Wenigstens schien er sich noch nicht genug Gehirnzellen mit seinen Räuschen genommen zu haben, um jetzt noch weiter zu rebellieren und sich gegen die Abreise zu sträuben. Ich konnte Richard zwar nach wie vor ansehen, wie sehr er keine Lust dazu hatte mir zu folgen, aber er schien endlich zu merken, dass Widerspruch ihn hier bei mir jetzt nicht weiterbrachte. Dass das bei Tauren funktioniert hatte wunderte mich kein Stück und auch Cosma war da wohl irgendwann mit ihrem Latein am Ende gewesen, ganz gleich wie stur sie oft sein konnte. Ich folgte dem Dunkelhaarigen bis zum Türrahmen, damit ich ihn weiter im Blick haben konnte - der Raum hatte schließlich ein Fenster und ich hatte wirklich keine Lust auf einen spontanen Sprint, inklusive Spießrutenlauf durchs Fenster. Aber er schien tatsächlich nur Klamotten zusammenzupacken und das erleichterte mich doch ein bisschen. Hieß nicht, dass ich Zuhause angekommen nicht trotzdem nochmal in den Beutel, sowie auch seine Hosentaschen sehen würde, damit er auch wirklich nichts mit einschleuste, aber fürs Erste war ich mit dem bisschen an Eigeninitiative schon vollauf zufrieden. Natürlich sollte die Ausreise aber nicht von Statten gehen, ohne dass er mir noch ein paar Worte mehr an den Kopf schmiss. Jene riefen aber nicht wirklich mehr als ein flüchtiges Augenverdrehen meinerseits hervor. Einerseits konnte ich ihn schon verstehen - ein Entzug war nämlich ziemlich sicher die Hölle und ich hätte bestimmt genauso wenig Lust dazu wie er, aber es führte nun mal einfach kein Weg daran vorbei. Er musste da jetzt einmal durch und danach würde es ihm besser gehen... das einzige, was ich bisher noch nicht zu einhundert Prozent zu lösen wusste war der vermutlich notwendige therapeutisch begleitende Aspekt. Ich war kein Psychotherapeut und hatte eigentlich auch nur bedingt Lust dazu meine gesamte Freizeit dafür zu opfern, um Richard immer wieder die selbe Scheiße einzutrichtern, bis er sie irgendwann vielleicht mal annahm. Außerdem würde schon wahnsinnig viel Zeit für seine Überwachung an sich draufgehen, weil ich ihn ganz sicher nicht in die Obhut von Hunters Männern geben würde. Ashton vielleicht höchstens, aber der würde mir ganz bestimmt den Vogel zeigen und sich zurück an den Strand oder in einen Stripclub verpissen. Ich würde mir wohl noch eine Weile lang den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob ich Irgendwen ebenso kaputtes auftreiben konnte, mit dem er reden konnte. Dann könnte er der auserwählten Person sein Leid klagen und auch umgekehrt. Eine Win-Win-Situation für beide. Mehr oder weniger zumindest. War in jedem Fall aber besser für meinen eigenen Kopf, der sonst über kurz oder lang vermutlich explodieren würde, wenn ich mir jeden Tag das Gejammer des Engländers anhören musste. Ich wollte zwar aufrichtig, dass es meinem Sorgenkind hier bald wieder gut ging, aber nicht über meinen eigenen Seelenfrieden hinweg. "Es wird zwar ein paar Wochen dauern, aber danach wirst du mir dankbar sein. Also ja, gern geschehen.", antwortete ich nur reichlich ironisch und schüttelte ein klein wenig den Kopf, bevor ich auf dem Absatz Kehrt machte und ihn mit einer Handbewegung darum bat mir zu folgen. Draußen angekommen wartete ich nur noch darauf, dass er die Haustür fertig abgesperrt hatte, bevor es weiter zum Wagen ging. Ich wartete darauf, dass Richard zuerst einstieg und setzte mich erst danach dann hinter das Steuer des Wagens, um wenig später nach dem Anschnallen loszufahren. Weil wir ohnehin ein Stück weit in Richtung Havanna fahren würden beschloss ich auch kurzerhand, dass ich einfach schon auf dem Heimweg mit einem Umweg an einer Apotheke anhalten würde. Das ersparte mir den doppelten Weg und ich musste den jungen Mann dann nicht länger als absolut notwendig allein lassen. Mich dem Drogengeschäft widmen würde ich heute nicht mehr, die Priorität lag woanders. Zwar war mir das Geld schon wichtig, aber ich ging lieber sicher damit, dass er heute keinen Mist mehr baute, indem ich selbst anwesend blieb. "Hast du das Haus überhaupt schon mal verlassen, seit wir hier sind?", fragte ich ihn mit ruhiger Stimmlage geradeheraus, was mir spontan in den Sinn kam. Wenn er die Drogen aus Norwegen hatte mitgehen lassen, dann hätte er theoretisch wohl nicht rausgehen müssen und laut Tauren hatte er sich ja auch wahnsinnig viel einfach Zuhause verschanzt. Nur ein weiterer Punkt, der absolut nicht gesund für seine ohnehin schon geschundene Seele gewesen sein konnte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mich beschlich irgendwie das ungute Gefühl, dass mir mit Sabin ab dem heutigen Tag die Stasi im Genick sitzen würde. Ich keinen Schritt mehr ohne absolute Kontrolle seinerseits machen konnte und das stieß mir schon jetzt unglaublich bitter auf. Nur widerwillig stiefelte ich neben dem Italiener den Flur entlang, um mir aus der Schale, die wie schon in meinem Loft in Norwegen auf einer Kommode nahe der Haustür stand, meinen Schlüssel zu angeln. Das war eines der ersten und auch einzigen Dinge gewesen, die ich unmittelbar nach unserer Ankunft hier in diesem Haus eingerichtet hatte, weil ich dahingehend wohl immer ein chaotischer Gewohnheitsmensch war. Einer, der alle Nase lang seinen Schlüssel verlieren würde, wenn nicht zumindest diese beschissene Schale eingerichtet war. Ich verließ mit einem leichten Kopfschütteln bezüglich Sabins Worten hinter ihm den Bungalow und schloss die Haustür ab. Dafür brauchte ich aufgrund des zittrigen Arms leider etwas länger und ich hätte beinahe aufgegeben, da klappte es dann doch noch. Der Schlüssel wanderte daraufhin in die Hosentasche meiner Shorts, die ich mittlerweile mit einem Gürtel fixieren musste, weil sie mir sonst von den Hüften rutschen würde, dann trat ich den Weg zum Auto an. Als ich die recht schmale, überdachte Veranda hinter mir gelassen hatte und der Kies unter meinen Schuhen knirschte, musste ich erst einmal gegen die Sonne anblinzeln, die ich doch nun seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatte. Hier und da vielleicht mal, wenn ich mich auf die Terrasse gesetzt hatte, aber das war in den letzten Tagen nicht mehr vorgekommen, weil die Konfrontationen mit Tauren einfach ganz neue Ausmaße angenommen hatten und ich es bevorzugte, meine Ruhe zu haben. Ich setzte also gerade den ersten Schritt an das nicht aus Halogen oder LED Strahlen bestehende Tageslicht, da fing die Überwachung auch schon an. Der junge Mann wartete doch ganz bewusst darauf, dass ich meine sieben Sachen im Fußraum der Rückbank verstaut und mich selbst auf den Beifahrersitz hatte fallen lassen. Er traute mir nicht, was angesichts der vorangegangenen Diskussion vielleicht auch besser so war. Immerhin war ich mir manchmal selbst nicht ganz im Klaren darüber, was für Anfälle mich heimsuchten und demnach war er mit einem etwas akribischeren Blick auf meine Wenigkeit wohl auf der sicheren Seite. Kaum war Sabin auf der Fahrerseite eingestiegen, ließ er auch schon den Motor laufen und kutschierte mich damit geradewegs in die Hölle, wie mir schien. Beide Beine hatten im Fußraum angefangen, mehr oder weniger unkontrolliert zu wippen, während ich meinen nach wie vor leicht panischen Blick aus dem Fenster gerichtet hatte, um die vorbeiziehenden Bäume und Straßenschilder zu beobachten, dabei ein wenig meinen Gedanken nachzuhängen. Ich war sauer und das nicht nur ein bisschen. Außerdem hatte ich langsam aber sicher wirklich Probleme, mich zu konzentrieren, schrie doch mittlerweile jede einzelne Zelle in meinem Körper nach dem Methamphetamin, und so wurde ich zunehmend unruhiger. Neben den spastischen Störungen im Bein fingen nun auch meine Finger an, auf der Plastikarmatur zu trommel. Da half dann auch die Frage des Italieners zu meiner Linken nicht wirklich viel, um mich abzulenken. Auf eine Konversation hatte ich nämlich gerade nach der letzten wirklich keine Lust mehr. "Nein, hätte ich?", antwortete ich deshalb nur relativ knapp mit einer weniger ernst gemeinten Gegenfrage. Schließlich war mir bewusst, dass es mir vermutlich eigentlich nur hätte zugute kommen können, wenn ich einfach mal raus und unter Leute gegangen wäre. Augenscheinlich steckte ich aber schon zu tief im Drogensumpf, als dass mich jede Art von sozialer Interaktion nicht direkt überfordert hätte. Sah man am jetzigen Beispiel ja wieder ausgezeichnet. Außerdem hatte es für mich keinen besonderen Grund gegeben. Der erste Einkauf war uns von Ashton gebracht worden und um den Rest hatte sich dann Tauren gekümmert, was in meinen Augen jedoch selbstverständlich gewesen war. Schließlich hatte er auch das meiste davon weggefuttert, weil ich mich überwiegend von trockenen Scheiben Toast und Leitungswasser ernährt hatte. War wohl nicht zuletzt einer der Gründe, warum ich mich jetzt so beschissen fühlte. Mein Körper verbrauchte durch den Mangel an Schlaf vermutlich das Doppelte an Energie und ohne ausreichend Nährstoffe gestaltete sich der gewohnte Tagesablauf eher schwierig. Aber laut Sabin würde ja alles wieder gut werden. Zwar tat ich mir verdammt schwer damit, ihm das abzukaufen, aber ich wollte es zumindest versuchen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es folgte ein weiteres Seufzen meinerseits. Ja, hätte er besser machen sollen. War ihm offenbar ja selbst auch bewusst, sonst würde er kaum so blöd fragen. Ich beschloss es vorerst bei diesen Worten zu belassen, weil ich nicht glaubte, dass eine Konversation gerade auch nur irgendwo hinführen würden. Parallel dazu machte mich sein hibbeliges Verhalten mit den einhergehenden Geräuschen auch wirklich halb wahnsinnig. Ich war selbst eben ein eher ruhiger Mensch und demnach brachte es mich immer aus meinem inneren Frieden heraus, wenn in meiner unmittelbaren Nähe Jemand mit unnötigen, hektischen Bewegungen nicht an sich halten konnte. Also hielt ich selbst einfach die Klappe, bis wir ein paar Minuten später an der Apotheke angekommen waren. Trotzdem blieb ich noch gut zehn Minuten sitzen und überflog sowohl ein paar Artikel zwecks medikamentöser Behandlung bei Entzügen, sowie die entsprechenden Medikamente und ihre Aus-, sowie Nebenwirkungen. Letztlich notierte ich mir drei verschiedene auf dem Handy. Die Reihenfolge war dabei absteigend, wenn man danach ging, was ich bevorzugen würde, sofern es vorhanden war. Falls aber nicht wollte ich noch weitere Optionen notiert haben. Nach einem Seitenblick auf den wirren Engländer stieg ich dann aus und schloss den Wagen nach meinem Verlassen wieder ab, damit Richard auch jetzt keine Fluchtmöglichkeit hatte. Drinnen angekommen schien ich momentan der einzige Kunde zu sein, was mir sehr zu Gute kam. So hatte ich mit der jungen Frau, die hinter der Theke stand, meine Ruhe und konnte verhältnismäßig entspannt auf sie einreden, bis sie irgendwann nach etwa zehn Minuten nachgab und abnickte, dass sie nachsehen würde, was sie an den genannten Medikamenten noch da hatte. Letztlich lief es auf Clonidin hinaus, das nicht meine beste Wahl gewesen wäre, aber ich sollte wohl froh über alles sein, dass sie hier am Arsch der Welt überhaupt auf Anhieb vorrätig hatten. Umgerechnet knappe zweihundert Euro reichten zur Bestechung auch aus, was wenigstens einen Hauch positiven Ambientes in mein Gemüt zurückbrachte. Natürlich addierte sich das zum Medikamentenpreis, aber immerhin sollte das vorerst dafür ausreichen Richard wieder ein bisschen auf den Boden zurück zu kriegen, seine Entzugssymptome zu lindern. Opiate konnte er vergessen, die bekam er von mir genauso wenig wie Gras. Zwar war das weit weniger bis nicht schädlich für den Körper im Vergleich mit Crystal, aber mir stand wirklich nicht der Sinn danach die alte Droge durch eine neue zu ersetzen. Nachdem ich das Medikament und eine eindeutig viel zu teure Wasserflasche mit irgendeinem ach so besonderen, mit etlichen gesunden Nährstoffen angereichertem Quellwasser eingesackt hatte ging es auch ohne große Umschweife zurück zum Wagen, wo ich mir die Dosierung selbst aber erst noch einmal akribisch besah, bevor ich Richard beides entsprechend aushändigte. Ich wartete noch, bis er nachgetrunken hatte und fuhr dann ohne große Umschweife weiter, um den Rest der Fahrt möglichst bald hinter mich zu bringen. *le kurze zeitsprung* Der Frieden sollte allerdings nicht besonders lange anhalten. Es ging circa einen Tag lang - sprich bis zum nächsten Mittag - gut, bis Richard der Meinung war meine Nerven strapazieren zu müssen. Ich hatte die Verantwortung zwecks des Engländers Überwachung an Sydney übertragen, weil ich mich indessen auf den Weg in die Stadt zu Samuele gemacht hatte. Er hatte jetzt einige Tage lang seine Ruhe vor uns gehabt und jetzt musste er sich langsam aber sicher daran gewöhnen mein Gesicht öfter mal zu sehen. Es ging erst einmal nur darum, dass er mir erklären und zeigen sollte, wie die Ware verpackt war und wie genau der Transport ablief, damit ich mir überlegen konnte wo und wie man die Drogen am leichtesten mit einbinden konnte. Ich war gerade dabei mir von ihm in seinem Büro schildern zu lassen, wie der Transportweg an sich ablief, als mein Handy klingelte. Ich ahnte schon zu diesem Zeitpunkt nichts Gutes, weil ich schlichtweg keinen Anruf erwartet hatte und als ich Sydneys Nummer dann auf dem Display sah war es um meine bis hierhin gute Laune wohl geschehen. Da besaß Richard doch tatsächlich die Dreistigkeit sich bei der winzigsten, kleinsten Möglichkeit sofort wieder zu verpissen und weiß Gott wohin zu verschwinden. Das große Grundstück selbst - es gehörten noch ein paar brach liegende Felder und ein winziges Waldstück zu dem alten Hof, was wir selbstverständlich aber beides nicht nutzten - war bereits abgesucht und es war keine Spur von ihm. Wohin auch immer er verschwunden war - er hatte es sehr flink in die Tat umgesetzt und sorgte dafür, dass ich mit der Faust nach dem Auflegen auf den Holztisch schlug. Das jagte meinem Gegenüber sofort einen Heidenschreck ein und er sah mich aus großen Augen an, während ich vor mich hin fluchte. Genauso wie das ganze geschäftliche Gerede zuvor hielt sich das in italienisch - es war übrigens ziemlich angenehm, sich mal wieder mit Jemandem in meiner Muttersprache zu unterhalten -, weshalb der junge Mann mich auch verstand. Ich legte den Kopf schließlich schweigsam und etwas ratlos über mein weiteres Vorgehen bezüglich Richard in die Hände, massierte mir dabei mit den Daumen die angespannten Schläfen. "Man bin ich froh, dass ich mit der Scheiße aufgehört habe...", murmelte der Italiener gegenüber leise ein paar Worte vor sich hin, während er nicht mehr benötigte Unterlagen erneut abheftete und bei Seite legte. Ich ließ meine Hände sinken und musterte sein Gesicht, fragte ihn, was er genau damit meinte. Sam wollte mir nur ungern etwas über sich erzählen, rückte dann aber doch mit der Sprache heraus und erklärte mir, dass er vor ein paar Jahren nach seiner Ankunft auf Kuba wohl auch so einiges an Drogen ausprobiert hatte. Richtig abhängig von einer bestimmten war er zwar nie gewesen, aber es war ihm wohl trotzdem schwer gefallen plötzlich gar nichts mehr zu konsumieren, weil er die berauschende Wirkung ganz allgemein furchtbar vermisst hatte. Da machte es dann Klick bei mir und mir kam endlich die zündende Idee dafür, wie ich Richard ablenken konnte, ohne selbst darin involviert zu sein. Wie Hunter schon so schön gesagt hatte, war der gute Samuele wohl einfach eine Goldgrube in verschiedenster Hinsicht. "Du wurdest gerade zum Junkie-Bespaßer befördert, herzlichen Glückwunsch.", murrte ich über den Tisch hinweg zu ihm rüber, was er mit einem leisen Lachen kompensierte, weil er es offenbar für einen Witz hielt. Der ernste, hochgradig genervte Blick, den ich ihm im Anschluss zukommen ließ, schilderte ihm jedoch sehr eindeutig, dass dem nicht so war und dann sah er mich ein weiteres Mal aus diesen überraschten, leicht panischen Hundeaugen an.
