir liegen spürte. Mich stattdessen auf Iljah konzentriert, für den es scheinbar immer noch absolut notwendig war, die Waffe auf den Kopf des Blonden zu richten, obwohl von einer akuten Gefährdung anderer Menschenleben nicht mehr wirklich die Rede sein konnte. Der Norweger hatte sein Taschenmesser schon längst wieder eingesteckt und sich dem Packen seiner sieben Sachen gewidmet, wobei ich ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie gerne ich ihn davon abgehalten hätte, aber für mich galt es jetzt erst einmal das Gesicht zu wahren, wobei ich mir nicht vorstellen konnte, dass Iljah nicht schon längst aufgefallen war, dass ich gelogen hatte. Was das anging kannte er mich schließlich besser, als jeder andere auf der Welt es je könnte, weil er mich nun mal schon 24 Jahre an der Backe hatte. Dass man während einer so langen Zeit sämtliche Verhaltensauffälligkeiten seiner Geschwister in- und auswendig lernte war wohl nur normal. Komischerweise hakte er aber gar nicht weiter nach, sondern schien sich in Gedanken versunken weiterhin auf Tauren zu fokussieren, der kurz darauf mit einem Pfeifen, das mich erschrocken zusammenzucken ließ, weil ich damit schlichtweg nicht gerechnet hatte, nach einem seiner Jungs rief, um diesen damit zu beauftragen, auch noch den Rest des Anhangs zum Packen aufzufordern. Als der junge Mann, den ich als seinen Sitznachbarn vom Hinflug identifizierte daraufhin wieder abdampfte, schien auch mein Bruder nach einer schier unendlich langen Zeit den Arm mit der Waffe endlich sinken zu lassen und letztere wieder zu sichern, bevor sie zurück ins Holster unter dem Mantel wanderte. Das war dann auch der Zeitpunkt, wo ich meinen Blick zum ersten Mal wieder anhob, seitdem mich die hörbar gereizten Worte des Norwegers erreicht hatten und mich meinem Freund ein Stück zuwandte. "Du kommst doch aber wieder, oder?", fragte ich vorsichtig und bemühte mich währenddessen um eine möglichst neutrale Stimmlage, während ich ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung, Sorge und unsagbaren Schuldgefühlen in den Augen ansah. Dabei wunderte es mich tatsächlich ein wenig, dass ich letzteres ganz offensichtlich noch besaß, obwohl ich mir immer wieder eingeredet hatte, dass ich absolut Niemanden Rede und Antwort schuldig war. In dem Fall war das aber wohl etwas anderes, weil... na ja, weil mir Tauren einfach wichtig war und es mir wirklich leid tat, dass ich ihm so in den Rücken gefallen war. Ich wusste ja, dass er mir damit wirklich nichts Böses wollte, aber ich konnte und wollte darüber jetzt schlichtweg nicht reden und eine andere Möglichkeit, dem Gespräch zu entfliehen, hatte ich nicht gesehen. Es wäre nämlich vollkommen irrelevant gewesen, was ich gesagt hätte - wenn ich es nicht abgestritten hätte, dann wäre hier und heute noch der Teufel los gewesen, so wie ich mein geliebtes Brüderchen einschätzte und das wollte ich ganz einfach nicht. Ich wollte nicht diskutieren, mich nicht streiten, insgesamt einfach nicht über das Thema reden... war das denn wirklich so schlimm? "Nein.", unterbrach ein einziges Wort plötzlich meine Gedanken, die verzweifelt versuchten, sich einigermaßen wieder zu sortieren. Dabei war es aber nicht Taurens Mund, der sich bewegte und auch nicht seine Stimme, sondern die von Iljah. Mit einem sichtlich irritierten Blinzeln sah ich zu dem hochgewachsenen Russen rüber, der sich inzwischen so positioniert hatte, dass man den Raum auch wieder verlassen konnte. Er stand also nicht mehr in der Tür, um den Überblick zu behalten, sondern lehnte stattdessen an der Wand daneben. "Er wird nicht wiederkommen, Vahagn.", schmückte er seine vorangegangene Ein-Wort-Antwort noch etwas aus und sobald er den Punkt gesetzt und ich realisiert hatte, warum gerade er mir eine Antwort auf meine Frage gegeben hatte, mündete der mehr oder weniger neutrale bis etwas geknickte Gesichtsausdruck in Fassungslosigkeit. "Das kannst du nicht...", setzte ich an, wurde aber gleich ein weiteres Mal ziemlich jäh unterbrochen und anhand der Stimmlage war mir schnell klar, dass Diskussionen diesbezüglich zwecklos waren. "Das kann ich und das werde ich. Tauren ist in meinem Haus nicht länger erwünscht.", sprach Iljah quasi das Wort zum Sonntag und entlockte mir damit ein resigniertes Schnauben, während mein nun doch etwas überfordert wirkender Blick wieder zu meinem Freund zurückwanderte. Was ich mir davon letztlich erhoffte, wusste ich nicht genau. Er war sauer, das sah sogar ein Blinder und ich konnte es wirklich verstehen. Fragte mich ja auch tatsächlich kurzzeitig, ob ich gerade das Richtige getan hatte, aber für einen Rückzieher war es jetzt so oder so zu spät. Ich konnte also nur hoffen, dass der Norweger mir verzeihen würde, weil mir wirklich nicht danach war, mich diesbezüglich mit ihm zu streiten. Und an der Stelle fiel mir überdeutlich auf, dass Beziehungen einen wirklich unglaublich weich machten. Vor nicht allzu langer Zeit hätte es eine solche Auseinandersetzung definitiv nicht gegeben und wenn doch, dann wäre es ein Leichtes für mich gewesen, die Reißleine zu ziehen. In dem Fall wollte ich das aber gar nicht und der Gedanke daran, dass ich den jungen Mann unweit vor mir gerade mehr als nur ein bisschen gekränkt hatte, brach mir beinahe das nur noch minimal vorhandene Herz.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #