Ich war immer noch skeptisch, was Samueles Sturz in seiner Wohnung anbelangte. Zwar ergab schon irgendwie alles, was er und Richard mir dahingehend erklärt hatten, gewissermaßen Sinn, aber irgendwo traute ich dem Frieden in dieser Hinsicht nicht so ganz. Es war auch nicht so unwahrscheinlich, dass die beiden sich inzwischen ganz gut verstanden und demnach ganz gern mit einer lückenlosen Lüge zusammenhielten, um sich vor Kollateralschäden zu bewahren, denn was sollte ich dem entgegensetzen? Ich war nicht anwesend beim Sturz des Italieners und konnte nur mutmaßen. Die beiden widerlegten mit plausibel klingenden Argumenten sämtliche meiner Vermutungen und ich hatte zwar darauf bestanden, dass Richard sich mindestens das Shirt auszog, um weitere Verletzungen bei ihm auszuschließen, aber auch direkt an seinem Körper wies nichts darauf hin, dass er etwas mit dem Sturz zu tun hatte. Ich hätte ihm schon auf die Rippen drücken müssen, um zu merken, dass er ebenfalls Schmerzen unter der Oberfläche hatte, also blieb mir nicht wirklich etwas anderes übrig als das von Katzenfutter verursachte Unglück hinzunehmen, nachdem ich mich auch ziemlich ausgiebig darüber vergewissert hatte, dass keinerlei Drogen im Haus waren. Da waren nur ein paar wenige, lausige Ibuprofen, die kaum für einen Wutausbruch seitens des Engländers verantwortlich sein konnten. Also schenkte ich der Lüge meinen Glauben und versprach Samuele im Anschluss daran mich noch um ein paar Medikamente zu kümmern. Skepsis hin oder her, er nützte mir absolut nichts, wenn er länger als unbedingt notwendig nicht zur Arbeit ging. Zwar blieb es erst einmal bei dieser ersten Lieferung an die Mexikaner, weil sie zuerst sehen wollten, wie gut das Crystal sich bei ihrer Kundschaft machte, aber ich ging eigentlich nicht davon aus, dass sie unzufrieden sein würden und sobald sie mehr in Auftrag gaben galt es die nächste Überfahrt zu planen. Dafür brauchte ich Samuele und deshalb blieb für alle Beteiligten zu hoffen, dass er möglichst schnell wieder auf den Beinen war. Es würde mir nämlich mindestens Hunter aufs Dach steigen, wenn ich die Rückzahlungen pausieren oder auch nur wieder absenken musste, nur weil der Bursche sich die Bänder im Knöchel demoliert hatte, weil er zu dumm war eine Dose Katzenfutter ohne Stürze aus einem Küchenschrank zu nehmen. Gut, vielleicht sah ich die Sache wirklich ein bisschen zu zynisch, hatte er selbst doch sicher auch keinen Spaß daran mit Krücken durch die Gegend zu hinken, aber es nervte mich einfach. Ich war nach wie vor nicht gerade wenig gestresst. Sollten die Mexikaner tatsächlich in naher Zukunft mehr wollen, dann dürfte ich Doppel- und Dreifachschichten einlegen, damit ich auch nur ansatzweise an die selbe Menge wie das erste Mal rankam. Nebenher dann auch noch Richard zu besuchen und vor allem mal ein paar schöne, entspannenden Minuten mit Sydney zum Ausgleich zu verbringen würde mir dann gefühlt unmöglich werden. Es war also echt allerhöchste Eisenbahn, dass Richard nennenswerte Fortschritte machte und auch, dass mein Landsmann wieder fit wurde. Apropos - ich war gerade auf dem Weg in die Stadt, um ein paar Besorgungen zu machen. Nicht nur für meine Freundin und mich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft. Hier und da fehlten gerade ein paar essentielle Lebensmittel, also wollte ich die auch noch mitnehmen, wenn ich ohnehin schon unterwegs war. Es war etwa 14 Uhr, weshalb es kein Problem für mich war einen der Dienstwagen von Hunters Jungs zu nehmen und es damit heute etwas bequemer zu haben. Ich hatte einen Teil meines Ersparten dazu genutzt einen annehmbaren Gebrauchtwagen zu besorgen, den ich auch am Abend nutzen konnte wenn ich ins Labor fuhr, aber dem fehlte es eben doch ziemlich an Komfort und mein verwöhnter Arsch freute sich über die deutlich bequemeren Sitze. Außerdem war in dem Kofferraum hier auch einfach mehr Platz, was wegen der Einkäufe ziemlich praktisch war. Auch die Klimaanlage war in dieser Kiste weit leistungsfähiger, was auf Kuba absoluter - unersätzlicher - Luxus war, den ich allzu gern in Anspruch nahm. Ich rollte mit dem Wagen auf meinem Weg in die Stadt auch unweit an Sams Wohnung vorbei. Eigentlich sah ich nur aus Gewohnheit immer mal wieder auf den Gehweg rüber, weil es in Havanna nicht selten bunt gekleidete, auffällige Menschen zu sehen gab. Allerdings war es dieses Mal kein Kubaner, der meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, sondern Richard. Er kam mir quasi entgegen, als mein Blick unweigerlich an ihm kleben blieb und wir alle konnten wohl von Glück reden, dass unmittelbar hinter mir kein anderes Auto fuhr, weil ich ziemlich scharf in die Eisen ging. Was zum Teufel machte er hier draußen? Er schien gerade auf dem Rückweg von Gott weiß woher zu sein, bewegte er sich doch zurück in Richtung von Sams Apartment, aber wann hatte ich das bitte autorisiert? Vor allem, dass er allein rausging? Ich hatte nichts dagegen, dass Sam mir nur noch eine kurze Nachricht schickte, wenn er mit dem Dunkelhaarigen vor die Tür ging, statt mich immer vorher zu fragen. Aber das hier? Unabhängig davon, ob der Italiener Richard freiwillig vor die Tür gelassen hatte - er könnte ihn sicher kaum davon abhalten, so langsam wie er unterwegs war, aber ich war ehrlich gesagt auch nicht mehr von akuter Fluchtgefahr ausgegangen - oder nicht, hatte der Kerl hier draußen nicht einfach so mit irgendeiner kleinen Tüte in der Hand herumzuspazieren. Dementsprechend konnte er sicher auch kaum bis Zehn zählen, da hatte ich den Wagen schon am Straßenrand geparkt und war ausgestiegen. "Was zum Teufel machst du hier draußen, Richard?!", fragte ich ihn ziemlich lautstark mit einer unterstreichenden Armbewegung, während ich auf ihn zuging, obwohl er mich sicher schon längst gesehen hatte. Unter Umständen hatten die Reifen unter der starken Bremseinwirkung nämlich vielleicht ein bisschen gequietscht.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Lügen war noch nie ein Problem für mich gewesen. Ich war zwar kein besonders großer Fan von Halbwahrheiten oder an den Haaren herbeigezogener Humbug, aber in so manchen - vielen - Situationen hatte mir eine kleine Lüge dabei geholfen, den Kopf noch rechtzeitig aus einer Schlinge zu ziehen. Nichtsdestotrotz war mir mein Arsch wohl noch nie derart auf Grundeis gegangen, als zu dem Zeitpunkt, wo Samuele und ich die abgesprochene Geschichte an seinen älteren Landsmann herantragen mussten, weil dieser nach dem alarmierenden Telefonat alsbald auf der Matte gestanden war. Sabin war nun mal leider einfach nicht dumm und hatte jahrelange Erfahrung mit Lügnern und Betrügern gemacht, dass ich schon fürchtete, wir würden auffliegen. Der Italiener nahm gefühlt jede noch so unwichtige, eher beiläufige Aussage bezüglich des Unfalls genaustens unter die Lupe und verlangte am Ende sogar noch von mir, dass ich mich auszog. Unter anderen Umständen hätte ich vermutlich nichts lieber getan, vor allem, wenn Sabin mich darum bat, aber in dem Moment hatte ich still und heimlich gebetet, dass sich unter der Narbe - noch - kein Bluterguss gebildet hatte. Glücklicherweise war bis auf das besagte, ziemlich kaputte Gewebe aber nichts zu sehen gewesen, was mich an jenem Abend, als ich im Bett liegend den Sturz selbst und Sabins Besuch hatte Revue passieren lassen, erleichtert aufatmen ließ. Scheinbar hatten wir die Geschichte glaubhaft genug rüber gebracht, dass der Mann ende Zwanzig keine weiteren Fragen mehr stellte, uns die Lüge einfach abkaufte und sich kurze Zeit später nach einem Gespräch mit Sammy unter vier Augen dann auch schon wieder verzog. Ich war wohl noch nie erleichterter gewesen, meinen Beikoch aus der Tür spazieren zu sehen, wie an diesem Abend. Die darauffolgenden zwei Wochen waren für mich dann aber insgesamt nicht weniger anstrengend gewesen, als der Besuch Sabins es gewesen war, weil Samuele in seinem Alltag nun mal durchaus auf Hilfe angewiesen war. Dass er kein Geld für eine Betreuungskraft aus dem Fenster schmeißen wollte, weil ich ja da war, konnte ich einerseits natürlich vollumfänglich nachvollziehen, andererseits stellte er mich damit vor eine ziemlich große Herausforderung. Ich bekam es ja kaum auf die Reihe, mich um mich selbst zu kümmern. Dann auch noch ein Auge auf meinen Mitbewohner zu haben und im Haushalt mit anzupacken, weil er auf Krücken nun mal deutlich eingeschränkt war, schien für mich schier unmöglich zu sein. Tatsächlich brauchte es mich auch an die drei bis eher vier Tage, um mich schließlich wieder mit ein bisschen Freude den alltäglichen Dingen zu widmen. Grund dafür war wohl nach wie vor mein schlechtes Gewissen Sam gegenüber, der sich das ganz geschickt zunutze machte, um mich wieder in einen halbwegs geregelten Tagesablauf hinein zu bringen. Immerhin war es mehr oder weniger meine Schuld, dass er gestürzt war und ich hätte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können, ihn sich einfach selbst zu überlassen. Dennoch war ich in den ersten Tagen nur auf Geheiß des Italieners vom Sofa gerollt, wenn er beispielsweise etwas zu Trinken haben oder ein Buch lesen wollte. Irgendwann stapelte sich aber unsere Wäsche und auch der Berg an Tellern und Töpfen in der Küche wuchs stetig weiter an. Da war nur leider kein Sam mehr, der sich darum kümmerte. Der saß nämlich auf dem Sofa und ihn mit Krücke im Bad oder der Küche abzustellen war völlig ausgeschlossen. Also hatte ich notgedrungen angefangen, das selbst in die Hand zu nehmen und war nicht selten dabei einem Nervenzusammenbruch nahe gewesen. Denn die Lust, sich um all den Mist zu kümmern, hielt sich konsequent in Grenzen und wollte mir einreden, dass ich ab der Hälfte doch ruhig eine Pause einlegen und den angefangenen Abwasch oder die sortierten Klamotten dann einfach liegen lassen sollte. Mittlerweile war ich jedoch klar genug im Kopf, um zu wissen, dass ich nicht mehr weitermachen würde, wenn ich erst einmal aufgehört hatte und diesen inneren Schweinehund zu überwiegen... das war harter Tobak. Aber als es dann einmal geschafft war, fielen mir die darauffolgenden Male plötzlich wieder deutlich leichter und Mitte der zweiten Woche, in der Samuele Zuhause war, hatte ich angefangen, die Wohnung aufzuräumen, noch bevor wir gänzlich im Chaos versunken waren. Und das... fühlte sich verdammt gut an. Die innere Antriebslosigkeit plagte mich dann meistens nur noch gen Abend, wo aber auch der normal arbeitende und geistig gesunde Teil der Gesellschaft kaum mehr Lust dazu hatte, sich nach einem harten Tag auch noch in die Küche zu stellen oder den Staubsauger anzuschmeißen. Aber das war okay, solange das Gefühl am darauffolgenden Morgen dann wieder weg war. So weit, so schön. Jedenfalls ging es mir persönlich nun von Tag zu Tag etwas besser, während sich das von meinem Mitbewohner nicht behaupten ließ. Natürlich war Sam geistig weiterhin deutlich fitter als ich, aber was den körperlichen Aspekt anging wohl eher nicht. Die zahlreichen blauen Flecken und der nach wie vor angeschwollene Knöchel ließen nur vermuten, welche Schmerzen er tagtäglich durchstand und dass die Ibuprofen da irgendwann auch nicht mehr halfen, war wohl abzusehen gewesen. Weil ich mir dieses andauernde Gequengel seitens des jungen Mannes echt nicht mehr anhören konnte, er selbst aber nicht noch einmal zum Arzt humpeln wollte, hatte ich heute beschlossen, mich um ein paar brauchbarere Schmerzmittel zu kümmern. Natürlich hatte ich Sam darüber nicht in Kenntnis gesetzt, weil er ansonsten wohl nicht so seelenruhig auf der Couch eingeschlafen wäre, wie das jetzt der Fall war, sondern wie ein Schießhund auf der Lauer gelegen und mich beobachtet hätte. Denn er würde mit mir aktuell keinen Schritt vor die Tür setzen, aber offiziell alleine nach draußen lassen wollte er mich auch nicht. Da konnten auch die Fortschritte der letzten Tage nichts dran rütteln, also musste ich das Ganze für die aktuelle Situation ein Stück weit unkonventioneller gestalten. Dabei kam es mir sehr gelegen, dass Samuele heute Nacht scheinbar ziemlich beschissen geschlafen hatte und sich deshalb am Mittag noch einmal hinlegte. Andernfalls hätte ich bis in die Nacht warten müssen und selbst dann hätte ich noch darauf hoffen müssen, dass er den Haustürschlüssel einmal nicht wie gewohnt bei sich im Schlafzimmer hortete, wo ich ihn zweifelsfrei wecken würde, wenn ich mich danach auf die Suche begab. Da das Nickerchen aber wohl eher ungewollt und weniger geplant war, hing der Schlüssel frei zugänglich an einem Haken des Schlüsselkastens, den ich mir kurzerhand aneignete, als ich mich davon überzeugt hatte, das Sam auch wirklich tief und fest schlief. Dann war ich mit einer Jogginghose und einem durch den starken Gewichtsverlust viel zu großen T-Shirt bekleidet in meine Schuhe geschlüpft und hatte mich auf leisen Sohlen aus der Wohnung geschlichen, um mich auf den Weg zur nahegelegenen Apotheke zu machen. Mir wäre es das unter Umständen vermutlich Wert gewesen, mich noch einmal zum Doktor zu schleppen, um mir stärkere Schmerzmittel verschreiben zu lassen, aber man konnte wohl niemanden zu seinem Glück zwingen. Es ihm aber schmackhaft machen, indem man es vor seiner Nase platzierte allerdings schon. Sehr zum Nachteil des Verletzten bekam ich in der Apotheke aber leider nur eine abgespeckte Form von Diclofenac, weil das Original aufgrund der Konzentration leider verschreibungspflichtig war. Demnach entschied ich mich kurzerhand dafür, auch noch eine Creme mit einzusacken, die zusätzlich gegen die Schwellung helfen sollte. Bezahlen tat ich das Ganze mit dem Geld, was aus dem Portemonnaie meines Mitbewohners hatte mitgehen lassen, denn ich wusste noch immer nicht, wo sich der Großteil meiner Sachen eigentlich befand, sodass ich mich im Ernstfall womöglich nicht einmal hätte ausweisen können. Aber das war im Augenblick wohl mein kleinstes Problem. Ich war gerade auf dem Rückweg und genoss noch ein bisschen die Sonne auf meiner Haut und die dazu im Verhältnis sehr angenehm zu atmende Luft, als ich beinahe einen Herztod starb, weil unweit von mir ein Autofahrer hörbar in die Eisen stieg. Vor Schreck, weil ich befürchtete, ich könne von einem heranschlitternden Auto überfahren werden, war ich wohl etwas zusammengezuckt, ehe ich meinen Blick schweifen ließ, um den Verursacher ausfindig zu machen. Wirklich nötig war das aber nicht, denn der kam quasi im gleichen Augenblick, wie ich Sabins Gesicht hinter der Windschutzscheibe entdeckte, wie ein Tornado auf mich zugerollt. "Oh, hey. Ich... hab was besorgt.", stammelte ich erst einmal überfordert eine Antwort in Richtung des schon wieder ziemlich angepisst wirkenden jungen Mannes, als dieser gerade über die Straße auf mich zugestiefelt kam. Ich wusste, dass ich hier alleine eigentlich nichts zu suchen hatte und dennoch versuchte ich es so hinzustellen, als wäre es das Normalste der Welt, dass ich eigenständig Besorgungen erledigte und rein zufällig dabei auf einen Bekannten traf. Zur Unterstreichung meiner Worte hob ich das Tütchen mit den Tabletten und der Salbe an. "Für Samuele. Er wollte nicht noch mal zum Arzt, aber es geht ihm immer noch nicht besonders gut. Ich dachte, ich besorg ihm einfach etwas Stärkeres.", redete ich durch das kurzzeitig anhaltende Gefühl von Freizeit relativ unbeschwert vor mich hin. Dass ich meine Worte für eine unbeschriftete, schlicht weiße Tüte und meinem alleinigen Spaziergang denkbar ungünstig wählte, brauchte ich sicherlich nicht erwähnen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Aha. Das war so ziemlich alles, was mir zu seinen Worten einfiel, das nicht irgendwie wütend oder anderweitig überzogen klang. Ich musterte Richard mit meinem leicht funkelnden, akribischen Blick - allem voran seine Arme, an denen sich bis vor einiger Zeit förmlich so die Einstiche von selbst multipliziert hatten. Aber erstens wirkte der junge Mann an und für sich schon mal gar nicht so, als wäre sein Hirn in irgendeiner Form vernebelt - sowas ließ sich ja vor allem an den Augen meistens ziemlich schnell identifizieren - und zweitens sah ich auch sonst nichts an ihm, das irgendwie darauf hinwies, dass er sich nur für Drogen rausgeschlichen hatte. Außerdem schien er wirklich in der Apotheke gewesen zu sein, was ich ohne jeglichen Zweifel feststellen konnte, als ich ihm die Tüte bestimmt abnahm und hineinsah. Es war sicher überflüssig zu erwähnen, dass mir nicht ganz wohl dabei war, dass er noch ein anderes Schmerzmittel mit in die Wohnung schleppen wollte. Eines, das eindeutig stärker als Ibuprofen wirken würde. Natürlich wäre es nicht besonders effektiv oder schlau zu versuchen, sich mit einem schmerzlindernden Mittel irgendwie die Sinne betäuben zu wollen, aber Drogenabhängige - oder ehemalige - waren auch eher nur selten bedacht, was solche Dinge anbelangte, wenn sie einfach nur irgendwie verzweifelt versuchten wieder auf Stoff zu sein. Andererseits ließ die Salbe, die sich neben dem Schmerzmittel ebenfalls noch in der Tüte befand, tatsächlich stark darauf schließen, dass das Zeug nur für Sam war. Wobei unter Umständen auch nur jene Creme für ihn vorgesehen sein könnte und Richard das nur zur Tarnung mitgenommen hatte, weil... nein, warte. Das machte keinen Sinn. Warum sollte er, wenn er doch tatsächlich schon draußen war und im Grunde alle Möglichkeiten der Welt hatte, um an richtige Drogen zu kommen, stattdessen einfach nur läppische Schmerzmittel für sich holen? Die waren nicht für ihn, sondern für Samuele. Aber ich kam trotzdem nicht umher ihm die kleine Tüte wieder in die Hand zu drücken und im direkten Anschluss daran seine Hosentaschen abzutasten - die waren aber auch leer, bis auf vielleicht ein paar übrig gebliebene Münzen. Mir war in diesem Moment auch ziemlich egal, dass es dem Dunkelhaarigen möglicherweise etwas unangenehm sein könnte, dass ich ihn auf offener Straße abzutasten begann, während durchaus die eine oder andere Person an uns vorbeiging. Der Italiener wohnte recht zentral und das brachte viele Menschen in der Nähe so mit sich, erst recht am hellichten Tag. Von mir aus durfte der Dunkelhaarige das gerne als eine Art kleiner mentaler Bestrafung hinnehmen und als ich mich wieder von ihm distanzierte, kniff ich die Augen leicht zusammen, als ich seine wieder mit den meinen fokussierte. "Warum? Warum machst du das?", hakte ich mehr nur mit rhetorischen Fragen nach, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Ich meine, er wusste doch ganz genau, wie ich zu Alleingängen stand und war quasi sehr unschön von seinem letzten Fluchtversuch vorgeprägt. Also ja, vielleicht war ich jetzt einfach sehr übervorsichtig damit, ihm in irgendeiner Form Freigang zu erlauben und vielleicht war das auch kontraproduktiv. Trotzdem konnte ich es mir schlichtweg nicht erlauben dem Engländer einfach mal eben so blind zu vertrauen, weil mir das teuer zu stehen kommen würde, wenn es nach hinten losging. Richard war ein Pulverfass, auf dem ich aktuell wirklich so gar nicht gern saß und das ich um jeden verdammten Preis von Feuer fernhalten wollte. Wohl nur leider irgendwie ziemlich stark auf seine Kosten, was mir nicht wirklich bewusst war. Der Tunnelblick verstärkte sich durch meinen eigenen Stresspegel wohl eher, als dass er sich plötzlich in Luft auflöste. "Du musst dich nur an diese eine, blöde Regel halten, was das rausgehen angeht, Richard...", nicht allein zu gehen. "Also wieso zum Teufel gehst du dieses verdammte Risiko ein?", murrte ich ihm noch einige nach wie vor sehr unzufrieden klingende Worte entgegen. Man sollte eigentlich meinen, dass die Antwort darauf relativ offensichtlich war. Nur eben nicht für mich, weil ich nicht viel mehr als meinen eigenen, völligen Untergang vor Augen hatte, weil ich dem cholerischen Amerikaner ungefähr gar nichts entgegenzusetzen hatte. Wenn er wirklich wütend wurde, würde eine Bitte um etwas mehr Zeit und noch höhere Zinsen zu seinen Gunsten ganz bestimmt nicht mehr dazu ausreichen, um ihn weiter hinzuhalten. Ich wollte dem Engländer wirklich, wirklich gerne wieder vertrauen und mich erneut sowas wie auf Augenhöhe mit ihm bewegen, weil ich ihn langsam aber sicher ehrlich als Freund vermisste, aber so einfach war das nun mal nicht. Ja, er war manchmal wirklich eigensinnig und gewöhnungsbedürftig, aber wen hatte ich denn sonst noch? Versteht mich nicht falsch - ich hatte mich zweifelsohne in Sydney verliebt und genoss jede Minute mit ihr, aber eine Frau an der Seite und ein guter Freund waren zwei vollkommen unterschiedliche Paar Schuhe. Aber es war auch ziemlich naiv von mir zu glauben, dass unsere Freundschaft sich von selbst wieder maßregeln würde, wenn wir beide nicht einmal wirklich über die offensichtlich bestehenden Probleme miteinander redeten.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mein Gott, musste denn das jetzt wirklich sein? Dass er mir die Tüte abnahm, um sich dessen Inhalt anzusehen war die eine Sache, mich in aller Öffentlichkeit vor den Augen sämtlicher vorbeilaufenden Menschen zu filzen allerdings eine ganz andere. Seine Hände an meinem Körper schön und gut, aber ich war eigentlich eher kein Fan von Candaulismus und zu sagen, mir war im Augenblick nicht wohl, wäre wohl eine ziemliche Untertreibung gewesen. Andererseits ließ mich das ganze Drama einen weiteren, wenn auch relativ kleinen Erfolg verzeichnen und zwar schienen meine unanständigen Gedanken langsam aber sicher wieder zurückzukehren. Noch vor ein paar Tagen hatte der bloße Gedanke an nackte Männer vollkommen ausgereicht, um eine Panikattacke auszulösen und ich hatte schon befürchtet, doch noch irgendwann heterosexuell zu werden. Gott sei Dank schien nach all der Zeit aber endlich wieder so etwas wie ein Fünkchen Normalität in meinen Alltag einzukehren und zu dem zählten allem voran nun mal nackte Männer und keine Frauen. Aber darum ging es hier wohl gerade eher weniger, also schloss ich das gedankliche Zelebrieren eines weiteren Erfolges recht schnell ab und konzentrierte mich dann wieder auf den Italiener, der mir nach der Taschenkontrolle schließlich ein wenig skeptisch gegenüberstand. Offensichtlich war er immer noch nicht gänzlich überzeugt davon, dass ich gerade lediglich in der Apotheke gewesen war, um Schmerzmittel für Sam zu besorgen und schien nach einem Anzeichen für etwaigen Drogenmissbrauch meinerseits zu suchen. Tja, nur musste ich ihn da leider enttäuschen und konnte zur Krönung des Ganzen noch einen obendrauf setzen. Seit etwa einer halben Woche verzichtete ich nämlich zusätzlich auf die Einnahme des Substitutionsmittels und es ging mir wirklich blendend. Seitdem ich mich anderweitig mit dem Haushalt beschäftigte hatte ich nämlich gar keine Zeit mehr, über Meth oder gleichartige Drogen nachzudenken, denn... mein lieber Mann, ich hatte eine ganz schöne Unordnung hinterlassen. Dass ich mich in den ersten Tagen nach Sams Sturz überhaupt nicht dazu hatte aufraffen können, auch nur irgendwas aufzuräumen, hatte das Ganze natürlich nicht gerade besser gemacht und ich war immer noch dabei, die ein oder andere Ecke des Badezimmers oder der Küche zu putzen. So richtig mit Staubwischen, chemischen Reinigern und den ganzen Quatsch. Am Abend war ich dann so platt, dass Multitasking überhaupt nicht mehr drin war. Wenn ich also vor der Glotze hing oder mich mit Samuele unterhielt, war auch da kein Spielraum mehr für irgendwelche abschweifenden Gedanken. Ich würde mich zwar noch nicht so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass ich wieder vollumfänglich einsatzfähig war, denn dafür hielt der Erfolg mir persönlich noch nicht lange genug an, aber es wurde besser. Alles. Alles wurde einfach besser und auch wenn ich noch immer relativ weit weg davon war, das Leben wieder in vollen Zügen genießen zu können, fand ich zumindest schon mal wieder den Mut dazu, dem Italiener auf sehr vorsichtige Art und Weise die Stirn zu bieten. Dabei hatte ich noch vor weniger als zwei Wochen den Schwanz eingezogen, wenn Sabin sich angekündigt hatte, aber jetzt? War er wohl einer der Ersten, die den neuen alten Richard kennenlernen durften. "Man, entspann' dich. Ich weiß, dass ich eigentlich nicht alleine raus soll, aber Sammy liegt mir jetzt schon seit Tagen in den Ohren. Außerdem ist die Apotheke nicht weit weg.", versuchte ich meinen Freund also mit ein paar relativ locker klingenden Worten zu beruhigen. Für den letzten Satz drehte ich mich sogar ein Stück zur Seite, um mit der Hand die Straße runter zu zeigen. Am Horizont ließ sich das internationale Logo der Arzneigeschäfte auch tatsächlich noch ausmachen, aber erkennen wurde schwierig. Dafür war es dann doch zu weit weg und reichlich verschwommen, aber ich wusste ja, dass die Apotheke sich dort befunden hatte. "Tut mir leid, aber es war echt nicht mehr auszuhalten.", hängte ich noch eine durchaus ernst gemeinte Entschuldigung an, die ich mit einem aufrichtigen Lächeln untermauerte, welches in den letzten Tagen, Wochen und Monaten zuvor kaum mehr zu sehen gewesen war. Alleine das dürfte Sabin schon zeigen, dass er sich nicht mehr allzu viele Gedanken machen brauchte. Natürlich wäre ich weiterhin vorsichtig und der Spaziergang sollte auch wirklich nur eine Ausnahme bleiben, aber wer konnte denn bitte ahnen, dass er ausgerechnet heute aus welch Gründen auch immer in die Stadt fuhr und mich dabei rein zufällig aufsammelte? Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, wobei es mir bei meinem Pech eigentlich hätte klar sein müssen. Na ja. Vorsicht war besser als Nachsicht und ich konnte verstehen, warum Sabin angefressen war - ein weiterer Fortschritt, wenn man mich fragte, immerhin hatte ich mich anfangs doch stark gegen die Einstellung des jungen Mannes aufgelehnt -, mich alleine durch die Straßen Havannas schlendern zu sehen, aber sah er denn gar nicht, dass sich etwas verändert hatte? Ich nicht mehr wie ein geknickter Strohhalm bloß einen Fuß vor den anderen setzte, sondern erhobenen Hauptes die Sonne genoss? Außerdem wieder gewohnt freche Sprüche parat hatte, obwohl mein Name in der letzten Zeit eher als Definition von kleinlaut im Duden zu finden gewesen war? Fiel ihm denn wirklich gar nicht auf, dass es mir seit einer sehr, sehr langen Zeit fast schon wieder gut ging?
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Richard wirkte so... ungewohnt entspannt. Wieder so eine Sache, von der ich nicht wusste, ob ich sie einfach als positiv bewerten sollte oder mir doch noch einmal Gedanken darüber machen musste, dass er sich dennoch irgendwas eingeschmissen hatte. Kuba war voll von armen Menschen und es würde mich nicht wundern, wenn irgendwo an der nächstbesten Straßenecke irgendeine zwielichtiger Person Opiate illegal an den Mann brachte. Es mussten ja nicht einmal Drogen sein, ein eigentlich rezeptpflichtiges, starkes Antidepressivum reichte vollkommen aus. Allerdings hatten solche meistens relativ starke Nebenwirkungen, wenn man sie das erste Mal nahm, also konnte er sich solche eigentlich auch nicht mal eben so nebenbei eingeschmissen haben und gut gelaunt wirken. Übelkeit oder Kopfschmerzen trugen eher nicht zu entspanntem Gemüt bei. Ich hatte noch nichts gesagt, als der junge Mann schließlich die Hand ausstreckte und die Straße abwärts deutete. Ich folgte seiner Hand mit meinem Blick und ja, wenn ich das richtig erkannte, dann war da tatsächlich eine Apotheke. Hieß also, dass er auch gar nicht wirklich lange allein draußen unterwegs gewesen sein konnte, wenn er tatsächlich nur ein paar Medikamenten holen gegangen war, damit Samuele damit aufhörte ihm die Ohren vollzuheulen. Ich atmete etwas tiefer durch und seufzte im Zuge des Ausatmens, bevor ich meine rechte Hand anhob und sie an meinen Kiefer legte. Mir nachdenklich mehrfach über die schon wieder zu langen Bartstoppeln strich, während der Dunkelhaarige sich doch tatsächlich dafür entschuldigte, draußen gewesen zu sein. Auch Einsicht war etwas, das ich in letzter Zeit nur selten bis gar nicht von ihm zu hören oder zu sehen bekommen hatte - ebenso wie das unmissverständliche Lächeln auf seinem Gesicht. Es fiel mir zwar unsagbar schwer dem Frieden zu trauen, aber was blieb mir anderes übrig? Ihm an diesem Punkt eine Lüge zu unterstellen wäre sicher nicht gut und wenn Richard jetzt gerade wirklich gute Laune hatte, diese nicht nur alibimäßig vorspielte, dann sollte ich die vermutlich auch nicht restlos zerstören, indem ich ihm einen ellenlangen Vortrag hielt. Ich verfluchte die italienische Mafia gedanklich ein weiteres Mal dafür, dass sie mir die Fähigkeit verliehen hatte absolut alles in Frage stellen und erst einmal schlecht sehen zu lassen - unabhängig davon, inwiefern das sinnvoll oder naheliegend war, oder eben auch nicht. Bei nicht ganz eindeutigen Dingen nur schwer vertrauen zu können war einfach nichts als ätzend und es war schrecklich schwer sich das wieder abzutrainieren, wenn der eigene Arsch davon abhing. Und das Leben eines Freundes auch noch, nebenbei bemerkt. Ich rieb mir mit der Handfläche gleich weiter nach oben über das chronisch angestrengte Gesicht, bevor ich den jungen Mann zum ersten Mal seit einer kleinen Weile wieder ansah und die Hand zurück in ihre Ausgangsposition sank. "Na schön... ich komm mit.", vergab ich ihm diesen kleinen Ausflug mehr oder weniger und auch nur ziemlich indirekt, wobei meine Stimme sicher immer noch ein klein wenig grummelig klang. Dann drehte ich mich auch schon in Richtung von Sams Wohnsitz, bedeutete dem Engländer noch im selben Atemzug mit einer Handbewegung mir zu folgen und setzte mich dann in Bewegung. Das Tempo eher gemütlich, obwohl Zeit bei mir aktuell eher weniger auf Bäumen wuchs. "Weiß er, dass du draußen unterwegs bist?", stellte ich Richard während des Gehens noch eine Frage, die für mich keinesfalls irrelevant war. Er gab mir also besser eine ehrliche Antwort darauf. Samuele hatte in Hinsicht auf ihn einfach keine eigenen Entscheidungen zu treffen, sondern mich vorher zu fragen. Allerdings war mir schleierhaft, warum er so eine Aktion unterstützen sollte. Der Italiener war eigentlich immer sehr bedacht darauf mich nicht zu verärgern und alles haargenau so zu erledigen, wie ich es ihm auftrug. Vermutlich nur aus Angst vor einer Rüge und eher weniger, weil er mit alledem einverstanden war, aber das machte für mich keinen großen Unterschied - solange er tat, was er sollte, war mir der Rest erst einmal egal. Sam würde Richard also nur unwahrscheinlich erlaubt haben auf eigene Faust rauszugehen, aber ich sicherte mich was das anbelangte gerne ab. Wenn er dem Alleingang wider Erwarten doch zugestimmt hatte musste es dafür schließlich ein Echo geben. Ich vermeidete zwar nach Möglichkeit wirklich jeden Mord, der umgangen werden konnte, aber von Strafe sah ich trotzdem nicht ab. Sonst konnte ich nur so darauf warten, dass mir das ganze Haus auf der Nase herumtanzte und noch mehr Probleme brauchte ich nun wirklich nicht.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Auch meine Entschuldigung und die Tatsache, dass sich die Apotheke in unmittelbarer Nähe befand, schien Sabins Skepsis zumindest anfänglich nicht weniger werden zu lassen, was ich schließlich mit einem leisen Seufzen und einem Schulterzucken abtat. Mehr als die Wahrheit konnte ich ihm schließlich nicht sagen und weiterhin zu versuchen, ihn von jener zu überzeugen würde ich nicht. Schließlich wusste ich, wie unglaublich stur der Italiener sein konnte, wenn ihm der Sinn danach stand und meine Laune war gerade so gut, dass ich sie nicht unbedingt mit Vollgas gegen die Wand setzen wollte. Ich hatte alles gesagt, was es zu sagen gab - mich sogar entschuldigt für diesen Ausrutscher - und was er damit letztlich anfing war seine Sache. So wie es schien, wollte er aber gar nicht mehr so lange böse auf mich sein. Zwar wirkte Sabin weiterhin nicht erfreut und unzufrieden darüber, dass ich auf eigene Faust ein paar Medikamente für Samuele einkaufen gegangen war, aber er wirkte zumindest schon mal ein Stück weit ruhiger, als noch vor wenigen Sekunden. Mimte nunmehr einen grummeligen, alten Teddybär, der darauf bestand, mich die letzten paar Meter bis zu der im Hinterhof gelegenen Haustür zu begleiten. Stören tat mich das allerdings nicht mehr, denn Angst vor dem hochgewachsenen, breitgebauten Mann hielt sich inzwischen wieder in Grenzen. Natürlich begegnete ich ihm weiterhin mit dem nötigen Respekt, aber wenn man nichts zu verbergen hatte, brauchte man sich wohl kaum vor ihm verstecken - zumindest hoffte ich das. Als wir die Straße überquerten und etwa die Hälfte des Weges bis zur Haustür zurückgelegt hatten, richtete der junge Mann neben mir eine Frage an mich, die mich meinen Kopf in seine Richtung drehen ließ. Vorher hatte ich den Blick über die vorbeilaufenden Menschen, die alten Autos und ein paar Wildvögel schweifen lassen, weil ich all das in der letzten Zeit noch nur begrenzt zu Gesicht bekommen hatte. Seit dem Sturz waren Sam und ich maximal gemeinsam zu seinem Arzt gegangen und hatten die Zeit ansonsten lediglich in unmittelbarer Nähe der Haustür verbracht. Dass man im Innenhof jedoch nicht besonders viel zu sehen bekam, müsste ich sicherlich nicht noch einmal anmerken. Was die Frage anging, schüttelte ich dann keine fünf Sekunden später bereits sehr bestimmt mit dem Kopf. Sammy hatte mit meinem heutigen Ausbruch definitiv nichts zutun. "Nein, er schläft. Oder humpelt mittlerweile panisch durch die Wohnung und überlegt sich, wie er dir am schonendsten beibringt, dass ich abgehauen bin, weil er auf der Couch eingenickt ist.", beantwortete ich die Frage eingangs ziemlich direkt, nur um darauffolgend noch ein paar ironisch angehauchte Worte hinten dran zu hängen. Wir wussten schließlich alle, dass sich der jüngere Italiener im Bunde gerne selbst in den Wahnsinn trieb, wenn in seinen Augen etwas passiert war, dass seinen Landsmann oder den Amerikaner potenziell verärgern könnte. Wäre ich heute nicht mehr aufgetaucht und am Ende tot mit einer Überdosis aus einem Fluss oder dem Meer gezogen wurden... dann hätte er sich womöglich warm anziehen können, aber es war ja nichts weiter passiert. Ich ging also nicht davon aus, dass er wegen meinem Ausbruch irgendwelche Konsequenzen zu befürchten hatte. Klar, eine Teilschuld traf ihn natürlich trotzdem, immerhin hätte er die Schlüssel besser bei sich behalten, anstatt sie im Flur wieder in das frei zugängliche Kästchen zu hängen, aber er war auch nur ein Mensch und dass er zwischenzeitlich vor dem Fernseher einpennen würde, war sicherlich keine Absicht gewesen. "Vermutlich hätte ich nur erwähnen müssen, dass ich ihm gerne etwas stärkere Schmerzmittel besorgen wollen würde und er hätte mich mit Adleraugen beobachtet, damit ich auch ja keinen Mist baue.", nahm ich meinen Mitbewohner zusätzlich noch in Schutz, indem ich Sabin klarzumachen versuchte, dass Sam definitiv hinterher war, seiner auferlegten Aufsichtspflicht nachzukommen und ein Auge auf mich zu haben. Ich hatte ihn gewissermaßen ausgetrickst und dafür konnte er nun mal wirklich nichts. Es brauchte uns dann nur noch wenige Minuten, bis wir schließlich an der Haustür angekommen waren und ich den Schlüssel im Schloss herum drehte. Daraufhin stieg ich dann vor Sabin die Treppenstufen nach oben, um auch die zweite Tür aufzuschließen, die uns letztlich in die Wohnung führte. "Sam? Bist du wach?", rief ich dann in gemäßigter Lautstärke. Falls er noch schlief, wollte ich ihn nämlich nicht zwangsläufig damit wecken, dass ich mit meiner Stimme förmlich in seinem Ohr saß, andererseits musste meine Frage natürlich auch noch im Bad zu hören sein, falls er gerade auf Toilette war. Ich hörte es zwar schon aus Richtung des Wohnzimmers kraspeln, aber das musste nicht zwangsläufig mein Mitbewohner sein. Bandit machte so nämlich auch des Öfteren auf sich aufmerksam.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Gut, Samuele schien wie bereits vermutet absolut nichts mit Richards Ausbruch zu tun zu haben. Das war hier gerade so ziemlich das Einzige, das ich kein bisschen in Frage stellte, weil es nun mal einfach nicht auch nur einen Funken Sinn ergeben würde, wenn der Italiener ihm jetzt plötzlich einfach so Freigang gewährte. Natürlich waren meine Theorien bezüglich des Engländers auch teilweise ein bisschen weit hergeholt, aber wir beide kannten Sam scheinbar gut genug um zu wissen, dass er sich vor Stress mit mir hüten würde. Trotzdem sah ich den Dunkelhaarigen neben mir doch noch immer ein wenig irritiert an, als er diesen ironischen Tonfall gleich im Anschluss an seine Verneinung auspackte. Es war einfach ungewohnt und das letzte Mal, das ich sowas wie einen Witz von ihm gehört hatte, war gefühlt Jahre her, wenn nicht gar Jahrzehnte. Was nicht hieß, dass mir das nicht gefiel - eher im Gegenteil. Ich fragte mich nur einfach, woher das alles so verhältnismäßig plötzlich kam. Natürlich sah ich Richard momentan nur relativ selten, weil ich ganz einfach keine Zeit dazu hatte ständig bei ihm und Samuele vorbeizuschauen, aber als ich das letzte Mal da gewesen war - zwei oder drei Tage nach dem Sturz, nur um sicher zu gehen, dass er dem Italiener jetzt nicht auf der Nase rumtanzte, weil der ihm nichts entgegenzusetzen hatte -, hatte er noch immer eher ein wenig in sich gekehrt im Beisein meines Landsmanns auf dem Sofa gesessen. Es war also einfach insgesamt ziemlich grotesk zu sehen, dass er sich innerhalb von ungefähr zwei Wochen noch derartig gewandelt hatte. Gerade unter der Voraussetzung so gut wie gar nicht mehr aus der Wohnung rauszukommen, weil ja Niemand da war, um ihn zu begleiten. Ob er genau das gebraucht hatte? Einen jammernden Waschlappen, der ihm ständig in den Ohren lag, weil er nicht zur Arbeit konnte und auch noch seine Hilfe brauchte? Merkwürdig, aber vermutlich schon im Bereich des Möglichen. "Ja, diese Vorstellung kommt wahrscheinlich ganz gut hin.", bestätigte ich Richard mit einem schwachen Nicken in seinen Worten und klang auch dieses Mal wieder noch ein kleines bisschen ruhiger. Zwar nach wie vor nicht richtig entspannt, aber das würde auch sicher noch eine ganze Weile dauern. Ich versuchte nebenher meine Gesichtsmuskulatur ein wenig zu entspannen und damit aufzuhören, permanent die Augenbrauen nach unten zu ziehen und parallel dazu meine Stirn in Falten zu legen. " Nicht weniger als das ist ja auch sein Job.", stellte ich nachdenklich fest, als Richard noch einmal betonte, dass Sam es mit seiner Aufgabe ansonsten immer sehr ernst zu meinen schien und ihm eher keine Sonderwünsche gewährte. War besser so für den Italiener und auch besser für meine eigenen Nerven, weil es dann einen Punkt weniger auf der endlosen Liste gab, welche Dinge verzeichnete, die mich meine letzten, noch vorhandenen Nerven kosteten. Jedenfalls folgte ich dem Dunkelhaarigen durch den kleinen, bis auf zwei oder drei Blumentöpfe eher kahlen Innenhof, bevor es weiter nach drinnen und daraufhin auch nach oben ging. Ich schloss die Wohnungstür hinter mir, kaum hatte ich nach Richard den Flur betreten er rief dann auch gleich nach dem eigentlichen Mieter der Wohnung. Aber ich wartete gar nicht erst darauf, dass jener zu uns kam, sondern trat an dem Dunkelhaarigen vorbei in Richtung Wohnzimmer.
Ich hasste es, dass ich nichts tun konnte außer Zuhause rumzusitzen und darauf zu warten, dass die Schmerzen weniger wurden und der Knöchel endlich mal heilte. Wie bereits direkt nach dem Sturz von mir vermutet waren die Bänder zwar nicht gerissen und der Knochen an sich auch soweit in Ordnung, aber trotzdem hatten die Sehnen einen ordentlichen Knacks weggekriegt. Es dauerte, bis sich die Risse in jenen wieder verschlossen und so lange tat dieser Mist wirklich verdammt weh. Auftreten oder auch nur den Fuß richtig glatt auf dem Boden abstellen? Fehlanzeige. Sobald ich das Fußgelenk in irgendeiner Weise unter Spannung setzte, fiel mir gefühlt der Fuß ab. Das wäre ein bisschen weniger schlimm, wenn mir ansonsten zumindest nichts weh tun würde. Die Krücken ersparten mir immerhin weitere Blessuren der angeknacksten Bänder, aber das interessierte den Rest meines geprellten Körpers ziemlich wenig. Denn der wiederum beschwerte sich fortwährend über jede noch so kleine Bewegung, die ich machte - allem voran das rechte Schulterblatt, über dessen Knochen ein absolut hässlicher Bluterguss prangerte. Auch jetzt nach zwei Wochen noch, aber während die Farbe des Hämatoms immer hässlicher wurde, ging zumindest die Schwellung an sich zurück. Selbst das Kühlpad hatte mich dahingehend nicht vor allem bewahren können und ich kühlte zumindest den Knöchel auch jetzt noch hin und wieder, wenn er unangenehm zu pochen anfing. Zwar hatten die Schmerzen inzwischen insgesamt schon abgenommen, aber an laufen oder fit sein war noch nicht im entferntesten zu denken und deshalb war ich heilfroh darum, dass Richard anfing eine kleine Verwandlung durchzumachen. Er schien selber nach ein paar wenigen Tagen zu merken, dass jetzt gewissermaßen Jemand fehlte, der den Haushalt schmiss und er fing tatsächlich damit an, sich damit zu beschäftigen, obwohl ich ihn parallel dazu regelmäßig mit irgendwelchen anderen Dingen nervte, um nicht selbst aufstehen zu müssen. Es machte nicht wirklich viel Spaß, sich den Arsch auf dem Sofa plattzusitzen und ich war dankbar dafür, dass Bandit hin und wieder zum kuscheln kam und mir damit etwas Abwechslung verschaffte. Er schien sich inzwischen auch weniger an Richard zu stören, denn er kam selbst dann zu mir, wenn der Engländer unweit von meiner Wenigkeit auf dem Sofa saß und das war doch ein ziemlich ordentlicher Fortschritt, wo er vorher eher einen Bogen um ihn gemacht hatte. Vielleicht lag das auch mitunter daran, dass momentan hauptsächlich jener Dunkelhaarige den schwarzen Kater fütterte, wenn ich nicht ausnahmsweise mal selbstständig in die Küche hinkte, weil ich sowieso dorthin musste. Futter war ziemlich sicher eine der einfachsten Methoden dazu, sich einem Tier näher zu bringen - auch, wenn ich mir sicher war, dass Richard es so gar nicht darauf anlegte. Ich wusste zwar nicht, warum Katzen nicht so sein Ding waren, aber solange er das meinen Kater nicht spüren ließ, sollte mir das relativ egal sein. Jedenfalls ließ ich es den jungen Mann häufig wissen, dass ich es gut fand, dass er sich jetzt tatsächlich dem Haushalt widmete. Dankte ihm auch immer wieder dafür, dass er mir meine teilweise etwas überflüssigen Wünsche meistens ohne zu murren erfüllte. Ihn positiv in seinem Tun zu bestärken konnte schlichtweg nicht verkehrt sein - außerdem war ich ihm ja wirklich dankbar dafür, dass er Schadensbegrenzung für mich betrieb und es schien ihm gut zu tun, sowas wie eine Aufgabe zu haben. Dass es den ganzen Tag über immer mal wieder Dinge gab, die er zu erledigen hatte, weil ich es nun mal nicht konnte. Richard war nicht mehr so miesepetrig wie sonst - zwar durchaus mal von mir genervt, aber das konnte man ihm kaum verübeln - und das war wahnsinnig angenehm. Ich hatte mir inzwischen auch schon fest vorgenommen ihm quasi als einfaches Dankeschön eine kleine Freude zu machen, wenn ich endlich mal wieder halbwegs fit und fähig zu laufen war. Wie genau das ausfallen würde wusste ich noch nicht. Vielleicht ging ich einfach in eines der Kunstmuseen mit ihm oder irgendeine andere Form von Ausflug, nur Hauptsache mal raus aus der Bude. Wenn er etwas stabiler war, wie es zumindest aktuell den Anschein zu haben schien, dann konnte ich Sabin bestimmt guten Gewissens darum bitten, ohne sofort mahnende Worte kassieren zu müssen. Apropos... Ich befand mich in einer Art Dämmerzustand oder Halbschlaf, als ich die Haustür ins Schloss fallen hörte und kurz darauf auch schon Richards Stimme. Es dauerte noch etwa zwei Sekunden, dann riss ich die Augen auf und saß ruckartig kerzengrade auf dem Sofa - woraufhin ich schmerzlich das Gesicht verzog, weil mein Rücken wirklich alles, aber bestimmt nicht begeistert von dieser schnellen Bewegung war. Dauerte nicht lange, da sah ich Sabin durch den Türrahmen spazieren. Mir rutschte unweigerlich das Herz in die Hose - obwohl der Italiener gar nicht besonders wütend aussah -, weil ich nicht wusste was Sache war. "Oh Gott, warst du draußen?" Mein Blick glitt hektisch zu Richard, der kurz nach dem Mafioso in mein Sichtfeld trat. "Sabin, ich wollte wirklich nicht einschl..." Besagter junger Mann hob die Hand und schüttelte leicht dein Kopf. Ich war mir nicht sicher, ob er die Entschuldigung einfach nicht hören wollte und sah ihn dementsprechend wohl ziemlich unruhig an, bis er selbst zum Reden ansetzte. "Ist schon okay, er war nicht weit weg. Sollte aber trotzdem nicht wieder vorkommen.", konnte er mich mit ein paar wenigen Worten beruhigen und ich atmete hörbar erleichtert aus, bevor ich eifrig den Kopf schüttelte. Nein, ganz bestimmt nicht. Ich war gerade einen halben Herztod gestorben und der Puls galoppierte mir noch immer förmlich davon, was ich zukünftig gerne vermeiden wollte. "Nein, natürlich nicht.", bestätigte ich ihm auch noch einmal wörtlich, dass ich zukünftig besser darauf achten würde nicht einzunicken. Dann sah ich ihn noch einen kleinen Augenblick lang an, bevor meine Augen zurück zu Richard wanderten. "Was hast du gemacht?", fragte ich und erst danach fiel mein Blick auf die kleine Tüte in seiner Hand.