Das war also jetzt sein Ernst, ja? Mein verfrühtes nach Hause kommen schien ihm eine willkommene, wenn auch nicht gerade effektive Ausrede zu sein. Dass mich diese Worte nicht einmal im Ansatz irgendwie zufrieden stellten, das hätte er sich eigentlich von vornherein denken können. Er konnte zwar nicht wissen, dass ich mich heute mal nicht mit irgendeiner Ausrede abspeisen lassen würde, aber der mir genannte Grund war einfach absolut nicht klug gewählt. Was dachte er denn, was ich jetzt darauf erwiderte? Oh, ja, tut mir leid, dann ist das natürlich in Ordnung...? Eher nicht. Viel mehr trug er mit dieser vollkommen haltlosen Ausrede dazu bei, dass mir förmlich die Ohren zu rauchen begannen. "Ist das dein Ernst?" Rein rhetorische Frage und er sollte sich dafür hüten, die auch noch zu beantworten. "Ich bin echt nachsichtig mit dir, Richard, aber mir reicht's jetzt. Es stört mich nicht, dich hier bei mir wohnen zu lassen...", zumindest nicht mehr oder nicht immer. Es war gar nicht so verkehrt, wenn man sich hin und wieder mal mit Jemandem bei sich Zuhause unterhalten konnte, ohne dass man erst Freunde einladen musste. Er war einfach da, wenn mir nach Konversation zumute war und das konnte angenehm sein. Gerade dann, wenn die Arbeit nur stressig und so gar nicht mehr der Job war, der mir mal Spaß gemacht hatte. Allerdings trug Sabin mit seinem Zweitjob für mich auch wirklich viel dazu bei, dass ich mich dort zunehmend unwohler fühlte. Jedenfalls war ein Mitbewohner an sich eigentlich gar nicht schlimm - es war nur eine Katastrophe, wenn er so viel Chaos in mein Eigenheim brachte, dass es mich das letzte bisschen an Ruhe und Entspannung in meinem Leben kostete. Meine Nerven lagen momentan ohnehin schon blank und der Engländer gab mir hier gerade nicht weniger als den Rest. "...aber ich hab' deine Ausreden satt. Ich hab dir jetzt oft genug gesagt, dass du hier zumindest ein bisschen Ordnung zu halten hast und es wird gefühlt jeden Tag nur noch schlimmer. Krieg' deinen verdammten Arsch hoch. Du bist 26 und nicht 16, da sollte man etwas mehr Verantwortungsbewusstsein anstelle irgendwelcher nicht mal sinnvollen Ausreden erwarten können.", vollendete ich meinen vorherigen Satz und gestikulierte dabei ziemlich wild in der Luft herum. Depression und Folter schön und gut, aber das Maß war voll. Ich verstand, dass er sich schwer damit tat mit sich selbst klar zu kommen, wo er noch immer nicht besonders viel Freiheit genoss, aber er brachte mich hier gerade an meine eigenen Toleranzgrenzen. Wäre das hier nicht meine Wohnung, dann würde ich wohl schlichtweg die Biege machen und ihn in seinem eigenen Dreck versinken lassen, mir einfach etwas Neues suchen. Wenn mir kein temperamentvoller Italiener im Nacken sitzen würde, hätte ich Richard auch ziemlich sicher spätestens jetzt einfach vor die Tür gesetzt. Ging halt nur nicht, weil dann nicht mehr nur er Anschiss bekam, sondern ich auch irgendeine Art von skrupelloser Strafe über mich ergehen lassen müssen würde und ich kannte mich gut genug um zu wissen, dass ich danach vermutlich genauso lebensunfähig wie der Engländer hier sitzen würde. Eher noch kaputter, wenn ich rückblickend daran dachte, wie ich nach dem Treffen mit Sabin und vor allem Hunter ausgesehen hatte. Was es mit mir machte, wenn ich auch noch unter Handgreiflichkeiten leiden müsste, wollte ich also wirklich nicht herausfinden und trotzdem war ich hier wirklich mit meinem Latein am Ende. Ich war nun mal einfach kein Therapeut, sondern ein Barista.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Aha, na wunderbar. Ich hatte eigentlich gehofft, dass das mit den Vorwürfen endlich aufhören würde, wenn ich aus der Gemeinschaftsunterkunft auszog und mir kein launischer Italiener mehr im Nacken saß, aber Sam schien sich unter dem Stress der letzten Tage - und weil er sich wohl immer noch nicht damit abfinden konnte, sein legales Leben endgültig an den Nagel hängen zu müssen - langsam aber sicher zu Sabin Junior zu entwickeln. Fing nun auch an, mir zusätzlich zu der ohnehin schon kaputten Psyche auch noch ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen. Auch wenn er das nur aus der Not heraus und vielleicht gar nicht absichtlich tat, ließ es mich das T-Shirt mit einem frustrierten Schnauben auf die Couch zurück donnern. Ich mochte auf Aussagen wie Krieg' deinen Arsch endlich hoch oder Du bist erwachsen, also benimm' dich auch so vielleicht etwas zu sensibel reagieren, aber ich empfand es einfach als unglaublich unfair, dass man mir damit indirekt unterstellte, mich mit Absicht wie das größte Arschloch auf dieser von Gott verlassenen Erde zu benehmen. Dabei wusste ich es nach den Ereignissen der letzten Wochen einfach nicht besser und vorwurfsvolle Worte waren in dem Punkt alles andere als zielführend, um mich wieder auf den richtigen Pfad zu bringen. "Würde es mir so leicht fallen, mein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen, dann würde ich hier längst nicht mehr auf deiner Couch hocken und mir zum vierten oder fünften Mal die selbe Zeitschrift durchlesen.", erwiderte ich daraufhin etwas trocken und hörbar angefressen, aber auch mit einem ehrlich bedrückt wirkenden Gesichtsausdruck. Schließlich stand es mir ja eigentlich überhaupt nicht im Sinn, dem Italiener absichtlich zur Last zu fallen, ganz im Gegenteil sogar. Anfangs hatte ich sogar sehr darauf geachtet, ihm nicht unnötig Ärger zu machen und versucht, am Abend nur das Nötigste mit ihm zu reden, damit er noch ein bisschen von seiner freien Zeit genießen konnte, aber diese Hemmschwelle hatte gerade in der letzten Woche kontinuierlich abgenommen. Nichtsdestotrotz waren seine Worte ein Stück weit verletzend. Es war ja nicht so, als würde ich es nicht zumindest ab und an mal versuchen, meine Zeit in Einzelhaft sinnvoll zu nutzen. Manchmal, wenn ich gut drauf war, dann nahm ich mir vor, Wäsche zu waschen oder Essen zu kochen. Gerade für letzteres war ausreichend Zeit und in der Regel auch genügend verwertbares Gut vorhanden. Ich könnte also im Handumdrehen ein paar neue Rezepte lernen und wäre zudem abgelenkt und beschäftigt. Aber es mangelte mir an der Disziplin, an diesen Sachen bis zum Ende festzuhalten, weshalb aus einer sich total lecker anhörenden Pasta dann doch nur halb fertig gekochte Nudeln mit Ketchup wurden. Und wenn ich es tatsächlich fertig gebracht hatte, Klamotten in die Trommel zu stopfen und die Maschine anzustellen, konnte ich mich eine Stunde später dann nicht mehr dazu aufraffen, sie aufzuhängen, sodass sie noch ein weiteres Mal durch Sam gewaschen und aufgehangen werden mussten. Andernfalls würden die Unterhosen und T-Shirt schlimmer stinken, als sie das vor dem Waschgang bereits getan haben. Na ja, jedenfalls lag mein primäres Problem wohl ganz einfach an meiner eigenen Inkonsequenz, der man, so wie ich das aktuell sah, nur dann den Kampf ansagen konnte, wenn ich eine Zeit lang aktiv durch meinen Alltag begleitet wurde. Immer jemanden bei mir hatte, der mich mit Nachdruck dazu ermahnte, Angefangenes auch zu Ende zu bringen und nicht schon vorzeitig aufzugeben. In dem Punkt musste man der stationären Behandlung einfach diesen Vorteil einräumen, wurde das durch die Ganztagsbetreuung durch das geschulte Personal gewährleistet und langsam aber sicher wusste ich nicht mehr so genau, ob mir das nicht vielleicht doch lieber war. Zwar mied ich Ärzte seit einer langen Zeit wirklich sehr konsequent, aber es schien mir für alle, inklusive meiner Wenigkeit, wirklich die aktuell beste Option zu sein. Scheinbar brachte ich nämlich schon den ansonsten ach so weinerlichen Samuele zur Weißglut und eine geduldigere Persönlichkeit als ihn würde es wohl kaum auf diesem Planeten geben. "Verdammt, ich kann nicht mehr, als mein Bestes geben, man. Was soll ich denn noch machen?!", stellte ich ihm mit zittriger Stimme eine Gegenfrage, als ich sichtlich verunsichert meine Arme ineinander verschränkte. Andernfalls hätten mir durch die Resignation meine Schultern wohl in den Kniekehlen gehangen.
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Mich beschlich das ungute Gefühl, dass diese Konversation ziemlich ins Leere verlaufen würde. Allein schon deshalb, weil Richard sich kein Stück einsichtig zeigte, was an dieser Stelle durchweg angebracht, eher schon notwendig gewesen wäre. Es konnte hier schließlich Niemand außer ihm selbst etwas dafür, dass er gerade einen tadelnden Zeigefinger kassieren musste. Viel mehr würde es von mir wohl nicht geben, weil ich im Gegensatz zum Rest dieser in merkwürdiger Konstellation stehenden, amerikanisch-italienischen Mafia eher nicht der Typ Mensch dafür war, anderen an die Gurgel zu springen. Es brauchte bei mir ja schon zum laut werden echt viel, an erneutes Zuschlagen - ob aus Reflex, Instinkt oder ganz bewusst war dabei in meinen Augen egal - war von mir gar nicht zu denken. Gewalt war in meinen Augen nach wie vor ganz einfach keine Lösung, aber mit Worten zu dem Dunkelhaarigen durchzudringen schien auch ziemlich unmöglich zu sein. Ich für meinen Teil war mit meinem Latein am Ende, als ich mit argwöhnischem Blick beobachtete, wie er das Shirt aufs Sofa knallte. "Ich sag' ja auch gar nicht, dass es dir leicht fällt, aber du versuchst es ja nicht mal mehr. Du sitzt im Grunde nur rum und machst gar nichts.", patzte ich trocken zurück und schüttelte verständnislos den Kopf, sah dann einen Moment lang zur Seite weg. Ich konnte mich nun mal einfach nicht zerteilen. Ich würde ihm gern mehr damit helfen wieder auf die gerade Bahn zu kommen, aber wann hätte ich das noch machen sollen? Irgendwann innerhalb der ein oder zwei Stunden am Tag, die ich an Freizeit noch hatte, wenn man den benötigten Schlaf abzog? Ich konnte mich selbst schon kaum mehr dazu motivieren irgendwas Sinnvolles in meiner Freizeit zu tun, weil mich die Arbeit - legale, wie illegale - so einspannte, weshalb wir alle hier von Glück reden konnten, dass ich das nebenher aufräumen schon komplett aus Routine tat. Andernfalls wären wir hier sicherlich längst im Müll versunken. Ich tat im Augenblick nicht mehr, als zu funktionieren - von leben konnte kaum mehr die Rede sein. Richard konnte erzählen wem er wollte, dass er sein Bestes gab, aber bei mir stieß er da gerade komplett auf taube Ohren. Seine Möglichkeiten hier drin mochten ja wirklich eingeschränkt sein und das würde ich auch nie in Frage stellen, aber er könnte durchaus mehr tun als den ganzen Tag schief auf dem Sofa zu hängen und in Selbstmitleid zu versinken. Das hörte bei alltäglichen Dingen wie dem Haushalt selbst ja nicht auf. Ein bisschen Sport war auch ohne Geräte dafür drin. Er würde zweifelsfrei auch Zettel und Stift in dieser Wohnung finden, um mit sowas simplem wie einer Mindmap damit anzufangen, sein Leben wieder neu aufzubauen. Trotzdem tat er genau gar nichts und den Antrieb dafür konnte ihm auch keiner schenken, den musste er selbst wiederfinden. Man konnte den jungen Mann maximal ein bisschen dabei unterstützen und ihm Anreize für die richtige Richtung setzen, aber den Schalter in seinem Schädel musste er nun einmal selbst umlegen. "Dein Bestes?", wiederholte ich seine Worte ungläubig und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. "Ich kann dir vielleicht nur vor den Kopf schauen, aber ich bin mir sehr sicher, dass das hier", ich machte eine umfassende, ganzheitliche Bewegung, die die gesamte Wohnung einfassen sollte, "ganz bestimmt nicht dein Bestes ist.", murrte ich Richard weiter an. "Und ich weiß, dass ich das nicht als Einziger so sehe. Wenn du also kurz die Schnauze halten würdest, weil du sowieso nur Mist redest, würde ich gerne telefonieren.", redete ich durchweg zynisch weiter und zog während der letzten Worte das Handy aus meiner rechten Hosentasche, richtete dann auch schon die Augen aufs Display und suchte nach Sabins Nummer. Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen, als meinen Landsmann zu kontaktieren. Von seinen Erziehungsmaßnahmen hielt ich zwar bekanntlich nicht allzu viel, aber ich konnte einfach nicht zu dem Engländer durchdringen und bezweifelte auch stark, dass sich das zeitnah ändern würde. Dazu schienen mir unser beider Gemüter momentan schlichtweg zu empfindlich und zu negativ gestimmt zu sein. Es musste sich also Irgendwas an der Gesamtsituation ändern und dafür hatte der Italiener eher ein paar Mittel als ich selbst.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Das konnte Samuele jetzt nicht wirklich ernst meinen, oder? Er, der den ganzen Tag auf der Arbeit verbrachte und absolut nicht beurteilen konnte, was ich den lieben langen Tag in seiner Abwesenheit so alles tat, wollte mir jetzt ernsthaft unterstellen, dass ich nicht einmal richtig versuchte, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen? Von jetzt auf gleich waren mir wohl sämtliche Gesichtszüge entglitten und auch die Arme baumelten aufgrund meiner Fassungslosigkeit wieder seitlich meines Körpers. "Wie kannst du das beurteilen? Du bist den ganzen, beschissenen Tag überhaupt nicht da!", keifte ich nun etwas lauter und schüttelte ebenso verständnislos mit dem Kopf, wie Sam. Dabei fixierte ich ihn allerdings mit meinem leicht funkelnden Blick, anstatt ihn so wie er einfach abzuwenden. Ich für meinen Teil sah mich natürlich mal wieder vollkommen im Recht, wie das der Regelfall war, wenn ich mir auf den Schlips getreten fühlte, aber in dem Punkt konnte man mir wohl auch nicht verübeln, dass ich auf die Barrikaden stieg. Schließlich konnte Samuele überhaupt nicht nachvollziehen, wie oft ich nun schon versucht hatte, wieder ein wenig Ordnung in mein Leben zu bringen. Und selbst wenn ein wenig nur bedeutete, dass ich meine angesammelten Zeitschriften, die in der Gemeinschaftsunterkunft regelmäßig durch den ganzen Abstellraum, in dem ich geschlafen hatte, geflogen waren, nunmehr zusammensammelte und ordentlich auf einen Stapel in der Ecke des Raumes legte, na ja, dann war das eben so - aber das hieß noch lange nicht, dass ich es nicht wirklich versuchte. Meine Fortschritte waren vielleicht kleiner als die von gewöhnlichen Entzugspatienten, aber Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut und das sollte Sam als italienischer Staatsbürger wohl am besten wissen. Vielleicht brauchte ich einfach ein bisschen länger, weil ich mir in mancherlei Hinsicht durchaus auch selbst im Weg stand, aber den Grund dafür, warum es bei mir so ziemlich gar nicht vorwärts ging, nur bei mir zu suchen, war absolut nicht die Ideallösung dafür, diesen Streit hier nicht weiter eskalieren zu lassen. Mittlerweile fühlte ich mich mal wieder persönlich angegriffen und wollte dem jungen Mann mir gegenüber gerade aufzählen, wann und in welcher Form ich in den letzten Tagen versucht hatte, zumindest ein Stück weit wieder zu mir selbst zu finden. Ohne Erfolg natürlich, aber darum ging es ja auch primär erst mal nicht. Sam sollte nur wissen, dass ich deutlich mehr tat, als mir den Arsch auf dem Sofa plattzusitzen und darauf zu warten, dass er nach Hause kam, um ihm auf den Geist zu gehen. So weit kam ich allerdings gar nicht erst, weil Samuele in der Zwischenzeit sein Handy gezückt hatte und sich dadurch zu der Fassungslosigkeit nun auch eine leichte Panik gesellte. "Wen rufst du an?", fragte ich ihn unruhig, wobei die Antwort auf meine Frage förmlich auf der Hand lag. Er würde wohl kaum Cosma - mit der er im Übrigen meines Wissens nach noch überhaupt nicht in Kontakt gekommen war - oder Tauren - der mich vermutlich nach wie vor hasste - anrufen, damit die mich zur Besinnung ermahnten und das konnte im Umkehrschluss nur eines bedeuten. Bei der Erkenntnis darüber, dass die Nummer, die er im Begriff war zu wählen, vermutlich Sabins war, ließ mich mit leicht geweiteten Augen beinahe reflexartig ein paar Schritte auf ihn zumachen. Dabei wusste ich noch nicht einmal, was so schlimm daran war, wenn er den deutlich älteren Italiener kontaktieren würde. Vermutlich hatte ich einfach nur Angst, wieder in die Gemeinschaftsunterkunft zurück zu müssen, weil er keinen Nerv mehr dafür übrig hatte, sich mit mir auseinander zu setzen und dafür gefiel es mir bei dem sonst eigentlich sehr umgänglichen jungen Mann sehr viel besser. Hier wollte mir immerhin niemand Drogen unterjubeln und eine ganze Wohnung im Vergleich zu einem einzigen Kabuff mit kaum Tageslicht, in der ich mich bewegen konnte, war eindeutig die bessere Wahl. Es war wohl einfach der zu großen Sorge geschuldet, meine hart erarbeiteten Privilegien aufgrund der Entscheidung Sabins wieder einbüßen zu müssen, nur weil Sam ihm irgendwie glaubhaft verkaufte, dass ich alleine das Problem in der ganzen Sache hier war. Nicht auszudenken, wie sauer Sabin auf mich sein würde... und eigentlich wollte ich meine Arme und Beine gerne noch behalten, ein verunstaltetes Gesicht reichte mir vollkommen aus. Ich streckte also geistesabwesend bereits im Gehen meine Hand nach dem Arm aus, der das Handy in der Hand hielt, nur um jenen ganz gezielt packen und mit einem festen Griff dazu zu zwingen, das Mobiltelefon loszulassen. "Wag' es ja nicht, Samuele.", knurrte ich ihm entgegen, als ich mir kurzerhand auch noch den zweiten Arm schnappte, um ihn dann gezielt und unter Einsatz meines vollen Körpergewichtes vor mich her zu schieben. Wohin genau wusste ich nicht so recht, in erster Linie war es mir jedenfalls wichtig, dass er keine Möglichkeit mehr hatte, einfach so nach dem Handy zu fischen. Und wenn ich ihn dafür bis an die gegenüberliegende Wand im Flur manövrieren musste, damit er gänzlich außer Reichweite war. Blöd nur, dass wir maximal die Hälfte des Weges überhaupt zurücklegen konnten.
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Was das anbelangte sollte er sich aber gefälligst bei Sabin beschweren und nicht bei mir. Richard konnte mir glauben, dass ich sehr wohl lieber wieder etwas mehr Zuhause wäre, statt mich damit zu beschäftigen Drogen ins Ausland zu kriegen. Selbstverständlich ohne, dass uns dabei Irgendjemand auf die Schliche kam und ich nicht in den Knast wandern musste, nur um dort grausam vergewaltigt in der nächstbesten Ecke zu verrecken. Also ja, vielleicht war ich was meine Vermutung zu Richards Nichtstuerei anbelangte wirklich ein wenig voreilig, aber es gab gerade wohl nichts, das mir egaler war. Ich hatte mir das nicht ausgesucht also konnte er sich gerne gleich bei Sabin höchstpersönlich darüber beschweren, dass er mich in seine bescheuerten Drogengeschäfte mit reinzog - oder auch nicht. Denn kaum hatte ich den Kontakt des Italieners im Adressbuch auf dem Display, hätte nur noch mit dem Finger auf das Symbol mit dem grünen Hörer drücken müssen, da sah ich im Augenwinkel auch schon Richards hektische Bewegung. Ich hob den Blick noch an, um zu sehen was er vor hatte, da spürte ich auch schon den schmerzhaften Griff am Handgelenk. Man sollte eigentlich meinen, dass der Dunkelhaarige keinerlei Kraft mehr hatte, weil er nach wie vor nicht wirklich viel aß und dementsprechend auch noch kaum zugelegt hatte, aber dem war nicht so. Ich ächzte leise auf und hatte gar keine andere Wahl, als das Mobiltelefon auf den Boden fallen zu lassen. Ich folgte dem Gerät noch mit meinem Blick und beobachtete, wie es mit dem Display voraus auf dem Boden aufschlug. Es blieb wohl zu hoffen, dass der Teppich unter dem Couchtisch zusammen mit der Panzerglasfolie auf dem Display den Sturz ausreichend abgefedert hatte, weil ich sonst wohl mindestens eine Reparatur oder gar gleich ein neues Handy bezahlen müssen würde. Ich hatte allerdings gar nicht wirklich Zeit darüber nachzudenken, weil Richard sich dann auch schon meine zweite Hand schnappte und es eindeutig zu schnell rückwärts ging. Mir noch im selben Atemzug auch eine Drohung an den Kopf schmiss, die mich gedanklich erst recht in eine Abwehrhaltung fallen ließ. Allein schon deshalb, weil mir die leise Angst wieder im Rachen nach oben zu kriechen begann und meinen Körper massenhaft Adrenalin ausschütten ließ, während ich einen um den anderen Schritt nach hinten stolperte. "Was sonst, Richard? Legst du mich s..." Weiter kam ich mit meinem zweiten Satz nicht, weil ich mit dem rechten Fuß auf eins von Bandits Spielzeugen trat und umknickte. Ein kleiner, runder Ball aus widerstandsfähigem Kunststoff, der im Inneren weitere kleine Kügelchen hatte, damit das Ding Geräusche von sich gab, die die Jagdinstinkte meines Katers triggerten, wenn ich ihm das Teil quer durch die Wohnung schmiss. Ich wusste nicht, ob das Teil unter meinem Körpergewicht kaputt gegangen war, aber für mich bedeutete dieser blinde Fehltritt jetzt erst einmal das Aus. Ich verlor mit dem rechten Bein gänzlich die Balance und gerissen waren meine Bänder jetzt vielleicht nicht, aber ich spürte den ziehenden, stechenden Schmerz in meinem Knöchel schon, als ich mich noch im freien Fall nach hinten befand. Der Engländer kippte unweigerlich mit mir zu Boden und landete entsprechend seiner vorherigen Position ungebremst auf meinem Oberkörper, kaum war ich mit dem Rücken auf dem Boden aufgeschlagen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich überhaupt das letzte Mal derart schwungvoll hingefallen war, aber ich hatte es weniger schmerzhaft in Erinnerung. Lag vermutlich hauptsächlich daran, dass Richards Landung auf mir gefühlt sämtliche Knochen und Gelenke prellte, die überhaupt in meinem Körper vorhanden waren. Der Aufprall auf dem Boden in Verbindung mit dem Gewicht des Dunkelhaarigen - das definitiv mehr war, als es aussah - presste mir sämtlichen Sauerstoff aus den Lungen und für einen Moment lang hatte ich wirklich das Gefühl, ich müsste gleich ersticken. Mein Brustkorb war wie zugeschnürt und obwohl ich recht verzweifelt einzuatmen versuchte, bekam ich nicht wirklich Luft. Durch den Fall waren zwar meine Hände jetzt wieder frei, aber ich konnte sie kaum bis zu Richards Schultern anheben. "G... Runter.", hauchte ich nunmehr eineinhalb erstickte Worte mit leicht panischem Ausdruck in den Augen zu ihm hoch und viel mehr als einen minimalen Druck gegen seine Schultern bekam ich aber gar nicht zu Stande, bevor meine Hände wieder sanken. Dazu war der Schmerz, der sich zunehmend in meinem gesamten Oberkörper und auch meinem Knöchel auszubreiten begann viel zu penetrant. Das Handy war jetzt gerade und vermutlich auch in den kommenden Tagen demnach vermutlich mein geringstes Problem.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Legst du mich... sonst um? Ja, in dem Fall würde ich das wohl tun. Allerdings vollkommen unbeabsichtigt und aus dem eigentlichen Kontext gerissen. Ich hatte meine Augen selbstredend nicht auf den Boden gerichtet gehabt, sondern das Opfer meines spontanen Wutanfalls im Blick behalten, damit er mir auch ja keine Faxen machte. Demnach war mir das etwas deplatzierte Katzenspielzeug im Flur überhaupt nicht aufgefallen. Tat es im Übrigen auch dann nicht, als Samuele schließlich das Gleichgewicht verlor und wir beide mit einer glatten Haltungsnote von zehn gen Boden rauschten. So plötzlich, wie der Italiener unter meinem Griff umgeknickt und auf den Rücken gefallen war, hätte ich gar nicht reagieren können und selbst wenn das Unheil abzusehen gewesen wäre, dann hätte sich an dem Sturz vermutlich auch nicht mehr viel geändert. Selbst bei dem Versuch, das Gleichgewicht mit Sam in den Armen zu behalten, hätte mich das Gewicht des jungen Mannes ziemlich sicher trotzdem in die Knie gezwungen. Vielleicht nicht ganz so schwungvoll, wie das jetzt der Fall - ha ha, welch witziges Wortspiel - war, aber es wäre beim Aufprall für ihn dennoch ausreichend unangenehm geworden. Tja, aber es war vermutlich einfach das Karma, welches ihn einholte, um ihm quasi den Wink mit dem Zaunpfahl zu geben, dass er sich mir gegenüber gerade absolut nicht richtig verhalten hatte. Wäre ich also nicht unmittelbar von der ganzen Geschichte betroffen gewesen, hätte ich mir jetzt vermutlich still und leise ins Fäustchen gelacht auf seine Frage mit einem "Was sonst? Dann schlägt das Karma zu, wie du siehst." geantwortet, aber ich sollte natürlich auch mein Fett wegkriegen. Schließlich war auch ich nicht gerade freundlich gewesen und vermutlich war es zum Teil auch einfach die Quittung dafür, dass Sammy mich jetzt schon zum hundertsten Mal dazu ermahnt hatte, für ein wenig Ordnung in der Wohnung zu sorgen und ich mich immer wieder mit dem Arsch auf diese simple Bitte gesetzt hatte. Alles in allem ließ sich also zusammenfassen, dass wir beide ausreichend Gründe dafür gehabt hätten, dem jeweils anderen einen Sturz dieser Art zu gönnen - wobei ich den Italiener als weniger gehässigen Menschen einstufte, aber das war unwichtig - und nun schlug das Schicksal quasi zwei Fliegen mit einer Klappe. Wie das bei einem solchen Malheur so üblich war, betrug die freie Flugzeit nur wenige Hundertstel Sekunden, bis unsere Körper ziemlich unsanft auf dem Boden aufschlugen. Samueles noch mal ein Stück unsanfter als mein eigener, hatte ich doch wenigstens einen Stoßdämpfer in Form von Muskelmasse und Organen. Der junge Mann - inzwischen unter mir - durfte hingegen ungeschützt mit dem kalten Laminat Bekanntschaft schließen und er konnte wohl von Glück reden, dass meine beiden Arme ihn auch beim Fall noch einen Augenblick lang festgehalten hatten. Bis kurz vor dem Aufprall in etwa, dann hatte ich ihn losgelassen. Gott sei dank spät genug, als dass sich meine Ellenbogen nicht auf absolut ungünstige Art und Weise auch noch in seinen Brustkorb drückten, um das allerletzte Bisschen Luft auf seinen Lungen zu pressen. Sammy hörte sich schon jetzt nicht besonders gut an, als ich den Sturz geistig einigermaßen verarbeitet hatte und wieder klar im Kopf wurde. Anfangs hatte ich gar keinen Gedanken daran verschwendet, dass es für den Italiener vielleicht keine so tolle Situation war, in der wir uns gerade befanden - so rein vom körperlichen Aspekt und den Schmerzen eben. Ich selbst würde von dem Abgang wohl nur ein oder zwei blaue Flecken davon tragen an Stellen, die nicht durch Samuele vor dem direkten Aufprall geschützt waren, aber der junge Mann ächzte schon verheißungsvoll vor sich hin, was an sich schon mal nichts Gutes war. Keine Luft zu kriegen war immer blöd, löste zumindest bei mir immer direkt Panik aus, weil Ersticken wohl mit Abstand einer der qualvollsten Tode war, die man sich nur vorstellen konnte. Demnach hatte ich schon vor den gekrächzten Worten versucht, mich von dem Körper zu rollen, den ich unter mir begraben hatte. "Fuck...", grummelte ich, denn sobald Bewegung in die Knochen kam, fingen sie leider doch zu schmerzen an. Nach wie vor war das vermutlich nicht einmal im Ansatz damit vergleichbar, welche Schmerzen Samuele haben musste - trotz dass ich abgebaut hatte, war ich nun mal trotzdem noch lange kein absolutes Fliegengewicht -, aber ich befürchtete, dass zumindest die Ellenbogen und die Knie etwas in Richtung Prellung oder anderweitigen Traumata abbekommen haben könnten. Es brauchte mich einen Augenblick, bis ich neben dem Italiener auf dem Boden sitzen zu ihm rüber sah. Der Zorn von gerade eben wie in Luft aufgelöst, sodass ein besorgter Blick meinerseits wieder möglich war. "Scheiße, geht's dir gut? Das hätte böse enden können...", stellte ich kleinlaut fest, als mir die unweit im Flur befindliche Kommode ins Blickfeld rückte. Nur ein paar Zentimeter weiter und die Verletzungen des jungen Mannes hätten sich noch um eine Gehirnerschütterung oder Platzwunde ergänzen lassen. Aber auch mir schnürte plötzlich etwas die Luft ab. Nicht so sehr, als dass ich jetzt panisch werden müsste, aber dadurch, dass wir nicht wie zwei beschissene Sandwichscheiben gemeinsamen, sondern eher versetzt gefallen waren, war ich denkbar ungünstig mit den unteren Rippenbögen auf irgendeinem ziemlich harten und unnachgiebigen Knochen gelandet. Keine Ahnung, ob mich Sams Knie erwischt hatte oder seine Hüftknochen, jedenfalls wurde dadurch eine bis jetzt wirklich gut verheilte Wunde gereizt, die sich prompt mit einem unangenehmen Zwicken zu Wort meldete. Ich stieß die Luft zischend durch die Zähne aus, beschloss aber, dass das erst einmal das kleinere Übel war. Meinem Mitbewohner schien es nämlich deutlich schlechter zu gehen und auch wenn ich gerade wirklich nicht gut auf ihn zu sprechen war, würde ich ihn wohl nicht einfach so ohne weiteres im Flur versauern lassen, bis er irgendwann wieder dazu imstande war, eigenständig aufzustehen. Stattdessen raffte ich mich etwas umständlich auf die Beine, um ihm dann meine Hand auszustrecken, damit er sich zumindest einmal aufsetzen könnte. Mit stehen würde es bei ihm aktuell wohl etwas schwer werden.
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Immerhin ließ der Engländer sich nicht viel Zeit damit, wieder vom mir runterzurollen und als das zusätzliche Gewicht auf meinem Körper schwand, ging es mir zumindest schon ein bisschen weniger scheiße. Das Atmen fiel ein wenig leichter, auch wenn sich die Sauerstoffzufuhr immer noch nicht so anfühlte, als wäre sie zurück auf ihrem normalen Level. Deshalb rollte ich mich auch für einen Moment mit einem leisen Husten gekrümmt auf die Seite. Hoffte stillschweigend, dass das die Enge in meinem Brustkorb irgendwie wieder beseitigte und ein klein wenig half es tatsächlich. Die imaginäre Fessel um meinen Brustkorb begann sich langsam zu lockern und ich atmete deshalb auch ein paar Mal hörbar tiefer ein, um das Sauerstoffdefizit wieder auszugleichen. Noch dabei wurde mir bereits klar, dass ich mich ab morgen wahrscheinlich nicht einmal mehr selbst gern im Spiegel betrachten würde - ich würde nur so von Prellungen und den daraus resultierenden Hämatomen übersät sein. Allem voran wohl Rücken und Brustkorb, die den Schmerz gar nicht mehr loslassen zu wollen schienen. Ich konnte wohl von Glück reden, dass ich instinktiv den Kopf oben gehalten hatte und mehr als eine kleine Beule am Hinterkopf in diesem Bereich meines Körpers wohl nicht passieren würde. Ich verzog vor Schmerzen das Gesicht und von dem Ärger, der mir zuvor noch lang und breit ins Gesicht geschrieben stand, war für den Moment wohl nichts mehr zu sehen. Richards Frage drang nur eher dumpf an meine Ohren und würde es mir nicht gerade wirklich so beschissen gehen, wie schon seit gefühlten Jahrzehnten nicht mehr, dann hätte ich wohl bitter aufgelacht. Sah ich denn so aus, als würde es mir gut gehen? War hoffentlich nur eine rhetorische Frage seinerseits. "Nein." Mehr als diese sehr knappe, noch eher dünn klingende Antwort bekam er nicht. War auch noch gar nicht möglich, bis der Schmerz in meinem Brustkorb sich überhaupt erstmal ein bisschen legte. Im Moment war ich schon froh, wenn es mit dem Atmen wieder klappte. Ich sah kurz darauf auch schon im Augenwinkel, dass der Dunkelhaarige sich zurück auf die Beine raffte und dass er mir wenig später seine Hand entgegen streckte. Es schien ihm ebenfalls nicht unbedingt blendend zu gehen, aber ich war mir sehr sicher, dass man es mir verzeihen würde, dass ich dafür jetzt gerade im Moment nur bedingt Mitleid hatte. War schließlich seine Schuld, dass wir wie zwei Flundern ungebremst auf den Boden geklatscht waren. Eigentlich wollte ich allein deswegen auch seine Hand gar nicht erst nehmen, aber ich war mir nicht sicher, ob ich anders heute noch wieder vom Boden hochkommen würde - und sei es nur zum Sitzen. Also drehte ich mich ächzend wieder ein Stück weit auf den Rücken zurück, bevor ich die rechte Hand mit schmerzendem Ellbogen - der war wohl auch angenehm auf den Fußboden geknallt - nach seiner ausstreckte. Während mein Oberkörper zurück in eine mehr oder weniger aufrechte Position fand, hustete ich erneut ein klein wenig. Jede Art von Bewegung schien gerade meinen Hustenreiz anzuregen, was bei dem ohnehin schon schmerzenden Oberkörper wirklich nicht gut war. Ich ließ Richards Hand wieder los und schob mich ziemlich mühsam mit dem Rücken bis an die Kommode, die gerade schlichtweg am nähsten war. Indessen setzte auch langsam ein stechender Kopfschmerz ein. Ich warf einen flüchtigen Blick auf meinen Knöchel, der unter pochendem Schmerz anzuschwellen begann - sofern ich das auf diese Distanz und mit dröhendem Schädel korrekt zu beurteilen wusste, aber die Schmerzen allein waren schon ziemlich unmissverständlich. "Kannst du... was zum Kühlen holen? Gefrierfach...", schob ich mit noch stockenden Worten mein eigenes Ego vorerst hintenan und begrub das Kriegsbeil für den Augenblick, weil ich schlicht auf Richards Hilfe angewiesen war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Okay, vermutlich hätte ich mir die Frage wirklich sparen können, war es doch mehr als offensichtlich, dass es Samuele gerade alles andere als gut ging und trotzdem war es in diesem Moment das Erste, was mir durch den Kopf geschossen und über die Lippen gekommen war. Ich reagierte mit nicht viel mehr als einem leisen Schnauben auf die überaus knappe, dafür aber aussagekräftige Antwort seitens des Italieners und wartete dann darauf, dass er endlich meine Hand nahm. Ihm beim Aufsetzen zu helfen war wohl das Mindeste, was ich ihm gerade schuldete, weil es mir körperlich wohl um ein Vielfaches besser ging. Zwar plagten mich keinerlei Schuldgefühle wegen diesem Sturz - war schließlich nicht meine Schuld, wenn das blöde Katzenspielzeug mitten im Flur lag -, aber ich war wohl nach wie vor immer noch ein verhältnismäßig hilfsbereiter Mensch, der es nicht übers Herz brachte, Jemanden einfach so seinem Schicksal zu überlassen. In dem Fall wäre das vermutlich nicht so schlimm gewesen, weil Sammy, soweit ich das beurteilen konnte, keine lebensgefährlichen Verletzungen hatte, aber es lag mir dennoch fern, ihn einfach im Flur liegen zu lassen. Jedenfalls schien besagter Italiener kurzzeitig mit sich zu hadern, wälzte sich herum und war augenscheinlich damit beschäftigt, erst einmal den Schmerz wegzuatmen, ehe er sich nach einer kurzen Zeit der Stille - lediglich die angestrengten Atemzüge auf beiden Seiten waren zu hören - dazu entschied, sich schließlich wieder auf den Rücken zu rollen und mein eher beiläufiges Hilfsangebot anzunehmen. Weil das zusätzliche Gewicht an meinem Arm alles andere als angenehm für die ohnehin schon schmerzende Wunde war, verzog ich selbst kurz das Gesicht und griff mit der freien Hand an die Stelle, wo es angefangen hatte wehzutun. Dann allerdings widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder vollständig dem jungen Mann zu meinen Füßen, der mich kurz nachdem ich ihm zu einer sitzende Position verholfen hatte, darum bat, ihm etwas zum Kühlen zu bringen. Für welche der vermutlich unzähligen Verletzungen ließ sich wohl nur erahnen. Ich sah Sam noch einen Moment lang dabei zu, wie er sich mit dem Rücken an die nahegelegene Kommode lehnte, dann machte ich auch schon auf dem Absatz Kehrt, um mit einem "Ja, bringe ich dir." die Küche anzusteuern. Es brauchte mich nur wenige Schritte, bis ich inmitten des besagten Raums angekommen war und vor dem Gefrierfach stand. Im Inneren befanden sich insgesamt drei Kühlakkus und ich beschloss kurzerhand, einfach alle mitzunehmen. Noch von der Versorgung meiner blutenden Nase, nachdem Samuele mich bei einem unserer ersten gemeinsamen Abende geschlagen hatte, wusste ich außerdem, wo sich die Küchentücher befanden, in denen ich die Kühlpads schließlich einwickelte. Alles in allem brauchte ich lediglich zwei oder drei Minuten, bis ich wieder zu meinem Mitbewohner aufschloss und mich neben ihn kniete. Eines der Gelkissen legte ich ohne große Umschweife auf den angeschwollenen Knöchel - man musste schon blind oder akut ignorant sein, um nicht zu sehen, dass sich der Knöchel lautstark über den Sturz beklagte -, das andere drückte ich ihm wiederum einfach in die Hand. Sam wusste am besten, wo er das Teil am ehesten gebrauchen konnte, da wäre es schwachsinnig, ihn jetzt noch danach zu fragen, nur um ihm das bisschen Bewegung zu ersparen. "Brauchst du noch irgendwas...? Schmerzmittel?", fragte ich fast schon fürsorglich, was nicht zuletzt jedoch auch daran lag, dass ich ein Stück weit im eigenen Interesse handelte. Zwar wusste ich nicht, ob Sam mit Sabin irgendwelche Absprachen bezüglich der Medikamentenvergabe hatte, aber ein Versuch wäre es in jedem Fall wert. Vermutlich wären die anrollenden, immer stärkeren Schmerzen auch ohne etwaige Betäubung noch auszuhalten, aber wenn ich die Möglichkeit bekäme, mir zumindest eine billige Ibuprofen einschmeißen zu dürfen, dann würde ich diese Chance auch nutzen. Ich ging in jedem Fall nicht davon aus, dass es meine Sucht nach Meth direkt wieder triggern würde, denn das wäre spätestens schon dann der Fall gewesen, als die Schmerzen nach dem Sturz eingesetzt hatten. Stattdessen dachte ich, wie ein normaler Mensch das vermutlich auch tat, einfach nur daran etwas gegen das unangenehme Zwicken einzuwerfen. Das schloss härtere Drogen natürlich nicht aus, aber primär dachte ich halt an etwas ganz anderes.
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Was ich wohl gemacht hätte, wenn Richard meine Bitte abgelehnt hätte? Krepieren wahrscheinlich. Vielleicht nebenher noch das eine oder andere Fluchen und Jammern, aber hauptsächlich unter den Schmerzen eingehen. Ich wusste schon, dass man sich sehr viel schlimmer verletzen konnte. Bei einem Autounfall zum Beispiel, oder wenn man einen Mafioso wütend machte. Oder auch so ganz allgemein, wenn man eben im kriminellen Metier unterwegs war. Aber ich war das nicht gewohnt und während Leute wie Hunter jetzt dem Schuldigen gegenüber den nächsten Wutausbruch gestartet und ihm eine Kugel verpasst hätten - unter Umständen sicher auch mehr -, wusste ich mit dem Schmerz gerade mehr nur schlecht als recht umzugehen. Ich würde es überleben und mit ein paar Schmerzmitteln erträglicher machen können, solange der Heilungsprozess noch im Gange war - trotzdem machte mich der Schmerz nicht nur körperlich, sondern auch mental gerade wirklich fertig. Atmen allein tat ja schon weh, wie sollte ich da arbeiten gehen? Für mindestens ein paar Tage wahrscheinlich gar nicht, wenn mich keiner ins Büro trug und auf den Stuhl setzte. Danach dann auch dablieb, falls ich zwischendurch mal aufs Klo musste oder eine der Akten aus dem Schrank brauchte. Nach Hause gebracht werden müsste ich dann natürlich auch noch. Aktuell sah ich für die nächsten Tage also ziemlich schwarz. Ich war zwar selten krank - und noch seltener verletzt -, aber mein Chef würde natürlich trotzdem nicht begeistert davon sein, wenn ich mir den kaputten Arsch erstmal ein paar Tage auf dem Sofa parken musste. Es gab ganz einfach Dinge, die außer mir in diesem Café Niemand erledigen konnte, solange ich weg war und mir graute schon jetzt davor, einen riesigen Papierstapel auf meinem Schreibtisch vorzufinden, wenn ich dann wieder bereit zum Ausrücken war. War ja nicht so, als schob ich nicht ohnehin schon mehr als genug Überstunden, die mir seitens des Italieners noch nicht einmal bezahlt wurden. Irgendwann vielleicht, wenn ich Glück hatte, aber momentan stahl er mir mit diesem Zweitjob nur Nerven und eine große Menge Zeit, die anderweitig sinnvoller investiert werden könnte, wenn man mich nach meiner Meinung dazu fragen würde. Tat aber keiner. Der Engländer holte mich aus diesem ziemlich stark von Selbstmitleid geprägten Gedankenstrudel, als er aus der Küche zurückkam und im ersten Moment tat es weh, als er das Kühlpad auf dem Gelenk am Fuß ablegte. Deshalb zuckte ich unweigerlich ein kleines bisschen zusammen und zog scharf die Luft ein, bevor ich die anderen beiden Kühlakkus entgegen nahm und gleichzeitig ein leises "Danke." murmelte. Ich war schließlich erzogen worden und auch, wenn wir gerade unsere Differenzen hatten, war ich Richard dankbar dafür, dass er mich jetzt nicht stattdessen einfach auf dem Boden links liegen ließ. Angesichts des vorherigen Streits, bei dem ich ihm nichts als Vorwürfe an den Kopf geknallt hatte, hätte ihm das sicher noch nicht mal Jemand übel genommen. Während ich mich mit dem Oberkörper leicht nach vorne beugte, um mit der linken Hand eines der Kühlpads schließlich zwischen meinem rechten Schulterblatt und der Kommode einzuklemmen, stellte der Dunkelhaarige mir noch eine weitere Frage. Ich nickte schwach, kaum sichtbar, als ich meine etwas aufrechter sitzende Position wieder eingenommen hatte. "Ja... ich glaub' ich hab noch ein paar Pillen am Bett... obere Schublade.", ließ ich den jungen Mann wissen, wo er am ehesten fündig werden würde. Ich hatte eigentlich nie Medikamente im Haus, weil ich sie nur äußerst selten brauchte und dann holte ich sie einfach an der Apotheke um die Ecke. Das waren nicht mal hundert Meter zur Fuß, ich wohnte ja ziemlich zentral und hatte so gut wie Alles greifbar. Wenn ich Glück hatte - oder eher wir beide, sah der Engländer doch gerade auch nicht gerade fit aus -, dann lagen wegen meiner letzten Erkältung von vor einem geschätzten dreiviertel Jahr noch ein paar wenige Schmerztabletten in der Schublade meines Nachtkästchens, hatte ich mir zu jener Zeit doch meistens gleich morgens mit dem ersten Schluck Wasser am Bett die Ibuprofen verabreicht. Es dürfte kaum noch mehr als eine halbe Blisterpackung davon übrig sein, aber für den Anfang war das genug. Jedenfalls hielt ich mir das letzte der drei Gelkissen kurzerhand an den rechten Ellbogen. Allgemein war meine rechte Körperhälfte wohl stärker betroffen als die linke, weil ich durch das Wegknicken mit dem rechten Fuß wohl leicht gekippt und vermehrt auf der rechten Körperhälfte gelandet war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mhm, ich hätte es mir denken können. Auch wenn keiner von Samueles Knochen geknackt hatte oder hervorstand, konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass es nicht besonders angenehm gewesen war, unter meinem Körper begraben zu werden. Ich brachte sicherlich immer noch etwas über fünfzig Kilo auf die Waage, die ungebremst sicher auch den ein oder anderen Knochen hätte brechen können. Sammy konnte sich also zumindest in dem Punkt wirklich glücklich schätzen, dass er nur ein paar Prellungen und blaue Flecken davon tragen würde. Wäre mir zumindest um ein Vielfaches lieber, als dass gebrochene Rippen sich durch meine Lungenflügel bohrten. Ich war schließlich auch froh, dass nichts Schlimmeres passiert war, wegen dem ich unter Umständen einen Krankenwagen hätte rufen müssen. Das wiederum hatte nämlich zur Folge, dass auch Sabin informiert werden musste und wenn Sam im Krankenhaus lag, bezweifelte ich stark, dass es seitens des älteren Italieners in Ordnung war, wenn ich dann einfach wieder in mein eigenes Haus zog. Ganz alleine und ohne, dass jemand noch ein Auge auf mich hatte. Eher würde er mich wieder in die Gemeinschaftsunterkunft zurück holen, wo wir dann wieder bei der leicht aufsteigenden Panik waren, die mich überhaupt erst dazu getrieben hatte, Samuele das Handy abzunehmen. Aber ich schweifte wieder ab. Er schien also tatsächlich noch ein paar Tabletten bei sich im Schlafzimmer herumfliegen zu haben und so wie ich das verstand, hätte er davon auch ganz gerne eine. Also erhob ich mich aus der Hocke wieder in den Stand, hatte mittlerweile eine Hand permanent auf der pochenden Stelle am untersten Rippenbogen gelegt und wandte mich ein weiteres Mal von ihm ab. Da die Wohnung an sich relativ verhältnismäßig klein war - für einen Alleinstehenden jedoch vollkommen ausreichend -, brauchte es mich auch in das Schlafzimmer meines Mitbewohners nur wenige Schritte. Als ich die Türschwelle passiert hatte, hielt ich dann einen Moment lang inne und ließ meinen Blick schweifen. Da ich das Schlafzimmer des jungen Mannes bis jetzt nur im Vorbeigehen gesehen hatte, wenn die Tür gerade einmal offen stand, musste ich mich für etwa zwei Sekunden erst einmal orientieren, bis ich das Bett und den dazugehörigen Nachtschrank ansteuerte. Es war seltsam, fast schon so, als krieche der alte Richard langsam aus seinem Kellerloch, aber ich fühlte mich nicht wohl dabei, die privaten Räumlichkeiten des Italieners ohne ihn zu betreten und dann auch noch in seinen privaten Habseligkeiten herumzuwühlen. Ich wusste nicht, woran genau das lag, aber damit hatte ich schon immer meine Probleme gehabt, war mein Schlafzimmer mir doch auch überaus heilig und nur sehr wenige Gesichter hieß ich dort uneingeladen willkommen. Nur half es keinem von uns jetzt, wenn ich zu ausgiebig anfing, darüber nachzudenken und deshalb konzentrierte ich mich primär einfach auf die Beschaffung der Schmerztabletten. Versuchte dabei, alles um mich herum ein Stück weit auszublenden, was überraschenderweise tatsächlich ganz gut klappte. Es dauerte nämlich aufgrund von Samueles ausgeprägten Hang zur Ordnung gar nicht lange, bis ich die Tabletten in der obersten Schublade des Nachtschranks ausfindig gemacht hatte und sie gemeinsam mit einer angefangenen Flasche Wasser, die neben dem Bett stand, in den Flur brachte. Wieder hockte ich mich neben dem Italiener hin, wobei das auf Dauer doch auch ziemlich unangenehm in den Knien zog. Weil ich viel mehr als das, was ich bereits für Sam getan hatte, nicht tun konnte, ließ ich mich kurzerhand einfach gänzlich neben ihn auf den Boden fallen. Reichte ihm zuerst die Flasche Wasser, um mich daraufhin dann mit dem Blister auseinander zu setzen. Es waren noch ein paar Pillen da, reichten in jedem Fall aus, um die Schmerzen des jungen Mannes neben mir eine gewisse Zeit lang zu unterdrücken oder weniger werden zu lassen. Was mich betraf... starrte ich wohl eine ganze Weile auf die Tablette in meiner Hand, nachdem ich Sam seine zu der Wasserflasche in die Hand gedrückt hatte. "Meinst du... ich darf?", fragte ich murmelnd, noch während er dabei war, seine eigene Tablette die Kehle herunter zu spülen. Vermutlich war jetzt ein weniger günstiger Zeitpunkt dafür, zu sehr mit den Gedanken abzuschweifen, aber ich wollte schlichtweg keinen Ärger. Weder mit Sam, noch mit Sabin... Und da ich wie gesagt nicht wusste, ob die beiden Italiener diesbezüglich irgendwas besprochen hatte, wie es im Ernstfall um eine Sedierung meiner Wenigkeit stand, blieb mir wohl nichts anderes übrig, als einfach blöd nachzufragen. "Ich weiß nicht... also... ich denke, ich könnte auch ohne, aber...", fügte ich stammelnd noch ein paar deutlich ruhigere Worte als vorhin hinten dran. Mir war die Unsicherheit förmlich ins Gesicht geschrieben. Ich wusste zudem auch gar nicht, ob sich die Ibus mit dem Zeug, was Sabin mir wegen der anfangs doch wirklich heftigen Entzugserscheinungen eingetrichtert hatte, überhaupt vertrug. Vielleicht fiel das Schmerzmittel schon alleine deshalb weg, weil es die Wirkung des anderen Medikamentes aufhob oder irgendwelche unschönen Wechselwirkungen auslöste.
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Der Engländer machte sich schon bald wieder auf den Weg und ich folgte ihm noch kurz mit meinem Blick - ohne den Kopf zu drehen, wo ich mir doch sicher war, dass das genauso weh tun würde wie alles andere auch -, bevor ich die Augen einen Moment lang zumachte. Nur, um noch einmal tief durchzuatmen. Leider ließ sich der Schmerz nicht einfach wegatmen, aber es brachte mich zumindest stückweise zurück auf den Teppich. Zwar war ich sicher noch weit davon entfernt die Ruhe selbst zu sein, aber es ging langsam ein bisschen besser. Vielleicht gewöhnte ich mich einfach nach und nach an den Schmerz, weil er so schnell sicher nicht verdampfen würde. Daran konnte sicherlich auch nur das Schmerzmittel, mit dem Richard gerade zu mir zurückkehrte, nur bedingt etwas ändern. Ich glaubte nicht, dass ein bisschen Ibuprofen - nicht einmal in hoher Dosis, weil das für eine Erkältung schlichtweg nicht von Nöten war - den gesamten Schmerz all der Prellungen und Stauchungen abfangen konnte, aber immerhin würde es den Schmerz ein bisschen lindern können. Ein bisschen war besser als gar nicht. Wieder folgte ich dem Dunkelhaarigen mit meinen Augen, als er zu mir auf die unterste Etage - namentlich Boden - kam und sich dieses Mal auch gänzlich hinsetzte. Ich hatte auch nicht vor ihn noch für einen weiteren Wunsch loszuschicken. Gab nämlich sonst vermutlich nichts, was er im Augenblick noch für mich hätte tun können. Ich kühlte die Stellen, an denen es aktuell am meisten zwickte, schließlich bereits und ließ jetzt die linke Hand mit dem Gelpad für den Ellbogen sinken, damit ich stattdessen die Tablette und auch das Wasser entgegennehmen konnte. Von allein schluckte sich das Teil nämlich leider nicht und so verzog ich erneut das Gesicht, als ich den Kopf in den Nacken legte und nach dem Einwerfen der Pille etwas Wasser nachtrank. Noch währenddessen stellte Richard mir eine Frage, mit der ich nur bedingt gerechnet hatte. Dass er selbst Schmerzen hatte war offensichtlich, aber dass er nachfragte kam irgendwie unerwartet. Schlichtweg weil es sich bei Ibuprofen um ein nur sehr bedingt abhängig machendes Schmerzmittel handelte - natürlich machte ab gewisser Dosierung jeder Stoff den Körper abhängig, aber ich hatte ja nicht mal mehr viel von den Tabletten da. Sabin hatte mir zwar gesagt, dass ich ihn vom Medikamentenschrank fernhalten sollte, aber ich besaß ja nicht mal einen. Meinen grauen Zellen nach zu urteilen war auf der Packungsbeilage des Clonidins auch nicht explizit die Vermeidung sämtlicher anderer Medikamente gestanden. Natürlich sollte man eigentlich immer seinen Arzt danach fragen, welche Pillen man nun nicht miteinander mischen sollte und in welchen Fällen es okay war, aber wie gesagt - wir sprachen hier von einem milden Allerweltsschmerzmittel und nicht von Morphium oder anderen Opiaten, die einem zusätzlich zum Schmerz noch gefühlt das ganze Hirn umnieteten und leicht abhängig machten. Demnach nickte ich ein paar Sekunden, nachdem ich die Flasche wieder abgesetzt hatte und reichte sie meinem Leidensgenossen dann. "Es ist nur Ibuprofen und das noch in milder Dosis... glaube nicht, dass Sabin was dagegen hat, wenn du wirklich Schmerzen hast. Sind ja keine Opiate... oder Schlimmeres.", sagte ich ruhig, wenn auch nach wie vor ziemlich kaputt und schwächlich klingend, den Blick noch auf das Wasser gerichtet. Erst als der Engländer mir die Flasche abgenommen hatte hob ich den Blick in seine Augen an und musterte ihn ein paar Sekunden lang. Anfangs hatte ich das wegen seiner Narbe oft vermieden, aber inzwischen war sie für mich nicht mehr komisch anzusehen. Sie gehörte wohl genauso wie seine teils nervigen, gewöhnungsbedürftigen Eigenschaften einfach zu ihm. "Was tut dir weh?" Wo seine Schmerzen lagen hatte ich schon gesehen, nur wusste ich halt nicht, wo sie herkamen. "Hab ich dich blöd erwischt?", hängte ich eine weitere Frage an, hob dabei das Kühlpad wieder an meinen Ellbogen und lehnte den Kopf nach hinten an die Kommode, um den spannenden Nacken zu entlasten. Seine Arme sahen inzwischen wieder recht normal aus, aber ich hatte schlicht keine Ahnung davon, wie es um den Rest seines Körpers stand. Ob er noch andere langlebige Verletzungen hatte, die ich nur nicht sehen konnte. Schließlich lief keiner von uns beiden hier nackt im Alltag herum und allgemein bevorzugte ich momentan wohl so viel Privatsphäre, wie ich noch irgendwie kriegen konnte, wenn ich schon nicht mehr allein wohnte und mir ungefähr absolut alles Andere parallel dazu über den Kopf wuchs.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Na ja, nur weil es sich hierbei um ein Schmerzmittel handelte, was vielleicht nicht unbedingt stark war und noch dazu frei verkäuflich, hieß das noch lange nicht, dass Sabin damit einverstanden war. Es ihm egal war, wenn ich mir anstelle des Meths einfach irgendetwas anderes einwarf, das nicht dieses komische Subventionsmittel war - vollkommen unabhängig davon, um was genau es sich dabei jetzt handelte und wenn es nur eine in Wasser lösliche Asperin war. Dem Gespräch, als sich die beiden - vermutlich sogar in ihrer Muttersprache - darüber ausgetauscht hatten, wie mit mir verfahren wurde, wenn ich tatsächlich einmal Schmerzen verspürte, hatte ich schließlich nicht beigewohnt. Der Sturz war als solcher natürlich eine etwas speziellere Art von Verletzung, aber es konnte ja durchaus auch mal vorkommen, dass mich starke Kopfschmerzen oder vergleichbar geläufige Wehwehchen heimsuchten. Laut Samuele schien eine einfache Ibuprofen allerdings nichts Weltbewegendes zu sein, woraufhin er mir kurze Zeit später dann das Wasser reichte, mit dem er selbst die Pille gerade noch heruntergespült hatte. Im Zusammenhang mit seiner vorangegangenen Aussage fasste ich das als eine sehr indirekte Erlaubnis auf, mir ebenfalls etwas gegen die Schmerzen einwerfen zu dürfen und das ließ ich mir definitiv nicht zwei Mal sagen. Noch bevor ich zu einer Antwort auf Sammys Fragen ansetzte, schob ich mir die Tablette auch schon zwischen die Lippen, nur um sie kurz darauf ebenfalls mit einem Schluck Wasser herunterzuspülen. Ich drehte gerade wieder den Deckel auf den Flaschenhals, als ich schwach mit den nach wie vor recht abgemagert wirkenden Schultern zuckte. Wirklich besser geworden war die Schwierigkeit mit dem Essen auch in der Obhut des jungen Mannes noch nicht. Zwar aß ich schon deutlich mehr, als noch vor einiger Zeit, als ich auf dem besten Weg gewesen war mir mit dem Methamphetamin mein komplettes Leben kaputt zu machen, aber von einer normalen Ernährung war ich trotzdem noch ziemlich weit entfernt. Das würde sich aber hoffentlich auch bald legen und der Hunger eines Tages wieder zurückkommen. Aber darum ging es jetzt ja auch überhaupt gar nicht, sondern viel eher schien sich der Italiener nach der Erstversorgung nunmehr dafür zu interessieren, wie es mir nach dem Sturz eigentlich so ging. Besser als ihm auf jeden Fall, aber ja, dass er mich blöd erwischt hatte, konnte man wohl so sagen. "Ehm.. bin ein bisschen blöd gelandet.", stellte ich gemurmelt fest, wobei das im Vergleich zu Samueles Abgang wohl noch wirklich harmlos gewesen war. Ihm hatte ich es ja prinzipiell zu verdanken, dass nicht noch mehr der bereits verheilten Wunden, die als Andenken an Agnolos Gräueltaten zurückgeblieben waren, zwickten. Weil ich Sammy inzwischen gut genug kannte und wusste, dass er ein neugieriges kleines Kerlchen war, hob ich mein Shirt einseitig bis etwas zur Hälfte über den Brustkorb an, um ihm zu zeigen, was, beziehungsweise wo genau ich jetzt eigentlich den Schmerz verspürte. Zum Vorschein kamen mehrere Schnittverletzungen, die vor allem seitlich des Rippenbogens über dem Knochen in die Haut geritzt worden waren. Da, wo es am meisten wehtat, weil die Haut so extrem dünn war. Mittlerweile waren da aber gar nicht mehr die Einschnitte, sondern nur noch deren Überbleibsel in Form von Narben zu verzeichnen, die mich in den ersten Tagen nach der Versorgung beinahe in den Wahnsinn getrieben hatten. Weil über dem Knochen im Prinzip nur noch Haut gelegen hatte und das Nähen dadurch unmöglich gewesen war, hatten die Verletzungen mit Klammern fixiert werden müssen und das war wohl neben der Sache mit dem Agnolo einer der schlimmsten Erfahrungen in meinem Leben gewesen. Nicht zuletzt weil die Teile beim anbringen genau so geschmerzt hatten, wie die Schnittwunde bei ihrer Entstehung. Von ausreichender Sedierung hatte Hunters Arzt nämlich nicht besonders viel gehalten. Aber gut, jedenfalls war da jetzt nichts aufgerissen oder blutete, aber die Narbe auf dem untersten von insgesamt vier beidseitig verstümmelten Rippenbögen pochte und lief schon jetzt blau an. "Ist wohl meine Strafe dafür, dass ich wieder mal handgreiflich geworden bin. Sorry dafür...", redete ich ungeachtet des unschönen Anblicks einfach weiter, ließ das Shirt in der Zwischenzeit wieder sinken und zog dann mein rechtes Bein an, um meinen Arm auf dem Knie abzulegen. Dabei legte sich mein wehmütiger Blick in den meines Mitbewohners, um die relativ knappe Entschuldigung gen Ende in ihrer Ernsthaftigkeit zu unterstreichen. Schließlich hatte ich ihn nur davon abhalten wollen, Sabin anzurufen. Ihn anderweitig verletzten oder gar umbringen hatte mir sicher nicht im Sinn gestanden.
