Ich war mir ursprünglich mal sehr sicher damit gewesen, dass ich immer froh darüber sein würde, wenn Iljah einfach einen großen Bogen um mich machte. Er mir bloß nie zu nahe kam, damit er außerhalb des inakzeptablen, unsichtbaren Rahmens blieb. Es schien jedoch so, als würde mir das Schicksal heute Mal wieder ein Schnippchen schlagen und mich eines besseren belehren wollen. Denn es war jener Dunkelhaarige, der mir letztlich zur Hilfe kam und mich mit einem ordentlichen Ruck an Kirills Kragen von der lästigen Pestbeule von Kerl befreite. Ich atmete erleichtert aus und ließ die Hände automatisch sinken, als der Gegendruck des Oberkörpers des jungen Mannes sich in Luft - na ja, zumindest fast - auflöste. Zu sagen mir würde ein Stein vom Herzen fallen wäre vielleicht ein bisschen übertrieben, weil ich innerlich trotz der jetzt scheinbar gebannten Gefahr noch immer komplett aufgewühlt war, aber ich konnte durchatmen. Zumindest einen kurzen Moment lang, bis Iljah mich unmissverständlich dazu anwies den Rückzug ins Auto anzutreten. Das musste mir der Tätowierte ganz bestimmt nicht zwei mal sagen und so nickte ich mehr nur für mich selbst - er stand ja ohnehin mit dem Rücken zu mir und konnte es demnach nicht sehen -, als ich mit einer verhältnismäßig schnellen, aber leicht zittrigen Bewegung nach der Tüte mit dem Essen griff und mich dann auch schon mit unsicheren Schritten von den beiden Männern distanzierte. Ziemlich wirr und vom Alkohol zusätzlich irritiert zur Beifahrertür taumelte, während ich Iljahs Worte noch im Hintergrund hörte. Er griff zum ersten Mal in meiner Anwesenheit zu einem wirklich mehr als nur forschen Tonfall, der keinerlei Widerrede duldete und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Natürlich, als Macht besitzender Mann brauchte er einen genau solchen Ton für Leute, die es anders nicht verstanden und er galt ja auch gar nicht mir, sondern lediglich dem Ekelpaket von Kerl, aber er strahlte damit einfach etwas schrecklich bedrohliches aus. Deshalb verkroch ich mich gleich doppelt gern zurück auf den Beifahrersitz und zog die Tür so schnell hinter mir zu, wie das eben in meinem Zustand gerade möglich war. Die Koordination war wirklich nicht mehr die Beste und so schloss ich einen Moment lang mit dem Essen auf dem Schoß die Augen, als die Tür zurück in den Rahmen gefallen war, weil mir durch die zügigen Bewegungen schwindlig geworden war. Ich atmete ein weiteres Mal tief durch, weil ich merkte, wie die aufkommende Erinnerungen an all die unschönen Dinge, die ich in der Villa der Sorokins vonstatten gegangen waren, mir einen Kloß im Hals anschwellen ließen. Einen von der Sorte, der einem parallel noch gerne das Tränenwasser in die Augen treiben wollte. Ich war eigentlich gar nicht besonders nah am Wasser gebaut, aber auch hier leistete das Nervengift in meinen Adern ganze Arbeit. Alkohol ließ mich ebenso gern gefühlsmäßig komplett abstürzen, wie er mich lachen ließ. Die 50/50 Chance war gerade von Kirill in die falsche Richtung gekippt worden und ich dachte unweigerlich daran zurück, wie ich mit ihm hatte schlafen müssen. Er war die Sorte Mann, die einer Frau gerne bewusst wehtat und sie dabei auch noch beleidigte, nur um das eigene, nicht vorhandene Selbstwertgefühl zu pushen. Sich derart an Jemandem zu vergehen, der sich nicht wehren konnte, machte ihn in meinen Augen unweigerlich zu blankem, minderwertigem Abschaum. Ich war wirklich kein großer Freund von Gewalt, aber er verdiente ausnahmslos Alles, was Iljah ihm im Begriff anzutun war. Von mir aus konnte er auf dem blöden Kopfsteinpflaster komplett ausbluten - solange ich es nicht sehen musste, zu viel Blut ließ mir ja doch immer noch schlecht werden -, ich rief ihm den Krankenwagen ganz bestimmt nicht. Außerdem hatte ich eher keine Strafe dafür zu fürchten, dass ich Iljah von absolut nichts abhalten würde. Vielleicht wären die Sorokins vom Ableben oder auch nur Schlägen in Richtung Kirills nicht besonders begeistert, aber wenn es dafür den Eindruck erweckte, dass ich dem Feind näher war als vorher, ging das ziemlich sicher in Ordnung. Ich wusste bis jetzt nicht, warum sie den Schwarzhaarigen eigentlich so hassten, aber ihnen schien fast jedes Mittel dafür recht zu sein ihn irgendwann aus dem Weg schaffen zu können. Ich öffnete die Augen erst nach einigen Sekunden wieder, versuchte aber weiterhin die Tränen einfach wegzublinzeln, während ich das Essen vorerst im Fußraum abstellte, weil es auf den Oberschenkeln zu heiß wurde. Aber das Adrenalin rauschte mir noch immer förmlich durch die zittrigen Finger, als ich mich erneut zurücklehnte und durch den leichten Tränenschleier hinweg durch die Frontscheibe zu den beiden Männern sah. Ich hob die Hände an den normalerweise umgeklappten Kragen meines Mantels, um ihn stattdessen aufzuklappen und ihn mir zur Hälfte übers Gesicht zu ziehen. Hauptsächlich einfach nur, um mich so weit wie möglich dahinter zu verkriechen im verzweifelten Versuch mich dadurch irgendwie sicherer zu fühlen, aber auch, um mir damit eine einzelne Träne von der linken Wange zu wischen, die sich partout nicht hatte zurückhalten lassen. Dass der Mantel schwarz war kam mir da auf jeden Fall zu Gute, weil ich ihn dann wegen der einen mit Mascara verseuchten Träne zumindest nicht waschen musste.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Es war irgendwie ironisch, dass gerade ich einem anderen Mann die Frage stellte, wie er eine Frau so respektlos behandeln konnte, obwohl ich in der Regel selbst keinen Deut besser war. Es auch nicht immer besonders ernst nahm, ob die Frauen nun damit einverstanden waren, dass ich sie anfasste und mit nach Hause nehmen wollte oder eben nicht, aber heute hatte ich einen meiner guten Tage. An dem ich für die Rechte des evolutionstechnisch eher zurückgebliebenen Geschlechts einstand, weil hier jemand anderes mit einem Schwanz - wobei ich das Vorhandensein eines solchen bei dem Kerl hier stark anzweifelte - ganz offensichtlich der Meinung war, sich an einer wehrlosen, dazu noch betrunkenen jungen Frau vergreifen zu können, ohne die Konsequenzen für sein Handeln tragen zu müssen. Ich wiederholte gerne noch ein weiteres Mal, dass ich vielleicht selbst nicht unbedingt der Typ Mann war, den sich jede Frau als ihren Freund oder Ehemann wünschte, aber ich hatte meine Prinzipien und schon alleine für den Versuch, Hand an Mädchen oder junge Frauen zu legen, die zu tief ins Glas geschaut hatten, hatte der Kerl sich meiner Meinung nach eine ordentliche Schelle mehr als verdient. Es schien ohnehin nur wenig Sinn zu machen, mich mit ihm unterhalten zu wollen, war alles, was er zu sagen hatte nur, was für eine billige Hure Irina doch sei und wie viel er ganz allgemein von der Frauenwelt hielt. Nämlich augenscheinlich nicht besonders viel. Das wunderte mich wiederum kein bisschen, wenn er sich auf Dates genau so aufdringlich und ekelhaft aufführte, wie das gerade eben der Fall gewesen war. Dass und woher die beiden sich kannten, konnte ich ja nun wirklich nicht riechen und selbst wenn ich es gewusst hätte, war ich mir nicht sicher, ob mich das nennenswert interessiert hätte. Fakt war einfach, dass man die Finger von Menschen, unabhängig des Geschlechts, ließ, wenn diese nicht zurechnungsfähig waren und von solchen, die sich nüchtern schon kaum wehren konnten, erst recht. Es folgten noch ein paar unschöne Beleidigungen, die sich in erster Linie an die Schwarzhaarige richteten, die meiner Aufforderung ohne Widerworte nachgekommen war und sich somit inzwischen im Inneren des Autos befand, bis ich der Meinung war, dass ich genug Zeit an diesen Idioten vergeudet hatte. Viel mehr qualitativ Brauchbares zu seiner Verteidigung hatte er nämlich nicht zu sagen und so beschloss ich, dem Ganzen einfach ein abruptes Ende zu setzen, indem ich ihm kurzerhand meine Faust ins Gesicht donnerte. Kirill war gerade im Begriff gewesen, noch einmal zum Reden anzusetzen, um vermutlich in einem letzten verzweifelten Versuch seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, aber das hatte sich nach dem Schlag - der nach jahrelangem Kickboxen sicher nicht ohne gewesen sein dürfte - dann auch erledigt. Der Russe Mitte zwanzig stolperte daraufhin unkoordiniert ein paar Schritte nach hinten, konnte das Gleichgewicht aber nicht mehr halten und krachte deshalb ungebremst mit dem Rücken in eine Pfütze auf dem teils schiefen Kopfsteinpflaster. In der Hoffnung, dass sein Schädel bei dem Sturz ungünstig aufgeschlagen war und er zusätzlich zu der vermutlich gebrochenen Nase, dem schmerzenden Kiefer und den blauen Flecken, auch noch mit einer Gehirnerschütterung leben musste, von der man gewöhnlicherweise ein paar Tage etwas hatte, kniete ich mich zu ihm runter, packte ihn jetzt am vorderen Kragen der Jacke. Entweder er war wirklich ein Lappen und hatte sich zuvor noch nie geprügelt oder er war derart benebelt, dass er kaum mehr dazu imstande war, nach einer solchen Faust noch aufzustehen. Egal, woran genau es jetzt lag, dass er wie ein Volltrottel in der Pfütze lag und sich kaum mehr rührte, meinetwegen konnte er in dem flachen Wasser gerne absaufen. Außerdem konnte er wohl von Glück reden, dass ich auch bei einer handfesten Auseinandersetzung meine Prinzipien hatte und nicht weiterhin auch jemand eindreschen würde, der bereits wehrlos am Boden lag. Auch wenn ich mir das in Folge seiner Aussage á la "Du und die Hure werdet schon noch sehen, was ihr davon habt.", die er mir mitsamt eines Pfropfen Bluts vor die Füße spuckte, glatt noch mal überlegt hätte. Aber mir war das Wohlergeben der jungen Frau gerade deutlich wichtiger, weshalb ich von diesem Taugenichts, der vermutlich nicht damit gerechnet hatte, bei seiner ekligen Anmache einer Frau gegenüber in die Schranken gewesen zu werden, abließ und den inzwischen leicht angehobenen Oberkörper mit möglichst viel Schwung wieder auf den Boden schleuderte. "Mir schlottern schon die Knie. Du tätest dir gut daran, wenn du das nächste Mal jemanden mitbringst, der auch austeilen kann. Ein zweites Mal ziehe ich die Samthandschuhe für dich nicht an.", knurrte ich noch zu ihm runter, ehe ich mich letztlich aufrichtete und ungeachtet der sich im Dreck wälzenden und vor sich hin fluchenden Pfeife auf dem Absatz Kehrt machte, um die Beifahrerseite meines Wagens anzusteuern. Auf dem Weg dorthin massierte ich mir die nach dem Schlag unangenehm pochende Hand. Jedoch nur so lange, wie ich bis zu dem Wagen brauchte, weil ich dort angekommen dann auch schon die Tür aufzog. "Hey... alles gut?", fragte ich an die Schwarzhaarige gerichtet, die plötzlich gar nicht mehr so gut gelaunt und schlagfertig war, sondern eher ziemlich eingeschüchtert und mit den Nerven am Ende schien. Meine Stimme war ihr gegenüber mittlerweile ziemlich neutral, fast schon ein wenig besorgt, während ich mich ein weiteres Mal in die Hocke begab, um sie besser ansehen zu können. "Hat er dir wehgetan?", ergänzte ich die vorangegangenen Frage noch um eine weitere, deren Antwort darauf darüber entschied, ob ich nicht eventuell doch noch mal umkehrte. Oder einfach ins Auto stieg und aufs Gas latschte. Zeugen gab es hier nämlich aktuell kaum welche. Zur Not konnte man ihn auch einfach einsacken und woanders kalt machen. Möglichkeiten gab es da in jedem Fall einige.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Kirill gab sich Iljah gegenüber ganz genau so, wie er sonst auch immer war - große Klappe, im Ernstfall war aber nur wenig bis nichts eher dahinter. Der Typ Köter, der ständig bellte, aber nur in den seltensten Fällen mal zubiss und es wunderte mich dementsprechend auch kein bisschen, dass der junge Mann sich im Clan nie wirklich hochgearbeitet hatte. Ich war auch jetzt ganz froh, dass ich in dem Mercedes und nicht einer alten Schrottkiste saß, weil so zumindest ein bisschen weniger seines dummen Geredes bis zu mir durchdrang. Er musste mich nicht auch noch wörtlich an all das erinnern, was ich gerne irgendwann mal ganz hinter mir lassen würde, wo mein eigener Kopf doch wirklich vollkommen dazu ausreichte den ganzen Scheiß Revue passieren zu lassen. Nicht nur jetzt, sondern auch gerne hier und da im Schlaf. Ich verkroch mich also einfach weiter bis unter die Augen in dem Mantel, rutschte dabei wohl auch instinktiv noch etwas tiefer im Sitz und verfolgte lediglich mit den glasigen Augen das Schauspiel, bei dem der Kleinere von beiden irgendwann aus meinem Sichtfeld verschwand. Er tauchte nach dem gezielten Schlag des Tätowierten ziemlich zügig in Richtung Boden ab und ich war wirklich heilfroh darum, seine hässliche Visage nicht mehr länger sehen zu müssen. Iljah schien sich ihm aber auch nach dem Fausthieb noch einen Moment lang zu widmen, ging er doch ebenfalls auf Tauchstation und ich atmete noch ein weiteres Mal etwas tiefer durch. Fasste mir letztlich mit dem Zeigefinger nacheinander an beide meiner inneren Augenwinkel und versuchte so ein paar der Tränen möglichst unauffällig aus meinen Augen zu beseitigen, damit sie mir nicht doch noch die Wangen runterkullerten. Es reichte echt schon vollkommen aus, dass Iljah mich in diesem betrunkenen Zustand sah - das allein war mir morgen sicher schon peinlich genug -, da musste er mich hier nicht auch noch heulen sehen. Alles, aber bloß das nicht. Ich zog einmal ein bisschen die Nase hoch und kurz darauf richtete der Schwarzhaarige sich scheinbar auch wieder auf, weil sein Oberkörper zurück in mein Sichtfeld rückte. Aber nicht nur das - er steuerte bald darauf meine Seite des Wagens an, statt sich einfach nur hinters Steuer zu setzen. Er sah mich also vollumfänglich als das kleine Häufchen Elend auf dem Beifahrersitz kauern, sobald er die Tür aufzog, statt mir nur einen flüchtigen Blick vom Fahrersitz aus zuzuwerfen. Würde man mich fragen, was meine eigene Superkraft war, dann wohl mich selbst zu demütigen, indem ich mich in Situationen wie diese hier brachte. Ich hatte schon so unendlich viele Eskapaden mit Alkohol hinter mir, dass man eigentlich meinen sollte, dass ich irgendwann mal schlau daraus geworden wäre. War nur leider nicht so, wie man hier und heute wieder bestens sehen konnte und so mied ich Iljahs Blick zu Beginn ganz gekonnt, weil mir die Situation einfach so unfassbar unangenehm war, dass ich es nicht mal in Worte hätte fassen können. Ich war mir auch nicht ganz sicher, was ich auf seine erste Frage antworten sollte. Mir war nichts passiert, aus der rein körperlichen Sicht betrachtet fehlte mir also rein gar nichts außer das Essen zu meinen Füßen und ein paar Stunden Schlaf, damit ich wieder nüchtern wurde. Was all die Gedanken in meinem Kopf anging sah die Geschichte aber ganz anders aus, weshalb ich mir mit der Antwort so lange Zeit ließ, dass er gleich noch eine weitere Frage hinterherschob. Nein, weh getan hatte Kirill mir nicht. Der Griff am Kiefer war grob und unangenehm gewesen, aber von Schmerzen konnte da nicht die Rede sein. Da hatte ich bis zum heutigen Tag schon ganz Anderes erleben müssen. Ich schüttelte also relativ zeitnah den Kopf, was durch den immer noch weit bis ins Gesicht hochgezogenen Kragen des Mantels jedoch nicht besonders gut zur Geltung kam und so ließ ich jenen auch endlich los. Der Stoff sank automatisch in seine eigentlich angedachte Position zurück. "Heute nicht...", murmelte ich etwas undeutlich also noch eine wörtliche Antwort und suchte erst danach vorsichtig mit meinen Augen nach Iljahs. Ihn direkt anzusehen war nach wie vor unangenehm, aber ich war froh darüber parallel zu seiner wieder deutlich ruhigeren Stimmlage auch in seinem Gesicht sehen zu können, dass ich nicht die nächste war, die sich vor Handgreiflichkeiten fürchten musste. Was total bescheuert war, hätte er mich doch auch einfach Kirill überlassen können, wenn ihm der Sinn danach stünde mir zu schaden, aber Fakten und Tatsachen interessierten meine Paranoia eben nur selten. "Ich bin okay, nur... bring' mich hier weg, Iljah... bitte.", formulierte ich mit noch hörbar aufgewühlten, recht leisen Worten eine Bitte darum, dem roten Platz und damit auch der Made, die ein paar Meter von uns entfernt im Dreck lag, den Rücken zu kehren. Es war mir in diesem Moment auch wirklich egal, wohin er fuhr - Hauptsache nur Kirill leistete uns dort keine Gesellschaft. Essen konnte ich im Grunde wirklich überall und ich wollte gerade nichts mehr, als zumindest für heute endgültig meine Ruhe vor der Sorokin-Pest zu haben, die ganz besonders begabt darin war mir das Leben zur Hölle zu machen. In Vergangenheit, in der Gegenwart und sehr wahrscheinlich auch noch in Zukunft, wenn ich nicht wie durch ein Wunder plötzlich einen Weg dazu fand mit diesem durchweg hässlichen Kapitel meines Lebens abzuschließen. Aber für den Augenblick wäre ich schon zufrieden damit nur aus Kirills Reichweite zu verschwinden.