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Samuele schien zwar nicht aufgebracht durch die Wohnung zu wuseln und nach mir zu suchen, aber alleine anhand seiner Stimme, die mir im Flur bereits zu Ohren kam, nachdem sich Sabin an mir vorbei ins Wohnzimmer begeben hatte, ließ darauf schließen, dass er wach und alles andere als tiefenentspannt war. Verdenken konnte ich ihm das allerdings nicht, denn wer wäre das auch schon, wenn der Tätowierte mal wieder unangekündigt auf der Matte stand und man sich nicht sicher sein konnte, was er denn nun von einem wollte? Ich folgte meinem Freund durch den Flur und steckte hinter ihm meinen Kopf durch die Tür des Wohnzimmers, bevor ich zu den beiden aufschloss und daraufhin ein kurzer, allerdings angenehm ruhiger Schlagabtausch zwischen den beiden Italienern verfolgte. Sam schien sich wie erwartet beinahe einzunässen und in Erklärungsnot zu geraten, während Sabin für die Art des Ausrutschers verhältnismäßig umgänglich reagiere. Machte meinem Mitbewohner auch keinerlei Vorwürfe und verzichtete darauf, die Stimme zu erheben. Er bat Sam lediglich, dass das in Zukunft nicht noch einmal vorkam und damit hatte sich die Sache dann auch schon erledigt. Es rollten keine Köpfe, alle lebten noch und niemand weinte. Dafür, dass ich mich alleine draußen herumgetrieben hatte ein ziemlich guter Deal. Als der Invalide vom Sofa aus sein Wort an mich richtete, wendete ich mich erstmals von Sabin ab und sah zu ihm rüber, setzte ein schwaches Lächeln auf und legte dann die Distanz zwischen meinem aktuellen Standpunkt und der Couch mit drei großzügigen Schritten zurück, um mich neben ihm auf das Polster zu werfen. Die Tüte stellte ich daraufhin auf meinem Schoß ab und kramte daraus den Einkauf. Eine Tablettenpackung und die Salbe. "Ich hab dir ein paar stärkere Schmerzmittel geholt. Extra für Verletzungen, die den Bewegungsapparat des Menschen betreffen...", rezitierte ich den auf die Umverpackung der Blister gedruckten Hinweis, kurz bevor ich die Schachtel an Sam weiter reichte. "Ist aber leider nur 'ne etwas mildere Version vom Original, weil letzteres verschreibungspflichtig ist. Dafür habe ich dann noch diese Salbe hier mitgebracht. Die Apothekerin meinte, als Ergänzung zu den Tabletten würde die gut was hermachen.", redete ich weiter und reichte schließlich auch die Tube an meinen Sitznachbarn weiter. "Na ja und weil ich immer so viel Glück habe, kam mir auf dem Rückweg natürlich Sabin entgegen. Hat mir fast einen Herzinfarkt eingejagt, als er in die Eisen gestiegen ist.", ließ ich Sam außerdem mit einem Augenrollen und gespielt vorwurfsvollen Ton in Richtung seines Landsmannes wissen, dass ich es definitiv nicht darauf angelegt hatte, eine Situation wie diese hier zu provozieren. Aber wer hätte denn bitte damit rechnen können, dass Sabin ausgerechnet heute irgendwelche Besorgungen erledigen musste und sich von gefühlt hundert Zufahrtsstraßen genau die eine und wohn einzige aussuchte, die unmittelbar an Samueles Wohnung vorbei führte. War alles irgendwie ein bisschen blöd gelaufen, wenn man mich fragte, dabei war ich noch nicht einmal lange weg gewesen. Eine gute dreiviertel Stunde vielleicht und wäre der junge Mann nur zehn Minuten später von Zuhause oder wo auch immer losgefahren, hätte er mich überhaupt nicht auf der Straße spazieren gehen sehen. Aber gut, wie gesagt... was das anging hatte ich schlichtweg Pech gehabt und konnte mich wohl glücklich schätzen, dass das so weit keine Konsequenzen haben würde - für niemanden von uns. "Hab' mich auch schon entschuldigt und ihm versichert, dass du davon nichts wusstest. Hätte ich dir was gesagt, wärst du vermutlich nicht so einfach weggepennt und nachdem du heute ganz besonders unleidlich warst, was die schlechte Laune und die Schmerzen anging... wollte ich einfach kein Risiko eingehen.", legte ich damit den beiden Italienern noch einmal offen, warum ich nichts, was auch nur ansatzweise darauf schließen lassen würde, dass ich mich bei der nächstmöglichen Gelegenheit aus dem Staub machen würde, erwähnt hatte. Andernfalls wäre das mit der Besorgung einfach nicht möglich gewesen und ich hätte mir dann den Rest des Tages noch Sammys Scheißlaune antun müssen. Was vermutlich jedoch nur fair gewesen wäre, denn ich hatte es ihm noch vor weniger als zwei Wochen mindestens genau so schwer gemacht, in seinen eigenen vier Wänden einfach mal abzuschalten, weil ich ständig nur schlecht drauf gewesen war und die miese Stimmung logischerweise auch irgendwann einfach abfärbte. Nur war es mir nun mal nicht direkt untersagt, jemanden, der mich nervte, mit Medikamenten ruhig zu stellen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich folgte Richard unaufhörlich mit meinem Blick, als er zu mir kam und sah ihn auch weiterhin an, als er sich letztlich neben mir aufs Sofa setzte. Noch währenddessen setzte ich mich selbst ein wenig um, damit ich nicht die ganze Zeit den Nacken zu ihm rüber drehen musste, zog das unverletzte Bein aufs Sofa und winkelte es auf dem Polster an. Ich ließ meine Hand auch weiterhin auf dem Unterschenkel liegen, als der Engländer dazu ansetzte mir die Ausbeute des Ausflugs zu zeigen, der offensichtlich sehr stark zu meinen Gunsten ausgefallen war. Ich sah abwechselnd zwischen seinem Gesicht und den Arzneien hin und her, die er mir nach und nach mit entsprechender Erklärung übergab. Ich blinzelte wohl kurzzeitig ein bisschen überfordert und sah dann noch einmal sowohl die Tabletten, als auch die Salbe genauer an, bevor mein Blick erneut zu Sabin glitt. Ich musterte ihn kurz und sah dann zurück zu Richard. "Das wär wirklich nicht...", setzte ich gemurmelt zu einem Satz an, brach aber ab. Doch, das war sehr wohl notwendig gewesen und ich war ihm gerade unheimlich dankbar dafür, dass er einfach abgehauen war, wenn das auch nur einen Hauch von besserer Schmerzlinderung versprach. Es gab fast nichts, was ich mehr hasste als Schmerzen - also wenn man schwer kriminelle Menschen mal außen vor ließ. Wobei hassen dafür wahrscheinlich die falsche Ausdrucksweise war - es war eher Angst als Hass, die meine Gefühle dahingehend prägte. "Danke.", sprach ich dem jungen Mann dann doch meinen aufrichtigen Dank aus. Vielleicht etwas gemurmelt, weil ich mir wirklich nicht sicher war was Sabin darüber dachte, dass ich den Dunkelhaarigen indirekt darin bestätigte, dass sein Ausflug eine eindeutig gute Seite an sich hatte. Deshalb warf ich auch noch einmal einen etwas unsicheren Blick zu dem Italiener rüber, der uns beide aufmerksam zu beobachten schien. Aber er wirkte dafür, dass Richard gerade Mist gebaut hatte - und ich damit irgendwie automatisch auch -, wirklich erstaunlich entspannt. Er schien über Irgendetwas nachzudenken, zumindest sagte mir das sein Gesichtsausdruck ziemlich eindeutig, aber ich konnte nur schwer abschätzen um was es dabei ging. Also öffnete ich stattdessen die Packung mit den Tabletten, um mir die Packungsbeilage durchzulesen. Ich hatte heute morgen noch das andere Schmerzmittel genommen und wollte einfach nur sicher gehen, dass das nicht miteinander kollidierte - wobei sicher da immer relativ war, weil der menschliche Körper ein echtes Einzelexemplar war und jeder auf das Gemixe verschiedener Stoffe anders reagierte. Ehrlich gesagt war mir das Risiko in diesem Fall aber auch recht egal, weil ich einfach nur wollte, dass diese verdammten Schmerzen endlich mal ein Ende oder zumindest fast sowas wie ein Ende hatten. Es würde schon reichen, wenn es einfach weniger wurde, also griff ich nach dem Durchlesen der Dosierung kurzerhand nach meiner Wasserflasche auf dem Tisch - wieder inklusive schmerzverzerrtem Gesicht, weil das ja herrlich viel Bewegung im Oberkörper von mir forderte - und drückte eine der Pillen aus dem ersten Blister, um sie kurzum runterzuspülen. Trotzdem würde ich wohl ein Auge auf die Packung haben müssen. Weniger, weil ich glaubte, dass Richard wirklich danach greifen wollte und mehr, weil Sabin das sicher von mir wollte. Ich meine, der Engländer war ja jetzt schon draußen gegeben. Vielleicht nicht besonders lang, aber es war absolut gar nichts passiert. Er war dabei sogar noch relativ produktiv gewesen, wenn man es so nennen wollte. Deshalb musterte ich den Gesichtsausdruck meines Sofa-Mitbewohners einen Moment lang, aber er schien wirklich entspannt und gut gelaunt, was an seinen sarkastischen Worten zweifelsohne zu identifizieren war. Er wirkte ganz und gar nicht so, als wäre ihm der Alleingang irgendwie schlecht bekommen, viel mehr im Gegenteil. Er wurde also nicht nur innerhalb meiner vier Wände wieder selbstständiger, sondern ganz allgemein und das mit Erfolg. Mein Blick glitt von Richard zurück zu dem Ältesten im Raum. "Sabin, meinst du nicht... du könntest den Freigang ein bisschen auflockern?", fragte ich sehr bedacht, kleinlaut und vorsichtig nach, während mein Puls sich wieder ein bisschen nach oben schraubte. Ich hängte auch lieber gleich noch eine bessere Ausführung hinten an, damit er mich nicht missverstehen konnte. "Ich meine nicht, dass du Richard schon allein rausgehen lassen sollst. Aber wenn ich wieder fit bin könnten wir eigentlich mal ein bisschen länger als nur ein paar Minuten raus... er hat ja grade auch keine Dummheiten gemacht und außerdem macht er wirklich Fortschritte. Ich hab die letzten beiden Wochen über gar nichts hier drin gemacht und er hat alles nach und nach in die eigene Hand genommen. Vorher hatte er damit Probleme und... na ja.", redete ich ein bisschen wirr vor mich hin, weil ich eben wirklich nervös war und nicht sicher damit, wie der großgewachsene Italiener denn nun darauf reagieren würde. Ich hatte meine Worte hier und da mit kleineren, nur wenig schmerzhaften Handbewegungen untermalt und sah Sabin nun abwartend an. Der jedoch musterte uns beide noch etwa weitere zwanzig Sekunden ziemlich eindringlich, bevor sein Gesichtsausdruck sich etwas auflockerte und er mit den breiten Schultern zuckte, dann zu dem Engländer neben mir sah. "Ich schätze darüber sollten wir erst reden. Komm am besten einfach jetzt mit. Ich muss noch einkaufen und korrigiert mich, wenn ich mich irre, aber euer Kühlschrank ist nach zwei Wochen sicher ziemlich leer.", wandte er sich mit nachdenklicher, aber ruhiger Stimme hauptsächlich an den jungen Mann neben mir und ich war ein wenig überrascht davon, dass er seine Worte nicht als Befehl, sondern eher als Vorschlag mit Nachdruck servierte. Ich war wirklich schwer erleichtert darüber, dass er mir für meine Bitte nicht den Kopf abhacken, sondern stattdessen dem Engländer sein Gehör schenken wollte. Außerdem könnten wir tatsächlich ein paar Dinge gebrauchen. Sowas wie Nudeln und Reis hatte ich zwar eigentlich immer etwas im Überfluss hier, aber ich würde ganz gern mal wieder was anderes essen und außerdem war die Butter leer. "Ist 'ne gute Idee.", bestärkte ich Sabin mit einem Nicken in seinen Worten und sah dann im Anschluss zu Richard, um seine Reaktion abzuwarten.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ob Samuele im Gespräch mit Sabin irgendwann mal nicht mehr aussehen würde wie ein begossener Pudel, dem man gerade auf den Schwanz getreten war? Ich bezweifelte es irgendwie. Schließlich unterhielten sich die beiden heute nicht zum ersten Mal und Sabin machte zudem ausnahmsweise einmal nicht den Anschein, als würde er einem von uns jetzt noch den Kopf abreißen wollen. Im Prinzip waren das also optimale Voraussetzungen dafür, auf Augenhöhe mit dem jungen Mann zu kommunizieren und doch versteckte sich Sam weiterhin eher hinter kleinlauten und zögerlichen Worten, mit denen er versuchte, Sabin zur weiteren Lockerung der Sicherheitsmaßnahmen zu bewegen. Damit hatte ich nach dem Vorfall jetzt ehrlich gesagt nicht gerechnet und sah ihn deshalb wohl auch einen Augenblick lang entsprechend überrascht an. Nicht einmal mir selbst wäre in den Sinn gekommen, sich nach Anpassung der Auflagen zu erkundigen, wenn mein Schützling keine zehn Minuten vorher gegen eben jene verstoßen hatte. Umso überraschter war ich wohl auch, dass Sabin nicht von vornherein ablehnte, sondern sich der Bitte gegenüber relativ entscheidungsfreudig zeigte. Mein sichtlich irritierter Blick wanderte also wieder in Richtung des älteren Italieners, von wo aus er sich dann abwechselnd auf sein Gesicht und das seines Landsmannes legte. Es brauchte mich gut eine halbe Minute, bis ich mir wirklich sicher sein konnte, dass mich keiner der beiden hier an der Nase herumzuführen versuchte. Ich musterte sowohl Sabins, als auch Sams Gesicht eine ganze Weile lang, konnte aber bei beiden keinerlei Anzeichen dafür finden, dass sie sich hier bloß einen geschmacklosen Scherz auf meine Kosten erlaubten, weshalb ich mich zögerlich vom Sofa erhob. Die Lippen dabei einen Spalt weit geöffnet, weil ich noch etwas hatte sagen wollen, aber irgendwie blieben mir gerade sämtliche Worte im Hals stecken. Der Kloß, der sich voller Vorfreude auf ein Stück mehr Lebensqualität gebildet hatte, ließ sich nur schwer beseitigen und so zogen weitere Sekunden ins Land, die ich mich nachdenklich am Kopf kratzend ins Land streichen ließ. Schließlich kam meine Stimme dann aber doch wieder, nachdem ich mich ein oder zwei mal geräuspert hatte. "Klingt... nach einem Plan, ja.", stimmte ich dem Ganzen unnötigerweise dann auch noch mal verbal zu, obwohl das angesichts meines nahezu strahlenden Gesichtsausdruckes sicher nicht mehr notwendig gewesen war. "Lass' mich nur schnell... eh... etwas anderes anziehen und einen... Einkaufszettel schreiben.", stammelte ich vor Glückseligkeit etwas wirr vor mich hin, fuhr mir dann noch einmal mit der Hand durch die Haare und stolperte mit dem nächsten Atemzug dann auch schon aus dem Wohnzimmer in Richtung Badezimmer, um die Jogginghose und das übergroße Shirt gegen eine schlicht schwarze Jeans und ein roséfarbenes Oberteil zu tauschen. Außerdem widmete ich mich fürs Einkaufen dann auch noch für etwa fünf Minuten meiner Frisur, bevor mich die Beine einen Raum weiter in die Küche trugen. Dort verbrachte ich insgesamt wohl ein bisschen mehr Zeit, um den Inhalt sämtlicher Schränke und des Kühlschranks genauer unter die Lupe zu nehmen, damit ich die Ausmaße des Einkaufszettels nicht sprengte, weil ich einfach alles, was mir gerade durch den Kopf schoss einfach auf den Zettel kritzelte, den ich mir mitsamt eines Stiftes von der Theke geangelt hatte. Alles in allem war ich wohl weitere fünfzehn Minuten verschwunden, bevor ich schließlich ins Wohnzimmer zurückkehrte. Im Flur lief mir dann allerdings noch Bandit über den Weg und erinnerte mich mit seiner bloßen Anwesenheit und den drolligen Knopfaugen daran, dass auch er gerne über die nächste Woche kommen wollte. Katzenfutter landete damit als letzter Punkt auf der Einkaufsliste und ich murmelte noch ein "Schon gut, hab' dich nicht vergessen.", in Richtung des schwarzes Katers, der sich seit geraumer Zeit auch von mir anfassen ließ. Zwar legte ich es selbst nicht unbedingt drauf an und die Beziehung zwischen dem Fellknäuel und mir war bei Weitem nicht so gut wie die zu seinem eigentlichen Besitzer, aber ab und an erwischte ich mich mittlerweile doch dabei, wie ich dem Krüppel im Vorbeilaufen über seinen Kopf oder den Rücken strich. So auch jetzt wieder, bevor ich letztlich zu den beiden Männern im Wohnzimmer aufschloss. "Ich schätze, ich hab alles aufgeschrieben, was uns fehlt.", richtete ich mein Wort direkt an Sam und überreichte ihm zum Drüberlesen den teils ziemlich unleserlichen Einkaufszettel, den ich vorbereitet hatte. Eventuell fiel ihm ja noch etwas ein, was ich mitbringen sollte, dann ließe sich die Liste gleich noch um den ein oder anderen Punkt ergänzen, bevor Sabin und ich uns auf die Socken machen würden. Apropos... da fiel mir doch glatt noch etwas ein, über das ich Sammy eventuell noch in Kenntnis setzen sollte, bevor ich den Anschein eines Taschendiebes erweckte. "Oh, ich... hab vorhin im Übrigen dein Portemonnaie mitgenommen.", gestand ich, weil sich das kühle Leder gerade an meine Hand schmiegte, als ich jene in die Hosentaschen schob. Als ich im Bad die Jogginghose ausgezogen hatte, war das Ding wohl automatisch in den Seckel der Jeans gewandert und fiel mir deshalb erst jetzt wieder bewusst auf. "Ich weiß einfach nicht, wo mein ganzer Kram hin ist...", lieferte ich darauffolgend noch eine Erklärung, die mir ein leises Seufzen über die Lippen trieb. Mein Handy hatte ich, wobei das wohl in den letzten Tagen achtlos irgendwo in der Ecke lag und vermutlich keinen Akku mehr hatte, aber der Geldbeutel war nicht aufzufinden. Ob der immer noch in Sabins Obhut sein Dasein fristete? Oder hatte ich ihn einfach verschlampt, im schlimmsten Fall sogar verloren? Vermutlich sollte ich mich zeitnah mal nach dem Teil auf die Suche begeben und andernfalls bei Vahagn anklopfen, ob sie zumindest hinsichtlich eines neuen Personalausweises ihre Connections spielen lassen konnte. Zwar dürfte es laut ihrer Aussage damals keine Probleme mit den Behörden und damit bei der Neuausstellung eines Passes geben, aber dahingehend war ich trotz allem ein wenig paranoid.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich rang mit mir. Wirklich. Denn eigentlich war es so ganz und gar nicht in meinem Sinn Richard jetzt quasi auch noch dafür zu belohnen, dass er abgehauen war, nur weil dabei nichts schiefgegangen war. Ich meine, es hätte schließlich stattdessen eine ganze Menge Scheiße bei seinem Alleingang passieren können und das bedurfte eher einer Strafe, als Lorbeeren und Freigang. Deshalb sah ich die beiden eben auch noch eine ganze Weile lang kritisch an, bevor ich schließlich ein sehr indirektes, noch verhalten klingendes Ja dazu äußerte. Ich würde Richard während unseres kleinen Ausflugs einfach noch ein bisschen ausquetschen und still darauf hoffen, dass er mir damit entweder den entscheidenden Wink zu mehr oder eben zu weniger Freigang gab. Er würde mich schon erst noch davon überzeugen müssen, dass er wirklich so weit war. So entließ ich ihn mit einem leichten Nicken aus dem Raum, nachdem er wie ein frisch gebackenes Honigkuchenpferd noch verkündet hatte, dass er sich gleich fertigmachen würde und dann war er auch schon zeitnah aus dem Wohnzimmer verschwunden. Ich sah ihm noch nach und nutzte die Zwischenzeit im Anschluss dazu, mich zu Samuele zu setzen und recht leise mit ihm darüber zu reden, wie Richards Fortschritte sich denn in seinen Augen genau definieren ließen. Während der Engländer also irgendwo anders in der Wohnung herumwuselte quetschte ich seinen Mitbewohner aus und der schilderte mir all das dann doch recht eindeutig. Er redete offen darüber, dass der junge Mann sich zu Anfang eher nur wenig bis gar nicht im Haushalt beteiligt hatte und er das aber inzwischen vollkommen selbstständig von sich aus erledigte, damit hier Niemand im Dreck versinken musste. Sam erwähnte sogar beiläufig, dass selbst sein Kater sich in Anwesenheit des Kunstfanatikers inzwischen entspannen konnte und dass das ebenfalls ein gutes Zeichen dafür sein sollte, dass Richard gemütstechnisch große Fortschritte machte. Gut, einerseits würde ich diesen Punkt ganz bestimmt nicht zu schwer gewichten - auch, wenn Tiere für gewöhnlich ein besseres Gespür für Emotionen hatten als Menschen -, aber ganz außer Acht zu lassen war das wohl auch nicht, wenn der Engländer das schwarze Fellknäuel doch zu Beginn so gar nicht hatte leiden können. Außerdem fiel mir selbst ja auch auf, dass er deutlich bessere Laune hatte und scheinbar nicht mehr alles nur noch schwarz sah. Verglichen mit dem Zeitpunkt, als ich ihm den Schädel auf der Kommode hatte festtackern müssen, war er jetzt definitiv ein ganz anderer Mensch. Er freute sich scheinbar richtig auf den an sich total simplen Einkauf - den ich persönlich meistens eher nur als lästig empfand, wo ich früher in Italien doch selbst dafür meine Boten gehabt hatte -, wo er vor ein paar Monaten doch nicht einmal einen Fuß vors Haus hatte setzen wollen. Außerdem schienen die beiden auch mal ein etwas persönlicheres Gespräch geführt zu haben, dass ihm laut Samuele auch geholfen hatte. Um was genau es ging wollte er mir nicht sagen, aber das war auch nicht so schlimm. Natürlich war ich trotzdem ein bisschen neugierig, aber es konnte in jedem Fall nur gut sein, wenn Richard langsam wieder damit anfing sich zu öffnen und sich Jemandem anzuvertrauen. Vielleicht war ich auch ganz dankbar dafür, dass er diesen Schutt erst einmal auf Italiener Nummer Zwei und nicht auf mir ablud, wo mein Schädel doch ohnehin schon zum zerbersten gefüllt war. Alles in Allem hatte ich also durchaus den Eindruck, dass der ehemalige Kunsthändler für einen nächsten, größeren Schritt bereit sein könnte, würde mich aber trotzdem auch mit ihm darüber noch ein wenig unterhalten. Sam und ich hatten unser Gespräch kaum seit zwei Minuten beendet, da kam Richard zu uns zurück ins Wohnzimmer und mein Blick wanderte unweigerlich wieder direkt zu ihm. Ich war schon dabei aufzustehen, als er sich noch einmal an Sam wandte, ihm den Einkaufszettel gab und kurz darauf eine weitere Beichte auftischte. Aha. Also aufräumen schien drin zu sein, aber sein Geldbeutel blieb dabei verschwunden? Ich zog unterbewusst die rechte Augenbraue hoch, als mein Blick zu Samuele wanderte. "Die Medikamente waren ja sowieso für mich, also halb so wild... zahl' den Einkauf ruhig auch noch damit, ich rechne das später aus.", sagte er nur schulterzuckend, während er den Zettel überflog. Er nickte das Ganze so weit ab und reichte Richard den Zettel wieder, bevor er mit einem schiefen Grinsen die Worte "Bring Chips mit." anhängte. Dann schob er sich vorsichtig in eine eher liegende Position zurück aufs Sofa. Er schien Richard sein Geld und auch den restlichen Inhalt seines Geldbeutels wirklich ohne mit der Wimper zu zucken anzuvertrauen, was mich ein bisschen wunderte. Aber gut, war andererseits vielleicht auch gar nicht so abwegig - Richard vertraute ihm seine Probleme an, Sam vertraute wiederum dem Engländer vorübergehend sein Portemonnaie an. Klang nach einem gesunden Vertrauensverhältnis und wenn die beiden sich auf so einem guten Level bewegten würde ich das bestimmt Niemandem ankreiden. Konnte schließlich nur gut für den Dunkelhaarigen und seine etwas andere Art von Therapie sein. "Gut, dann könn' wir ja endlich los... bis später.", machte ich eine überflüssige Feststellung und verabschiedete mich im gleichen Atemzug vorübergehend von dem Lädierten auf der Couch, bevor ich Richard noch kurz mit meinem Blick streifte und dann auch schon den Weg nach unten anpeilte. Zum Glück stand der Wagen nicht weit weg, wenn auch vielleicht im Halteverbot. Darauf hatte ich vorhin wirklich kein bisschen geachtet, aber wenn ja war das auch halb so schlimm. Nach einem Verantwortlichen konnten sie bei den geklauten Kennzeichen lange suchen, mich würden sie dabei bestimmt nicht finden.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich schien im Eifer des Gefechts also nichts vergessen zu haben, zumindest soweit Samuele das von seiner Position auf dem Sofa aus beurteilen konnte. Der Einkaufszettel kam damit schneller wieder zu mir zurück, als ich bis drei zählen konnte und sollte lediglich um nur noch einen einzigen Punkt erweitert werden. Zwar standen Snacks bereits aufs Platz zwei der Liste, weil man davon ja doch nie genug im Haus haben konnte, aber ich kritzelte in Klammern noch eine genauere Definitiv in Form von Sammys Wunsch dahinter. Für mich würden in der Hinsicht wohl eine Tafel Schokolade und ein paar Knusperriegel in den Einkaufswagen wandern, aber das konnte ich mir auch so merken. Vielleicht entschied ich mich im Laden vor dem Regal stehend ja auch spontan für etwas vollkommen anderes, wo ich doch jetzt relativ lange nicht mehr selbstständig Einkaufen gewesen war und die entsprechende Reizüberflutung mich womöglich alles oder gar nichts kaufen lassen würde. Ganz zu Anfang hatten Hunters Männer Tauren und mich für eine Woche mit ausreichend Nahrung versorgt und darauffolgend war die Aufgabe irgendwie immer an besagtem Norweger hängen geblieben, weil ich selbst permanent nur drauf und damit überhaupt nicht in der Lage dazu gewesen war, ohne eine Gefahr für mich selbst oder andere darzustellen einen Fuß vor die Tür zu setzen und im Ernstfall wohl einfach etwas zu Essen bestellt hätte, wenn nichts im Haus war. Einen Supermarkt von innen gesehen hatte ich zuletzt also vor einer schier unendlich langen Zeit, denn auch Sydney und Sabin hatten darauf verzichtet, mich als Ballast mit in die Stadt zu schleppen. Womöglich hätte man mir nämlich eine Fußfessel oder Handschellen anlegen müssen, damit ich nicht auf die blöde Idee kam, zwischen den Regalen einfach unbemerkt zu verschwinden. Damals, obwohl es so lange nun auch wieder nicht zurück lag, war ich nun mal deutlich unberechenbarer gewesen, als ich das inzwischen war. Demnach war es absolut nachvollziehbar gewesen, dass man mich einfach Zuhause in meinem Kabuff hatte versauern lassen. Umso mehr freute ich mich, einen weiteren Schritt zurück in den normalen Alltag zu machen und stand bereits in den Startlöchern, als Samuele mir auch noch einmal sein Go dafür gab, sein Portemonnaie, beziehungsweise eher dessen Inhalt, für den Einkauf zu verwenden, was ich mit einem leichten Nicken zur Kenntnis nahm. "Okay, dann bis später.", verabschiedete ich mich mit angehobener Hand ebenfalls noch flüchtig von meinem Mitbewohner, ehe ich Sabin wieder in den Flur und letztlich nach unten auf die Straße folgte. Obwohl ich Einkaufen nie gemocht hatte, freute ich mich gerade wirklich darauf. Nicht zuletzt eben wegen der Aussicht auf ein paar mehr Freiheiten, aber auch ganz allgemein. Zwar war durch den Supermarkt hetzen nicht unbedingt besser, als drei Runden um immer den gleichen Block zu laufen, aber alleine Sabins Anwesenheit war schon eine sehr angenehme Abwechslung, über die ich mich besonders freute. Etwas mit einem, in meinen Augen guten Freund zu unternehmen, machte doch irgendwie immer gleich mehr Spaß, als wenn man alleine unterwegs war. Und wenn es hierbei nur um die Besorgung von Vorräten ging. Vollkommen egal. Mal wieder ein anderes Gesicht, als nur das meines Mitbewohners und seiner Katze zu sehen... machte schon viel aus. Ich trabte dem hochgewachsenen Italiener also die paar Meter bis zum Wagen hinterher, auf dessen Beifahrerseite ich mich kurzerhand fallen ließ, nachdem Sabin mittels Funkschlüssel die Zentralverriegelung aufgehoben hatte. Noch während ich dabei war mich anzuschnallen, fand sich der junge Mann neben mir hinter dem Steuer ein, um den Wagen kurze Zeit später aus dem Halteverbot rollen zu lassen. Es blieb noch eine ganze Weile ziemlich ruhig, bis ich schließlich meinen Kopf in Sabins Richtung drehte, sein Gesicht ein Moment lang musterte und dann leise seufzte. Ich wusste ja, dass der Italiener vor einiger Zeit Geburtstag gehabt hatte, aber Sabin sah inzwischen nicht mehr aus, als wäre er bloß um ein Jahr gealtert, sondern gleich um fünf oder zehn. Er wirkte erschöpft, genervt, irgendwie... fertig. Und wenn ich mich recht entsinne, dann lag die Frage meinerseits nach seinem Wohlbefinden wohl schon eine ganze Ecke zurück. Immerhin hatte ich in den letzten Wochen und Monaten viel zu viel mit mit selbst zu kämpfen gehabt. Mich danach zu erkundigen, wie es anderen ging - mal von der Frage nach Sams Wohlbefinden unmittelbar nach dem Sturz ganz abgesehen - hatte ich lange nicht mehr gemacht. Und irgendwie traute ich es mich auch jetzt noch immer nicht, ihn zu fragen, wie es ihm in der letzten Zeit denn so ergangen war, weil ich persönlich überhaupt nicht abschätzen konnte, ob ich denn überhaupt schon wieder dazu bereit war, mich gedanklich auch den Problemen anderer anzunehmen. Ich bezweifelte es ehrlich gesagt und hielt mich deshalb mit einer entsprechenden Frage zurück, obwohl es mich schon interessiert hätte, wie es Sabin und auch Sydney ging. Außerdem würde ich mich gerne nach Tauren erkundigen, dessen Haare nach dem Zusammenleben mit mir sicherlich schon graue Strähnen warfen. Aber vorerst blieb es bis auf das leise Seufzen meinerseits ziemlich still, auch wenn sich meine bis hierhin relativ gute Laune davon nicht weiter beeindrucken ließ.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Der Weg zum Wagen verlief schweigend und auch als ich losgefahren war, vergingen erst einmal noch ein paar schweigsame Minuten. Das lag weniger daran, dass ich nicht wusste, was ich denn nun eigentlich sagen oder fragen wollte und viel mehr daran, dass ich nicht wusste wie ich es am besten verpackte. Richard hatte früher ein recht dickes Fell gehabt, aber ich wusste nicht wie das jetzt war. Wie auch, wo wir momentan selbst dann, wenn ich mal zu Besuch war - was ja auch immer seltener wurde -, meistens kaum mehr als das nötigste an Worten miteinander wechselten? Ich war im Grunde schon ein relativ einfühlsamer Mensch, solange ich es denn auch wollte, nur momentan blieb dank meiner meist verhältnismäßig schlechten Laune ein Teil meiner Empathie ganz gern auf der Strecke. Ich merkte ja selbst, dass das manchmal dann auch Leute traf, die eigentlich nichts dafür konnten. Sydney nur selten, weil ich in ihrer Nähe einfach grundlegend besser gelaunt war und mich entspannen konnte, aber der Rest des Hauses... es hatte seine Gründe, warum selbst die aufmüpfigsten der Jungs mir momentan eher aus dem Weg gingen, wenn ich schon beim morgendlichen Kaffeetrinken einen genervten Eindruck machte. Ich war gerade privat eigentlich ein ziemlich umgänglicher Mensch, aber momentan machte mir der Druck von oben das ziemlich schwer. Jetzt war es halt gerade mal nicht mein ehemaliger Chef der italienisches Mafiosi, der mir im Nacken saß, sondern Hunter. Das war nicht wesentlich besser und deswegen betete ich darum, dass die Mexikaner bald mit der nächsten Bestellung um die Ecke kamen. Das bedeutete erst einmal zwar so viel Stress und vor allem Zeitdruck, dass ich mir noch nicht sicher war wie genau ich das hinbekommen sollte, aber ich hatte bisher immer eine Lösung gefunden und ich musste endlich diesen verdammten Schuldenberg bis auf den letzten Cent tilgen, damit der Amerikaner keinen Grund mehr dazu hatte sich mir gegenüber wie der König der Welt aufzuführen. Vorher hatten wir ziemlich auf Augenhöhe miteinander bewegt, aber gerade ließ er mich so oft er konnte spüren, dass er definitiv die Oberhand hatte und ich würde ihn jedes Mal am liebsten mit einem Messer an der Wand festtackern. Nur solange die Schuld nicht beglichen war hatte ich schlichtweg keine andere Wahl, als mir das gefallen zu lassen. Er hatte mich gerade einfach in der Hand und daran ließ sich nichts rütteln. Ich atmete nach ein paar Minuten etwas tiefer durch, kurz nachdem ich im Augenwinkel gesehen hatte, dass Richard damit angefangen hatte mich zu mustern. Wie genau ich meine Frage an den Engländer formulieren sollte wusste ich immer noch nicht, also redete ich jetzt wohl doch ziemlich direkt drauf los. "Wie geht's dir, Richard? Ich meine, wirklich... ganz ohne schönreden und so weiter.", fragte ich ein bisschen gemurmelt vor allem nach seinem geistigen Wohlbefinden, den Blick weiter stur geradeaus gerichtet, weil ich an einer Ampel halten musste. Dass er körperlich noch immer nicht ganz auf der Höhe war, war schließlich offensichtlich. Dem Dunkelhaarigen fehlte noch immer das eine oder andere Kilo auf den Rippen, woran er langsam mal bewusst zu arbeiten anfangen sollte. Der Kopf konnte sich nur so wohlfühlen, wie der Körper fit war und letzterer ließ bei dem jungen Mann ganz einfach noch stark zu wünschen übrig. Es war ja kein Wunder, dass es ihm schwerfiel sich zu essentiellen Aufgaben aufzuraffen, wenn der Körper lediglich ausreichend Energie hatte, um über die Runden zu kommen. "Glaubst du, du bist bereit dazu wieder rauszugehen?", hängte ich noch eine weitere Frage an und sah dann kurz zu ihm rüber, als wir die Ampel hinter uns gelassen hatten und uns auf gerader Strecke befanden. Es war ganz einfach furchtbar wichtig, dass der Dunkelhaarige selbst auch fest davon überzeugt war, dass ihn mehr Freiheit nicht wieder aus der Bahn werfen würde. Ein Risiko war es zwar so oder so, aber wenn er mit dem richtigen Mindset an die Geschichte heranging, dann schmälerte das zumindest die Wahrscheinlichkeit für einen Totalschaden. Natürlich hätte ich auch weiterhin gewisse Regeln zu weiter entfernten Ausflugszielen - keine Clubs, keine Bars, demnach keinen Alkohol, keine kriminellen Stadtviertel, dieses und jenes -, aber vielleicht war er ja inzwischen tatsächlich so weit und ich wünschte ihm das auch wirklich. Er hatte jetzt schon lange genug an den Folgen von Agnolo und seinem Drogenkonsum leiden müssen, es wurde Zeit, dass es mal bergauf mit ihm ging. Auch ein bisschen für mich, aber vor allem für Richard selbst.