Ich hasste mein Leben. Jetzt schon. Wobei ich wohl viel mehr nur auf mich selbst unglaublich wütend war, weil ich dumm genug gewesen war Sydney in meine Nähe einzuladen und sie dann auch noch unverblümt danach zu fragen, wie es denn mit der Mafia so aussah. Ob ich dabei überhaupt gedacht hatte, wagte ich inzwischen grundlegend in Frage zu stellen. Hatte mein Gehirn vermutlich eher vorübergehend in den Urlaub geschickt, damit ich mir mit dummen Aktionen das Leben ruinieren konnte, weil es zu gut lief um wahr zu sein. Am Tag nach dem Verhör war ich Zuhause geblieben. Hatte mich aufgrund von Übelkeit und Kopfschmerzen krank gemeldet, was nicht einmal gelogen war. Ich hatte die Nacht über schon nicht wirklich schlafen können, weil das eklige Gefühl in meinem Magen seit meiner Entführung nie gänzlich verschwunden war. Als ich Zuhause angekommen war, war meine erste Mission auch ein Sprint ins Badezimmer gewesen, wobei ich beim mich übergeben wirklich von Glück reden konnte, dass ich das Klo überhaupt noch traf. Mir war schwindelig, das Zittern hatte noch immer nicht ganz aufgehört und ich hörte partout nicht auf zu schwitzen, weshalb ich auch später mitten in der Nacht nach ein paar verzweifelten Versuchen einzuschlafen noch duschen ging. Erst im Stehen, danach setzte ich mich einfach auf den Boden. Ich war unfassbar müde und kaputt, konnte den Kopf aber einfach nicht lange genug ausmachen, um mal für länger als zehn Minuten wegzudösen. Dementsprechend hatte ich eben auch am nächsten Tag ausgesehen und war meiner geliebten Arbeit im Café ferngeblieben, weil ich nicht einmal hätte arbeiten können, wenn ich es gewollt hatte. Ich war schon froh, dass ich vom Kühlschrank bis zum Küchentisch kam, ohne irgendwas fallenzulassen oder bei spontan einsetzender Schwärze vor meinen Augen umzukippen. Auch den nächsten Tag blieb ich noch Zuhause, bevor ich mich dann endgültig wieder dazu aufraffte meiner Arbeit nachzugehen, obwohl es mir noch immer nicht wirklich gut ging. Das war auch an meiner Konzentration spürbar, machte ich doch die folgenden Tage immer mal wieder hier und da einen Fehler, der mir normalerweise in zehn Jahren nicht passiert wäre. Also wurde auch die Arbeit, die ich eigentlich gerne mochte, eher eine Last. Immerhin lenkte sie mich parallel aber ein kleines bisschen von meinem Problem ab. Nach ungefähr drei Wochen ging es mir dann wieder halbwegs okay. Körperlich war ich wieder fit, aber mental hatte ich das Ganze wohl noch immer nicht ganz verarbeitet, wo mit Alledem doch so eine massive Änderung in meiner Zukunft ausgelöst worden war. Aber ich arbeitete wieder wie gewohnt und wurde nicht mehr tagtäglich danach gefragt, ob es mir denn gut ging, was schon mal eine Steigerung war. Schließlich suchte Sabin aber im Café den Kontakt zu mir, was mich beinahe gänzlich hätte erstarren lassen. Nach der ersten Schocksekunde kam aber wieder etwas Leben in mich und ich nahm ihn schnell mit nach hinten ins Büro, weil es mir einfach wahnsinnig unangenehm war mit ihm gesehen zu werden, obwohl ihn vermutlich auf der ganzen Insel kein einziger sonst kannte. Er war genauso ruhig, wie er auch schon bei meinem Verhör gewesen war und nahm mir damit zumindest ein kleines bisschen der inneren Unruhe, auch wenn sich die Nervosität nicht gänzlich vertreiben ließ. Erst recht nicht, als er sichtlich erzürnt die Faust auf den Tisch knallte, was mich beinahe rückwärts vom Stuhl hätte fallen lassen. Ab da ruhte dann eine den ganzen Tag über nicht mehr endende Anspannung in mir und als würde ich mich nicht schon unwohl genug fühlen, folgte auch noch nach einer unüberlegten Aussage meinerseits - die eigentlich nur an mich gerichtet gewesen war - ein weiterer Tiefpunkt. Ich sollte mich ernsthaft einem Junkie annehmen? Ich fürchtete keineswegs selbst wieder Hand an Drogen zu legen, aber das war doch vorher nie erwähnt worden. Machte Sabin das immer so? Spontan irgendwelche ungeliebten Arbeiten an andere abschieben? Falls ja konnte ich seinen angeblich so fairen Führungsqualitäten nicht mehr recht Glauben schenken. Jedenfalls kam es, wie es kommen musste und ich sagte ein weiteres Mal für den Rest des Tages die Arbeit im Café ab, um stattdessen mit Sabin mitzukommen. Wir schlugen uns etliche Stunden lang in seinem Wagen herum im verzweifelten Versuch diesen Richard zu finden, der augenscheinlich ein ungutes Drogenproblem hatte. Sabin und ich redeten dabei eine ganze Menge, wobei er mich überwiegend über den Engländer als Person in Kenntnis setzte. Auch darüber, wie er sich momentan verhielt und dass es von jetzt an scheinbar meine Aufgabe war, mich ein wenig um ihn zu kümmern. Den Therapeuten zu spielen, der ihn immer mal wieder aus der Bude rausholte und auf andere Gedanken brachte, damit er überhaupt eine vernünftige Chance darauf hatte den Drogen gänzlich abzusagen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es meinem Chef beibringen sollte, dass ich öfter mal ein oder zwei Stunden früher Schluss machen musste als gewöhnlich, damit ich Richard unter der Woche überhaupt irgendwie in meine Tagespläne einzubeziehen schaffte. Ich hatte an den meisten Wochenenden frei, weil ich dafür unter der Woche deutlich mehr Stunden im Café verbrachte als die gewöhnlichen Angestellten, aber nur am Wochenende reinzuschauen reichte Sabin nicht. Ich hatte schon jetzt das ungute Gefühl, dass mein Leben zeitnah aus nichts anderem als Arbeit mehr bestehen würde - mal legale, mal illegale. Ich konnte gar nicht sagen wie froh ich darüber war, als der Junkie endlich von selbst wieder auftauchte. Mitten in der Nacht, so circa gegen 2 Uhr - ich durfte dann wohl auch durchmachen, weil ich vor der Arbeit ohnehin nicht mehr viel Schlaf kriegen würde - meldete sich offensichtlich Richards ehemaliger Mitbewohner, weil er wieder dort aufgeschlagen war. Postwendend schaltete der Fahrer neben mir dann auch einen Gang höher mit der Fahrtgeschwindigkeit und brachte uns wohl geradewegs zum Ort des Geschehens... wo weiterer Trubel zu herrschen schien. Denn als ich - schon wieder Schweißausbrüche kriegend - aus dem Wagen ausstieg, waren durch ein gekipptes Fenster bereits lautere Stimmen von drinnen zu vernehmen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich hatte es versucht, wirklich. Mir echt Mühe gegeben, mich von dem Entzugserscheinung hemmenden Medikament einlullen zu lassen, die Sabin für mich auf dem Weg zu meiner vorläufigen Unterkunft besorgt hatte, aber ich stellte schnell fest, dass die Tabletten nur bedingt halfen. Ich weiterhin absolut aufgekratzt war, nicht zur Ruhe kam und sich meine Gedanken noch immer restlos um das Crystal und dessen Konsum drehten. Dass ich die Nacht über deswegen auch nach dem doch ziemlich anstrengenden Tag trotzdem kaum geschlafen hatte, musste ich sicherlich nicht erwähnen. Die Augen waren mir für maximal zwei oder drei ganze Stunden der körperlichen Erschöpfung wegen zugefallen, bevor mich die altbekannte Paranoia wieder aus dem wenig erholsamen Schlaf riss. In Anbetracht der Tatsache, dass sich durch dieses Haus eine Vielzahl an Menschen bewegte, die dabei nun mal nicht immer leise waren, ließ den Verfolgungswahn einmal mehr vollkommen unbegründet dastehen. Dennoch war ich seitdem wieder wach und tigerte durch das abgeschlossene Gästezimmer, wie ein Zirkuslöwe durch seinen Käfig und versuchte, mich irgendwie zu sortieren. Zugegeben waren die Entzugserscheinungen durch die Medikamente weniger schlimm, als sie es das letzte Mal gewesen waren, aber in meinen Augen immer noch kaum auszuhalten und demnach war ich ganz froh, dass mir im Laufe des darauffolgenden Tages die naive Sydney als Babysitter an die Seite gestellt wurde. Sabin selbst hatte scheinbar einen wichtigen Termin und konnte deshalb nicht persönlich auf mich aufpassen, was ich sowohl mit einem lachenden, als auch einem weinenden Auge sah. Liebend gerne wäre ich hier geblieben und hätte dem Italiener gezeigt, dass ich es wirklich versuchen wollte, mich von den Drogen loszusagen, obwohl ich die Erfolgschancen dahingehend als relativ gering einschätzte, weshalb ich mir sein akribisches Augenmerk auf mir schon gewünscht hätte, aber auf der anderen Seite wollte ich hier einfach nur weg und begrüßte es deshalb, die Amerikanerin an die Seite gestellt zu bekommen. Es war kein Geheimnis, dass sie bei der ihr zugeteilten Arbeit schon einmal versagt hatte und das sollte mir heute, am Tag meiner geistigen Umnachtung, zugute kommen. Sydney schenkte mir - vermutlich, weil sie mich auch als eine Art Freund oder guten Bekannten sah - für die aktuellen Umständen nämlich viel zu viel Vertrauen. Wir waren noch gemeinsam am Frühstückstisch gesessen, wobei ich, wie in letzter Zeit üblich, nicht besonders viel gegessen hatte. Eine belegte Scheibe Brot, das ausnahmsweise mal kein Toast war und dazu ein Glas Wasser, dann war ich auch schon satt gewesen. Ab da trennten sich schließlich die Wege und Sabin verschwand kurz darauf auch schon in die Stadt, während die ehemalige FBI Agentin und ich noch eine ganze Weile einfach nur dasaßen und... absolut nichts taten. Sydney versuchte immer mal wieder, mich in ein Gespräch zu verwickeln, aber ich blockte die Versuche vehement ab und war irgendwann einfach aufgestanden, um mich ins Bad zu begeben. Bis hierhin hatte die junge Frau noch sehr akribisch darauf geachtet, mich nicht aus den Augen zu lassen, bis ich sie schließlich darum bat, mir etwas aus meiner Tasche zu holen. Ich hatte in der Zeit am Waschbecken gestanden und mir mit etwas Wasser das müde und durch tiefe Augenringe unterlegte Gesicht erfrischt, als Syd etwas nachdenklich wirkend doch tatsächlich meiner Bitte nachgekommen war, ohne vorher die Tür zum Badezimmer zu verschließen. Wie ich bereits erwähnte... viel zu viel Vertrauen, das sie einem Drogenabhängigen auf Entzug entgegen brachte, aber ich beschwerte mich nicht. Das Objekt der Begierde, um das ich sie gebeten hatte, befand sich ohnehin nicht in der Tasche, hatte ich dort doch nur Klamotten verstaut und nicht etwa Hygieneartikel. Man sah ihr schon beim Verlassen des Badezimmers an, dass sie bezüglich der richtigen Entscheidung mit sich haderte, aber sie hatte letzten Endes vermutlich an meine absolut eingeschränkte Vernunft appelliert. Tja und so kam es, wie es kommen musste. Ich checkte mit einem Blick aus dem Bad noch kurz den Flur, ehe ich mich weitestgehend unbeobachtet aus dem Staub machte. Hier und da lief ich dem ein oder anderen von Hunters Männern über den Weg, aber außer ein paar musternde Blicke bezüglich meines so scheußlichen Aussehens hielt mich keiner davon ab, einfach aus dem Haus zu marschieren und mich zu verziehen. Dass ich dabei einen Zahn zulegen musste, weil Sydney sehr bald schon Sabin über mein Verschwinden in Kenntnis setzen würde, ließ mich ein paar Meter fern des Hauses loslaufen. War eine absolut beschissene Idee, weil meine Beine noch immer die Konsistenz von Pudding hatten, aber sobald ich mir in Erinnerung rief, wie erzürnt der Italiener sein würde, wenn er mich auffand, ließ wieder eine Menge Adrenalin durch meinen Körper strömen und gab mir dadurch die nötige Kraft, mich bis in Havannas Innenstadt laufen zu lassen. Dabei war ich wirklich nur die ersten paar Meter wirklich gejoggt, danach nur noch ganz Ruhe spaziert, als ich mir sicher sein konnte, dass mich niemand verfolgte. Ich fand mich schon sehr bald in einem kleinen Ort nahe der Hauptstadt wieder, der mit seinen unzähligen Gässchen wirklich schön aussah und einen verhältnismäßig einladenden Eindruck für etwaige Drogengeschäfte machte. Machten wir uns nichts vor - ich war stiften gegangen, um mir neuen Stoff zu besorgen, weil ich diesen Druck in meinem Kopf einfach nicht mehr aushielt. Er wurde einfach immer größer und wenn mir schon das Clonidin nicht helfen konnte, musste eben wieder Meth her - zumindest soweit mein Gedankengang. Leider hatte der Stadtteil nichts dergleichen anzubieten und ich brauchte noch eine ganze Weile, bis ich schließlich in Havannas Zentrum angekommen war. Es war mittlerweile schon Nachmittag geworden, als ich mich orientierungslos durch die Gassen der Hauptstadt schlich, um nach Dealern Ausschau zu halten. Ich sollte tatsächlich auch irgendwann fündig werden, allerdings hatte ich in der Hitze des Gefechts ganz vergessen, mein Portemonnaie einzustecken. Faktisch hatte ich absolut nichts am Mann - kein Geld, keine Schlüssel und auch kein Telefon, was ich gegen Kohle hätte versetzen können und so wies mich auf der Magistrale der Drogendealer einer nach dem anderen ab. Verübeln konnte ich es keinem von ihnen und doch ließ es mich irgendwann einfach nur sauer und aufgebracht werden. Ich lief eine geschlagene Ewigkeit sichtlich aufgebracht durch die Stadt, bis es irgendwann schließlich dunkel wurde. Ich merkte schnell, dass man sich in manchen Ecken Havannas um diese Uhrzeit nicht mehr herum treiben sollte und beschloss, frustriert und absolut unzufrieden mit meinem Leben den Heimweg anzutreten. Wieder zu Fuß, weil mir selbst das Geld für eine Busfahrkarte fehlte und außerdem schien das Laufen mich zumindest ein kleines bisschen von dem psychischen Druck in meinem Kopf und dem physischen Verlangen nach der Droge ablenken. Was ich in dem ganzen Wirrwarr jedoch nicht mehr auf dem Schirm hatte war, dass ich eigentlich zu der WG zurück gemusst hätte, aber in Anbetracht der Tatsache, dass mich dort ziemlich sicher der Tod höchstpersönlich begrüßt hätte, war es vermutlich gar nicht so verkehrt, Menschen in meinem Umfeld nach dem Weg zu meinem Bungalow zu fragen. Es brauchte ein paar mich ignorierende und einfach vorbei laufende Passanten, bis mich eine Gruppe älterer Herren in die entsprechende Richtung wies und dann lief ich los. Ich brauchte bestimmt mehrere Stunden, in denen ich hier und da eine kurze Pause eingelegt hatte, bis ich an meiner kleinen Hütte im Wald angekommen war. Die Lichter waren aus und ich war froh, alleine zu sein, als ich vor der Tür angekommen feststellte, dass ich ja auch den Schlüssel nicht mitgenommen hatte. Er sich nicht mehr in der Hosentasche befand, weil ich ihn gestern in den Beutel voller Klamotten gestopft hatte. Großartig. Wirklich super. Jedoch kehrte zu meiner Überraschung in den darauffolgenden Minuten Leben ins Innere des Hauses ein und das Licht im Flur wurde eingeschaltet, was mich postwendend wie wild mit einer zur Faust geballten Hand gegen die Tür hämmern ließ, bis diese sich schließlich öffnete und ich geradewegs in den Lauf einer Pistole blickte. Tauren war ganz offensichtlich von seinem Ausflug gestern Mittag zurück gekehrt und hatte in aller Seelenruhe schlafen wollen, als ich ihn mit Geräuschen außerhalb des Hauses aus dem Schlaf gerissen hatte. Dass er mitten im Wald lieber auf Nummer sicher ging, wem er da um diese Uhrzeit die Tür öffnete, konnte ich ihm kaum verübeln, wobei ich trotzdem ein "Wag es nicht, mir in meinem Haus eine Waffe vor das Gesicht zu halten." in seine Richtung blaffte, bevor ich mich ungeachtet der vermutlich geladenen Pistole einfach an ihm vorbei ins Innere schob. Meine Hemmschwelle, was Streit und Diskussionen anging, lag mittlerweile irgendwo im negativen Bereich, außerdem hielt sich mittlerweile auch meine Angst stark in Grenzen und die Nerven lagen allgemein blank. Man sollte meinen, dass mich der mehrstündige Spaziergang in Kombination mit so wenig Schlaf jetzt einfach erschöpft ins Bett fallen lassen würde und vermutlich hätte es das auch, wenn der Norweger mich nicht darauf angesprochen hätte, was ich hier zu suchen hatte und damit eine lautstarke Diskussion lostrat.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Einerseits sollte man vielleicht nicht sauer darauf sein, dass der Engländer die Biege gemacht hatte, weil da wohl schlichtweg nichts anderes als nur die blanke Sucht aus ihm sprach. Er darüber sicher kaum nachgedacht hatte und es nicht getan hatte, um mir wie ein undankbarer Köter in die Hand zu beißen, nachdem ich ihn damit gefüttert hatte. Trotzdem konnte ich nicht anders, als wütend auf Richard zu sein. Es spielte für mich in diesem Augenblick kaum eine Rolle, warum er weg gegangen war oder ob er irgendwann vielleicht von allein zurückgekommen wäre - ha, ha, ha... vermutlich in hundert Jahren nicht -, weil er mich hier etliche Stunden meines Lebens mit sinnlosen Suchaktionen kostete, die ich weit nützlicher hatte verbringen wollen. Natürlich könnte man jetzt meinen, dass ich ihn nicht hätte suchen müssen. Dass ich ihn einfach irgendwann an seiner Sucht verrecken lassen sollte, wenn er sich nicht mal ein bisschen zusammenreißen und die Scheiße aussitzen konnte. Diese Genugtuung würde ich dem Dunkelhaarigen aber nicht geben - er hatte diesen Entzug durchzuziehen und würde ab jetzt ganz sicher nicht mehr auch nur die kleinste Chance dazu kriegen, sich noch einmal in Luft aufzulösen. Ich konnte ebenso wie Samuele schon von draußen hören, dass Tauren mit dem Unruhestifter am diskutieren war, ließ mich aber absolut nicht davon beirren und klingelte kurz darauf an der Haustür. Der zweite Italiener im Bunde folgte mir mit ein wenig Abstand und der Norweger öffnete mir sichtlich geladen die Tür. Der Anblick war selbst für mich ungewohnt, weil ich den jungen Mann eigentlich als recht ruhig und nur schwer aus der Ruhe zu bringen ansah. Jedoch machte dauerhafter Stress und Unruhe wohl früher oder später jeden Menschen ziemlich wahnsinnig, er hatte ja auch gerade mal etwas mehr als vierundzwanzig Stunden Ruhe vor dem Drogenabhängigen gehabt. Er hielt seine Waffe in der Hand, wobei ich nicht davon ausging, dass er sie benutzt hatte. Vermutlich eher nur eine Vorsichtsmaßnahme. Er murrte mir die wenigen Worte "Ist im Wohnzimmer.", entgegen und machte einen Schritt zur Seite, wobei sein Blick im Anschluss wohl auf Samuele fiel, wo jener ihm doch bis dato noch unbekannt war. Das war gerade aber reichlich irrelevant für mich und je früher sich der Neue im Bunde an die Gesellschaft von Kriminellen gewöhnte, desto besser. Tauren war ja ohnehin ein sehr milder Vertreter. Ich ging schnurstracks mit sichtlich verspannten, zu voller Breite entfalteten Schultern und geballten Fäusten vom Flur ins Wohnzimmer. Es gab in meinen Augen auch keine Worte zu verlieren, bevor der Engländer seine verdiente Strafe für den Ausbruch bekam - in Form einer Faust, die ihm geradewegs ins Gesicht schlug. Ich war so gnädig die unversehrte Gesichtshälfte zu nehmen, damit seine Narbe auf der anderen Seite nichts abbekam, aber dem Blut an meinen Fingerknöcheln zu Folge war ihm wohl die Lippen abgeplatzt, noch bevor er seinen Abgang auf den Boden machte, weil ich mit dem Schwung holen nicht zimperlich gewesen war. Ich besah mir die leicht zitternde Hand und der Anblick jener war der Grund dafür, warum ich erst einmal ganz tief durchatmete und sämtliche meiner Finger ausstreckte, bevor ich wieder zum Reden ansetzte. Dass ich so sauer wurde, dass mir die angespannten Arme davon zu zittern anfingen, war wirklich selten geworden. Immerhin den Preis für den größten Vollidioten konnte der Engländer scheinbar noch gewinnen. "Wenn du es noch ein einziges Mal wagst dich aus dem Staub zu machen, dann hack' ich dir eigenhändig beide Beine ab und du kriechst für den Rest deines verdammten, jämmerlichen Lebens. Schau dich an, wie du verzweifelst jede Chance für ein bisschen Stoff nutzen willst... das ist so erbärmlich. Aber hey, immerhin hast du keinen gekriegt, wie mir scheint. Das rettet dich wohl wenigstens vor noch schlimmeren Konsequenzen.", schnauzte ich einige Worte zu ihm runter, stand dabei direkt neben ihm und funkelte ihn aus wütenden Augen an. Er lebte gerade keinen Rausch aus, das war deutlich in seinen Augen zu erkennen, die immer mit Abstand das beste Indiz waren. Immerhin ein winziger Pluspunkt, den er sich hatte bewahren können.
