War schon witzig, wie Cosma und ich uns manchmal missverstanden. Sowohl verbal, als auch was die körperlichen Signale anging. Ich konnte mich zumindest nicht recht daran erinnern, irgendein Zeichen dafür gegeben zu haben, dass ich auf dem Rückzugsweg war oder dass das Gespräch hiermit schon beendet war. Aber gut, war ja jetzt nicht das erste Mal, dass uns das passierte und außerdem ließ es mich unweigerlich ziemlich breit grinsen, als die Rothaarige zu merken schien, dass ich eben weder rückwärts, noch zur Seite wegging. Wieso auch? Ich war hier für meinen Teil eigentlich noch nicht fertig. Noch dazu hatte ich nun wirklich nichts dagegen einzuwenden, dass sie mir mit ihrer Hüfte noch näher kam - viel mehr im Gegenteil. Bevorzugt selbstverständlich lieber wieder halbnackt oder gänzlich entblößt, aber da brauchte ich gerade wohl eher nicht wählerisch zu sein. Zwar hätte ich sicher nichts dagegen gehabt noch schnell eine kurze Nummer zwischendurch zu schieben, aber viel mehr war aktuell wohl nicht drin. Ich hatte heute noch die eine oder andere Sache zu erledigen und außerdem nach dem Möbel schleppen auch noch nicht geduscht. Genauso wenig heute Morgen, weil ich ja gewusst hatte, dass ein schweißtreibender Vormittag auf mich wartete. Hier drin war es zwar sehr angenehm, was die Temperatur anbelangte, aber zwischendurch mal rauszugehen war unumgänglich gewesen. Jedenfalls wäre eine Dusche vorher im Grunde ziemlich angebracht, wiederum aber unsinnig, bevor ich nicht auch mein Training absolviert hatte. Ergo mussten wir das auf später verschieben, oder es kam erst morgen irgendwann dazu. Da hatte ich in jedem Fall dann auch keinen Zeitdruck. Nochmal hinlegen müsste ich mich nämlich eigentlich auch, nachdem ich verhältnismäßig früh die Möbellieferung hatte annehmen müssen und dann noch bis spät in die Nacht hineinzuarbeiten war anstrengend. Zwar kam ich auch mit noch weniger Schlaf aus, wenn es sein musste, aber ich hatte mich inzwischen vielleicht ein bisschen zu sehr daran gewöhnt länger als notwendig mit Cosma in den Laken herumzuliegen, sofern ich keine festen Termine hatte. "Ach, du bist da schon richtig so.", wimmelte ich das Hoppla der jungen Frau süffisant vor mich hin grinsend ab und schob daraufhin beide Hände an ihren Hintern, soweit es mir eben möglich war, solange sie saß. Es sollte dann auch eine kleine Weile dauern, bis ich eine Antwort auf meine Frage bekam, was aber nicht weiter schlimm war. Zwar war ich nach wie vor eher kein Mensch von geduldiger Sorte, aber was Cosma anging war ich in dieser Hinsicht inzwischen wesentlich ruhiger, als das normalerweise der Fall war. Hieß zwar nicht, dass ich davon deshalb hellauf begeistert war, aber ein bisschen warten war nicht mehr wirklich nervtötend, solange danach dann auch eine brauchbare Antwort kam. Die junge Frau entschied sich schließlich dazu sich vorerst selbst auf die Suche nach einer neuen Bar zu machen und ich nickte das ab ohne zu zögern. Ich hatte schließlich nichts dagegen, sonst hätte ich es ihr nicht angeboten. "Okay, dann... achte drauf, dass die Bullen nicht um die Ecke campieren und dass außer dem Haupteingang noch mindestens ein anderer vorhanden ist. Fluchtwege für den Ernstfall, du weißt schon.", merkte ich nur noch entspannt an, was ich mir vorher schon dazu gedacht hatte. Eigentlich war mehr als ein Ausgang sowieso Pflicht zwecks Notausgängen und so weiter, nur konnte ich mir irgendwie nicht wirklich vorstellen, dass man es damit hier auf Kuba wirklich besonders ernst nahm. Aber gut, ein Objekt mit mehr als dem vorderen Eingang zu finden war sicher nicht so schwierig. Blieb zumindest zu hoffen. Was Cosmas anschließenden Kommentar - beziehungsweise ihre indirekte Frage - anging konnte ich nicht anders, als die Augenbraue wieder in die Höhe wandern zu lassen. Das Grinsen verklang dabei jedoch trotzdem nicht, schwächte sich durch meinen Ist-das-dein-Ernst?-Blick lediglich ein kleines bisschen ab. "Ich kann dir auch ganz genau sagen, woran das liegt, Madame... die Königinnen damals haben einfach gespurt, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben.", führte ich der jungen Frau ganz klar vor Augen, was der Unterschied zwischen richtigen Königinnen aus vergangener Zeit und ihr selbst war. Die Frauen damals hatten eben nichts zu melden gehabt, sondern sich schlicht von ihren Kerlen alles in den Arsch schieben lassen und nebenher ein paar Gören in die Welt gesetzt. Zumal ich mir auch nicht vorstellen konnte, dass hinter verschlossenen Türen damals nicht ziemlich viel Scheiße passiert war. Wenn man also nicht gerade die Queen von England war, dann musste man sich mit den Abstrichen auf dem Sessel neben des Königs Thron wohl arrangieren. Außerdem... "Du brauchst hier auch gar nicht versuchen mir weißzumachen, dass du aus Zucker bist. Wir wissen beide, dass das nicht der Fall ist.", hängte ich durchweg amüsiert noch ein paar Worte hinten an und klopfte ihr im direkten Anschluss leicht auf den Hintern. Nein, also die Schrotladung damals war eindeutig schlimmer gewesen. Genauso wie das eine oder andere Mal, als ich sie gewürgt hatte. Noch dazu hätte die Rothaarige ziemlich sicher keinen Orgasmus gehabt, wenn sie es tatsächlich als Misshandlung empfunden hätte. Dummes Gerede musste aber wohl auch einfach mal sein in einer Beziehung und solange anhand des Tonfalls beidseitig gut zu erkennen war, dass all das eher wenig bis gar nicht ernst gemeint war, war alles in Butter.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich konnte nicht anders, als mit den Augen zu rollen, wobei ich nicht einmal genau wusste, weswegen ich das jetzt eigentlich tat. Zum einen sicher deshalb, weil im Prinzip auf der Hand lag, dass bezüglich meiner ungeplanten Annäherungsversuche noch ein Kommentar seitens Hunter zu erwarten gewesen war, zum anderen löste aber auch seine Erklärung zu den damaligen, ziemlich devoten Königinnen das dringende Bedürfnis in mir aus, meine Augen verdrehen zu müssen. Das Grinsen blieb dabei jedoch weiterhin bestehen, weil mich sowohl die eine, als auch andere Aussage durchaus erheiterte, wusste ich doch, dass der Amerikaner es genau so ernst meinte, wie das bei mir und meiner indirekten Frage vorher der Fall gewesen war - nämlich gar nicht. Was die Hände an meinem Hintern und das süffisante Grinsen auf Hunters Lippen anging, schüttelte ich auch nur ein wenig mit dem Kopf, als ich jenen von seiner Schulter gelöst hatte, um ihn stattdessen wieder direkt ansehen zu können. Auch zu der indirekten Unterstellung, dass er mich augenscheinlich für blöd genug hielt, mir in der Nähe eines der wenigen Polizeireviere hier in der Stadt eine Immobilie auszusuchen, hätte das Augenrollen super gepasst, aber man musste es ja auch nicht gleich übertreiben und die ganze Sache ein Stück weit ernst zu nehmen tat der guten Laune auf beiden Seiten sicherlich keinen Abbruch. So nickte ich lediglich schwach und unterstrich die Geste mit einem "In Ordnung. Sonst noch etwas, worauf ich achten soll?" auch noch einmal wörtlich, indem ich mich danach erkundigte, ob es noch weitere Kriterien gab, die für oder gegen ein Gelände sprachen. Eine Bar mit Notausgang hätte ich ohnehin angestrebt, war es doch nur logisch, dass im Ernstfall - nicht nur dann, wenn die Bullen auf der Matte standen, sondern es tatsächlich mal brannte - ein einzelner Ausgang niemals für derart viele Personen ausreichen würde. Da standen die Chancen zu überleben deutlich besser, wenn eine Gruppe sich vorne und die andere nach hinten raus ins Freie bewegte, also war die Bitte, nach einer Immobilie mit zwei Ausgängen Ausschau zu halten eigentlich vollkommen überflüssig, aber das konnte Hunter natürlich nicht riechen. Aus diesem Grund sagte ich dazu auch nichts weiter. Genauso wenig, wie ich mich zum Thema mit der Polizei in unmittelbarer Nähe äußerte. Selbst wenn ich mit keinerlei kriminellen Machenschaften etwas am Hut gehabt hätte, wäre meine Wahl wohl niemals auf eine Räumlichkeit gefallen, die im Einzugsgebiet einer Polizeiwache lag. Schlicht und ergreifend deswegen nicht, weil man dadurch immer Gefahr lief, öfter einfach mal so kontrolliert zu werden, weil die Musik zu laut war und weder hatte ich die Lust, noch die Geduld, mich mit penetrant nervenden Bullen herum zu ärgern. Wollte nicht alle zwei Tage irgendwelche Baugenehmigungen, Qualifizierungen oder welchen Mist auch immer vorhalten müssen, damit der Betrieb weiterlaufen konnte. Weil ich aller Voraussicht nach auch wieder auf mich alleine gestellt war, würde mich das ziemlich viel Geld kosten, wenn ich die Bedingung unterbrechen musste. Also nein, wenn es sich vermeiden ließ, dann brauchte sich Hunter auch in dem Punkt keinerlei Sorgen zu machen und wenn ich mir unsicher war, ob fünf oder sechs Kilometer zur nächsten Wache ausreichend Distanz waren oder nicht, dann konnte ich den Amerikaner diesbezüglich ja auch einfach fragen. Jedenfalls würde ich das Kind schon irgendwie schaukeln, da war ich mir ziemlich sicher und somit machte ich mir darüber auch keine weiteren Gedanken, sondern widmete mich lieber wieder dem amüsanten Teil des Gesprächs, was mich gleich ein weiteres Mal mit den Kopf schütteln ließ. Königinnen hatten damals also weniger zu melden, waren einfach still und ließen sich Puderzucker in den Arsch blasen, aha. Na, da konnte Hunter aber noch ziemlich lange drauf warten und ich müsste im Umkehrschluss wohl darauf verzichten, wie eine echte Königin behandelt zu werden. Vielleicht war das aber auch besser so, denn vom Luxus verwöhnt zu werden war in etwa so, als würde ich bereitwillig mein Hirn in die Mülltonne schmeißen und meine Unabhängigkeit gleich mit. Schon alleine der Gedanke daran, lediglich faul auf der Haut zu liegen und sich von vorne bis hinten bedienen zu lassen, ließ mich schon die Gänsehaut abschütteln wollen. Irgendwie schien mir das absolut surreal, dass es tatsächlich Menschen gab, die einen solchen Lebensstil genossen, aber ich persönlich konnte das nicht. Wollte mich nicht vom Geld anderer abhängig machen und brauchte Beschäftigung. In den Tagen nach dem Brand hatte ich mich zwar erst einmal verkrochen und meine Wunden geleckt, aber schon in Norwegen hatte ich angefangen, den Haushalt zu schmeißen oder Workouts zu machen, weil ich mich ansonsten akut gelangweilt hätte und so war das auch hier auf Kuba. Natürlich war es eine wirklich angenehme Abwechslung, sich an den Pool zu legen oder im Meer schwimmen zu gehen und die Seele baumeln zu lassen, aber es wurde langsam Zeit, dass ich wieder einer sinnvollen Tätigkeit nachkommen würde und demnach würde ich mich schon heute auf die Suche begeben, sollte Hunter mich nicht noch für irgendetwas anderes eingeplant haben. Für kleinere Aufräumarbeiten nach dem Möbelschleppen oder so. "Man, dann hatten die ja entgegen allen Erzählungen ein echt mieses Leben...", stellte ich abschließend fest, dass die adligen Damen dazumal ein weniger beneidenswertes Leben in meinen Augen geführt hatten. Ständig nur Ja und Amen zu sagen, alles hinnehmen zu müssen... das war doch scheiße. Und das nur, um sich von einem renommierten Schneider schicke Klamotten nähen zu lassen oder was?
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich dachte noch einmal kurz darüber nach, ob es noch weitere Dinge gab, die Cosma womöglich beachten sollte, wenn sie sich auf die Suche nach einer neuen Örtlichkeit für die Bar machte. Dementsprechend schweifte mein Blick an ihr vorbei irgendwo ins Nirgendwo der Küche, aber wirklich etwas einfallen tat mir nicht. Ich eröffnete selbst für gewöhnlich keine Bars und alle anderen Gebäude, die ich bis hierhin schon einmal besessen hatte, waren rein zweckmäßig. Da ging keine Kundschaft ein und aus, sondern nur meine eigenen Leute und die waren grundsätzlich immer bewaffnet, wenn sie für mich unterwegs waren. Auch dann, wenn es nur darum ging ein Lagerhaus im Auge zu behalten oder dergleichen. Pistole und Messer waren das Mindeste, was sie an Hilfsmitteln für die Selbstverteidigung mit sich herumtrugen. Jedenfalls hatte die Rothaarige meinerseits ziemlich freie Hand, was die Bar anging. "Nein, ich glaube nicht... nur so'n versteckter Safe wie du vorher einen hattest sollte vielleicht auch einzubringen sein, aber das hattest du vermutlich sowieso schon im Sinn... Preissegment ist auch ziemlich egal, ich krieg jeden runtergehandelt.", merkte ich nur noch zwei Punkte an, die Cosma wahrscheinlich sowieso schon klar waren. Ich hatte zwar keinen Schimmer davon, ob sie auch den hinteren Bereich ihrer ehemaligen Bar hier wieder aufleben lassen und eigenes, illegales Zeug veranstalten würde, aber so ein nicht leicht auffindbarer Safe hatte in jedem Fall seine Vorteile. Sollte sicher auch machbar sein einen solchen wieder im privaten Bereich der Bar anzulegen und so war ich was das anging ziemlich optimistisch. Sicherlich war die Rothaarige auch schon selbst darauf gekommen, dass sie sich preislich nicht wirklich an einen Richtwert zu halten brauchte, weil ich das sonst sehr sicher gleich mit als erstes aufgezählt hätte. Dass ich mit meinem Schotter relativ geizig war, war schließlich kein Geheimnis. Vielleicht war es moralisch nicht in Ordnung, sich die schlechte finanzielle Lage der Leute hier zu Nutze zu machen und ihre Preise zu drücken, aber darum scherte ich mich kein bisschen. Den Punkt, an dem Moral für mich eine Rolle spielte, hatte ich schon damals im Knast überschritten, als ich zu Beginn noch regelmäßig von Irgendwem verprügelt worden war und keine Verbündeten gehabt hatte. Das Blatt für die gute Moral hatte ich dort zum negativen gewendet und es im Anschluss sinnbildlich einen Freudentanz aufführend verbrannt, weil es was das anging ganz einfach kein Zurück mehr gab. Es wurde auch ziemlich schnell leichter einfach einen Scheiß auf gute Werte zu geben, wenn das eigene Leben davon abhing. Das Einzige, was ich mir behalten hatte, war wohl die Loyalität, die ich auch von jedem anderen Menschen um mich herum erwartete. Hatte man jene von mir, dann konnte man sich sicher damit sein, dass ich mein Gegenüber schützte - Sabin war dafür ein ausgezeichnetes Beispiel. Ich hatte ihm mein Wort gegeben und es eingehalten, leere Versprechen gab es von mir keine. Natürlich erwartete ich jetzt dann aber auch von ihm, dass er mir den riesigen Schuldenberg stetig beglich, damit ich meine damalige Entscheidung genauso wenig wie der Italiener selbst bereuen musste. Was die Geschichte mit dem Kosenamen anbelangte waren Cosma und ich uns wohl auch einig. Ich selbst fände nämlich ebenso wenig irgendetwas beneidenswertes daran, mir mein Leben von einer anderen Person aufrechterhalten und finanzieren zu lassen. Wo war denn da der Spaß? "Siehst du, genau deswegen bist du die einzige, die hier bei mir sitzen darf...", setzte ich mit einem zufriedenen Seufzen dazu an, Cosma einen der Gründe dafür zu nennen, warum ich ausgerechnet sie hier an meiner Seite hatte und keine Frau sonst. Löste meine rechte Hand wieder von ihrem herrlichen Knackarsch und legte sie stattdessen an ihr Kinn, damit sie mich weiter ansah. "...du ziehst mir das Geld nicht aus der Tasche und kriechst auch nicht bedingungslos auf dem Boden vor mir rum, nur damit du mehr davon kriegst. Das ist... echt angenehm erfrischend.", vollendete ich meine vorherigen Worte mit zwei weiteren Sätzen, wobei sich das Grinsen doch eher zu einem angetanen Lächeln schmälerte. Natürlich wäre es besser, wenn wir uns seltener streiten würden, aber lieber hatte ich ab und an eine Auseinandersetzung mit der jungen Frau, als dass sie mir stattdessen bei ausnahmslos Allem zustimmte und mir parallel dazu das hart verdiente Geld Stück für Stück immer weiter abnahm, ohne dafür irgendwas tun zu müssen. Das war nichts, wonach ich strebte und selbst ich hatte inzwischen begriffen, dass es viel mehr sogar etwas sehr gutes war, dass Cosma mir hin und wieder Grenzen aufzeigte, weil das ganz einfach sonst Niemand tat. Sie würde wohl kaum einen komplett anderen Menschen aus mir machen können, aber trotz ihrer teils widerspenstigen Art hatte sie ganz einfach einen positiven Einfluss auf mich. Um meinen Worten etwas mehr Gewicht zu verleihen küsste ich Cosma noch ein weiteres Mal gefühlvoll, bevor ich mich ziemlich endgültig von ihr löste und noch dabei nach meinem Whiskeyglas griff, um es auf meinem anschließenden Weg zum Kühlschrank in einem Zug zu leeren. "Und jetzt entschuldige mich bitte, ich muss weiter an meinem Image arbeiten.", verabschiedete ich mich sarkastisch mit einer vielsagenden Geste, bei der ich den Arm anhob und die Muskeln anspannte, von der jungen Frau, nachdem ich mir ein Wasser aus dem Kühlschrank genommen hatte und bewegte mich dann im Anschluss Richtung Flur. Würde mir zuerst oben ein paar trainingstauglichere Klamotten anziehen und mich dann zum Trainieren in den Keller verziehen. Von körperlicher Betätigung wurde man am ehesten müde und dann konnte ich nach der anschließenden Dusche noch für ein oder zwei Stunden ins Bett fallen.