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Glücklicherweise nahm die teils etwas bedrückende Stille schon bald ein rasches Ende, weil Sabin selbst das Wort ergriff, um sich nach meinem Wohlergehen zu erkundigen. Ich sah ihn bestimmt noch eine ganze Weile lang schweigend an, ehe ich meinen Kopf schließlich in seine Ausgangsposition zurück drehte und nachdenklich durch das Fenster nach vorne auf die Straße sah. Wieder seufzte ich nur leise, zuckte parallel mit den ausgemergelten Schultern, weil ich mir ehrlich gesagt noch nicht ganz sicher war, wie es mir eigentlich wirklich ging. Ja, ich fühlte mich definitiv besser, als noch vor ein paar Wochen, das stand fest. Aber wie ging es mir mit und vor allem nach diesen Veränderungen? Das war eine Frage, über die ich bereits nachdachte, seit wir den Weg zum Auto eingeschlagen hatten, weil es nur offensichtlich gewesen war, dass Sabin mich danach fragen würde. Schließlich würde er kaum eine Entscheidung bezüglich weiterer Freiheiten treffen, nur weil ich mich im Supermarkt wie ein normaler Mensch ohne eine Panikattacke in der Schlange einreihen konnte. Dass das bisschen mehr Lebensqualität durchaus von ein paar eventuell unangenehmen Fragen begleitet wurde, war mir also von Anfang an klar gewesen. Dennoch war ich mit der Frage gerade ein Stück weit überfordert. Schließlich wollte ich ihm nichts Falsches sagen und musste mir deshalb auch absolut sicher sein, dass mein Leben sich momentan tatsächlich wieder zum Positiven entwickelte. Und rückblickend betrachtet konnte ich das wohl guten Gewissens behaupten. Zwar haperte es hier und da noch, was nennenswerte Fortschritte anging - beispielsweise ließ mein Selbstwertgefühl noch wirklich zu wünschen übrig, genau so wie mein Körpergewicht -, und zu einhundert Prozent glücklich war ich auch noch nicht, aber Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. In meinen Augen machte der Grundstein aber inzwischen einen doch sehr soliden Eindruck. Ich überlegte noch kurz, wie ich eine passende Antwort entsprechend verpacken sollte, entschied mich dann aber einfach dafür, es ungeschönt auf den Punkt zu bringen. Nicht anders wollte es Sabin ja auch haben, oder? "Zu sagen, dass es mir absolut blendend geht und ich Bäume ausreißen könnte, wäre wohl ziemlich übertrieben. Aber mir geht es tatsächlich... gut.", redete ich langsam, aber mit fester Überzeugung in der Stimme vor mich hin, sah inzwischen auch wieder zu ihm rüber. Ein schwaches Lächeln zierte außerdem meine Lippen, um die Glaubwürdigkeit dieser Aussage zu unterstreichen. "Klar, ging es mir auch schon besser, aber ich denke... es wird langsam wieder. Hört sich sicher blöd an, aber Sammys Unfall hat mir irgendwie geholfen, zurück ins Leben zu finden. Zumindest, was haushaltstechnische Sachen angeht...", führte ich meine Erklärung noch ein bisschen weiter aus, damit es für Sabin auch nachvollziehbar war, was konkret mir jetzt eigentlich in den letzten Tagen geholfen hatte, aus meinem Schneckenhaus heraus zu kommen. Natürlich hatten Sydney und er in dem Punkt gewissermaßen Vorarbeit geleistet, aber nennenswert besser war es erst geworden, nachdem mich mein schlechtes Gewissen dazu gezwungen hatte, Aufgaben zu übernehmen, damit diese nicht auf Samuele zurückfielen. Es war verdammt schwierig gewesen, dem inneren Schweinehund in den Arsch zu treten, aber aufgeben war in dem Fall keine Option gewesen. Ich mochte ordentlich einen an der Waffel haben, daran bestand kein Zweifel, aber ich hatte nach wie vor meine Prinzipien, an die ich mich, sofern ich clean war, auch weiterhin halten würde. Was dann die nächste Frage des Italieners anging, brauchte ich wieder einen Augenblick, um ihm eine Antwort zu geben. Ob ich ich glaubte, fürs Rausgehen bereit zu sein? Meinem Ausbruch nach zu urteilen ganz offensichtlich schon, aber wenn ich jetzt etwas intensiver darüber nachdachte, war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher. Als ich mich um Sams Medikamente gekümmert hatte, da war es dieses Ziel vor Augen, die Apotheke zu erreichen, die Schmerzmittel einzusacken und wieder nach Hause zu gehen. Allerdings war ich mir nicht sicher damit, wie es sein würde, ohne einen Plan wieder auf der Straße herum zu irren. Natürlich war das Spazieren im Grund genommen dasselbe, aber da hatte ich immerhin den Jüngeren der beiden Italiener in unmittelbarer Nähe gehabt, der mich sehr sicher ermahnt hätte, wenn ich von meinem ursprünglichen Weg abgegangen wäre. Demnach waren die Gedanken an Drogen in dem Fall nur kaum bis eigentlich gar nicht vorhanden, aber die Möglichkeit zu besitzen, ab von Zuhause durch die Gassen zu stiefeln... das war irgendein ein beunruhigender Gedanke. "Heute ist zwar nichts passiert und ich würde mir wirklich sehr wünschen, mich ein Stück weit freier Bewegen zu dürfen, aber... wenn ein Ausflug doch mal länger dauert als eine Stunde oder zwei... würde ich mir fürs Erste immer noch jemanden wünschen, der zumindest ein Auge auf mich hat...", murmelte ich nachdenklich, etwas unsicher, weil ich mir in dem Punkt einfach selber noch nicht so ganz über den Weg traute. Wie gesagt, hielten die positiven Entwicklungen für mich noch nicht lange genug an, um mit absoluter Sicherheit sagen zu können, dass ich die Drogen vollends hinter mir gelassen hatte, aber ich würde natürlich gerne versuchen, dem unabhängigen Leben einen weiteren Schritt näher zu kommen. Vielleicht war auch einfach meine eigene Angst vor dem Versagen so groß, dass man mich in der Hinsicht einfach ins kalte Wasser schmeißen musste, damit ich sah, ob es nun funktionierte oder eben nicht. Mich gleich eingangs von den negativen Gedanken beeinflussen zu lassen, wäre in jedem Fall kontraproduktiv.
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Es dauerte eine kleine Weile, bis der Dunkelhaarige schließlich zu einer Antwort ansetzte, was ich aber nicht als schlimm empfand. Im Grunde genommen vertrödelte ich zwar gerade wichtige Minuten damit den Engländer aufgegabelt zu haben und ihn später auch wieder abzusetzen - und ihm tragen zu helfen, weil ich so meine Zweifel daran hatte, dass er alles in einem Zug alleine nach oben bekam -, aber irgendwie war mir das im Moment ziemlich egal. Womöglich einfach nur, weil ich es langsam satt hatte, mich jeden Tag selbst von A nach B zu hetzen und mal ein paar Minuten zum Durchatmen brauchte. Das auch nicht allein, sondern mit Richard. Ich würde natürlich auch im Supermarkt noch einen ziemlich akribischen Blick auf ihn haben, damit er mir nicht abzischte - dem Frieden einfach zu trauen war nicht drin -, aber das war gerade wirklich mein geringstes Problem. Das halbe Hemd im Notfall einzuholen und wieder dingfest zu machen dürfte keine große Kunst sein. Außerdem wollte ich den Teufel auch nicht schon jetzt an die Wand malen, wo Richard mir doch gerade sagte, dass er sich eigentlich wirklich ganz gut fühlte. Es schien ihm bemessen an den letzten Monaten wirklich besser zu gehen und das hörte ich gern, streifte seinen Blick auch kurz mit meinem, bis ich wieder auf die Straße sehen musste. Es schien wohl wirklich hauptsächlich an dem Katzenfutterunfall zu liegen, dass der Dunkelhaarige seinen Arsch endlich mal hochbekam und ich wollte Samueles Sturz nicht gutheißen oder bejubeln, aber in der Hinsicht kam er Richard wohl einfach gelegen. Damit natürlich wiederum auch mir, aber solange der Engländer keinen Absturz mehr hinlegte war ich selbst nur zweitrangig - ganz außer Acht lassen ließ sich der positive Effekt für mich jedoch nicht. "Das ist schön zu hören... also für Sam weniger, aber...", tat ich Richard kund, dass es mich durchaus freute zu hören, dass er endlich mal Fortschritte machte. Ergänzte das dann auch noch um ein paar sarkastische Worte, einfach damit es nicht so hochgradig ernst und gefühlsduselig klang. Aber es ließ sich nicht leugnen, dass es mich eindeutig etwas erleichterte, dass es dem jungen Mann langsam besser zu gehen schien. "Ihr scheint euch jetzt auch besser zu verstehen..?", hängte ich eine indirekte Frage noch etwa fünf Sekunden später an, warf dabei erneut einen flüchtigen Blick zu dem Dunkelhaarigen rüber. Ich hätte auch das einfach gern noch einmal bestätigt. Sie konnten mir ja theoretisch auch nur vorspielen, dass sie jetzt sowas wie befreundet waren, damit ich keine weiteren Fragen stellte und ihnen nicht auf die Nerven ging. Zwar hatte der lockere Umgang der beiden vorhin nicht gestellt gewirkt, aber man konnte nie wissen. Was künftige Ausflüge anbelangte äußerte Richard sich recht nachdenklich, was an sich vielleicht nicht ganz das gelbe vom Ei war - mir wäre eine ganz sichere, selbstbewusste Aussage lieber gewesen. Aber dann wiederum war es gut, dass er selbst so weit dachte, dass er sich womöglich noch sicherer fühlte, wenn einfach Jemand bei ihm war, der ihm im Notfall die Ohren lang zog. Das war gut, denn damit lieferte er mir eine vollkommen ehrliche Einschätzung und das war in dieser Situation nicht weniger als Gold wert. Ich nickte also deutlich sichtbar, den Blick aber verkehrsbedingt weiter auf den Asphalt und die Autos vor uns gerichtet. "Klingt so, als könnte ich euch ein paar mehr Freiheiten einräumen.", meinte ich, schlug nun selbst ebenfalls einen leicht nachdenklichen Tonfall an. "Aber bis ich dich ganz allein rauslasse wirst du wohl noch ein bisschen warten müssen. Versteh mich nicht falsch - ich will wirklich, dass du bald wieder ganz auf eigenen Beinen stehst... ich will nur lieber auf Nummer Sicher gehen.", fügte ich noch ein paar mehr gemurmelte Worte an, seufzte dann ganz leise. Ich war wirklich nicht gern der Buhmann für den Engländer, aber es war einfach für alle Beteiligten das beste, wenn ich die Grenzen nur vorsichtig und nicht unbedacht lockerte. Nur dauerte es wohl leider noch einige Tage, bis der Knöchel des Italieners wieder belastbar war und auf Krücken würde ich ihn nur ungern mit Richard rauslassen. Ihn bis dahin noch weiter auf den paar wenigen Quadratmetern versauern zu lassen wäre sicher nicht gut. "Sam braucht wohl nur leider noch 'ne Weile... ich kann's nicht versprechen, aber vielleicht kann ich dich bis dahin noch ein oder zwei Mal aus der Bude holen. Gibt's Irgendwas, das du gern machen würdest?", brachte ich den Vorschlag zu Tage den Dunkelhaarigen einfach selbst noch einmal aus der Wohnung zu befreien, damit ihm die Decke nicht doch noch auf den Kopf fiel. Es war zwar schwierig das irgendwie auf einen Tag festzulegen und würde sehr wahrscheinlich spontan passieren, falls ich es an irgendeinem Tag mal eingeschoben bekam, aber es würde sich schon mal ein Tag finden, an dem die Luft etwas weniger dünn war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Des einen Leid ist des anderen Freud', oder wie war das noch? Natürlich konnte ich mir gut vorstellen, dass Samuele alles andere als begeistert darüber war, sich seinen Arsch daheim plattzusitzen, wo er doch normal ein echtes Arbeitstier war und den Arbeitsalltag in gewisser Hinsicht wohl auch einfach brauchte. Inzwischen dürfte ihm aber klar geworden sein, dass er mir damit aus einer wirklich schwierigen Situation geholfen hatte und wenn das nicht trotz der Verletzungen irgendwie ein guter Grund war, die Korken knallen zu lassen, dann wusste ich ja auch nicht. Sam erweckte in mir bis dato zumindest nicht den Anschein, als könne er sich nicht auch mal für jemand anderen freuen, selbst wenn das für ihn bedeutete, zurückstecken - oder speziell in diesem Fall eher einstecken - zu müssen. Vielleicht konnte er mir aber auch nur deswegen nicht sonderlich böse sein, weil ich eben doch sehr schnell damit angefangen hatte, Schadensbegrenzung zu betreiben und ihm seitdem förmlich zu Füßen lag. Aber auch unabhängig davon schätzte ich den Italiener nicht als einen besonders nachtragenden Menschen ein und ja, man konnte wohl sagen, dass ich mich in seiner Nähe inzwischen wirklich wohl fühlte, ihn gerne um mich herum hatte. Das lag nicht zuletzt vermutlich auch an der Tatsache, dass Sammy momentan der Einzige war, dem ich mein dunkles Geheimnis anvertraut hatte und ich mich alleine deshalb schon irgendwie auf eine andere Art und Weise zu ihm verbunden fühlte - war schwierig in Worte zu fassen, wenn man mich fragte. Aber darum ging es hier ja jetzt auch überhaupt nicht, ich schweifte schon wieder ab. Ich löste also meinen Blick mit einem schiefen Grinsen und einem belustigten Schnauben von dem jungen Mann hinter dem Steuer, um ihn ebenfalls wieder auf die Straße zu richten. "Er wird es sicher überleben.", stellte ich nicht weniger sarkastisch als Sabin selbst fest, dass sein Landsmann nur sehr unwahrscheinlich wegen eines kaputten Knöchels draufgehen würde. Ausschließen ließe sich das natürlich nicht, aber bis jetzt war der Fuß weder blau angelaufen, noch deutete irgendetwas anderes auf einen lebensbedrohlichen Verlauf des Sturzes hin. Also machte ich mir dahingehend eher weniger bis gar keine Sorgen und konzentrierte mich stattdessen auf Sabins noch folgende Worte, die ich mir so oder so ähnlich bereits gedacht hatte. Ich kannte den Endzwanziger mittlerweile wohl gut genug, um ab und an mit einer Einschätzung bezüglich seiner Entscheidungen richtig zu liegen und war mir deshalb bereits im Wohnzimmer sehr sicher damit gewesen, dass er sich nicht querstellen würde, was eine weitere Lockerung meiner Ausgangsbeschränkung anging. Außerdem war mir bereits klar gewesen, dass Lockerung nun mal keine Aufhebung bedeutete und ich mich trotzdem noch an gewisse Regel zu halten hatte, aber das war in Ordnung für mich. Mittlerweile war ich ja auch wieder ein Stück weit einsichtiger und konnte nachvollziehen, dass er es nicht gleich alles auf eine Karte setzen wollte. Da musste nur ein kräftiger Windzug das Kartenhaus aufmischen, was wir in ziemlich großer Sorgfalt über Wochen hinweg aufgebaut hatten und all die Mühe wäre umsonst gewesen. Ich nickte also auch diesbezüglich nur ziemlich ruhig, verständnisvoll. "Passt schon. Ich hab mich mittlerweile irgendwie dran gewöhnt.", ließ ich Sabin mit neutralem Tonfall wissen, dass es mich kaum noch störte, in Begleitung einer anderen, zurechnungsfähigeren Person vor die Tür zu gehen. Klar, den Rest des Tages dann in der Wohnung zu hängen war natürlich weniger schön, aber inzwischen hatte ich wohl auch die Annehmlichkeiten eines Haustieres für mich entdeckt und auch wenn Bandit und ich vermutlich nie wirklich warm miteinander werden würden, freute ich trotzdem darüber, mich zwischenzeitlich mit ihm zu unterhalten, wenn ich beispielsweise gerade in der Küche saß. Dass die Unterhaltung natürlich sehr einseitig verliefen, musste ich vermutlich nicht extra noch erwähnen, oder? Nichtsdestotrotz war es besser, als den lieben, langen Tag schweigend vor der Glotze zu verschimmeln. Aktuell war aber zumindest was die Unterhaltung anging einen Ticken mehr los, denn Sammy war ja nun auch noch da, um sich mein Gequatsche anzuhören und der konnte mir sogar antworten! Bedingt durch den kaputten Fuß fielen allerdings andere Teile des Entertainments flach, wie beispielsweise unserer bis zum Sturz sehr regelmäßig geführter, abendlicher Spaziergang. Umso glücklicher war ich, dass sein älterer Landsmann sich scheinbar künftig mehr Zeit für mich nehmen wollen würde, damit ich zumindest noch das ein oder andere Mal vor die Tür kam, bis unser Invalide auf Krücken wieder genesen war. "Fehle ich dir etwa?", stichelte ich bis über beide Ohren grinsend, wobei ich auf die eigentliche Frage bezogen wieder nur mit den Schultern zucken konnte. Seit ich hier auf Kuba war, hatte ich noch ziemlich genau gar nichts von der Kultur hier kennengelernt. Demnach wäre eine Stadtrundfahrt oder ein Spaziergang durch die Innenstadt sicherlich schon mal ein guter Anfang. Außerdem war ich noch nicht am Strand gewesen, wobei ich auf das Baden im Meer wohl noch eine ganze Weile verzichten würde. Schließlich prangte jetzt nicht nur über der Hälfte meines Gesichts eine unschöne Narbe, sondern auch an anderen Stellen meines Körpers und bis ich bereit war, die der Öffentlichkeit zu zeigen, würde es wohl noch eine ganze Weile dauern. Bis dahin würde ich mir aber auch die Zeit in Kunstmuseen totschlagen können, so war das ja nicht. Die Liste, was man also potenziell alles unternehmen und wofür man mich begeistern konnte war also ziemlich lang. Ob Sabin überhaupt so viel Zeit hatte? "Puh... Ich glaube, es wäre fast einfacher, wenn du mich fragen würdest, was ich nicht machen möchte.", setzte ich also weiterhin gut gelaunt und mit ironisch angehauchten Worten dazu an, den Italiener über potenzielle Unterhaltungsmöglichkeiten in Kenntnis zu setzen, mit denen er mir eine Freude bereiten könnte. "Ich würde mir gerne mal die Stadt ansehen und vor allem die Kunstmuseen hier ansehen. Hab' jetzt so viele Zeitschriften gelesen, dass ich gerne mal das Museo Nacional de Bellas Artes besuchen würde.", flötete ich nur so vor mich hin und unterstrich den Namen des Museums mit einer Handbewegung, die einen Regenbogen formte. Dann allerdings fiel mir noch etwas ein, was ich vermutlich sehr viel eher noch in Angriff nehmen sollte. Jetzt, wo ich doch wieder einigermaßen klar im Kopf war, holten mich nämlich die ganzen unschönen Erinnerungen an die Auseinandersetzungen mit dem Norweger wieder ein und es wäre wohl das Mindeste, wenn ich mich bei dem jungen Mann zumindest einmal entschuldigen würde. Natürlich stand es ihm dann vollkommen frei, ob er die auch annehmen würde, denn ich war im Rausch nicht selten ein Ekel zu ihm gewesen, aber um mein Gewissen zu beruhigen, stand das auf jeden Fall ganz weit oben auf meiner To Do Liste. "Oh... und eine Sache wäre mir noch wichtig. Ich... würde Tauren gerne sehen. Also vorausgesetzt natürlich, er stimmt einem Treffen zu... ich hab... ihm da denke ich noch etwas zu sagen.", ließ ich Sabin kurzerhand stockend und mit etwas gedrückterer Stimmung an meinem Gedankenspiel teilhaben, wobei meine Laune alles in allem weiterhin relativ gut, definitiv noch brauchbar war. Es war nur fürchterlich unangenehm daran zurückzudenken, was er mit mir alles hatte durchmachen müssen. Ich schämte mich wirklich dafür. "Ungeachtet des Ausgangs wäre das wohl das Erste, was ich gerne angehen würde, wenn es dir nichts ausmacht.", unterstrich ich dem Italiener gegenüber noch einmal die Wichtigkeit dieser Angelegenheit, weshalb ich ihn jetzt auch wieder direkt ansah. Konnte natürlich sein, dass der Drops gelutscht war und der Norweger gut auf ein Wiedersehen mit mir verzichten konnte, aber ich wollte mir nicht noch vorwerfen müssen, es nicht einmal versucht zu haben.
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Würde mich sehr wundern, wenn ein angeknackstes Gelenk den Italiener noch seinen Kopf kosten würde, ja. Ich nahm Richards Aussage demnach nur mit einem leichten Grinsen und einem schwachen Kopfschütteln hin. Er schien wieder so weit zu sein Witze zu machen und das tat einfach gut. Nicht nur ihm selbst, sondern auch mir. Natürlich gab es auch unter Hunters Männern ein paar mit denen ich mich soweit ganz gut verstand und denen ich nicht täglich den Kopf abhacken wollte, aber bei Richard hier machte das mehr Spaß. Er war mein Freund und außerdem musste ich bei ihm nicht aufpassen, was ich sagte, weil er keines meiner Worte Hunter stecken würde. Er hatte einen durchweg schlechten Draht zu dem amerikanischen Choleriker und er wäre wohl mit der letzte, der mich ihm gegenüber in die Scheiße reiten würde. Der Engländer schien glücklicherweise auch keinerlei Probleme damit zu haben sich meiner nur stückweisen Lockerung weiter hinzugeben, sondern gab sich was das anbelangte wirklich gelassen. Das erleichterte mich, hatte ich doch bis gerade eben noch darum gefürchtet, dass der junge Mann mir das übel nahm - was ich wiederum aber auch verstehen könnte. Immerhin war er ein erwachsener Mann und ich schrieb ihm dennoch vor, wie er sein Leben aktuell zu leben hatte. Dazu hatte ich nicht einmal das Recht und dennoch zeigte Richard sich kooperativ, weil er selbst zu merken schien, dass er die Grenzen vorübergehend ganz einfach brauchte. Damit rollte er einen weiteren Brocken von dem Schutt bei Seite, der mir momentan täglich die Schultern nach unten drückte. Und ja - er fehlte mir irgendwie. Unsere Freundschaft war sicher hier und da auch ein bisschen speziell, allein schon weil wir parallel dazu ja immer ganz professionell miteinander Drogen gekocht hatten, er außerdem eigentlich ein Kunsthändler und -Dozent war. Er wäre wohl nie auf den Drogenzug aufgesprungen, wenn ich ihn nicht mit ins Boot geholt hatte. Ob er sich ohne das alles trotzdem Drogen besorgt und sich das Hirn weggeknallt hatte? War wohl eines der Dinge, worüber ich mir lieber nicht den Kopf zerbrechen wollte. Zumindest nicht jetzt und nicht hier. Stattdessen warf ich mit hochgezogener Augenbraue einen Blick zu Richard, wobei das Grinsen auf meinen Lippen jedoch bestehen blieb. "Ich geb's zwar wirklich ungern zu, aber... ja, ich fürchte mir fehlen unsere Gespräche tatsächlich.", zog ich ihn mit etwas theatralisch ausgesprochenen Worten ebenfalls ein bisschen auf, bevor mein Blick zurück auf die Straße wanderte, weil der Supermarkt nicht mehr weit sein dürfte. War natürlich nicht ernst gemeint - ich wüsste nicht, warum ich mich für die Freundschaft zu dem schrägen Vogel irgendwie schämen müsste. Freunde suchte sich schließlich jeder selbst aus und er war eben einer von meinen. "Vor allem fehlt mir dein Gehirn und dein... Stil. Ich kann echt nicht in Worte fassen, was Hunters Leute für unreife, dreckige Köter sind. Wird Zeit, dass ich da wegkomme...", hängte ich noch einige ironische Worte hinten an. Ich war nicht mehr weit von der 30 entfernt und musste mit einer Horde aggressiver Männer unter einem Dach wohnen, die zu fünfzig Prozent auch noch mit dem Kopf im Kindergarten stecken geblieben waren. Gut, natürlich waren ein paar von ihnen auch einfach noch ziemlich jung, wenn man sie mit mir verglich, aber auch mit 20 sollte man fähig dazu sein seinen Scheiß einfach mal wegzuräumen und sich kultiviert zu benehmen. Mir ging diese ständige Unruhe im Haus wirklich auf die Nerven - noch so ein Grund dafür, warum ich die Schulden schnell tilgen und mir ein eigenes Heim mit Syd suchen sollte. Was etwaige zukünftige Unternehmungen von uns beiden anging schien Richard sich nur auf eine einzige Sache wirklich festlegen zu können, aber das war in meinen Augen nicht weiter schlimm. Es musste ja auch nicht unbedingt ein mords Aufwand für seinen Ausflug betrieben werden, mir selbst täte es schließlich auch gut einfach mal nur ein bisschen durch die Gegend zu schlendern. "Klar, wieso nicht... ein bisschen Kultur kann mir wie gesagt auch nicht schaden.", stimmte ich dem Dunkelhaarigen weiterhin verhältnismäßig gut gelaunt zu. Es schien so als würde seine fast schon überschwänglich gute Laune ganz einfach ein wenig auf mich abfärben - schätze das war auch mitunter genau das, wofür Freunde da waren. Was das Kunstmuseum anbelangte schloss ich mich dem jungen Mann ganz gern an. Ich mochte nicht so ein Ass in diesem Gebiet sein wie Richard, aber ich konnte mich sicher doch über die eine oder andere Sache mit ihm unterhalten, was Kunst anbelangte. Dagegen hatte ich also nichts einzuwenden, ging von einer Galerie doch eher keine Gefahr für ihn aus. Jedoch fiel ihm dann doch noch eine weitere Sache ein, die er am liebsten zuerst abhaken wollte - Tauren. Er schuldete dem Norweger zweifelsfrei noch eine aufrichtige Entschuldigung für all die Strapazen, die er hatte aussitzen müssen. Ich würde mich da also ganz bestimmt nicht querstellten, weshalb ein eindeutiges Nicken von mir erfolgte, während ich mit dem Wagen auf den Parkplatz vor dem Supermarkt einbog. "Ja, das wär wohl angebracht... fragst du ihn selbst oder soll ich vermitteln?", fragte ich den Engländer, während ich Ausschau nach einer Parklücke hielt. Ein Handy und seine Nummer hatte er ja, aber vielleicht wälzte er diesen Part doch lieber noch auf mich ab. Ich lenkte den Wagen kurzum in einen der freien Slots und schaltete den Motor ab. "Ist aber gut möglich, dass Vahagn mit von der Partie ist. Die sind inzwischen zusammen.", ließ ich ihn noch um ein Detail wissen, das ihm sauer aufstoßen könnte. Ich glaubte zumindest nicht, dass er sich mit der Brünetten gut verstand - tat glaube ich auch keiner außer Tauren - und es war nun mal möglich, dass sie dann beim Gespräch anwesend war, wenn sie zufällig gerade aufeinander hockten. Ach ja, apropos... hatte ich ihm schon gesagt, dass ich mit Sydney zusammen war? Nein, oder?
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ach, wirklich? Ich hätte ja gerne behauptet, dass es mich überraschte, wie unangenehm es war, mit Hunters Männern unter einem Dach zu wohnen, aber das wäre schlichtweg gelogen. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass das Zusammenleben sich mit den verschiedensten Schwerverbrechern irgendwie schwierig und nicht immer besonders schön gestaltete und war demnach wirklich heilfroh gewesen, das Privileg in Form von ausreichend Kohle besessen zu haben, als wir hier auf Kuba gelandet waren. Ich wollte mir nämlich nur ungern vorstellen, was aus mir geworden wäre, wenn ich - temporär - ebenfalls in die Gemeinschaftsunterkunft hätte ziehen müssen. Ich mochte Wohngemeinschaften im Grund genommen überhaupt nicht und mir dann die Bude mit einem Haufen, wie Sabin es treffend formuliert hatte, unreifer und dreckiger Köter teilen zu müssen, hätte mich vermutlich schneller unter die Erde gebracht, als ich bis drei hätte zählen können. Letztlich wäre mein Tod aber durch einen gezielten Schlag ins Gesicht oder einer Kugel im Kopf wahrscheinlicher gewesen, als an einer Überdosis Meth abzukratzen. Schließlich würde ich mir selbst den Meistertitel verleihen, wenn es darum ging, auf hauchdünnen Geduldsfäden Kunststücke aufzuführen und weil ich Hunters Männer - mit Ausnahme von Tauren - nicht weniger cholerisch einschätze, als den Amerikaner selbst, hätte ich mir maximal eine Woche gegeben, bis ich dann durch Cosma oder vielleicht Sabin als vermisst gemeldet worden wäre. Ich konnte wohl von Glück reden, dass letzterer in der Unterkunft aktuell ziemlich die Hosen anzuhaben schien, denn andernfalls wäre die Zeit, in der ich bedingt durch die nicht vorhandenen Alternativen unter der Aufsicht von Hunters Männern gestanden hatte nicht besonders angenehm gewesen. Ich konnte mich natürlich auch irren, aber für einige der treudoofen Idioten hätte ich einen super Punchingball abgegeben und in dem labilen Zustand vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Hätte es also kein entsprechendes Machtwort seitens des Italieners gegeben, wäre ich vermutlich kaputter aus der ganzen Sache herausgekommen, als ich dort hineingeschlittert war. Also ja, ich konnte absolut nachvollziehen, dass Sabin sich gerne etwas Neues suchen würde, aber dafür musste das Geschäft mit den Drogen erst einmal wieder an Fahrt aufnehmen, damit auch ausreichend Kohle vorhanden war. Alleine ließ sich das vermutlich nicht besonders gut stemmen und auch an der Stelle zeigte ich mich einsichtig, denn wenn der junge Mann sich um keinen Ersatz für meinen Ausfall gekümmert hatte, war er ein Stück weit auf mich angewiesen, um dieselben Mengen wie damals in Norwegen herstellen zu können. Vorerst wollte ich mich mit dem Gedanken jedoch nicht weiter auseinandersetzen, weil meine geistige Gesundheit weiterhin an erster Stelle stand. Erst, wenn ich mir wirklich sicher sein konnte, dass ich selbst nicht wieder in ein endlos tiefes Loch fallen würde, könnte ich den Italiener tatkräftig dabei unterstützen, das Geschäft wieder lukrativer werden zu lassen. Vorher half uns das beiden schließlich nichts, denn dann würde der ganze Mist rund um den Entzug und die damit einhergehenden Probleme gleich ein weiteres Mal auf uns zurollen und ich war mir nicht wirklich sicher, wie viel Lust Sabin selbst und auch ich darauf hatte. Spontan würde ich behaupten, dass sich die Lust auf beiden Seiten doch stark in Grenzen hielt. "Das hast du jetzt aber süß gesagt.", stellte ich auf die Worte des Italieners hin gemurmelt und weiterhin mit dem amüsierten Grinsen auf den Lippen fest. Dabei hatte ich meinen Arm auf die Armatur der Beifahrertür abgelegt und meinen Kopf gegen die Hand gestützt, während ich meinen, in gewisser Weise ziemlich wehleidig wirkenden Blick vor uns auf die Straße richtete. Mir fehlte Sabin nämlich auch. Nicht nur der schöne Anblick in Form eines großen, breit gebauten jungen