Ich wollte da nicht rein, für keine zehn oder gar hundert Pferde. Wieder beschlich mich die Angst vor kriminellen Wahnsinnigen, denn genau danach klang es ziemlich stark, bis wir letztlich vor der Haustür ankamen. Sabin zumindest, ich stand gut zwei Meter hinter ihm und schluckte hörbar, als die Tür sich öffnete. Als er eingetreten war fiel mir dann auch das Gesicht des augenscheinlichen Mitbewohners ins Auge und ich ging nur sehr vorsichtig und mit den körpereigenen Sinnen bis zum Anschlag gereizt bis in den Flur hinein. Legte die Arme schutzsuchend um meinen eigenen Körper, als hätte mich das im Ernstfall vor Irgendwas retten können. Ein Mitgrund für mein nur sehr zögerliches, langsames Eintreten war nämlich die Waffe in der Hand des volltätowierten, dunkelblonden Mannes. Er hatte sie nur locker in der Hand, fuchtelte nicht damit herum oder Sonstiges, aber es machte mich einfach noch zusätzlich nervös. Wäre ich nicht so vollkommen durch den Wind gewesen, dann hätte ich womöglich eine Sekunden dafür Zeit gehabt festzustellen, dass er definitiv zu den Hübscheren unter den Verbrechern zählte, aber gerade hatte ich dafür wirklich nicht einen einzigen Gedanken übrig - auch mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht vorhatte, mir irgendeine kriminelle Seele anzulachen und mit ihr alt zu werden. Alles, aber bloß das nicht. Besagter Norweger schloss die Haustür und indessen ging ich ganz langsam einen Fuß vor den anderen setzend bis zum Türrahmen des Wohnzimmers. Erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf Richard, am ehemaligen Mafioso vorbei, bevor ihn dieser auch schon seine Faust spüren ließ. Das ließ mich erschrocken und vollkommen hektisch zwei Schritte rückwärts taumeln, womit ich gegen die Brust des unweit hinter mir stehenden Dunkelblonden krachte, was mir den nächsten Schrecken einbrachte. Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und ich verzog mich so schnell die Panik es mir gerade möglich machte seitlich hinter den Türrahmen, damit ich die Situation im Wohnzimmer zwar im Blick halten, gleichzeitig aber die Wand zwischen mir und dem wütenden Mafioso halten konnte, der mir gerade wirklich Angst machte. Als wäre die Faust nicht ausreichend als Strafe für den Drogensüchtigen gewesen bekam er jetzt auch noch drohende, sowie erniedrigende Worte zur hören, ja förmlich entgegengespuckt. Als wäre die Handgreiflichkeit zuvor nicht ohnehin schon Erniedrigung und Schmerz genug gewesen, musste der Italiener dem Dunkelhaarigen noch diese unschönen Worte zukommen lassen und zeigte mir damit nur einmal mehr, wie falsch ich hier war. Nicht nur in diesem Haus, sondern ganz allgemein in dieser Szene voll Gewalt und Geschrei. Aber was konnte ich schon groß dagegen tun, dass Mazzanti Richard dermaßen fertigmachte? Alles in mir schrie danach die Situation irgendwie friedlich beenden zu wollen, aber zugleich fehlten mir dafür jegliche Mittel... und vor allem wohl auch der Mut dazu, mich zwischen den Italiener und das Häufchen Elend zu schmeißen. "Nicht... bitte... lass ihn doch erstmal erklären..", gab ich ein paar wenige, eher gemurmelte und reichlich stockende Worte von mir und spürte damit zuerst den Blick des Tätowierten neben mir seitlich auf meinem Gesicht, bevor sich auch Sabins Kopf zu mir umdrehte. Absolut finster und mahnend dreinblickend, weshalb ich ein weiteres Mal schluckte und den Blick umgehend schweigend auf den Boden im Türrahmen heftete. Vielleicht sollte ich als erstes Mal lernen mich nicht immer mit Dingen zu Wort zu melden, die mir nichts als Ärger einbrachten. Irgendwie schien ich ein neues Faible dafür zu entwickeln, was weiß Gott nichts Gutes sein konnte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Tauren war inmitten der Diskussion kurzzeitig aus meinem Sichtfeld verschwunden und hatte mich sichtlich aufgebracht im Wohnzimmer zurück gelassen. Ich dachte erst, dass er sich verpisst hatte, weil er einsah, wie wenig Sinn eine Konversation mit mir eigentlich gerade machte, aber wider Erwarten kam er dann doch noch einmal zurück. Was er in der Zwischenzeit getan hatte, sollte ich schätzungsweise keine zwanzig bis dreißig Minuten später erfahren, als plötzlich die Klingel des Hauses ertönte. Ich konnte nicht genau sagen, wen ich an der Tür jetzt eigentlich erwartet hatte, weil ich dafür einfach viel zu durch den Wind gewesen war, aber mir hätte es eigentlich klar sein müssen, dass es sich dabei nur um den Italiener handeln konnte. Das war es also, was Tauren in der Zwischenzeit gemacht hatte, als er sich kurz aus dem Wohnzimmer geschlichen hatte. Dieses blöde Arschloch war doch glatt petzen gegangen und hatte Sabin gesteckt, dass ich nach meiner kleinen Expedition nach Hause zurückgekehrt war. Ich hatte mich gerade mit zittrigen Armen auf der Rückenlehne des Sofas abgestützt, um ein wenig tiefer durchzuatmen und runter zu kommen. Ich merkte wie auch in der Hitze des Gefechtes vom gestrigen Mittag, wie mir das Blut in den Ohren rauschte und mir wurde allmählich schwindelig. Mein Blutdruck dürfte gerade sämtliche Messgeräte sprengen und wenn ich mich nicht selbst ein bisschen zur Ruhe ermahnte, war ein Herzinfarkt gar nicht mal unrealistisch. Ich hatte also gerade zwei, drei tiefere Atemzüge gemacht und den müden Kopf zwischen den wackligen Schultern hängen lassen, als ich hinter mir die Schritte des Besuchers vernahm und just in dem Moment, als ich den Kopf angehoben und mich in Sabins Richtung gedreht hatte, begrüßte mich auch schon dessen Faust mitten im Gesicht. Ich taumelte mit sichtlich überraschter Miene einen Schritt nach hinten, konnte das Gleichgewicht jedoch nicht halten und landete geradewegs ziemlich unsanft auf meinem Hintern. "Scheiße, man, was soll das...", fluchte ich noch - eher aus Reflex, war mir die Antwort dessen doch bereits klar -, während ich mir mit der Hand die optisch noch intakte Gesichtshälfte abtastete. Ein blaues Auge würde das wohl nicht geben, so zielsicher war der Italiener nicht gewesen, aber die Wange, sowie die aufgeplatzte Lippen würden dem schmerzhaften Pochen nach zu urteilen sicher noch anschwellen. Nicht zuletzt ließ mich auch das Blut an meinen Finger leise grummeln, aber bevor mir die Möglichkeit dazu eingeräumt wurde, mich weiter zu beschweren, drangen erst einmal ein paar unmissverständliche, hörbar gereizte Worte an mein Ohr, die ich, wie so oft, nur mehr oder weniger verfolgte und zur Kenntnis nahm. Faktisch gesehen konnte ich mir momentan ohnehin nicht besonders viel merken wirklich lange merken. Ich war müde, erschöpft und schon viel zu lange wach, als das auch nur irgendeine Art von Gedächtnis ansatzweise so funktioniert, wie es sollte. Was ich allerdings mit nahezu einhundert prozentiger Sicherheit ausschließen konnte war, dass ich den jungen Mann, der sich wie ein verschrecktes kleines Kind nahe Tauren so halb hinter dem Türrahmen versteckte, zuvor schon einmal gesehen hatte. Er war mir nur durch Zufall, als ich meinen Kopf angehoben und er sich schließlich auch kurz zu Wort gemeldet hatte aufgefallen, ansonsten hätte ich ihn wohl überhaupt nicht wahr genommen. Normalerweise würde ich jetzt gerne wissen, mit wem ich es zutun hatte, aber es gab wohl gerade nichts, was mir egaler sein konnte. Statt mir also den Kopf darüber zu zerbrechen, wen Sabin da mit angeschleppt hatte - oder war er ein Freund des Norwegers? -, konzentrierte ich mich lieber wieder auf die Misere, die gerade mich direkt betraf. Ich richtete mich aus der - wortwörtlich - niedergeschlagenen Haltung in eine halbwegs sitzende Position auf, als Sabin gerade dabei war, mir zu drohen und im Anschluss ein paar erniedrigende Worte hinten dran zu hängen. All das ließ mich nur müde lächeln, als ich ein Bein angezogen und meinen Arm darauf abgelegt hatte, während ich aus den mit tiefschwarzen Ringen untermalten Augen zu ihm rauf. "Ja, blöderweise habe ich vergessen, mein Portemonnaie mitzunehmen.", stellte ich für alle Anwesenden hier hörbar ironisch fest, dass ich nur deshalb nicht an den Stoff gekommen war, weil ich ihn schlicht und ergreifend nicht hatte bezahlen können. Auch wenn ich das in meiner absolut verkorksten, surrealen Scheinwelt momentan nicht wahrhaben wollte, war es aber vielleicht wirklich besser gewesen, dass ich bis hierhin weiterhin kein Meth intus hatte, denn Sabin waren durchaus härtere Strafen zuzutrauen. Schließlich war er bis jetzt noch sehr umgänglich gewesen, aber das konnte sich natürlich schnell ändern, wenn ich mich dazu entschied, ihm weiterhin auf der Nase herum zu tanzen. Gen Ende richtete sich mein unruhiger Blick aber doch noch einmal in Richtung des zweiten Italieners im Bunde, der sein Wort vorher scheinbar eher an Sabin, als an mich gerichtet hatte. Nichtsdestotrotz bekam er auch von mir eine Antwort. "Es gibt da nichts zu... erklären.", stellte ich fest und wischte mir parallel dazu die dickflüssige Mixtur aus Blut und Speichel aus dem Gesicht. "Ich hab augenscheinlich ein ziemliches großes Problem, das ich mir nicht eingestehen möchte.", redete ich weiter und versuchte mich indessen wieder auf die Beine zu raffen. Das war jedoch gar nicht so einfach, wo der Schwindel durch den Schlag ins Gesicht doch mittlerweile gerechtfertigt war. Zudem hatte ich noch immer kaum mehr Kraft in den Beinen und so musste ich wohl leider noch eine Weile sitzen bleiben, bis sich jemand dazu erbarmte, mir aufzuhelfen oder aber man ließ mich hier einfach liegen. Irgendwann würde ich ganz sicher in den Schlaf finden.
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Richards rhetorische Frage ignorierte ich geflissentlich, weil er ziemlich sicher noch genug Gehirnzellen hatte um diesbezüglich eins und eins zusammenzuzählen. Was hingegen seine Aussage bezüglich der Drogen anging kniff ich unweigerlich die Augen zusammen. Er sollte verdammt nochmal lieber froh darüber sein, dass er seine Kohle vergessen und sich aufgrund dessen nicht noch eine weitere Nadel gesetzt hatte. Er sollte sowas in seiner aktuellen Situation nicht einmal zum Spaß sagen, weil es dabei absolut nichts zu lachen gab. Der Engländer sollte besser froh darüber sein, dass ich ihn hier weiterhin nüchtern vorfand, weil ich mir wirklich nicht sicher war, was die Folgen einer weiteren Dosis gewesen wären. Vermutlich gänzliches eingesperrt sein auf Teufel komm raus, einfach damit er verstand. Ob er dann in seinem eigenen Kopf versinken würde wäre mir höchstwahrscheinlich komplett am Arsch vorbeigegangen. Wäre er schließlich selbst dran Schuld gewesen. Es sollte sich auch mein Mitbringsel noch zu Wort melden und strapazierte mit vollkommen überflüssigen Worten weiter meine Nerven. Wenigstens schien Richard diesbezüglich die erste wirklich sinnvolle Antwort für mich und des Rest übrig zu haben. Sich einzugestehen, dass er ein Problem hatte und nicht im Stande schien, es allein zu bewältigen. War mir persönlich zwar nichts Neues, aber derartige Worte aus seinem Mund zu hören hingegen schon. Das war nämlich das erste Mal, dass der Dunkelhaarige wortwörtlich erfasste, dass er ein Problem hatte. Ein gewaltiges. Das war vielleicht nur ein winziger, kleiner Fortschritt, aber es war einer. Also atmete ich ein weiteres Mal tief durch, bevor ich mich von ihm abwendete - ohne ihm hochzuhelfen, weil er von mir aus ruhig noch ein bisschen auf seinem knochigen Arsch sitzen bleiben konnte, damit er merkte, wie tief er eigentlich wirklich gesunken war. "Du wirst dich bei Tauren entschuldigen, vorher machst du kein Auge zu.", ließ ich Richard noch murrend wissen, dass er hier und jetzt damit anzufangen hatte, den von ihm bis hierhin verursachen Schaden wieder gerade zu biegen. Der Norweger hatte wochenlang unter seinen Räuschen und Launen gelitten, da war eine Entschuldigung mehr als angebracht und das absolut mindeste. Bevor das nicht passiert war würde er weder Schlafen, noch eine weitere Tablette kriegen, die längst wieder angebracht war. Hätte er am Abend eigentlich kriegen sollen, aber wer nicht da war, der bekam halt auch keine Medikamente. Als ich an Tauren und Samuele vorbeikam erteilte ich ersterem mit den knurrenden Worten "Du hast meine offizielle Erlaubnis ihm ins Bein zu schießen, wenn er sich weiter aufführt wie das letzte Arschloch.", noch die Vollmacht für das Wohl - oder eben Unwohl - der noch nicht abgehackten Beine Richards, falls er weiter der Meinung sein sollte, sich absolut alles erlauben zu können. Damit war jetzt verdammt nochmal Schluss, das Maß war mehr als voll. Solange er das abhaken würde verzog ich selbst mich rüber in die Küche, um mich dort an dem Bier zu bedienen. Man sollte meinen, dass Alkohol meine letzte Wahl für entspannende Wirkungen war, seit ich es im Club etwas zu weit damit getrieben hatte, aber eine Flasche würde nicht schaden und mich kaum betrunken werden lassen.
Na gut, dann... dann hatte er eben ein Problem. Eines, mit dem er wohl nicht wirklich zurechtkam. Aber das war doch noch lange kein Grund auf ihn einzuschlagen, er war doch ohnehin nicht im Stande sich zu wehren. Er schien den Methamphetamin-Konsum leider schon eine ganze Weile zu betreiben, so wie er aussah. Ziemlich ausgemergelt und alles andere als gesund, schmal und recht blass. Natürlich wusste ich nicht, wie er normalerweise aussah, wenn er eben nicht an der Nadel hing. Vielleicht war der junge Mann mit der auffälligen Narbe im Gesicht allgemein eher blass, aber seine jetzige Farbe war in jedem Fall absolut ungesund, das stand ganz außer Frage. Ich wendete den Blick erst wieder von ihm ab, als Sabin in meine Richtung kam und ich ihm augenblicklich Platz machte. Seine an den anderen Typen gerichteten Worte ließen mich ihm einmal mehr entgeistert nachsehen, als er durch den Flur hinweg in einen anderen Raum verschwand. Wie konnte man so sein? So... kalt? So gemein? Ich könnte mir wohl noch so lang den Kopf darüber zerbrechen und würde zu keinem brauchbaren Ergebnis kommen. Der Tätowierte neben mir setzte sich daraufhin in Bewegung und trat ins Wohnzimmer ein, machte aber keinerlei Anstalten dazu dem armen Kerl vom Boden aufzuhelfen. Es war nicht so, als würde ich seinen Drogenkonsum irgendwie gutheißen wollen, aber er war doch sowieso schon am Ende und da sollte man meiner Meinung nach nicht immer noch mehr nachtreten, indem man ihn zusätzlich leiden ließ. Der Kerl mit der Knarre ließ sich einfach aufs Sofa fallen und ich selbst trat langsam hinter dem Türrahmen vor. Stand dann aber noch einige Sekunden absolut unschlüssig herum, bevor ich ein weiteres Mal die Angst hinunterschluckte und zögerlichen Schrittes auf den am Boden sitzenden jungen Mann zuging. Ihm langsam meine Hand entgegenstreckte, um ihm zu signalisieren, dass ich ihm auf die Beine helfen würde, sofern er das wollte. "Ich... ich bin Samuele... oder nur Sam, was dir lieber ist...", stellte ich mich dabei nach wie vor relativ kleinlaut vor. Mir war auch jetzt noch eher danach meine Beine in die Hand zu nehmen und dieses Haus zu verlassen, aber dann wurde mir am Ende auch noch ins Bein geschossen. Außerdem würde ich mit Richard zukünftig wohl zwangsweise öfter kommunizieren müssen, wieso nicht schon mal langsam damit anfangen? Mich zumindest vorzustellen war immerhin ein kleiner Anfang. Die Unruhe spiegelte sich aber ebenso wie die leise Angst weiterhin permanent in meinen Augen wieder.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich hörte ja wohl nicht richtig. Entschuldigen? Für was denn bitte? Dafür, dass er mir hier in meinen eigenen vier Wänden eine Pistole vors Gesicht gehalten hatte? Oder dafür, dass ich den jungen Mann für kleines Geld bei mir wohnen ließ, so lange wie er sich noch in der Schonfrist befunden hatte und sogar jetzt, wo er wieder aktiv arbeiten? Mochte sein, dass ich hier und da mal etwas ungemütlich geworden war, aber es zwang ihn keiner hierzubleiben, wenn ihm das alles zu viel wurde. Sollte er sich mit den paar Kröten eben woanders ein Zimmer suchen, wo er dann seinen Seelenfrieden wiedererlangen konnte, ich würde ihn sicher nicht aufhalten. Ihm sogar noch Glück wünschen, weil es sicher schwierig werden würde, jemanden zu finden, der dumm genug war, einen Schwerverbrecher bei sich aufzunehmen. Wenn ich mich gedanklich so reden hörte, würde ich mich am liebsten Ohrfeigen, weil Tauren bis jetzt ein verhältnismäßig umgänglicher und pflegeleichter Typ gewesen war, aber es war vermutlich dem vollkommen überlasteten Hirn in Verbindung mit der forschen Aufforderung durch den Italiener zuzuschreiben, dass ich mich ganz sicher nicht bei dem Norweger entschuldigen würde. Anders als beispielsweise Hunter oder Cosma fiel mir das an sich zwar wirklich nicht schwer, aber hier und jetzt sah ich einfach keinen Grund dazu. Na ja... bis auf eine Kleinigkeit eventuell. Ich sah Sabin noch einen Augenblick lang nach, als er aus dem Wohnzimmer verschwand und setzte dann, als Tauren auf mich zukam, zum Reden an. "Okay, okay. Tut mir wirklich wahnsinnig Leid, dass ich dich um die Uhrzeit aus dem Bett geschmissen habe. Hätte ich nicht machen sollen. Schafft schließlich nicht jeder, an die vierundzwanzig Stunden und länger wach zu bleiben, so wie das bei mir in der letzten Zeit zur Normalität geworden ist.", entschuldigte ich mich also für etwas vollkommen anderes, was Sabin kaum gemeint haben konnte, aber klar ausgedrückt hatte er sich immerhin auch nicht. Er sollte sich also gefälligst mit dem zufrieden geben, was ich von mir gab. Dass ich die mit Ironie untermauerte Entschuldigung noch um eine durchweg unnötige Information ergänzte, fiel mir dabei nicht einmal bewusst auf. Wie so vieles nicht, weil mein Hirn momentan restlos überlastet zu sein schien. Deshalb hatte ich auch überhaupt nicht mitbekommen, wie der zierliche Italiener sich aus seiner Deckung hinter dem Türrahmen heraus getraut hatte und auf mich zugekommen war. Anders, als der Norweger es getan hatte, reichte er mir schließlich seine Hand, um mir aufhelfen zu wollen. Ich zögerte kurz, sah aber schnell ein, dass ich ohne weitere Hilfe wohl noch morgen früh hier sitzen würde und griff schließlich danach. An der Stelle hätte ich Sabin sehr gerne noch einmal gefragt, ob er die Aussage, dass Tauren mir in jedem Fall helfen würde, denn noch immer ernst meinen konnte, denn ganz offensichtlich schien es ihm nach wie vor nicht zu interessieren, wie es mir ging, aber gut. Sollte mir nur Recht sein, denn es bestätigte mich weiterhin darin, dass ich mit meinen Gedanken bezüglich des Norwegers gar nicht so falsch gelegen haben konnte. Was die Sache mit Cosma betraf, würde ich das ernst noch herausfinden müssen. Für den Moment wollte ich mich damit aber nicht weiter beschäftigen, weil ich schlichtweg größere Probleme hatte. Dieser Druck auf der Brust beispielsweise oder dieser riesen Block Beton in meinem Schädel, der mich, kurz nachdem ich mich mit Hilfe Samueles auf die Beine gezogen hatte, beinahe von Neuem in die Knie zwang. "Richard... aber das weißt du sicher bereits.", stellte auch ich mich des Anstands halber vor, auch wenn mir eigentlich klar war, dass Sabin bereits über mich gesprochen hatte, wenn er mit Sam hierher gekommen war. Ich hielt die Hand des jungen Mannes nicht viel länger, als das unbedingt notwendig war, stützte mich stattdessen wieder auf der Rückenlehne des Sofas ab, wie ich es vor wenigen Minuten bereits getan hatte. Das gerade stehen kostete einfach unheimlich viel Kraft, die ich momentan einfach nicht mehr aufbringen konnte. Ich zitterte nach wie vor, aber ich spürte, wie mein Körper langsam aber sicher am letzten Rest der Kraftreserven nagte. Ich brauchte Schlaf und das nicht zu knapp, eine Schmerztablette oder eben eine Nadel wäre zwar auch sehr willkommen, aber ich bezweifelte, dass mir das zustand, nachdem Sabin mich hier unter den ungünstigsten Umständen aufgelesen hatte. Mit der knochigen Hüfte gegen das Sofa gelehnt, tastete ich gleich ein weiteres Mal die aufgeplatzte Lippe ab, die nach wie vor vor sich hin blutete und vermutlich einer Desinfektion bedurfte. Schließlich hatte ich mir seit heute Mittag die Hände nicht mehr gewaschen und war lange unterwegs gewesen. Dass ich damit keine Bakterien in die offene Wunde schmierte, hielt ich also für relativ unwahrscheinlich. "Warum eigentlich immer ins Gesicht?", stellte ich mit kratziger, leicht unruhiger Stimme eine rein rhetorische Frage, während ich das Blut an meiner Hose von den Fingern wischte. Eine warme Dusche wäre jetzt vermutlich Balsam für die Seele, aber zum einen reichte Kraft definitiv nicht mehr aus und ich würde wohl kläglich ertrinken, so wie ich die Sache einschätzte und zum anderen beschlich mich das unangenehme Gefühl, dass ich ein weiteres Mal von Zuhause entführt wurde, damit das norwegische Riesenbaby keinen Anfall bekam. Dabei war ich im Augenblick eigentlich verhältnismäßig ruhig. Lag aber eben vermutlich wirklich nur an der Tatsache, dass ich keine Kraft mehr dafür hätte aufbringen können, mich aufmüpfig oder biestig zu zeigen, selbst wenn mir danach der Sinn stand und im Moment gab es unzählige Gründe, die mich hier durchaus Amok hätten laufen lassen. Der Schlag ins Gesicht, die erniedrigenden Worte, das Jucken meiner Haut, welches vor allem im Bereich der Arme nahezu unerträglich wurde... Letzteres war über die letzte Nacht und den hereingebrochenen Tag als Entzugserscheinung hinzu gekommen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Armbeugen ohnehin schon grün und blau waren, weil sich die Nadel mit zittrigen Händen schlichtweg beschissen setzen ließ, war um die Einstiche herum nun auch ein roter Ausschlag festzustellen, der durch den Schweiß unter dem langen T-Shirt gerade jetzt wieder besonders auffällig juckte. Ich kratzte mich jedoch nicht. Sabin hatte es bereits auf den Punkt gebracht. Eigentlich war ich viel zu intelligent, mir meine Gehirnzellen mit Drogen kaputt zu machen und auch wenn ich ferner durch etliche Parallelwelten rauschte, sagte mir der letzte Rest meines noch vorhandenen Verstandes, dass ich einen Ausschlag genau so wenig reizen sollte, wie einen Mückenstich beispielsweise. Ich ging auch so schon auffällig genug an den ganzen Entzugserscheinungen kaputt, da musste ich mich nicht darum bemühen, absolut jedes Klischee eines Methamphetamin-Abhängigen zu bedienen, indem ich mir auch noch die Haut aufkratzte, bis man auf die darunterliegenden Muskeln sehen konnte. Oder in meinem Fall eben Knochen, denn sehr viel Muskelmasse trug ich persönlich nicht mehr mit mir herum.
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Ich seufzte leise, kaum hörbar. So hatte mein Landsmann die Sache mit der Entschuldigung ganz sicher nicht gemeint und die Türen zum Flur waren offen. Ich wagte stark zu bezweifeln, dass Sabin diese eindeutig viel zu ironisch klingenden Worte nicht gehört hatte. Zwar war mir bekannt wie unsagbar unleidlich man wurde, wenn den Alltag plötzlich zur Gänze ohne jegliche Trips absolvieren musste - und ich war nicht einmal körperlich, sondern nur mental abhängig davon gewesen, also war es mir bei Weitem besser gegangen als Richard -, aber er machte es sich nur selbst immer schwerer halbwegs unbeschadet aus der Geschichte herauszukommen. Ich glaubte Mazzanti inzwischen gut genug zu kennen, um zu wissen, dass seine Geduld keineswegs ewig anhalten würde. Er war bis Richards Verschwinden zu ihm durchgedrungen war wirklich umgänglich und ruhig gewesen, aber gerade war davon rein gar nichts mehr zu sehen und das war in meinen Augen kein gutes Omen. Man hatte die Anspannung in seinem Körper noch immer gesehen, als er den Raum verlassen hatte und ich wagte zu bezweifeln, dass jene sich mit einem derart störrischen Verhalten seitens des Engländers verflüchtigen würde. Taurens Reaktion darauf war auch sehr eindeutig, reagierte er doch prompt mit einem hörbar verachtenden Schnauben und schüttelte sichtlich entnervt den Kopf, bevor er aufstand. "Weißt du was, Richard? Fick dich. Niemand hier kann Irgendwas dafür, dass du süchtig bist und ich hab es satt, dass du deine Dreckslaune an mir auslässt. Ich verpiss' mich freiwillig falls du irgendwann doch noch lebend zurückkommst, damit du mich und meine Hilfsangebote nicht mehr ertragen musst. Lieber wohn' ich mit 50 Mördern als mit dir undankbarem Stück Scheiße unter einem Dach.", schnauzte er doch ziemlich laut zurück und hob dabei die Hand mit der Pistole nach oben, um eine unterstreichende Geste in die Luft zu malen, wobei ich ging automatisch schon zwei Schritte nach hinten machte. Ich hatte keinen Schimmer davon woran man erkannte, ob eine Waffe nun entsichert war oder nicht und außerdem konnte ich das bei dieser Art hektischer Bewegung so oder so nicht erkennen. Vor meinem inneren Auge sah ich hier schon Irgendwen blutend auf dem Boden liegen, aber es passierte nichts, außer dass Tauren nach seinen Worten den Rückzug antrat und sich in einen anderen Raum verzog. Vielleicht sein Zimmer, weil es mitten in der Nacht war und ihm eine weitere Diskussion wirklich zu anstrengend schien. Er sah zwar in meinen Augen immer noch nicht so wütend aus, wie das bei dem Ex-Mafioso der Fall gewesen war, aber wohl war mir auch bei seinem aufbrausendem Tonfall in Kombination mit der Pistole absolut nicht. Demnach war ich ganz froh, dass er sich verdünnisierte und mich mit dem Dunkelhaarigen allein zurückließ. Immerhin stellte er sich mir auch noch einmal vor, was ich mit einem schwachen Nicken zur Kenntnis nahm. Allerdings schwieg ich sicher noch eine halbe Minute, bevor ich den nächsten Schock von gerade eben verdaut hatte und langsam meine Stimme wiederfand. Einfach mal ignorierte, was der Norweger ihm gerade an den Kopf geschmissen hatte. "Ja... Sabin hat mir ein bisschen was über dich erzählt, weil er...", ich seufzte ein weiteres Mal, ließ den Blick durch den Raum wandern. "...weil er denkt, dass ich irgendwie der richtige dafür bin, dich... hin und wieder mal aus der Bude zu holen.", redete ich etwas bedrückt vor mich hin. War mir einfach unangenehm. Erstens war das nicht meine Entscheidung gewesen und trotzdem sah ich in meinem Kopf schon aufgebrachte Worte seitens Richard in meine Richtung fliegen, weil er dazu keine Lust haben würde. Was ich verstehen konnte, weil man sich viel lieber zurückzog und in seinem Selbstmitleid versank, obwohl das schrecklich kontraproduktiv war. Unabhängig davon, dass er wohl ein Trauma mittels Folter erlitten haben sollte, waren starke Depressionen bei einem Entzug nämlich schlichtweg vorprogrammiert und die waren auch alles andere als hilfreich - in Kombination mit den vorherigen Erlebnissen erst recht. Aber auch, wenn er das womöglich nicht hören und nicht versuchen wollte, würde ihm hier und da ein kleiner Ausflug sicher gut tun. Zwar wäre es mir lieber, wenn nicht ich dafür herhalten müsste, aber nun ja...