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Irina sah wirklich nicht gut aus, was, wie ich sicher nicht erwähnen musste, weniger auf ihren schlanken Körper, das nahezu perfekte Gesicht und der langen schwarzen Haarpracht bezogen war, sondern viel mehr auf... na ja, ihre Körperhaltung eben. Sie saß da wie ein Häufchen Elend, versteckte sich hinter ihrem Mantel, als würde der sie im Ernstfall beschützen können und schien, wenn ich das Schimmern im schwachen Licht der Straßenlaterne richtig deutete, glasige Augen zu haben. Entweder sie hatte schon geweint oder war im Begriff, es noch zu tun, was mich leise seufzen ließ. Tja, so konnte ein netter Abend natürlich auch dem Ende entgegen gehen. Mit der ausgelassenen Stimmung wäre es jetzt ganz sicher hinüber, was nach der Aktion aber auch absolut verständlich war, wenn man mich fragte. Im Prinzip wurde Irina nämlich durch diesen Chaoten in ihrer Theorie, dass sie Arschlöcher chronisch anzuziehen schien nochmals bestätigt und dass die Laune nach einem solchen Schock im Keller war, ließ sich ihr wohl kaum übelnehmen. Was mich allerdings ein wenig wunderte war die Tatsache, dass sie beiden sich augenscheinlich bereits kannten. Jedenfalls glaubte ich nicht daran, dass die Dunkelhaarige diesem Typen gerade einfach so aus dem Nichts heraus ihren Namen verraten hatte und im Verlauf des Gesprächs waren außerdem auch so einige unschöne Beleidigungen gefallen, die sich doch sehr persönlich angehört hatten. Irina bestätigte meine Vermutung dann indirekt damit, dass sie mir mitteilte, durch den Kerl heute nicht verletzt worden zu sein, was implizierte, dass das durchaus schon vorgekommen war. Meine Schultern spannten sich bei dem Gedanken daran unweigerlich wieder ein bisschen an, doch ich ermahnte mich selbst zur Ruhe, solange ich noch neben der jungen Frau hockte. Sie hatte schätzungsweise ausreichend Aktion für die nächsten paar Tage gehabt, da musste ich nach der Sache jetzt nicht noch unnötig eins oben drauf setzen, indem ich aus der Laune heraus wieder einen Gang hochfuhr. Was die Bitte Irinas anging, nickte ich schließlich nur leicht mit dem Kopf, beobachtete währenddessen, wie sie langsam wieder aus ihrem Schneckenhaus kam und sich zu beruhigen schien. Zwar hätte ich mich jetzt gerne noch mit der Schwarzhaarigen nahe der Kathedrale niedergelassen, um das Essen zu essen, aber unter den gegebenen Umständen wäre es wohl sinniger, Irina einfach nach Hause zu fahren und sie in Ruhe zu lassen. Es sei denn, sie bestand darauf, dass ich noch so lange bei ihr blieb, bis ihre Mitbewohnerin wieder Zuhause war, aber zum jetzigen Zeitpunkt ging ich einfach mal nicht davon aus. Was Männer anging, schien sie für den heutigen Tag ausreichend bedient zu sein. Ich richtete mich also wieder auf, vergewisserte mich, dass sich weder ein Stück ihres Mantels, noch Körperteile selbst von der jungen in der Nähe der Tür befanden, um diese kurz darauf in ihren Rahmen fallen zu lassen. Dann umrundete ich den Wagen, wobei ein böser, durchdringender Blick dem Bastard galt, der aktuell aus dem Dreck zu kriechen versuchte, bevor ich mich schließlich wieder hinter dem Steuer des Mercedes fallen ließ. Ich zögerte auch nicht damit, den Motor anzulassen und den Wagen daraufhin vom Parkplatz des Restaurant wieder auf die Hauptstraße zu lenken. Ich schlug jetzt ungefragt einfach mal den Weg in Richtung Irinas Wohngemeinschaft ein. Wenn sie unterwegs einen Ort nannte, an dem sie jetzt lieber wäre, als Zuhause, ließe sich das schließlich immer noch einrichten. Es folgte ein Moment in der Stille, in dem ich das ganze Geschehen von eben noch einmal Revue passieren ließ. Ein Blick auf die noch immer leicht pochende, etwas angeschwollene Hand, mit der ich das Steuer hielt und einem kaum hörbaren Seufzer später, drehte ich meinen Kopf in Richtung Beifahrerseite, um die dort sitzende junge Frau kurzzeitig zu mustern. Dann kam ich noch einmal auf ihre Aussage zurück, die sie vor wenigen Augenblicken getätigt hatte. "Was meintest du mit... er hat dir heute nicht weh getan? Woher kennt ihr euch?", richtete ich mit ruhiger Stimme erneut gleich zwei Fragen an das aufgewühlte Etwas neben mir, das sich bei der Fahrt zumindest wieder ein kleines bisschen zu entspannen schien. Natürlich waren das alles wieder sehr persönliche Fragen und ich ging mit meiner Neugier vermutlich einen Schritt zu weit, aber man konnte es mir sicherlich nicht verdenken, dass ich mir Sorgen um Irina machte. Nicht unbedingt als ihr Freund, sondern eher als ihr Chef. Wenn die beiden sich kannten und der Typ ihr im schlimmsten Fall genau so nachstellte, wie ich das tat, wusste er sicher auch, wo sie arbeitete. Und ich konnte es definitiv nicht zulassen, dass einer meiner Angestellten etwas passierte, wenn die Möglichkeit bestand, mit brauchbaren Informationen präventiv gegen solche Typen vorzugehen. Schließlich patrouillierten auch im das Autohaus einige meiner Jungs, was mehr nur meiner eigenen Sicherheit galt, wenn ich zum Arbeiten dort war, aber auf entsprechende Anweisungen würde es auch dieser Vollpfosten von eben keine hundert Meter vor die Tür des Autohauses schaffen. Und wenn doch, dann war er entweder stark entstellt oder tot.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich war heilfroh darüber, dass Iljah zumindest erst einmal keine weiteren Worte an mich verlor, sondern sich stattdessen wieder aus der Hocke erhob. Ich folgte dem jungen Mann noch aufmerksam mit meinen Augen, bis die Tür neben mir wieder zurück in den Rahmen fiel und schob mich erst dann mit einem leisen Räuspern wieder ein klein wenig an dem Sitz nach oben, um danach die Finger nach dem Sicherheitsgurt auszustrecken und mich anzuschnallen. War gerade bei Iljahs Bleifuß sicher wieder angebracht und ich drehte den Kopf unweigerlich erneut in seine Richtung, als er sich unweit von mir zurück hinters Steuer fallen ließ. Ich ließ ihn auch in den folgenden Minuten, als es bis auf das Motorengeräusch und ab und an den Blinkern wieder vollkommen ruhig im Auto war, nur wenig aus den Augen. Womöglich einfach nur deshalb, weil ich in seinen Gesichtszügen zu erkennen versuchte, ob er jetzt sauer auf mich war. Immerhin hatte niemand geringeres als ich selbst diese dumme Auseinandersetzung mit Kirill zu verschulden und als mit den ins Land streichenden Sekunden meine Angst und der Tunnelblick langsam zu weichen begannen... ja, da tat mir das leid. Iljah war wegen ein paar gemeinsamen Stunden zwar nicht plötzlich sowas wie ein guter Freund, aber er hatte eigentlich so gar nichts mit meiner Vergangenheit zu dem Vollidioten zu tun. Musste augenscheinlich jetzt dennoch ein paar Schmerzen ausbaden, wenn man das in seine Blicke in Richtung Hand und die langsam anschwellenden Fingerknöchel selbst hineininterpretieren wollte. Die wenigsten Männer gestanden der Öffentlichkeit freiwillig ihre Schwäche ein, indem sie kundtaten, dass ihnen etwas weh tat - aber das mussten sie auch nicht, weil man Schmerz in der Regel ziemlich leicht aus Regungen im Gesicht lesen konnte. Es hatte zwar jeder Mensch ein anderes Schmerzgesicht, aber ein paar grundlegende Dinge waren da immer gleich. Iljah riss mich unweigerlich wieder aus diesen Gedanken, während ich noch auf die Hand am Steuer sah und ich löste meine Augen von jener, um stattdessen wieder in sein Gesicht zu sehen. Es strichen auch sicher noch an die zwanzig Sekunden ins Land, bis ich eine Antwort darauf mit mir selbst vereinbaren konnte. Ich musste mir schon wieder die Frage stellen, was ich ihm nun sagen wollte - und konnte - und was eben nicht. Zu lügen kam hingegen eher gar nicht in Frage, weil das betrunken sehr sicher absolut nicht hinhauen würde. Also musste entweder wieder nur die halbe Wahrheit oder gänzliches Schweigen her, weil ich ihm natürlich keinesfalls sagen konnte, dass ich bei den Sorokins gewohnt hatte. Das würde mehr als nur zu viele Fragen in seinem Kopf auftauchen lassen, die ich mir ganz und gar nicht leisten konnte. Mein Blick war unweigerlich auf die Mittelkonsole abgerutscht und ich drehte meinen Kopf zurück in seine Ausgangsposition. Fing an ein wenig mit den etwas längeren, dunkelrot lackierten Fingernägeln meiner beiden Daumen herumzuspielen, damit ich eine Ablenkung hatte. "Das mit... der Hure", ich konnte gar nicht sagen wie sehr ich dieses Wort verabscheute, weshalb ich es auch lediglich peinlich berührt vor mich hin murmelte, "hat er leider nicht nur so... dahingesagt.", gab ich Iljah einen relativ unverblümten Wink mit dem Zaunpfahl. Eigentlich waren damit gleich beide seiner Fragen beantwortet, aber irgendwie fühlte ich mit diesem einen Satz allein nicht wirklich wohl, weil er schrecklich viel Spielraum zur Interpretation ließ. Es wäre nun wirklich nicht in meinem Sinn, wenn der Tätowierte jetzt denken würde, ich hätte meinen Körper freiwillig verkauft, nur weil ich schnelles Geld sehen wollte oder dergleichen. Es war nicht so, als würde ich Prostituierte irgendwie verurteilen oder als weniger wertvolle Menschen betrachten - sonst wären Ksenia und Anastasia, die diese Scheiße zumindest an ein paar Tagen die Woche immer noch mitmachen mussten, kaum die mir am nähesten stehenden Menschen. Aber das war einfach nicht ich. Hätte ich gewusst, worauf ich mich mit meinen naiven, sehr von Alkohol geprägten 18 Jahren bei dem Gespräch mit dem jüngeren der beiden Brüder eingelassen hatte, dann hätte ich ihm sicher nicht für sein Hilfsangebot gedankt, sondern die Beine in die Hand genommen und wäre bis ans andere Ende des Landes geflüchtet. "Aber es ist nicht so als hätte ich mich freiwillig dafür entschieden... Kirill ist nicht Schuld daran, aber er war... einer von denen.", redete ich noch immer ein bisschen durch den Wind vor mich hin. Es war nun mal einfach ein wahnsinnig sensibles Thema und es fiel mir nie leicht, darüber zu reden - weder mit Freunden, noch mit einem fast Fremden, wo ich diesen Teil meines Lebens doch am liebsten einfach nur auslöschen wollte. Allein der Gedanke daran, was für Sorten von Mann mich schon angefasst hatten, ließ mir beinahe schlecht werden. Meine Haut hatte es auch wirklich nicht lustig gefunden, wie lang ich teilweise nach den Vergewaltigungen - zwar war nicht jeder Mann so grob wie der Kerl, der vorhin den Boden geküsst hatte, aber doch eindeutig zu viele - unter der Dusche gestanden hatte. Im verzweifelten Versuch, das noch immer anhaltende Gefühl von all den ekligen Männerhänden wegzuwaschen, hatte ich mir die Haut zeitweise förmlich weggeschrubbt. Dementsprechend wäre ich dem Tätowierten neben mir wohl auch unheimlich dankbar dafür, wenn er davon absehen würde in dieser Angelegenheit noch tiefer herumzustochern. Dass man bei meiner Wortwahl wieder zweierlei Dinge hineininterpretieren konnte merkte ich mit meinem nach wie vor etwas benebelten Hirn gar nicht. Schließlich konnte das ebenso heißen, dass er einen Draht zu meinen Zuhältern hatte, wie dass er zu meinen Freiern gehörte. Meinen tat ich natürlich letzteres, wahr war aber beides.