Die nächste Woche zog relativ zügig ins Land, weil ich nicht viel mehr tat als zu arbeiten und zu schlafen. Eigentlich war geplant gewesen, dass ich ab nächster Woche mal einen etwas längeren Urlaub von knapp drei Wochen haben würde, aber das konnte ich mir laut aktuellem Stand der Dinge ziemlich wahrscheinlich in die Haare schmieren. Mein Boss hatte einen neuen Abnehmer für eine seiner neuen Sorten Kaffeebohnen gefunden und es gab reichlich viel, was es bis zur ersten Lieferung noch zu erledigen gab. Selbstverständlich überwiegend von mir und das alles noch parallel zu meinen eigentlichen Aufgaben. Mir reichte die Zeit im Grunde hinten und vorne nicht und deshalb war es fragwürdig, ob ich bis zu meiner ursprünglich angedachten Urlaubszeit wirklich mit allem fertig sein würde, was ich vorher noch schaffen musste, damit in meiner Abwesenheitszeit alles glatt lief. Dabei könnte ich die Auszeit jetzt wohl dringender als jemals zuvor gebrauchen, wo es doch nur eine Frage der Zeit gewesen war, bis Sabin hier wieder bei mir aufkreuzte und mir ein weiteres Mal wortwörtlich den eigentlich dringend notwendigen Schlaf raubte, weil er Richard bei mir ablieferte. Denn auch heute war es wieder an der Zeit für die vom Italiener angedachten, von mir ausgeführten Therapiestunden für Richard, damit der Engländer bald mal wieder auf die Beine kam. Nachdem wir uns das letzte Mal - nach der Auseinandersetzung, versteht sich - so gut verstanden hatten glaubte ich zwar nicht, dass wir uns schon wieder bekriegen würden, aber ich hatte wohl einfach Respekt vor dem gesamten Unterfangen. War ziemlich sicher auch angebracht angesichts der Geschehnisse vom letzten Mal. Heute war der Drogenbaron aber wenigstens so nett sich vorher mittels einer kurzen Nachricht an mich mitsamt Anhang anzumelden. Zwar hatte das unmittelbar zur Folge, dass ich mich auf der Arbeit noch mehr hinein stresste, um früher Schluss machen zu können, aber wenn ich dafür dann Zuhause noch ein paar ruhige Minuten für mich hatte, war es das wert. Ich hatte demnach in meiner Wohnung noch gut eine Stunde lang meine Ruhe, duschte in der Zwischenzeit und aß etwas, bevor ich mich noch ein wenig mit meinem Kater beschäftigte. Es tat mir leid, dass ich momentan so wenig Zeit für ihn aufbringen konnte, aber ich konnte nicht wirklich etwas daran ändern. Deshalb opferte ich die vorerst letzten paar freien Minuten auch gerne für das schwarze Fellknäuel, bevor es letztlich an der Tür klingelte und ich ihn allein mit seinem Spielzeug auf dem Wohnzimmerteppich zurückließ. Ich machte den beiden auf und ließ Richard herein, bevor der Chef sich noch einmal direkt an mich wendete. "Keine Handschellen heute, weil du das letzte Mal gut hingekriegt hat. Lass es mich nicht bereuen, sonst seid ihr beide dran.", knallte er mir erneut ein paar Worte vor den Latz - dieses Mal allerdings weit weniger geladen und wütend als das letzte Mal -, die ziemlich unmissverständlich waren und ich nickte nur mit einem ruhigen, wenn auch gewohnt etwas unterwürfig klingenden "Okay, ist gut.", bevor der großgewachsene Tätowierte von Dannen zog. Wohl wieder Drogen kochen ging und das nutzte, um Richard und mich erneut zusammenzubringen. Allerdings waren unterschwellige Drohungen an mich eigentlich ziemlich überflüssig, weil ich nur allzu gut wusste, was für mich auf dem Spiel stand, wenn ich mir etwas zu schulden kommen ließ. Richard entweder flüchtete oder anderweitig Mist baute, solange er bei mir war. Zwar glaubte ich nicht, dass Sabin mit seinen Worten gemeint hatte uns die Lichter auszuknipsen, sondern eher nur eine andere Art von Strafe, aber auch auf letztere konnte ich allzu verzichten. Ich wollte alle meine Gliedmaßen behalten und auch sonst gerne möglichst unversehrt aus dieser Sache rauskommen, soweit es eben möglich war. Jedenfalls vertrieben Richard und ich uns die Zeit weitgehend so wie schon beim letzten Mal. Saßen viel herum und redeten, wobei sich auch mein Kater dieses Mal aus seinem Versteck traute. Trotzdem machte er weiterhin einen ziemlich großen Bogen um Richard, was vermutlich auch besser so war. Es vergingen fast drei Stunden, bis mich eine weitere Nachricht von Sabin erreichte, die mir vermittelte, dass er in etwa einer Dreiviertelstunde hier sein würde, um den Engländer wieder einzusacken. Etwa zehn Minuten, nachdem mich die Nachricht des Italieners erreicht hatte, forderte ich Richard dazu auf seine Schuhe schon mal anzuziehen und eine kurze Runde mit nach draußen zu gehen. Mir war schon klar, dass das ein bisschen riskant war und ich ihn im Ernstfall auf Teufel komm raus dingfest machen musste, sollte er wirklich versuchen die Biege zu machen, aber ich hoffte einfach mal, dass es dazu nicht kam. Drehte dann auch nur eine gemütliche, etwa zehnminütige Runde mit ihm um den langen Block aus Häusern, damit er einfach mal raus an die frische Nachtluft kam - war ja doch schon wieder 23 Uhr - und ich wusste, wie er darauf reagierte. Zugegeben stand ich zwar permanent unter Strom dabei und fühlte mich nicht ganz wohl, aber ich sollte nicht enttäuscht werden. Denn Richard blieb bei mir, auch wenn ich seinem nicht ganz eindeutigen Gesichtsausdruck wegen mehrfach daran gezweifelt hatte. Wir kamen schließlich wieder in dem uneinsichtigen Hinterhof an, in dem die Haustür zu meiner Wohnung lag, aber ich hielt dort angekommen noch einmal inne. "Bleiben wir noch draußen, bis Sabin kommt? Ist ja nicht kalt.", fragte ich den Dunkelhaarigen danach, ob es für ihn in Ordnung ging, wenn wir einfach hier draußen auf seinen Abholservice warteten. Ich merkte nämlich, dass die klare Luft mir selbst auch gut tat und wenn der junge Mann nichts dagegen hatte, dann würde ich gern noch ein bisschen hier draußen bleiben. Waren ja auch nur noch 25 Minuten und wenn er nicht herumstehen wollte, blieben uns eine etwas in die Jahre gekommene Holzbank und die Treppenstufen vor der Tür übrig, um uns hinzusetzen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Nach dem letzten Besuch bei Samuele folgte wieder eine verdammt lange Zeit des Alleinseins daheim. Eine mildere Art von Folter, wenn man mich fragte, weil sich weiterhin nicht wirklich eindringlich mit mir beschäftigt und ich lediglich durch Kunstzeitschriften, sowie verschiedene Dokumentationen im TV bei Laune gehalten wurde. Voraussetzung für letzteres war jedoch, dass das Wohnzimmer nicht anderweitig belegt war und weil das in einer Unterkunft mit an die fünfzig Mann nur schwierig zu managen war, kam das entsprechend selten vor. Dass das kein wirklich lebenswertes Leben darstellte, musste ich wohl nicht extra noch erwähnen, aber wirklich etwas daran ändern konnte ich wohl nicht. Sabin war weiterhin schwer damit beschäftigt, die Sache mit den Drogen wieder ans Laufen zu bringen und Sydney schien seit ein paar Tagen ziemlich unter Strom zu stehen, wenn sie aus dem Café nach Hause zurück kehrte. Entsprechend viel Zeit verbrachte ich also mit Hunters Schlägern und dass der Umgang mit jenen auf einer vollkommen anderen Ebene total seltsam und unangenehm war, lag dahingehend wohl auf der Hand. Ärger war da irgendwann vorprogrammiert gewesen und heute sollte es das erste Mal so weit sein. Ich war mit jemanden namens Oliver alleine gelassen worden und der Typ machte mir von Anfang an keinen besonders sympathischen Eindruck. Gut, es war jetzt nicht so, als könnte ich die Sippschaft hier im Allgemeinen besonders gut leiden, aber es gab doch den ein oder anderen verhältnismäßig angenehmen Zeitgenossen, in dessen Beisein sich der Entzug nicht wie eine Strafe anfühlte, die ich für dumme Bemerkungen oder Handlungen in der Vergangenheit ganz sicher mehr als verdient hatte. Was den lieben Oli anging... der schien das absolute Gegenteil zu sein und kurzzeitig hatte ich wirklich Angst um mein Leben, als ich ihm circa fünfzehn Minuten am Stück auf den Keks gegangen und er daraufhin wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen war. Aber anstatt mir seine Faust ins Gesicht zu donnern, wie es sich bereits vor meinem geistigen Auge abspielte, traf mich seine flache Hand, mit denen er zuvor in seiner Jackentasche gekramt hatte - vermutlich nach einem Schlagring? - nur reichlich unsanft gegen die Brust und als ich nach Luft japsend an die schmerzende Stelle greifen wollte, fühlte ich nicht viel mehr als die Spritze in meinen Händen, die ich unterbewusst aufgefangen hatte, als Oliver mir diese zugesteckt und sich dann an mir vorbei aus dem Zimmer geschert hatte. Wir hatten uns in der kleinen Abstellkammer, die sich momentan mein Zimmer schimpfte und durch einen Haufen Hefte auch deutlich als solches zu erkennen gewesen war, aufgehalten. Einen Moment lang sah ich dem sichtlich entnervten und mit der Fassung ringenden Mann hinterher, wie er wutentbrannt die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ, dann wanderte mein Blick schließlich auf das Injektionsinstrument mit Inhalt. Die Kanüle wurde durch eine Kappe geschützt, die ich tendenziell nur noch hätte entfernen müssen, um... Nein. Irritiert und sichtlich überfordert sah ich auf die Spritze hinab, dann noch einmal in Richtung Tür und bevor ich über irgendeinen Unfug nachdenken konnte, den ich später ja doch wieder bereuen würde, wanderte sie kurzerhand in meine Hosentasche. Vorsichtig, damit weder etwas brach, noch anderweitig kaputt ging. Einen Augenblick lang hielt ich den Spritzenkörper in meiner Hosentasche mit der Hand umschlossen, dann zwang ich mich jedoch dazu, die Gedanken von dem mir unbekannten Inhalt abzuschütteln, indem ich ein paar Schritte auf die Tür zumachte, um kurz darauf meinen Kopf in den Flur zu stecken, aber Oliver war nirgends mehr zu sehen. Dabei hatte ich so viele Fragen an ihn, die mein nervtötendes Ich gerade in den Hintergrund rücken ließen. Was hatte er mir da gegeben? Und warum? So ziemlich jeder hier in dieser Unterkunft wusste, dass ich momentan einen durchweg schwierigen Entzug durchlebte und waren dazu angehalten, in meiner Gegenwart nichts weiter als Alkohol und Zigaretten zu konsumieren, mir erst recht kein hartes Zeug anzubieten. Bis jetzt hatten sich auch ausnahmslos alle, die mit der Aufgabe, ein Auge auf mich zu haben, gestraft waren auch daran gehalten - nur der hochgewachsene, recht breit gebaute Norweger nicht. Man konnte es hier wohl niemanden verübeln, wenn einer nicht das nötige Interesse an meinem Wohlbefinden aufbringen konnten, weil man einander schlichtweg nicht gut genug kannte, aber das man Jemanden, von dem man wusste, dass er versuchte, von den Drogen wegzukommen, irgendeinen Mist in die Hand drückte... das war auf eine ganz andere Art und Weise ziemlich... keine Ahnung, ein treffendes Wort fiel mir dafür im Augenblick nicht ein. Dafür war ich viel zu durch den Wind, aufgewühlt, wusste überhaupt nicht, wie ich mich verhalten sollte und daraus resultierend saß ich eine halbe Ewigkeit wohl reglos auf meinem Bett. Einerseits war das Bedürfnis, mir die Nadel in den Arm zu jagen schon da und jetzt, wo ich wusste, dass ich weiß Gott was für welchen Stoff da hatte, nicht erst an ihn heran kommen musste, reizte mich das natürlich gleich viel mehr, aber... aber ich war so weit gekommen und merkte ja selbst, dass es von Tag zu Tag immer ein Stückchen besser wurde. Auch wenn das Umfeld dafür keineswegs optimal war und meine Psyche langsam aber sich Adieu sagte, schien sich mein Körper von dem Nervengift beinahe gänzlich entschlackt zu haben und eigentlich wollte ich diesen Erfolg nicht aufs Spiel setzen. Ich war gerade dabei, tiefer in Gedanken versinken zu wollen, als Sabin plötzlich in der Tür stand und sich entsprechend des nicht vorhandenen Aufpassers irgendwas in den Dreitagebart murmelte, aber mir war das Herz aus ganz anderen Gründen in die Hose gerutscht. Die Angst, aus Misstrauen noch einmal von dem Italiener gefilzt zu werden - man könnte ja davon ausgehen, dass ich länger alleine gewesen war und mich weiß Gott wo herumgetrieben hatte, nur um später hier wieder brav auf meinem Bettchen zu hocken -, war ich förmlich aufgesprungen, als ich seine Anwesenheit vernommen hatte und kurzzeitig kehrte Stille zwischen uns ein. Jedoch schien Sabin es ziemlich eilig zu haben und anstatt Fragen zu stellen, scheuchte er mich kurze Zeit später vor sich her ins Auto, um mich binnen weniger Minuten bei Sam abzuladen, was ich am heutigen Tag durchaus begrüßte. Dort hatte ich immerhin ausreichend Zeit, über den ganzen Quatsch von gerade eben nachzudenken und ohnehin war die Nähe des weitaus umgänglicheren Italieners wie Balsam für die Seele. Die Worte, welche Sabin für seinen Landsmann übrig hatte, als wir irgendwann reichlich später bei ihm im Flur standen, ließen auch mich erleichtert aufatmen, denn heute hätte ich mich mit dem Metall an meinen Händen vermutlich nicht anfreunden können. Aber wie dem auch sei. Jedenfalls verschwand doch Volltätowierte kurz darauf auch schon und ließ uns zwei Jammerlappen alleine zurück. Eingangs versuchte ich wirklich noch, den Abend zu genießen und mich durch Konversationen mit Samuele ablenken zu lassen, wobei der Spaziergang gen Ende der ganzen Veranstaltung sicher auch einen positiven Teil beitrug, aber da ich mit den Händen in der Hosentasche ja doch immer wieder Kontakt mit der Kappe hatte, die die Kanüle vor dem Eindringen von Dreck schützte, bekam ich meinen Kopf ja doch nicht ganz frei und so seufzte ich wieder an der Haustür des Cafébetreibers angekommen schwer. Ich müsste lügen, hätte ich behauptet, nicht zwischendrin darüber nachgedacht zu haben, an einer Abzweigung einfach eine andere Richtung in die Dunkelheit einzuschlagen, ging ich doch mittlerweile davon aus, dass Sam auch vor mir genug Respekt hatte, mir nicht allzu nahe zu treten, wenn ich ihm klar machte, dass ich das nicht wollte, aber ich entschied mich doch ganz bewusst dagegen. Na ja, zumindest der noch ansatzweise vernünftig denkende Teil meines Schädels, der weiterhin mit aller Kraft an meine Vernunft appellierte und mich darum bat, die Spritze einfach in der nächsten Mülltonne zu entsorgen. Tatsächlich war ich an einer Straßenecke kurz angehalten und hatte mit dem Gedanken gespielt, das Zeug einfach wegzuwerfen, womit ich dem guten Sammy wohl einen Heidenschreck eingejagt hatte, weil ich inmitten einer Konversation einfach geschwiegen hatte und stehen geblieben war, aber dann war ich ja doch weiter gelaufen und so ging der Spaziergang alles in allem ohne größere Zwischenfälle zu Ende. Auf die Frage, ob wir noch ein wenig draußen bleiben wollten, nickte ich nur schwach und zuckte ein wenig mit den Schultern. "Ja... ist vielleicht ganz gut. Die Luft ist schön klar.", stellte ich fest, wobei es im Shirt jetzt trotzdem nicht unbedingt kalt war. Aber der frische, unverbrauchte Sauerstoff tat nun mal einfach gut und half mir dabei, mich gedanklich ein wenig zu sortieren. Letzten Endes sah ich meinen Begleiter ein wenig nachdenklich an, weil mir klar geworden war, dass ich ja doch wieder Konsumieren würde, wenn mich nicht jemand davon abhielt und deswegen sprach ich Samuele kurzerhand auf den Erwerb der Spritze mit mir unbekannten Inhalt an. Klar, hätte da am Ende auch einfach nur irgendein blödes Antibiotikum oder Impfmittel drin sein können und der Typ wollte sich bloß einen Spaß mit mir erlauben, aber selbst wenn dem so gewesen wäre, hätte es mir so oder so eine Menge Ärger eingehandelt, wenn Sabin davon Wind bekommen hätte. Schließlich zählte einfach nur die Tatsache, dass ich tatsächlich wieder zu der Spritze gegriffen hatte, ganz gleich, was ich mir damit letztlich durch die Venen jagte. "Sam... ich... ich hab ein Problem. Also... ganz offensichtlich, ich weiß, aber ich meine... heute... ich...", stammelte ich verzweifelt und nach Worte ringend, als ich die Hand aus der Hosentasche zog, um dem jungen Mann ganz einfach zu zeigen, was los war war. Ich öffnete jene Hand, um meinem Gegenüber den Inhalt preiszugeben - wohl war mir dabei natürlich nicht. "Das habe ich von... von dem Typen bekommen, der heute Mittag auf mich aufgepasst hast. Ich... weiß nicht, was ich damit machen soll..." Meine Stimme glich mittlerweile einem Flüstern, als mein unsicherer Blick das Instrument in meinen Händen begutachtete. In ihm lag der Ausdruck von Sehnsucht, gleichzeitig aber auch von Abneigung und Ekel. Ich wollte nicht wieder tiefer ins Loch zurück fallen, aus dem ich mich bis dato mühselig hinauf gekämpft hatte. Andererseits gab es noch immer nicht besonders viel in meinem Leben, was mich davon abhalten konnte, nicht einfach in den Tag hinein zu leben und irgendwann ins Gras zu beißen. Es war