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Boo-hoo, mir kamen gleich die Tränen, wirklich. Ich konnte die Aufregung seitens Tauren absolut nicht nachvollziehen, war mir grundlegend aber auch reichlich egal. Wir kannten uns nun wirklich nicht gut genug, als dass seine Worte in mir irgendein nennenswertes, negatives Gefühl hinterließen. Ja, er war ein netter Kerl, gut aussehend noch dazu und bevor die ganze Sache mit den Drogen angefangen hatte, konnte man sich gut mit ihm unterhalten, aber ich würde mich wohl ein Stück zu weit aus dem Fenster lehnen, den Norweger als einen Freund zu titulieren. Ein guter Bekannter war er, ja, aber ein riesen Loch würde sein Auszug in meiner Brust wohl nicht hinterlassen. Auch, dass ich jetzt scheinbar gänzlich auf seine Hilfe verzichten musste - die ich von Anfang an noch nicht einmal gewollt hatte - und er mir gen Ende noch Undankbarkeit unterstellte ließ ich jetzt einfach mal so stehen. Konzentrierte mich stattdessen auf die Worte des zweiten, in seiner Anwesenheit bis jetzt deutlich angenehmeren Italiener, die mich eingangs nur etwas fassungslos mit dem Kopf schütteln ließ. Wir waren mittlerweile an dem Türrahmen angekommen, durch den Tauren gerade wutentbrannt den Weg in Richtung seines eigenen Zimmers eingeschlagen hatte, als mir Samuele die frohe Botschaft verkündete, dass er jetzt so etwas wie den Babysitter für mich spielen sollte. Na, das war ja ganz toll. Ich kannte den Typen jetzt gerade mal wie lange..? Fünf, maximal zehn Minuten? Und Sabin hielt es tatsächlich für eine gute Idee, ihn mir auf dieser Grundlage an die Seite zu stellen? Mit was für Erfolgsaussichten denn bitte? "Versteh mich nicht falsch, aber wenn du das genau so zaghaft versuchst, wie du mir eben die Hand gegeben hast, kannst du deine Lebenszeit weitaus wertvoller investieren.", stellte ich verhältnismäßig ruhig fest, dass der auf mich relativ schüchtern wirkende junge Mann vermutlich nur wenig bewirken konnte, wenn er nicht ein Stück weit beherzter an die ganze Sache heran ging. Dabei war mir allen voran wichtig, auch ihm schon so früh wie möglich klar zu machen, wie viel ich von der ganzen Geschichte hier hielt, damit er mich am Ende nicht auch noch als undankbar abstempelte, weil ich seine Hilfe schlicht und ergreifend nicht wollte. Vielleicht ließ wenigstens er sich dazu überreden, mich genau so schnell wieder in Ruhe zu lassen, wie er mich kennen gelernt hatte. Wie gesagt, kannte ich den Typen nicht, wusste nicht, wer er war und wie er tickte, nur, dass er offenbar zu Sabins neuer Gefolgschaft gehörte. Aber ich wagte jetzt einfach mal zu bezweifeln, dass der Jüngling mit den verboten gut aussehenden Augen mir besonders viel entgegen zu setzen hatte, wenn er schon beim bloßen Anblick einer Waffe hinter der nächsten Ecken Schutz suchte. So ganz wollte sich mir sein Verhalten auch nicht erklären, aber der Italiener Nummero Uno würde mir dahingehend bestimmt noch Auskünfte erteilen. Er schuldete mir sowieso noch eine Antwort, denn so war das Ganze nicht abgesprochen gewesen. Gut, dass ich stiften gegangen war, war auch kein Teil der Abmachung, aber... na ja, was auch immer. Es war wohl momentan wirklich alles ein bisschen viel und ich kam mit dem Nachdenken einfach gar nicht mehr hinterher. Weder wusste ich, was ich jetzt schon wieder von dieser neuen Offenbarung halten, noch wie ich darauf reagieren sollte, also nahm ich sie erst einmal wortlos, sichtlich erschöpft hin, als ich mich auch noch die letzten Schritte bis in die Küche schleppte. "Tauren scheint meine Entschuldigung nicht annehmen zu wollen. Ich denke, die Sache hat sich damit erledigt und wir können gehen.", stellte ich im Türrahmen besagter Räumlichkeit stehend an Sabin gerichtet fest, dass wir aufbrechen konnten, wenn es nach mir ginge. Ansonsten würde ich ihn wohl bitten, zu gehen, denn mittlerweile riss mich die Müdigkeit ungeachtet aller anderen Auswirkungen des Entzuges in ihren Bann und wenn ich nicht bald in ein kuschlig warmes Bettchen oder etwas Vergleichbarem fiel, dann würde ich hier noch im Stehen einnicken und hoffentlich mit dem Kopf so hart auf dem Boden aufkommen, dass sich die Geschichte von selbst erledigt hatte. Ich war mir nämlich ziemlich sicher, dass Aussetzer wie die des heutigen Abends noch einmal öfter auftreten würden und wenn ich mich dabei jedes Mal so ausgelaugt und kaputt fühlte, dass selbst Atmen schon zu anstrengend war, dann würde ich einen schnellen Tod noch sehr viel eher bevorzugen, als ich das am gestrigen Mittag noch getan hatte. Lange würde ich das jedenfalls nicht mitmachen und ich war mir ziemlich sicher, dass mir da auch Sam in Form einer therapeutischen Begleitung nicht weiter helfen konnte. Wie sollte er auch? Ich bezweifelte mal ganz stark, dass er eine Ausbildung oder ein Studium in diese Richtung absolviert hatte, aber in kriminellen Kreisen reichte wohl offensichtlich auch ein Zertifikat einer Online-Schulung oder dergleichen.
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Ja, das befürchtete ich auch schon seit heute Mittag, als der Italiener auf die glorreiche Idee gekommen war mich an sein Sorgenkind zu koppeln. Ich war normalerweise wirklich ein kommunikativer, offenherziger Mensch. Andernfalls würde mir ja der Kundenkontakt im Laden schwerfallen, was ganz und gar nicht der Fall war. Ich unterhielt mich gerne mit Menschen, brachte sie hier und da mit einem Witz am Rande auch mal zum Lachen, wenn es ins Gespräch passte und die meisten liebten mich für meine entspannte, lebensfrohe Art. Nur war eben genau jene Art momentan sehr stark von meinem Umfeld gedämpft, das ausschließlich aus Junkies und Schwerverbrechern bestand, die mit legal lebenden, normalen Menschen mit normalen Probleme rein gar nichts zu tun hatten. "Kommt wohl drauf an, ob du mir auch die Kehle durchschneiden würdest, wenn dir was nicht passt...", murmelte ich trocken, aber ziemlich leise vor mich hin. Eigentlich war ich nämlich nicht schüchtern und auch nicht zaghaft. Wenn man mir aber den Mord von Freunden und Familie androhte, während man mir als Ex-Knacki oder Ex-Mafioso gegenübersaß, dann wurde mir dezent anders zu Mute. Dahingehend war es schlichtweg auch absolut nicht hilfreich, dass ich schön ausführlich nach all den Straftaten der beiden Männer gesucht hatte, als ich Sydneys Gesicht auf der Bewerbung wiedergesehen hatte. Mein Gehirn rief sich unweigerlich immer die vollständigen Listen dazu auf - dabei konnte ich ja nicht einmal im Ansatz wissen, was außer den im Internet auffindbaren Dingen noch alles in ihrer Strafakte stand -, sobald einer von beiden in mein Sichtfeld trat, wobei ich zumindest Hunter bis jetzt kein zweites Mal hatte wiedersehen müssen. Ich hoffte auch wirklich inständig, dass ich nicht mehr oft auf den Amerikaner treffen müssen würde. In den aktuellen Umständen war ich einfach nur froh, wenn ich bei der winzigsten falschen Bemerkung dran glauben musste und ich glaubte zu wissen, dass die Wahrscheinlichkeit diesbezüglich mit dem keine Widerrede duldenden Hitzkopf erheblich steigen würde. Aber ich teilte Richards Ansicht in vollem Umfang - weder rechnete ich mir besonders große Erfolgschancen aus, noch machte ich das freiwillig oder gern. Eine Wahl gelassen wurde mir bei dieser Angelegenheit nur leider nicht und ich wünschte wirklich es wäre anders. Ich blieb allerdings erst einmal im Flur stehen als Richard noch weiter bis in die Küche zu Sabin ging. Erstens wollte ich nicht direkt daneben stehen, wenn sie sich noch mehr unschöne Worte an den Kopf schmeißen sollten und zweitens schien ohnehin die Abreise anzustehen. Also spart ich mir die zusätzlichen Schritte und wartete einfach erst einmal im Flur darauf, dass die beiden sich zum Gehen aufrafften. Dann kam ich vielleicht sogar noch für zwei Stunden ins Bett, bevor ich mich zur Arbeit schleppen musste.
Der Engländer schien es einfach nicht lassen zu können mir vermehrt auf den Zeiger zu gehen. Das war es also, was er unter einer Entschuldigung verstand, ja? Sonst legte der junge Mann meistens eigentlich relativ taugliche Manieren an den Tag, aber die waren inzwischen dank der Drogen wohl gänzlich flöten gegangen. Blieb zu hoffen, dass sich das nach dem Entzug wieder änderte, weil wir sonst sehr sicher auch dann noch öfter mal aneinanderrauschen würden, wenn er letztlich vollumfänglich clean war. Ich hatte nichts gegen seinen manchmal trockenen Humor oder seine penible, gewissenhafte Art, aber bei respektlosem Verhalten hörte bei mir der Spaß ganz schnell auf. "Was einfach nur daran liegt, dass du dich weiter wie das letzte Arschloch aufführst und es kein Stück ernst gemeint hast. Es braucht wirklich viel um es sich bei Jemandem wie Tauren zu versauen, aber selbst das kriegst du hin. Vielleicht sollte ich dir doch hin und wieder mal einen von Hunters Schlägern als Wache einteilen, die prügeln dir bestimmt freiwillig wieder ein paar Manieren ein, wenn du dir zu viel rausnimmst.", knurrte ich weiter vor mich hin, war die schlechte Laune doch bisher noch kein bisschen verflogen. Ich hatte das Bier inzwischen bereits zur Hälfte leer und begann auch den Rest noch relativ zügig auszutrinken, während sich vor meinem inneren Auge abspielte, wie ich die Bierflasche stattdessen einfach nach dem Dunkelhaarigen schmiss, um ihm sein Gesicht noch gänzlich zu versauen. Zwar sollte man mit solchen Gedanken grundlegend vorsichtig sein, wenn man es nicht wirklich in die Tat umsetzen wollte, weil einem die Hände dann nur noch schneller ausrutschten, aber gerade war es das einzige sich mir bietende Ventil dazu ihm nicht wirklich noch einmal meine Faust zu verpassen. Denn er verdiente das. Schien immer noch nicht zu begreifen, wie er sich eigentlich benahm und wie er sein ganzes Umfeld unter seiner Sucht leiden ließ. Sich selbst das Leben zu ruinieren war eine Sache, aber andere darunter leiden zu lassen nochmal eine ganze andere. Der Gedanke daran ihn hier und da, wenn es mir mit ihm zu bunt wurde, einfach an einen von Hunters Männern abzutreten wurde mir parallel auch immer sympathischer, obwohl ich das eigentlich wirklich nicht wollte. Einfach deshalb, weil ich wusste, dass sich der eine oder andere gezielt Gründe fürs Zuschlagen heraufbeschwören würde, wenn er nur einen schlechten Tag hatte. Es war also eigentlich maximal eine meiner allerletzten, unfreiwilligen Optionen. Ich würde ja Tauren fragen, aber warum er dabei komplett wegfiel war offensichtlich. Er war - abgesehen von Ashton, der ebenfalls nicht in Frage kam - der einzige, dem ich dahingehend trauen könnte. Desmond vielleicht auch noch, weil er nicht ganz so leicht reizbar war wie der Großteil und auch gutes Ansehen bei seinem Chef genoss, aber auch bei ihm würde ich nichts in Stein meißeln wollen. Als die Flasche leer war knallte ich sie zurück in den Bierkasten und trat dann an Richard vorbei zurück in den Flur. Er war nicht dumm genug mir jetzt auch noch Widerstand zu leisten, indem er sich nicht vom Fleck rührte und Samuele wollte sicher nur ungern hier bei Tauren bleiben, weshalb wir zeitnah draußen am Wagen ankamen. "Ihr setzt euch beide auf die Rückbank. Mir scheißegal worüber ihr redet, aber ich will kein Schweigen hören, sonst kannst du deine Pillen vergessen.", ließ ich die beiden wissen, dass sie gut daran täten sich noch ein bisschen kennenzulernen solange die Autofahrt anhielt, weil die Medikation des Dunkelhaarigen daran gekoppelt sein würde. Sie mussten in Zukunft miteinander auskommen, also konnten sie gleich mal damit anfangen sich zu beschnuppern, während wir auf dem Weg nach Havanna waren. Ich wollte noch nicht, dass Samuele vom Standort meiner Bleibe wusste und deshalb würde ich ihn zuerst Zuhause abliefern. Deshalb fragte ich ihn beim Einsteigen auch noch beiläufig nach seiner Adresse, damit ich zukünftig wusste, wo ich Richard abliefern musste. Mit entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen natürlich, ich war ja nicht bescheuert. Die ersten ein oder auch zwei Mal würde ich sowieso dableiben, damit ich sicher war, dass alles mit rechten Dingen zuging.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Dass ich momentan in scheinbar Jedermanns Augen den Buhmann darstellte, war mir unbegreiflich. Sabin und damit auch der Rest der Gruppe hätte es so viel leichter haben können, würden sie mich bloß in Ruhe lassen. Sich einen neuen Deppen anlachen und mich Anfang dreißig meinem Schicksal überlassen. Es wurde keiner gezwungen, sich mir als Arschloch anzunehmen. Die Entscheidung hatte er ganz alleine gefällt - wofür ich ihm irgendwann in ferner Zukunft, wenn es mir tatsächlich besser gehen sollte wohl noch dankbar sein würde, aber jetzt halt noch nicht. Deswegen hielt sich mein Verständnis für die Worte, dir mir der Italiener noch an den Kopf schmiss, bevor wir aufbrachen, auch in sehr eng abgesteckten Grenzen. Wäre ich jetzt nüchtern gewesen, hätte ich mich vermutlich bereits nach der ersten ungehobelten Reaktion selbst geohrfeigt, weil ich so respektlos und unfreundlich normalerweise nicht war, aber Sabin hatte in unserem Gespräch gestern schon ziemlich treffend auf den Punkt gebracht, dass in meinem Oberstübchen seit dem aktiven Drogenkonsum bereits einiges kaputt und verloren gegangen war. Darunter hatten sich ganz offensichtlich meine Manieren und das zumindest halbwegs brauchbare Taktgefühl, sowie Einfühlungsvermögen befunden. Wie gut, dass mir das in der aktuellen Situation überhaupt nicht auffiel. Ich mit meinen eigenen Gedanken schon überfragt war und deshalb nicht auch noch abwägen konnte, wie sich mein Gegenüber denn fühlte, wenn ich ihm Satz XY an den Kopf knallte. Nein, war momentan einfach nicht machbar und entweder sah Sabin das ganz einfach ein oder er setzte seine Androhung in die Tat um und überließ mich tatsächlich einen von Hunters Schlägen. Aktuell war mir wohl so ziemlich alles egal, sofern es auf ein recht frühzeitiges, schnelles Ableben abzielte. "Es gibt vermutlich nichts, um das ich dich in der nächsten Zeit inständiger bitten werde, Sabin. Dann hat das Ganze hier vielleicht schneller ein Ende, als ich mit dem beschissenen Entzug fertig bin.", grummelte ich müde zurück und machte damit unmissverständlich klar, dass ich in der nächsten Zeit vermutlich noch viel unleidlicher werden und sehr viel öfter nach dem Tod verlangen würde, als ihm das lieb war oder er sich das zum jetzigen Zeitpunkt vorstellen konnte. So ließ ich ihn sich mental also darauf einstellen und er konnte in Ruhe überlegen, in wessen Hände er mich denn letzten Endes wirklich geben würde, wenn ich Sam mit meiner Art genau so terrorisiert hatte, wie es laut Aussage Sabins auch bei dem Norweger der Fall gewesen war. Dass ich dem Schönling, der beim Verlassen des Hauses das Schlusslicht bildete, nicht die Kehle aufschlitzen würde, so wie er das befürchtete... wollte ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht unterschreiben. Ich war nach wie vor ein pazifistischer Mensch, aber ich meine mich zu erinnern, dass diese Hemmschwelle in den Räuschen immer abgenommen hatte. Wie sich das bei einem Entzug verhielt, würden wir wohl erst herausfinden, wenn es so weit war. Aber bis dahin brauchte Sam sich nicht vor durch mich praktizierter, körperlicher Gewalt fürchten. Ich schleppte mich also schließlich mit müden Schritten hinter Sabin her nach draußen, atmete ein oder zwei Mal tief durch und ließ Samuele hinter mir noch ein knappes "Einfach zuziehen." zukommen, was die Haustür anging - schließlich hatte ich noch immer keinen Schlüssel am Mann und Tauren war ja ohnehin noch anwesend -, bevor ich dann ganz von alleine und ohne weitere Aufforderung seitens des Italieners auf die Rückbank kroch, wo mich schon das weiche Leder derart einlullte, dass ich in den nächsten paar Minuten ganz sicher eingeschlafen wäre... wenn ich für mein rüpelhaftes Verhalten von eben nicht direkt die Quittung bekommen hätte. "Komm' schon, ich penn' hier gleich ein. Muss das sein?", fragte ich und unterstrich die Wahrhaftigkeit der Aussage mit einem ausgiebigen Gähnen. Der keine Widerrede duldende und ziemlich garstige Blick Sabins, den er mir über den Rückspiegel zuwarf, war dahingehend Antwort genug und es bedurfte keiner verbalen Untermauerung des Ganzen. Also verdrehte ich nur leicht genervt die Augen und wägte parallel dazu ab, ob es mir das wirklich wert war. Momentan ging es mir verhältnismäßig gut, zum Einschlafen wäre sicher keine Tablette von Nöten, aber das würde sich vermutlich ändern, sobald mein Körper durch den Schlaf neue Energien geschöpft hatte, die er für die Fortführung der Zitteranfälle und Panikattacken benötigte und dann würde ich mir sehr sicher selbst in den Arsch beißen, mich jetzt hier so quer gestellt zu haben. Es passte mir überhaupt nicht, dass mein Wohlergehen momentan gänzlich in den Händen des noch immer deutlich erträglicheren Oberhauptes des Suicide Squads lag, aber blieb mir eine andere Wahl? Wenn ich nicht noch eine Möglichkeit fand, abzuhauen und daraufhin schnellstmöglich auszuwandern, würde er mich ja doch immer und immer wieder finden und irgendwann bestimmt nur noch in einen fensterlosen Raum sperren, bis von der gebrochenen Psyche durch Folter und Drogen nur noch ein schattigere Schatten meiner selbst übrig blieb - war einleuchtend, oder? -, mit der er dann genau so wenig anfangen konnte, wie das aktuell der Fall war. Toll. Egal, wie ich es zu drehen oder wenden versuchte, das Ergebnis war nie so richtig zufriedenstellend. Ich seufzte leise, resigniert, als ich den Kopf schließlich an die Fensterscheibe des Wagens legte. Ich war doch überhaupt nicht mehr in der Lage, aktiv mein Hirn zu benutzen, wie sollte ich da bitte eine Konversation anfangen und aufrecht erhalten? Klar, hätte ich Sammy fragen können, woher er kam und was er so beruflich machte, aber das hätte maximal einen absolut nicht nennenswerten Bruchteil der Fahrt ausgemacht, die uns noch bevor stand, also entschied ich mich spontan für ein Thema, über das ich noch reden konnte, selbst wenn ich auf dem Sterbebett lag. Schlicht weil ich es mein Leben lang derart verinnerlicht hatte, dass es mir bereits in Fleisch und Blut übergangen und zu meiner Passion geworden war. "Magst du Kunst?", stellte ich also eine sehr direkte Frage an den jungen Mann, der bald schon neben mir auf der Rückbank hockte und ebenso wenig zu wissen schien, wohin mich sich, wie ich selbst in dem Moment. Sollte er die Frage jetzt verneinen oder gar keine bis nur bedingt Ahnung davon haben, würde ich aus Frust wohl einfach gegen den Fahrersitz treten. Insofern das meine Kraftreserven noch zuließen - verstand sich wohl von selbst. Denn dann wusste ich auf Anhieb nämlich nicht, worüber man sich so lange unterhalten können würde, dass ich nicht im Verlauf des Gesprächs einfach wegnickte. In Anbetracht der immer stärker einsetzenden Müdigkeit war das auch gar nicht mal so unwahrscheinlich.