Mannes mit einem unglaublich hübschen Gesicht, sondern eben auch seine Art. Zwar konnte er zwischenzeitlich wirklich böse und unleidlich werden, wie ich inzwischen aus erster Hand erfahren hatte, aber privat war der Italiener trotz seiner Vergangenheit ein wirklich angenehmer Zeitgenosse. Ein Stück weit mochte das vielleicht am Alter liegen, weil man mit der Zeit doch einfach ruhiger wurde, aber mittlerweile glaubte ich auch, dass wir uns ganz gut ergänzten. Wir hatten beide einfach Charaktereigenschaften an uns, die sich gewissermaßen anzogen und dadurch ein brauchbares Ganzes formten. Während Sabin in jeder erdenklichen - auch absolut beschissenen - Situation einen kühlen Kopf behielt, rannte ich zeitweise durch die Gegend wie ein Huhn, das man gerade den Kopf abgeschlagen hatte. Nun noch all die anderen Gegensätze aufzuzählen würde vermutlich den zeitlichen Rahmen von Gut und Böse sprengen, deshalb verzichtete ich an der Stelle jetzt einfach darauf. Jedenfalls schien der Italiener absolut nichts dagegen zu haben, der Kultur Kubas ein Stück weit näher zu kommen, was mich schon mal sehr freute. Zwar ging es bei dem Ausflug in erster Linie darum, dass ich unterhalten wurde, aber es machte doch gleich doppelt so viel Spaß, wenn die Begleitung einem nicht mit dem Gesicht von sieben Tage Regenwetter hinterher trottete. Allerdings hätte es mich auch ziemlich stark gewundert, wenn Sabin etwas gegen das Kunstmuseum einzuwenden gehabt hätte. Schließlich hatte ich ihm was Kunstgeschichte anging förmlich das Ohr abgekaut, als wir gemeinsam im Labor gestanden hatten. Wenn sich da nicht zumindest ansatzweise irgendeine Art von Interesse entwickelt hätte - und war es nur, wie lichterloh die ganzen Bilder der Neuzeit brennen konnten -, dann wusste ich ja auch nicht. Dem Vorhaben stand also nur wenig im Weg und auch gegen meinen Wunsch, mich mit Tauren zu unterhalten schien er keine Einwände zu haben. Ganz im Gegenteil, bestätigte er mich doch sogar noch einmal darin, dass eine Entschuldigung nur angebracht wäre. Die Worte, um die er seine vorangegangene Aussage noch ergänzte, gefielen mir allerdings weniger gut. Ich sah Sabin deshalb wohl auch einen Moment fassungslos an, ehe ich meinen Blick leise seufzend und mit einem leichten Kopfschütteln auf meine Oberschenkel abwendete. "Wo die Liebe hinfällt, ja... aber muss sie denn Fresse vorwärts durch den Matsch schlittern?", fragte ich ironisch, leise und hörbar verständnislos. Ich hatte bis dato wirklich gedacht, Cosma war und blieb die einzige mit einer akuten Geschmacksverirrung, was die Partnerwahl betraf, aber dass auch Tauren sich jetzt noch jemanden angelacht hatte, mit dem er auf kurz oder lang wohl eher nicht glücklich werden würde, das wäre mir in hundert Jahren nicht in den Sinn gekommen. Natürlich hatte bereits das ein oder andere auf eine sich möglicherweise anbahnende Beziehung hingedeutet, als die beiden noch unter meinem Dach gelebt hatten, aber dass die Russin nicht einfach wieder zurück in ihr Heimatland verschwunden war, sondern sich stattdessen dazu entschieden hatte, dem armen Norweger langsam und qualvoll das Herz aus der Brust zu reißen... das war... einfach nicht in Worte zu fassen. Aber gut, das war seine Sache und nicht meine. Jedenfalls half mir die Information seitens des Italieners, mich mental zumindest auf die kratzbürstige Brünette einzustellen, falls es tatsächlich zu einem Treffen kommen sollte. Apropos... "Und eh... ja, wäre nett, wenn du das übernehmen könntest. Ich habe keine Ahnung, wie er reagiert, wenn ich ihn um ein Gespräch bitte.", beantwortete ich dann die vorherige Frage noch beiläufig, während Sabin das Auto gerade in einer passenden Parklücke einlenkte und letztlich den Motor abstellte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Richard war wohl wirklich so ziemlich die einzige Person, der es in den Sinn kommen würde mich süß zu nennen. Das tat eigentlich nicht mal Sydney. Vielleicht, weil sie ahnte, dass mir das nicht wirklich passte. Zwar würde ich der Brünetten jenes Wort genauso wenig übelnehmen, wie ich das gerade bei Richard tat, aber letzterer erntete ja doch ein leichtes Augenrollen von mir - ohne, dass sich meine Mundwinkel dabei absenkten. Wahrscheinlich konnten wir beide von Glück reden, dass uns auf freundschaftlicher Basis etwas aneinander lag. Andernfalls wäre der Dunkelhaarige womöglich schon mit Überdosis in seinem Bungalow verendet und ich hätte mir irgendeine Flachpfeife für die Drogensache neu anlernen müssen. Ich glaubte auch zu wissen, dass Hunter nur so geduldig mit meinen Rückzahlungen war - für seine Verhältnisse eben -, weil er genauso wenig Lust wie ich selbst dazu hatte, dass ich wegen Unfähigkeit eines neuen Komplizen noch weiter mit der Zahlung in Verzug kam. Es war schließlich in unser beider Sinne, dass bei der ohnehin schon eher langsamen Produktion keine weiteren Zwischenfälle mehr auftraten. War vermutlich aber auch der einzige Grund dafür, dass der Amerikaner mir nicht noch mehr Druck machte als ohnehin schon. Er tat förmlich so als würde er die Kohle brauchen, wovon nun wirklich nicht die Rede sein konnte. Andernfalls würde er nicht in seinem blöden Palast residieren und das Leben genießen. Wie bereits von mir erwartet äußerte sich der Dunkelhaarige auf dem Beifahrersitz eher nicht begeistert von Taurens neuer Flamme und das konnte man ihm wirklich nicht verübeln. Zwar war die junge Frau an meinem Geburtstag wirklich recht umgänglich gewesen, aber da schien sie sich auch nur ausnahmsweise mal zusammengerissen zu haben. Warum genau war mir schleierhaft, war sie doch sonst in unserer Gegenwart auch immer die erste, die mit Anlauf unpassende Worte in den Raum warf. Vielleicht lag es nur daran, dass es nun mal Hunters Grundstück gewesen war, auf dem sie sich während der Feier - und nach deren Geschäftsabwicklung - befunden hatte. Wäre sicher auch keine besonders gute Idee gewesen ausgerechnet dort negativ aufzufallen. Man trat eben besser nicht um sich, wenn man sich in der Höhle des Löwen befand. Außerdem hätte ich ihr wohl auch ein paar mahnende Worte zukommen lassen, wenn sie sich wieder aufgeführt hätte wie die Axt im Wald. Es gab einfach Grenzen, an die sich jeder zu halten hatte. "Tja... ich schätze Niemand versteht so richtig, was Tauren an ihr findet. Von ihrer Optik mal abgesehen.", gab ich ein paar recht trockene Worte mit einem Schulterzucken dazu ab. War nun mal so. Sie war weder besonders liebenswert, noch hatte sie auf den ersten Blick andere maßgeblich positive Charaktereigenschaften. Meine einzige Erklärung für diese Misere war, dass sie nur zum Rest der Welt so eklig war und sie Tauren mehr von sich zeigte als der Allgemeinheit. Der Norweger war vielleicht ziemlich naiv, aber doch eigentlich nicht dumm genug um sich nur mit ihr herumzuärgern, weil er sich in ihr Aussehen verguckt hatte. Es gab schließlich genug andere schöne Frauen, dafür müsste er sich also weiß Gott nicht mit dieser Zicke zufrieden geben. War ja nicht so als wäre er nicht gutaussehend und müsste deswegen Abstriche machen, was seine Partnerwahl betraf. Ich war mir recht sicher, dass dem Schönling so ziemlich alle Türen offenstanden was Frauen anbelangte. "Aber ja, ich kümmer' mich drum, ist kein Problem.", ließ ich Richard dann ein paar Sekunden später noch wissen, dass ich mich um den Kontaktaufbau zu Tauren bemühen würde. Ich glaubte aber eigentlich auch nicht, dass er ablehnte. Vielleicht wäre er im ersten Augenblick nicht sehr begeistert davon den Engländer wiederzusehen, aber im Grunde war der junge Mann in meinen Augen ein wirklich gutherziger Mensch. Es würde vermutlich nicht viel mehr als eine sehr aufrichtige, ausführliche Entschuldigung brauchen, damit er verzieh - so zumindest meine Theorie bis jetzt. Ich schnappte mir noch meinen Geldbeutel aus der Mittelkonsole, stieg nach einem letzten Blick in Richards Richtung aus dem Wagen und ging zum Kofferraum, nachdem ich der Fahrertür beiläufig einen Schubs verpasst hatte. Auf dem Weg nach hinten schob ich das Portemonnaie in meine rechte Gesäßtasche. Am Heck des Wagens angekommen nahm ich zwei volle Einkaufstüten mit Pfandflaschen aus dem Kofferraum, bevor auch dieser zurück in seine Ausgangsposition fiel und ich den Wagen abriegelte, weil der Engländer in der Zwischenzeit ebenfalls ausgestiegen war. Ich nickte mit dem Kopf leicht in Richtung des Supermarkteingangs und schlug dann ein wieder relativ gemütliches Tempo in jene Richtung ein. "Sydney und ich sind übrigens auch... naja, ein Paar. Nur, dass du dich nicht wunderst, wenn du uns mal wieder zusammen siehst.", streute ich diese Information auch mehr nur so nebenher ein. Im Grunde änderte sich für den jungen Mann dadurch ja auch gar nichts - im Gegensatz zu Vahagn war die ehemalige Agentin ja eher von der ruhigen und umgänglichen Sorte. Ich würde nur einfach gern vermeiden mir anhören zu müssen, dass ich davon nichts erzählt hatte, wenn Richard es irgendwann einfach sah und ich nie ein Wort darüber verloren hatte. Außerdem taten ihm ein paar alltäglichere Gesprächsthemen, die sich nicht nur auf seine Therapie bezogen, vielleicht mal ganz gut.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Tja, Optik war aber nun mal einfach nicht alles, wenn man mich fragte. Natürlich ließe sich dadurch erklären, dass Tauren überhaupt erst auf Vahagn aufmerksam geworden war, ja. Allerdings glaubte ich zu wissen, dass es für eine Beziehung doch noch etwas mehr als lange, schlanke Beine und ein hübsches Gesicht brauchte, oder? Meine letzte Beziehung lag jetzt schon eine ganze Weile zurück, ich war über die Jahre doch eher auf flüchtige Bettbekanntschaften umgestiegen, weil diese kompliziert und zeitaufwendig waren, als ein fester Freund, aber wenn ich mich recht erinnerte, dann hielt man es nur deshalb gemeinsam aus, weil zumindest ansatzweise dieselben Interessen vorhanden waren oder der Partner so ein herzensguter Mensch war. Lieb, nett, freundlich... irgendwas, das einen dazu veranlasste, sich in der Nähe dieser Person wohlzufühlen, aber bis jetzt war die Anwesenheit der Russin für mich immer sehr unangenehm gewesen. Gut, fairerweise musste man dazu sagen, dass sie mich mit ihrem Aussehen auch nicht um den Finger wickeln konnte, weil ich nun mal weniger auf schöne Frauen, sondern auf Männer stand, aber ich bezweifelte, dass selbst eine rein platonische Freundschaft zu ihr irgendwie möglich wäre. Natürlich hatte auch Cosma so ihre Macken, mit denen so manch einer vielleicht nicht unbedingt gut zurecht kam, jedoch verhielt sich die Rothaarige zumindest in meiner Gegenwart des Öfteren mal wie ein umgänglicher Mensch, mit dem man lachen oder weinen konnte... Und wenn ich gerade so darüber nachdachte, musste das bei Tauren und seiner Geliebten ja nicht unbedingt anders sein, aber seltsam war es trotzdem. Im Endeffekt konnte es mir aber auch ziemlich egal sein, denn so oder so würde ich den Kontakt zu der Russin meiden. Sollte der Norweger ruhig glücklich mit ihr werden, ich würde da wohl niemanden im Weg stehen. Allerdings schienen die beiden nicht die Einzigen gewesen zu sein, die während meines Entzuges zueinander gefunden hatten, denn Sabin gestand mir kurz nachdem wir aus dem Wagen gestiegen waren und am Kofferraum wieder aufeinander trafen, dass auch er scheinbar eine neue Lebensgefährtin gefunden hatte. Und wer die Auserwählte war, ließ gleich beide meiner Augenbrauen in die Höhe schießen. Sydney, die sonst so gesetzestreue Amerikanerin hatte sich also tatsächlich in den Schwerverbrecher verliebt, der sie ihr altes Leben vollumfänglich hatte wegschmeißen lassen? Andersrum hörte sich die Geschichte nicht weniger skurril an, wenn man mich fragte. Sabin war auf der Flucht vor seinen Landsleuten gewesen, suchte Schutz bei dem FBI und legte jetzt die ehemalige Agentin flach, die er anfänglich noch so verflucht hatte? Ich erinnerte mich, als wäre es gestern gewesen, da waren unschöne Worte bezüglich der jungen Frau gefallen, die eher nicht darauf hatten schließen lassen, dass sich in der Zukunft auf zwischenmenschlicher Ebene bei den beiden noch etwas ergeben würde. In meinen Augen war es also absolut nachvollziehbar, dass ich den jungen Mann für einen kurzen Augenblick wieder ansah, als verstünde ich die Welt nicht mehr. Schließlich schüttelte ich aber nur schief grinsend den Kopf und nahm ihm ungefragt eine der Tüten mit den Pfandflaschen ab. "Scheiße man, gibt es sonst noch irgendwas, das ich wissen sollte?", fragte ich, als ich neben Sabin hertrottend zu ihm rüber sah. "Ich meine... für euch freut mich das tatsächlich... irgendwie. Ihr seid neben Samuele wohl noch einer der normalsten Einflüsse in meinem Umfeld, aber... es ist alles irgendwie ziemlich seltsam. Ist ganz schön was passiert, als ich... weg war.", murmelte ich im Anschluss noch mit einem leichten Schulterzucken vor mich hin, weil mir gerade mal so richtig bewusst wurde, wie viel ich durch meine langanhaltenden Räusche tatsächlich verpasst hatte. Wie lange waren wir inzwischen hier auf Kuba? Dürfte auch schon eine ganze Weile sein und mir war absolut nichts von irgendeiner Entwicklung in diese Richtung bei den beiden aufgefallen. Vielleicht hatte es ja auch diese verräterischen Blicke, heimliches Getuschel und unbeobachtetes von der Masse wegschleichen bei den zweien nie gegeben, waren das doch in der Regel alles sehr auffällige Anzeichen dafür, dass sich da etwas anbahnte, aber vielleicht war ich auch schlichtweg viel zu high gewesen, als dass mir das irgendwie aufgefallen wäre. Vermutlich hätte man mir mit einer Leuchtreklame einen entsprechenden Hinweis geben können und ich wäre jetzt vermutlich trotzdem noch ziemlich verwundert. Ausnahmsweise ahnte ich bei der Beziehung zwischen den beiden allerdings nicht einmal ansatzweise so viel Schlimmes, wie das bei den anderen des Suicide Squads der Fall war, weil sowohl Sydney, als auch Sabin mir einen sehr erwachsenen Eindruck machten. Das lag wohl in erster Linie daran, dass sowohl die Amerikanerin, als auch der Italiener bereits eine langjährige Beziehung hinter sich hatten, daraus sogar Kinder entstanden waren, aber schlicht und ergreifend sicher auch ein Stück mit am Alter. Hunter, Cosma, Tauren und Vahagn waren allesamt im Verhältnis noch verdammt jung. Grün hinter den Ohren sozusagen und mussten wohl gemeinsam erst noch gehörig auf die Schnauze fallen, um die wahre Bedeutung einer Beziehung zu erkennen, aber bei Sabin und Syd? Konnte ich mir nicht vorstellen, dass es da schier endlos lange Streitereien gab. Diese beiden waren schlichtweg diejenigen, die von uns allen noch am wenigstens einen Sprung in der Schüssel hatten. Also ja, ich gönnte es meinem Freund, wirklich. Und der Amerikanerin auch. Wir kannten uns zwar nach wie vor nicht besonders gut und ich meinte mich daran zu erinnern, dass ich auch schon einmal mit ihr wegen einer kleinen Meinungsverschiedenheit aneinander gerasselt war, aber ansonsten war sie immer sehr umgänglich gewesen. Auch zu der Zeit, als sie ein Auge auf mich werfen sollte. Das hatte zwar nur semi-optimal funktioniert, aber das hatte weniger an ihr und mehr an meiner manipulativen Ader gelegen.
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