schwierig, wirklich, aber ich klammerte mich an die Worte Sabins, mit denen er mir mitgeteilt hatte, dass es tatsächlich Menschen gab, denen ich augenscheinlich am Herzen lag. Zwar glaubte ich ihm noch immer nicht wirklich, dass da wirklichetwas dran war, aber ich wollte der Aussage zumindest eine Chance geben und machte sie kurzerhand zu der Sache, die mich irgendwie doch davon abhielt, mein Leben einfach wegzuwerfen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich ahnte schon absolut Schlimmes, als Richard vollkommen aus dem Nichts zu einem wirr zusammengestammelten Geständnis ansetzte. Immerhin wusste ich nicht so wirklich, wo wir gerade standen und was er von mir hielt. Konnte so aus dem Stegreif lediglich beurteilen, dass ich von meiner Seite aus behaupten konnte, mich nicht mehr so unwohl in seiner Gegenwart zu fühlen, wie das noch das letzte Mal der Fall gewesen war. Natürlich hatte der Engländer wohl genauso wie der Rest der Truppe einen Knacks in der Birne, aber den brauchte man wohl einfach in diesem Metier. Das würde zumindest sehr eindeutig erklären, warum ich mich in jenem nicht wohlfühlte und mich dort auch nicht wohlfühlen wollte - mir fehlte halt der ausschlaggebende Knacks oder ein Trauma, das mich das Leben mit anderen Augen sehen lassen würde. Ich war vielleicht ein bisschen zu anhänglich bei Leuten, die ich gern hatte, weil ich früher so viel allein gewesen war, aber das war tatsächlich so ziemlich meine einzige Macke und die war eigentlich nichts Schlechtes. Zwar hieß das auch, dass ich mich gerne mal zu schnell von Jemandem abhängig machte, wenn meinem Unterbewusstsein gerade der Sinn nach hoffnungslosen Romanzen stand und ich dann im Anschluss nach Beendigung ein paar Tage lang ziemlich durchhing, aber das war zu verschmerzen. Nicht vergleichbar mit einem Kollateralschaden wie seine toten Eltern zu Kunst umzuformen oder wie ein Berserker wahllos Leute abzuschlachten, wie der Amerikaner das beispielsweise tat. So oder so fragte ich mich jedoch, warum der Engländer nun ausgerechnet mir Irgendetwas anvertrauen wollte, das ihm ganz offensichtlich nicht leicht fiel. Ich sah ihn wohl auch schon ziemlich unruhig an, nachdem er die ersten paar Worte losgeworden war und als er dann die Hand aus der Hosentasche zog, hätte mich die Paranoia beinahe sofort rückwärts stolpern lassen. Stattdessen hielt mich jedoch die anschwellende Angst an Ort und Stelle und ich verkrampfte mich kurzzeitig. Wer wusste schon, was er hervorzog? Könnte ein Messer sein, mit dem er mir jetzt doch noch den Ofen ausmachen wollte und ich glaubte auch zu wissen, dass es in meiner Position absolut berechtigt war, dass ich mir schwer damit tat ihm zu vertrauen... umgekehrt war das aber eher nicht der Fall, wie mir schien. Denn es war keinerlei Form von Waffe, die er da hervorzauberte, sondern etwas ganz anderes, das er mir hier und jetzt anvertrauen wollte. Meine Augen weiteten sich prompt ein wenig und ich ließ meinen Blick mehrfach zwischen dem Dunkelhaarigen und der Spritze auf und ab wandern, weil ich im ersten Moment wirklich nicht wusste, was ich nun dazu sagen sollte. Ich konnte ja auch nicht wirklich wissen, ob er die Nadel nicht schon einmal angesetzt und danach wieder sauber gemacht hatte. Natürlich war da noch Inhalt vorhanden, aber ich wusste weder, was da drin war, noch welche Dosierung von Nöten war. Mit dem Spritzen etwaiger Drogen hatte ich mich aus gutem Grund nie auseinandergesetzt und dementsprechend mangelte es mir da ganz einfach an Wissen. "Hast du... du hast nicht, oder?", hakte ich selbst ein bisschen wirr klingend nach, weil ich im ersten Augenblick wirklich nicht wusste, was ich tun oder sagen sollte. Andererseits konnte es wenn, dann auch nicht viel gewesen sein, weil Sabin das sonst sicher an Richards Verhalten gemerkt hätte. Ich genauso, wäre er doch bei Weitem nicht der erste Kerl, der von Rauschmittel getränkt neben mir stand, saß oder lag. Der Dunkelhaarige schien mir heute einfach nur relativ ausgeglichen und nicht so sehr auf Krawall gebürstet zu sein wie bei seinem letzten Besuch bei mir, was am ehesten ganz einfach auch nur daran liegen könnte, dass die Entzugserscheinungen weniger wurden. High wäre er sicher ziemlich anders drauf. Ich tippte also nicht darauf, dass er die Nadel tatsächlich angesetzt hatte, hätte aber trotzdem gern ein paar ehrliche Worte von ihm, was das anbelangte. "Warum stellst du dir die Frage überhaupt? Ich glaube nicht, dass du das wirklich willst... wieder abhängig werden, meine ich. Der Entzug ist Folter, das weiß ich... aber Drogen retten dich ganz bestimmt nicht, Richard. Das musst du selber machen.", fügte ich danach noch ein paar gemurmelte Worte hinzu, wobei mein Blick dann endgültig auf seinen Augen haften blieb. Meine verspannten Schultern lockerten sich wieder, weil letztlich ja doch gar keine akute Gefahr von dem ausgemergelten Mann ausging. ich wusste zu gut wie schwer es war konsequent nüchtern zu bleiben, wenn man sich zuvor tage-, wochen- oder gar monatelang das Leben mit Drogen versüßt hatte. Dabei spielte der Beweggrund nur mehr oder weniger eine Rolle, wenn der Körper erst einmal abhängig war. Natürlich war die Psyche das schwerwiegendere Problem, weil sie einem vehement einredete, dass man den Scheiß brauchte, obwohl das gar nicht der Fall war, aber der Körper machte es einem mit den Symptomen des Entzugs eben absolut nicht leichter. Trotzdem war der Kopf für den Wendepunkt zuständig und Richard täte gut daran jetzt nicht wieder einzuknicken und umzukehren, wo er doch eigentlich den richtigen Weg eingeschlagen hatte. In jedem Fall war es nicht besonders nett gewesen, dass er das Teil mit zu mir genommen hatte. Würde ihn Sabin später damit erwischen fiel der Verdacht doch am ehesten auf mich, oder? Wäre zumindest naheliegend, wenn man mich fragte und dementsprechend wäre ich RIchard wirklich dankbar dafür, wenn er das Teil so schnell wie möglich außerhalb der Grundstücksgrenze meiner sehr liebenswerten Vermieterin loswurde.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Samuele schien selber erst einmal ein Stück weit verwirrt darüber zu sein, dass ich ihn so plötzlich mit dem mich plagenden Problem behelligte, waren die wenigen Worte, zu denen er ansetzte, doch nicht weniger wirr, als es meine eingangs gewesen waren. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln, weil mir persönlich auch noch nicht ganz klar war, warum ich mich letztlich dazu entschieden hatte, mich ihm anzuvertrauen. Schließlich war da noch Sydney gewesen, die mir sicherlich ihr Ohr hätte leihen können oder aber besser noch - ich wäre direkt damit zu Sabin gegangen. Hätte ihn darüber informiert, was in meinem Zimmer vorgefallen war und ihm die Spritze als Zeichen meines guten Willens übergeben, damit er sie vernichten konnte und dadurch sah, dass ich sie gar nicht hatte haben wollen - obwohl das so ja leider nicht wirklich stimmte, aber es würde Sabin immerhin darin bestätigen, dass ich die Sache mit dem Entzug wirklich ernst nahm und der anfängliche Aufriss sich nicht noch einmal wiederholen würde. Stattdessen hatte ich mich dazu entschieden, ihm den Besitz der Drogen zu verheimlichen, womit der Ärger doch irgendwie schon wieder vorprogrammiert war. Daran dachte ich in diesem Moment jedoch gar nicht, weil... weil ich einfach nicht wirklich klar denken konnte. Es fiel mir verdammt schwer, mich zu sortieren und so stand ich noch eine halbe Ewigkeit einfach nur da und lauschte den Worten des Italieners, der mich unter anderem fragte, ob ich mir von dem Zeug bereits etwas injiziert hatte. Dass ich daraufhin schnell und vor allem sehr entschieden mit dem Kopf schüttelte, wäre als Antwort vermutlich ausreichend gewesen. Dennoch unterstrich ich die Geste noch einmal klipp und klar mit einem "Nein, ich hab' mir davon nichts gespritzt." ... Aber ich hätte gerne. Das Verlangen war da, aber die beschwichtigen Worte des jungen Mannes, der mit der Gesamtsituation überfordert schien, verfehlten ihre Wirkung nicht und so setzte ich mich leise seufzend in Bewegung, um die paar wenigen Schritte in Richtung der Treppe vor dem Eingang in den Hausflur zu überbrücken. Resigniert ließ ich mich auf einer der staubigen Treppenstufen nieder und stützte die Ellenbogen jeweils auf den angewinkelten Knien ab. Die Spritze hielt ich dabei weiterhin fest in der Hand, ohne sie jedoch kaputt zu machen. Wobei sich das Problem damit sicher auch geklärt hätte. Wäre das Teil erst einmal verbogen oder brach etwas ab, dann ließ sich der Inhalt ohnehin nicht mehr injizieren und ich brauchte mir keine weiteren Gedanken darüber machen, wie ich mich jetzt am besten verhielt. Denn das raubte mir gerade wirklich den letzten Nerv. Auf der einen Seite konnte ich absolut und bis ins letzte Detail nachvollziehen, dass Samuele nichts als Recht hatte und ich besser die Finger von dem Zeug lassen sollte, auf der anderen Seite... Stop. Vermutlich würde mir die Entscheidung schon dadurch leichter fallen, wenn ich den Gedanken an die Drogen erst gar keine Chance gab und so verbannte ich das 'Was wäre, wenn ich die Nadel jetzt doch ansetzen würde'-Denken ganz schnell wieder, nickte stattdessen zustimmend. "Ich weiß nicht... ich... du hast Recht. Aber... ich habe das Gefühl, dass es nie so sein wird, wie früher. Schließlich...", und wieder brach ich mitten im Satz ab, weil ich gar nicht so schnell überlegen konnte, was ich jetzt sagen wollte, als mein Mund zu reden anfing. Letzten Endes wollte ich lediglich darauf hinaus, dass alleine der bloße Anblick einer Spritze, wo potenziell und auch nur ganz vielleicht der berauschende, mittlerweile wohl nur noch von meiner Psyche begehrte Stoff drin war, ausreichte, um mich aus der Fassung zu bringen. Wie würde ich es dann schaffen, in einem Labor zu arbeiten, der genau diesen Scheiß auch noch produzierte? Das erschien mir als noch sehr viel schlimmere Folter, als all der ganze Entzug es bis hierhin gewesen war und ich wagte zu bezweifeln, dass sich das irgendwann noch einmal ändern würde. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass es in meinem Oberstübchen dann nicht doch irgendwann noch einmal Klick machte, weil der Zugang zu den Drogen dann ein ziemlich einfacher wäre. Und dass ich nicht besonders gut darin war, die Auswirkungen der Amphetamine auf meinen Körper zu verheimlichen, würde mich Sabin spätestens dann wirklich einen Kopf kürzer machen. Demnach überschlugen sich meine Gedanken gerade ziemlich und ich stützte den gefühlt Tonnen schweren Kopf auf meinem linken Arm ab, während ich zu Sammy nach oben sah. "Was ich sagen will ist, dass ich nach einem erfolgreichen Entzug den Mist hier", ich hielt das medizinische Instrument zur Verdeutlichung meiner Worte in die Höhe, "herstelle und... ich habe einfach immer noch das Bedürfnis, mich einfach abzuschießen. Keine Ahnung, wie das jemals zusammenpassen soll, aber ich habe Angst davor, Sam. Davor, dass ich mich doch wieder verliere.", gestand ich offen, wenn auch ziemlich leise. Dabei konnte man von Verlieren und einem erfolgreichen Entzug in dem Sinne und noch nicht wirklich reden, das implizierte nämlich, dass ich mich bereits wieder gefangen hatte und auch meine Psyche sich von dem Absturz bereits erholt hatte. Nicht mehr nur an den Stoff dachte und gerade letzteres war ganz offensichtlich nicht so. Andernfalls hätte ich das Teil in meinen Händen schon ziemlich bestimmt in den Müll oder einfach auf die Straße geworfen, aber ich hielt es weiterhin in meinen Händen. Fast schon behutsam, als hätte ich einen zerbrechlichen Schmetterling in den Händen oder so.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Immerhin schien ich mich was den erneuten Konsum seitens des Dunkelhaarigen anging nicht getäuscht zu haben und atmete doch hörbar erleichtert aus, als er mir offenbarte, dass er die Finger von dem Stoff gelassen hatte. Das war doch schon mal was und was das anging durfte er sich wegen mir gerne einmal ordentlich auf die Schulter klopfen. Es war ihm anzusehen und anzuhören, dass er durchaus darüber nachgedacht hatte, weil er nach wie vor einem verwirrten Tier glich, das vollkommen die Orientierung verloren zu haben schien. Oder zumindest fast ganz, weil er sich ja letztendlich doch dazu entschieden hatte das Rauschmittel nicht anzufassen. Gerade die Tatsache, dass er das Teil so lange mit sich herum geschleppt hatte, hatte die Chance auf Einknicken maßgeblich erhöht. Richard hatte dem Ganzen jetzt mehrere Stunden standgehalten, obwohl er sich durchaus nach dem Zeug verzehrte und das war eine ansehnliche Leistung für sich. Er gab mir auch Recht mit dem, was ich sagte, setzte sich zwischendurch irgendwann mal hin und ich sah ihm vorerst nur nach. Blieb stehen wo ich war, während ich dem Engländer weiter mein Gehör schenkte. Letztlich kam ich dann zwar ein paar Schritte auf ihn zu, blieb jedoch stehen. Ich war einfach noch immer ein kleines bisschen unruhig und da war mir nicht so nach sitzen. Natürlich hatte der junge Mann auch vollkommen recht mit dem, was er im Verlauf noch sagte. Ich stellte es mir extrem heikel vor ihn wieder in die Drogenproduktion zu verwickeln, nur weil er auf den ersten Blick clean war. Ein paar Wochen nichts zu sich genommen zu haben und rein körperlich wieder auf dem Damm zu sein setzte der Psyche eben noch lange keinen Riegel vor. So war es vielleicht sogar nur eine Frage der Zeit, bis Richard wieder zugreifen würde, wenn das Leben ihm erneut einen unschönen Schlag verpasste. Es reichte da sicher schon ein auf den ersten Blick kleiner Zwischenfall, der ihn runterzog und ihm dann erneut weiß machen wollte, dass Drogen jetzt gut wären, um den Rückschlag besser zu verkraften. Das musste tunlichst vermieden werden, sonst ging der ganze Scheiß ja nur wieder von vorne los. Seine Angst vor einem Rückfall war gerade in dieser Situation mehr als berechtigt und ich war wohl der letzte, der ihn deswegen auslachen oder anderweitig nicht ernst nehmen würde. Deshalb brauchte er ganz dringend irgendetwas Neues, auf das er sich fixieren konnte. "Ja, dass das absolut kontraproduktiv ist lässt sich nicht leugnen.", stimmte ich dem jungen Mann dicht gefolgt von einem leisen Seufzen zu, was diese Geschichte anging. Daran gab es nun mal einfach nichts schön zu reden und auch nichts zu rütteln. Ich raufte mir die Haare und versuchte irgendwelche Worte zu finden, die ihm vielleicht einen Funken Hoffnung geben könnte. Letztere war in Momenten wie diesem hier ganz einfach wahnsinnig wichtig - man sagte nicht umsonst, dass die Hoffnung immer zuletzt starb. "Sieh mal, Richard... ich glaube, was dir gerade fehlt, ist vor allem ein neues Ziel vor Augen, auf das du hinarbeiten möchtest. Dass dich das Drogen kochen nicht gerade erfüllt ist ja offensichtlich...", setzte ich dazu an ihm vor Augen zu führen, dass ein stumpfer Entzug allein kaum reichen würde, um ihn dauerhaft clean zu halten. War bei mir damals nicht anders gewesen. Hätte ich nicht den Ansporn dazu gehabt etwas neues und besseres aus mir zu machen, würde ich wohl noch heute alle ein bis zwei Tage irgendwas in mich reinschmeißen oder rauchen und mich selbst in den Ruin treiben, während ich mit anderen Abhängigen in irgendeinem Wohn- oder Schlafzimmer versumpfte. Jetzt ließ ich mich ja doch neben ihm auf den Stufen nieder, weil auf ihn hinabzureden irgendwie auch nicht so ganz richtig auf mich wirkte. "Du hast doch gerade sowieso ziemlich viel Zeit. Ich weiß, dass das natürlich leichter gesagt als getan ist, aber vielleicht solltest du die Zeit einfach dazu nutzen, dir darüber klar zu werden, wo du mit deinem Leben jetzt hin willst, nachdem ihr Alle diesen Neustart hingelegt habt. Du brauchst Irgendwas, worauf du hinarbeiten und dich freuen kannst, damit du die Motivation zum clean bleiben nicht verlierst.", redete ich weiter vor mich hin und zuckte im Anschluss daran ein klein wenig mit den Schultern. Ohne Ziele im Leben lebte es sich allgemein nicht besonders glücklich, denn Erfolge zu erlangen war, was die meisten Menschen am meisten antrieb. Vor allem solche, die nicht auf den Kopf gefallen und nicht damit zufrieden waren, stumpf vor sich hinzuleben. Richard war zu schlau, um sich komplett von einem Geschäft abhängig machen zu wollen, das wohl nicht mal wirklich ihm gehörte und außerdem war die Drogenherstellung erst recht nicht das, was ihm jetzt Auftrieb geben würde. Ich hätte mir wohl noch ewig den Kopf darüber zerbrochen, hätte ich im Augenwinkel nicht sowas wie einen großen, dunklen Schatten wahrgenommen und daraufhin reflexartig den Kopf in jene Richtung gedreht.