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Es dauerte einen kleinen Moment, bis der Engländer mir eine Antwort auf meine an sich relativ simple Frage gab. Ich ließ ihn dabei trotz des leicht in den Nacken gelegten Kopfes nicht aus den Augen und musterte sein Gesicht, während er zu einer Antwort ansetzte. Er schien also tatsächlich ungünstig aufgekommen zu sein und wider Erwarten hob er sogar den Saum seines Oberteils an, um mich Zeuge des Ausmaßes werden zu lassen. Womöglich war ich mental aber irgendwie so gar nicht darauf vorbereitet und starrte deshalb ziemlich offensichtlich auf die Verletzung. Denn es schien sich tatsächlich um eine alte Wunde zu handeln, die jetzt wieder Zicken machte - und das nicht zu wenig, denn der sich anbahnende Bluterguss war bereits erkennbar. Warum hatte er kein Kühlpad für sich behalten? Wenn es eine Möglichkeit dafür gab Hämatome überhaupt einzudämmen, während sie entstanden, dann durch sofortiges Kühlen. Schließlich zogen sich dadurch die Blutgefäße zusammen und das spätere Ausmaß konnte im Voraus schon etwas eingedämmt werden. Ich war vielleicht immer noch der Ansicht, dass es mir insgesamt schlechter ging als Richard, aber dennoch nahm ich das Gelpad von meinem Arm, als der Engländer das Shirt wieder sinken ließ und dadurch mein Gestarre unterbrach. Hielt es ihm dann auch schon hin, kaum hatte er der den Satz bezüglich des Karmas über seine Lippen gebracht. "Leg' das drauf, dann wird's zumindest nicht ganz so schlimm.", forderte ich den Dunkelhaarigen dazu auf, sich mit einem der drei Kühlpads um seine Rippe zu kümmern. Erstens, weil er mir eben doch ein bisschen leid tat und mir die Verletzung, die sicher nur einen winzigen Bruchteil seiner erlittenen Folter darstellte, mir sein eigentliches, weit tiefer gehendes Leid ziemlich klar symbolisierte. Und zweitens, weil ich gedanklich schon den Italiener an die Decke gehen sah, weil ich nichts getan hatte, um Richards Verletzung zu versorgen, wenn man das entzündungshemmende Schmerzmittel mal außen vorließ. Denn so viel stand fest - auch wenn ich Sabin vielleicht nicht mehr stecken würde, dass Richard mir hier auf den Geist ging, musste ich ihn jetzt trotzdem anrufen, um ihm von dem Mist hier zu erzählen. Lieber nicht im Detail, weil ich ehrlich gesagt für keinen von uns beiden wirklich eine Strafe wegen dieser beidseitig dummen Reaktion herbeirufen wollte. Aber er musste ja wissen, dass ich erst einmal eher nicht dazu fähig war zu arbeiten. Zumindest für ein paar Tage, bis ich mich wenigstens mit Krücken wieder halbwegs gut fortbewegen konnte. Dass ich den Fuß nach nur ein paar Tagen wieder belasten konnte hielt ich nämlich für unwahrscheinlich, so wie der Knöchel vor sich hin pochte und mir den Schmerz bis ins Knie hochziehen ließ. So oder so kam ich um den Italiener jetzt also nicht mehr herum. "Hab mich wohl auch eher nicht vorbildlich verhalten, also...", nahm ich seine Entschuldigung indirekt mit einem schweren Seufzen an und zuckte kaum sichtbar mit den Schultern, was mir erneut stechenden Schmerz im rechten Schulterblatt bescherte. "Aber Richard, du... ich meine, ich will will dir nicht sagen, was du zu tun oder zu lassen hast... und ein Therapeut bin ich auch nicht, aber... du solltest wirklich mal mit Irgendwem darüber reden. Das wird wahrscheinlich nicht schön und ich will dir auch nicht sagen, dass du es ausgerechnet mir erzählen musst... du musst nur irgendwann mal damit anfangen, es zu verarbeiten. Sonst wird's nie besser, fürchte ich.", murmelte ich vor mich hin, sah ihm dabei längst wieder in die Augen. Ich war nicht allwissend und hatte vor allem auch keinerlei Erfahrung mit Psychotherapie, aber das war einfach eine Sache, die auf der Hand lag. Reden half und er musste all das zumindest mal ein bisschen loslassen. Vielleicht nicht mir gegenüber, hatte er doch wenn ich mich recht entsinnte auch eigentlich sowas wie eine beste Freundin - die ich leider noch nie zu Gesicht bekommen hatte -, aber ich würde auch nicht vor ihm davonlaufen, wenn er sich doch dazu entschied ausgerechnet mir all die schlimmen Geschichten zu erzählen, obwohl ich sie bestimmt gar nicht wissen wollte. Ich war gern für andere Menschen da, selbst wenn mir das unangenehm werden konnte oder mir gar den einen oder anderen Alptraum bescherte. Wenn ich mich mit seinem Trauma beschäftigte hörte ich vielleicht wenigstens damit auf mir jeden Tag zu sagen, was ich für eine arme Socke war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Nein, hatte er nicht, das stimmte wohl. Nichtsdestotrotz gab mir das noch lange kein Recht dazu, ihm gegenüber handgreiflich zu werden. Was im Übrigen jetzt schon das zweite oder dritte Mal gewesen war, wenn ich mich recht entsinnte. Dabei war ich doch eigentlich ein Mensch, der grundlegend auf Gewalt verzichtete... Dazu musste ich allerdings sagen, dass sich das wohl nach der Sache mit Agnolo ein Stück weit zu meiner Art entwickelt hatte, übermäßige Unzufriedenheit auszudrücken, weil mir anders scheinbar kein Gehör geschenkt wurde. Dass das nicht die optimalste Lösung - auch für mich nicht - war und ich mit der Behauptung, keiner würde mir zuhören, vollkommenen Quatsch redete, sollte wohl offensichtlich sein. Es blieb wohl einfach zu hoffen, dass das Denken meines alten Ichs irgendwann auch wieder zurückkehrte, denn auch wenn man es mir im Moment des Übergriffs nicht ansehen mochte, fühlte ich mich nach wie vor nicht gut dabei, Jemanden zu verletzen. Und da mir das Sam gegenüber heute nicht zum ersten Mal passiert war, tat es mir gleich doppelt leid. Zu einem Streit gehörten in meinen Augen zwar immer zwei, aber ich trug doch einen wesentlichen größeren Teil zu der ganzen Misere hier bei. Trotz dass der Italiener im Prinzip nur wegen mir gestürzt war und sich derart verletzt hatte - in meinen Augen jedes Recht der Welt dazu gehabt hätte, sauer auf mich zu sein und mich links liegen zu lassen, selbst wenn ich ihm gerade geholfen hatte -, reichte er mir wenig später eines seiner Gelkissen mit der Aufforderung, es auf meine eigene Wunde zu legen. Ich wollte schon ablehnen, bildete ich mir doch ein, dass die Ibu innerhalb von wenigen Sekunden bereits zu wirken angefangen hatte, als mich ein weiteres, unangenehmes Zwicken im Brustbereich scharf die Luft einsaugen ließ. Also entschied ich mich spontan dazu, das Kühlkissen doch anzunehmen, auch wenn es Samuele vermutlich sehr viel dringender gebraucht hätte. "Danke.", murmelte ich und meine Mundwinkel zuckten ein wenig halbherzig in die Höhe, als ich das in Küchentücher gewickelte Pad auf die Stelle legte, an der die Narbe zicken machte. Dabei galt meine ungeteilte Aufmerksamkeit weiterhin meinem Mitbewohner, der mir im nächsten Atemzug den Tipp mit auf den Weg gab, über das, was damals im Hotel passiert war, endlich mal mit Jemanden zu reden. Meine erste Reaktion war daraufhin, dass ich ihn eine ganze Weile lang einfach nur schweigend ansah, weil mir bei seinen Worten wieder tausend Gedanken durch den Kopf schossen, dann aber wendete ich mich mit einem leisen Seufzen von ihm ab. Sah auf die Hand hinunter, welche ich locker um den Flaschenhals gelegt und dort hatte verweilen lassen. Darüber reden... hatte ich ja versucht. So mehr oder weniger zumindest, aber auf der Flucht von Norwegen nach Kuba hatte mir irgendwie keiner zuhören wollen. Ob ich nicht genug auf mich aufmerksam gemacht hatte? Konnte eigentlich nicht sein, schließlich war es absolut offensichtlich gewesen, dass es mir nicht gut gegangen war. Außerdem hatten Tauren, Cosma und Sabin mehrmals versucht, zu mir durchzudringen, nur hatte ich dann abgeblockt, weil... ja, warum eigentlich? Weil es mir dann plötzlich nicht mehr so leicht gefallen war, darüber zu reden, wie zu dem Zeitpunkt, als ich nach den Rachefeldzug an Agnolo durch die Glücksgefühle der wiedergewonnenen Freiheit beflügelt worden war? Keine Ahnung. Jedenfalls wusste ich selbst, dass ich irgendwann darüber reden musste. Es absolut unmöglich war, die Sache mit ins Grab zu nehmen, weil mich der Mist jeden Tag, an dem ich kein Wort darüber verlor, für den Rest meines Lebens prägen würde und ich war eigentlich der Meinung, genug gelitten zu haben. Allerdings fiel es mir nach wie vor nicht besonders leicht, darüber zu reden, auch wenn das eigentliche Geschehen jetzt schon eine ganze Weile zurück lag. "Ja, ich... ich weiß, nur es ist... anfangs wollte mir niemand so wirklich zuhören. Alle waren damit beschäftigt, von heute auf morgen die Koffer zu packen und nach Kuba zu reisen, was angesichts der herannahenden Katastrophe in Form einer sehr aufgebrachten italienischen Mafia ja auch absolut verständlich war, nur irgendwie... als wir dann hier gelandet sind... hab ich mich dann nicht mehr getraut.", gestand ich also offen, wo in meinen Augen das Kernproblem dessen lag, dass bis heute noch niemand wusste, was hinter den geschlossenen Türen im Hotel passiert war. Nicht einmal Cosma hatte ich mich getraut zu kontaktieren und würde es auch jetzt, wo es mir wieder etwas besser ging und ich langsam auftaute, nicht tun, weil mir die Sache mit Hunter einfach immer noch eine ganze Ecke zu suspekt war. Ich wollte damit überhaupt nicht sagen, dass ich an unserer engen Freundschaft zweifelte, aber in der letzten Zeit hatte ich schlichtweg einfach versucht, die Sache mit Agnolo zu verarbeiten und mich selbst wiederzufinden. Da war bis heute einfach keine Zeit gewesen, mir über die skurrile Beziehung auch noch den Kopf zu zerbrechen. "Mittlerweile... könnte ich es wohl zumindest versuchen, darüber zu reden.", hängte ich mit einem Schulterzucken noch ein paar wenige nachdenkliche Worten hinten dran. "Nur... mit Cosma" - kannte Sammy die Rothaarige überhaupt? - "hab' ich jetzt schon länger keinen Kontakt mehr, Tauren wird mich zurecht wohl noch die nächsten Jahre über hassen und Sabin ist beschäftigt. Im Endeffekt wärst du der Einzige, mit dem ich darüber sprechen könnte und...", ich stockte, blitzten beim darüber reden doch unschöne Bilder vor meinem inneren Auge auf. "Und ich bin mir nicht sicher, ob du das alles... wirklich wissen willst." Schließlich kannte ich ihn mittlerweile ein klein wenig. Für eine tiefergehende Freundschaft reichte es vielleicht noch nicht, aber ich wusste, dass er zart besaitet war und bezweifelte stark, dass er nach meinen Erzählungen dann noch in aller Seelenruhe schlafen können würde.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Wieder trat erst einmal für ein paar Sekunden Schweigen auf und ich wusste zu Beginn nicht so recht, wie ich das einordnen sollte. Ob ich jetzt etwas Falsches gesagt hatte und er gleich noch einmal austicken würde, oder ob er einfach nur über meine Worte nachdachte. Glücklicherweise schien letzteres der Fall zu sein, wenn ich sein Seufzen und ganz allgemein seine Körperhaltung richtig zu deuten wusste. Ich verharrte einfach ruhig in meiner Position und sah mir zwischendurch einmal meinen Ellbogen an, der bisher zumindest nicht angeschwollen war. Als Richard letztlich aber doch die richtigen Worte gefunden zu haben schien, schenkte ich ihm aufmerksam mein Gehör und sah ihn auch wieder an. Mir schien als hätte er durchaus darüber wollen, nur bisher eben nicht den richtigen Weg und den notwendigen Mut dazu finden können. Angesichts seines Umfelds wunderte mich das auch kein Stück, obwohl ich ja eigentlich nur einen sehr kleinen Teil davon kannte. Hunter und Sabin waren für mich aber beide Paradebeispiele für Menschen, mit denen man über sowas nicht redete. Ich konnte ja nicht wissen, dass zumindest seitens des Italieners im Grunde schon sowas wie eine sehr verständnisvolle Ader in ihm schlummerte, weil ich ihn nicht auf diese Weise kannte, sondern eher nur als ziemlich gestresst. Sydney war an sich zwar wirklich in Ordnung - wenn man ihr verzieh, dass sie wie ein Kindergartenkind petzen gegangen war -, aber Richard schien zu ihr keinen Draht zu haben und damit fiel sie wohl auch raus. Cosma kannte ich nicht, hatte zu ihrer Identität lediglich eine Vermutung und Tauren kannte ich zwar vom Hörensagen, weil ich von Sabin wusste, dass jener vorher bei Richard gewohnt hatte, aber zu Gesicht bekommen hatte ich ihn auch noch nicht. "Ist Cosma deine beste Freundin? Sabin hat nur flüchtig erwähnt, dass eine Freundin von dir auch mit rübergekommen ist, sonst aber nix weiter dazu gesagt.", hakte ich nach, weil ich einfach gern ein winziges bisschen mehr Information hätte. Mir die Verbindung zu jener jungen Frau zu erklären würde schließlich auch Niemanden umbringen und mich auch sonst nichts wissen lassen, was ich nicht wissen durfte. Glaubte ich zumindest. "Mit den beiden solltest du aber auch irgendwann nochmal reden.", hängte ich ein paar leise, gemurmelte Worte an. Unabhängig davon, ob es sich bei Cosma nun um seine beste Freundin handelte oder nicht, schien bei den beiden ja auch irgendwie der Haussegen schief zu hängen und es würde Richard ganz und gar nicht schaden, auch das im Laufe der Zeit mal aufzuarbeiten. Genau das gleiche galt für die ruinierte Beziehung zu seinem ehemaligen Mitbewohner, der ihn momentan wohl nicht mal mit dem Arsch anschauen würde. Konnte man ihm kaum verdenken, aber selbst dann, wenn er vorerst keinen Kontakt mehr wollte, könnte