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Sabin schnaubte nur noch merklich verächtlich, was die irgendwie ziemlich nach gewilltem Selbstmord klingende Aussage des Engländers betraf. Ich für meinen Teil fand das eigentlich kein bisschen witzig, weil das nur noch ein weiteres Mal sehr deutlich machte, wie schlecht es um Richard eigentlich stand. Nicht nur körperlich, sondern eben auch psychisch und obwohl er momentan wirklich Alles und Jedem auf die Nerven zu gehen schien, sich bei allen Mitmenschen unbeliebt machte, hatte ich doch inzwischen etwas Mitleid mit ihm. Wurde herumgestoßen wie ein kleines Kind, dass ständig irgendwelche Scheiße verbockte... gut, streng genommen verhielt er sich wohl auch ziemlich genau so, aber das war ja den Drogen zu verschulden. Das war sicherlich nicht wirklich er selbst, weil ich mir nicht vorstellen konnte, warum Mazzanti sonst so verbissen darauf war ihn wieder auf die Beine zu kriegen. Irgendwas musste es ja an ihm geben, für das es sich zu lohnen schien all seine Unleidlichkeit und sein trotziges Gemotze auf sich zu nehmen. Wenn er lediglich dem Geschäft dienen sollte, dann wäre der Aufwand doch aus der Sicht eines rein wirtschaftlich denkenden Mafiosi ziemlich übertrieben und unnötig, oder? Vielleicht saß ich auch noch nicht tief genug in der ganzen Scheiße drin, um wirklich darüber urteilen zu können, aber wäre ich ein Verbrecher großen Kalibers, der schon etliche Leute auf dem Gewissen hatte... nein, dann kam es doch bestimmt auf einen Junkie auch nicht mehr an, wenn er sich ersetzen ließ. Es musste also irgendeinen Grund dafür geben, dass Sabin ihn nicht einfach durch Jemand Anderen ersetzen wollte, der sich mir nicht erschließen ließ. Lief das immer so, dass der großgewachsene Italiener einfach irgendwelche Handlungen als Feststellung in den imaginären Raum schmiss und dann alles nach seiner Pfeife tanzte? Vermutlich schon. Machte mir das seine Anwesenheit angenehmer? Nicht die Bohne. Zwar konnte ich verstehen, dass er uns beide irgendwie auf ein Level miteinander zu kriegen versuchte, aber das konnte man doch nicht auf Biegen und Brechen aus dem Nichts herausstampfen. Dazu brauchte es erstmal irgendwie ein ruhigeres, entspannteres Umfeld - zumindest, wenn es nach mir ging - und vor allem nicht auch noch Druck von oben, der Richard seine Pillen verwehren würde, wenn wir uns hier nicht irgendwelche Worte aus den Fingern zu saugen begannen. Allerdings machte der Italiener auf dem Fahrersitz uns beiden sehr unmissverständlich klar, dass es daran nichts zu diskutieren gab und deswegen... naja, saß ich da erstmal und wusste nicht, womit ich anfangen sollte. Daraufhin war ich dementsprechend relativ dankbar dafür, dass der junge Mann auf der anderen Seite des Fahrzeugs das Wort ergriff, woraufhin ich meinen Kopf in seine Richtung drehte. Kunst? Puh. Es hatte wohl schon das eine oder andere Bild in dem ländlichen Anwesen gehangen, in dem ich seit meiner frühen Jugend mit meinen Eltern gewohnt hatte und auf dem Vorplatz hatte ein Brunnen mit irgendeiner prunkvollen Statue in der Mitte das Äußere komplettiert. Aber ob ich sie mochte? Keine Ahnung. Wie sollte ich wissen, ob ich mich dafür interessierte, wenn ich mich nie damit befasst hatte? Meine Jugend hatte eher aus sehr viel nichts tun, Filmen, Serien und etwaigen Wutausbrüchen im Privatunterricht bestanden. Letztere kamen wohl hauptsächlich in Fächern zustande, die ich nicht hatte leiden können... und, weil ich einfach grundlegend ziemlich unausgelastet war. Da hatte auch der Sport nebenher nie wirklich viel geholfen, wenn der Kopf nicht durch Kontakt zu anderen Leuten in meinem Alter beruhigt werden konnte. Ich war allgemein immer ziemlich aufgekratzt oder schlecht gelaunt gewesen, wirklich gebessert hatte sich das erst hier auf Kuba. Die Freiheit hatte mir meinen Lebenswillen noch zurückgeben können. "Naja... keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich hab mich noch nie wirklich damit befasst... klar kann Kunst schön oder inspirierend sein, aber... das ist wohl alles, was ich dazu sagen kann.", seufzte ich, redete allgemein weiterhin eher leise, aber hier im Wagen war es ja auch nicht besonders laut. Ich wusste jetzt auch nicht, was ich sonst noch sagen sollte. Schließlich kannte ich Richard kein Stück, wenn es sich auf andere Bereiche seines Lebens als diesen lästigen, aktuellen Drogenabschnitt bezog. Weil ich selbst nach wie vor auch nicht wirklich etwas über mich preisgeben wollte, das irgendwie relevant für Jemanden hier sein konnte - ich hatte schon zu oft ungünstige Dinge in ungünstigen Momenten gesagt, die andere wiederum auf für mich ungünstige Gedanken gebracht hatten -, beschloss ich kurzum einfach stattdessen weiter in dieser Richtung nachzuhaken. "Hast du wohl irgendwie... mehr damit zu tun? Oder interessierst du dich nur so privat dafür?", stellte ich Richard also einfach eine entsprechende Gegenfrage, um nicht am Ende noch Schuld daran zu sein, dass er seine Medikamente nicht bekam, weil ich mich zu blöd damit anstellte ein Gespräch am laufen zu halten. Daraufhin wanderte mein Blick dann aber wieder aus dem Fenster zu meiner anderen Seite.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Na, das war ja großartig. Schön und inspirierend also, ja? Nein, sie war weit mehr als das, verdammte Scheiße! Aber was erwartete ich eigentlich... dass etwa jeder so begeistert von Kunst war, wie ich selbst etwa? Ja, vielleicht... Samuele versinnbildlichte mit dieser Aussage gerade all diejenigen, die sich in der letzten Minute auf Geheiß der Eltern für den künstlerischen Studiengang immatrikuliert hatten, damit ihnen Zuhause auch ja niemand auf die Nerven ging. Die Bereitschaft, sich für verschiedene Kunstepochen mit ihren Künstlern und deren Stile zu begeistern hielt sich bei den meisten, eher unfreiwillig Anwesenden dann natürlich stark in Grenzen und nur die wenigstens sah ich nach dem ersten Semester auch tatsächlich wieder. Das lag aber wohl schlicht und ergreifend daran, dass ich den jungen Frauen und Männern bereits zu Beginn, also quasi bei der Einschulung neuer Studenten klar machte, dass Kunst ein verdammt anstrengendes Thema sein konnte, wenn man nicht schon von Anfang an ein Stück weit motiviert war, sich der Lebensgeschichte von Monet oder Kandinsky anzunehmen. Ich legte den meisten, die sich nur eingeschrieben hatten, um zumindest irgendetwas in den Händen zu haben, ans Herz, sich für das nächste Semester lieber in Vorlesungen über Musik zu setzen, wenn ihnen stupider theoretischer Unterricht derart auf den Zeiger ging. Faktisch gesehen fingen wir nämlich nicht an zu zeichnen, malten keine Stillleben und formten auch keine Skulpturen aus Ton. Nein, bei mir lernten die Kids, wie ich die Horde voll junger Menschen, die gerade so die Pubertät hinter sich gelassen hatten, immer liebevoll nannte, wer hinter all diesen schönen Gemälden steckte, die in der Universität verteilt hingen und wie diese Menschen zu ihrer Zeit gelebt hatten. Wem stumpfes Zuhören nicht lag, sollte sich in den ebenso unbeliebten Studiengang Musik einschreiben. Da konnten sie, nachdem Noten lesen und schreiben kein Problem mehr waren, ein Instrument spielen und es brachte ihnen sicher mehr, als wenn sie sich ihre Hintern in meinen Vorlesungen platt gesessen hätten. Im Umkehrschluss bedeutete der rasche Abgang Studierender natürlich auch, dass ich am Ende nur noch mit verhältnismäßig wenigen dagesessen hatte, aber ein paar begeisterte und motivierte Kunstliebhaber waren mir definitiv lieber, als kostbare Kraft und Zeit in Idioten zu investieren, die nicht einmal in 100 Jahren den Unterschied zwischen einem Bild von Picasso und Matisse erkennen würden. Aber ich schweifte ab. Vermutlich hätte mir von Anfang an klar sein sollten, dass sich nicht jeder Italiener nur aufgrund seiner Herkunft für Kunst interessierte oder damit etwas anzufangen wusste. Dennoch hatte ich gehofft, mich mit ihm über ein in meinen Augen durchweg Interessantes Thema zu unterhalten. Dann läge mir der Aspekt, dass ich zum Reden gezwungen wurde, vermutlich nicht mehr ganz so bitter auf der Zunge, aber in Ordnung... Der junge Mann schien sich trotz mangelnder Kenntnisse darum zu bemühen, das Gespräch in diese Richtung aufrecht zu erhalten, was ich ihm hoch anrechnete und deshalb auch davon absah, ihm aus seinem Unwissen einen Strick zu drehen. Zwar philosophierte ich in Gegenwart von Fremden nur ungern über mich und mein Leben, aber in dem Fall ging es bloß um eine Information, die man mit genug Recherche auch im Internet finden konnte und es schien mir nicht verwerflich, über meinen Beruf als Professor zu reden. War in jedem Fall besser, als sich anzuschweigen und damit noch mehr Zorn des sich auf den Fahrersitz befindlichen Italieners auf sich zu ziehen. Ich zuckte also schwach mit den Schultern, ehe ich aus dem Fenster sehend zu einer Antwort ansetzte. "Kann man so sagen. Ich habe Kunstgeschichte studiert und bin... war... Kunstprofessor an einer Universität in Oslo.", klärte ich den jungen Mann neben mir auf der Rückbank darüber auf, dass ich bis dato weit über privates Interesse hinaus mit Kunst zutun gehabt hatte und überlegte parallel dazu, wie ich ihn aktiv in das Gespräch mit einbinden konnte. Grundlegend bestand meinerseits nicht einmal das Interesse an einer Konversation, aber wenn man dazu gedrängt wurde, sollte es in meinen Augen nicht unbedingt nur ein einseitiges Gespräch sein. Schließlich könnte ich ihm jetzt meine ganze Lebensgeschichte erzählen oder Sam mir die seine, aber wirklich weiter bringen tat uns das nicht. Jedoch war ich so verdammt müde, dass mir auf die Schnelle einfach nichts Brauchbares einfallen wollte, bis es schließlich doch noch einmal klick machte. Mir lag eine Frage auf der Zunge, die vermutlich nicht wirklich für einen Smalltalk mit jemanden geeignet war, der sein Leben bis hierhin fernab der kriminellen Welt lebte, aber das konnte ich zum jetzigen Zeitpunkt ja noch überhaupt nicht wissen. Hatte mir schließlich noch niemand gesagt, dass der arme Bengel neben mir eigentlich ein ganz normales, friedliches Leben geführt hatte... bis ihm Sydney über den Weg gelaufen war. Demnach trat ich mit der Frage, dessen Antwort mich selbst in meinem momentan etwas angeschlagenen Zustand tatsächlich interessierte und neugierig werden ließ, vermutlich voll ins Fettnäpfchen. "Und du? Was machst du hier in Havanna? Für einen Kopfgeldjäger machst du mir einen zu netten Eindruck... handelst du vielleicht mit Menschen oder Organen?", fragte ich und drehte zum ersten Mal seit dem Einstieg ins Auto meinen Kopf wieder in seine Richtung, um Samuele direkt anzusehen. Dabei hielt sich mein Gesichtsausdruck vollkommen normal, weil mich kriminelle Aktivitäten nicht wirklich beeindruckten. Ich einfach nur gerne wusste, woran ich war und womit ich rechnen konnte.
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Tatsächlich schien der Dunkelhaarige sogar in beruflicher Hinsicht einiges mit Kunst zu tun gehabt zu haben, bevor er mit dem Rest der Bande hierher gekommen war. Hatte sein Wissen darüber auch an einer Universität an andere weitergegeben, was ihm doch etwas mehr Respekt von mir einbrachte. Gehörte sicher sehr viel Arbeit dazu sich überhaupt erst einmal so weit hochzuarbeiten, sich all dieses Wissen auch erst einmal vorher anzueignen. Ich selbst tat mir persönlich ja schon schwer damit wichtigere geschichtliche Ereignisse mit Jahreszahlen zu benennen, weil Geschichte einfach noch nie mein Ding gewesen war. Mich nur in manch wenigen Themen bisher wirklich interessiert hatte. Natürlich war sie wichtig, hatte sie die Menschheit doch bis hierhin geprägt und gebracht, aber ich war wohl einfach eher der Typ Mensch dafür viel mehr den Moment zu leben. Womöglich hing das auch hauptsächlich damit zusammen, dass meine eigene Vergangenheit nicht besonders rosig gewesen war und ich dementsprechend nur ungern noch ewig nachhängen wollte. Brachte mir ja nichts, außer Frustration über die vielen verschwendeten Jahre. "Hut ab... ich bin schon froh, wenn ich mir ein paar Geburtstage ohne Zettel merken kann.", ließ ich ihn gegen Ende hin leicht sarkastisch und eher indirekt wissen, dass mir selbst das richtige Anordnen irgendwelcher Jahreszahlen mit Bezug - sprich Infos zum Künstler, seinen Kunstwerken und so weiter - eher schwerfallen würde und er dafür durchaus meine Anerkennung verdiente. Ich hatte mich gerade fast ein wenig entspannen können, weil Niemand im Begriff war mit einer Pistole herumzufuchteln, Schläge auszuteilen oder Andere anzuschreien, als Richard mir eine entsprechende Gegenfrage stellte und mich damit ein weiteres Mal innehalten ließ. Dann folgte erst einmal ein tiefes, resigniertes Seufzen, den Blick weiterhin stur aus dem Fenster gerichtet. Mir war ja klar, dass ich mich vom Rest seines Umfeld merklich unterscheiden würde, ganz gleich wen ich davon noch kennenlernte und im Grunde fand ich das ja auch gut so. Wollte nach wie vor nicht ins kriminelle Geschäft einsteigen, obwohl Sabin und ich dahingehend heute erste Schritte besprochen hatten. Nur hatte ich eben keine Wahl und seine Worte gingen mir dementsprechend einfach ziemlich auf die Nerven. Menschenhändler... so weit kam's noch. Sollte irgendwer Sklavenhandel von mir abverlangen würde ich mir wohl lieber selbst die Kugel geben, als unschuldige Menschen ins Verderben zu verkaufen. "Du könntest mir die ganze Welt im Tausch anbieten und es würde mir trotzdem nicht im Traum einfallen andere Leute für meinen eigenen Profit zu opfern.", grummelte ich missmutig vor mich hin, ließ meine Augen dabei unruhig über die Umrisse in der Dunkelheit außerhalb der Scheibe wandern. Unterstrich damit, dass mir im Gegensatz zum Rest der Crew das Leben anderer schlichtweg am Herzen lag. "Ich bin eigentlich Manager in einem Café in der Innenstadt, bin für viele Bereiche da zuständig...", setzte ich den Engländer darüber in Kenntnis, dass ich normalerweise eigentlich absolut legal arbeitete. Wäre da nur nicht mein Leichtsinn und die eine oder andere unüberlegte Tat gewesen. "...und jetzt sitze ich hier, weil ich zu neugierig war und was Dummes getan habe. Soll als Ausgleich Drogen für euch ins Ausland verschiffen...", murmelte ich weiter vor mich hin, während ich meinen Blick langsam wieder zu Richard drehte. Es stand mir ziemlich unmissverständlich ins Gesicht geschrieben, dass ich darüber alles andere als erfreut war. Immerhin war Sabin inzwischen so nett gewesen mir zu sagen, um was es sich bei der zu verschiffenden Ware überhaupt handelte und dass ich nicht erfreut darüber war, früher oder später tödliche Drogen ins Ausland bringen zu müssen, musste ich wohl kaum noch erwähnen. Da konnten sie den Junkies auch einfach gleich einen Kopfschuss geben, war der weit weniger schlimme Leidensweg. Sah man ja an Richard hier sehr gut.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich schnaubte leise, belustigt und nickte Sam als Dank für dieses sehr indirekte Kompliment an mein Gedächtnis mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen zu. Ja, Geschichte im Allgemeinen war wohl immer mit ziemlich vielen Daten verbunden. Man musste schon ein extremes Faible dafür haben, sich die alle merken zu können, aber das fiel einem umso leichter, je mehr einen das Thema dazu interessierte. Zwar hatte ich grundlegend - wenn ich denn nüchtern war - generell kein großes Problem damit, mir Dinge und damit auch Zahlen einzuprägen, aber ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich beispielsweise sämtliche Kriege der Historie auch nur auf das Jahr genau datieren könnte. Mein Wissen beschränkte sich dahingehend also tatsächlich auch nur auf die Kunst an sich, die Epochen und ihre Künstler. Alles andere... na ja, interessierte mich nun mal auch nicht wirklich. Samuele schien dahingehend keine weiteren Rückfragen zu haben und kurzzeitig wurde es still zwischen uns. Ich hatte den Blick von dem jungen Mann bereits wieder abgewandt, als er zu einem resignierten Seufzen und einer anschließenden Antwort ansetzte. Scheinbar hatte Sam kurz darüber nachdenken müssen, was genau er mir jetzt von seinen kriminellen Machenschaften alles erzählen konnte, wollte und welche Informationen er besser für sich behielt, aber überraschenderweise war das gar nicht der Grund dafür, warum er mich sicher eine halbe Minute lang im Dunkeln hatte tappen lassen. Statt mir von dem erwarteten Organhandel zu erzählen oder das er Hehlerware versetzte, zeigte er sich Widerrechtlichkeiten gegenüber ziemlich verständnislos, was mich postwendend eine Augenbraue heben ließ. Wenn er sich laut eigener Aussage so wenig mit kriminellen Leben identifizierte und offenbar ganz legal sein Dasein fristete, was verschlug ihn denn dann in die Arme Sabins? Ich wollte gerade eine entsprechende Frage diesbezüglich stellen, da kam mir der junge Mann bereits mit einer Erklärung des Umstandes zuvor und entlockte mir damit ein müdes, aber durchweg amüsiertes Lachen. Dabei beobachtete ich die an uns vorbei ziehenden Silhouetten der Bäume oder Häuser außerhalb des Fahrzeugs und machte keinerlei Anstalten, das zu ändern. Auch dann nicht, als ich mein Wort wieder an den geknickten wirkenden jungen Mann neben mir richtete. "Scheiße, okay. Hab' mich schon gewundert, seit wann Sabin einen Laufburschen hat.", stellte ich erst einmal mehr an mich selbst gerichtet und eher gemurmelt fest, ehe sich der nächste Teil dann wieder direkt an Samuele richtete. "Dann darf ich dich wohl recht herzlich im Team willkommen heißen. So schlimm kann das, was du verbrochen hast aber gar nicht gewesen sein. Ansonsten würdest du wohl kaum unversehrt und an einem Stück hier sitzen.", ergänzte ich meine vorangegangenen Worte also noch um eine knappe Tatsache und deutete zum Unterstreichen der Aussage auf die auffällige Narbe in meinem Gesicht - jedoch noch immer, ohne ihn dabei anzusehen. "Und ich weiß, wovon ich rede.", merkte ich vollkommen überflüssig noch dazu an, dann aber drehte ich den Kopf doch noch einmal langsam in seine Richtung, legte ihn dabei aber so weit das mit der Kopfstütze möglich war in den Nacken. War einfach bequemer, wurde der Schädel doch immer schwerer. Vermutlich hatte ich das Gespräch morgen schon wieder vollkommen vergessen, weil es zum einen Ohr rein und auf der anderen Seite direkt wieder raus ging, ich mir kaum etwas aktiv merken konnte. Bezüglich der Andeutung mit der Narbe, stand mir nicht einmal mehr im Sinn, Sammy Angst machen zu wollen, aber es sollte ihn wohl dennoch präventiv von irgendwelchen Dummheiten abschrecken. Zumindest, wenn er eben kein Interesse daran hatte, eine seiner beiden Gesichtshälften auf genau die gleiche Art und Weise zu verlieren. "Was hast du denn angestellt, dass man dich als armen Außenstehenden knechten muss?", war schließlich meine letzte an den Italiener gerichtete Frage, bei der ich ihn direkt ansah. So pauschal konnte ich mir nämlich überhaupt nicht vorstellen, was er denn verbrochen haben sollte. Schließlich waren wir noch nicht lange hier, Hunters Geschäfte liefen auch noch nicht ganz so lange an, also wie konnte es bereits Jemanden geben, der augenscheinlich ein paar zu brisante Fragen gestellt hatte?
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Richard fand das scheinbar auch noch lustig. Ich konnte nicht vermeiden, dass sich mein Gesichtsausdruck bei seinem Lachen noch etwas mehr verfinsterte. War ja schön, dass irgendwie jeder außer mir selbst das Ganze auf die leichte Schulter nahm, aber mir versaute es das ganze Leben. Vermutlich nicht nur das, sondern irgendwann auch einen Teil meines eigentlich sehr guten Gemüts. Ich konnte mir für meinen Teil zumindest absolut nicht vorstellen, dass all das spurenlos an mir vorbeigehen würde. Es reichte ja schon ein augenscheinlich sehr sanftes, unkompliziertes Verhör, um mich aus der Bahn zu werfen, als hätte ich mir eine schwere Grippe eingefangen. Es war mir in diesem Augenblick auch reichlich egal, dass Richard die nicht zu übersehende Narbe offenbar von einem der beiden Chefs hatte, wobei ich dabei eher ganz stark auf Hunter tippen würde. Ganz einfach deshalb, weil nicht wenige seiner von der Polizei aufgefundenen Opfer verstümmelt oder anderweitig qualvoll gestorben waren. Natürlich nicht alle, aber es war schon auffällig beim durchlesen der Berichte gewesen, dass immer wieder eigentlich unnötige Verletzungen bei der Obduktion vorhanden gewesen waren, die nicht die Todesursache selbst gewesen waren. In meinen Augen war der Amerikaner deswegen nicht viel weniger als ein psychotischer Sadist, in dessen Schema diese Narbe sehr gut passen würde. Sabin hingegen... na ja, er hatte Richard vorhin auch mit Beinamputation gedroht, vielleicht war er also skrupelloser, als ich das bisher annahm. Aber im Grunde war mir eben auch reichlich egal, von wem genau Richard die fette Brandnarbe hatte - ich würde mich davor hüten irgendwelche Fehler zu machen und damit mein Gesicht oder andere Körperteile zu verlieren. "Könnte auch einfach daran liegen, dass ich in der Regel ganz gut einschätzen kann, wann man besser die Klappe hält.", stellte ich nur trocken fest, weil dem Dunkelhaarigen neben mir diese Fähigkeit, beziehungsweise Taktgefühl gerade nicht gegeben zu sein schien. Vielleicht war das auch nur Teil der Drogen, hatte ich doch keinen Schimmer davon wie er normalerweise tickte. Offenbar war es in Verbrecherkreisen - zumindest in diesem hier - erst einmal nicht lebensbedrohlich, wenn man nur einmal die falsche Frage stellte, aber meine bis hierhin noch sehr heil gewesene Welt würde daran trotzdem zu Bruch gehen. Es würde sicher noch eine halbe Ewigkeit brauchen, bis ich das zu akzeptieren lernen und verkraften würde. Auch war ich mir nicht ganz sicher damit, ob ich noch Lust hatte, mich jetzt weiter darüber zu unterhalten. War einfach kein schönes Thema für mich und eigentlich verging mir hier stetig mehr die Lust dazu mich weiter mit auch nur Irgendwem aus diesem Metier zu unterhalten. Aber ich war halt kein Arschloch und würde mir später irgendwann dann doch die Schuld daran geben, dass Richard deswegen seine Medikamente nicht bekam, also ließ ich mich von diesem vorausschauenden Gedanken dennoch zum Weiterreden breitschlagen. "Die Kurzversion ist, dass Sydney sich bei mir auf eine Stelle beworben hat und ich ihr Gesicht erkannt habe, weil ich aus Neugier hier und da Neuigkeiten über die italienische Mafia verfolge, weil ich selbst hätte Teil davon werden sollen. Ich will mit diesen Arschlöchern aber weiterhin nichts zu tun haben und hab ich sie danach gefragt, ob die wissen wohin ihr geflüchtet seid und das hat sie Sabin gesagt. War nur eine neugierige Frage und falsches Vertrauen in eine Fremde zu viel.", grummelte ich vor mich hin und war froh, dass wir gerade in die Straße einbogen, in der sich das Haus mit meiner Wohnung im ersten Stock befand. Ich wohnte in einem guten Viertel, konnte mir dank des guten Jobs etwas besseres als Havannas durchschnittlicher Mann leisten. Wenn ich von jetzt an mit den Stunden kürzer treten musste würde es aber wohl hier und da andere Einsparungen des Budgets geben müssen, weil sich das langfristig einfach massiv auf meinen Lohn auswirken würde. Richard täte demnach also gut daran so schnell wie möglich zu genesen, damit ich zumindest meine eigentliche Arbeit wieder so gut wie voll ausleben konnte. "Kannst mich hier rauslassen.", ließ ich Sabin wissen, dass wir da waren und er nickte nur leicht, ehe er den Wagen am Straßenrand anhielt. "Hat mich gefreut... oder so.", murmelte ich noch eine ironisch angehauchte Verabschiedung an beide gerichtet über meine Schulter hinweg, als ich die Tür bereits aufschob und kurz darauf ausgestiegen war. Da ich in diesem Augenblick auch nichts anderes wollte, als mich in mein Bett zu verkriechen, bog ich auch schnellen Schrittes zeitnah in einen schönen Innenhof ein und verschwand damit aus dem Sichtfeld der beiden.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Wenn man Samuele beim Reden zuhörte, wollte man sich direkt mit überhöhter Geschwindigkeit an den Kopf packen. Sollte sich das Szenario wirklich so abgespielt haben, wie der junge Mann mir das hier gerade zu verkaufen versuchte - und ich konnte so spontan keine Anzeichen einer Lüge erkennen, was unter den gegebenen Umständen jedoch nichts heißen musste -, dann zweifelte ich wirklich an seinem gesunden Menschenverstand. Nicht, dass wir uns an dieser Stelle falsch verstanden... ich wollte ihm weiß Gott keinen Vorwurf daraus machen, dass er der sonst eigentlich so aufrichtigen und vertrauensvollen Amerikanerin sein Vertrauen geschenkt hatte, als sich diese bei ihm im Café auf eine Ausschreibung beworben hatte, aber hätte ihm nicht von Anfang an - quasi ab dem Zeitpunkt, wo er wusste, welcher Name tatsächlich hinter Syds Pseudonym stand - klar sein müssen, dass etwas in diese Richtung passieren konnte? Sam hatte ja sogar noch recherchiert! Wusste damit, was potenziell auf ihn hätte zukommen können, wenn er zu neugierig war und wider besseren Wissens hatte sich der Italiener dazu entschieden, seine Griffel nach dem Feuer auszustrecken. Und sich damit die Hand verbrannt. Klar musste man eingangs nicht immer direkt vom Schlimmsten ausgehen, vielleicht war er auch einfach nur zu naiv, zu gutgläubig gewesen. Tja und das hatte er jetzt davon. Er befand sich jetzt zwar schon in einer mächtig beschissenen Position, jedoch bezweifelte ich, dass so etwas in die Richtung noch einmal vorkommen würde, wenn er unseren Kreis jemals wieder verlassen und zu seinem normalen Leben zurückkehren sollte. Das nächste Mal würde er sich sicher zwei Mal überlegen, welche Fragen er stellte und wann es besser war, mit dem Wissen, welches man besaß, einfach die Klappe zu halten, um Ärger aus dem Weg zu gehen. Aber gut, er schien selbst einzusehen, dass er einen Fehler begangen hatte und bereute ihn, wenn ich das richtig beurteilen konnte, bereits jetzt, obwohl er noch nicht einmal aktiv in das ganze Geschäft involviert war. Blöd nur, dass Hunter, beziehungsweise Sabin ihn damit bereits am Haken hatten. Er konnte einem ja beinahe Leid tun und ich erwischte mich kurzzeitig dabei, wie ich fast so etwas wie eine Entschuldigung in seine Richtung gemurmelt hätte, aber als er mir dann offenbarte, dass er streng genommen ebenfalls einem Zweig der Mafia angehörte, verflog das Bedürfnis so schnell, wie es einst gekommen war. In dem Punkt hätte mir klar sein müssen, dass es wohl kaum einen Italiener gab, der nicht über zig Ecken mit der Mafia etwas zutun hatte. War das Land und ihre Einwohner doch durchweg unterwanderter und an nicht wenigen Ecken korrupt wie kein anderes Land. Ich war wirklich froh, dass wir relativ bald in der Gegend angekommen waren, in der Sam scheinbar zu wohnen schien, denn das hieß im angenehmen Umkehrschluss für mich, dass er erstens keine Antwort mehr auf seine Erklärung zu befürchten hatte, die in Anbetracht der Tatsache, dass mein Hass auf das italienische Völkchen damit gerade wieder ein Stück weit geschürt wurde, sicher nicht sehr freundlich ausgefallen wäre und - was in meinen Augen noch sehr viel wichtiger war - das hieß, dass es jetzt nach Hause ging. Ich hoffentlich endlich ins Bett entlassen wurde, nachdem mir Sabin die Tablette gegeben hatte, denn ich war meiner Pflicht fast schon gewissenhaft nachgekommen. "Die Freude war ganz meinerseits.", erwiderte ich nicht weniger ironisch auf Samueles Abschied und sah dem Burschen noch einen Augenblick lang durch das Fenster hinterher, bis er schließlich gänzlich aus meinem Blickfeld verschwunden war. Dann drehte ich meinen Kopf in Richtung des Rückspiegels, in dem ich Sabins Blick erhaschte. "Ich hoffe, dir ist klar, dass der arme Kerl schneller an mir kaputt gehen wird, als er für dich Drogen aus diesem Scheißland hier schmuggeln kann, oder?", richtete ich ein paar müde Worte an den Fahrer des Wagens und rieb mir daraufhin gähnend über das eingefallen wirkende und ziemlich müde Gesicht. Das erste Mal seit einer sehr, sehr langen Zeit hatte ich wirklich das Gefühl, meinen Körper derart ausgepowert zu haben, dass ich trotz des Entzugs verhältnismäßig schnell ein- und hoffentlich gut durchschlafen konnte. Ob sich meine Annahme bewahrheiten würde, stand zwar noch auf einem ganz anderen Blatt geschrieben, aber es war ein kleiner Hoffnungsschimmer, an den ich mich sehr gerne klammerte.