Ich versuchte wirklich Richard das Leben nicht schwerer zu machen, als es unbedingt sein musste. Es war nur echt nicht leicht die Treffen mit Hunter, das zeitintensive Drogenkochen, Sydney und auch den Engländer unter einen Hut zu kriegen. Zwar verliefen die geschäftlichen Gespräche mit dem hitzköpfigen Amerikaner meistens eher knapp und wir setzten uns nur gegenseitig über den aktuellen Stand in Kenntnis, solange es nichts zusammen auszuarbeiten gab, aber danach brauchte ich meistens trotzdem erstmal ein paar Minuten für mich. Ich ließ es mir so wenig wie möglich anmerken, aber es machte mich doch schon ein bisschen nervös, auf was für einem riesigen Schuldenberg ich saß. Ich hatte mich noch nie derartig hoch verschulden müssen und Hunters Geduldsfaden war kurz. Früher oder später säße mir zweifelsfrei die Zeit mitsamt Tod im Nacken, wenn ich Richard nicht wieder auf die Beine bekam und das letzte, was ich gerade wollte, war, dass der unkalkulierbare Kopf unserer Organisation den Junkie auf Entzug einfach umlegte, weil er ihn ohnehin nicht ausstehen konnte und er nicht mehr von Nutzen war. Ich war mir zumindest nicht sicher damit, dass Cosma ihn im Ernstfall davon abhalten konnte Richard kaltzumachen, also wollte ich mich nur sehr ungern darauf verlassen müssen. Ich wusste, dass es nichts brachte dem Kunstfanatiker Druck zu machen, aber er musste langsam in die Gänge kommen. Eine Flucht vor dem Hitzkopf konnten wir uns beide nicht leisten und ich hatte auch nicht vor ihn dem Amerikaner zu überlassen, nur um meinen eigenen Kopf zu retten. Früher hätte ich das wohl gemacht ohne mit der Wimper zu zucken, aber ich hatte mich nicht umsonst von der italienischen Mafia abgewendet. Wollte es jetzt besser und anders machen. Sydney war momentan wohl so ziemlich mein einziges Ventil dafür vor lauter Druck nicht einfach abzuheben und ich war ihr wirklich dankbar dafür. Es tat einfach wahnsinnig gut wieder eine Frau an meiner Seite zu haben, die mir ihr Gehör schenkte und mir sogar auch noch mit Richard half, obwohl sie im Café schon viel Stress bei der Arbeit hatte. Die im Rausch beschlossenen, nüchternen Küsse waren inzwischen auch passiert und sie fühlten sich noch wesentlich besser an als die wackeligen Angelegenheiten, die wir betrunken angegangen waren. Lange Rede, kurzer Sinn - Sydney hin oder her, ich stand einfach von Tag zu Tag immer etwas mehr unter Strom, auch wenn ich mich bemühte weiterhin Allen gegenüber möglichst ruhig zu bleiben. Ich war froh darüber mir ein paar Minuten meiner momentan eher rar gesäten Zeit zurückgeholt zu haben, indem ich mich jetzt im Schlussakkord beim Abfüllen und Verpacken des Crystals beeilt hatte. Dementsprechend war ich ein klein wenig früher fertig geworden als ursprünglich angedacht, was wohl vor allem von Richard nicht so geplant gewesen war. Die beiden hatten scheinbar nicht gehört, dass ich unweit an der Straße gehalten hatte, weil sie sonst kaum so hier säßen. Es war unumgänglich, dass mir der Puls sofort gefühlt um tausend Prozent anschwoll, als ich in den Hof eingebogen war und den Engländer neben Samuele mit einer Spritze in der Hand erblickte. Das hatte man also davon, wenn man den beiden sein Vertrauen schenkte? Wenn man darauf baute, dass sie zumindest gemeinsam insgesamt schlau genug dazu waren einzusehen, dass Drogen in keiner Form irgendeine Art von Lösung waren? Mein Landsmann sah mich wohl als erstes energischen Schrittes auf sie zukommen, weil er die Hände beschwichtigend anhebend aufstand und mir zwei kleine Schritte entgegenkam. "Sabin, bitte lass uns das...", setzte er hektisch dazu an mich von meinem aktuellen Pfad abbringen zu wollen, aber ich unterbrach ihn forsch damit, dass ich ihn wortlos ganz einfach eine Hand seitlich an seine Schulter legte und ihn ziemlich schwungvoll zur Seite schubste. Er konnte wohl von Glück reden, dass nicht er derjenige war, der das Teil gerade in den Händen hielt und damit nicht mein primäres Ziel war. Richard hingegen schlug ich zuerst mit einer Hand ziemlich grob die Spritze aus seinen Griffeln, bevor ich ihn eng am Kragen packte und ihn auf die jämmerlich dünnen Beine zog, ohne ihn danach loszulassen. "Woher hast du das und seit wann?", knurrte ich ihm zwei Fragen in einem Satz ins Gesicht, die Augen wütend funkelnd. Er war mit seinem Gesicht nicht allzu weit von meinem entfernt. "Fangt lieber schon mal an zu beten, falls ihr grade einen Spaziergang unternommen habt, um dir diese Scheiße zu besorgen..!", warf ich noch an beide gewandt ein paar Worte hinterher, die Augen aber weiterhin nur in Richards gerichtet. Falls er mich gleich anlog, dann wollte ich es ihm ansehen können. Bei der Mafia lernte man schlichtweg irgendwann ein intuitiv guter Lügendetektor zu sein, weil das eigene Leben davon abhing, wem man traute und wem nicht. Der Dunkelhaarige täte jetzt also gut daran mich nicht an der Nase herumführen zu wollen. Seit dem Zaun müsste er aber ohnehin eigentlich wissen, dass er davon nichts haben würde.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Auch ohne das Wissen, dass Samuele vor einiger Zeit selbst noch drogenabhängig gewesen war, konnte man das seinen folgenden Worten ziemlich deutlich entnehmen. Ich konnte mir zumindest nicht vorstellen, dass Jemand, der noch keinerlei Erfahrung mit dem Missbrauch von Rauschmitteln gesammelt hatte, diese Weisheiten besaß, mit denen er versuchte, mich davon zu überzeugen, dass ein normales Leben ohne Drogen und mit dem richtigen Ansporn wieder möglich war. Das Recht, so etwas zu behaupten, gebührte nur dem, der es tatsächlich geschafft hatte, sich aus dem Sumpf zu ziehen und auch wenn ich mir wirklich nicht vorstellen konnte, dass der junge Mann, welcher erst vor mir stand und letztlich neben mir saß, jemals auch nur ansatzweise die Kontrolle über sein Leben verloren hatte, kaufte ich ihm das, was er da sagte, sofort ab. Wollte einfach daran glauben, dass es besser wurde, wenn man über die schlechten Dinge im Leben hinweg sah und sich ausschließlich auf das Positive fokussierte. Zwar war es nahezu unmöglich, die schlimmen Erfahrungen einfach so aus meinem Oberstübchen zu verbannen, aber davon war ja auch überhaupt nicht die Rede gewesen. Aber ich sollte mir langsam darüber im Klaren werden, dass sich Vergangenes einfach nicht mehr ändern ließ und ich - wie Samuele das schon treffend formuliert hatte - eigens für meine Zukunft verantwortlich war. Entscheiden konnte, ob ich mich weiterhin in Selbstmitleid und den Drogen verlor oder dem Leben noch eine Chance gab. Aber an genau diesem Punkt angekommen, wusste ich einfach nicht mehr weiter. Laut Sam brauchte ich also ein neues Ziel vor Augen. Einen Ansporn, der mich weiterkämpfen ließ, ohne einzuknicken und das war es, woran es bei mir vermutlich scheitern würde. Wie bereits im Gespräch bei unserem vorherigen Treffen erwähnt, hatte ich weder viele Freunde, noch eine Familie und hier auf Kuba kannte ich zudem auch keine Menschenseele. Es war also schwer, auf etwas hinzuarbeiten, wenn einem das Ziel noch überhaupt nicht klar war, aber ja. Genug Zeit, um darüber nachzudenken hatte ich allemal und ich würde mir diesen Tipp wohl auch zu Herzen nehmen. Es zumindest versuchen und wenn ich kläglich scheiterte, mir nichts einfallen wollte, dann konnte ich ja immer noch aufgeben. Immerhin hatte mir der Fortschritt bis hierhin ein wenig Kraft gegeben, nicht mehr ausnahmslos Alles tiefschwarz zu sehen. Andernfalls hätte ich die Worte des Italieners wohl einfach abgewunken und mich mit meinem Arsch auf seine Meinung drauf gesetzt. Aber ich nahm die Worte des durch Sabin zum Psychotherapeuten ernannten jungen Mannes gerne mit. Würde in den kommenden Tagen versuchen, mir darüber darüber Gedanken zu machen, ob ich mir selbst wichtig genug war, weiterzukämpfen oder ob es noch etwas anderes gab, für das es sich durchzuhalten lohnte. Voraussetzung hierfür war allerdings, dass ich die nächsten Tage noch überlebte und durch das folgende, ziemlich abrupt eingeleitete Szenario war ich mir dahingehend gar nicht mal mehr so sicher. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass Sabin den Hof betreten hatten, was wohl nicht zuletzt auch daran gelegen hatte, dass mein Blick pausenlos entweder auf der Spritze oder in den Augen Samueles gelegen hatte, aber man hätte ihn schon kommen hören können. Nur war ich durch das Gespräch und meinen eigenen Gedanken derart abgelenkt gewesen, dass die energischen Schritte irgendwie an mir vorbeigezogen waren. Außerdem hatte ich so rein von der Zeit her auch noch überhaupt nicht mit ihm gerechnet. Sollte er nicht erst in gut einer Viertelstunde kommen? Es war die denkbar ungünstigste Szene, in die er gerade hineinplatzen konnte, ließ sich doch so vieles falsch interpretieren und Sabin fing auch direkt damit an, die Dinge in den vollkommen falschen Hals zu bekommen. Ich hatte gerade dazu ansetzen wollen, Sam darüber aufzuklären, dass ich es zwar versuchen würde, etwas zu finden, wofür es sich leben und auch zu kämpfen lohnte, ich mir aber weiterhin nicht sicher damit war, das wirklich zu packen, als besagter junger Mann von der Treppe aufsprang, um dem anrollenden Untergang beschwichtigend entgegenzutreten. Erfolglos, aber das war wohl selbstredend. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, blinzelte nur noch ziemlich perplex, als Sabin mir gegen die Hand schlug, welche bis eben noch die Spritze gehalten hatte. Jenes medizinisches Instrument flog einen hohen Bogen und zerschellte unweit von uns auf dem asphaltierten Boden. Nur ein kurzer, flüchtiger Blick in Richtung winzigen Scherben, mehr Zeit blieb mir nicht, den Drogen nachzutrauern, denn Sabin zog mich kurzerhand ziemlich unsanft auf die Beine und weil bei mir sämtliche Gefühle ohnehin Achterbahn fuhren, war es nicht übertrieben, zu behaupten, dass ich gerade tatsächlich so etwas wie Angst hatte. Ich wusste zwar, woher ich das Rauschmittel tatsächlich hatte und das davon nichts durch meinen Körper waberte, aber konnte ich Sabin davon auch überzeugen? Ich wagte es zu bezweifeln, war meine Stimme beim Ansetzen zu einer Antwort doch ziemlich dünn. "Ich... das... Oliver. Und seit er mich alleine im Zimmer gelassen hat... er... er hat mir das Zeug in die Hand gedrückt und ist gegangen.", stotterte ich erst einmal wahrheitsgemäß die Antworten auf seine Fragen vor mich hin, sah Sabin dabei fast schon etwas panisch an. Schließlich hatte ich mir wirklich nichts zu Schulden kommen lassen und wäre er zur abgemachten Zeit hier eingetroffen, hätte die Sache auch ganz anders ausgesehen. Denn wenn er mir nicht die Spritze aus der Hand geschlagen hätte, dann wäre sie sehr sicher durch Sam im nächsten Mülleimer gelandet. Nach den aufbauenden Worten des deutlich jüngeren Italieners glaubte ich nämlich fest daran, dass ich ihm das Teil einfach überlassen und meinen Entzug Erfolge verzeichnend fortgesetzt hätte. "Ich hab mir nichts gespritzt, Sabin. Ich schwöre es dir!", beteuerte ich im nächsten Atemzug meine Unschuld und fummelte hektisch und mich wackeligen Beinen an den langen Ärmeln meines Shirts, um sie beidseitig bis über die Armbeuge zu ziehen. Es zierten zwar noch immer einen Haufen blauer Flecke meine Arme, aber es waren keine frischen Einstichstellen zu sehen, was dafür sprach, dass ich das Zeug nicht angerührt hatte. Und auch die leicht glasig werdenden Augen sollten dafür sprechen, dass mich Sabins plötzliches Auftauchen auf verschiedenen Ebenen gänzlich aus der Bahn geworfen hatte. Ich wusste nicht so recht, wie ich mich ihm gegenüber jetzt verhalten und was ich noch dazu sagen sollte, um die Sache nicht noch schlimmer zu machen oder mir im schlimmsten Fall noch eine Faust einzuhandeln. Die von Sam bei unserem letzten Treffen war absolut ausreichend gewesen, da konnte ich auf eine Auffrischung wirklich verzichten.
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Da war sie wieder - meine Panik. Ein sehr penetrantes, eindringliches Gefühl, das mir jedes Mal sehr deutlich vor Augen führte, wie sehr ich nicht für Auseinandersetzungen dieser Art gemacht war. Allgemein für diese Art von Leben, bei der man scheinbar wirklich rund um die Uhr auf absolut Alles gefasst sein musste. So wie in diesem Moment eben auf einen zu früh auftauchenden, wütenden Italiener, der die Situation postwendend in den falschen Hals bekam. Wirklich übel nehmen konnte man ihm das allerdings eher nicht, weil die Situation aus den ersten Blick eben einfach sehr eindeutig aussah. Wenn man den Moment aus seiner Sicht betrachtete war seine Reaktion also schon nachvollziehbar - viel Zeit und Geduld in Richard zu stecken, nur um ihn dann wieder mit Stoff vorzufinden, würde ich wohl auch nicht lustig finden -, aber trotzdem urteilte Sabin gleich ohne die eigentliche Wahrheit zu kennen. Es war deshalb wahrscheinlich ebenso vorhersehbar gewesen, dass er mir kaum Beachtung schenkte und mich nur aus dem Weg schaffte, bevor er sich dem Engländer widmete. Ich stolperte bei dem ruckartigen Schubs auch zwei oder drei ziemlich unkoordinierte Schritte weg und konnte wohl von Glück reden, dass ich mich nicht auf dem Boden wiedergefunden hatte, sondern mich mit einer Hand an der nahen Hauswand abfangen konnte. Zwar stauchte mir das ein wenig das rechte Handgelenk, aber das war sicher in ein paar Tagen wieder vorbei. Ich ächzte nur leise auf, als ich mich wieder zum aufrechten Stehen aufrichtete und hielt mir mit der linken Hand das schmerzende Handgelenk, bevor ich mich wieder zu den beiden umdrehte. Richard war gerade drauf und dran dem Italiener eine unsicher klingende Antwort zu liefern und ihm zu schildern, dass er das Zeug nicht angefasst hatte. Allerdings wurde Sabins Gesichtsausdruck dabei kein bisschen weicher und ich fürchtete nach wie vor, dass er ihm gleich den Kopf abreißen würde, statt ihn weiter reparieren zu wollen. Aber was tun? Er hörte ja sowieso nicht auf mich. Wieso sollte er auch? Die Vermutung, dass mir auch Lügen als Mittel recht waren, wenn es darum ging den armen Kerl hier vor seinem Leid zu schützen, war nicht so abwegig. Den Dunkelhaarigen einfach so den Fängen des Mafiosos zu überlassen schien mir aber auch nicht korrekt, weil er ja wirklich nichts angestellt hatte. Sich sogar viel mehr richtig gut beherrscht hatte, was die ganze Geschichte anging. Also schluckte ich leise und schloss zu den beiden auf, als Richard gerade seine Arme entblößte, um Sabin zumindest irgendeine Art von Beweis dafür zu liefern, dass er das Zeug nicht angefasst hatte. "Und das soll mir reichen? Du kannst es dir genauso gut in den Fuß oder weiß Gott wohin gespritzt haben.", knurrte der aufgebrachte Italiener zu ihm runter und verpasste ihm einen energischen Ruck am Kragen, als wolle er damit noch mehr Wahrheit aus ihm herausschütteln. "Woher weiß ich denn, dass ihr die Freiheiten grade nicht dazu genutzt habt den Scheiß zu besorgen?", hängte er ein paar weitere Worte hinten ran, auf die ich sofort den Kopf schüttelte. Was hätte ich denn davon? Andere Leute bewusst in ihr Verderben zu stürzen war nicht mein Ding und selbst wollte ich mir gewiss auch nicht wieder das Hirn mit derartig giftigen Stoffen vernebeln. "Ich weiß, wie furchtbar falsch die Situation gerade für dich aussieht, aber denk doch nach, Sabin... das letzte, was ich will, ist dich zu verärgern, indem ich ihm neuen Stoff gebe... Richard wusste einfach nur nicht, wie er's dir vorhin hätte sagen sollen und ist deswegen grade damit zu mir gekommen. Er wollte das Zeug grade loswerden.", gut, das hatte der Engländer zwar beides nicht wortwörtlich so gesagt, aber es war irgendwo einfach naheliegend. Immerhin schafften die paar Worte es schon mal den undurchdringlichen Blick des Italieners in meine Richtung zu leiten, damit er aufhörte den armen Kerl direkt vor sich damit zu durchlöchern. Allerdings war der Blick für mich ziemlich einschüchternd und ich trat wieder einen halben Schritt zurück nach hinten, als würde mir das im Ernstfall irgendwas bringen. "Er macht Fortschritte... bitte mach das jetzt nicht kaputt.", murmelte ich noch ein paar letzte, eher kleinlaute Worte in seine Richtung und senkte dabei den Blick auf den Boden ab, weil ich seinem ganz einfach nicht standhalten konnte.
Ich hasste es, dass die Mafia mir damals so vehement eingetrichtert hatte, besser Nichts und Niemandem zu trauen, von dem ich mir nicht einhundertprozentig sicher sein konnte, dass er die Wahrheit sagte. Hier und jetzt war es vermutlich auch schlichtweg nicht möglich ein eindeutiges Indiz dafür zu kriegen, dass Sam in dieser Geschichte nicht mit drin hing. Dass Richard wirklich nichts konsumiert hatte würde ich ihm wohl nur abkaufen, wenn er mir einen einwandfreien Bluttest ablieferte, der mir zweifelsfrei bestätigen würde, dass er weiterhin absolut clean war. Zwar sah ich keine Einstichstellen an seinen Armen, die er mir extra deshalb entblößte, aber ich wollte ihm was das anging wohl einfach nicht blind vertrauen. Da brachte vermutlich auch Alles schwören nichts, weshalb dementsprechende Worte meinerseits in seine Richtung flogen. Daraufhin schaltete Samuele sich dann wieder ein und versuchte mich mit bloßen Worten davon zu überzeugen, dass ich dem Engländer Glauben schenken sollte. Vielleicht hätte das aufgewühlte Verhalten des Dunkelhaarigen in meiner Hand mir auch schon Aufschluss genug dafür sein sollen, dass er sich fürchtete und sich davor hüten würde, mir jetzt noch Lügen ins Gesicht zu klatschen. Dass ich momentan einfach ziemlich gestresst war kam hier absolut Niemandem zu Gute, aber im Grunde machte die Schilderung beider Beteiligten ja schon Sinn. Erstens allein schon deswegen, weil weder mir, noch einer der anderen Wachen aufgefallen war, dass der junge Mann sich wieder eine Nadel gesetzt hatte. Wäre er also schon vor dem Besuch hier high gewesen, dann wäre das aufgefallen. Zweitens wagte ich auch zu bezweifeln, dass er jetzt so aussehen würde, wie er es nun mal gerade tat, wenn er sich Stoff bei seiner Ankunft hier eingeflößt hatte. Also im Grunde war es an und für sich schon unwahrscheinlich, dass er tatsächlich wieder zur Spritze gegriffen hatte. Samuele selbst konnte auch nichts daran liegen, sich hier in die Scheiße zu reiten, weil er ja wusste, dass Hunter sonst ohne zu zögern mit Freude die Liste angehen würde. Sams Gesichtsausdruck damals hatte Bände gesprochen, als er einen Namen nach dem anderen mitsamt Infos auf dem Block niedergeschrieben hatte - er fürchtete wirklich darum, dass er andere, noch dazu vollkommen unschuldige Menschen mit in diese Sache hineinzog, er würde sich ziemlich sicher davor hüten... also nein, auch der junge Italiener hätte absolut gar nichts davon, wenn er Richard wider Anweisung zu Drogen verhalf und mich hier anlog. Das einzige, was er dann bekommen würde, war vielleicht ein Paket mit der Post, in dem er ein Körperteil eines geliebten Menschen wiederfand. Traute ich Hunter zumindest zu, dass er gleich zu derartigen Maßnahmen schritt, wenn es darum ging einem neuen Kopf im Team zu verdeutlichen, dass er mit Drohungen lieber nicht leichtfertig umgehen, sondern sie sehr wohl ernst nehmen sollte. Dementsprechend musterte ich auch sein Gesicht noch einmal sehr eindringlich, bevor ich wieder zu Richard sah und ihn mit einem Grummeln unsanft losließ. "Na schön... aber sollte ich irgendwie rausfinden, dass ihr beide mir hier Märchen erzählt, dann ist der Teufel los, verstanden?!", murrte ich den beiden noch ein paar absolut unmissverständliche Worte zu, ließ dabei meinen Blick zwischen ihnen hin und her wandern. "Außerdem würde Oliver dann zu Unrecht eine Strafe kriegen, was er sicher nicht auf sich sitzen lassen würde, also...", streute ich noch ein bisschen mehr unterschwellige Drohung ein, weil es davon jetzt sicher nicht zu viel geben konnte. Sowas war manchmal ein gutes Mittel dazu doch noch eine Lüge zu enttarnen, obwohl sie mir hier beide nicht so wirklich den Anschein machten, als würden sie mir hier Bullshit erzählen. Meine Skepsis blieb trotzdem. "Sollte sowas nochmal vorkommen, dann komm gefälligst gleich damit zu mir, Richard. Geständnisse", war ja eigentlich nicht unbedingt ein solches, weil er selbst nichts angestellt zu haben schien, aber er wusste ziemlich sicher, was ich meinte. "sind immer ungefährlicher als Momente wie dieser hier.", forderte ich meinen Freund dazu auf, mir zukünftig einfach gleich die Wahrheit zu sagen und nicht mehr Augenblicke wie den hier zu provozieren. Er täte sich selbst ganz einfach einen riesigen Gefallen damit und meinen Nerven auch. Bis die Anspannung in meinen Schultern verfliegen würde dauerte es jetzt sicher wieder eine halbe Ewigkeit.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Kurzzeitig sah ich mein Leben schon vor meinem inneren Auge an mir vorbeiziehen, weil Sabin sich durch meine Worte augenscheinlich kein bisschen beeinflussen lassen wollte. Mir nicht abkaufte, dass ich die Finger von dem Zeug gelassen hatte und vermutete, dass ich es mir ganz einfach an irgendeiner anderen Stelle meines Körpers injiziert hatte. Sollte ich etwa komplett blank ziehen, damit er auch all die anderen potenziellen Körperteile nach Einstichstellen untersuchen konnte? Konnte er haben, er brauchte das nur sagen... Ich müsste wohl lügen, würde ich sagen, dass mich das nicht irgendwo tief im Inneren meines Herzens traf, weil ich es in diesem Fall nun mal einfach besser wusste und wirklich versuchte, stark zu bleiben. In Situationen wie diesen, wo Sabin mir mit nichts als Misstrauen entgegen trat und sich nicht einmal Mühe gab, mir wirklich zuzuhören, fiel mir das jedoch ziemlich schwer und postwendend wünschte ich mir, dass sich unter meinen Füßen ein Loch auftat, durch das ich wieder in meine geliebte Parallelwelt flüchten konnte. Natürlich passierte nichts dergleichen und bei den eindringlichen Worten des Italieners fehlte wirklich nicht mehr viel, bis ich mir vor Angst in die Hose gemacht hätte. Sabin wusste, dass es dazu normalerweise einiges mehr brauchte und ich mich eigentlich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ, aber seit dem Entzug war ich ziemlich nah am Wasser gebaut und generell reichlich emotional geworden. Da fiel es mir irgendwie deutlich schwerer mit den harschen Worten des Italieners umzugehen, wo es doch einst noch eine Leichtigkeit für mich gewesen war. Entsprechend froh war ich, dass sich sein Wort irgendwann nicht mehr nur an mich, sondern auch an seinen eigenen Landsmann richtete, der sich daraufhin kleinlaut ebenfalls zu der ganzen Sache äußerte und versuchte, das Gespräch damit ein wenig zu entschärften. Entgegen meiner Erwartung, dass Sabin sich davon genau so wenig beirren lassen würde, wie durch meine vorangegangenen Versuche, wandte der aufgebrachte junge Mann seinen stechenden Blick kurzzeitig von mir ab und ließ mich wenige Sekunden später dann auch endlich los. Reichlich unsanft, aber das verstand sich in diesem Augenblick wohl von selbst, schien der Italiener doch alles andere als gut gelaunt zu sein. Weil meine Beine inzwischen die Konsistenz von Wackelpudding angenommen hatten, stolperte ich daraufhin erst einmal einen halben Schritt zurück - auf einer Treppenstufe wohlgemerkt. Dass das nicht besonders gut klappte, war wohl vorprogrammiert und so klammerte ich mich förmlich an das hüfthohe Treppengeländer, um mein Steißbein damit vor einer unschönen Prellung zu bewahren. Als ich kurz darauf dann wieder einen einigermaßen festen Stand aufwies, wandte ich meinen Blick sofort auf die Betonstufe zu meinen Füßen ab und lauschte den noch immer nicht wirklich ruhiger klingenden Worten Sabins, mit denen er sowohl Sam, als auch mir unmissverständlich klarmachen wollte, dass die Hölle zufrieden würde, wenn er herausfand, dass wir ihn angelogen hatten. Was diese indirekte Drohung anging, machte ich mir aber tatsächlich keine wirklich großen Sorgen, weil ich schlicht und ergreifend am besten wusste, woher das Zeug stammte und das nicht einmal das kleinste Bisschen von dem Inhalt der kaputten Spritze seinen Weg in meinen Körper gefunden hatte. Andernfalls würde ich jetzt vermutlich nicht den Anschein einer Heulsuse mit hängenden Schultern und weinerlichem Blick erwecken, sondern Sabin ganz ungeniert auf der Nase herumtanzen, wie ich das in der Anfangszeit des Entzuges bereits getan hatte. Ruhig bleiben, wenn ich Meth intus hatte, war bekanntermaßen nicht meine Stärke. Demnach wunderte es mich auch ein wenig, dass ich erst dem Nervenzusammenbruch nahe sein musste, damit der Mafiosi mir abkaufte, dass ich die Finger von den Drogen gelassen hatte. Schließlich wusste er mit am besten, wie ich drauf war, wenn ich high war. Und von diesem Verhalten war ich ja gerade wohl meilenweit entfernt und trotzdem schlug er mir dieses Misstrauen entgegen. Dass das eventuell auch etwas damit zutun haben könnte, wie gestresst er selbst momentan eigentlich war und das rationales Denken unter den gegebenen Umständen schwerer fiel als normal - daran dachte ich überhaupt nicht. Fühlte mich mal wieder als der einzige Buhmann in dieser ganzen Sache und wirklich schön, als Punchingball zu dienen, obwohl man grundlegend nichts falsch gemacht hatte, war das nicht. Ich würde mich jedoch davor hüten, Sabin darauf anzusprechend und schluckte mein Stolz in dem Punkt einfach runter. Mir stand es momentan nämlich wirklich nicht im Sinn, noch einen weiteren Konflikt mit dem Volltätowierten zu provozieren und so lenkte ich lediglich noch mit einem "In Ordnung. Tut mir Leid. Ich war... ich wollte... ach, keine Ahnung." ein, womit ich mich offen dafür entschuldigte, nicht direkt mit dem Anliegen zu ihm gekommen zu sein und gleichzeitig offenbarte ich ihm damit auch, wie verunsichert ich in diesem Moment einfach gewesen war. Dabei sah ich davon ab, ihm mitzuteilen, dass ich es mich bloß nicht getraut hatte, weil er in der letzten Zeit immer so desinteressiert wirkte. Vielleicht würde ich das irgendwann noch einmal erwähnen, sobald ich psychisch in meinen Augen wieder einigermaßen auf dem Damm war und Gegenwind des Italieners standhalten konnte. Momentan würde ich wohl bei der kleinsten Steigerung der Lautstärke sofort einknicken und am liebsten wie ein Kleinkind losheulen.
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Das hier war wohl wieder einer der Momente, in dem ich mich wirklich zu alt für diese Art von Aufregung fühlte. Unabhängig vom körperlichen Aspekt - ich war ja trotzdem relativ fit, weil ich meine Stärke und Kraft gewiss nicht verlieren wollte, wo das doch eindeutig eine ganz allgemeiner Vorteil in diesem Metier war - hatte ich einfach das Gefühl, dass mir Mist wie dieser hier noch viel näher ging, als es vor dem großen Cut in Italien der Fall gewesen war. Vielleicht lag das einfach daran, dass ich es nicht mehr gewohnt war mich über Irgendwen aufregen und für Ordnung sorgen zu müssen. Womöglich war ich einfach schon ein bisschen zu lange aus diesem strikten Schema raus, um jetzt entspannt weiter daran anknüpfen zu können. Oder aber es lag ganz einfach daran, dass es Richard war. Er nicht nur einer von Hunters unzähligen Handlangern in meinem momentanen Heim bildete und ich stattdessen eine etwas verkorkste, freundschaftliche Beziehung zu ihm hatte. Ich ihm eigentlich gar nicht böse sein wollte, trotzdem aber das dringende Gefühl hatte, dass ich es musste, damit der dürre Engländer den Ernst der Lage nicht aus den Augen verlor. Dass er begriff, was sowohl für ihn selbst, als auch für mich mit diesem Mist hier auf dem Spiel stand. Womöglich wusste ich einfach ganz allgemein nicht mehr recht, wo mir momentan der Kopf stand und das hier war jetzt das Ergebnis davon. Ich nahm die Entschuldigung des Dunkelhaarigen mit einem leichten Nicken und einem leisen Seufzen an, bevor ich die rechte Hand anhob und die Augen schloss, während ich mir kurzzeitig die durchweg angespannten Schläfen massierte. Versuchte, einmal recht tief durchzuatmen und mich zu beruhigen, weil die Situation jetzt im Grunde geklärt war und ich mich auch noch umsonst so reingesteigert hatte, weil hier Niemand irgendwelche Drogen konsumiert hatte und ich lediglich einen ungünstigen Moment mit den Augen eingefangen hatte. Dieses grundlegende Misstrauen würde sich wohl eher nicht mehr aus meinen Adern verscheuchen lassen, obwohl ich eigentlich wusste, dass ich Richard vertrauen konnte. Ich hatte mich gerade was die Drogensache anging oft auf ihn verlassen und er hatte mich nach der Sache an seiner Galerie nie wieder hinters Licht führen wollen. Das einzige, das ich ihm ankreiden könnte, war seine manchmal einen Tick zu penible Art, aber das war ja nicht mal ausschließlich etwas schlechtes. Ich löste die Hand wieder von meinem Gesicht und schüttelte kaum sichtbar den Kopf, als mein Blick erneut zu Samuele glitt. "Wie weit wart ihr weg?", hakte ich aus Interesse nach. Mein Blick etwas ruhiger als vorher, aber sicherlich nach wie vor etwas aufgewühlt. "Nicht weit... sind nur einmal um den Block gegangen, kurz nachdem du dich angekündigt hast.", offenbarte mir der junge Mann, dass sie nicht weit gegangen waren, was ich ebenfalls mit einem Nicken abtat. Es schien also tatsächlich schon möglich zu sein die beiden auf freien Fuß zu setzen, was durchweg positiv war. Samuele schien sich auch Mühe damit zu geben dem Engländer seinen Aufenthalt hier angenehm zu gestalten und brachte sich im Grunde selbst damit in Gefahr, weil sein Patient durchaus auch selbst die Flucht hätte ergreifen können. Ich hatte leider auch nach wie vor ein Problem mit der jetzigen Situation, weil ich Richard nicht selbst rund um die Uhr bewachen und offenbar aber auch Hunters Männern nicht so vertrauen konnte, wie ich es können musste. Zwar glaubte ich nicht, dass sich nach Olivers kommender Abreibung noch ein anderer trauen würde Richard Drogen zuzustecken und sich dann einfach zu verpissen, aber das ganze Umfeld war und blieb wohl leider einfach toxisch. Außerdem täte es mir selbst ebenfalls gut, wenn ich mal wieder ein oder zwei Tage mehr oder weniger für mich hätte. "Kann man dein Sofa ausziehen?", hakte ich also bei dem im Vergleich zu mir etwas schmaleren und vor allem auch kleineren Italiener nach, der mich etwas verwirrt ansah. "Ja, kann man..?", gab er mir nach kurzem Zögern eine etwas dünn klingende Antwort, die von einem fragenden Unterton getränkt war. Ich ließ ihn aber damit stehen und sah stattdessen direkt zu Richard. Musterte kurz sein Gesicht, bevor ich zu einer anderen Frage ansetzte. "Wär's dir lieber, wenn du hier wohnen würdest? Weiterhin unter gewissen Auflagen, versteht sich.", richtete ich mein Wort an den dünnen Engländer, woraufhin ich im Augenwinkel sah, wie Samuele förmlich die Augen aus dem Kopf fielen und für kurze Zeit seine Kinnlade ein kleines Stück weit runterfiel. "Sabin, ich... ich kann mir das nicht leisten.", gab er mir dann überflüssigerweise zu bedenken, dass er sich einen Kosten verursachenden Untermieter nicht leisten konnte. Ich winkte jedoch sofort mit der Hand ab, weil mir erstens ziemlich klar war, dass er sich damit nur wieder rausreden wollte und er zweitens finanziell absolut nichts zu befürchten hatte. "Mach dir darum mal keine Sorgen Sam, er hat genug Kohle um sich selbst zu finanzieren.", konnte ich ihn dahingehend ziemlich zügig in die Schranken weisen. Sollte ja auch nicht für immer sein, sondern nur, solange Irgendwer Richard im Auge behalten musste. Außerdem täte es dem Dunkelhaarigen vielleicht auch einfach gut sich zumindest innerhalb einer ganzen Wohnung frei bewegen zu können, wenn er eine Zeit lang allein war, statt nur in sein Zimmer eingesperrt herumzusitzen. Samuele konnte also lediglich darauf hoffen, dass der Engländer selbst keine Lust dazu hatte zu ihm zu ziehen, um meine Idee noch im Keim erstickt zu kriegen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Das darauffolgende Gespräch zwischen Samuele und Sabin verfolgte ich nur noch beiläufig. Hörte nicht mehr wirklich aktiv zu, sondern verlor mich weiterhin auf den Boden starrend ein wenig in Gedanken und ließ auch die Unterhaltung zwischen Sam und mir noch einmal Revue passieren. Dabei fing ich tatsächlich auch schon damit an, mir zu überlegen, ob es denn noch irgendetwas in diesem Leben gab, wofür ich mich begeistern und aufraffen, kämpfen konnte, aber die erste gedankliche Ausbeute dahingehend war relativ ernüchternd. Mehr als meine Liebe zur Kunst kam mir nämlich nicht in den Sinn und weil jene mich kaum am Leben halten könnte, verwarf ich den Versuch, zwischen Tür und Angel bereits zu einem Ergebnis zu kommen direkt wieder. Das Ganze schien dann doch etwas zeitintensiver zu sein, als ich gedacht hatte und brauchte vor allem eines: Ruhe. Dass es an jener gerade mangelte, brauchte ich wohl nicht noch zusätzlich zu erwähnen, weshalb ich meinen Kopf leise seufzend dann doch wieder anhob. Mein Blick wanderte zwischen den sich unterhaltenden jungen Männern hin und her, bis Sabin sein Wort schließlich direkt an meine Wenigkeit richtete und mich damit endgültig aus meinem Gedankenkarussell riss. Ich zuckte bei der Erwähnung meines Namens kurz zusammen, bevor ich ihm mit einem leisen "Hm?" letztlich meine volle Aufmerksamkeit schenkte. Der müde und zugleich irgendwie auch verloren wirkende Blick lag dabei in den braunen Augen des Italieners, als ich mir seine Worte durch den Kopf gehen ließ. Erst einmal realisierte ich gar nicht so wirklich, was er da gerade vorgeschlagen hatte und zuckte nur etwas unschlüssig mit den schmalen Schultern. Schnell aber wurde mir klar, dass Sabin im Begriff war, mich Sam ein weiteres Mal aufs Auge zu drücken, was ja an und für sich erst einmal auch okay und nicht mehr zwangsläufig etwas Schlechtes war. Ich hatte schließlich meinen Frieden mit dem Schönling geschlossen und der letzte, wie auch der heutige Abend hatten mir wirklich gut getan. Mir ein wenig Kraft gegeben, den Alltag in der Gemeinschaftsunterkunft zu meistern, ohne doch noch einen weiteren Fluchtversuch unternehmen zu wollen, weil ich mich gänzlich unwohl und absolut nicht willkommen fühlte. Aber ob ich deswegen gleich bei ihm einziehen wollte? Eigentlich nicht, denn mir reichten die jüngsten Erfahrungen des Zusammenwohnens vollkommen aus. Schon in Norwegen hatte ich lange Zeit alleine gelebt und das aus gutem Grund. Damit sich eben niemand zu einem Auslöser für Miseren entpuppen konnte, so wie das bei Tauren und Vahagn nämlich der Fall gewesen war. Wären die zwei nicht gewesen, dann hätte Sabin niemals so früh Kenntnis davon erlangt, dass ich derart tief in der Scheiße steckte und wenn es dann so weit gewesen wäre, dass der Italiener aus freien Stücken und nicht als Reaktion auf jammernde Mitbewohner nach mir sehen kam, dann hätte ich womöglich bereits mit einer Überdosis auf dem Sofa liegend meine letzten Atemzüge getan. Ich hätte mich um Nichts mehr sorgen müssen und alles wäre schön friedlich zu Ende gegangen, aber nein. Stattdessen hatte der mosernde Norweger dafür gesorgt, dass mein inzwischen einziger anderer Freund - nebst Cosma, versteht sich - noch rechtzeitig die Reißleine zog und mich mit allen erdenklichen Mitteln aus dem Drogensumpf zerrte. Dass er dafür das Leben anderer - in diesem Fall das von Samuele - damit vollkommen durcheinander brachte, mochte ihm vielleicht egal sein und mir wäre es das im Rausch sicher auch gewesen, aber nüchtern dachte auch ich nun mal einfach anders, weshalb ich irgendwann dann vorsichtig den Kopf schüttelte. Mein Blick von Sabin zu Sam wandern ließ, der von der Idee ebenso wenig begeistert schien, wie ich selbst. Natürlich glaubte ich nicht daran, dass mich der mehr oder weniger schüchternere Italiener genau so in irgendeine Scheiße reiten würde, wie Tauren das getan hatte, aber ich bevorzugte es ganz einfach, vollkommen alleine zu wohnen. Nur kam das offensichtlich noch nicht wirklich in Frage und so durfte ich mich lediglich zwischen zwei Optionen entscheiden. Entweder ich würde mich bei Sam einnisten oder aber weiter mein Dasein in dem kleinen Zimmer der Gemeinschaftsunterkunft fristen, in dem ich womöglich wieder mehrere Stunden am Tag eingesperrt gewesen wäre. Unter den Voraussetzungen wirkte die Idee Sabins sehr verlockend, aber... "Ich möchte Samuele keine Probleme bereiten, Sabin. Reicht schon, dass ihr dem armen Kerl so zusetzt.", murmelte ich nachdenklich vor mich hin und wandte meinen Blick dann wieder auf den Boden ab. Dadurch verzichtete ich quasi eigens auf ein Stück meiner psychischen Gesundheit, weil die sich im Beisein des jungen Mannes sicher ein Stück weit schneller und effizienter erholt hätte, als wenn ich ständig durch Totschläger und Mörder behütet wurde, die von Empathie und Taktgefühl noch nie etwas gehört hatten, aber ich konnte das mit meinem nüchternen Ich einfach nicht vereinbaren. Wollte mir nach all dem Kummer, den ich anderen bis dato bereitet hatte nicht auch noch anlasten müssen, Sam mit meiner Entscheidung - die aktuell weitaus wichtiger schien, als das Einverständnis des rechtmäßigen Mieters der Wohnung - an den Rande eines Nervenzusammenbruchs getrieben zu haben. Schließlich grätschten ihm Sabin und Hunter schon genug in sein ursprünglich ziemlich normales Leben hinein und dass ich ihm zwischendrin immer mal wieder an die Hand gegeben wurde, war sicher auch nicht freiwillig. Daher lag es mir fern, noch weiter Salz in die ohnehin schon entzündete Wunde zu streuen. Das hatte er nicht verdient, dafür war er einfach zu... gut. Mochte sein, dass ich bloß meinen guten Willen zeigen wollte, indem ich das Angebot indirekt ausschlug und mir unterbewusst aber doch wünschte, zumindest temporär bei dem jungen Mann unterzukommen, aber das sollte für ihn weiß Gott keine Strafe oder eine Verpflichtung darstellen.
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Vermutlich war es jetzt das Karma, das mich einholte, als Richard mehr oder weniger sehr indirekt verneinte und damit ein genervtes Seufzen meinerseits hervorrief, woraufhin ich mir einmal von oben nach unten übers müde Gesicht rieb. Ich war mir nicht sicher, für was genau mich der Herrscher des Karmas jetzt genau an mir rächen wollte, aber offensichtlich war das Universum heute eher ziemlich gegen mich. Wäre aber auch zu einfach gewesen, wenn der Engländer einfach Freudensprünge aufführend zugestimmt hätte, nehme ich an. Ich wünschte mir ja auch wirklich für den jungen Mann, dass er einfach wieder in seine Bude ziehen könnte, damit er gar Niemandem mehr im entferntesten zur Last fiel, aber das stand aktuell nun mal absolut noch nicht zur Debatte. Der Dunkelhaarige war zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor viel zu weit davon entfernt auf sicherer Basis nüchtern bleiben zu können, als dass ich ihn schon wieder sich selbst überlassen könnte. Das wusste er selbst so gut, wie ich selbst auch und es kam aber auch nicht wirklich in Frage, ihn noch länger in der mehr schlechten als rechten Unterkunft versauern zu lassen. Ich sah ja hier gerade bestens, was wir beide davon im Endeffekt hatten - Streit, schlechte Laune und obendrein falsche Anschuldigungen, beruhend auf einer Momentaufnahme, die alles mögliche hätte heißen können. Der jetzige Zustand sollte schlichtweg nicht ewig anhalten und eine andere Alternative hatte ich bis jetzt ganz einfach nicht. Zu Cosma zu ziehen stand schließlich nicht zur Auswahl, solange er mich nicht so sehr zur Weißglut trieb, dass ich ihn gern persönlich an den Sensenmann abliefern würde, namentlich Hunter. Ich ließ die Hand also wieder sinken. "Ich weise dich gerne darauf hin, dass Samuele ganz von selbst seine Nase in Dinge gesteckt hat, die ihn nichts angehen... von denen er auch noch wusste, dass er sich besser raushalten sollte, weil er selber in diese beschissene, italienische Mafia reingeboren wurde. Er weiß sehr gut, worauf er sich mit seiner Schnüffelei eingelassen hat und das alles hier", ich machte zur Untermalung eine ausschweifende Handbewegung. "ist im Grunde zu großen Teilen seine eigene Schuld, also bitte kein falsches Mitleid.", schnaubte ich und schüttelte im Anschluss daran noch einmal leicht mit dem Kopf. Das war eben auch eine dieser Tatsachen, an der sich nichts rütteln ließ. Sam war schlau genug gewesen sich aus der italienischen Mafia raushalten zu wollen und das schon als junger Teenager, weswegen es mir absolut schleierhaft war, warum er wirklich bescheuert genug gewesen war sich bei Sydney nach meinem Verbleib zu erkundigen. Machte ganz einfach keinen Sinn und das hier waren jetzt die Früchte davon. Er wurde selbst in unsere Version eines Clans einbezogen und würde da auch nicht mehr rauskommen, beziehungsweise nur hochgradig unwahrscheinlich. Entweder behielt er sein Wissen über uns für sich und arbeitete für uns, oder er verlor eben den Kopf. Ich glaube nicht, dass Hunter bei dieser Angelegenheit irgendwelche anderen Alternativen ermöglichen wollte. "Aber wie auch immer - früher oder später brauchen wir so oder so eine Alternative für dich, weil ich absolut keine Nerven für weitere Eskapaden in dieser Richtung habe.", was angesichts meiner aktuellen Stimmungslage wohl ohnehin sehr offensichtlich sein dürfte. Samuele hatte indessen betreten den Kopf gesenkt und starrte förmlich seine eigenen Sneaker an, nestelte dabei ein wenig mit seinen Fingern. "Klärt ihr das einfach allein. Mir... ist es egal.", murmelte er nur vor sich hin, ohne einen von uns beiden noch einmal anzusehen und wendete sich dann der Treppe zu, um nach drinnen zu gehen. Seine Stimme klang geschlagen, wirkte gedrückt und machte eigentlich ziemlich deutlich, dass es ihm eben ganz und gar nicht egal war, er mir aber aus Selbstschutz nicht im Weg stehen wollte. Der junge Mann drehte sich noch einmal halb zu uns um, als er an der Eingangstür angekommen war und erwartete vermutlich meinen eindeutigen Befehl dafür, dass er abtreten durfte, was ich ihm kurzum mit einem verabschiedenden Nicken gestattete. Als er die Hand zum Abschied anhebend im Haus verschwunden war bedeutete ich Richard mit der Hand mir zum Wagen zu folgen, weil ich hier jetzt dann nicht mehr länger als unbedingt notwendig herumstehen wollte. War Verschwendung von Zeit, die ich nicht opfern wollte. Der Feierabend war schon zum Greifen nahe und ich wollte nicht länger hierbleiben, wenn es dank Samueles Abgang jetzt auch nicht mehr notwendig war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
In Momenten wie diesen hätte mein altes Ich womöglich mit den Augen gerollt. Schlicht aus dem Grund, weil Sabin sich das Ganze unglaublich leicht machte. Die Schuld überwiegend bei dem anderen Italiener suchte, der durch seine Neugier tatsächlich einen maßgeblichen Teil zu den aktuellen Umständen beigetragen hatte. Meiner Meinung nach hätte man ihn deshalb trotzdem nicht direkt in diese ganze Scheiße mit hinein ziehen müssen, aber da hielt ich mich weitestgehend raus. Hatte weder die Lust, noch befand ich mich in der Position, über Sabins und Hunters getroffenen Entscheidungen zu urteilen, was jedoch nicht heißen sollte, dass Sam mir nicht gewissermaßen ein bisschen Leid tat. Ich hatte ihm Dinge an den Kopf geschmissen, die nicht fair gewesen waren und mich auch sonst in seiner Gegenwart verhalten, wie ein dummes Arschloch, aber zu jener Zeit war mein Kopf auch noch mit etwas ganz anderem beschäftigt gewesen. Hatte sich viel mehr darauf konzentriert, sich Gedanken über Drogen und dessen Konsum zu machen, als dass da noch Zeit für Manieren und Taktgefühl war. So langsam schien aber zumindest der Teil meines alten Ichs wieder zu kommen und demnach verspürte ich fast schon das dringende Bedürfnis, noch etwas auf die reichlich genervt klingende Aussage Sabins zu erwidern. Es war einfach nicht richtig, lediglich Samuele dafür verantwortlich machen zu wollen, dass sein Leben gerade eine ziemlich unangenehme Wandlung durchlebte, denn zu so einem Mist gehörten immer zwei oder mehr Parteien. Aber gut, ich schwieg, sagte nichts weiter dazu, weil ich mich noch immer von dem Schreck erholte und auch sonst einfach ziemlich müde und ausgelaugt war. Irgendwie war es doch ziemlich anstrengend, eine Sache für sich zu behalten, wenn man doch so dringend darüber reden wollte und das kurze Gespräch, wie auch die ungemütliche Aussprache mit Sabin hatten mich innerlich aufatmen lassen und jetzt... ja, jetzt fühlte ich mich einfach nur kaputt. Zu einem winzigen Teil allerdings auch etwas verletzt, denn Sabin sprach irgendwann schließlich auch das aus, was ich bereits befürchtet hatte. Nämlich dass es ihn durchaus nervte, anstrengend wurde, sich um mich zu kümmern und auch wenn ich mir weiterhin einredete, dass er sich aus freien Stücken dazu entschieden hatte, traf mich das Ganze jetzt, wo mein Körper schon seit etlichen Tagen nicht mehr durch Meth beeinflusst wurde, doch schon ein wenig. Weil ich dem grantigen Italiener jetzt nicht noch den wohlverdienten Feierabend vorenthalten wollte, zögerte ich auch nicht lange, mich vorsichtigen Schrittes von der Treppe zu bewegen, auf der mir Sam kurz ziemlich geknickt wirkend entgegen kam. Ein leises Seufzen stahl sich über meine Lippen und ich sah dem jungen Mann noch nach, als ich zu Sabin aufschloss, um zum Abschied den ausgemergelten Arm mit der gebrechlich wirkenden Hand anzuheben. "Ciao.", murmelte ich noch eine international geläufige, aber ursprünglich italienische Grußformel in Sammys Richtung, bevor ich mich zum Gehen abwendete und neben Sabin über den Asphaltboden zum Auto schlurfte. Meinen Blick hatte ich dabei wieder auf den Boden geheftet, sah den breit gebauten, alles andere als gut gelaunten Italiener neben mir nicht an, weil ich momentan keinem seiner Blicke so wirklich standhalten konnte. Stattdessen schob ich meine Hände in die Hosentaschen und hielt an der dunklen Limousine angekommen noch einmal inne. Zwar waren die Türen mittels Zentralverriegelung schon offen gewesen, als wir am Wagen angekommen waren, aber ich wollte das bisschen frische Luft gerne noch auskosten, solange mir dies möglich war. Für den heutigen Abend würde es das nämlich gewesen sein mit der Freiheit, was mir natürlich schon irgendwo sauer aufstieß. Ob ich von jener mehr hätte, wenn ich mich doch dazu entschloss, mich temporär in Samueles Obhut zu begeben? Vermutlich. Ob das Angebot dadurch an Attraktivität gewann? Leider ja. Es gab natürlich trotzdem einiges, was noch dagegen sprach und bevor Zweifel dahingehend nicht aus dem Weg geräumt waren, würde ich mich davor hüten, einfach abgeschoben zu werden. Schließlich konnte mich bei Sam genau so gut der Knast erwarten, wie es die Gemeinschaftsunterkunft bereits war. "Hey Sabin...", zog ich die Aufmerksamkeit des nachdenklich wirkenden jungen Mannes auf der anderen Seite des Autos auf mich, legte dabei locker einen meiner Arme auf dem Dach ab, als ich die Tür bereits aufgezogen hatte. "Was... welche Auflagen gibt es? Wenn ich... du weißt schon. Dem Typ sein Leben noch mehr zur Hölle machen würde?", fragte ich vorsichtig und zum ersten Mal, seitdem wir aus dem Schatten des Hinterhofes getreten waren sah ich ihn direkt an. Legte dabei den Kopf ein wenig schief, um den fragenden Unterton meiner recht leisen Worte noch einmal zu unterstreichen.
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Wenigstens schien Richard sich nicht weiter gegen unseren jetzigen Abgang wehren zu wollen und folgte mir schweigend zum Wagen. Nichts zu sagen war mir zum aktuellen Zeitpunkt vermutlich auch am liebsten, weil ich nicht so recht wusste, was ich überhaupt hätte sagen wollen. Der Engländer schien es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren zu können, sich bei Samuele einzunisten, solange er noch nicht wieder fest auf eigenen Beinen stehen konnte und das war einfach ein Problem. Ich hatte sonst keine Möglichkeiten ihn aus dem Haus zu kriegen, in dem ich wohnte. Dabei ging es mir noch nicht einmal primär darum, dass ich ihn nicht mehr um mich herum haben wollte, denn das war eigentlich gar nicht mal so. Ich wollte dem Dunkelhaarigen sogar gern dabei behilflich sein, dass er wieder zurück ins Leben fand. Nur war das einfach wahnsinnig schwer zu bewerkstelligen, wenn ihm nebenher irgendein Vollpfosten Drogen zusteckte und ich mich einfach nicht darauf verlassen konnte, dass in meiner Abwesenheit alles glatt lief, während ich mir parallel dazu den Arsch abarbeitete. Er - und ich wohl auch - konnte es sich ganz einfach nicht leisten jetzt noch einen Rückfall zu erleiden und wieder von vorne zu beginnen. Außerdem würde ich ja trotzdem immer wieder vorbeikommen, um nach dem Rechten und auch nach Richards Wohlergehen selbst zu sehen. Es lag mir fern ihm etwas Schlechtes anzutun, aber seine ausnahmsweise eher überflüssige Einfühlsamkeit gegenüber meinem jüngeren Landsmann war dabei gerade schrecklich hinderlich gewesen. Ich hatte gerade die Fahrertür aufgezogen, als der Engländer wider Erwarten erneut sein Wort an mich richtete und deshalb hielt ich automatisch in der Bewegung inne. Sah zu ihm rüber, als er mir eine Frage stellte, die ich so jetzt gerade nicht erwartet hatte. Er schien tatsächlich noch einmal darüber nachzudenken, ob es nicht vielleicht recht sinnvoll sein könnte sich doch bei dem Italiener einzuquartieren, was mich innerlich ein wenig erleichtert aufatmen ließ. Natürlich hieß das noch nicht, dass er mit jenen Bedingungen auch wirklich einverstanden war, aber es war zumindest mal ein Anfang, dass er überhaupt daran dachte. "Naja, dich sofort gänzlich auf freien Fuß zu setzen kommt natürlich nicht in Frage.", setzte ich erst einmal mit ruhigen Worten an und bedeutete ihm aber sich ins Auto zu setzen, weil ich das selbst jetzt auch erstmal tat. Wir konnten uns schließlich auch einfach auf der Heimfahrt unterhalten, da hatten wir ein paar Minuten vor uns und ich würde mir das Herumstehen hier wie gesagt einfach gern sparen. Also wartete ich hinter dem Steuer angekommen nur noch darauf, dass der junge Mann sich zu mir ins Auto setzte, bevor ich den Motor anließ und weiterredete. "Solange Sam arbeitet wärst du natürlich allein und würdest auch nicht aus der Wohnung rauskommen. Aber ich denke eine ganze Wohnung ist doch schon eine ziemliche Steigerung, wenn man's mit der jetzigen Situation vergleicht.", gab ich einen der wenigen Haken an, den die Sache hatte. Er war dann eben täglich ein paar Stunden ganz allein, was angesichts der angeknacksten Psyche auch etwas kritisch sein könnte. Allerdings konnte er das Bad von da an dann wieder unüberwacht und ohne zu fragen nutzen, was sicher auch ein dicker Pluspunkt war. Ich glaubte jetzt einfach mal nicht, dass Richard gerne aus dem ersten Stock durchs Fenster sprang, also hielt ich die Ausbruchswahrscheinlichkeit allgemein für eher gering. Samuele müsste ihn aber natürlich trotzdem in seinen vier Wänden einsperren, solange er selbst nicht da war, da führte erstmal noch kein Weg dran vorbei. Dass er sämtliche Schlüssel dabei mitnahm war auch notwendig, traute ich es Richard doch durchaus zu, dass er sonst einfach die ganze Wohnung auf den Kopf stellen und nach einem suchen würde. "Und wenn du raus willst wird er dir natürlich auch weiter an den Fersen kleben bleiben", und zu Beginn vermutlich auch einer von Hunters sehr geübten Schatten, der die Sache sich sehr bedeckt haltend für mich überwachen sollte. Es sei denn ich fand spontan selbst zeit dazu. "bis ich was anderes sage... und ich will zumindest am Anfang immer, wenn ihr rausgeht, darüber informiert werden.", wand ich auch noch ein, dass ich über potenzielle Fluchtmöglichkeiten erstmal durchweg in Kenntnis gesetzt werden wollte. Einfach, damit ich wusste, wann mich theoretisch ein verzweifelter Anruf von Sam erwarten könnte, weil ihm unser Freund hier entwischt war. "Hier in der Stadt gibt's aber einfach viel bessere Möglichkeiten, dich mal auf andere Gedanken zu bringen und Sam kann's im Grunde auch leichter in seinen Alltag einbinden, wenn du bei ihm wohnst, als wenn ich dich immer wieder zu Zeiten vorbei bringe, zu denen er normalerweise eher schläft.", meinte ich und machte, weil ich gerade keine Gänge schalten musste, parallel dazu eine unterstreichende Handbewegung. Schließlich war es jetzt schon wieder ziemlich spät und ich wusste, dass der Bursche immer früh aufstand, um ins Café zu gehen und zu arbeiten. Hieß ich raubte ihm auf die aktuelle Art zumindest was das Schlafen anging eindeutig mehr Nerven, als wenn er sich dem Dunkelhaarigen annehmen könnte, wie es für ihn am besten war. Gut, natürlich konnte Richard auch nervig sein und würde ihn sicher hier und da etwas Geduld kosten, aber ich wäre ihm im Nachhinein auch wirklich dankbar für all das. Er würde sich dadurch einige Pluspunkte sammeln, die ihm früher oder später ab einer gewissen imaginären Zahl neue Möglichkeiten für mehr Freiheiten schafften. Wenn ich wusste, dass ich ihm zu einhundert Prozent vertrauen konnte, war das für uns beide gut und dann wurde sein Leben auch wieder leichter. Jeder Kriminelle musste sich am Anfang eine Weile durch den Dreck wühlen und er würde das schon verkraften. Immerhin hatte Sam - so wie auch unser Problemkind - ja schon Fortschritte gemacht. Er hatte sich heute an mich gewandt, obwohl ich wirklich aufbrausend gewesen war und vor ein paar Wochen hatte er sich am Tisch mit Hunter und mir noch beinahe in die Hose gemacht. War schon mal eine Steigerung und solange er nicht übermütig wurde, war er in meinen Augen auf dem richtigen Weg.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich vermutete, dass Sabin momentan noch überhaupt nicht der Sinn danach stand, sich mit mir unterhalten zu wollen, weil ich ihm durch den Plan, mich einfach mal eben bei Sam sitzen zu lassen, einen dicken Strich gezogen hatte. Er somit gezwungen war, mich jetzt wieder mit nach Hause zu nehmen, wenn er immer noch der festen Überzeugung war, dass ich es alleine in meinen eigenen vier Wänden nicht schaffte, clean zu bleiben und mit der Annahme würde er vermutlich auch Recht behalten. Schließlich waren die letzten Minuten ziemlich emotional für mich gewesen und so richtig wissen, wie ich damit umgehen sollte, ohne direkt wieder nach dem Fixbesteck greifen zu wollen, tat ich aktuell noch nicht. Es brauchte sicher auch noch eine Weile, bis ich dahingehend wieder tickte, wie der alte Richard und Streit, sowie stressige Situationen auf andere Art und Weise zu lösen wusste, beziehungsweise das auch wollte. Wissen tat ich es prinzipiell ja schon, aber momentan ging ich wohl lieber den einfachen Weg und betäubte mich mit Drogen, anstatt mir die Mühe zu machen, Konflikte sachlich und vor allem eben nüchtern zu bewältigen. Dass Sabin mich da noch nicht wieder unbeaufsichtigt lassen wollte war also irgendwo nachvollziehbar, auch wenn mir das natürlich gar nicht passte. Jedoch hatte ich dahingehend im Augenblick wohl nur relativ wenig zu melden und musste die Entscheidung des Italieners über mein Leben wohl akzeptieren, wenn der Kopf nicht doch noch rollen sollte. Das war zwar gerade in den letzten Wochen immer mal wieder eine verlockende Option gewesen, dem ganzen Mist hier zu entfliehen, aber irgendwas schien mich unterbewusst noch an meinem Leben festhalten zu lassen. Ansonsten hätte ich mich vermutlich schon bei einem weiteren Fluchtversuch erschießen lassen oder so. Na ja, zurück zum Wesentlichen. Sabin schien entgegen meiner Erwartung mit ein paar ruhigen Worten zu einer Antwort anzusetzen, bat mich jedoch parallel dazu, ins Auto einzusteigen, was ich daraufhin auch ohne zu zögern tat. Am liebsten hätte ich das bisschen Frischluft noch genossen, aber ich wollte es nicht riskieren, doch keine Antwort mehr auf meine Frage zu bekommen. Dementsprechend fand ich mich relativ bald auf dem Beifahrersitz der Limousine wieder und konnte kurz darauf dann auch den erklärenden Worten des Italieners lauschen. Dabei atmete ich das ein oder andere Mal schwer aus, weil das zum Teil einfach immer noch Sicherheitsmaßnahmen wie im Knast waren, wobei sie trotz allem hier und da ein paar mehr Freiheiten versprachen. War also mehr Stasi als Gefängnis, wenn man es so sehen wollte. Zwar durfte ich mich grundlegend mehr bewegen, musste aber dem italienischen Erich Mielke sämtliche Informationen darüber liefern, wohin Sam und mich ein Ausflug ins Freie verschlug. Ich hatte meinen nachdenklichen Blick während Sabins Erzählungen nach draußen gerichtet und die vorbeiziehenden Häuserfassaden und Bäume beobachtet, bis der junge Mann schließlich zum Ende gekommen war und jetzt vermutlich so etwas wie meine Meinung dazu hören wollte. Was ich von der ganzen Sache hielt und ob ich mich nicht doch dazu überreden lassen würde, mich für die kommenden Tage bei Samuele einzuquartieren und na ja, was sollte ich an der Stelle groß lügen? Faktisch gesehen erwartete mich laut Sabin sehr viel mehr Freiraum in Sams Obhut und ich müsste vermutlich auch keine Angst mehr davor haben, dass mir irgendwer aus dem Nichts und vollkommen unerwartet Drogen zusteckte, um mir den Entzug damit deutlich schwerer zu machen, als er das eigentlich sein müsste. Natürlich war er auch so keinesfalls leicht und verlangte so ziemlich alles von mir ab, aber wenn ich gerade dabei war, meine Gedanken von den Rauschmitteln loszulösen, dann war es nichts als kontraproduktiv, wenn mir jene dann unter die Nase gerieben wurden. So wie ich das verstanden hatte, würde Oliver dahingehend auch noch seine gerechte Strafe erwarten, nur half mir das persönlich leider nicht weiter. Nur weil derjenige, der es mir schwerer machte, von dem Mist loszukommen die Fresse poliert bekam, hieß das im Umkehrschluss noch lange nicht, dass der Entzug dadurch einfacher wurde. Gut, grundlegend konnte ich Sabin in dem Punkt also auch nur zustimmen und ihm beipflichten, dass es sicher nicht verkehrt war, in einem weniger verkorksten Umfeld wieder zu mir selbst zu finden. Schließlich wohnten eine Menge von Hunters Jungs in dieser Unterkunft und Oli war sicher nicht der Einzige, der regelmäßig irgendetwas konsumierte - egal auf welchem Wege. Es war also nur wahrscheinlich, dass so etwas wie heute noch ein weiteres Mal vorkommen würde, wenn ich weiterhin zwangsweise bei Sabin und Sydney untergebracht war. Nur ob ich das nächste Mal genau so viel Kraft hatte, die Finger von dem Stoff zu lassen - das konnte und wollte ich so pauschal nicht beschwören. Im Grunde genommen war also offensichtlich, dass die Option Samuele ungeachtet des moralischen Drumherums gerade die deutlich gesündere Variante für meinen ohnehin schon ziemlich kaputten Kopf war und diese Erkenntnis entlockte mir noch vor entsprechend einsichtigen Worten ein leises Seufzen. Der Wille, dem jungen Italiener noch mehr zur Last zu fallen, als ich das ohnehin schon tat, hielt sich wirklich in Grenzen, war quasi nicht vorhanden, aber wie der Fahrer des Wagens bereits ziemlich deutlich gemacht hatte, gab es aktuell wohl kaum eine andere gangbare Alternative. Zumindest dann nicht, wenn ich clean werden wollte, ohne vorher doch noch den Verstand zu verlieren, frustriert irgendeinen von Hunters Schlägern gegen das Schienbein zu treten oder im schlimmsten Fall einmal rückfällig zu werden. "Okay, ja, macht alles soweit Sinn.", murmelte ich nachdenklich und räumte damit offen ein, dass ich von Widerworten dahingehend absehen würde, weil Sabin einfach Recht hatte mit dem was er sagte. "Kann... ich mir das noch bis morgen überlegen? Ich meine... nicht, dass ich jetzt groß eine andere Wahl hätte. Will mich nur mit dem Gedanken anfreunden.", redete ich dann weiter, wobei ich den Blick wieder von ihm abwandte und stattdessen auf die Straße vor uns richtete. Bei Hunter und Cosma einzuziehen kam schließlich nicht in Frage. Vahagn war sicher aus gutem Grund getürmt und was Tauren anging, der potenziell mit der letzte gewesen wäre, der ein Auge auf mich hätte haben können... na ja, darüber brauchte ich sicher nicht zu reden, warum das ebenfalls nicht zur Debatte stand. Wie es bei Sydney und Sabin lief, war ja brandaktuell klar und somit schrumpften zumindest die Alternativen, die mir einfallen wollten ziemlich drastisch. Es würde also vermutlich tatsächlich darauf hinaus laufen, dass ich dem ohnehin schon belasteten Landsmann Sabins zur Last fallen würde. Vermutlich sogar schon gleich morgen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte eine kleine Weile, bis Richard irgendwas zu meinen vorangegangenen Worten sagte. Da ich sowieso nebenher mit dem Autofahren beschäftigt war sollte mich das gar nicht weiter stören. Inzwischen war ich auch wieder ein klein wenig ruhiger, was vermutlich allein von der Tatsache rührte, dass ich jetzt doch noch eine Chance dafür sah den Engländer friedlich bei Samuele absetzen zu können. Ich hätte ihn sicher nicht schon morgen zu dem Italiener gebracht, wenn er sich weiterhin gänzlich dagegen ausgesprochen hätte. Dass das nur für Stress und Streit sorgen würde, den wirklich keiner von uns dreien momentan gut gebrauchen konnte, war komplett vorprogrammiert und deshalb hätte ich es vermutlich rausgezögert, bis es irgendwann einfach unumgänglich geworden wäre. Allerdings schien Richard inzwischen selbst begriffen zu haben, dass das für ihn selbst in jedem Fall die bessere Lösung war, weil er sich dann entsprechend zu meinen Vorgaben bezüglich des Umzugs äußerte. Nicht, ohne das Ganze mit einem schweren Seufzen zu verknüpfen, aber das war ihm kaum anzukreiden. Eher war ich noch froh darum, dass er sowas wie Mitgefühl und Einsicht wieder zu entwickeln schien, ohne dass ich es ihm erst mit dem Kopf auf einer Kommode gefühlt einprügeln musste, damit er etwas verstand. Auch das war ein weiterer Fortschritt und er mochte zwar noch ein ganzes Stück weit davon entfernt sein, wieder ganz der alte zu sein, aber zumindest ein bisschen was von seinem eigentlichen Charakter wieder zu Gesicht zu bekommen, war eine Erleichterung. Zwar war zu viel Mitgefühl in Hinsicht auf den Einzug bei Sam natürlich nichts als absolut hinderlich, aber dennoch. Ich nickte auf seine Worte hin zuerst ein klein wenig, schwieg im Anschluss ein paar wenige Sekunden und hängte noch entsprechende Worte dran. "Nimm dir ruhig noch ein, zwei Tage, wenn du sie brauchst.", ließ ich den Dunkelhaarigen wissen, dass ich ihn so dermaßen dringend nun auch wieder nicht loswerden wollte und er lieber wirklich bereits dafür sein sollte. Wobei das ja sowieso die falsche Wortwahl war und ich war mir gerade nicht sicher damit, ob ich das dem jungen Mann nicht vielleicht auch sagen sollte. Einerseits hielt ich ihn für durchaus schlau genug, dass er selbst darauf kam, dass ich nicht primär wegen ihm so gestresst war, aber andererseits hatte es in der aktuellen Situation eben doch ziemlich stark den Anschein als würde ich ihn einfach nur an Irgendjemandem abschieben wollen, um mich nicht mehr selbst mit ihm rumschlagen zu müssen. Deshalb seufzte ich selbst nach etwa zwei weiteren stillen Minuten auch einmal leise, während ich wegen einer engen Kurve am Rand der Stadt einen Gang runterschielt. Sobald jene Kurve gänzlich passiert war und ich mich auf recht gerader Strecke nur noch wenig bis gar nicht aufs Fahren konzentrieren musste, warf ich einen kurzen Blick zu Richard rüber und ergriff das Wort nochmal. "Bitte versteh' das alles nicht falsch, Richard... es ist echt nicht so, als würd' ich dich einfach nur loswerden wollen, weil ich keinen Bock mehr habe. Aber ich glaub' wirklich, dass es dir bei Sam besser geht und ihr scheint euch jetzt ja auch besser zu verstehen... ich hab selber einfach zu wenig Zeit und zu wenig Möglichkeiten und dass ich gestresst mehr schlecht als was anderes für dich bin, haben wir ja grade mehr als deutlich gesehen.", redete ich so vor mich hin und musste dann abbremsen, weil ein Vieh trabend die Straße überquerte, das sich als gut genährte Kuh herausstellte. Es war mir immer noch ein Rätsel, wie die Bauern es hier schafften nicht ständig ihr Vieh zu verlieren, wenn sie jenes in vielen Fällen nicht einmal einzäunten. Ich hatte mir glücklicherweise schon angewöhnt gerade nachts nie besonders schnell zu fahren. Man sah sowohl die Tiere, als auch die Schlaglöcher sonst tendenziell zu spät. "Und wenn's doch nicht geht oder sonst irgendwas ist, kannst du dich natürlich trotzdem melden. Ich werd' so oder so öfter mal vorbeischauen.", hängte ich noch ein paar letzte Worte an. Es war mir wohl doch ziemlich wichtig, dass der Engländer wusste, dass meine im Vergleich zu sonst doch merklich gesteigerte Reizbarkeit nicht wirklich seine Schuld war, sondern der Tag schlichtweg aktuell zu wenige Stunden für mich hatte, um mich allem absolut entspannt widmen zu können. Gut, Sydney mal ausgenommen, weil die Brünette schlicht ganz allgemein eine entspannende Wirkung auf mich hatte, aber ansonsten ging ich momentan wohl so ziemlich alle Aktionen relativ gestresst an. Könnte ich mir sowas wie Handlanger leisten und gäbe es außer Richard Jemanden, dem ich mit den Drogen vertrauen konnte, dann hätte ich mir zumindest was das anging auch echt liebend gern Unterstützung geholt, weil das Kochen so zeitintensiv war. Was das anging war ich aber wohl schon fast genauso penibel wie der Engländer selbst.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Wieder kehrte kurzzeitig Stille ein, was aller Voraussicht nach daran lag, dass wir beide nicht so recht wussten, wie wir mit den aktuellen Umständen eigentlich umgehen oder was wir diesbezüglich sagen sollten. Es galt Worte in diesem Fall auch verhältnismäßig weise zu wählen, weil wir einander doch momentan ziemlich leicht auf den Schlips traten. Sabin war nun mal grundlegend gestresst und damit ohnehin anfälliger für Konflikte und ich fühlte mich nach wie vor einfach vernachlässigt und zurückgewiesen. Mit den Gegebenheiten war es also nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Geduld dem jeweils anderen gegenüber aufgebraucht gewesen wäre - der heutige Vorfall hatte das ganze Prozedere natürlich ein wenig beschleunigt. Und vielleicht war das auch gut so, denn hätte sich auf beiden Seiten noch mehr Ärger und Frust angestaut, dann wäre das Gespräch sicherlich nicht so glimpflich ausgegangen. Vermutlich wären Fäuste und vielerlei böse Worte geflogen und wenn ich so darüber nachdachte, dann begrüßte ich die heutige Auseinandersetzung doch ein Stück weit. So war jedenfalls sicher, dass wir die Reißleine binnen der nächsten Tage ziehen würden und auch wenn mir die einzige zur Verfügung stehende Option nicht so wirklich in den Kram passte, war es mir allemal lieber, als weiterhin in der Gemeinschaftsunterkunft zugrunde zu gehen. Natürlich revitalisierte ich mich auch dort Stück für Stück, aber es brauchte länger und war mit deutlich mehr Aufwand verbunden, als das in Samueles Obhut der Fall sein würde. Hoffte ich zumindest. Bis jetzt waren das ja alles nur Theorien. Vermutungen, wie es werden könnte und davon war noch lange nichts in Stein gemeißelt. Schließlich hatte Sam nicht besonders freudig darauf reagiert, als Sabin verkündet hatte, dass es auf kurz oder lang darauf hinaus laufen würde, dass ich mich bei ihm einnisten würde und verübeln konnte ich es ihm wirklich nicht. Ich hätte vermutlich auch keine besonders große Lust, wildfremde Leute, die ich vielleicht zwei oder drei Mal in meinem Leben zu Gesicht bekommen hatte, bei mir aufzunehmen - nach der Sache mit Tauren und Agnolo sowieso nicht. Ich würde mich davor hüten, die beiden über einen Kamm zu scheren, aber eines hatten sie wohl dennoch gemeinsam: Sie schafften es, ziemlich langwierige, absolut anstrengende Probleme zu schaffen, an denen ich eine halbe Ewigkeit zu knabbern hatte. Aber gut, das war aktuell nun wirklich nicht von Belangen und sauer war ich zumindest auf ersteren nur noch ein kleines Bisschen. Mir wurde mittlerweile einfach klar, dass auch der Norweger mir nie etwas Böses gewollt hatte, nur kam das zu Zeiten, in denen mein Hirn von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durchweg benebelt gewesen war, einfach nicht an und mittlerweile tat es mir wirklich Leid, wie ich mit ihm umgegangen war. Hatte er einfach nicht verdient, auch wenn Tauren hier und da natürlich auch seine Macken hatte. Na ja, jedenfalls schweifte ich glatt ein weiteres Mal vom Wesentlichen ab und ich musste mich mit einem schwachen Kopfschütteln zurück in die Gegenwart zwingen, in der Sabin gerade noch einmal sein Wort an mich gerichtet hatte. Ich solle mir ruhig noch ein paar Tage Zeit zum Nachdenken nehmen - sehr freundlich, aber ich wusste ja bereits, worauf das Ganze hinauslaufen würde - und zum anderen sollte ich das Alles hier doch bitte auch ja richtig auffassen. Nicht glauben, dass er mich loswerden wollte, aber auch wenn er dabei sehr überzeugend klang, fiel es mir schwer, ihm in dem Punkt meinen Glauben zu schenken. Vielleicht war ich da aber auch wieder nur unnötig paranoid. Wundern würde mich das nicht. Außerdem gab er mir mehr oder weniger sehr indirekt das Versprechen, regelmäßig nach mir zu sehen, was mich meine Lippen zumindest zu einem schmalen Lächeln verziehen ließ. "Passt schon...", antwortete ich und zuckte dabei nur leicht mit den schmalen Schultern. War zwar so nicht ganz richtig und man hörte mir den verbitterten Unterton wohl auch an, aber ich versuchte mir anderweitig nichts anmerken zu lassen. Ich wollte ihm ja sehr gerne glauben, aber es fiel mir einfach unglaublich schwer, auch wenn ich wusste, dass Sabin selbst wohl momentan wirklich auf dem Zahnfleisch ging. Unglaublich viel um die Ohren hatte und deshalb nur begrenzt Zeit und Lust dafür übrig hatte, sich meiner mentalen Genesung zu widmen. Dennoch konnte ich das nicht so ohne weiteres runterschlucken. Vielleicht in ein, zwei Tagen dann, nachdem ich mich bei Sam ein wenig eingelebt und den Tagesablauf des jungen Mannes studiert und mich mit ihm angefreundet hatte. Bis dahin musste Sabin wohl leider damit leben, dass dieser vorwurfsvolle und irgendwie auch leicht nachtragende Unterton bei Gesprächen dieser Art bleiben würden. "Krieg' ich dann mein Handy wieder?", fragte ich im direkten Anschluss daran, weil jenes mir bei meinem Haftantritt abgenommen worden war. Vermutlich deshalb, damit ich keine Hilfe rufen oder mir Stoff liefern lassen konnte. Beides wäre zwar vermutlich ohnehin sofort aufgefallen und im Keim erstickt worden, aber durch die Abnahme des Mobiltelefons kam es gar nicht erst so weit, dass sich Probleme auftaten. Im Umkehrschluss hätte es mir die Zeit in Einzelhaft sicher ein Stück weit angenehmer gestaltet.
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Er klang angepisst. Nicht, als könnte man ihm das wirklich in irgendeiner Art und Weise übel nehmen, wurde er in den letzten Tagen doch immer wieder zwischen verschiedensten Leuten hin und her geschoben, nur um letzten Endes wieder in seine Zelle zu wandern. Trotzdem hob dieser unterschwellig anschuldigende Ton in seiner Stimme nicht unbedingt meine eigene Stimmung an, wobei ich im Verlauf dennoch darauf verzichtete, noch irgendwas dazu zu sagen. Was auch? Dass er nicht beleidigt rumschmollen, sondern sich lieber auf wichtigeres fokussieren sollte? Wäre nicht besonders produktiv angesichts der aktuellen Situation, also schenkte ich schweigend lieber seiner nächsten Frage mein Gehör. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich ihm sein Handy wirklich wiedergeben sollte. Es barg nämlich durchaus einige Tücken für mich und für ihn allerhand Möglichkeiten, einen in seinen Augen besseren Weg einzuschlagen, der seiner Therapie einen ordentlichen Dämpfer versetzen würde. Schließlich konnte er damit Kontakt zu weiß Gott wem alles aufnehmen, um sich entweder Stoff zu besorgen oder ein Befreiungskommando zu ordern. Andererseits dachte ich aber auch, dass es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, wenn man den Dunkelhaarigen ein bisschen für seine bisherigen Bemühungen belohnen würde, indem man ihm ein Stück mehr Normalität zurückgab. Quasi positives Verstärken der schon gemachten Schritte. Außerdem sagte ja Niemand, dass ich ihm sein Handy im normalen Zustand wieder zurückgeben musste... gab in der heutigen Zeit so einige Softwares, die man zum Spionieren auf fremden Handys nutzen konnte, ohne, dass sie auf Anhieb vom Benutzer zu finden waren. Ich wollte Richard eigentlich schon gerne wieder richtig vertrauen, aber nach seinem letzten Ausbruchsversuch war das schlichtweg ziemlich schwierig. Wie es mit dem Handy aussah würde ich mir bis zu seinem Umzug also lieber noch ein bisschen genauer überlegen. "Soweit ich das sehen konnte, hat Sam zwar durchaus auch ein Festnetztelefon... aber ich denk mal drüber nach, ja.", gab ich ihm lieber doch noch kein richtiges Ja auf seine vorherige Frage zurück, weil ich mich was das anging ganz einfach noch nicht festlegen wollte. Mir bis hierhin noch sämtliche Wege offen hielt, die potenziell in Frage kamen. Ich wollte dem jungen Mann jetzt auch keine Versprechen geben, die ich danach vielleicht doch nicht halten würde, weil ich es mir noch anders überlegte. Ihm zu sagen, dass ich ein paar Gedanken daran verschwenden würde, war in diesem Fall ja auch keineswegs gelogen und kein getarntes Nein. Den Rest der Heimfahrt verbrachten wir dann schweigend und ich war irgendwie auch ziemlich froh darüber, weil ich darauf verzichten konnte, dass doch noch einer von uns beiden irgendwas sagte, dass dem wiederum anderen nicht besonders schmeckte. Die eine Auseinandersetzung vor Samueles Wohnhaus hatte mir persönlich vollkommen gereicht und sobald Richard Zuhause dann seinen abendlichen - beziehungsweise in diesem Fall eher nächtlichen - Gang ins Bad erledigt hatte, verabschiedete ich mich für heute endgültig von ihm, um mich erstmal um mich und meine noch immer angespannten Nerven zu kümmern. Da durfte eine ausgiebige Dusche nicht fehlen und außerdem genehmigte ich mir auch noch eine Flasche Bier, während ich nebenher noch etwas aß. Meine Gedanken kreisten dabei dann aber doch noch einmal um die Handygeschichte.
** ZS vong diese... zwei Wochen her, sag ich einfach mal**
Seit der Feier bei Hunter waren inzwischen fast genau drei Wochen vergangen und nachdem wir alle einen Tag zum Ausnüchtern bekommen hatten, hatte der Chef das Arbeitslimit wieder ziemlich ordentlich nach oben geschraubt. Es war jetzt nicht unbedingt so, als würde ich mich darüber beschweren wollen, weil ich das Geld gut gebrauchen konnte und es an sich auch für eine wirklich gute Sache hielt, langsam wieder etwas mehr Routine in meinen Alltag zu kriegen. Allerdings war dieses von Null auf Hundert sofort wieder funktionieren die ersten zwei bis drei Tage absolut anstrengend gewesen und dementsprechend vollkommen erledigt war ich dann auch jedes Mal ins Bett gefallen. Danach war es dann stetig wieder etwas besser gegangen, aber Koffein hatte ich trotzdem weiterhin dankend entgegen genommen. Sobald die Vorbereitungen in der Lagerhalle endgültig abgeschlossen waren, war ich auch von jener abgezogen worden und es folgten einige nächtliche Einbrüche, die vielleicht auch ein oder zwei Tote gefordert hatten. Die meisten der Leute, auf die wir dabei getroffen waren, hatten sich sofort ergeben und uns die Raubzüge damit um ein vielfaches vereinfacht. Wie so oft wusste ich zwar nicht, was Hunter damit bezwecken wollte, beziehungsweise war er mit dermaßen vielen Zigarren wollte, weil er die selbst unmöglich allein hätte rauchen können, aber im Grunde war mir das auch relativ egal. Ich machte meinen Job wie sonst auch und versuchte mein Leben wieder auf den bestmöglichen Weg zu bringen. Zum einen hatte ich die Trainingsintensität wieder auf hundert Prozent hochgeschraubt, schwitzte mir fast täglich deshalb gefühlt die Seele aus dem Leib und zum anderen hatte ich vor etwa einer Woche auch endlich eine passende Wohnung für mich gefunden. Der Umzug war gewohnt nervtötend gewesen. Sie lag nicht inmitten der Stadt, sondern in einem der äußeren Viertel nahe der Küste, das wohl im unteren Durchschnitt bis Durchschnitt lag. Hier war die Miete aber günstiger und außerdem bekam man auch mehr für sein Geld. Ich hatte vom Balkon aus eine entspannende Aussicht in Richtung Meer und das trug doch merklich zu meiner Ausgeglichenheit bei, während ich dort die eine oder andere Kippe konsumierte, mir ab und an nach dem Aufstehen parallel dazu Kaffee in den Rachen kippte, um auf Touren zu kommen. Mein Schlafrhythmus hatte sich inzwischen nämlich durch die Arbeit wieder so weit verschoben, dass ich meist bis vier oder fünf Uhr morgens wach war und dementsprechend auch länger schlief. Es war auch nicht ganz einfach Vahagn weiter mit in meinen Alltag einzubinden und ich sah zwangsweise nicht mehr ganz so oft bei ihr vorbei, wie ich das noch bis zur Feier getan hatte. Dadurch, dass es sich in meinen eigenen vier Wänden jetzt wieder gut schlafen ließ, hatte ich auch nicht mehr permanent das Gefühl mich zu ihr flüchten zu müssen. Trotzdem genoss ich es jedes Mal, wenn ich bei der Russin war und wir kamen uns auch stetig ein kleines bisschen näher. Sicher würde es noch eine halbe Ewigkeit dauern, bis ich die kleine Eiskönigin mal so richtig aufgetaut hatte, aber ich hatte ja Zeit. Sie schien die Insel vorerst nicht verlassen zu wollen und demnach ging ich die Geschichte mit uns beiden verhältnismäßig locker an, obwohl ich mich durchaus nach etwas mehr von ihrer Nähe gesehnt hätte. In der Ruhe lag die Kraft, sagte man immer, aber ich als junger, energiegeladener Mensch war da wohl skeptisch. Apropos Vahagn - ich hatte letzte Nacht die Lieferung für Hunter im Hafen mit angenommen. Die Container mit den anderen ausgeladen und dabei nicht schlecht gestaunt, wie viele Paletten voll Geld der Amerikaner hatte verschiffen lassen. Die Jungs, die verspätet noch aus Norwegen mitgekommen waren, waren heilfroh gewesen von dem Frachter wieder runterzukommen und hatten inzwischen auch ihr Quartier bei den anderen bezogen. Ashton war dort mittlerweile ausgezogen, hatte sich mit Desmond und ein paar anderen etwas eigenes gesucht und demnach war in der Sammelunterkunft locker wieder genug Platz gewesen. Vahagn selbst war zwar auch mit am Hafen gewesen, aber wirklich miteinander unterhalten hatten wir uns nicht, weil es einfach unangebracht gewesen wäre und ich wusste, wie pingelig Hunter da war. Er hatte wie gewohnt seine Augen auch einfach gefühlt immer und überall. Letzterer hatte mit der Russin vereinbart das Geld heute am Folgetag vorbeizubringen. Bis dahin hatte er erst noch akribisch sicher gehen wollen, dass die Lieferung wirklich jeden einzelnen Geldschein, sowie auch den Sprengstoff und ein paar Waffen mehr beinhaltete. Ich war mir auch fast sicher, dass er sich selbst dafür alles lückenlos aufgeschrieben hatte, damit er auch ja nichts zu überprüfen vergaß. Jedenfalls hatte er mich, als sämtliche Fracht verladen und zur Abfahrt bereit gewesen war, noch einmal bei Seite genommen und mir gleich einen Job für den heutigen Abend aufs Auge gedrückt. Genau genommen für jetzt - es musste wohl irgendwas gegen 23 Uhr sein, tagsüber Geld durch die Stadt schleppen machte sich selten gut -, weil ich auf dem Beifahrersitz seines Wagens saß, während wir - den Kofferraum voll Geld - auf dem Weg zur Geldübergabe bei der Russin waren. Zwar hatte er mich wohl hauptsächlich deshalb mitgenommen, weil er die Taschen mit dem Bargeld nicht selbst schleppen wollte und er nach eigener Angabe noch nicht wusste, wo die junge Frau hauste, aber mich beschlich das ungute Gefühl, dass das nicht die einzigen beiden Gründe dafür waren. Es war irgendwie naheliegend, dass er mich oder uns beide damit provozieren wollte - womöglich am ehesten deswegen, weil ich immer noch nicht wirklich mit ihm darüber geredet hatte, dass zwischen Vahagn und mir etwas lief. Aber bisher war bis auf vereinzelte Küsse und Gekuschel auch nichts passiert, weil ich sie ganz einfach nicht bedrängen wollte. Ich hatte mir auch schon vorgenommen ihm spätestens dann was zu sagen, wenn wir miteinander geschlafen haben sollten. Der Amerikaner schien es jedoch zu bevorzugen mich vorher schon mehr oder minder einer Situation auszusetzen, die mich womöglich in Erklärungsnot bringen könnte. Ich würde die Sache schon schaukeln, damit war ich mir zumindest auf der Hinfahrt noch ziemlich sicher. Wir waren nur etwa zehn Minuten bis zu der Wohnung der Russin unterwegs gewesen, nachdem Hunter mich Zuhause eingesammelt hatte und er hielt den Wagen mit ebenfalls amerikanischer Herkunft ein paar Meter abseits der Wohnung an. In weiser Voraussicht nahm ich die beiden vollgepackten Taschen gleich selbst aus dem Kofferraum und geleitete den gewohnt eher weniger freundlich drein schauenden Amerikaner bis zum Haus. Allerdings sollte es gar nicht notwendig sein, dass wir erst bei der Brünetten klingelten. Schon aus ein paar Metern Entfernung konnte ich sehen, wie im Rahmen der Haustür irgendein Kerl lehnte, der sich gerade von ihr verabschiedete. Ich kannte ihn nicht, hatte ihn noch nie vorher gesehen, aber das ziemlich breite Grinsen auf seinem Gesicht, das er Vahagn bei der Verabschiedung zuwarf, während er sich ihr etwas entgegenlehnte, war für mich Indiz genug dafür, dass ich den Typen auch gar nicht kennen wollte. Vollkommen unbewusst hatte ich meine Schritte ein wenig verlangsamt, während ich es zweifelsfrei auch nicht vermeiden konnte, dass sich in meinen Gesichtszügen Entsetzen wiederspiegelte. In Verbindung mit der Geschwindigkeitsverringerung war es wohl ziemlich unmöglich zu umgehen, dass das dem Amerikaner neben mir auffiel. Er drehte seinen Kopf in meine Richtung und musterte kaum eine Sekunde lang mein Gesicht, bevor er zu grinsen anfing und unbeirrt zu der Russin an der Tür aufschloss. Der [/i]ungebetene Gast[/i] ging an mir vorbei und ich kam nicht umher ihn mir in den zwei Sekunden, in denen sich unsere Blicke trafen, doch noch etwas genauer anzusehen. Was ich damit eigentlich bezwecken wollte wusste ich allerdings auch nicht. Vielleicht versuchte ich irgendeine Antwort in seinem Gesicht zu finden, die mir eher Vahagn schuldete. "Tut mir leid, dass wir... sieben Minuten zu früh sind.", begrüßte Hunter die Russin relativ gut gelaunt klingend, noch bevor ich zu ihnen aufgeschlossen hatte, wobei er zwischendurch auf die recht noble, aber schlichte, schwarze Uhr an seinem Handgelenk sah. "Mit der Lieferung war soweit alles in Ordnung, also bring' ich... bringt Tauren dir dein Geld.", verkündete er, dass er nichts zu bemängeln hatte, sobald ich neben ihm stand und betonte meinen Namen unterschwellig süffisant. Man konnte ja von Hunter halten, was man wollte, aber blöd war er leider nicht und ich wünschte mir in diesem Moment wohl nichts sehnlicher, als nur schnell die Taschen auf den Boden fallen zu lassen und direkt wieder Kehrt zu machen. Das Universum schien mir was das anging aber so gar nicht gnädig gestimmt zu sein. "Allerdings würde ich ganz gern noch etwas mit dir besprechen und deswegen sollten wir erstmal reingehen.", hängte Hunter noch ein paar Worte an, mit denen ich nichts anzufangen wusste. Er hatte dahingehend vorher nichts erwähnt und ich war eigentlich davon ausgegangen, dass wir nur das Geld ablieferten und wieder gingen. Weit gefehlt, wie mir schien und dementsprechend schweifte mein Blick auch zum ersten Mal von Vahagn zu dem großgewachsenen Tätowierten neben mir.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
In den letzten zweieinhalb bis drei Wochen hatte sich viel getan. Überraschenderweise fast nur Gutes und somit war eigentlich abzusehen gewesen, dass damit ziemlich bald auch wieder Schluss sein sollte. Aber blieben wir erst einmal bei den guten Neuigkeiten. Der Frachter mit Hunters Geld und dem Rest seiner Gefolgschaft an Bord hatte den Heimathafen laut meinem Kapitän ohne nennenswerte Verzögerungen verlassen und war auch bei seinen Zwischenhalten in Frankreich und Senegal in keine allzu kritischen Kontrollen geraten. Als die beiden Häfen zur Betankung des Schiffes letztlich passiert waren und mich der Anruf erreichte, dass sich der Frachter nun auf der Zielgeraden nach Kuba befand, fiel mir, wie immer eigentlich, ein kleiner Stein vom Herzen. Halbe Weltreisen waren auf dem Schiffsweg zwar deutlich billiger, aber die Wahrscheinlichkeit, dass man beim Schmuggeln von Ware oder Menschen erwischt wurde, natürlich größer, je weiter die zurückzulegende Distanz war. Schließlich musste das Schiff irgendwann betankt werden und mehrere, teilweise vollkommen fremde Häfen anzusteuern war halt einfach verdammt riskant. Man konnte prinzipiell jederzeit vom Schifffahrtsamt kontrolliert werden und wollten die ein bisschen mehr, als nur das Befähigungszeugnis des Kapitäns und die letzten TÜV Berichte des Schiffes, dann war der Ofen ziemlich schnell aus. Eine Kontrolle der Ladungssicherung war grundlegend auch noch in Ordnung, aber sobald es um intensivere, tiefgehende Einblicke in den Frachtraum ging, starben in der Regel Menschen. Glücklicherweise kam letzteres nur äußerst selten vor und doch war ich immer wieder froh, wenn es einer meiner Schiffe ohne weiteres auslaufen durfte. Das war also schon mal Punkt eins auf der Liste der guten Neuigkeiten. Punkt zwei war, dass auch bei der Ankunft hier in Kuba alles glatt lief und sowohl die Ware, als auch die Personen allesamt vollzählig und unbeschadet von Bord gegangen waren, was im Umkehrschluss den vollen, vorab mit Hunter vereinbarten Preis bedeutete - ohne Abzüge wegen irgendwelcher Mängel. Hätte mich allerdings auch gewundert, konnte ich mich doch auf jeden einzelnen meiner Männer verlassen, auch wenn ich momentan weniger das Zepter in der Hand hielt, als es Iljah tat. Nichtsdestotrotz war der Auftrag bis zum Ende sauber und akribisch durchgeführt worden, was mich nach dem Verladen der Fracht irgendwann inmitten der Nacht mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen hatte einschlafen lassen. Zwar ließe sich durch die beträchtliche Summe, die der Auftrag in meine Taschen spülte, der Standort in Russland auch nicht gänzlich retten, aber es war immerhin schon mal ein Anfang und am Tag darauf hatte ich direkt mit Iljah telefoniert, um ihn darüber in Kenntnis zu setzen. Einerseits freute er sich natürlich riesig und verkündete mir, dass er selbst in unserem Heimatland noch zwei, drei größere Aufträge bekommen hatte, er aber dennoch ein paar der Jungs hatte entlassen oder degradieren müssen. Das wiederum war natürlich weniger erfreulich und hatte meiner guten Laune kurzzeitig einen Dämpfer verpasst, aber so weit ich das mitbekommen hatte, war weder jemand gestorben, noch gab es größere Aufstände, was doch Hoffnung streute, mit der Firma irgendwann wieder auf die Beine zu kommen. Na ja, jedenfalls waren das so die zwei hauptsächlichen Gründe gewesen, warum die letzten Wochen in meinen Augen kaum besser hätten laufen können und hinzu kamen natürlich noch ein paar andere Kleinigkeiten. Die Treffen mit Tauren beispielsweise, welche zwar durch seine Arbeit in der Regelmäßigkeit abgenommen hatten, dafür aber beidseitig ein Stück weit mehr genossen wurden, als ohnehin schon und ich müsste wohl lügen, würde ich behaupten, dass ich mich in der Gegenwart des Norwegers nicht wohl fühlte. In seinen Armen nicht zur Ruhe kam, obwohl die letzten Tage nicht besonders stressig gewesen waren. Ich hatte mich nur wieder mal selbst ziemlich unter Druck gesetzt, was die Auftragsbeschaffnung für Russland anging und war jedes Mal froh, mich in Taurens Nähe entspannen zu können. Nichtsdestotrotz hatte ich auch anderweitige Bedürfnisse und weil ich mich schlicht und ergreifend noch auf keinen Sex mit dem Hauch von Gefühlen einlassen, es nicht überstürzen wollte, hatte ich mir am heutigen Abend einen Kubaner angelacht, der die Wochen oder gar Monate der Abstinenz aufwiegen sollte. Mit vollkommen zwanglosen, unverbindlichen Sex. Kennengelernt hatte ich den Typen - dessen Name mir bei der Verabschiedung an der Haustür schon wieder entfallen war - in einer Bar unweit meiner Wohnung. Es hatte nicht lange, maximal vielleicht zwei Drinks gebraucht, bis wir von der Kneipe geradewegs in mein Schlafzimmer gestolpert waren und auch wenn das Bedürfnis grundlegend gestillt war, konnte ich nicht behaupten, wirklich zufrieden zu sein. Woran genau das letztlich lag, wusste ich natürlich noch nicht - das sollte ich erst herausfinden, als ich Miguel - plötzlich fiel mir der Name dann doch wieder ein - an meiner Haustür verabschiedete. Jener beugte sich gerade vor, um mir noch einen letzten Kuss aufdrücken zu wollen, aber ich wimmelte ihn mit der gewohnten Kälte in meinem Blick ab, indem ich meine Hand auf seine Brust legte und ihn von mir schob. Enttäuscht, aber dennoch breit grinsend zog der Kubaner schließlich den Rücktritt an und offenbarte mir damit im nächsten Moment die Gesichter der beiden Männer, von denen ich zumindest eines hier und heute nicht erwartet hatte. Auch wenn meinen starren Gesichtszügen nichts dergleichen zu entnehmen war, klingelte da gerade das schlechte Gewissen in meinem Oberstübchen, als ich Taurens entsetzten Gesichtsausdruck zur Kenntnis nahm. Es brauchte gerade mal einen IQ über Raumtemperatur, um zu erkennen, dass sich der Norweger gerade ziemlich hintergangen fühlen musste und ich rang innerlich mit mir, was ich davon jetzt eigentlich halten sollte. Einerseits war das mit uns beiden zumindest offiziell noch nichts wirklich Ernstes und jeder hatte eben so seine Freiheiten, auf der anderen Seite wäre da aber nun mal kein schlechtes Gewissen, wenn es mich nicht auch irgendwie - auf welcher Ebene auch immer - zu stören schien, dass der junge Mann gerade dabei zusehen musste, wie ich denjenigen verabschiedete, mit dem ich wenige Minute zuvor noch gevögelt hatte. War einfach irgendwie... seltsam. Seltsam unangenehm, um genau zu sein. Was machte er eigentlich hier? Ich hatte ein Verabredung mit Hunter gehabt, nicht aber damit gerechnet, dass er ausgerechnet Tauren zum Schleppen der Taschen voller Geld verdonnerte. Andernfalls hätte ich das mit dem Spaß noch einen Tag nach hinten verschoben, denn das letzte, was ich wollte, war dem jungen Mann, dem die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stand, zu verletzen. Klang paradox, war ich doch mit Abstand wohl diejenige, die ihn in der letzten Zeit am meisten psychisch geohrfeigt hatte, aber ja... ich konnte es mir auch nicht wirklich erklären. Jedenfalls wäre es auch ohne Miguels Verschwinden ziemlich offensichtlich gewesen, dass der letzte Sex nicht allzu lange her sein konnte, stand ein Teil meiner Haare noch immer in sämtliche Himmelsrichtungen ab und auch die Klamotten hatte ich nur dürftig wieder angezogen. Eigentlich hatte ich ja auch damit gerechnet, den Amerikaner erst in sieben, gottverdammten Minuten zu begrüßen, in denen ich es locker geschafft hätte, mir zumindest wieder einen BH anzuziehen, die weiße Bluse wieder in die kurze Jeansshort zu stecken und die restlichen Knöpfe jener zuzumachen. Das Glätten der Haare mit einer Haarbürste wäre auch binnen maximal einer Minute erledigt gewesen und ich hätte wieder ausgesehen, wie ein Mensch. Und jetzt? Stand ich da. Die Schultern ungeachtet aller negativen Umstände trotzdem gestrafft - weil Hunter in dem Fall nun mal ein Geschäftspartner war -, aber wohl fühlte ich mich nicht besonders. Dennoch verzog ich keinen Millimeter der gewohnt kalten Miene, als ich den fröhlich vor sich hin trällernden Amerikaner und seinen geknickten Anhang herein bat, indem ich aus der Tür ging. Jene ließ ich hinter Tauren herlaufend schließlich ins Schloss zurück fallen und bedeutete den jungen Männern, dass sie gerne im Wohnzimmer Platz nehmen durften. Angst vor irgendwelchen Entdeckungen, die man nicht unbedingt machen wollte, wenn man irgendwo zu Besuch war, brauchten sie nicht haben. Ich bevorzugte es, Bettgeschichten nicht mehr, als das Schlafzimmer und anschließend das Bad sehen zu lassen, weil sie in der Regel allesamt gleich wieder verschwanden und demnach niemand wissen brauchte, wie der Rest meiner Wohnung eigentlich aussah.
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