der Dunkelhaarige hier neben mir sich zumindest mal für seine Taten entschuldigen. Vorher wusste er ja gar nicht, woran er bei Tauren jetzt im Endeffekt war, sondern konnte nur darüber mutmaßen. Am Ende des teils etwas wirren Geredes des Engländers schien seine Wahl aber doch irgendwie auf mich zu fallen. Vermutlich wirklich nur, weil außer mir - wie er schon sagte - sonst aktuell nicht wirklich Jemand für ihn und seine Probleme da war. Und bei Gott, ich konnte gar nicht sagen, wie sehr ich im Grunde wirklich nicht wissen wollte, was mein Landsmann mit dem armen Kerl hier neben mir alles angestellt hatte. Immerhin hatte ich der italienischen Mafia ja nicht entkommen wollen, nur um mir später anderweitig Details zu ihren niederträchtigen und abscheulichen Taten zu beschaffen. Aber ich würde das Seil, das ich Richard gerade mit meinem Tipp in das tiefe Loch, in dem er saß, zugeworfen hatte, jetzt nicht einfach wieder vor der Nase wegziehen. Das wäre nicht nur gemein, sondern auch schrecklich egoistisch und einfach nicht richtig. Ich stellte mir selbst also gar nicht erst die Wahl, weil ich wusste, dass ich dann einen Rückzieher machen würde. Gab hier nur eine Sache, die zu tun richtig war. "Ach, was soll's... die eine schlaflose Nacht mehr oder weniger...", erwiderte ich eingangs ein paar sarkastische Worte und hätte mir nicht alles weh getan, dann hätte ich ich sicher eine unterstreichende Handbewegung eingebracht. Schlaflos war zwar ein bisschen übertrieben, weil ich mich eher nur häufig unruhig durch die Laken wälzte und nicht gar nicht schlief, aber er wusste schon was ich meinte. "Ich helf' dir gern... und ich bin ein guter Zuhörer.", ließ ich Richard noch wissen, dass er sich um mich dabei mal keine Sorgen machen sollte. Dazu war es in meiner jetzigen Lage sowieso schon zu spät, war ich doch irgendwie mehr oder weniger dabei mein Leben mit Fullspeed an die Wand zu scheppern. War vielleicht ganz gut, dass ich kein Auto besaß, das ich gegen einen Baum hätte setzten können.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Angesichts der Tatsache, dass ich Samuele in den letzten Tagen kein besonders guter Mitbewohner gewesen war, brachte es ihm einen Haufen Pluspunkte ein, dass er mir gerade seine Schulter zum Anlehnen anbot. Natürlich war es in gewisser Weise seltsam, mit einem mir im Prinzip völlig Fremden über meine Probleme zu reden, aber eine besonders große Rolle spielte das in meinem Fall nun nicht. Solange er ein paar aufmunternde Worte und den ein oder anderen Ratschlag für mich übrig hatte, unterschied er sich damit in keinster Weise von meiner besten Freundin, die er mit einer passenden Frage geschickt als Einleitung in das Gespräch nutzte. "Ja, Cosma ist... wir kennen uns schon ziemlich lange, haben einiges durchgemacht. Wird aber wohl auch jemand sein, in dessen Gegenwart du dich nicht besonders wohl fühlen wirst. Kommt wohl ganz darauf an, ob ihr deine Nase passt oder sie dich von Anfang an schon nicht leiden kann. Sie... ist mittlerweile außerdem mit Hunter liiert.", fing ich also an, ihn mit leicht zögerlichen Worten über mein Verhältnis zu der Rothaarigen in Kenntnis zu setzen. Außerdem warnte ich Sam für ein mögliches Treffen schon einmal vor, dass Cosma nicht weniger einen an der Waffel hatte, als der Rest dieses überaus seltsamen Haufens auch und er sie bei der ersten Begegnung lieber mit Vorsicht genießen sollte. Nicht zuletzt eben auch deswegen, weil ein potenziell ziemlich heftiges Donnerwetter auf ihn warten würde, wenn er sich ihr gegenüber im Ton vergriff. Ich war zwar der Meinung, dass die Beziehung zu dem Amerikaner Cosmas angeborener großen Klappe keinen Abbruch getan hatte und sie sich selbst zu wehren wusste, wenn Sammy ihr auf den Keks ging, aber sollte Hunter irgendwie mitbekommen, dass der Jüngling seine Freundin auf welche Art und Weise auch immer verärgerte, belästigte oder sie gar verletzte, würde er das sicher nicht unkommentiert stehen lassen. Sehr zu Samueles Vorteil würde er sich aber vermutlich ohnehin davor hüten, auch nur einen Mucks von sich zu geben, wenn der volltätowierte Choleriker in der Nähe war, also sollte es dahingehend nicht wirklich Probleme geben. Hoffte ich zumindest. Wäre blöd, wenn ich ihn heute zu meinem ganz persönlichen Psychotherapeuten ernannte, dem ich mein Herz ausschüttete und er dann innerhalb der nächsten Wochen von uns ging. Na ja. "Jedenfalls... puh, ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen.", versuchte ich durch einen mehr oder weniger ironischen, wenn auch hörbar verunsicherten Unterton die Unterhaltung - allen voran aber meine eigenen Nerven - aufzulockern. Klappte bei dem Gedanken an Agnolo nur leider nicht besonders gut, weshalb sich auch das heisere Lachen ziemlich falsch anhören musste, als ich meinen, bis gerade eben noch permanent auf den Italiener gerichteten Blick von ihm abwendete. Stattdessen die Flasche in meiner Hand anstarrte, weil ich mich für Blickkontakt, während ich über meine Gefangenschaft berichten würde, einfach noch nicht in der Lage fühlte. Zudem brauchte ich einen Moment, um darüber nachzudenken, inwieweit es in Ordnung war, dass ich Sam über die Anfänge der Kontaktaufnahme zur italienischen Mafia in Kenntnis setzte. Grundlegend waren wir hier auf Kuba, um darüber mit Niemanden mehr ein Wort zu verlieren, aber andererseits war es verdammt wichtig, wenn ich das Kapitel für mich endlich abschließen wollte. Schließlich brachte es nicht viel, nur über die Dinge im Hotel zu reden, wenn mich auch das davor schon geprägt hatte. Dann aber führte ich mir vor Augen, dass Samuele ohnehin schon viel zu viel wusste und von Hunter eine unmissverständliche, imaginäre Pistole - die je nach Verlauf durchaus echte Patronen abfeuern konnte - auf die Brust gesetzt bekommen hatte. Schließlich war er darüber im Bilde, dass Sabin hier auf Kuba war und sollte ihm der Sinn danach stehen, meine brandheißen Informationen an irgendwelche Männer in Italien weiter zu geben, wusste er, was auf ihn zukommen würde. Ich selbst war bei den Verhandlungen, so wollte ich das Gespräch zwischen Sabin, Hunter und Sam jetzt mal genannt haben, zwar nicht dabei gewesen. Wusste demnach auch nicht, was für meinen Mitbewohner alles auf dem Spiel stand, wenn er Mist baute, aber so wie ich Hunter einschätze, würde wohl ziemlich sicher mindestens ein Kopf rollen, wenn Sammy uns Probleme machte. In dem Sinne war es also auch vollkommen egal, was ich ihm jetzt eigentlich erzählte. Wenn ihm sein Leben lieb war, dann hielt er die Klappe. Absolut alles und jedem gegenüber. "Okay, ich fange an... eh... also Sabin hatte, wie du sicherlich weißt, ziemlich große Schwierigkeiten mit der italienischen Mafia. Das war, so wie ich das mitbekommen habe, wohl erst der Grund, warum er vom FBI nach Norwegen gebracht worden ist und ja, irgendwie haben die davon Wind bekommen und sich auf die Suche nach ihm gemacht. Zu dem Zeitpunkt stand er aber schon unter Hunters Schutz, weil die Geschäfte miteinander am Laufen hatten, der hat wiederum einige Männer an die Italiener verloren und so weiter und so fort... Lange Rede, kurzer Sinn: Irgendwann haben wir einen Plan ausgearbeitet. Wir wollten diese komische Stabsstelle ein wenig aushorchen, um sie dann plattzuwalzen. Das hatte erst Cosma machen sollen. Sie hat in Norwegen eine Bar gehabt... mit illegalem Glücksspiel und Prostitution im Hinterzimmer. Im Grunde genommen also der perfekte Ort, um solche Typen anzulocken...", fing ich also ganz am Anfang an zu erzählen, wobei ich gerade die Sache mit Cosma, ihrer Bar und den darin stattfindenden illegalen Aktivitäten runterratterte, als wäre es das Normalste der Welt. In Wirklichkeit wollte ich Sam aber eigentlich nur genug Hintergrundwissen vermitteln, damit er mir folgen konnte, wenn es ans Eingemachte ging. "Aber aus mir damals unerfindlichen Gründen - heute bin ich schlauer - wollte Hunter nicht, dass sie das übernimmt ich war halt Plan B. Sollte herausfinden, ob sich jemand von den drei hohen Tieren für Kunst interessiert und tada... damit tauchte Agnolo auf unserem Radar auf." Dass ich wegen der Geschichte mit der Rothaarigen diese unschöne Narbe im Gesicht mit mir herum trug, ließ ich dabei außen vor. Tat in meinen Augen nichts zur Sache und hatte bis auf ein angeknackstes Ego - was im Nachhinein so oder so in Trümmern gelegen hatte - und natürlich der versengten Haut keine größeren Folgen gehabt. Was nun allerdings folgen sollte, kostete mich vorab einige Sekunden der Stille, in der ich kurzzeitig die Augen schloss und einmal tief durchatmete. Soweit ich informiert war, wusste niemand - noch nicht einmal Cosma - von meiner Homosexualität. Diese wiederum spielte allerdings im Verlauf der Erzählung eine nicht zu verachtende Rolle und so akzeptierte ich stillschweigend, dass Sam hier und heute scheinbar der Erste war, der darüber Kenntnis erlangte, als ich die Lider wieder aufschlug. Ich konnte ja nicht riechen, dass er das absolut in Ordnung fand, weil er selbst sich nicht nur für Frauen interessierte. Klar, wie hatten vor nicht allzu langer Zeit mal flüchtig mit einem Witz über das Thema gesprochen, als es um Sabins Hintern gegangen war, aber das musste ja absolut nichts heißen. Vertieft hatten wir die Unterhaltung dahingehend auch nicht, sonst wäre mir das outen in dem Fall wohl deutlich leichter gefallen. "Tja und er war dann... mein persönlicher Untergang. Am Anfang war alles gut. Er interessierte sich tatsächlich für Kunst und auch wenn er ein komischer Typ war, immer mit Anhang im Schlepptau vor meiner Tür gestanden hatte... mochte ich ihn irgendwie. Sein Charakter war abscheulich, aber er war intelligent, scheinbar auch gebildet - gerade Wissen über Kunst kommt nicht von irgendwoher - und unglaublich gut aussehend." Mein Blick blieb weiter auf den Boden geheftet, ich wollte meinen Sitznachbarn gar nicht ansehen, seine Reaktion nicht sehen, weshalb ich schnell weiterredete, in der Hoffnung, dass er dem Ganzen deswegen hier jetzt keinen Cut setzen würde. "Zu sagen, ich war in ihn verliebt gewesen, wäre definitiv zu viel des Guten, aber ich fand ihn sehr attraktiv und wir haben... einmal kurz davor gestanden... ach, ist nicht weiter wichtig. Ich persönlich hielt es auf jeden Fall für die perfekte Ausgangsposition, über ihn an Informationen bezüglich seines Aufenthaltsortes zu bekommen. Die drei führenden Köpfe, wozu auch Agnolo gehörte, hatten sich in einem Hotel in der Stadt verschanzt, von dem wir bis zuletzt nicht wussten, wo es sich befand oder wie es hieß. Jedenfalls haben wir uns öfter mal getroffen und ich hab versucht, mir sein Vertrauen zu erschleichen, was bis zu einem gewissen Punkt auch wirklich gut geklappt hat. Dann aber hat er mich beim Lügen erwischt und nicht lange damit gefackelt, mich bewusstlos zu schlagen und in den Keller des Hotels zu verfrachten, in dem er residierte. Die Schnittverletzungen waren von alledem wohl noch das kleinste Übel. Schläge und Tritte standen weit oben auf der Tagesordnung. Außerdem hat er meine damals noch frische Wunde ständig angefasst und mangels ausreichender Wundhygiene hat die sich über die Zeit echt übel entzündet. War auch mit das Schmerzhafteste, wenn du mich fragst.", ich hatte noch nicht einmal die Hälfte meines Martyriums in Worte gefasst und doch wurde ich zunehmend leiser, versank zeitweise wieder in Gedanken, die mich in das Hotel zurück katapultierten. Direkt in die Arme dieses widerlichen Bastards, der mein sonst so frommes Gemüt binnen weniger Tage gebrochen und mich zu einem Schatten meiner selbst hatte werden lassen. "Aber das eigentlich Schlimmste nebst all der körperlichen Schmerzen... war, wenn er mich auf sein Zimmer hat bringen lassen. Es war zwar immer mit einem warmen Bad und einer mehr schlechten als rechten Körperpflege verbunden gewesen, aber sobald seine Männer aus dem Raum waren und die Tür ins Schloss fiel..." Inzwischen war meine Stimme kaum noch zu hören, nicht mehr als ein Flüstern. Damit passte sie sich wohl meiner Körperhaltung an, die der eines kleinen Kindes glich, das gerade von seinen Eltern den Einlauf seines Lebens kassiert hatte. Mein Kopf hing ebenso wie meine Schultern förmlich im Keller, während ich die Beine wieder gänzlich ausgestreckt und die Wasserflasche zur Seite gestellt hatte, um mit beiden Händen am unteren Saum meines Shirts herumnesteln zu können. Das Kühlpad hielt glücklicherweise zwischen Arm und dem unteren Rippenbogen geklemmt gut fest, sodass ich mich darum nicht weiter kümmern brauchte. Jedenfalls war jetzt alles, was wohl mit Abstand am meisten auf meine Psyche geschlagen hatte, gesagt und auch wenn ich noch reichlich nervös war, was die Antwort auf all das seitens des Italieners anging, fühlte ich mich tatsächlich schon ein Stückchen besser. Immerhin war ich jetzt nicht mehr nur der Einzige, der darüber Bescheid wusste. Hatte jetzt einen Eingeweihten, der nun eventuell auch ein bisschen besser nachvollziehen konnte, warum ich mich zwischenzeitlich aufführte, wie das größte Arschloch. Natürlich war die Vergangenheit kein Freifahrschein, sich zu verhalten, als wäre man der einzige Mensch auf diesem gottlosen Planeten, aber die prägte einen doch ziemlich stark. Dagegen ließ sich einfach nichts sagen.