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Hatte doch funktioniert. Zwar vielleicht mehr schlecht als recht, aber sie hatten sich unterhalten und Richards vorheriges Gequengel war mehr oder weniger unbegründet gewesen. Natürlich hatten die Worte sicher nur wenig an seiner beständigen Müdigkeit geändert, aber zum Reden war er sehr offensichtlich ja doch noch fähig gewesen - welch Wunder. Die beiden hatten immerhin hier und da ein paar wenige Eckdaten des jeweils anderen herausgefunden und nach mehr hatte ich auch gar nicht verlangt. Einfach nur ein paar Worte wechseln und gut war. Ich hatte mich - auch wenn die beiden hier und da aneckten - dementsprechend relativ bald ein wenig entspannt, als wir ein paar Minuten Fahrt hinter uns hatten. Viel schlechter konnte es bisher wohl ohnehin nicht mit Richards Entzug laufen, wo er doch innerhalb von nicht einmal zwei knappen Tagen bereits einmal nach Stoff schnüffelnd ausgebrochen war. Also hey, zu verlieren hatten wir hier wohl nichts mehr. Außer Samuele vielleicht seine Lebensmotivation und der Engländer seine Beine, wenn er nochmal ausbrechen würde. Allerdings war ich mir eigentlich schon relativ sicher damit, dass er aus dieser Aktion etwas gelernt hatte. Wenn nicht, dann durften es beim nächsten Versuch aber auch gerne beide Fäuste sein. Mehrfach. Nicht nur ins Gesicht. Ich fuhr den Wagen gerade wieder an, weil der Italiener ausgestiegen und inzwischen auch aus meinem Sichtfeld verschwunden war, als der Engländer sich vom Rücksitz aus mit ein paar an mich gerichteten Worten meldete. Ich konnte daraufhin nur leise schnauben. Nicht verächtlich oder dergleichen, fast eher ein bisschen amüsiert. Natürlich war es an sich nicht gerade schön, dass Sam nun wegen uns einen Fuß in die Tür zur Kriminalität setzte, aber das hatte er sich selbst eingebrockt und außerdem ging er an Richard vermutlich noch am wenigsten schnell kaputt. Ich war vielleicht weniger nervtötend als der Junkie, aber ich schubste ihn dafür geradewegs in den Drogenexport und verlangte Dinge von ihm, die er definitiv nicht tun wollte. Mit Hunter wollte er ziemlich sicher sowieso keine nähere Bekanntschaft schließen - auch wenn er hier und da dennoch wieder auf ihn treffen müssen würde, daran führte kein Weg vorbei -, während Richard hingegen ihm wahrscheinlich einfach nur auf die Nerven gehen würde. Ich glaubte nicht, dass er Sam wirklich etwas tun würde, selbst wenn er wütend war. Außerdem war der neue Kerl im Bunde eigentlich auch zu schlau, um es überhaupt erst soweit kommen zu lassen. Mental trieb er ihn hier und da sicher an den Rand der Verzweiflung, aber er war nicht der ausschlaggebende Grund dafür, warum er jetzt in dieser hässlichen Situation festsaß. "Das glaube ich nicht. Ich hab bisher noch jeden Dealer abgehärtet gekriegt, da wird er mit dem Export jetzt auch keine Ausnahme bilden. Außerdem bist du eine hervorragende Übung dafür seine Nerven etwas zu stärken und meine eigenen solange zu schonen, bevor es nach deiner Kur wieder ans Geschäft geht.", meinte ich nur schulterzuckend, begleitet von einem flüchtigen Blick in den Rückspiegel. "Und wenn er an dir tatsächlich scheitern sollte ist er bei uns sowieso falsch.", stellte ich weiter fest, dass er gar keine andere Wahl hatte als sich langsam mal am Riemen zu reißen, wenn er weiterleben wollte - genauso wie der Dunkelhaarige hier im Wagen auch. Sonst fielen sie beide irgendwann von ganz allein unter die Räder, die am ehesten zu Hunters Wagen gehören würden. Auch dabei würde ich mir aber keinerlei Schuld zuschreiben, weil es nach wie vor Samueles Entscheidung gewesen war wegen der Mafia nachzuhaken und es auf Richards eigenen Mist gewachsen war, sich mit Drogen vollzupumpen. Wenn sie also beide gemeinsam dem Leben abdanken wollten, dann wäre das zwar wirklich bedauerlich, aber ich hatte schon mir deutlich wichtigere Menschen tot herumliegen sehen. Würde mich also vermutlich nur wenig bis gar nicht kratzen.
*kurze Sprung von Zeit*
Ich wäre vermutlich nicht ich, wenn ich die erneute Auseinandersetzung mit Richard nicht noch etliche Male bis jetzt in meinem Kopf hätte Revue passieren lassen. Seitdem war zwar beinahe ein ganzer Tag vergangen, war es jetzt doch in etwa 23 Uhr des Folgetages, aber selbst bei der Arbeit war die Szene mehrfach vor meinem inneren Auge hochgefahren. Er erinnerte mich mit Alledem einfach so schrecklich an meinen Vater, obwohl er natürlich eher nur halb so alt war wie er. Aber dieses launische, aggressive Verhalten in der nüchternen Zwischenphase, diese absolute Uneinsichtigkeit zwecks eigener Vergehen und Fehler, sowas seine Trips an sich ließen sich ziemlich genauso auf meine Vater überschreiben. Ich hasste es, wie sehr mir meine Kindheit und Jugend noch immer in den Knochen hing, aber zum aktuellen Zeitpunkt wollte ich Richard nichts von Alledem verzeihen. Wozu auch? Wusste er doch sowieso nicht zu schätzen und ich hatte es allmählich satt, mich überhaupt noch in seiner Nähe aufhalten zu müssen. Vielleicht würde ich mir einfach schon in naher Zukunft etwas eigenes suchen, damit gar keine Chance mehr darauf bestand ihm über den Weg zu laufen, falls er seine Meth-Phase doch noch lebend überstehen sollte und Sabin ihn nicht vorher versehentlich umlegte, weil er den Bogen zu oft und zu sehr überspannte. Ich sollte wohl einfach zu akzeptieren lernen, dass man manchen Menschen besser aus dem Weg ging, erst recht wenn ohnehin nicht mehr wirklich ein Wille zur Versöhnung bestand. Schließlich trug ich an keinem Teil dieser Misere wirklich die Schuld. Aber wie dem auch sei - wie so oft in den letzten Tagen schaute ich jetzt nach der Arbeit bei Vahagn vorbei. Sie war ja seit einer kleinen Weile ausgezogen und ich müsste wohl ganz gewaltig lügen, um zu sagen, dass ich sie nicht ein bisschen vermisste. Dass es einfach komisch war, plötzlich ganz allein zu wohnen und sie nicht mehr ständig um mich herum zu haben, solange ich Zuhause war. Inzwischen verbrachte ich wieder fast täglich ein paar Stunden mit Arbeit, immer am frühen Nachmittag bis in den späten Abend hinein. War mir persönlich auch lieber so, als morgens zeitiger aus den Federn zu müssen, ich schlief gern aus und war das lange wachbleiben ja ohnehin gewohnt. Also kam mir das ganz gelegen, auch wenn ich früher oder später sicher wieder eher nachts unterwegs sein würde. Es fühlte sich auch wirklich gut an endlich wieder produktiv sein zu können, obwohl das momentan für mich hauptsächlich mit dem Ausräumen einer alten Lagerhalle etwas außerhalb der Stadt einherging, was an sich ja eher stumpfsinnige Arbeit war. Wofür der Amerikaner jene am Ende nutzen wollte wusste ich nicht, aber es lag noch eine gute Menge an Schutt und alter Kram darin herum. Deshalb hatte ich auch noch einen kleinen Umweg zurück nach Hause gemacht und geduscht, um den Staub, sowie den Dreck loszuwerden und mir noch andere Klamotten anzuziehen, bevor ich weiter in die Stadt gefahren war. Das Motorrad leistete mir da mit recht geringem Spritverbrauch wirklich gute Dienste und war eine für mich sehr bequeme Variante, um von A nach B zu kommen. Eine sparsame noch dazu, wollte ich momentan doch so viel Kohle wie nur möglich bei Seite halten. Erst recht, wenn ich dann in nicht allzu ferner Zukunft ausziehen würde - wenn es sich irgendwie umgehen ließ, dann wollte ich nämlich nur sehr ungern zum Rest der Crew ziehen, obwohl das vermutlich die mit Abstand kostengünstigste Möglichkeit gewesen war. Mein psychisches Wohlergehen lag mir dann aber doch irgendwie mehr am Herzen, solange ich in der Nahrungskette so verhältnismäßig weit unten stand. Nicht ganz unten, aber es hatte eben schon mal besser ausgesehen. Ich stellte das Motorrad in einer schmalen Gasse unweit des Hauses ab, in dem Vahagn ihre neue Bleibe gefunden hatte. Nur ungern wollte ich das Bike direkt an der Straße stehen lassen, was vermutlich überwiegend aus alter Gewohnheit rührte. Ich sollte mir vermutlich auch noch einen Helm zulegen, auch wenn ich nicht vor hatte zeitnah einen Unfall zu bauen. Motorradfahren war bei der gefühlt nicht vorhandenen Straßenverkehrsordnung Kubas allgemein wohl noch ein bisschen riskanter als in Ländern mit klar geregelten Straßenabläufen, also lieber kein Risiko eingehen. Ich richtete mir auf den wenigen Metern zu Fuß zur Haustür noch ein bisschen die Haare, die durch den Fahrtwind etwas hatten leiden müssen, bevor ich dann an der Tür ankam und klingelte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Die letzten drei Wochen waren natürlich auch an mir nicht ohne die ein oder andere Veränderung vorbeigezogen. So hatte ich beispielsweise trotz der ziemlich aufschlussreichen Versöhnung mit Tauren weiterhin darauf bestanden, die Wohngemeinschaft zu verlassen. Richard ging mir bis zuletzt nämlich ganz gewaltig auf den Keks, wobei der springende Punkt für meinen Auszug wohl eigentlich gewesen war, dass ich eine sich mir bietende Gelegenheit, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, nur äußerst ungerne ausschlagen wollte. Auch wenn das Verhältnis zu dem Norweger sich seit dem Kuss ein wenig verändert hatte, bevorzugte ich es nach wie vor von absolut niemanden abhängig sein zu müssen und waren wir mal ehrlich. Mittlerweile konnte ich mich zumindest wieder einigermaßen gut bewegen, ohne dass ich das Gefühl verspürte, mir würde ein Arm oder das Bein abfallen - die Verletzung am Schlüsselbein machte aufgrund der ziemlich langsamen Neubildung der Knochen zwar noch hier und da Probleme, aber ansonsten konnte der Rest in meinen Augen kaum besser abheilen. Deswegen hatte ich mich in den Tagen nach dem Ausflug ans Meer noch einmal hingesetzt und die zusammengepferchten Ausdrucke der Immobilien verglichen. Entschieden hatte ich mich letztlich für eine schicke Zweiraumwohnung im Herzen der Stadt, die von allen zur Auswahl stehenden Objekten definitiv die besten Konditionen vorzuweisen hatte, wenn die zentrale Lage kein K.O.-Kriterium darstellte zumindest. Vollständig möbliert, mit Küche und sogar einem kleinen Balkon, bezugsfrei ab sofort... Da konnte ich natürlich nicht nein sagen und hatte bereits die Woche drauf den Kaufvertrag unterschrieben. Das versprochene Geld meines Bruders hatte mir einer von Iljahs Männern bar in einem Kuvert vorbei gebracht und mich damit mitten in der Nacht beinahe einen Herztod sterben lassen. Diese ganze Scheiße mit der Zeitverschiebung würde mich irgendwann echt noch den letzten Nerv kosten. Aber wie dem auch sei. Grundlegend ließ sich zusammenfassen, dass ich jetzt seit etwa anderthalb Wochen in meiner neuen Bleibe wohnte, Sydney ihrer Pflegedienste entlassen hatte und somit in ein neues, wieder weitaus unabhängigere Leben startete. Eines hatte sich jedoch nicht verändert und ich war mir noch nicht ganz sicher, was ich davon letztlich halten sollte, aber... Tauren hielt sich nach wie vor verhältnismäßig oft in meiner Nähe auf. Wie er mir mitgeteilt hatte, arbeitete er wohl wieder, was wohl der ausschlaggebende Grund für die Besuche mitten in der Nacht waren, aber das war okay für mich. Zwar hatte ich in den letzten Tagen damit angefangen, mir über den Tag hinweg einen Businessplan zu erstellen, um tatsächlich richtig Fuß hier auf Kuba zu fassen und diesen auch aktiv verfolgt, aber ich ging trotzdem selten vor ein Uhr in der Nacht schlafen. Und tja, was sollte ich sagen. Ich müsste wohl lügen, würde ich behaupten wollen, dass mir die Nähe zu dem Norweger nicht irgendwie gut tat. Und wenn wir uns nur wieder darüber unterhielten, wie tief sein Mitbewohner eigentlich gesunken war, lästerten und Witze rissen... vollkommen egal. Das Zusammensitzen und reden war das, was zählte. Nichtsdestotrotz hatte ich ihn gegen Ende unserer Verabredungen immer wieder nach Hause geschickt, weil... weil ich mich einfach noch nicht bereit fühlte, mich dahingehend noch weiter auf ihn einzulassen. Wir hatten im Bungalow schon mehrere Nächte zusammen in einem Bett verbracht, aber das war... vor der ganzen Geschichte gewesen und jetzt... war es einfach irgendwie anders, Tauren um mich herum zu haben. Ich ließ ihn zwar ohnehin schon deutlich näher an mich heran, als das eigentlich gut war, aber irgendwo musste dann auch erst mal Schluss sein. Bis ich mich an die vorherrschenden Umstände gewöhnt hatte, würde er damit leben müssen, dass ich mich dahingehend auf nicht noch mehr Experimente einlassen würde und auch wenn ich gedacht hatte, dass mir das schwer fallen würde, blieb ich konsequent. Soweit also zu den letzten Wochen und der Entwicklung der Beziehung zwischen mir und dem tätowierten Schönling. Obwohl die letzten Tage also alles in allem nur Gutes versprachen, saß ich am heutigen Abend etwas resigniert auf der einseitig durchgesessenen Couch des Vorbesitzers, vor mir - etliche, nicht zufriedenstellende Unterlagen und ein kleiner, gebrauchter Laptop auf dem Wohnzimmertisch. Ich hatte bis hierhin mehrfach mit Iljah in Kontakt gestanden, ihm erzählt, wie es mir ging und was in den letzten Tagen eben so passiert war. Smalltalk unter Geschwistern eben, war dann gen Ende aber noch mal darauf zu sprechen gekommen, was er von einer weiteren Firma in Kuba halten würde. War mit ihm Zahlen durchgegangen, die ich mir vor dem Telefonat zurechtgelegt und recherchiert hatte, um zu evaluieren, inwieweit sich der Aufwand rentieren würde und wir kamen gemeinsam zu dem Ergebnis, dass sich das ohne einen größeren Vorschuss oder einem guten Auftrag wirklich nicht stemmen ließ. Dadurch, dass uns die Kunden aus Italien fehlten, war der Umsatz natürlich rasant in die Tiefe gefallen und Iljah offenbarte mir, dass das Geld, welches er mir hatte zukommen lassen, aus seiner eigenen Tasche stammte, weil es bereits zu dem Zeitpunkt kaum möglich war, hier oder da mal etwas über die Kasse des Unternehmens laufen zu lassen. Es wurde absolut jeder Penny benötigt, um die Personal- und Unterhaltskosten zu decken, von der Wartung der Schiffe und Flugzeuge mal ganz abgesehen. Wir hatten durch den Aufstand in Palermo natürlich einiges an Männern und auch des Fuhrparks einbüßen müssen, aber die Kosten waren dennoch hoch. So leid es meinem Bruder auch tun mochte, er konnte mir an dem Punkt nicht helfen und bat mich, fürs Erste davon abzusehen, weiterhin einen Gedanken daran zu verschwenden. Kuba schien sich im Allgemeinen leider nur sehr bedingt zu lohnen, was die Schlepperei von Immigranten und der Im- oder Export verbotener Waren anging und doch wollte ich nicht glauben, dass es wirklich so schwierig war, hier mit diesem Geschäft Fuß zu fassen. Es gab doch eigentlich immer jemanden, der irgendetwas haben wollte, was er nicht so einfach bekam. Das lag doch grundsätzlich in der Natur eines jeden Menschen und demnach würde ich das Kind schon irgendwie schaukeln und notfalls auch ohne die Hilfe aus Russland hier etwas auf die Beine stellen. Allerdings gestaltete sich das so ganz ohne Männer oder Aufträge verdammt schwer. Am Flugzeug sollte es jedoch nicht scheitern. Zumindest, wenn ich der Aussage meines Bruderherz Glauben schenken konnte - und das tat ich. Schließlich hatte er den ein oder anderen Flieger aus Italien retten können und diese standen bis dato ungenutzt im Hangar Russlands. Es sollte also wirklich kein Problem sein, mittels eines kurzen Anrufes darauf zurückgreifen zu können, auch wenn ich die Füße stillhalten sollte. Na ja, soweit zumindest die Theorie. Aber das änderte leider noch nichts an den fortwährend bestehenden Problemen, die mich am Abend des heutigen Tages bereits frustriert gegen eine alte Tonvase im Flur der Wohnung hatten treten lassen. Diese war daraufhin in ihre Einzelteile zerschellt und Motivation gefunden, die Trümmerteile zu beseitigen, hatte ich bis jetzt noch nicht. Dementsprechend lagen sie da auch jetzt, als ich gerade auf dem Weg war, die Tür für den Norweger zu öffnen, so ziemlich mittig des Ganges. Mit einem ziemlich finsteren Gesichtsausdruck - war ich doch momentan alles andere als gut gelaunt - öffnete ich dem Besuch schließlich die Tür, bat ihn mit einem "Hi. Komm' rein." ins Innere, nur um ohne auf Tauren zu warten auf dem Absatz Kehrt zu machen und mich wieder den Unterlagen zu widmen. Mich wollte die Sache einfach nicht loslassen und irgendeine Möglichkeit musste es doch geben.
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