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Selbst ein Blinder mit Krückstock hätte anhand Irinas Verhalten mit absoluter Sicherheit sagen können, dass ich mit meinen Fragen gerade in einer Wunde zu bohren begann, die bis dato noch nicht vollständig verheilt gewesen war. Das war in meinen Augen zumindest die so ziemlich einzige, plausible Erklärung dafür, warum Irina so aussah, als würde sie am liebsten durch den Beifahrersitz in ein tiefes Loch abtauchen wollen. Außerdem ließ sie sich bei der Beantwortung meiner Frage wieder verhältnismäßig lange Zeit, weshalb ich zwischenzeitlich wieder auf die Straße sah, um den Wagen nicht unbeabsichtigt gegen einen Baum zu setzen oder in ein parkendes Fahrzeug krachen zu lassen. Der Weg zur Wohnung der Serbin war nämlich leider deutlich kurviger und führte zumindest für einige hundert Meter über eine Hauptstraße, die selbst bei Nacht noch viel befahren war, demnach ein bisschen Aufmerksamkeit erforderte. Man konnte sich da nur schwer vorstellen, wie es am Tag war, wenn sich ein Großteil der Menschen auf dem Weg zur Arbeit befand oder am späten Nachmittag von jener zurückkehrte. Als die zierliche Schwarzhaarige dann schließlich zum Reden ansetzte, zog sie damit unweigerlich wieder meine Blicke auf sich und ich beobachtete Irina kurzzeitig dabei, wie sie mit ihren Fingern herumnestelte, während ich parallel zu ihren Erzählungen eine Augenbraue anhob. Für den Moment war ich wohl ziemlich baff und sagte erst einmal nichts, weil ich nicht so recht wusste, was ich davon halten sollte, dass sie laut eigener Aussage ihren Körper verkauft hatte. Grundlegend war das aber auch eigentlich gar nicht so wichtig, denn es stand mir ohnehin nicht frei, darüber zu urteilen, unabhängig davon, ob sie sich freiwillig dazu entschieden hatte oder das für sie entschieden worden war. Nichtsdestotrotz brauchte ich nun selbst einen Augenblick Zeit, um mich zu sortieren, fingen doch auch meine Gedanken gerade damit an, sich zu überschlagen. Ich hatte nun wirklich mit vielem gerechnet, aber definitiv nicht damit, dass die junge Frau hier neben mir Geld mit ihrem Körper verdient hatte. Auch an dieser Stelle wollte ich nur anmerken, dass ich mich keinesfalls negativ zum Aussehen der Schwarzhaarigen äußern wollte, nur war das für mich gerade einfach eine total surreale Vorstellung. Offensichtlich wurde sie dazu gezwungen, was die Frage warum sie das getan hatte, erübrigt und trotzdem gab es noch die ein oder andere Sache, die ich gerne gewusst hätte. Wer beispielsweise, wenn nicht der Schmierlappen von gerade eben, war denn sonst der Grund dafür gewesen, dass sie sich prostituiert hatte? Und wie lange war das gelaufen? Wann hatte sie damit aufgehört? Und die wohl mit Abstand wichtigste Frage: War das der Grund für ihre Angst Männern gegenüber? Wäre zumindest naheliegend, denn ich wollte mir gar nicht ausmalen, was es neben mir noch für kranke Kerle auf dieser Welt gab, die sich einen Spaß daraus machten, Frauen auf absolut ekelhafte Art und Weise zu erniedrigen und zu verletzen. Ich war jedoch nicht auf den Kopf gefallen und dass nach der relativ knappen Information bezüglich ihrer Vergangenheit nichts mehr kam, ließ ziemlich eindeutig darauf schließen, dass sie auch nicht weiter darüber reden wollte. Und das störte mich irgendwie... man verstehe mich nicht falsch, ich fand es toll, dass sie mir gegenüber so ehrlich war - ich glaubte kaum, dass man ein solch zerknirschtes Auftreten mal eben so schauspielern konnte -, aber ich hatte noch so viele Fragen. Allerdings besaß ich zumindest zeitweise auch so etwas wie Taktgefühl und wusste dadurch, wann es besser war, wirklich mal die Klappe zu halten, anstatt einen dummen Kommentar von mir zu lassen und das hier war ein solcher Zeitpunkt. Es erschien mir jedoch auch nicht richtig, die ganze Sache jetzt komplett ohne irgendeine Reaktion meinerseits stehen zu lassen, weshalb ich mich nach einer halben Minuten der absoluten Stille wieder an Irina wandte. "Verstehe... das ist trotzdem kein Grund, dich unerlaubt anzufassen.", stellte ich mit ruhiger Stimme klar, dass die Vergangenheit der jungen Frau nun mal eben vergangen war. Sie damit - hoffentlich - nichts mehr zutun hatte und der schmierige Typ gefälligst seine Flossen bei sich zu halten hatte. Ganz gleich in welcher Beziehung die beiden damals zueinander gestanden hatten, es war eine Sache, seine oder eine Prostituierte anzufassen, wenn sie für einen arbeitete oder man bezahlt hatte, eine ganz andere, wenn man sie privat auf der Straße traf. Das gehörte sich nun mal einfach nicht. Privatleben war Privatleben, selbst wenn die Serbin dieser Tätigkeit in ihrer Freizeit noch weiterhin nachgegangen wäre. Aber das schien bei einigen Männern einfach noch nicht ganz angekommen zu sein. Kirill würde sich nach der Abreibung künftig wohl aber zwei mal überlegen, ob er die junge Frau neben mir noch einmal belästigte. Ich durfte nämlich ziemlich deutlich gemacht haben, dass das nächste Mal nicht bloß ein Nasenbeinbruch und ein ausgerenkter Kiefer, sondern weitaus Schlimmeres auf ihn warten würde. Jedenfalls konnte ich mir jetzt um einiges besser vorstellen, warum die Beleidigungen Irina so hart getroffen hatten. Für gewöhnlich entsprangen solche Ausdrücke immer nur der blanken Frustration und eigenen Unzufriedenheit, aber in dem Fall bezogen sie sich wohl tatsächlich auf die Vergangenheit der jungen Frau, was das ganze Unterfangen ein Stück weit persönlicher machte. Weil der rote Platz von der Mädels WG nicht ganz so weit weg war, wie die Bar, dauerte es auch gar nicht mehr so lange, bis ich den Wagen schließlich auf dem Bürgersteig vor der Haustür anhielt und den Motor abstellte. Meine Arme überkreuzte ich schließlich auf dem Lenkrad und sah wieder zu der jungen Frau rüber, die sich inzwischen zwar ein wenig beruhigt zu haben schien, aber wohl bedingt durch den Alkohol noch immer nicht wieder ganz auf der Höhe war. "Ist deine Mitbewohnerin daheim? Willst du sie anrufen?", fragte ich und merkte im nächsten Augenblick, wie dumm das eigentlich gewesen war. Ich ließ mir äußerlich davon nichts anmerken, hätte mir gerade aber am liebsten mit der flachen Hand an die Stirn gefasst, weil Irina, soweit ich mich recht erinnern konnte, noch überhaupt nicht mitgeteilt hatte, dass sie in einer WG wohnte. Und bis zu dem Zeitpunkt, als Hunter mir diese Information am Telefon gesteckt hatte, ging das ja auch nirgends draus hervor. Weder stand in ihren Bewerbungsunterlagen ein c/o, noch hatte sie im Gespräch jemals ein Wort darüber verloren, dass sie nicht alleine wohnte. Blieb also nur zu hoffen, dass ich mich entweder täuschte und die Information doch schon irgendwann mal an mich herangetragen worden war oder aber sich die Dunkelhaarige davon nicht weiter beirren ließ. Der Alkohol ihr zu intensives darüber nachdenken verwehrte, weil ich sonst durchaus in Erklärungsnot geraten könnte.
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Auch Iljah schien all das erst einmal einen Moment lang sacken lassen zu müssen, was mir ein bisschen mehr Zeit dafür gab mich selbst weiter zu sortieren. Zwar fiel mir das immer noch denkbar schwer, aber ich konnte ein paar Mal kontrolliert, ganz ruhig durchatmen und das half zumindest ein kleines bisschen. Ich ließ auch die Spielerei mit den Fingern schließlich bleiben und sah wieder geradeaus auf die Straße, wobei mir zum ersten Mal auffiel, dass wir wohl tatsächlich meiner Bleibe näher kamen. Es war sicher auch das Beste, wenn ich mir einfach nur noch die Nudeln reinzog und dann im Anschluss das bisschen Make Up aus meinem Gesicht wischte, bevor ich mich in die Federn schmiss. Ich sollte jede Minute Schlaf bis morgen mitnehmen, die noch irgendwie möglich war, wo es sicher ohnehin schon insgesamt zu wenig war, um morgen früh vollkommen ausgeruht aufwachen und in den Tag starten zu können. Als Iljah dann schließlich doch noch etwas auf meine Beichte erwiderte, war ich ihm unweigerlich dankbar dafür, dass er sich nicht bei Kirill einreihte und mich deswegen auf irgendeine Stufe weiter unten setzte, als er das bis gerade eben noch getan hatte. Es war nicht so, als würde ich denken ich hätte in den Augen des Tätowierten irgendwie besonders viel Wert, aber nach noch weniger in dieser Hinsicht streben tat ich nun mal auch nicht - allein schon wegen der Arbeit, die morgen sicherlich der blanke Horror werden würde. Peinliche Schweigemomente vermutlich auch inbegriffen. Dennoch nickte ich auf seine Worte lediglich, weil sich damit das Gespräch am besten von mir ersticken ließ. Offenbar reichte das auch als Geste dafür aus, nicht weiter darüber reden zu wollen. Nur schien das noch gar nicht alles an schrecklichen Momenten für den heutigen Abend gewesen zu sein. Als der junge Mann den Wagen schließlich am Straßenrand hielt zögerte ich nicht damit mich abzuschnallen und schüttelte im ersten Moment bei seiner Frage lediglich leicht mit dem Kopf. "Nein, ich...", setzte ich zu einer Antwort an und erst währenddessen fiel mir auf, dass ich mir eindeutig Sorgen darüber machen sollte, dass Iljah über meine Wohnsituation Bescheid wusste. Ich war vielleicht betrunken, aber sowas wie Gedächtnislücken hatte ich bisher noch nicht und ich konnte mich nicht mal ein bisschen daran entsinnen ihm gesagt zu haben, dass ich in einer WG wohnte. Er wusste ja auch nicht nur von der WG an sich, sondern scheinbar ebenfalls, dass ich dort mit einer Frau oder mehreren zusammenwohnte. Ich ohrfeigte mich noch im selben Moment gedanklich selbst dafür, dass ich tatsächlich einen Augenblick während der Fahrt darüber nachgedacht hatte, ihm anzubieten noch kurz - Betonung auf kurz! - mit hoch zu kommen, damit ich ihm Irgendwas für seine Hand geben konnte. Jetzt tat er mir was das anging aber sehr schlagartig nicht mal mehr ein Fünkchen leid und er konnte von mir aus bei der Heimfahrt einpennen, damit er den Wagen mitsamt sich selbst in der nächstbesten Hauswand parkte. Dabei spielte es auch gar keine so große Rolle woher er es denn nun wusste: Fakt war, dass er es ganz einfach nicht wissen sollte oder gar durfte. Er hatte auch als mein Chef kein bisschen das Recht dazu mir nur im entferntesten irgendwie nachzuspionieren und mehr über mein Privatleben herauszufinden, als ich ihm aus Eigeninitiative heraus erzählte. "Ich werd' nur noch essen und einfach ins Bett gehen.", vollendete ich meinen vorherigen Satz murmelnd ein paar Sekunden später dann doch noch, woraufhin ich mich zu der Tüte im Fußraum beugte und der Beschriftung der Behälter entnahm, welcher denn nun meiner war. Ich zögerte nicht mir mein Essen zu nehmen - das bei all seiner Dreistigkeit das Mindeste an Entschuldigung seinerseits sein sollte - und griff dann auch schon mit der anderen Hand nach der Beifahrertür, um sie zu öffnen. Stieg dann ohne einen weiteren Blick in seine Richtung mit der Handtasche unterm Arm und dem Essen in der selben Hand aus, wobei ich plötzlich schier ungeahnte Kräfte, ja sogar fast sowas wie Nüchternheit verspürte, die mir bei der Flucht aus dem Wagen nur allzu behilflich sein konnten. Aber die Sache einfach so stehen lassen und mich weiter im Stillen darüber ärgern? Nüchtern vielleicht, weil es schlauer wäre dieser Art von Konfrontation mit ihm aus dem Weg zu gehen. Mein betrunkenes Hirn hingegen wollte all das nicht auf sich beruhen lassen und so drehte ich mich noch einmal zum Wagen um. Lehnte mich auf die Tür gestützt so weit runter, dass ich Iljah noch einmal recht problemlos ansehen konnte, ohne gleich mit dem Boden Bekanntschaft schließen zu müssen. "Achja... ich zieh' die Vorhänge dann später zu, wenn's dir recht ist. Ich hoffe du schläfst gut.", ließ ich ihn mit einem breiten, absolut kein Stück echten Lächeln und einem verärgerten Funkeln in den Augen wissen, dass er wortwörtlich woanders weiter stalken gehen konnte, bevor ich die Beifahrertür ziemlich schwungvoll zuschmiss. Indirekt auch, dass er es sich jetzt erstmal für eine ganze Weile lang - oder für immer - abschminken konnte irgendwas Privates von mir über meine Lippen zu erfahren, wenn er dafür morgen keine verdammt gute Antwort hatte, der ich tatsächlich Glauben schenken konnte. Der recht zügige Abgang wäre aber eindeutig cooler gewesen, wenn ich unmittelbar im Anschluss beim Haus angekommen nicht drei Anläufe gebraucht hätte, um den Schlüssel für die Haustür überhaupt erstmal ins Loch zu kriegen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mhm, das verlief jetzt irgendwie weniger schlimm, als ich mir das vorgestellt hatte. Zwar schien Irina über den direkten Wink mit dem Zaunpfahl, dass ich ihr sehr wohl nachgestellt hatte - wann, wenn nicht heute und auf welche Art und Weise spielte dabei in meinen Augen keine große Rolle - nicht besonders begeistert zu sein, aber sie nahm es dennoch lockerer auf, als ich zuerst angenommen hatte. Vermutlich saß der Schock über die Begegnung mit Kirill noch tief genug in ihren Knochen, sodass meine Neugier und ich vorerst zweitrangig waren. Irinas Mitbewohnerin schien laut ihrer Aussage noch nicht Zuhause zu sein, aber sie wollte augenscheinlich trotzdem alleine essen, um sich im direkten Anschluss ins Bett fallen zu lassen. Ich nickte die Worte der jungen Frau also ab, weil sie wohl am besten wusste, was gut für sie war und wollte gerade zu einer Verabschiedung ansetzen. So weit kam ich allerdings gar nicht mehr, weil mir stattdessen ein Kommentar seitens der im Rahmen der Autotür lehnenden Frau um die Ohren flog, den sie sich genau so gut hätte sparen können. Es war natürlich nicht in Ordnung, jemandem hinterher zu spionieren, das war mir klar. Gerade dann nicht, wenn eigentlich keine wirklich nennenswerte Beziehung zwischen einem stand, über die sich das Ganze noch einigermaßen plausibel und mit triftigen Beweggründen erklären ließ. Nichtsdestotrotz stießen mir die Worte der jungen Frau sauer auf, weil sie sich meiner Meinung nach gerade weniger in der Position befand, sich an einer ziemlich ekligen Art Zynismus zu bedienen. Aber da stach dann wohl einmal mehr ihre Kratzbürstigkeit und die Tatsache, dass sie doch noch ziemlich jung war, heraus, weil sie pauschal offenbar gerne einfach alles auf die Goldwaage legte. Natürlich ließ sie die spendierten Drinks, das Essen und nicht zuletzt die Verteidigung vor irgendeinem dahergelaufenen Schmierlappen vollkommen außen vor, denn sonst hätte man ja glatt meinen können, ich wäre sowas wie ein netter Kerl und das auch mit meinen ganzen Macken. Ich zog die Augenbrauen unzufrieden tiefer ins Gesicht, ließ die Aussage ihrerseits allerdings unkommentiert stehen und antwortete lediglich noch mit einem trockenen "Gute Nacht." ehe die Tür zurück in ihren Rahmen fiel und ich damit die Biege machen konnte. Es ließ sich wohl leider nicht vermeiden, dass ich auf dem Heimweg wieder zum Bleifuß wurde, weil ich mit den Gedanken hier und da abschweifte und tatsächlich wäre mir mitten in der Nacht noch beinahe ein Unfall passiert, weil ich eine meiner ältesten Prinzipien über Bord geworfen hatte. An einer Ecke, an der man rote Ampeln besser beachtete, einfach weitergefahren war, ohne nach rechts oder links zu sehen oder anzuhalten und als ich den Kleintransporter im Augenwinkel erfasste, was ich schon über die Straße geheizt. Soweit ich das im Rückspiegel beurteilen konnte, musste der Fahrer ziemlich in die Eisen gehen, passiert war aber glücklicherweise nichts. Ich ermahnte mich nach dem Vorfall jedoch für den Rest der Strecke bis nach Hause, die Sache mit Irina für heute abzuhaken und mir allgemein noch einmal Gedanken darüber zu machen, inwieweit ich mit ihrer Art und zumindest dem Stück Vergangenheit zurecht kommen würde, über das sie mich heute mehr oder weniger zwangsläufig Kenntnis hatte erlangen lassen, wenn ich am morgigen Tag immer noch der festen Überzeugung war, ihr nachjagen zu müssen. Bis dahin versuchte ich mich dann allerdings auch etwas zu entspannen. Nach einer Fahrtzeit von etwa zwanzig Minuten parkte ich den Mercedes in der Auffahrt vor meinem Haus, stellte den Motor ab und stieg aus. Meinen Reis und die dazugehörigen Beilagen hatte ich mir zuvor von der Fahrerseite aus geangelt, sodass ich den Wagen jetzt nur noch mittels Zentralverriegelung abschließen musste, bevor ich das Innere meines Hauses betrat. Mein Mitbewohner, Michail, kam mir auf leisen Sohlen entgegen und erschreckte mich dadurch fast zu Tode. Gott sei Dank aber eben auch nur fast. Wäre schade ums Essen gewesen, das ich in den Händen hielt und vor Schreck beinahe hatte fallen lassen. Ich fragte ihn, warum er um die Uhrzeit noch wach war, aber als er anfing, über irgendein Mädchen zu reden, bei dem er heute gewesen war, winkte ich ab und teilte ihm mir, dass ich es eigentlich gar nicht so genau wissen wollte, worauf das Ganze noch hinausgelaufen war. Stattdessen parkte ich meinen Hintern zum Essen im Wohnzimmer und trat danach relativ zügig selbst den Weg ins Bett an. Ich hatte zwar wirklich nicht besonders viel getrunken und Kopfschmerzen würde ich morgen sicher auch keine haben, aber ein Blick auf die Uhr über der Tür zum Wohnzimmer verriet mir, dass lediglich fünf mickrige Stunden Schlaf übrig waren, die ich besser nutzen sollte, wenn ich mich am morgigen Tag überhaupt noch auf irgendetwas konzentrieren können wollte. Ich räumte nur noch mein Geschirr und die Pappboxen weg, ehe mich meine Beine ins Bad trugen, wo ich mir flüchtig mit kaltem Wasser das Gesicht wusch und mich im Allgemeinen der abendlichen Körperhygiene widmete. Zähneputzen, das Gel, beziehungsweise Haarspray aus den Haaren bürsten und die getragenen Klamotten in die Wäschetonne schmeißen. Außerdem versorgte ich noch schnell die angeschwollene, schmerzende, aber zum Glück nicht mehr pochende Hand. Auch mit letzterem als eine eigentliche Unregelmäßigkeit in meinem Ablauf brauchte ich alles in allem brauchte nicht länger als etwa zwanzig Minuten, ehe ich mich im Bett unter meiner Decke wiederfand und schon kurz darauf ins Land der Träume abdriftete. Dass ich im Schlaf noch einmal den Abend in der Bar und seinen weiteren Verlauf Revue passieren ließ, trug nur leider nicht unbedingt zu einem wirklich erholsamen Schlaf bei, aber tags darauf ging es mir trotzdem nicht ansatzweise so schlecht, wie ich das vermutet hätte. Allerdings brauchte es auch vollkommen unabhängig davon meinen Kaffee am Frühstückstisch, damit ich mich selbst gedanklich als einigermaßen fit titulieren können würde. Etwa eine halbe Stunde, bevor ich mich auf den Weg zur Arbeit machen würde, stieg ich zudem noch mal unter die Dusche, was mich ebenfalls ein Stück weit wacher werden ließ. Meine Laune war dennoch... na ja, nicht die Beste, wenn man das so sagen wollte. War schon mal schlechter gewesen, aber vor Freude strahlen tat ich nun mal auch nicht. Lag wohl nicht zuletzt daran, dass ich nur bedingt Lust darauf hatte, nach dem Ausgang des gestrigen Abends mit Irina zusammen zu arbeiten und wie man sah, hatte die etwas zu vertiefte Beziehung bereits erste negative Auswirkungen. Ganz klasse.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das angepeilte nur noch schnell essen gestaltete sich im Anschluss leider gar nicht so einfach. Es war nicht so als wäre mir vom Alkohol plötzlich schlecht, aber mir war wohl irgendwie ein wenig der Appetit vergangen. Nicht zuletzt deswegen, weil ich beim zweiten und dritten Mal darüber nachdenken resigniert feststellte, dass ich Iljah meine letzten Worte definitiv nicht an den Kopf hätte knallen sollen. Ich hielt sie zwar nach wie vor für vollkommen gerechtfertigt, aber das änderte nun mal absolut nichts an den Konsequenzen und so schob ich mir nur etwa die Hälfte der Nudeln ziemlich lustlos über die Lippen, während ich an der Küchentheke lehnte und mir mehrmals den Hergang des Abends vor Augen hielt. Ich meine, es war ja gar nicht so als würde ich den gesamten Abend komplett in schlechtes Licht rücken wollen. Der Tätowierte hatte sich hier und da eigentlich ganz angenehm verhalten, nachdem wir über die Einstiegsschwierigkeiten hinweg waren, nur machten mir die paar wenigen Worte, die er zum Schluss noch losgeworden war, wirklich absolut alles kaputt. Ich hätte den Tisch nie wechseln, sondern den Cocktail ignorieren und bei den anderen bleiben sollen. Ich hätte wirklich gut damit weiterleben können nicht zu wissen, dass Iljah mehr über mich zu wissen schien, als mir lieb war. Manchmal war Unwissenheit gar nicht so verkehrt und ich wünschte sie mir in diesem Punkt wirklich zurück - nur war gerade mein Leben eher kein Wunschkonzert und so schob ich die restlichen Nudeln in ihrer Verpackung mit einem Seufzen schließlich in den Kühlschrank, bevor ich mich zum Badezimmer aufmachte. Es folgte die gewohnte Abendroutine, auch wenn sie mich sicher zwei oder drei Minuten mehr als gewöhnlich kostete, weil sich hier und da nach wie vor mein Umfeld mal kurzzeitig zu drehen begann. Umso glücklicher war ich darüber, als ich endlich ins Bett fallen und den Rest der Nacht verpennen konnte. Wirklich viel war mir von jener Nacht nur leider nicht übrig geblieben. In jedem Fall war es nicht genug. Schon das schrille Klingeln des Weckers ließ mich entnervt das Gesicht verziehen, weil es perfekt auf die dröhnenden Kopfschmerzen aufmerksam machte, die nach eindeutig mehr Schlaf und Ruhe schrien. Ich rollte mich in Richtung des Nachttischs und beseitigte den lauten Ton, der sämtliche meiner Nerven bis aufs äußerte reizte und fiel dann noch einmal zurück ins Kissen, um vollkommen übermüdet die Decke anzustarren. Ich hatte zwar durchgeschlafen und auch nichts geträumt, was ich vermutlich allein dem Alkohol zu verdanken hatte, aber ich fühlte mich als wäre ich von einem Bus überrollt worden und nur knapp nicht daran krepiert. Selbst dann, wenn ich von dem Kater mal absah, wollte ich nichts lieber, als mich für heute lediglich unter meine Bettdecke zu verkriechen und darauf zu hoffen, dass Iljah nicht durchs Fenster geklettert kam. Ich hatte mir letzte Nacht mal wieder ganz erfolgreich selbst bewiesen, dass ich einfach keinen Alkohol trinken sollte und erst recht nicht mit meinem Chef, nur um ihn irgendwann später dann anzuschnauzen. Bei Gott, hatte ich meine Gehirnzellen mit dem leeren Glas beim Barkeeper gelassen? Wahrscheinlich schon. Aber es half ja nichts - wenn ich jetzt nicht zur Arbeit kam konnte ich nur so darauf warten, dass mich irgendwer aus dem Bett zerrte. Also setzte ich mich nach knapp fünf Minuten auf und rieb mir über das müde Gesicht, ehe ich aufstand und mit nicht mehr als einem übergroßen Shirt in die Küche schlurfte, um mir einen Kaffee durchlaufen zu lassen und danach sofort nach einer Schmerztablette zu suchen, die mir zumindest ein bisschen über den Tag helfen würde. Ich trank fast einen halben Liter nach, bevor ich mich ins Bad schleppte und duschen ging, was wirklich dringend angebracht war, konnte man den Alkohol doch sicher immer noch riechen. Der Blick in den Spiegel, während ich meine Haare föhnte, machte mir auch ziemlich deutlich, dass ich den Concealer nicht so wie sonst quasi weglassen konnte, wenn ich nicht aussehen wollte wie gerade aus dem nächstbesten Grab gekrochen. Ich musste mich wegen meiner allgemein anhaltenden Trägheit mit dem Schminken letztlich ziemlich beeilen - überflüssig zu erwähnen, dass die Mascara deswegen stellenweise auf meiner Haut, statt in den Wimpern gelandet war und das meine Laune zusätzlich runterzog - und wuselte dann so unelegant wie schon lange nicht mehr zurück ins Schlafzimmer, um mich anzuziehen. Nahm auf dem Weg zurück in die offene Küche erst einmal den halben Kaffee mit, bevor es für die Frisur noch einmal ins Bad ging. Danach sah ich zumindest wieder fast lebendig aus und kippte mir noch die zweite Hälfte des Cappuccinos zügig runter, bevor ich wie gewohnt in die Pumps und den Mantel schlüpfte. Ich schnappte mir nur noch meine Tasche und stieß an der Haustür beinahe mit Anastasia zusammen, die auf dem Nachhauseweg vom Stripclub scheinbar Brötchen geholt hatte, wofür ich gerade wirklich dankbar war. So konnte ich mir dankend noch ein Butterhörnchen im Vorbeigehen mitnehmen und es auf dem Weg zum Bus - den ich auch fast verpasst hatte - beiläufig essen. Es schlich sich sofort wieder das Gefühl innerer Unruhe in meine Magengegend, als ich das Autohaus etwa eine halbe Stunde später sah und ich war heilfroh darum auf dem zielstrebigen Weg zu meinem Büro noch nicht auf Iljah treffen zu müssen. Ich hatte ein paar wenige Stunden meine Ruhe vor dem Tätowierten und demnach ein bisschen Zeit dazu mir zumindest für möglicherweise auftretende Auseinandersetzungen schon mal ein paar passende Worte zu überlegen. Allerdings sollte das erstmal mehr oder weniger umsonst gewesen sein, weil es gar nicht der Chef war, der mir zuerst gehörig auf die Nerven ging. Es war wohl zu viel verlangt heute einfache, leicht zu bedienende Kundschaft zu kriegen. Männer waren einfacher zu manipulieren als Frauen und ich bekam heute ein ganz besonders nervtötendes Exemplar der weiblichen Gesellschaft. Erst entschied sich die Frau Ende Vierzig für den einen Wagen, dann passte ihr daran aber doch irgendwas wieder nicht und sie wollte etwas ganz anderes, was sich ungefähr gefühlt durch unser gesamtes Angebot fortsetzte. Das ging fast eine Stunde so, bis ich die ohnehin am heutigen Tag nicht vorhandenen Nerven verlor und einen reichlich unprofessionellen Kommentar à la "Wollen Sie überhaupt ein Auto kaufen oder sind Sie nur hier um spazieren zu gehen?" in ihre Richtung abgab, der auch noch restlos genervt klang. Ich hatte mich bis hierhin wirklich zusammengerissen, aber ich hatte einfach keine Lust noch zehn weitere Male zwischen den Autos im Innen- und auch Außenbereich hin und her zu gehen und ihr in Frage kommende Autos zu präsentieren, nur damit sie sich am Ende jedes Mal wieder dafür entschied, dass es doch wieder nicht das richtige war. Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen und bekam einen entsetzten Gesichtsausdruck von ihr, nahm ich Iljah im Augenwinkel wahr und war mir quasi sicher damit, mir gerade mein eigenes Grab weiter ausgeschaufelt zu haben. Ich warf nur einen flüchtigen Blick in seine Richtung und atmete dann einmal sehr tief durch, bevor ich mich der Kundin erneut zuwendete. Mich zuerst möglichst aufrichtig klingend entschuldigte und ihr im direkten Anschluss daran recht ruhig dazu riet, dass sie sich erst noch einmal mit ihrem Mann darüber unterhalten sollte, was für die Familie denn nun das Beste war und dann gerne mit einem spezifischeren Wunsch wiederzukommen. Allerdings schien das ihre Laune gerade so gar nicht mehr retten zu können und dementsprechend hatte ich womöglich gerade erfolgreich eine potenzielle Kundin vergrault.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich war am Morgen wie gewohnt durch die Firma geschlurft und hatte nach dem Rechten gesehen, die Pflanzen gegossen und hier und da ein paar Flyer zusammengeschoben, welche durch die Kunden vom Vortag ein wenig durcheinander geraten waren. Danach hatte ich mich ganz bewusst für den restlichen Vormittag in meinem Büro verschanzt. Zum einen wollte ich aktuell niemanden sehen, geschweige denn mich mit Jemanden unterhalten, noch hatte ich irgendetwas Wichtiges im Showroom zu erledigen. Demnach waren meine Mitarbeiter zumindest für ein Drittel ihrer Arbeitszeit auf sich alleine gestellt, weil ich davon ausgegangen ausging, dass meine Angestellten ihrer allesamt sehr zufriedenstellenden Professionalität entsprechend auch mal ein paar Stunden ohne mich auskommen konnten. Allerdings hätte mir klar sein müssen, dass nach der gestrigen Nacht zumindest eine meiner bisher besten und mit Abstand geduldigsten Verkäuferin negativ auffallen würde. Ich hatte Irina heute noch nicht gesehen, wollte ich ehrlich gesagt auch nicht, weil der bittere Nachgeschmack ihrer letzten an mich gerichteten Worte noch immer nicht nachgelassen hatte, aber als verantwortungsvoller Chef konnte ich es nicht einfach so stehen lassen, dass mir die Serbin hier gerade eine potenzielle Kundin vergrault hat. Die absolut unangebrachten Worte waren mir wohl auch nur deshalb zu Ohren gekommen, weil Adrian just in diesem Moment in der Tür stand, um sich bezüglich eines zahlungsschwachen Kunden abzusichern. Ich verfolgte das, was er mir zu sagen hatte, nur beiläufig und hob irgendwann die Hand, um ihn zu unterbrechen, während ich parallel dazu aufstand und auf ihn zuging. Allerdings war der Mann Ende dreißig gerade nicht mein Ziel und das wusste er auch. Wir kannten uns immerhin nicht erst seit gestern, wenn ich negativ auf ihn zu sprechen wäre, dann wüsste er das bereits und würde sich mir gegenüber ganz anders verhalten. So drehte er sich also auf der Türschwelle in Richtung seiner Arbeitskollegin um und beobachtete mit mir gemeinsam, wie Irina den Gast - von einer Kundin konnte man jetzt ja nun wirklich nicht mehr sprechen - nach einem letzten, erfolglosen Versuch, ihn doch noch von uns als Autohändler zu überzeugen, durch die Tür spazieren ließ. Meinem Gesichtsausdruck war wohl ziemlich deutlich zu entnehmen, wie viel ich gerade davon hielt, einen Interessen mit potenziell sehr viel Geld einfach so ins Nirvana verdampfen zu sehen. Nämlich absolut gar nichts. "Hey, kann doch jedem mal pas...", wollte Adrian die Serbin in Schutz nehmen, aber da hatte ich mich schon längst in Bewegung gesetzt, um zu der jungen Frau, die trotz Makeup und wie immer top gestylter Frisur ziemlich fertig aussah, aufzuschließen. Ja, das konnte vielleicht jedem Mal passieren, mochte sein. Schließlich gab es einfach Tage, an denen wollte einfach nichts laufen, aber definitiv nicht vor dem Hintergrund des gestrigen Abends. In dem Sinne war es mir grundlegend egal, was zwischen uns persönlich gelaufen war. Von mir aus konnte sie mir noch vier, fünf oder gar zehn Mal an den Kopf werfen, dass ich ein Gott verdammter Stalker war, aber wenn sie der Meinung war, sich betrinken zu müssen - und sie täte sich gut daran, mir dafür nicht die Schuld in die Schuhe schieben zu wollen, nur weil ich ihr Drinks bestellt hatte -, dann erwartete ich auch, dass sie am darauffolgenden Arbeitstag weiterhin mit gewohnter Professionalität die Kunden bediente und sie mir nicht vergraulte. Schließlich ging es hierbei nicht nur um die Solvenz des Autohauses, sondern auch die des Hauptgeschäftes. Ich konnte es mir einfach nicht leisten, Einbrüche der Zahlen wegen so einem Firlefanz zu verzeichnen. "In mein Büro - sofort! Und Sie haben besser eine sehr gute Erklärung dafür parat, warum gerade potenziell Tausende von Euros mit einem verärgerten Gesichtsausdruck durch diese Tür da verschwunden sind.", forderte ich die junge Frau ungewohnt forsch dazu auf, mir ins Büro zu folgen, weil ich meine Professionalität heute früh nicht auf dem Nachtschrank hatte liegen lassen. Personalgespräche würden weiterhin hinter geschlossenen Bürotüren stattfinden und im Beisein anderer Arbeitskollegen blieb ich beim Siezen auch konsequent. Das sich auch erst dann ändern, wenn die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war und wir unter vier Augen miteinander reden konnten. Adrian sah aus gewisser Entfernung zu uns rüber und warf der Schwarzhaarigen einen entschuldigenden Blick zu. Vermutlich, weil er sich zum einen schuldig fühlte, dass ich erst wegen ihm überhaupt mitbekommen hatte, dass Irina sich gegenüber einer Interessentin daneben benommen hatte und zum anderen, weil er mich nicht davon hatte abhalten können, sie in mein Büro zu zitieren. Aber in mir kochte es gerade und das nicht zu knapp. Es missfiel mir wirklich, dass ich selbst merkte, wie persönlich ich die Sache gerade nahm, obwohl das sonst nicht ansatzweise meine Art war. Für gewöhnlich trennte ich Privates und Geschäftliches, aber dass das komplett nach hinten losgehen würde, war mir ja von Anfang an klar gewesen. Ich hätte es einfach besser wissen und die Finger von Irina lassen müssen. Dann wäre vielleicht nichts von alldem hier gerade passiert. Jetzt war es aber nun mal so und ließe sich auch nicht mehr ändern, weshalb ich sichtlich angepisst noch vor der Schwarzhaarigen den Weg ins Büro einschlug. Dabei war ich froh, dass nebst der jungen Frau und mir nur noch Adrian und Aras sich im Showroom aufgehalten hatten. Zwei meiner langjährigen Mitarbeiter, die einen persönlichen, wenig professionellen Ausrutscher wegstecken und für sich behalten konnten. Ich drehte mich nicht mehr um, bis ich die Tür schließlich ins Schloss fallen hörte und wir damit unter uns waren. Anstatt einer Begrüßung oder einer sachlichen Frage in Richtung Was ist passiert, wo lag das Problem? um das Gespräch einigermaßen ruhig einzuleiten, bekam Irina direkt eine Breitseite von mir, die mehr als deutlich machte, dass sie in diesem Gespräch lieber ganz kleine Brötchen backte. "Lass' mich kurz nachdenken...", setzte ich in einem noch immer nicht wesentlich ruhigerem Tonfall als eben im Showroom zum Reden an. Dabei ging ich ein kleines Stück vor meinem Schreibtisch auf und ab, denn ruhig sitzen war gerade absolut nicht möglich. "Unser preisgünstigste Auto, was wir derzeit anbieten, nachdem du den letzten Gebrauchten erfolgreich an den Mann gebrachst hast, kostet fünfzig Riesen. Mit Provision reden wir hier von deinem Jahresgehalt, dass du da gerade durch die Tür hast gehen lassen. Wegen was, hm? Ist dir der Alkohol nicht gut bekommen?", wurde ich zum ersten Mal sein einer sehr, sehr langen Zeit einem mir eigentlich Fremden gegenüber persönlich. War so gar nicht meine Art und im Nachhinein würde ich es auch sicher bereuen, mich vor dem Gespräch nicht noch einmal an die frische Luft begeben zu haben, um den Kopf ein bisschen freier zu bekommen, aber man musste mir fairerweise zu Gute halten, dass ich momentan sowieso schon ausreichend gestresst war und mir rational denken deshalb leider ein bisschen schwerer viel als gewöhnlich.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Scheiße. Das war Alles, was mir gerade einfiel, als ich Iljah auf mich zugehen sah. Ich konnte gar nicht anders, als an Ort und Stelle stehenzubleiben und den wütenden Tornado, den er gerade nahezu perfekt implizierte, auf mich zurollen zu lassen. Ziemlich viel in mir wollte gerade gerne das Ruder an sich reißen und der empörten Kundin einfach schnellstmöglich aus der Tür folgen, um ebenfalls das Weite zu suchen. Das kam nur leider kein bisschen in Frage. Erstens wegen meinem eigenen, gerade so noch vorhandenen Stolz und zweitens, weil ich nicht wissen wollte, was passieren würde, wenn ich es tat. Ich konnte sowohl auf den Tätowierten an meinen Fersen klebend verzichten, wie auch auf mögliche Handlanger seinerseits, die nur die Drecksarbeit erledigen und mich zurückbringen sollten, damit der werte Herr Gniwek seine gesamte Energie im Anschluss dafür aufbringen konnte, mich zur Schnecke zu machen. Aber auch ohne vorherige Fluchteskapaden war der Ton, den er mir gegenüber jetzt an den Tag legte, für mich absolut einschüchternd und ich wünschte ich hätte es wenigstens vermeiden können, dass ich leicht zusammenzuckte. Da war jetzt nämlich kein Alkohol mehr in meinen Adern - oder zumindest nur noch so wenig, dass er mir in dem Fall nichts brachte -, der mir etwas mehr Mut und Selbstbewusstsein eintrichterte. Meine ohnehin schon sensible Ader bezüglich laut werdender Männer schien heute ganz besonders leicht zu treffen zu sein, was womöglich auch dem Ausnüchtern zuzuschreiben war. Auch Adrians Blicke konnten mir mehr nur schlecht als recht helfen, als ich nach einem schwachen Nicken, bei dem ich Iljahs Blick ganz gekonnt auf den Boden auswich, wie ein getretener Hund mit leicht gesenktem Kopf zur Verfolgung des Tätowierten ansetzte. Ich wollte wirklich nicht mit ihm allein sein, aber mich zu widersetzen wäre wohl schlichtweg das dümmste, das ich jetzt hätte tun können. Also folgte ich dem jungen Mann zwangsweise bis in sein Büro, wobei ich den Blick irgendwann auf halber Strecke wieder auf seiner Höhe anbrachte, schloss dort angekommen mit einem leisen Schlucken die Tür hinter mir. Allerdings blieb ich danach an jener stehen, spürte sie dabei auch im Rücken. Wahrscheinlich einfach nur aus dem Grund, dass ich mich gerade zumindest einen Hauch sicherer damit fühlte die Türklinke in unmittelbarer Nähe zu haben und im Notfall einfach nach hinten aus dem Raum zu kippen. Denn der Schwarzhaarige setzte sich ungewöhnlicherweise gar nicht erst auf seinen Stuhl, sondern ging sichtlich verärgert im Raum auf und ab, was nicht gerade zu meiner Beruhigung beitrug. Ich folgte ihm mit meinem Blick, ließ ihn nicht aus den Augen, obwohl ich ihn lieber nicht angesehen hätte. Aber man konnte nicht sehen, was auf einen zukam, wenn man die Augen auf den Teppich legte. Trotzdem schlang ich unterbewusst die Arme ein wenig um meinen Oberkörper - als könnte mich das im Ernstfall vor irgendwas retten. Und das, was Iljah mir dann an den Kopf knallte, trug auch nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei. Es wäre übertrieben gewesen zu sagen, dass mein Blick panisch wäre, aber es spiegelte sich doch unweigerlich ein Hauch von Angst in meinem allgemein unruhig wirkenden Blick wider. Auch standen mir die Lippen für einige Sekunden lang leicht offen, als er längst eine Antwort von mir hören sollte, aber ich wusste ganz einfach nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich hatte nämlich das ungute Gefühl, dass es ungefähr gar nichts gab, das ihn jetzt beruhigen würde. Nichts, außer vielleicht zu fünfhundert Prozent einlenkende Worte, mit denen ich die gesamte Schuld auf meine Kappe nahm, was aber ganz und gar nicht realitätsnah wäre. Zu der ganzen Geschichte letzter Nacht gehörten immer noch zwei Personen und er konnte mir nicht vorhalten, dass absolut alles davon meine Schuld war. Das war schlichtweg nicht wahr und das müsste er selber ganz gut wissen, so empfindlich wie er auf meinen Ausrutscher hier gerade reagierte. "Ich weiß, dass es meine Schuld ist, dass ich zu viel getrunken habe...", setzte ich zu ein paar gemurmelten Worten an. Daran ließ sich nun einmal nichts rütteln - er hatte mir die Drinks vielleicht gegeben, aber er hatte mich nicht dazu gezwungen sie zu trinken. Das hatte ich selbst gemacht und dass ich das bereute, war gerade wohl ziemlich offensichtlich. "...und das tut mir leid. Auch das... mit deiner Hand.", fuhr ich nicht weniger leise fort. Denn ja, das mit der Faust in Kirills Gesicht war trotzdem keine Selbstverständlichkeit. Zumindest was das anging hatte mir der Schlaf Erleuchtung verschafft. Allerdings nicht dahingehend, dass man nach solchen Geständnissen oder Entschuldigungen lieber keine Abers anhängte. "...aber es gehören trotzdem zwei dazu, Iljah.", wies ich ihn mit nur mehr kaum hörbaren, dünnen Worten darauf hin, dass er gestern eben trotzdem mit anwesend war und klebte dabei meinen Blick dann ja doch auf den Fußboden, weil ich ihn einfach nicht mehr länger ansehen konnte. Das Unheil vielleicht doch lieber nicht kommen sehen wollte. Es war nun mal einfach eins zum anderen gekommen und er hatte daran genauso eine Teilschuld wie ich selbst auch. Dass er die Sache mit der vergraulten Kundin gerade sehr offensichtlich persönlich nahm, konnte er nun wirklich nicht mir allein in die Schuhe schieben. Schließlich hatte ich ihn zu keiner Zeit darum gebeten mit mir zu feiern. Von seiner sonst immer anhaltenden Professionalität, die er auch dem Rest der Belegschaft gerne predigte, konnte ich gerade nicht mal einen Funken sehen. Wahrscheinlich wäre ich auch sauer, wenn mir derart viel Geld flöten gehen würde, aber das gab ihm noch lange nicht das Recht dazu mich derartig kleinmachen zu wollen. Trotzdem würde ich mich wohl ziemlich stark davor hüten ihn noch mal so anzugehen wie zu dem Zeitpunkt, als ich die Beifahrertür seines Wagens zugeschmissen hatte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ein weiteres Indiz dafür, dass hier momentan so Einiges nicht mit rechten Dingen zuging war wohl das Bedürfnis, mit der Faust auf den Tisch schlagen zu müssen, je länger Irina mich auf eine Antwort warten ließ. In der Regel war ich wohl mit einer der geduldigsten Menschen in meinem winzig kleinen Freundeskreis, weil man über die Jahre nun mal einfach ruhiger wurde und nicht mehr so engstirnig durchs Leben stiefelte. Hier und jetzt hätte eine Antwort seitens der jungen Frau für mich wie aus der Pistole geschossen kommen müssen, was angesichts der Tatsache, dass ich ihr aktuell scheinbar ein wenig Angst einjagte, nahezu unmöglich war. Wenn man sich erst einmal vor etwas hütete, wurde man automatisch leiser. Wägte ab, was passieren würde, wenn man etwas sagte und dann brauchte es auch noch Zeit, die richtigen Worte zu finden, um den sichtlich verärgerten Gegenüber nicht noch weiter zu reizen. Es war grundlegend also nur klug von der Schwarzhaarigen, sich genauer zu überlegen, was sie mir antworten wollte, aber das hieß noch lange nicht, dass mir das Warten hier gerade gefiel oder sich positiv auf meine ohnehin schon miese Laune auswirkte. Dann, als sie endlich den Mund aufmachte, kam zuerst einmal etwas Erfreuliches. Sie versuchte gar nicht erst, die Sache mit dem Alkohol auf mich abzuwälzen und das war definitiv auch gut so. Andernfalls hätte ich schon etwas auf Lager gehabt, um Konter zu geben. Schließlich hatte sie mich gestern darum gebeten, sie wie ein eigenständig denkendes Individuum zu behandeln und das funktionierte in meinen Augen nur bedingt gut, wenn Irina mit einem Paradebeispiel zur Schau stellte, dass sie ihr Hirn scheinbar nur zu Dekorationszwecken mit sich herum schleppte. Wie waren ihre Worte gewesen? Ich brauche keinen Stiefvater, der mich bevormundet... Anders wäre natürlich meine Ansicht der Dinge gewesen, wenn ich mit dem Trichter neben ihr gestanden und sie dazu gezwungen hätte, einen Drink nach dem nächsten in sich hinein zu bechern, aber sie hatte jederzeit aufhören können. Dass sie im Umgang mit Alkohol also ziemlich verantwortungslos und naiv war, mehr oder weniger ihrem Alter entsprechende Erfahrungen damit sammelte, das schien sie selbst zu wissen. Was die Entschuldigung anging, nahm ich jene mit einem schwachen, kaum sichtbaren Nicken zur Kenntnis, während ich nach weiteren ein, zwei Minuten, in denen ich vor meinem Arbeitsplatz auf und ab getigert war schließlich inne hielt und mich mit der Hüfte gegen das Holz des Schreibtisches lehnte. Dann heftete ich meinen nach wie vor ziemlich angefressenen Blick auf die junge Frau, die sich augenscheinlich nicht traute, den Raum weiter als bis über die Türschwelle zu betreten. Einen Augenblick lang fragte ich mich, was das sollte, aber es machte doch relativ bald klick. Ach ja, da war ja was gewesen. Ich hatte weder einen Kater, noch einen Blackout, aber zwischenzeitig wohl irgendwie verdrängt, dass Irina mir gestern gestanden hatte, was Männer anging durchaus ein wenig ängstlich und weniger aufgeschlossen zu sein, wie sie mir mit ihrem Verhalten gerade auch beispielhaft unterstrich. Ich zwang mich also ein bisschen herunter zu fahren. Das Rummotzen brachte ja nichts. Ja, vielleicht war es ärgerlich, dass da mindestens fünfzigtausend Euro aus der Tür spaziert waren, aber ändern ließe sich das jetzt nun auch nicht mehr und die Message schien bei der Schwarzhaarigen angekommen zu sein. Zumindest dachte ich das, bis ich noch ein paar gemurmelte Worte aus Richtung der Tür vernahm, die sich beim zweiten Mal darüber nachdenken Irinas Stimme zuordnen ließen. Bitte... was? Es gehörten immer zwei dazu? Ja, das mochte ja sein, wenn wir weiterhin bei dem gestrigen Abend bleiben wollten, aber es ging mir hier und jetzt gerade viel mehr um die in den Wind geschossene Kohle und nicht darum, was da gestern konkret alles passiert war. Na ja, außer um ihren letzten Kommentar nach der ganzen Scheiße. Aber ich ging davon aus, dass sie sich vor der Entschuldigung auch tatsächlich darüber im Klaren geworden war, was für einen undankbaren Eindruck ihre Worte hinterlassen hatten, nachdem ich im wahrsten Sinne des Wortes ihren Arsch vor einem ihrer ehemaligen Lover, Zuhälter oder wer oder was auch immer Gott verdammt der Kerl letztlich gewesen war beschützt hatte. Zumindest hoffte ich für sie, dass ihr das klar geworden war, denn andernfalls würde ich die Aufrichtigkeit der Entschuldigung definitiv in Frage stellen. Nichtsdestotrotz wäre eventuell auch eine Entschuldigung meinerseits angebracht gewesen, weil es sich nun mal einfach nicht gehörte, Menschen nachzustellen, die das überhaupt nicht wollten und ja, vielleicht war ich auch ein bisschen sehr aufdringlich gewesen, aber aktuell trug ich wohl die am seltensten getragene Maske meiner schier unzähligen Persönlichkeiten, die das jetzt gerade überhaupt nicht einsah. Eventuell zu einem späteren Zeitpunkt. Aber nicht jetzt. "Irina, es geht mir momentan einen Scheißdreck darum, was gestern konkret passiert ist. Du hast deine Entscheidungen getroffen und ich meine auch. Ist auf beiden Seiten dann zwischendrin nicht besonders gut gelaufen und dafür muss auch ich mich wohl entschuldigen..." - na ja, okay, wenn die Entschuldigung gerade so schön reinpasste, dann halt eben doch jetzt schon - "...aber hier auf der Arbeit erwarte ich von dir, dass du dein Bestes gibst, ganz egal, wie viel du am Vortag gebechert hast, klar? Die Kunden können für deinen verantwortungslosen Umgang mit Alkohol nichts und wollen lediglich gut beraten werden, um darauffolgend bestenfalls ihr Geld bei uns lassen. Kommt mir noch einmal zu Ohren, dass du so respektlos mit einer Kundin oder einem Kunden umgehst, dann..." Ja, was dann eigentlich? Im Prinzip würde ich mir nur ins eigene Knie schießen, wenn ich Irina im Zuge ihres unangemessenen Verhaltens entlassen würde, denn auf der einen Seite würde mir dann eine Verkäuferin fehlen und auf der anderen jemand, der mich in der Buchhaltung unterstützte... die ja, Gott bewahre, auch noch auf uns wartete. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie der Rest des Tages noch verlaufen würde und ich überlegte kurzzeitig, ob wir die Lehrstunde heute nicht einfach ins Wasser fallen lassen würden. Aber ich hatte gestern noch gepredigt, dass Irina heute ja zur Arbeit erscheinen sollte, da drehte ich den Spieß jetzt nicht zu ihren Gunsten doch noch mal um. Sollte sie sich ruhig im Zahlen-Wirrwarr verlaufen, weil sie sich nicht konzentrieren konnte. Geschah ihr nur Recht und ich hoffte, dass es ihr so unangenehm wie nur möglich sein würde. Nun, jedenfalls hatte ich den Satz jetzt sicher gute fünfzehn Sekunden unvollendet gelassen, bis ich schließlich etwas tiefer durchatmete und mir angestrengt über das Gesicht wischte. "Lass' mich einfach nicht darüber nachdenken müssen, was dann passiert.", äußerte ich etwas ruhiger, aber noch immer nicht vollkommen neutral, weil mir momentan einfach noch viel zu viel durch den Kopf ging. Ja, auf der einen Seite war das gestern natürlich auch irgendwie mit meine Schuld, aber dann halt auch wieder nicht und ... man, was musste das denn alles so kompliziert sein? Und viel wichtiger noch: Warum musste ich mich immer selbst in die Scheiße reiten, obwohl ich es von Anfang an besser wusste?
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
War das so? Ich hörte dem jungen Mann aufmerksam zu und richtete nach der eher beiläufigen Entschuldigung auch meinen Blick noch zögerlich wieder auf ihn. Schon allein bei der Entschuldigung selbst war ich mir irgendwie nicht sicher, wie ernst Iljah sie meinte, weil er sie irgendwie nur so mit einstreute, als wäre sie gar nicht wirklich der Rede wert. Und die Sache mit dem es geht mir nicht darum was gestern passiert ist... oh bitte. Deswegen lief er hier also gerade so durch die Gegend wie ein Hund, dem auf den Schwanz getreten worden war? Weil es ihn in diesem Moment gar nicht interessierte? Sicher doch. Ich biss mir unweigerlich auf die Unterlippe und drehte den Kopf wieder zur Seite weg, um meine Gedanken auch wirklich für mich zu behalten. Es machte mich einfach sauer, dass er scheinbar nicht fähig dazu war sich - und mir - einzugestehen, dass er die Sache mit dem gescheiterten Autoverkauf von vor ein paar Minuten sehr wohl etwas persönlich nahm. Er war sonst nie so unkontrolliert. Sicher, gestern hatte er Kirill gegenüber deutlich gezeigt, dass er sehr wohl ausrasten konnte, wenn er es für angebracht hielt, aber er trug sowas sonst nie mit auf die Arbeit. Es war natürlich nicht so, als würde ich ständig vor seiner Bürotür stehen und lauschen, aber unter Kollegen erzählte man sich fast alles. Es gab Niemanden bei uns, der irgendwie eine ausgeschlossene Position einnahm und wir verstanden uns gut, also teilten wir auch viele der Dinge miteinander, die so passierten. Dass Iljah irgendwem gegenüber schon mal so drauf gewesen war, konnte auf jeden Fall nicht innerhalb vom letzten halben Jahr passiert sein, seit ich hier zu arbeiten angefangen hatte. Es war also in jedem Fall entweder noch nie oder nur selten vorgekommen und bedurfte einem gewissen Auslöser - so wie einer etwas zu durchzechten Nacht mit der eindeutig falschen Person in diesem Fall. Bei seiner noch folgenden Drohung konnte ich aber doch nicht anders, als ihn wieder anzusehen und erneut leise zu schlucken. Ich hasste dieses Gefühl einfach. Dieses unterschwellige Wissen, dass ich wie schon so oft in meinem Leben im Grunde genommen vollkommen machtlos war. Alles, was ich ihm ehrlich sagen würde, würde nur zu weiterer Eskalation führen und wenn ich stattdessen einfach nur einlenkte, um mich frühestmöglich wieder verziehen zu können, dann saß ich eben danach wieder gefühlt für etliche Tage wie ein geknickter Strohhalm herum - und ich verstand nicht warum. Ich müsste es besser wissen. Müsste dazu fähig sein mir selbst zu sagen, dass ich einfach nur nachgegeben hatte um mich vor weiteren Folgen zu schützen und trotzdem wissen, dass das nichts an den gegebenen Tatsachen änderte. Dass ich nicht im Unrecht damit war, dass ich mir in diesem Fall recht sicher damit war, dass sehr wohl der private Abend mit in seine vollkommen überzogene Reaktion hineinspielte. Dennoch zerbrach ich mir dann tagelang wieder den Kopf darüber, ob mein Gegenüber womöglich doch recht hatte und ich die alleinige Schuld trug. Ich hasste diesen Mechanismus in meinem Gehirn und ich hatte es wirklich satt, dass wirklich Jeder auf mir rumtrampeln musste und ich mich quasi auch noch bereitwillig auf den Boden schmiss, indem ich einfach nachgab. Was hätte ich jetzt auch davon? Das Arbeitsverhältnis von uns beiden war jetzt scheinbar ohnehin vollkommen hinüber, da konnte er noch so oft etwas anderes behaupten. "Bist du jetzt fertig damit dich rauszureden und mir zu drohen? Dann geh' ich wieder arbeiten.", gab ich mit noch immer gedrückter, recht unterwürfig klingender Stimme und leicht bebender Unterlippe schlussendlich ja doch meinen Senf dazu. Ich verkniff mir das in meinem Kopf herumschwebende 'damit dir nicht noch mehr Geld wegläuft... oder ich geh gleich ganz nach Hause, wenn dir das lieber ist' ganz bewusst, um nicht noch mehr Salz in die offenbar vorhandene Wunde zu streuen, die er zu vertuschen versuchte. Vielleicht ärgerte er sich auch einfach über sich selbst und war deshalb so angepisst, aber wenn ich ihm so sehr gegen den Strich ging, dann sollte er mich einfach feuern und uns beiden den Rest ersparen. Ich hatte keine Lust darauf jetzt jedes Mal, wenn ich ihn sah, unweigerlich an den letzten Abend und die aktuelle Situation zurückzudenken. Oder an die bescheuerte Berührung an meiner Wange, die diese ganze Scheiße überhaupt erst vom Zaun gebrochen zu haben schien, weil ich nicht wüsste woher sein plötzlicher Drang zu einer Chef-Angestellten-Beziehung in welcher Form auch immer sonst herkommen sollte. Zwar würden mich die Sorokins vermutlich einen Kopf kürzer machen, wenn ich diesen Job hier - und damit auch den Kontakt zu dem sich nur mehr oder weniger beruhigenden Orkan hier im Raum - wegen so etwas blödem in den Sand setzte, aber wenn das zwischen Iljah und mir jetzt so weiterging, rollte mein Kopf sicher in beiden Fällen. Was hatte ich schon zu verlieren? Ich konnte wirklich gut darauf verzichten mich weiterhin sinnbildlich in der Mitte des Schubskreises zu befinden. War ja scheinbar relativ egal, in welche Richtung ich mich bewegte - ich flog immer als Konsequenz in die andere wieder zurück. Trotzdem krallten sich meine Finger unweigerlich beidseitig an meiner Taille in den Stoff des weißen Hemds, weil besagtes Echo sicherlich zeitnah folgen würde.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich hätte in diesem Augenblick nichts lieber getan, als auf die hölzerne Tischkante zu beißen, gegen die ich aktuell mit der Hüfte lehnte, weil hier gerade absolut nichts lief, wie es das eigentlich sollte. Das lag zu einem sehr großen Teil natürlich an der Schwarzhaarigen, aber auch ich musste mir gezwungenermaßen einen der beiden Stiefel bezüglich der Geschehnisse letzter Nacht anziehen. Das war auch eigentlich weniger mein Problem, fiel es mir als einer der wenigen Kriminellen mit dem standardisierten Knacks in der Birne doch ziemlich leicht, mir Fehler und auch Schwächen einzugestehen, aber so richtig funktionieren tat das jetzt gerade irgendwie nicht. Das war wohl auch der Grund, warum ich Irinas Frage eine ganze Weile lang unbeantwortet im Raum stehen ließ und mir stattdessen weiterhin angestrengt über das Gesicht wischte. Als würde es mir dabei helfen, die sich überschlagenden Gedanken in meinem Oberstübchen zu sortieren. War aber nicht so. Da regte sich nichts, weder in die eine, noch in die andere Richtung, was mich ein weiteres Mal tief durchatmen ließ. Hörbar frustrierter, als zuvor, weil es nichts gab, das ich mehr hasste, als Gedanken, die ich nicht sortiert bekam, wenn es gerade sehr, sehr dringend war. "Nein, ich bin noch nicht fertig.", antwortete ich nach einer halben Ewigkeit dann endlich auf die Frage der Serbin, womit klar sein dürfte, dass sie das Büro noch nicht verlassen durfte. Glücklicherweise machte sie auch noch keinerlei Anstalten in diese Richtung, weil mein sich langsam aber stetig beruhigendes Gemüt ansonsten sicher wieder einen oder zwei Gänge hochgefahren wäre. Aber sie blieb weiterhin einfach vollkommen ruhig stehen und hörte sich aufmerksam das an, was so urplötzlich aus mir herausgeplatzt kam. "Hör zu, Irina. Um das klarzustellen... ich stalke dich nicht, okay? Ja, vielleicht wusste ich, dass du dich immer am gestrigen Wochentag mit deinem Stammtisch triffst, aber bestimmt nicht deshalb, weil ich irgendwen auf dich angesetzt habe oder dir selbst hinterher schnüffle. Dafür hab ich weder die Zeit, noch sehe ich einen wirklichen Sinn dahinter. Ich hab mich lediglich an Informationen bedient, die jemand anderes über dich gesammelt hat." Von wem in dem Punkt die Rede war, wussten wir alle. Dennoch verzichtete ich auf die Nennung von Hunters Namen. Ich brauchte mir schließlich nicht gänzlich auf der Nase meiner Angestellten herumtanzen zu lassen und vor ihr zu Kreuze kriechen, weil das, was ich gerade loswurde mehr oder weniger eine ausführlichere Form der Entschuldigung sein sollte. Denn ich versuchte, das angekratzte Arbeitsverhältnis bis zu einem gewissen Maß noch zu retten. Prinzipiell hätte ich gerade nach ihrer letzten Aussage auch einfach einen Cut setzen und sie rausschmeißen können, aber dafür war sie für das Autohaus und die Spedition viel zu kostbar. Sie machte sich wirklich gut in der Buchhaltung und wenn sie nicht gerade mit einem Kater auf die Arbeit kam, dann verkaufte sie auch eine Menge Autos. Es wäre blöd von mir, nicht wenigstens zu versuchen, zumindest eine halbwegs brauchbare Chef zu Angestellten Beziehung wiederherzustellen. Auf das Level von vor dem gestrigen Abend würden wir wohl kaum wieder zurück kommen, aber irgendwo in die Nähe schafften wir es bestimmt. Vorausgesetzt es bestand beidseitiges Interesse, sich nicht den restlichen Tag noch Gedanken über dieses Gespräch hier machen zu müssen, weil es einen irgendwie nicht losließ. Dass ich mich hier gerade so reinkniete, bedeutete aber keinesfalls, dass ich mir alles gefallen ließ. Käme jetzt noch ein weiterer dummer Spruch seitens der jungen Frau, hätte sich das Thema für mich dann nämlich auch gänzlich erledigt. Aber ich schweifte ab, also weiter im Text. "Das, was ich gestern in der Bar gesagt habe... du weißt schon, dass ich deine Eigenwilligkeit..." - ich verzichtete bewusst auf das Wort Kratzbürstigkeit, mochte sie ja nicht besonders, wenn ich mich recht erinnerte - "...interessant finde - das war ernst gemeint. Ich würde dich wirklich gerne näher kennen lernen. Aber was hätte ich denn deiner Stelle tun sollen, hm? Dich weiter auf der Arbeit belästigen? Ich glaube, damit wärst du auch nicht glücklich gewesen. Worauf ich hinaus will ist, dass mich deine gestrige Aussage, kurz nachdem du aus dem Auto ausgestiegen bist, verletzt hat. Und ich fand es unglaublich undankbar von dir.", ließ ich sie vollkommen ehrlich an meinem wirren Gedankenspiel teilhaben, während ich zunehmend ruhiger wurde. Die Sache mit dem Schlag ins Gesicht des Idioten, der Irina belästigt hatte war nicht der Rede wert, war schon fast wieder alles in Ordnung. Es ging mir einfach nur um das Prinzip. Ich mochte geduldig sein und auch mit Zurückweisungen sehr gut klarkommen, aber ich hasste es, ausgenutzt und dann im Regen stehen gelassen zu werden. Das hörte sich in dem Fall jetzt natürlich viel ernster an, als es das eigentlich war - denn sie hatte mich ja nicht direkt ausgenutzt -, aber grundlegend dürfte ich meinen Standpunkt klar genug zum Ausdruck gebracht haben. Dass ich plötzlich von dem geschäftlichen Thema zurück zum gestrigen, weitaus privateren Abend sprang, bestätigte sowohl die Serbin, als auch mich selbst darin, dass das doch alles irgendwie ein bisschen zusammenhing. Ich einfach nur so sauer war und empfindlich auf Irinas Fehltritt reagierte, weil mir die Sache von gestern nun mal doch einfach näher ging, als sie sollte. Ich hasste es, noch so etwas wie ein Herz zu besitzen, das bei solchen Dingen immer anfing, irgendwelche Mätzchen zu machen. Zusammenfassend konnte man also sagen, dass ich Irina gerade sehr deutlich - deutlicher ging es wohl kaum noch - mitgeteilt hatte, wie es aktuell aussah. Ich stalkte sie nur Teilzeit, indem ich mittels Informationen aus dritter Hand in ihrer Lieblingsbar auf sie wartete, mochte sie charakterlich scheinbar ganz gerne - wo ich noch absolut nichts hineininterpretieren würde - und hatte mich nach ihrem gehässigen Kommentar unfair behandelt gefühlt. So weit kamen noch alle mit, oder? Denn dann könnten wir uns jetzt der Frage widmen, seit wann genau ich Privates und Geschäftliches nicht mehr unterscheiden konnte und was genau jetzt eigentlich der genaue Grund dafür war, warum ich so empfindlich reagierte. Wusste wohl in dem Augenblick nur der liebe Gott, denn ich hatte geredet, geredet und geredet. Ohne, dass ich vorher groß darüber nachgedacht hatte. Irgendwie lag mir das wohl einfach gerade auf der Seele und musste ausgesprochen werden. "Ich bin dann jetzt fertig.", gab ich zum Abschluss noch unnötigerweise bekannt, dass sie dann gerne jetzt weiter arbeiten gehen konnte, wenn sie nichts weiter mehr zu sagen hatte. Die Sache mit der verärgerten Kundin war vom Tisch und grundlegend hatte Irina wohl Recht damit und ein Großteil des Gesprächs bezog sich auf meine privaten, für einen Kriminellen noch ziemlich menschliche Empfindungen, was weder für sie, noch für mich oder irgendwen so wirklich nachvollziehbar war. Ich meine, dass man in diesem Metier chronisch eins an der Waffel haben musste, um nicht auf Dauer wahnsinnig zu werden war ja nun wirklich nichts Neues, aber manchmal wünschte ich mir, ein Stück weit abgestumpfter zu sein. Das würde mir einiges an Zeit und Ärger ersparen, wenn man mich fragte. Aktuell war ich nämlich einfach nur verwirrt und wohl reif für die Malediven.
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Ich fing an zu zählen. Drei, Zwei, Eins... und dann nochmal von vorn. Und nochmal, weil komischerweise noch immer keine sichtlich unzufriedenen oder wütenden Worte in meine Richtung geschmettert wurden. Da war nichts als eine wahnsinnig unangenehme Stille im Raum, die letzteren gefühlt sekündlich kleiner werden ließ und für einen kurzen Moment lang dachte ich wirklich darüber nach, einfach zu gehen. Ich hielt es nämlich durchaus für möglich, dass dieses Schweigen nur die Ruhe vor dem Sturm war und es nur noch schlimmer zurückkam, wenn Iljah seine Stimme erst einmal wiedergefunden hatte. Umso überraschter war ich, dass letztlich absolut nichts dergleichen passierte. Der junge Mann, der seine Position nun seit einer Ewigkeit nicht mehr gewechselt hatte und sich ansonsten nur mehrfach übers Gesicht rieb, klang eher sogar noch ein bisschen ruhiger als zuvor, als er zu reden begann. Vielleicht nicht wirklich gefasst, aber zumindest wirkte er jetzt nicht mehr so, als würde ich unter Umständen um mein Leben rennen müssen, was ziemlich sicher damit zusammenhing, dass er drauf und dran war mir eine recht detaillierte Beichte zu liefern, was die ganze Geschichte mit dem Stalking anbelangte. Damit führte er unweigerlich den Punkt herbei, an dem ich meine Gene erneut für die Alkohol-Nichtverträglichkeit verfluchte. Wäre ich nicht betrunken gewesen, dann hätte ich nämlich vielleicht mal darüber nachgedacht, dass diese Sache nicht so simpel war, wie sie mir im ersten Moment erschien. Ich war zwar nach wie vor nicht wirklich davon begeistert, dass er bestimmte Dinge jetzt einfach über mich zu wissen schien und ich nicht wusste, wie ich das eingrenzen konnte, aber es war dennoch in jedem Fall eine Steigerung, dass er mir nicht wirklich selbst nachstellte. Immer noch ein bisschen gruselig, aber gut - er war eigentlich ein hochgradig krimineller Mann und nicht nur ein Autohausbesitzer, was ziemlich offensichtlich machte, warum er diesen etwas anderen Weg der Annäherung eingeschlagen hatte. Ich selbst wusste schließlich mit am besten, dass nun mal jeder in diesem Metier irgendeine Art von Sprung in der Schüssel hatte. Nicht mal ich selbst bildete davon eine Ausnahme, also war es vermutlich nicht ganz richtig, dem Tätowierten seinen Knacks in der Birne anzukreiden. Zumal es ja auch wirklich gut - und wichtig für mich und meinen Seelenfrieden - war, dass er in diesem Punkt mit der Geheimniskrämerei aufhörte und geradewegs aussprach, was er gerade dachte. Wobei ich mir irgendwie gewünscht hätte, dass er die letzten beiden Sätze weggelassen hätte. Ich hatte bis jetzt ehrlich gesagt nicht einmal im Entferntesten darüber nachgedacht, dass ich den jungen Mann mit meinen Worten verletzt hatte. Ich meine, er war Iljah - relativ groß, gutaussehend, führte immer eine ausreichende Portion Selbstbewusstsein mit sich und war immer ganz der sachliche Chef, während er irgendwo im Hintergrund ganz beiläufig noch irgendeine Form von illegalen Strippen zog. Er hatte wie jeder Verbrecher zwei Gesichter und ich hatte nicht geglaubt, dass eines davon so verhältnismäßig leicht zu kränken war. Deswegen sah ich ihn vermutlich auch noch immer ein wenig perplex an, weil ich mit derartig viel Ehrlichkeit und Offenheit ganz einfach nicht gerechnet hatte, während er mir dann zum Abschluss noch sagte, dass er nichts mehr zu sagen hatte und damit indirekt auch, dass ich gehen konnte. Ein Teil von mir wollte dieser Erlaubnis noch immer allzu gerne nachkommen, aber es schien mir nicht richtig ihn jetzt einfach wortlos hier im Regen stehen zu lassen, wenn er doch gerade von sich aus so ehrlich gewesen war. Ja scheinbar sogar irgendwie mir zu Liebe die Kratzbürstigkeit ersetzt hatte, wo er doch laut eigener Aussage Gefallen an genau dieser Titulierung fand. Ich stand sicher noch gute fünfzehn Sekunden wortlos an der Tür, bevor ich hörbar etwas tiefer einatmete, um damit meinen Mut einsammeln zu gehen und mich aus meiner angespannten Position zu lösen. Ein paar Schritte in seine Richtung zu machen, nur um mich kurz darauf ebenfalls mit der Hüfte an den Schreibtisch zu lehnen. Mehr oder weniger neben ihm, wobei ich wohl trotzdem so viel Abstand dabei einhielt, wie eben möglich war. Ich legte die Hände auf meinen Oberschenkeln ineinander, wirkte dabei womöglich aber noch immer ein wenig verkrampft. Starrte gekonnt meine Finger an, statt zu Iljah zu sehen. "Ich wollte nicht... das war nicht okay von mir. Ich hätte es erst hinterfragen sollen, bevor ich... mit irgendeinem Scheiß um mich werfe.", gestand ich mir dieses Missgeschick noch immer leicht murmelnd ein. "Ich bin einfach noch paranoider, als ich kratzbürstig bin und hab deswegen wohl überreagiert.", gab ich dem Tätowierten mit einem leisen Seufzen noch ein weiteres Detail über meine Person preis, das er theoretisch leicht gegen mich verwenden könnte, wenn er denn wollte. Ich wusste auch nicht, warum ich ihm diesen ironisch angehauchten Satz sagte. Womöglich einfach nur, um durch das verwenden seines Wortes sowas wie die weiße Flagge zu hissen. Er hatte Mist gebaut, ich hatte Mist gebaut - ließ sich nichts mehr dran rütteln und ich konnte ausnahmsweise mal versuchen erwachsen mit einer Situation umzugehen. Eigentlich hätte das so sicherlich auch schon vollkommen dazu ausgereicht, um die Wogen vorerst ein bisschen zu glätten, aber ich redete wohl aktuell in etwa genauso planlos wie der Russe unweit neben mir vor mich hin. Es folgten also sogar noch ein paar Worte mehr, nachdem ich den Kopf angehoben und in Iljahs Richtung gedreht hatte, um ihn ansehen zu können. "Und... keine Ahnung, mich vielleicht einfach... fragen? Ich bin in der ganzen Annäherungssache selber nicht wirklich gut, aber ich glaub' die meisten Leute machen das so oder so ähnlich.", versuchte ich scheinbar mit einem Witz den Tätowierten wieder aufzuheitern, wobei meine Mundwinkel noch etwas verunsichert, aber doch sichtbar nach oben zuckten. Mein Tonfall müsste wohl auch recht klar machen, dass ich ihn damit nicht noch einmal auf seinen Fehler hinweise wollte, sondern lediglich versuchte das Gespräch irgendwie wieder ein kleines bisschen lockerer zu gestalten. Ob ich denn auch ja gesagt hätte, wenn Iljah mich nach einer Art Date gefragt hätte? Die Chance stand wohl 80 zu 20 für Nein. Es gab auch nur deswegen beide Optionen, weil mir nun mal die Sorokins im Nacken saßen. Dadurch, dass ich ihn jetzt jedoch deutlich weniger oberflächlich als noch vor ein paar Tagen kannte, wusste ich ehrlich gesagt aber absolut nicht, wie ich jetzt darauf reagieren würde.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Irina schien erst einmal nicht so recht zu wissen, was sie von meiner Beichte, meinem Verhalten im Allgemeinen eigentlich halten sollte und ich konnte es ihr ehrlich gesagt nicht verdenken. Ich selbst war gerade nicht minder überfordert mit der ganzen Sache, was schlichtweg wohl daran lag, dass mir zusätzlich einfach viel zu viele andere Dinge durch den Kopf schwirrten, die absolut nichts mit Irina oder dem gestrigen Abend zutun hatten. Man wollte meinen, dass Schwerverbrecher, die bereits einige Jahre in diesem Metier überlebt hatten, Stress auf eine ganz andere Art verarbeiteten, als der Rest der Bevölkerung, aber das... hielt ich für persönlich für absoluten Quatsch. Schließlich waren auch wir nur Menschen, auch wenn das manche eventuell anders sahen. Uns als Monster, Mörder, Vergewaltiger titulierten, aber am Ende schlug auch in unserer Brust noch ein Herz. Bei dem einen mehr als beim anderen, aber was ich grundsätzlich damit sagen wollte war, dass ausnahmslos jeder irgendwann an seine Grenzen stieß und die Fassung verlor. Selbst wenn das, wie bei mir in diesem Augenblick, maximal für zehn, fünfzehn Minuten der Fall war, aber irgendwann fiel einfach ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und dann kamen wir an den Punkt, wo jeder Mensch absolut unterschiedliche Reaktionen zeigte. Der eine brach in Tränen aus, der andere wiederum verfiel in ein Tantrum und ein wieder anderer zeigte sich nicht im Geringsten beeindruck. Ich gehörte wohl ganz offensichtlich zur zweiten Kategorie und fand eine Art Ablassventil darin, einfach mal etwas lauter zu werden, obwohl das in der Regel so gar nicht meine Art war. Dass das jetzt ausgerechnet die junge Frau getroffen hatte, die vor Männern sowieso schon eine Menge Respekt hatte, tat mir natürlich leid, aber mich zurückzuhalten war nun mal einfach nicht möglich gewesen. Vielleicht hätte ich es für ein paar Minuten noch aushalten können, aber wenn die Nadel des Druckluftventils sich bereits über dem roten Bereich bewegte, war es wohl dringend notwendig, Luft abzulassen, weil es sonst nur noch einen einzigen, lauten Knall gegeben hätte. Es war meiner Meinung nach also im Sinne aller Anwesenden, dass es lediglich bei der etwas angespannten Unterhaltung zwischen Irina und mir geblieben und ich nicht mit hochrotem Kopf irgendwann Amok gelaufen war. Aber ich war unabhängig davon auch einfach der Meinung, dass man mit Reden oft schon weiter kam, als sich das manche Leute vorstellen konnten. Natürlich war da ein angemessener Tonfall und auch die Wortwahl sehr wichtig, aber grundlegend ging es erst einmal nur darum, auf das Problem zu sprechen zu kommen. Und wie man sah, schien das auch in Irinas und meinem Fall ganz gut zu klappen. Ich war ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass die junge Frau nichts weiter auf meine Erklärung erwidern wollte, weil sie mich bereits während ich am Reden war ansah, als hätte sie gerade einen Geist gesehen. Wider Erwarten verschwand sie nach weiteren Sekunden der vollkommenen Stille aber nicht einfach hinter sich durch die Tür zurück in den Showroom, sondern setzte sich stattdessen in Bewegung, um zu mir aufzuschließen. Sie lehnte nun ebenfalls mit der Hüfte gegen den Schreibtisch und ich drehte wohl automatisch meinen Kopf in ihre Richtung, um sie weiterhin ansehen zu können. Mein Blick hatte bereits auf der Schwarzhaarigen gelegen, als sie auf mich zugekommen war und ich löste ihn auch jetzt noch nicht wieder von ihr. Es brauchte dann noch ein paar Sekunden, bis Irina letztlich zum Reden ansetzte und sich noch einmal vollumfänglich dafür entschuldigte, mir die letzten Worte gestern Nacht noch an den Kopf geknallt zu haben. Wieder nickte ich nur schwach als Zeichen der Kenntnisnahme, aber das war scheinbar noch lange nicht alles, was sie gerne loswerden wollte. Statt es nämlich bei der Entschuldigung zu belassen, ergänzte sie diese noch um eine Erklärung, mit der ich so wiederum nicht gerechnet hatte. Dass sie mir gestern das ein oder andere persönliche Detail offenbart hatte, war irgendwie wenig überraschend gewesen. Der Alkohol regelte manche Dinge nun mal von ganz alleine, aber jetzt gerade war sie definitiv nüchterner und zurechnungsfähiger als noch vor einigen Stunden. Demnach war wohl ich jetzt auch derjenige, der sie ein wenig verdutzt ansah, aber letztlich wandte ich meinen Blick auch zügig wieder von ihr ab, um ihn stattdessen an die mir gegenüberliegende Tür zu heften, nachzudenken. So wirklich wissen, was ich dazu jetzt sagen sollte, tat ich nämlich nicht, weshalb es kurzzeitig wieder still wurde. Dann allerdings ergriff die Schwarzhaarige erneut das Wort und beantwortete mir die eigentlich viel mehr rhetorische Frage, wie ich ihrer Meinung nach denn sonst auf mich hätte aufmerksam machen sollen. Dabei schüttelte ich langsam, ungläubig mit dem Kopf. "Dich einfach fragen, nachdem du mir am Vortag eigentlich ziemlich deutlich gemacht hast, dass du kein Interesse an mir hast?", fragte ich mit einem Hauch von Nachdenklichkeit in der Stimme, als ich meinen Kopf wieder in Irinas Richtung drehte und eine Augenbraue anhob. "Ich kann mich auch täuschen, aber ich denke nicht, dass das so gut geklappt hätte.", ergänzte ich noch ein paar wenige Worte, mit denen ich zu erklären versuchte, warum ich es eben nicht auf die weniger gruseligere Art und Weise versucht hatte. War schließlich nicht so, als würde es bei mir an Selbstvertrauen mangeln, aber ich hatte einfach keinen Sinn darin gesehen, sie einen Tag, nachdem sie mir ihre Grenzen aufgezeigt hatte, nach so etwas wie einer Verabredung zu fragen.
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Okay, ja - das war wohl der Haken an der Geschichte mit dem Fragen und irgendwie hatte ich mich mit dieser Aussage jetzt möglicherweise wieder in ein Fettnäpfchen bugsiert, in dem ich ungern sitzen bleiben wollte. Vielleicht hatte ich einfach still und heimlich darauf gehofft, dass Iljah auch da nicht irgendwie weiter drüber nachdachte, beziehungsweise im selben Atemzug nachbohrte und mich der Situation entsprechend reichlich skeptisch ansah. Konnte man ihm kaum verübeln, angesichts seiner Frage, deren Antwort im Grunde schon von vornherein relativ eindeutig auf der Hand lag. Was sagte ich jetzt also am besten dazu, ohne meine vorherigen Worte komplett revidieren zu müssen und ihn in seiner Annahme zu bestätigen? Es war nahezu unmöglich ihm irgendwas zu sagen, das mich nicht in die nächste Bredouille hineinschlittern ließ. Wenn ich jetzt sagte, dass ich sowieso abgelehnt hätte - was zu jenem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich passiert wäre, machen wir uns an diesem Punkt nichts vor -, unterstützte das nicht gerade mein ursprüngliches Vorhaben, bei dem ich das Gespräch irgendwie lockerer hatte kriegen wollen. Wobei das vielleicht wiederum auch einfach gar nicht möglich war, wenn Iljah ziemlich grundlegend miese Laune haben sollte. Trotzdem wollte ich jetzt genauso wenig eine Lüge auf den Tisch legen, nur um dem Tätowierten damit irgendwie Hoffnungen auf einen anderen Ausgang zu machen, der so nie eingetreten wäre. Außerdem wollte ich auch ganz gern vermeiden, dass er die Frage nach einem Date einfach nachholte. Egal, wie ich es innerhalb der nächsten fünf bis zehn Sekunden nach seiner geäußerten Vermutung in meinem Kopf drehte und wendete - auf einen wirklich grünen Zwei kam ich nicht und deswegen seufzte ich schließlich kaum hörbar, hob im gleichen Atemzug meine linke Hand an und strich mir die linke, lose Haarsträhne hinters Ohr. Vermutlich einfach nur, um mich beim Reden ein bisschen selbst abzulenken und das zumindest einen Hauch weniger offensichtlich war, als wieder an meinen Fingernägeln herumzuspielen. "Das... hab ich so nicht gesagt.", murmelte ich eine leise Feststellung vor mich hin, wobei die Augen unweigerlich zurück Richtung Boden wanderten und ich meine Füße mit meinem Blick anvisierte. Ich hatte schließlich nie gesagt, dass ich kein Interesse an ihm selbst hatte - ich wollte nur ganz einfach nicht, dass es doch so war. Nicht nur, damit sich die Arbeitsbeziehung zueinander nicht kompliziert gestaltete, sondern auch, weil das gegen ungefähr alle meine Regeln sprach. Ich wollte keine Bindung zu Iljah haben, die mich nur in die nächste Scheiße reiten würde, weil er auf der Abschussliste stand. Eine Liste, auf der er durch mich immer weiter nach oben rutschen sollte, bis er schließlich dran glauben musste. Ich sollte ihn nicht mögen, ich sollte mich nicht einmal auch nur ein Wort mehr als notwendig mit ihm unterhalten und doch... passierte irgendwie beides. Wir teilten jetzt unweigerlich Erinnerungen miteinander, die sich ganz und gar nicht auf die Arbeit im Autohaus oder in der Buchhaltung bezogen, sondern weit privater waren. Das hatte uns einander unweigerlich ein kleines bisschen näher gebracht - wenn auch auf verschobene Art und Weise -, weil wir sonst jetzt nicht mit diesem schon wieder eher ziemlich persönlichen Gespräch hier in seinem Büro wären. Natürlich änderte all das nichts daran, dass ich immer noch einen gehörigen Respekt bis eher ein wenig Angst vor ihm hatte, aber das traf im Grunde auf alle Männer zu, die ohne vorherige - verbale oder nonverbale - Einwilligung meinerseits in meine Privatsphäre eindrangen. Das war also nicht unbedingt etwas, dass an Iljah persönlich lag. Davon mal abgesehen war er nämlich gar nicht so verkehrt. Wenn man den merkwürdigen Einstieg in den gestrigen Abend mal außen vor ließ, dann war er eigentlich fast schon charmant gewesen. Hatte mir Drinks bezahlt, sich danach darum gekümmert, dass ich etwas zu essen bekam - hatte auch das noch spendiert - und dann hatte er mich Zuhause abgesetzt, obwohl ich ihn gar nicht wortwörtlich darum gebeten hatte. Der junge Mann hatte es für das Beste gehalten dem Abend einen Cut zu setzen und das für mich idealste zu tun, obwohl er wirklich gar nichts davon hatte. Keine Hand auf seinem Oberschenkel, keinen Kuss, kein Streicheln an der Wange... absolut gar nichts, außer ein paar undankbaren Worte, wie er es doch ziemlich treffend formuliert hatte. Ich hatte es einem spendablen, gutaussehenden Kerl mit ausreichendem Beschützerinstinkt und Schwung in der Hand mit nicht weniger als einer vollkommen überzogenen Reaktion gedankt, dass er sich doch gerade gegen Ende förmlich um mich gekümmert hatte. Er hatte sogar gefragt, wie es mir ging, als ich wie ein verschrecktes, verängstigtes Huhn auf dem Beifahrersitz gekauert hatte. Iljah schien eine erstaunlich menschliche Seite an sich zu haben, von der ich nicht wirklich sagen konnte, dass sie mir nicht gefiel und je länger ich darüber nachdachte, desto unheimlicher wurde mir das. "Ich glaube nur nicht, dass es besonders klug wäre, wenn wir irgendwie...", setze ich etwas ungünstig zu einem neuen Satz an, von dem ich nicht wusste, wie ich ihn beenden sollte, also wechselte ich nach einem leichten Kopfschütteln lieber zu einem neuen. "Ich meine, wir sehen ja wo das hinführt.", sagte ich schulterzuckend und seufzte ein weiteres Mal leise. Drehte erst dann langsam wieder den Kopf in Iljahs Richtung. Ich wollte ihn eigentlich am liebsten gar nicht ansehen, weil das schon wieder ein verhältnismäßig unangenehmes Gesprächsthema war. Nein, es war nicht so, als hätte ich kein Interesse an meinem etwas zu attraktiven Boss - er war nur so, dass ich eindeutig keines haben sollte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Gut, vielleicht hatte Irina mir tatsächlich nicht direkt ins Gesicht gesagt, dass da ihrerseits absolut kein Interesse an einer näheren Bekanntschaft bestand, aber ihre Reaktion und das, was sie letztlich zu der Hand an ihrer Wange Geschichte geäußert hatte, ließ ziemlich stark darauf schließen, dass dem eben nicht so war. Ich sie lieber in Ruhe lassen sollte und rückblickend betrachtet wäre das sicher auch die bessere Wahl gewesen, denn wie sie schon ganz treffend formuliert hatte, sah man ja, wohin uns das Ganze jetzt führte, beziehungsweise bereits geführt hatte. Das Arbeitsverhältnis, wie wir es kannten und gepflegt hatten war vollkommen hinüber und ich war derjenige, dem es darauffolgend ganz offensichtlich an Professionalität mangelte. Da konnte ich noch so oft versuchen, mich durch den Stress der letzten Tage heraus zu reden, das durfte nun mal einfach nicht sein. Ich stieß der Erkenntnis wegen also ein leises, unzufriedenes Seufzen aus, ließ den Blick von der jungen Frau auf den Boden abrutschen und behielt ihn einen Augenblick lang dort, weil ich nicht so recht wusste, was ich der jungen Frau neben mir jetzt antworten sollte. Das lag zu einem sehr großen Teil wohl auch mit daran, dass ich mir selbst noch nicht zu einhundert Prozent darüber im Klaren war, was ich eigentlich genau von ihr wollte. Verfolgte ich eher das Ziel, sie auf rein freundschaftlicher Basis ein bisschen näher kennenzulernen oder hoffte ich darauf, Irina ein oder zwei Nächte lang für mich gewinnen zu können, weil das letzte Mal Sex nun schon eine Weile zurücklag? Vielleicht war mir ja doch nur langweilig gewesen und ich hatte deshalb angefangen, mit der Serbin zu flirten? Nein... Auch wenn ich nicht sicher sagen konnte, was mich dazu bewegt hatte, um die Gunst der schwarzhaarigen Schönheit zu buhlen, war absolut offensichtlich, dass letzteres nahezu unmöglich war. Wenn ich mir nur die Zeit hatte vertreiben wollen, dann würde ich mir den ganzen Mist jetzt nicht so zu Herzen nehmen und mit einem schmalen Lächeln darüber stehen. Aber statt Irina nach der Ermahnung wegen ihres Fehlverhaltens wieder an die Arbeit zu schicken - womit der geschäftliche Teil definitiv abgehakt gewesen wäre -, hatte ich sie mit einer Entschuldigung meinerseits noch in meinem Büro gehalten und nun saßen wir da. Und das würden wir nicht, wenn nicht auf beiden Seiten ein gewisser Redebedarf bestehen würde. Irina schien abschließend zwar nur noch klarstellen zu wollen, dass sie es für keine besonders kluge Idee hielt, wenn wir beide etwas miteinander anfangen würden - in welche Richtung sich das letztlich bewegen würde war dafür ja erst einmal unerheblich -, womit sie durchaus Recht haben könnte, ließ mich im selben Atemzug aber auch wissen, dass sie dem gegenüber zumindest nicht gänzlich abgeneigt wäre. Sonst würde sie ja wohl kaum einen Gedanken daran verschwenden, was passieren würde, wenn... "Vermutlich hast du Recht.", bestätigte ich sie in ihrer Annahme und hob den Blick wieder in den ihren an. Zwar ließ sich natürlich pauschal nicht sagen, wie sich das Ganze erst einmal entwickeln würde, wenn wir uns nur darauf einließen, aber grundlegend hatte ich aktuell schon genug um die Ohren. Es wäre nur sinnvoll, mir selbst dann nicht noch zusätzlich einen Flo ins Ohr zu setzen, der mich davon überzeugen sollte, dass es die Idee des Jahrzehnts wäre, sich auf meine Mitarbeiterin einzulassen, die im Übrigen an die acht Jahre jünger war als ich. Man könnte in dem Fall zwar nicht mehr von Verführung minderjähriger sprechen, aber seltsam war es allemal - auch für mich. Aber ich konnte nur immer wieder sagen, dass Irina gerade im Verkauf und im Umgang mit Kunden - wenn sie nicht gerade einen im Tee hatte, beziehungsweise die Folge dessen ausbadete - einen sehr erwachsenen Eindruck hinterließ. Auch optisch würde ich sie beim ersten Hinsehen nicht als derart jung einschätzen, aber egal. Das war nun wirklich nebensächlich. "Was hältst du stattdessen von einer Freundschaft? Ich hab in den letzten Wochen bedingt durch die Arbeit nur wenig Zeit, mich mit meinen eigentlichen Freunden zu treffen. Wohnen alle etwas außerhalb von Moskau. Für dich müsste ich nicht durch die halbe Weltgeschichte reisen.", bot ich stattdessen eine Alternative an, die sich für gewöhnlich einfach so entwickelte. Auf die man eigentlich nicht zu sprechen kam, aber da Irina in dieser Hinsicht gestern Abend mit der Aussage abgewunken hatte, dass ihr ihr Teenie Anhang vollkommen ausreichte, erschien es mir nur sinnvoll, sie vorher doch lieber danach zu fragen. Außerdem war das laut ihrer eigenen Aussage der Weg, den sie persönlich am ungefährlichsten hielt. Bei dem sie nicht fürchten musste, dass ich sie irgendwann wieder in der Bar abfing. Aber vielleicht wollte die Serbin wirklich einen klaren Cut setzen. Keine privaten Unternehmungen mit mir machen und wenn dem so wäre, dann müsste ich das wohl leider akzeptieren. Stimmte sie einer rein platonischen Freundschaft allerdings zu, würde das zumindest den Weg eines eventuellen Flirts in der Zukunft ebnen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es ließ sich wohl nicht wirklich etwas daran rütteln, dass ich Recht damit hatte. Iljah stimmte mir was das anging recht eindeutig zu und kurz darauf trafen sich unsere Blicke auch das erste Mal seit einer kleinen Weile wieder. Wir schienen uns zumindest auf den ersten Blick einig damit zu sein, dass es besser war solche dezent unkontrollierten und definitiv nicht geplanten Nächte wie die letztere nicht noch einmal zu wiederholen. Es schien also, als müsste ich zukünftig nicht permanent fürchten den Dunkelhaarigen in meiner Lieblingsbar anzutreffen, wenn ich dort eigentlich nur ein bisschen ausspannen wollte. Denn normalerweise hatte ich mich zumindest unter der Woche so weit im Griff, dass ich nicht zu tief ins Glas schaute - sonst wäre ich dahingehend ja auch schon früher und öfter auffällig geworden. Ein bisschen Alkohol war schon okay, aber worauf etwas mehr hinauslief, hatte ich vor in paar Minuten ja sehr gut veranschaulicht. Das allein ließ mich innerlich also ein klein wenig aufatmen, weil ich mich für einen Moment lang in ziemlicher Sicherheit wiegte. Wenn wir uns wieder nur auf die Arbeit beschränkten, dann konnte ja eigentlich nicht mehr viel passiere... außer vielleicht, wenn wir versuchten miteinander befreundet zu sein, wonach Iljah mich vollkommen unerwartet kurze Zeit später fragte. Vielleicht kam es für mich deswegen so aus dem Nichts, weil ich geglaubt hatte, dass er wirklich nur auf alles oder nichtsv plädierte und irgendeine Art von Mittelweg kein bisschen in Frage kam. Einen Moment lang suchte ich seine Gesichtszüge deshalb nach einem Anzeichen dafür ab, dass das irgendwie eine schräge Art von Humor war und er nur einen Witz machte, aber dem schien tatsächlich nicht so zu sein. Ich fand nicht einmal den Hauch eines zuckenden Mundwinkels. Der junge Mann meinte das also vollkommen ernst und mir stand die Überraschung diesbezüglich wohl kurzzeitig quer übers Gesicht geschrieben, bevor ich mit einem vielleicht noch leicht irritierten Nicken zu einer Antwort ansetzte. "Ja, wieso eigentlich nicht...", meinte ich und zuckte kurz darauf mit einem schwachen Lächeln mit den schmalen Schultern. Wieso nicht? Ich hätte mir selbst und auch Iljah schier endlos viele, gute Gründe dafür nennen können, warum das im Grunde eine nicht viel weniger schlechte Idee war, als offiziell miteinander auszugehen oder gar eine noch intimere Beziehung miteinander zu führen. Ich mochte vielleicht noch nicht allzu viele Jahre auf diesem Planeten verbracht haben, aber dass Freundschaften selten langfristig gut funktionierten, wenn von mindestens einer Seite aus durchaus Interesse für deutlich mehr als platonischer Freundschaft bestand, war selbst mir bekannt. Irgendwann kippte das Ganze fast ausschließlich immer in eine andere Richtung um. Entweder man kam sich nach einer Weile doch noch näher als eigentlich gewollt - ob nun mit oder ohne Alkohol sei mal dahingestellt -, oder es musste einer von beiden Parteien erneut ein Dämpfer verpasst werden, weil sie sich trotz der gezogenen Grenze zu weit vor wagte. So wie bei Iwan zum Beispiel. Ich musste nicht wirklich lange darüber nachdenken, um zu merken, dass in unserem Fall hier potenziell beides möglich war, sofern Iljah sich noch weiterhin so zuvorkommend verhielt wie gestern. Denn das war eine Eigenschaft, die Männer mir schrecklich selten entgegenbrachten. Die gefühlt fast ausgestorben war in der heutigen Gesellschaft, also sollte ich vielleicht einfach darauf hoffen, dass sowas seiner aktiv gejagten Beute vorbehalten war. Denn ich mochte das, war es doch eines der wenigen Dinge, die mich nach einer gewissen Zeit die Angst einem Mann gegenüber Stück für Stück ablegen ließen. Ich sollte es eigentlich um jeden Preis vermeiden, dass er überhaupt erst die Möglichkeit dazu hatte sich so mein Vertrauen zu erschleichen. "Dann... schulde ich dir jetzt wohl zwei Drinks und was zu essen.", sagte ich sarkastisch mit einem schwachen, eher schiefen Grinsen, meinte das aber durchaus ernst. Vielleicht mochte der junge Mann hier wesentlich mehr Geld als ich in den Taschen haben, aber bei einer Freundschaft spielte das für mich nicht wirklich eine Rolle. Man bewegte sich auf Augenhöhe und ich würde Iljah einfach gerne verdeutlichen, dass ich nicht der Typ toxische Frau war, die nichts anderes tat als ihrem Umfeld die Energie auszusaugen, um damit ihren eigenen Vorteil zu suchen. Wollte womöglich auch einfach ein bisschen den unschönen Abgang von gestern grade biegen, der immer schrecklicher wurde, je länger und öfter ich darüber nachdachte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Eine weitere, sehr unterhaltsame Eigenschaft der jungen Frau schien zu sein, dass ihr Reaktionen im Zuge von beispielsweise einer Überraschung immer ziemlich deutlich ins Gesicht geschrieben standen. Offensichtlich hatte Irina nicht wirklich damit gerechnet, dass ich mich ihr im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehung trotz allem um einen Schritt annähern wollte, aber abgeneigt schien sie dem Vorschlag gegenüber zumindest nicht zu sein. Das ließ mir jetzt zwar nicht unbedingt ein Stein vom Herzen fallen, weil es dafür schlichtweg eine ganze Ecke mehr brauchte, aber auch meine Mundwinkel zuckten unweigerlich nach oben, als die junge Frau ihre Zustimmung für eine vorerst rein platonische Freundschaft gab. Zwar war ich was das Vertrauen mir mehr oder weniger völlig Fremden gegenüber noch immer ein wenig vorsichtig - Vorsicht war in diesem Metier nun mal besser als Nachsicht -, aber für ab und an mal ins Kino oder Spazieren gehen, über die Arbeit und bevorzugte Freizeitaktivitäten quatschen würde es gerade noch ausreichen. Natürlich konnte man sich auch auf einer weitaus persönlicheren Ebene näher kennenlernen, aber ich konnte ja nicht riechen, dass Irina deutlich mehr Dreck am Stecken hatte, als aus ihrer Strafakte hervorging. Mit dem Wissen, über das ich verfügte, wollte ich sie jedenfalls nicht noch tiefer in den kriminellen Sumpf ziehen, als sie ohnehin schon drin steckte. Zwar machte das ein oder andere Delikt mehr den Kohl auch nicht mehr fett, aber ich war ganz einfach der Meinung, sie mit der Beförderung zu meiner Assistentin in der Buchführung schon genug gestraft zu haben. Außerdem stand mir nicht wirklich im Sinn, die Spedition um einen Geschäftspartner zu erweitern und eine neue Mitarbeiterin konnten wir aktuell ganz bestimmt auch nicht gebrauchen. Es wäre also so oder so unwahrscheinlich, dass ich Irina gegenüber ein Wort bezüglich meines Haupteinkommensgeschäft verlieren würde, weil es ganz nebenbei auch etwas war, über das man nicht einmal mehr unter Schwerkriminellen sprach. Jeder hatte so sein Geschäft, wer etwas brauchte, fragte, aber mehr Informationen, als über die angebotenen Dienstleistungen bekam man keinesfalls. Wenn überhaupt. Meistens wurde doch immer nur sehr grob beschrieben, was angeboten wurde, was in Vahagns und meinem Fall etwa 'Wir bringen dich von hier weg, aber ob mit einem Flugzeug, dem Schiff oder einem Kamel... das wirst du erst sehen, wenn es so weit ist.' entsprach. Ich ging jedoch davon aus, dass das in der ersten Zeit sowieso erst einmal kein Thema sein würde und die Gespräche weiterhin eher oberflächlich verliefen, solange wir nichts getrunken hatten und wenn es dann irgendwann in Zukunft so weit war, dann konnte ich mir immer noch überlegen, was ich Irina letztlich anvertraute und was nicht. Umgekehrt würde sie das sicher nicht anders machen, wenn sie es tatsächlich ernst mit ihrer Aussage meinte und der Freundschaft zumindest den Hauch einer Chance gab. Was die hörbar sarkastischen Worte der jungen Frau anging, hob ich nur schief grinsend eine Hand, um abzuwinken. "Quatsch, alles gut.", bestätigte ich auch noch einmal wörtlich, dass ich keinerlei Gegenleistung für meine Annehmlichkeiten der letzten Nacht erwartete. Zwar wuchs das Geld bei mir aktuell alles andere als auf Bäumen, aber die zwei Drinks und das Essen waren Summen gewesen, die lohnten sich noch nicht einmal zu erwähnen. "Die Bar hat mir im Übrigen gut gefallen. Vielleicht schaue ich da künftig auch mal öfter vorbei. Aber keine Sorge... vermutlich an eher anderen Tagen.", ergänzte ich mit den Schultern zuckend noch ein sehr indirektes Lob an ihren Geschmack, was die Lokalität von gestern anbelangte. Zwar wurde es auf Dauer wirklich stickig und echt voll, aber die Bedienungen waren freundlich und offenbar sehr kompetent. Die Musik im Hintergrund war auch auszuhalten gewesen und der Alkohol hatte auch geschmeckt. Noch dazu lag die Bar ziemlich zentral und war somit definitiv in der engeren Auswahl, wenn ich in meiner Freizeit mal wieder rausgehen wollte. In den kommenden Wochen würde das eher nicht der Fall sein, weil die Sache mit den Blüten langsam aber sicher anlaufen sollte, aber ich hoffte insgeheim, dass es danach wieder etwas ruhiger werden würde.
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