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Ah, okay - wo bei Cosma der Schuh drückte war mir jetzt klar. Auch ohne weitere Details. Immerhin würde ich selbst wohl auch nicht viel davon halten, wenn mein bester Freund - oder meine beste Freundin - plötzlich mit Jemandem zusammen war, den ich auf den Tod nicht ausstehen konnte. Das allein führte schon zu reichlich viel Konfliktpotenzial, das man unter Umständen zumindest teilweise wirklich umgehen sollte. War zwar kein Grund den Kontakt ganz zu kappen, aber zumindest Hunter sollte man da besser ganz außen vor lassen. Wenn sie hier mal zu Besuch kam bitte erst recht, damit ich mich nicht in die hinterste Ecke der Wohnung verkriechen musste. "Gut, das mit Hunter ist wohl... ungünstig. Mild ausgedrückt.", seufzte ich leise. Ich wusste inzwischen ja, dass die Narbe in Richards Gesicht auf die Kappe des Amerikaners ging und es war ihm kaum zu verdenken, dass er dann grundlegend gern einen Bogen um den Kerl machte. Damit dann irgendwie auch um Cosma, aber man musste sich mit ihr ja nicht zwangsweise auf amerikanischem Territorium treffen. "Aber Sabin hätte bestimmt nichts dagegen, wenn sie mal herkommt... ohne das lästige Anhängsel natürlich und erst, wenn du dich bereit dazu fühlst.", informierte ich den Dunkelhaarigen neben mir darüber, dass ich grundlegend nichts dagegen hatte, wenn die junge Frau hier mal reinschneite. Ich würde schon irgendwie mit ihrem scheinbar ebenfalls komplizierten Charakter - der sie eine Gemeinsamkeit mit gefühlt allen anderen Kriminellen haben ließ - klar kommen und wenn es mir zu bunt wurde, schob ich sie eben vor die Tür. Es sei denn sie tickte so schräg wie ihr Freund und hielt mir dann eine Pistole an den Kopf. Oder sie informierte Hunter darüber, dass ich sie rausgeworfen hatte... nein, ich würde sie einfach aushalten und definitiv unter keinen Umständen vor die Tür setzen, solange sie das nicht wollte. Eindeutig zu hohes Sterberisiko. Nach dem groben Anschneiden des Cosma-Themas folgte dann der eigentliche Ernst der Dinge. Zu Beginn sah ich ihn noch an, während er redete. Nur nicht mehr so direkt wie vorher, weil ich zu wissen glaubte, dass ihm das eher unangenehm wäre, wo er sich beim Reden doch sichtlich unwohl in seiner Haut fühlte. Meine Ohren hingegen blieben zu jeder Sekunde hellhörig und zu Beginn klang das ganze Drama noch gar nicht so schlimm. Von dem Trubel in Norwegen wusste ich ja bereits ganz grob und Richard gab mir erst einmal nur mehr Hintergrundwissen dazu, damit für mich alles schlüssig klang und ich verstand, warum sein Weg den von Agnolo gekreuzt hatte. An sich scheinbar ein wirklich attraktiver Mann, wenn man Richard Glauben schenken konnte. Und nein, ich dachte tatsächlich nicht wirklich über seine offensichtliche Homosexualität nach. Einfach deswegen, weil das für mich ganz normal war. Ich fokussierte mich zwar nicht nur auf Männer - wobei sich aus seinen Worten auch keine genaue Grenze dahingehend ziehen ließ -, aber dass mich das kein bisschen störte war wohl überflüssig zu erwähnen. Ich glaubte bis jetzt nämlich eher nicht, dass er sich an mir auch einen Narren fressen würde, wo ich doch im Grunde nichts Besseres zu tun hatte als ihn täglich darauf hinzuweisen, dass er den Haushalt nicht ordnungsgemäß über die Bühne brachte und wo seine Fehler lagen. Außerdem war ich wohl auch der Meinung, dass wir schon auf den ersten Blick kein Stück zusammenpassten. Ich fokussierte mich also deutlich mehr auf all die anderen Dinge, die er mir noch erzählte. Er schien alles andere als zufällig in die Hände des Italieners gefallen zu sein - viel mehr war geplant gewesen, dass er sich ihm annäherte und dass er scheinbar ebenfalls schwul war, war Richard erstmal noch zu Gute gekommen. Man hätte es einen angenehmen Beigeschmack nennen können - wer hatte schließlich noch nicht von einem heißen Badboy geträumt, und sei's nur für eine Nacht? -, wenn es nicht so hundsmiserabel für ihn geendet wäre. Denn das Trauma des Engländers schien sich nicht mehr nur auf Körperverletzung und reichlich entzündetes Fleisch zu beschränken, sondern wurde von Vergewaltigung ergänzt. Scheinbar auch nicht nur einmal, sondern der Wortwahl nach zu urteilen mehrfach und ich schloss selbst einen Moment lang die Augen, während ich kaum sichtbar mit dem Kopf schüttelte. Beides separat war schon absolut furchtbar, aber beides in Kombination... das war wohl so ziemlich der schlimmste Alptraum eines jeden Menschen. Mir inklusive. Ich wollte mir das nicht mal vorstellen müssen und Richard hatte all das wirklich durchmachen müssen. Ich hatte vorher schon geahnt, dass er wirklich Schlimmes hatte durchmachen müssen, aber das überstieg jetzt wirklich meine bisherige Vorstellungskraft. Das lag schlichtweg darin begründet, dass ich mich mit kriminellen Genies und ihren Foltermethoden nur ungern auseinandersetzte. "Ich...", setzte ich dazu an etwas zu erwidern, aber ich hatte mich selbst noch nicht genug gesammelt, um das zu verarbeiten, was mir der junge Mann gerade erzählt hatte. Also schloss ich den Mund noch einmal und dachte zuerst für sicherlich eineinhalb Minuten auf meine Oberschenkel starrend darüber nach, was ich dazu jetzt am besten sagte. Es war einfach ein mehr als sensibles Thema und wenn ich jetzt irgendeinen wahllosen Mist redete, könnte ich die Errungenschaft für den Kunstliebhaber gleich wieder kaputt machen. Ich wollte ganz sicher nicht, dass er sich von neuem verschloss und nie mehr auch nur wieder ein Sterbenswörtchen darüber verlor. "Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie schlimm das gewesen sein muss... und ich heul' hier rum wegen ein paar blauen Flecken...", murmelte ich noch immer nicht ganz sortiert vor mich hin, schüttelte ein weiteres Mal den Kopf und sah dann erstmals wieder zu Richard, der neben mir saß als könnte er wirklich nie mehr im Leben einen Hauch Freude finden. Ich zögerte noch einen Moment lang, bevor ich leicht das Gesicht verziehend meine rechte Hand hob, um sie ihm vorsichtig an die Schulter zu legen. Strich auch ein kleines bisschen mit dem Daumen über den Stoff seines Tshirts. Eine Umarmung wäre gerade schmerzhaft und vermutlich auch deutlich zu viel dafür, dass wir uns so gut nun auch wieder nicht kannten. Trotzdem weckte sein trauriger Anblick durchaus das Bedürfnis ihn mir ihn einfach mal in den Arm zu nehmen, weil das vermutlich schon ewig keiner mehr getan hatte. "Ehrlich gesagt weiß ich nicht so recht, was ich dazu sagen soll, weil mir wirklich die Worte fehlen, aber... ich bin stolz auf dich, Richard. Und auch, wenn ich grade ein bisschen überfordert mit Alledem bin", was man mir in meinen Augen kein bisschen verdenken konnte, "will ich, dass du weißt, dass du auch weiterhin mit mir reden kannst. Dann musst du mir zwar wahrscheinlich danach jedes Mal mindestens 24 Stunden geben, um's zu verarbeiten", sarkastisch angehauchte Worte, "aber ich hör dir trotzdem zu, okay? Egal was es ist.", kam ich mit meiner kleinen Ansprache zum Ende. Es war mir einfach wichtig, dass der Dunkelhaarige wusste, dass er mich damit jetzt nicht verschreckt hatte, obwohl es vielleicht den Anschein weckte, weil ich noch ziemlich perplex aussah und auch klang. Die Hand an der Schulter reichte also hoffentlich aus, um zu symbolisieren, dass er gerade trotz meiner persönlichen Überforderung das Richtige getan hatte und ich ihn wegen der Horrorgeschichte jetzt nicht meiden würde. Viel mehr erklärte mir das jetzt im Nachhinein, warum er... naja, so war, wie er momentan eben war. Die Drogen danach waren sicher nicht hilfreich gewesen, aber ich selbst hätte mir wohl auch mindestens den Schädel zugedröhnt, wäre ich an seiner Stelle gewesen. Womöglich hätte ich mir eher die Adern an den Handgelenken aufgeschlitzt, als mir nur eine Nadel zu setzen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Es war irgendwie seltsam, dass die darauffolgende Stille mir eher das Wasser in die Augen trieb, als die Vorkommnisse im Hotel noch einmal Revue passieren zu lassen. Zwar fehlte noch eine ganze Ecke, bis die Tränen tatsächlich rollen würden, aber man wollte trotzdem meinen, dass das, was einem widerfahren war, eher an die Substanz ging, als ein nicht antwortender Gesprächspartner. Und doch war genau das Gegenteil hier gerade der Fall. Jetzt, wo ich über all die Schandtaten - oder zumindest über jene, die körperlich, wie seelisch tiefe Wunden hinterlassen hatten - geredet hatte, schienen sie auf einmal so weit weg. Lösten sich für einen winzigen Augenblick lang einfach in Luft auf, während ich auf einen gut gemeinten Rat oder ein Das wird schon wieder wartete. Letzteres war, trotz dass es sich um eine sich selten bewahrheitende Floskel handelte, schon vollkommen ausreichend, um mich nicht Rotz und Wasser heulen zu lassen. Ich brauchte einfach irgendetwas, das mehr war, als diese drückende Stille, die den Raum für die nächsten anderthalb Minuten dominierte, aber außer ein verzweifelter Ansatz des Italieners kam da nichts. Ich kämpfte gerade mit den letzten Reserven dagegen an, mir jetzt vor Samuele nicht auch noch die Blöße zu geben und das Weinen anzufangen, wo er wider seiner Aussage doch noch nicht wirklich bereit dazu war, meinen Leidensweg gemeinsam mit mir zu gehen. Es fehlte nur noch der Bruchteil einer Sekunde und die Tränen wären gekullert - denn wer konnte mir bitte sonst helfen, wenn nicht der überaus geduldige, einfühlsame Italiener? -, als plötzlich Sammys Stimme an mein Ohr drang und ich parallel dazu seine Hand auf meiner Schulter spürte. Noch bevor ich anderweitig darauf reagieren konnten, atmete ich hörbar erleichtert aus und drehte zum ersten Mal, seitdem ich die Gräueltaten aufgezählt hatte, meinen Kopf in seine Richtung, sah ihn kurzzeitig direkt an. "Danke...", murmelte ich weiterhin recht leise vor mich hin und rang mir ein halbherziges Lächeln ab. Zwar war Cosma momentan die Letzte, mit der ich mich verabreden wollen würde, weil mir schlicht und ergreifend die Kraft für ihren anstrengenden Charakter fehlte, aber ich wusste Sammys Geste durchaus zu schätzen. Allgemein könnte ein wenig soziale Interaktion mir eigentlich nur gut tun, oder? Eventuell würde ich also noch einmal auf das Angebot zurück kommen, sobald ich mich dazu bereit fühlte, mich wieder mehr mit anderen Menschen zu unterhalten. Allerdings war es mir jetzt erst einmal wichtiger, dass das Kapitel mit Agnolo sein Ende fand. Vergessen, was er mir angetan hatte, würde ich wohl nicht können, aber ich wollte auch nicht immer wieder nahe eines Nervenzusammenbruchs stehen, wenn ich an die Zeit im Hotel zurück dachte. Und vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis, dass darüber reden gar nicht mal so schlimm war, wie ich mir das gedacht hatte, erleichtere es mich nur noch mehr, dass Sam noch einmal das Wort ergriffen und mich nicht im Regen stehen gelassen hatte. Zwar hatte er keinen gut gemeinten Rat für mich übrig und sagte ansonsten auch nicht viel, was mir bei der Verarbeitung des Ganzen helfen könnte, aber dass er sich nicht von mir abwandte und sich weiterhin als meine erste Anlaufstelle anbot, war in meinen Augen schon Gold wert. Jetzt, wo er voraussichtlich ohnehin erst einmal ein paar Tage Zuhause bleiben würde, könnte ich auch auf dieses Angebot schon sehr bald zurück greifen. "Du... musst auch gar nichts dazu sagen.", nahm ich Samuele mit wenigen Worten die Sorge, dass er mir durch das bisschen Zuwendung gerade kein Stück weiter half, denn das tat er in jedem Fall. Ich fühlte mich schon ein kleines bisschen besser, auch wenn ich gerade vielleicht nicht so aussehen mochte. Aber es erwartete sicherlich auch niemand, dass ich freudestrahlend und durch die Wohnung tanzend davon erzählte, wie man mich gefoltert und vergewaltigt hatte. "Irgendwie... hat es schon geholfen, das Ganze einfach mal auszusprechen.", ergänzte ich die Aussage noch mit einem schwachen Schulterzucken und ließ Sammy dadurch an meinem Gedankenspiel von gerade eben teilhaben. Auch wenn das Gespräch momentan besser verlief, als ich mir das vorgestellt hatte, fehlte mir weiterhin der Mut, den jungen Mann neben mir für längere Zeit anzusehen. Vermutlich schämte ich mich einfach zu sehr und das, obwohl es dafür absolut keinen triften Grund gab. Schließlich war es ja nicht so, als hätte ich mich Agnolo angebiedert und es darauf angelegt, über den weitaus intimeren Weg an Informationen zu kommen und gelaufen war vor dem Hotel ja auch nichts zwischen uns. Demnach wollte mir nicht ganz einleuchten, warum mein Unterbewusstsein mir irgendeinen Quatsch in diese Richtung eintrichtern wollte und hoffte stillschweigend darauf, dass das bald ein Ende hatte. Mein Hirn endlich einsah, dass ich ein Opfer war, der nur bedingt etwas für den Ausgang der Geschichte konnte und sich nun einfach damit abfand, was geschehen war. Solange hier niemand eine Zeitmaschine im Keller bunkerte, die mich ein paar Monate zurück versetzte, damit ich mich aus dem ganzen Mist rund um Sabin und Hunter einfach raushalten konnte, musste ich einfach akzeptieren, dass da gehörig etwas schiefgegangen war und ich es jetzt auch nicht mehr ändern konnte. Selbst wenn ich das sehr gerne getan hätte. "Aber bitte... das... das muss unter uns bleiben. Also... alles. Es weiß niemand irgendwas.", wurde ich nach einem Moment noch eine Bitte an den jungen Mann neben mir los, bei der ich ihn auch kurzzeitig wieder direkt ansah. Nur, weil es mir damit jetzt besser ging, irgendwem davon erzählt zu haben, wollte ich es trotzdem nicht in die Welt hinaus schreien, als wäre es mir vollkommen egal. Es gab da eine oder zwei sehr sensible Informationen, die ich gerne noch für mich behalten wollen würde und in meinen Augen wäre es absolut nicht fair, wenn Sam es mir vorweg nehmen würde, Sabin, Hunter oder wen auch immer über all das in Kenntnis zu setzen. Ich wüsste zwar nicht, was ich tun würde, wenn er es doch tat, aber ich appellierte jetzt einfach mal an seine Vernunft und seinen gesunden Menschenverstand. Ich hatte ihm schließlich etwas im Vertrauen erzählt. Falls er wirklich weiterhin für mich da sein und mir zuhören wollte, sollte er es sich also besser nicht bei mir verscherzen. Andernfalls würde ich all den Frust und die Sorge weiterhin in mich reinfressen, wie ich das jetzt in den letzten Monaten bereits getan hatte. Wohin das führte, sah man ja ganz offensichtlich und vermutlich würde Sabin ihm den Kopf abreißen, wenn er heraus fand, dass Sammy mich gleich ins nächste tiefe Loch gestürzt hatte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich war froh darüber, dass Richard es mir scheinbar nicht übel nahm, dass ich nicht so recht wusste, was ich dazu jetzt sagen sollte. Natürlich hätte ich sowas abgedroschenes wie 'Kopf hoch, das Leben geht weiter' sagen können, aber das erschien mir nicht wirklich förderlich oder effektiv. Dass es irgendwie weiterging, wenn man sich nicht selbst den Gnadenschuss verpasste, weil man sich nun mal nicht einfach in Luft auflöste, nur weil man das gern wollte, war schließlich nur logisch und es ging aktuell ja auch nicht gerade gut weiter. Davon glücklich zu sein war der junge Mann neben mir offensichtlich noch weit entfernt und es würde auch sicher noch eine Weile dauern, bis er wieder ganz auf dem Damm war. Aber er hatte gerade eben zumindest schon einen guten Grundstein dafür gelegt langsam mal wieder nach vorne zu blicken und nicht mehr alles nur schwarz zu sehen. Trotzdem war es in meinen Augen gerade einfach besser nicht zu viel zu sagen, weil die potenzielle Gefahr etwas Falsches zu sagen dadurch eindeutig stieg und ich das um jeden Preis vermeiden wollte. Allein über all die schlimmen Vorkomnisse geredet zu haben schien dem Dunkelhaarigen aber laut eigener Aussage bereits gut getan zu haben und das freute mich. Für ihn mehr als für mich, weil mich der Mist jetzt sicher bis ins Bett verfolgte, aber das war okay so. Ich konnte ja nicht arbeiten, also brauchte ich tendenziell bestimmt weniger Schlaf als sonst. Zumindest redete ich mir die Umstände damit gerade schön. "Das ist doch schon mal was Gutes, woran du mit der Zeit weiter anknüpfen kannst.", äußerte ich mich noch mit einem schwachen Lächeln dazu, dass ihm allein die Aussprache schon geholfen hatte. Kurz danach ließ ich die Hand dann langsam wieder sinken, weil sie ihren Zweck ausreichend erfüllt zu haben schien. Außerdem dankte mir das auch der nach wie vor leicht pochende, sicher leicht anschwellende Ellbogen, der ganz und gar nicht begeistert von der Bewegung war. Richard hatte kurz darauf auch noch eine Bitte an mich, die ich ihm ohne darüber nachdenken zu müssen erfüllen würde. Allein schon deshalb, weil ich ganz und gar nicht der Typ Mensch dafür war Dinge in die Welt hinauszuposaunen, die sehr offensichtlich nicht für die Allgemeinheit bestimmt waren und demnach als Geheimnis deklariert werden konnten. Es mochte seinem Umfeld zwar bekannt sein, dass er einiges durchgemacht hatte, während er in dem Hotel festgesessen hatte, aber sie hatten dazu bisher noch keine Details. Die brauchten sie auch gar nicht zu erfahren, wenn dem Engländer nicht wohl dabei war. Außerdem unterhielt ich mich bisher ja mit keinem aus dieser Sippschaft besonders gern und ich wüsste nicht, warum ich bitte auf den Gedanken kommen sollte so einen kranken Mist einem meiner durchweg normalen Freunde zu erzählen. Wozu auch? Damit sie mich für wahnsinnig hielten, weil ich seit kurzem einen Verbrecher bei mir hausen ließ? Bitte nicht. "Ich werd's Niemandem sagen, Richard. Ich schweig' wie ein Grab, versprochen.", konnte ich ihm also besten Gewissens mit ruhiger, ehrlicher Stimmlage und dem selben Lächeln wie zuvor versichern, dass er in dieser Richtung nichts zu befürchten hatte. Apropos unter uns bleiben... "Aber ich muss Sabin trotzdem heute noch anrufen. Keine Sorge, ich werd' ihm nichts davon sagen, dass du mir mit der Unordnung auf den Keks gehst... oder von dem Gespräch hier. Aber wenn ich nicht auf die Arbeit gehen oder mich nicht mit ihm treffen kann, sollte ich ihm das lieber gleich sagen, bevor er deswegen noch sauer wird. Ich brauch nur noch ein glaubwürdiges Konzept dafür, den Sturz als Unfall hinzustellen.", seufzte ich leise. Ich kam eben einfach nicht um diesen Anruf herum, daran ließ sich nichts machen und meinen Chef informieren musste ich auch noch. Letzteres war aber deutlich einfacher, weil es ihn nicht interessierte, was für einen Sturz ich genau hingelegt hatte, was bei Sabin anders war. Der Italiener war nämlich leider ganz und gar nicht als Kind auf den Kopf gefallen und das hieß, dass er vermutlich sehr ausgiebig nachstochern würde, wenn ihm etwas komisch erschien. War nämlich in jedem Fall ein sehr großer Zufall, dass wir beide hingefallen waren. Für einen alleinigen Sturz waren meine Verletzungen leider eher zu stark, käme also auch nicht gut. Das würde zwar die angeknacksten Bänder im Knöchel erklären und auch den einen oder anderen blauen Fleck, aber spätestens morgen würden die Blutergüsse heftiger als bei einem 0815-Sturz ausfallen. Wenn Sabin da aus Argwohn - die man ihm nicht verdenken konnte - nachsah, wollte ich nicht mit einer schlecht durchdachten Lüge auffliegen und noch einen Schlag oder Ähnliches obendrauf kassieren. Was Schmerzen anbelangte war ich bereits vollkommen ausreichend bedient, auch wenn das Schmerzmittel jene langsam einzudämmen begann.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Da mochte er wohl Recht haben. Nach dem Gespräch sah ich jetzt tatsächlich ein kleines, weit entferntes Licht am Ende des Tunnels, das Hoffnung auf eine ansatzweise lebenswerte Zukunft schürte. Der Weg bis an dieses Ziel würde zwar noch ein ziemlich steiniger sein und sicherlich auch noch etwas mehr als eine halbe brauchen, aber der Versuch war es zumindest wert. Ich war gerade in der Anfangszeit des Entzuges immer öfter dazu verleitet gewesen, einfach aufzugeben und mir mit einer Kugel, einem Seil oder einem einzigen, passabel gesetzten Schnitt das Leben zu nehmen, aber mittlerweile war ich ganz froh, es nicht getan zu haben. Den Ballast mit sich herum zu schleppen war zwar weiterhin eine echte Herausforderung und verlangte mir von Tag zu Tag aufs Neue eine Menge Energie ab, aber seitdem ich jetzt schon eine ganze Zeit lang clean und mir deshalb bewusst geworden war, dass Sabin und auch der Rest der versammelten Mannschaft - Hunter mal außen vor gelassen - mir eigentlich wirklich nichts Böses wollten, kam zumindest ein Stück weit der Wille, mich aus dem Loch zu kämpfen, zurück. An der Umsetzung haperte es wie gesagt noch, aber vielleicht war es in dem Punkt gar nicht mal so verkehrt, dass Samuele in den kommenden Tagen mit seinen Verletzungen daheim bleiben würde. Schlicht und ergreifend deshalb, weil er vermutlich auf meine Hilfe angewiesen sein würde und so, wie ich mich kannte, brachte ich es ja doch nicht übers Herz, ihm einen Wunsch auszuschlagen, wenn er mich darum bat. Er tat mir einfach unglaublich leid und das schlechte Gewissen - weil sein Leiden ja irgendwie meine Schuld war - dahingehend würde meinem inneren Schweinehund schon ordentlich in den Arsch treten. Es wäre zwar eine unkonventionelle Art, mein Leben wieder in geregelte Bahnen zu bekommen, aber sofern es half, würde ich einfach versuchen, etwas Gute in dem Sturz heute zu sehen. Ich vermutete ganz stark, dass Sam nicht der gleichen Auffassung sein würde, aber das war ihm meiner Meinung nach auch nicht zu verdenken. Schließlich wusste er genau so gut wie ich, dass die kommenden Tage nicht schön werden würden, was die Schmerzen anbelangte. Ich hatte irgendwie das Gefühl, als entwickele sich erst innerhalb der nächsten drei Tage nach einer Verletzung der eigentliche Grad an Schmerzen, der dann für eine Weile auch erst einmal gleich blieb. Lag vermutlich einfach daran, dass das ausgeschüttete Adrenalin aktuell noch sein bestes tat, die Sinne des Italieners zu benebeln. Kam er dann erst einmal gänzlich zur Ruhe und das Hormon verabschiedete sich in der überdosierten Form aus seiner Blutbahn, bedurfte es aller Wahrscheinlichkeit nach mehr, als nur diese frei verkäuflichen Ibus in ihrer schwächsten Ausprägung. Aber wir würden das ganz bestimmt geschaukelt kriegen, oder? Er würde schon wieder vollständig genesen und ich meinen Teil dazu beitragen, ganz sicher. Jedenfalls war ich mit den Gedanken jetzt ganz schön abgeschweift und hatte dadurch wieder eine Weile lang geschwiegen. "Dein Wort in Gottes Ohr.", antwortete ich also verspätet mit einer bekannten Floskel, wenn es darum ging, jemanden möglichst indirekt zuzustimmen. Zwar hätte ich jetzt auch kein Problem damit gehabt, es mit einem Ja, da hast du Recht auf den Punkt zu bringen, aber... na ja, ich war wohl einfach immer noch ein bisschen durch den Wind dachte nicht darüber nach, bevor ich etwas sagte. Schlimm war das meiner Meinung allerdings nicht. Schließlich hatte ich ihn bis hierhin noch nicht ein einziges Mal beleidigt gab trotzdem halbwegs brauchbare Antworten, auch wenn sie relativ kurz gehalten waren. Was dann unser kleines Geheimnis anging, schien Samuele ohne weiteres damit einverstanden zu sein, die Sache für sich zu behalten. Das wiederum ließ mich erneut erleichtert ausatmen, weil ich ganz genau wusste, dass Fragen gestellt werden würden, wenn Sabin oder Cosma von den Details aus dem Hotel Wind bekamen und so fit fühlte ich mich psychisch nun echt nicht, dass ich diese mal eben einfach so beantworten konnte. Aktuell in der jetzigen Situation würde ich es wohl verkraften, hatte ich mich mental ja auch schon darauf eingestellt, Sam ein paar Fragen zu beantworten, aber so einfach ginge das dann nicht mehr, wenn der heutige Tag erst einmal ins Land gezogen war. Demnach war ich also ganz froh, dass er dieses Gespräch laut eigener Aussage in Niemandes Gegenwart erwähnen würde, nickte daraufhin auch entsprechend dankbar, als ich mich ihm wieder zugewandt hatte und den Blick dieses Mal sogar eine ganze Ecke länger auf ihn gerichtet ließ. Alles in allem machte ich wohl immer noch einen zerstreuten Eindruck, aber es wurde langsam wieder besser. Ich konnte sogar wieder ein schwaches Lächeln aufsetzen, ohne dass dieses innerhalb von Sekunden wieder zerbrach. Oder... na ja, hätte ich vielleicht, wenn Sammy nicht mit seiner letzten Aussage um die Ecke gekommen wäre. Ich konnte natürlich nachvollziehen, dass er den Boss darüber in Kenntnis setzen musste, für die nächsten paar Tage erst einmal auszufallen - Sabin würde sich sicher tierisch freuen, lief der Mist mit dem Export doch gerade erst an -, aber Wohl war mir bei der Sache auch nicht wirklich. Ich wollte nicht in Frage stellen, dass Sam sich tatsächlich damit zurückhalten würde, Sabin von unserem Streit zu erzählen, aber mir war auch klar, dass sich ein so schwerer Sturz nur schwer erklären ließ. Deshalb folgte auf das erleichterte Ausatmen bald schon ein nachdenklich Seufzen. "Schwierig...", stimmte ich ihm mit nur einem Wort zu, dass die Findung einer plausiblen Erklärung gar nicht so einfach werden würde. Dabei ließ ich meinen Blick zum ersten Mal, seitdem wir gefallen waren, über den Boden im Flur gleiten. Konnte jetzt auch endlich den Übeltäter ausmachen, der unweit von uns sein Dasein unter der Garderobe fristete. So ad hoc wollte mir aber auch partout nichts einfallen, was irgendwie glaubwürdig klang. Ich hatte Gott sei dank nicht so viel abbekommen, sodass Sam auch rein theoretisch alleine gestürzt sein konnte, weil ich in meinen Bewegungen definitiv nicht derart eingeschränkt war, aber auch für einen alleinigen Abgang fiel mir spontan nichts ein. Natürlich wäre die Wahrheit die idealste und vor allem auch am einfachsten zu verkaufende Geschichte gewesen, weil sie nun mal genau so passiert war, wie man sie Sabin verkauft hätte, aber ich sah schon jetzt das Unheil kommen, wenn ich plötzlich Schuld an der Arbeitsunfähigkeit des Italieners war. "Ich bin mir sicher, dir wird schon etwas Passendes einfallen. Ich spiele auch gerne den Sündenbock, solange aus deiner Geschichte nicht hervorgeht, dass ich absichtlich auf dich losgegangen bin.", bot ich meinem Sitznachbarn mit einem leichten Schulterzucken an, die Schuld auf mich zu nehmen, solange es sich bei seiner ausgedachten Geschichte um einen Unfall handeln würde. Dann konnte Sabin mir immerhin nicht vorwerfen, ich hätte ihn absichtlich verletzt und wir durften unser beider Schädel voraussichtlich behalten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #