Nach und nach wurde es im Flur und im Wohnzimmer daneben zunehmend lauter, weil sich immer mehr der Männer dort sammelten und ich selbst unterhielt mich lediglich ein wenig mit Ashton. Auch an diesem Punkt war ich froh, dass der junge Mann mit von der Partie war, weil vier prüfende Augen schlichtweg besser waren als zwei. Außerdem konnte ich dann leichter abschalten, weil ich wusste, dass ich theoretisch eben nicht der einzige war, der ab und an noch die Augen offenhielt. Es sei denn natürlich er beschloss sich restlos zu betrinken, aber davon ging ich zum jetzigen Zeitpunkt mal noch nicht aus. Wusste selbst ja nicht einmal, wie viel Alkohol meine eigene Kehle runterfließen würde. Ich vertrug sicher schon lange nicht mehr so viel wie zu meiner Zeit in Italien, weil ich inzwischen ganz einfach seltener trank. Natürlich brachte ich weiterhin ein gutes Kampfgewicht auf die Waage, aber ich würde dennoch versuchen ein Auge darauf zu haben, wie stark sich der Alkohol auf mich auswirkte. Als Hunters rechte Hand die Haustür öffnete um loszugehen sah ich noch einmal auf die Uhr - ja, war an der Zeit. Just in dem Moment kam auch die einzige Frau des Hauses noch bei uns an und einer nach dem anderen verließ das Haus, wobei ich mit ihr einfach am Ende ging. Einfach um selbst sicher zu gehen, dass die Haustür abgeschlossen wurde. Kurz nachdem ich jene verriegelt hatte und mich erneut in Bewegung setzte drang mir auch Sydneys Frage ans Ohr, die zugegeben recht unerwartet kam. Während sie mir noch genauer ausführte, warum ich denn ihren Geldbeutel einstecken sollte, fing ich unweigerlich wieder schwach zu grinsen an. Was solche Dinge anbelangte war ich heilfroh darum ein Mann zu sein - sonst eigentlich auch -, brauchte ich doch nie wirklich mehr als die Klamotten an meinem Körper, um hier und da ein paar Sachen einstecken zu können. Normalerweise gehörte auch ein klappbares Taschenmesser in meine Hosentaschen oder ein anderes unter dem Hosenbein versteckt dazu, aber ich hielt es für absolut nicht notwendig ein Messer mitzuschleppen. Wer sollte mir hier schon nach dem Leben trachten? Ich wäre kaum derjenige, der eine Schlägerei anzetteln würde und bisher erlebte ich die Kubaner doch als sehr freundliches Volk. "Na gib schon her.", forderte ich die Brünette dazu auf mir ihren Geldbeutel zu geben und hob meine Hand ausgestreckt an, um sie ihr abzunehmen. War gar kein Problem, genug Platz hatte ich in den Hosentaschen ja. "Keine Sorge, ich lass dich nicht allein in Havanna zurück.", ließ ich Sydney außerdem noch wissen, dass ich ein Auge darauf haben würde, dass sie am Ende nicht allein in irgendeiner Bar oder einem Club sitzen bleiben musste, wo sie sich in der gesamten Stadt doch auch noch nicht sonderlich gut auskennen konnte. Ging uns ja allen so, wobei Ashton und Hunter aber sicher schon beiläufig dabei waren, sich die Straßen der kubanischen Hauptstadt einzuprägen, wenn sie Lust und ein paar freie Minuten zur Verfügung hatten. Es war zum Glück nicht allzu weit bis zur nächsten Bushaltestelle, wo sich außer dem alten Anwesen, das Hunter für uns bereitgestellt hatte, doch auch noch ein paar andere Häuser unweit von unserer eigenen Bleibe befanden. Der Stadtrand war ohnehin nicht allzu weit weg, also dürfte die gesamte Hinreise sicher nicht besonders lange dauern. Der Bus war tatsächlich auch ziemlich pünktlich, höchstens ein oder zwei Minuten zu spät, aber wir hatten glücklicherweise nicht sowas wie Zeitdruck, weshalb ich gut damit leben konnte. Weil ich Sydneys Geldbeutel hatte und ein hin und her reichen für unnötig empfand löste ich ihr Ticket einfach gleich mit. Konnte sie nachher mit einem Shot an der Bar wieder ausgleichen, war ja nicht dramatisch. Also ließ ich mich einfach irgendwo auf Höhe der Mitte des Busses auf einen der freien Plätze sinken, woraufhin sich die Brünette kurzerhand neben mich sinken ließ. Was ich durchaus begrüßte, weil ich doch schon gemerkt hatte, dass der eine oder andere der Jungs verstohlene Blicke auf sie riskierte - überwiegend auf die nackten, langen Beine, die durchaus ihren Reiz hatten. Ich war nicht eifersüchtig, aber ich konnte die dummen Gedanken einfach schon zehn Meter gegen den Wind riechen und da nahm ich alles an Prävention, das ich kriegen konnte. Kaum setzte sich der Bus in Bewegung kam mir aber prompt ein ganz anderer Gedanke. "Ich bin 28 und ziehe gerade mit einer Meute Idioten los, um feiern zu gehen... kneif' mich bitte.", merkte ich reichlich sarkastisch und mit einem leichten Kopfschütteln an, dass das irgendwie grotesk war, während ich aus dem Fenster in die einbrechende Dämmerung sah. Natürlich hatte ich auch in Italien noch ziemlich häufig mit dem Rest der Mafia gefeiert, aber da lief das immer im privaten Kreis und für mich auch eher ruhig ab. Als eines der höheren Tiere hatte ich mich dabei nie gehen lassen, bot das doch nur unnötige Angriffsfläche. Außerdem war ich da noch verheiratet und mit Kind gewesen - eine 180°-Wende hatte den Spieß jetzt wohl umgedreht. Die 30 war gar nicht mehr so weit weg und ich war auf dem besten Weg dazu mich als Witwer in irgendeinem Club zu betrinken, der vermutlich voller junger Leute war, die im Altersdurchschnitt ein paar Jahre unter mir lagen. Aber gut, was sollte das schon schief gehen?
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Der Fußmarsch bis zur nahe gelegenen Haltestelle verlief meinen Erwartungen entsprechend ruhig. Sabin hatte sich ohne weiteres darauf eingelassen, meinen Geldbeutel an sich zu nehmen und mir versichert, dass ich am heutigen Abend nicht alleine zurückgelassen werden würde. Damit war zumindest für mich das Wichtigste geklärt und der guten Laune stand somit nichts mehr im Weg. Klar, mit der Masse an Menschen war der Weg zum Club doch weitaus beschwerlicher, als wenn man sich zu zweit einfach ein Taxi nehmen konnte, aber ich wollte mich mal nicht beschweren. Es war schließlich tolles Wetter draußen und die Luft war trotz der anhaltende Wärme irgendwie unglaublich klar - gab also weitaus schlechtere Bedingungen für einen entspannten Spaziergang. Bis zur Haltestelle brauchte es uns außerdem nicht länger als maximal zehn Minuten und die Wartezeit beschränkte sich an eben jener angekommen auf vielleicht fünf weitere Minuten. Nachdem der Bus zum Stillstand gekommen war und sich die Türen öffneten, ließen wir wieder einen Großteil der Jungs vor uns einsteigen, reihten uns eher mittig ein, als es um den Kauf von Fahrkarten ging. Sabin war so freundlich, mir gleich ein Ticket mit abzustempeln, was ich mit einem schwachen Nicken und den Worten "Danke, nett von dir." kommentierte. Wir machten es uns in einer der vielen Zweierreihen gemütlich, wobei ich dem Italiener den Vortritt gelassen hatte und es für mich jetzt außerhalb des Verkehrsmittels nicht so viel zu sehen gab. Stattdessen richtete sich mein Blick in den Gang des Busses, der sich zunehmend mit dem Rest der Sippschaft füllte. Erst als der Bus anfuhr und Sabin wieder sein Wort an mich richtete, drehte ich den Kopf in seine Richtung um mit meinem Blick den seinen zu suchen. Gestaltete sich nur leider etwas schwierig, weil der junge Mann nach draußen sah, anstatt mich anzugucken. Nicht, dass mich das grundlegend störte, aber ich wusste in solchen Fällen meist nicht wohin mit meinen Augen und deshalb stierte ich kurze Zeit später einfach auf meine Hände, während ich der reichlich sarkastischen Feststellung folgte, die mir prompt ein breites Grinsen auf die Lippen zauberte. Es wäre vermutlich gar nicht so weit hergeholt, zu behaupten, dass der Ex-Mafiosi und ich mit zu den Ältesten der Gruppierung gehörten und irgendwo konnte ich die versteckte Message hinter seiner Aussage sehr gut nachvollziehen. Ich selbst war ja auch nie wirklich der Typ Mensch fürs Feiern gehen gewesen - nicht einmal in meiner Jugend. Irgendwie hatten es mir diese ganzen schwitzenden Testosteronschleudern, auf die man im Club zwangsweise stieß, überhaupt nicht angetan und ich zog einen entspannten Samstagabend vor dem Fernseher der Aktion dann doch lieber vor. Aber die Zeiten hatten sich geändert und mir war aktuell so ziemlich alles lieb, um ein wenig auf andere Gedanken zu kommen, einfach ein wenig abzuschalten. Gott sei Dank befanden wir uns in einem Alter, wo man noch nicht darauf angewiesen war, Ausschau nach der nächsten ü30 Fete zu halten, weil der Club um die Ecke gerade noch taugte und man auch durchaus noch mit den jungen Hüpfern mithalten konnte. Dennoch machte ich mir einen Spaß daraus, Sabins eher weniger ernst gemeinten Bitte nachzukommen, indem ich mich leicht zur Seite beugte, um ihn vorsichtig, nicht mit zu viel Kraft in die Seite zu zwicken. "Ist es jetzt besser?", fragte ich belustigt, wobei das eher eine rhetorische Frage gewesen war. Immerhin hatte ich es nicht wirklich darauf angelegt, ihm tatsächlich weh zu tun. Weder jetzt, noch in dem darauffolgenden, etwa zwanzig minütigen Verlauf der Fahrt, bis der spanische Sprecher des öffentlichen Nahverkehrs die Haltestelle nannte, an der wir aussteigen mussten, worüber ich ganz froh gewesen war. Während die Anfänge der Fahrt noch relativ angenehm waren, wurde es doch zunehmend lauter im Bus und eine normale Unterhaltung war kaum noch möglich gewesen.
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Eigentlich war ich nicht wirklich davon ausgegangen, dass Sydney mich auch wirklich kniff. Zwar nicht in den nackten Unterarm, sondern lediglich ein bisschen in die vom Stoff bedeckte, linke Seite meines Oberkörpers und auch absolut nicht schmerzhaft - was war auch ein Kniff gegen richtige Verletzungen? -, aber ich drehte unweigerlich mit leicht angehobener, rechter Augenbraue meinen Kopf in ihre Richtung. Ob es jetzt besser war? Ich mich weniger alt und etwas weniger Fehl am Platz fühlte? "Nicht wirklich, nein.", erwiderte ich wohl ebenso sarkastisch und schüttelte mit einem leichten Grinsen den Kopf. Den Rest der Fahrt verbrachten wir beide schweigend, was angesichts des immer weiter steigenden Lärmpegels innerhalb des Busses bestimmt auch die richtige Entscheidung war. Es war im Club voraussichtlich auch laut genug, da brauchten wir unsere Stimmbänder nicht jetzt schon mit lauter Tonlage zu strapazieren. Die zwanzig Minuten Fahrt zogen an mir recht zügig vorbei, weil ich mir ganz einfach wahnsinnig gern die Umgebung ansah. Ein paar goldene Strahlen der untergehenden Sonne im Hintergrund machten es nur noch schöner und die Aussicht bestätigte mir wieder einmal, dass Kuba einfach ein schönes Land war. Hier und da vielleicht noch etwas zurückgeblieben, aber die Hauptstadt, in der wir jetzt ausstiegen, war doch verhältnismäßig fortschrittlich. Zumindest im Vergleich zum ländlichen Umland, aber wie auch immer. Wir ließen wieder einigen von Hunters Männern den Vortritt, bevor wir uns gen Ende selbst einreihten und den Bus verließen. Von Havannas Innenstadt hatte ich bisher kaum etwas gesehen und ließ daher prompt meines Blick die Straße abwärts wandern. Schon hier gab es am Straßenrand ein paar freie Musiker, die sich einen Groschen dazu zu verdienen versuchten und mit ihrer eher klassisch bis heiter spanischen Musik umgehend ein Lächeln auf mein Gesicht legten. Stünde ich gerade in der Position mit Geld um mich zu werfen, dann hätten sie sicher ein paar Münzen gekriegt. Ich mochte traditionelle Musik einfach ganz gern, ließ es sich bei jener doch beispielsweise gut mit einem Wein auf der Veranda sitzen oder eine entspannte Runde im Pool schwimmen - wenn man denn die Möglichkeiten dazu hatte. Auch die teils exotisch bunt bekleideten jungen Frauen, die zum Klang der Musik tanzten, waren zwar ungewohnt aber durchaus schön anzusehen, zogen wohl in jedem Fall Blicke auf sich. Ashton schien jedenfalls einen besseren Überblick unserer aktuellen Lage zu haben und dirigierte die Jungs mit einer Armbewegung, sowie einem trotz der nach wie vor anhaltenden Gespräche hörbaren Pfeifen hinter sich her. Er wusste offenbar bestens, wie man von hier aus zu der Bar- und Clubmeile der Stadt kam, weshalb ich keine Zeit damit verschwendete mich selbst erst zu orientieren, sondern ihm einfach neben Sydney her laufend folgte - wieder eher am Ende der Gruppe, weil es da am wenigsten laut war, wo die anderen doch zunehmend einen Gang hochschalteten und sich gegenseitig zum Aufreißen irgendwelcher Kubanerinnen motivierten. Vor meinem inneren Auge sah ich schon jetzt, als wir uns in einer reinen Fußgängerzone immer weiter vorwärts bewegten, wie die eine oder andere Ohrfeige an unsere Sippschaft verteilt wurde. Es dauerte insgesamt vielleicht höchstens noch zehn Minuten, bis wir von von der Bushaltestelle bis zur Partymeile gekommen waren. Während mir immer mehr Musik entgegenschlug, die von den aneinander gereihten Clubs und Bars herrührte, staunte ich nicht schlecht. Von Bars mit klassischem Stil, über moderne Sportbars bis hin zu Clubs mit gewöhnlich basslastiger, tanzbarer Musik war hier wohl wirklich alles vertreten. Es wunderte mich aber kein Stück, dass wir die Bars an uns vorüberziehen ließen und die Wahl der Örtlichkeit von den Jungs auf einen bestimmten, vermutlich im voraus schon auserkorenen, von außen noch recht neu aussehenden Club fiel. War wohl schlichtweg am leichtesten für sie sich mittels Taten und weniger mit Worten, die bei jener Lautstärke gerne umgangen wurden, zu verständigen. Also reichte ich am Eingang angekommen Syd ihren Geldbeutel, suchte in der Schlange stehend ihren Blick. Würde sicher abenteuerlich werden.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mit dem Verlassen des Busses wurde es gleich um ein Vielfaches leiser, weil sich die Stimmen der Männer in den Weiten der hereinbrechenden Nacht verloren. Ich atmete erleichtert aus und schüttelte daraufhin im Ansatz genervt mit dem Kopf, weil ich einfach nicht verstehen konnte, wie man als eigentlich erwachsender Mann noch so pubertär und unreif sein konnte, obwohl jeder von ihnen mindestens schon einmal jemanden verprügelt oder ermordet hatte. Mir erschloss sich die Sinnhaftigkeit dahinter einfach nicht, wo doch keiner der Jungs, mit denen ich bisher zutun gehabt hatte, minderjährig war, was etwaige Entwicklungsschwierigkeiten dahingehend noch plausibel erklären konnten, aber nichts war. Soweit ich wusste, rekrutierte Hunter keine Kinder oder Teenager - aber mein Wissen war nun mal auch sehr beschränkt, trotz der Einsicht in seine Strafakten, also war da vielleicht auch einfach etwas an mir vorbei gegangen. In Anbetracht der Effektivität von der Erziehung eines Minderjährigen wäre es auf jeden Fall nachvollziehbar, wenn man auf den jüngeren Teil der Gesellschaft zurück griff, denn es gab bereits unzählige Ausreißer, die fernab von ihrem eigentlichen Zuhause nach den Regeln der Straße lebten. Und ein solch naives Wesen konnte man sehr viel einfacher formen, als einen Mittzwanziger oder jemanden, der vor kurzem die dreißig geknackt hatte - zumindest stellte ich mir das in meinem naiven Leichtsinn so vor. Jedenfalls verflüchtigte sich das Gefühl des Genervtseins ziemlich schnell, weil man bei dem Anblick der belebten Innenstadt kaum Zeit hatte, sich mit negativen Gedanken zu beschäftigen. Kaum zu glauben, dass ich vor wenigen Stunden noch durch die Gassen geschlendert war und nichts, aber auch gar nichts, darauf hingewiesen hatte, dass die Kubaner scheinbar sehr gerne ausgelassen feierten, sobald die Sonne untergegangen war. Und die Partylaune war sogar richtig ansteckend, zierte doch prompt ein durchweg gut gelauntes Grinsen meine Lippen, während ich neben Sabin herlaufend all die schicken Kostüme der Straßentänzerinnen begutachtete und nebenbei der wohlwollend klingenden Musik lauschte. Da hatte man doch gleich Lust, das Tanzbein schon vor dem Betreten einer Diskothek zu schwingen, zu der wir laut Ashtons Navigation noch ein paar Meter weiter laufen mussten. Bereits jetzt war ich ganz froh darüber, dass ich mich für die Ballerina und gegen High Heels entschieden hatte, weil es einfach weitaus angenehmer war und einem nicht so schnell die Füße schmerzten, wenn man mal drei Blöcke weiter laufen musste. Bis zum Eingang des recht nobel wirkenden Schuppens vergingen wieder ein paar Minuten, aber ich trauerte keinesfalls um die verlorene Zeit, denn auf dem Weg durch die Fußgängerzone wurden wir weiterhin von dem ein oder anderen Gitarristen unterhalten - lediglich die zur Musik beschwingt tanzenden Frauen fehlten hier auf dem Abschnitt gänzlich, aber das tat der guten Stimmung wirklich keinen Abbruch. Etwa zehn Minuten später standen wir schließlich in der Schlange vor einem recht nobel aussehenden Club. Dass mir der Name oder das Ambiente an sich nicht viel sagte, war wohl selbstredend, hatte ich mich in Havanna doch bis jetzt noch kein Stück umgesehen. Schlicht weil neben den Renovierungsarbeiten, Vahagn und der Versorgung der gesamten Mannschaft einfach nicht sonderlich viel Freizeit übrig blieb und die paar Stunden - meistens vor dem Zubettgehen - verbrachte ich dann doch lieber in aller Ruhe am Strand. Zumindest rein optisch machte das Gebäude den Anschein, als würde es sich lohnen, einmal öfter vorbei zu kommen, wobei ich mich erst auch noch vom Inneren überzeugen wollen würde. Mit genug Geld konnte man schließlich so alles aufhübschen, aber ob das, was einem geboten wurde, dann auch dem äußern Anschein gerecht wurde stand auf einem anderen Blatt geschrieben. Jedenfalls hielt ich mich unweit von Sabin mit dem Geldbeutel in der Hand auf und wartete darauf, mit einem gut sichtbaren Stempel oberhalb des Handgelenks nach drinnen gebeten zu werden. Das Foyer war für einen Nachtclub noch verhältnismäßig gut beleuchtet und auch die Musik kam hier noch nicht wirklich an, was sich aber schnell änderte, wenn man sich entschied, durch eine der drei Flügeltüren am anderen Ende der Halle die Tanzfläche zu betreten. Ich wartete jedoch noch auf den mit Abstand einzigen, halbwegs vernünftigen Kerl der Meute, bis auch er für den Feierbetrieb zugelassen wurde. Schließlich wollte ich den Geldbeutel nicht in der Hand mit mir herum schleppen und bevor ich nicht den ein oder anderen Cocktail intus hatte, würde ich einen Teufel tun, mich zu weit von dem mir bekannten Gesicht zu entfernen. Sobald der Alkohol meine Rezeptoren dahingehend erst einmal betäubt hatte, würde es mir wohl ziemlich egal sein, für zehn oder zwanzig Minuten einfach mal alleine gelassen zu werden. Selbstvertrauen hatte ich zwar auch so genug, aber sowohl der Club an sich, als auch das Feier gehen als solches waren für mich einfach neu. Demnach hielt ich mich dicht bei Sabin, als ich vor einer der Türen kurz inne hielt. Die Musik war nun deutlich lauter und bevor wir uns im Innen schließlich gar nicht mehr verstanden, richtete ich noch einmal das Wort an den jungen Mann. "Wollen wir direkt etwas trinken? Hab noch was gut zu machen und würde gerne anstoßen.", schlug ich fragend vor, meine Schulden, die durch das ungefragte Lösen einer Fahrkarte durch Sabin entstanden waren direkt aus der Welt zu räumen und in meinen Augen gab es auch einen guten Grund, anzustoßen. Immerhin waren wir doch bis jetzt ziemlich gut in ein neues Leben gestartet und auch wenn es hier und da etwas besser laufen könnte - etwa bei der Findung eines Jobs -, würde ich doch gerne die bislang erreichten Fortschritten zelebrieren wollen.
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Es dauerte nicht lang, bis ich nach der Brünetten die Räumlichkeit betrat und Macht der alten Gewohnheiten auch den Vorraum schon ein wenig musterte, bevor ich final zu ihr aufgeschlossen hatte. Sie hielt aber noch einen Augenblick lang inne, um mich mehr oder weniger nach dem weiteren Plan zu fragen und ich nickte gleich im Anschluss sehr eindeutig. Ließ noch die zustimmenden Worte "Ja, klingt gut.", von mir hören und hielt nur noch einen kurzen Moment lang den Blickkontakt zu Sydney, bevor ich eine der Flügeltüren aufschob und mir prompt der Bass entgegen wummerte. Nicht zu stark, aber doch spürbar, was ganz einfach ungewohnt für mich war. Nach der ersten Schrecksekunde gewöhnten sich meine Ohren jedoch recht schnell an die laute Musik, woraufhin ich bei den ersten Schritten ins Innere gezielt nach der Bar Ausschau hielt. Jene war mit ihrer auffälligen Neonbeleuchtung hinter den zahlreichen Flaschen auch relativ zeitnah ausgemacht, befand sich aber doch so ziemlich auf der entgegengesetzten Seite des offenen Tanzareals. Es waren außer unserer eigenen Truppe auch schon einige andere Leute da, aber bis jetzt ließ es sich noch relativ angenehm zwischen den anderen hindurchlaufen, ohne dass man Platzangst haben oder sich unangenehm zwischen verschwitzten Menschen durchzwängen musste. Ich ging dennoch voraus, weil direkt im Weg stehende Leute bei einem großgewachsenen, volltätowierten Mann - sah man ja auch ganz gut, wo das Hemd doch nicht bis ganz oben zugeknöpfte war - einfach eher der Höflichkeit wegen einen Schritt zur Seite machten, als bei einer Frau. Außerdem genoss ich dieses Gefühl vielleicht auch einfach ein bisschen, wo ich doch sonst nicht mehr wirklich Gefolge zum herumscheuchen hatte. Natürlich hörten Hunters Männer auf mich, wenn ich sie eindringlich darum bat, aber das war nicht das gleiche. Dass ich ansonsten an meiner für den einen oder anderen imposanten Erscheinung nichts geändert hatte war da dann einfach eine Genugtuung. Trotzdem sah ich auf dem Weg zur Bar immer mal wieder über meine Schulter hinweg um sicherzugehen, dass die ehemalige FBI-Agentin auch nicht verloren ging und den Anschluss verlor. Endlich an besagtem, ziemlich langen Tresen angekommen stützte ich mich mit den Unterarmen auf die glatte Oberfläche und schnappte mir erst einmal eine der Karten, um mich über das Getränkeangebot zu informieren. Die Auswahl war doch relativ groß und ich ließ parallel Sydney mit hineinsehen, während ich in Ruhe die Auswahl musterte. Bis jetzt war ich aber noch wenig experimentierfreudig, weshalb es bei einem simplen Gin Tonic bleiben sollte. Um einen Wein zu genießen war mir das hier nun wirklich nicht das richtige Ambiente, direkt einen Shot kippen wollte ich auch nicht und wenn es ein Cocktail war, dann musste er herb sein. Richtig süße Getränke waren einfach nicht mein Ding und bei lediglich zwei flüssigen Zutaten konnte man bei einem Gin Tonic zum Glück nicht wirklich was falsch machen. Blieb nur zu hoffen, dass die Kubaner keine 1:1-Mischungen bevorzugten, weil das dann doch ordentlich reinhauen würde. Da musste ich mich wohl überraschen lassen. Es dauerte auch nicht lang, bis einer der Barkeeper Zeit für uns fand und ich ließ Sydney wie vereinbart erst einmal das Busticket ausgleichen. Zwar war der Cocktail vielleicht ein kleines bisschen teurer, aber es waren sicher nicht die letzten Getränke, die wir uns hier orderten. Außerdem brauchte man jetzt wegen einer Münze hin oder her in meinen Augen auch keinen Aufstand anzuzetteln. Sobald die Getränke bezahlt waren, ich wieder aufrecht stand und den Geldbeutel der Brünetten vorerst erneut an mich genommen hatte, nahm ich das Glas in die Hand und roch flüchtig daran. Gut, eine Mischung zu exakt gleichen Teilen war das eher nicht, aber der Alkohol stieg mir dennoch ordentlich in die Nase. Geizig war der Barkeeper damit auf jeden Fall nicht gewesen. Mein Blick fand Sydneys, ich drehte mich ihr allgemein mehr zu und lehnte mich ihr etwas entgegen, damit sie mich besser verstand, als es jetzt dann wohl ans Eingemachte ging. "Dann auf unseren bisher erfolgreichen Neustart... und darauf, dass der Club hoffentlich noch steht, wenn wir wieder gehen.", sprach ich einen zumindest zur Hälfte ernst gemeinten Toast aus, fing dabei unweigerlich wieder zu grinsen an und hob im Anschluss mein Glas an ihres, um mit ihr anzustoßen. Natürlich ganz der Etikette entsprechend mit Blickkontakt, ehe ich den Gin Tonic anhob und den ersten, noch eher vorsichtigen Schluck nahm. Das Gesicht verziehen tat ich jetzt nicht, aber der Alkohol war im ersten Augenblick doch ziemlich vorherrschend zu schmecken. Sobald ich mich an das sachte Brennen im Hals jedoch gewöhnt hatte folgte gleich der zweite, etwas größere Schluck.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich hatte jetzt nicht unbedingt mit einer Abfuhr seitens Sabin gerechnet, weil ein Drink zum Einstieg so verkehrt nicht sein konnte, war aber dennoch ganz froh, dass er meinen Plan für den Anfang des heutigen Abends abnickte. Ohne lange zu warten, waren wir anschließend durch die Tür getreten, hinter der sich der Bereich zum Tanzen befand und auch ich musste mich erst einmal an die laute Musik, sowie den vorherrschenden Geruch von Alkohol und teurem Parfum gewöhnen. Dieser Prozess dauerte etwa dreißig Sekunden, dann hatte ich mir bereits einen groben Überblick von der Masse an Menschen gemacht und wie der Italiener auch ebenfalls die Bar lokalisiert. Nur allzu gern ließ ich Sabin den Vortritt, um uns den Weg bis an den Tresen zu ebnen, weil ich zwischen den ganzen tanzenden Männern und Frauen doch hoffnungslos verloren gegangen wäre. Es war nicht besonders voll und Platz zum Durchatmen, ohne am Schweiß des Nebenmannes zu ersticken war allemal, aber faktisch gesehen war momentan jeder um mich herum größer und somit ging ich leichter in der Masse verloren. Das wiederum war dann wohl einer der wenigen Nachteile, mich gegen die High Heels entschieden zu haben, denn ich war mir fast sicher, dass keiner der um mich herum tanzenden Damen maßgeblich größer war als ich selbst. Nur machten die circa fünfzehn Zentimeter an Absatz eben schon eine ganze Menge aus und ließen mich in den Ballerinas verhältnismäßig klein wirken. Glücklicherweise war das nichts, woran ich mich besonders lange aufhängen würde, denn dafür blieb schlicht und ergreifend gar keine Zeit. Der Raum war schnell durchquert und an der Bar angekommen erforderte die Getränkekarte meine volle Aufmerksamkeit. Ich stand unmittelbar neben dem Italiener, um so halb über seine Schulter schielend die Karte zu studieren. Mojito, Pina Colada, Zombie... sagte mir alles nichts, was mich nachdenklich ein paar Worte an mich selbst murmeln ließ, die für Außenstehende allerdings durch den wummernden Bass verschluckt wurden. Eventuell hätte ich nach der letzten Eskapade, die bedingt durch den zu motiviertem Alkoholkonsum in einem Mord ausgeartet war, erst einmal mit etwas Simplen anfangen sollen. Vielleicht einen leichten Likör mit Fruchtsaft oder so etwas - zum Einstieg eben -, aber da ich ja doch nicht wirklich wusste, was ich wollte und ich es als lästig empfinden würde, mir jetzt all die Cocktails durch den Fachmann erklären zu lassen, bat ich den Barkeeper einfach um etwas fruchtiges, ein nicht ganz so starkes Getränk, bei dem ich alle Optionen an möglichen Zutaten offen ließ. Lediglich auf Zitrusfrüchte sollte verzichtet werden. Alkohol alleine brannte schon genug im Rachen, da musste keine bittere Grapefruit oder der Saft einer Zitrone mit Schmirgelpapier nacharbeiten. Es dauerte dann auch gar nicht lang, bis Sabins Gin Tonic und mein - wie ich mir auf Englisch hatte verraten lassen - Planters Punch über den Tresen geschoben wurden und ich bezahlte. Das Portemonnaie wanderte auf kürzestem Wege wieder zurück an den Italiener, bevor ich meine Hand um das relativ ergiebige Glas legte, um jenes ebenfalls anzuheben. Ich wollte gerade ein paar Worte in genau dieselbe Richtung loswerden, da kam mir Sabin zuvor und ich konnte ihm nur grinsend zuprosten. "Auf den Neustart... und einen standhaften Club.", erwiderte ich belustigt und mit einem deutlich sichtbaren Nicken, weil ich mir nicht sicher war, ob ich laut genug gesprochen hatte, dass das Gesagte auch bei ihm angekommen war. Anschließend nahm ich einen zaghaften Schluck des im gedimmten Licht rot schimmernden Cocktails und war... positiv überrascht. Ich konnte auf Anhieb deutlich den Ananassaft schmecken und das im Abgang doch ein kleines bisschen Zitrone ihren Weg in das Getränk gefunden hatte, aber es schmeckte super. Richtig gut sogar und von dem weißen, wie auch braunen Rum konnte schmeckte man kaum etwas. Hieß für mich allerdings auch, dass ich definitiv aufpassen musste, was die Menge an Cocktails für den heutigen Abend anging, denn wenn alles so verdammt gut und lediglich nach Softdrink schmeckte, sah ich mich schneller kotzend in der Ecke hocken, als wir Zeit gebraucht hatten, diesen Club hier aufzusuchen. Nichtsdestotrotz nahm ich einen weiteren, großzügigeren Schluck den Punchs, ehe ich aussagekräftig mit dem Kopf in Richtung Tanzfläche nickte, um Sabin damit signalisieren zu wollen, dass zumindest ich persönlich nach der Leerung des Glases das Tanzbein schwingen würde und lud ihn damit indirekt ein, mir zu folgen. Ohne Hintergedanken, aber das verstand sich ja wohl von selbst.
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Ich folgte Sydneys Nicken mit meinem Blick und musterte einen Moment lang die anderen Leute, die sich bereits auf der Tanzfläche befanden. Erkannte dabei auch hier und da ein bekanntes Gesicht, wenn das unruhige Licht in deren Richtung fiel. Vermutlich waren genannte Personen einfach schon dabei sich ein Opfer für die Nacht oder zumindest für einen Bruchteil davon zu suchen. Ich meine, im Grunde konnte ich das bestens nachvollziehen - selbst Hand anzulegen war eben schlichtweg nicht ansatzweise das gleiche wie eine nackte Frau, gar nicht damit vergleichbar. Es regulierte das sexuelle Bedürfnis bis zu einem gewissen Maß, aber es stillte das eigentliche Verlangen im Grunde kein Stück. Es störte mich selbst ja auch, wie lang ich jetzt schon auf dem Trockenen saß, weil ich nicht mehr in Cosmas Bar arbeitete - da hatten sich wenigstens hier und da mal ein paar Möglichkeiten aufgetan -, aber mit dem Alter wurde man wohl auch dahingehend einfach ein bisschen ruhiger. Über die Phase eines Teenagers, der alles flachlegen wollte, das nicht bei drei in Sicherheit war, war ich schon eine ganze Weile hinweg. Was wiederum aber nicht bedeutete, dass ich über mein momentan schlicht nicht existentes Sexleben erfreut war. Ich konnte nur besser damit umgehen als der jüngere Anteil der Gruppe. Jedenfalls war ich dem Tanzen an sich nicht unbedingt abgeneigt. Ich fragte mich lediglich, inwiefern ich das noch brauchbar hinbekam. Ich war zwar mit wirklich gutem Rhythmusgefühl gesegnet und war auch nicht in die Kategorie 'Stock' einzuordnen, aber ich konnte mich wirklich nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt getanzt hatte. So richtig, meine ich. Natürlich hatte ich hier und da spontan mal mit meiner einstigen Ehefrau hin und her geschunkelt, aber das war ja kein bisschen vergleichbar. Allgemein hatte ich in Clubs noch nie viel getanzt und meine aktive Zeit dahingehend lag zudem eine gefühlte Ewigkeit zurück. Den damaligen Hochzeitstanz brauchte ich hier wohl kaum auszupacken. Aber war im Grunde auch egal, was mir die Überraschung dahingehend letztendlich brachte. Hatte hier ja nichts zu verlieren und Spaß daran finden konnte ich bestimmt, also nickte ich letztlich ein klein wenig. Würde Sydney auf die Tanzfläche folgen, wenn sie sich dahin in Bewegung setzte. Erst einmal verharrten wir aber noch einige Minuten an der Bar. Wechselten hier und da mal ein Wort, aber viel zu reden würde uns hier drinnen nur Halsschmerzen bescheren. Ich lehnte mich indessen mit dem Rücken an die Bar, weil ich so den Raum besser im Blick hatte. Bisher schienen die Jungs aber kein Aufsehen zu erregen, was mich gleich noch ein wenig mehr entspannen ließ, während sich der Alkohol mit jedem Schluck weiter in meinem Körper ausbreitete. Nach einigen Minuten und damit ein paar Songs später - ich hatte irgendwo zwischendurch schon angefangen, ganz leicht mit dem Kopf zu mitzunicken, weil doch einige sehr angenehme, eingängige Melodien dabei waren - waren unser beider Gläser dann auch leer und gingen an den Barkeeper zurück. Im Anschluss folgte ich der Brünetten auf die Tanzfläche und auch, wenn es zu Beginn noch ein wenig stockend verlief, fand ich doch recht bald wieder ins Tanzen rein. Ließ mich unweit der jungen Frau einfach von der Musik mitziehen, was dank dem bereits getrunkenen Alkohol sicher auch leichter fiel. Ich hatte jetzt noch keinen richtig spürbaren Schwips, aber ich wusste, dass der Alkohol trotzdem schon seine Bahnen durch mein Blut zog und einfach dazu beitrug, dass ich leichter entspannen und einfach mal Spaß haben konnte. Der Stress der letzten Tage war schon bald verflogen und ich genoss es in vollen Zügen, jetzt einfach mal gänzlich den Kopf ausmachen und den hochgradig vernünftigen Sabin im Schrank verstauen zu können, weil ich für diesen Teil meiner Persönlichkeit im Alltag mehr als genug Zeit hatte. Nach einer Weile band ich Sydneys auch hier und da mal locker in meine eignen Tanzschritte ein. Nicht so, dass wir uns dabei jemals wirklich nah kamen, sondern eben eher so spaßeshalber. Zu Beginn auch nur hin und wieder mal, aber je öfter wir zwischen der Bar und der Tanzfläche in den folgenden drei Stunden hin und her switchten, desto häufiger wurde es. Vollkommen unterbewusst und vermutlich nur, weil uns das immer wieder zum Lachen brachte... und natürlich, weil wir inzwischen wohl beide leicht einen in der Krone sitzen hatten. Vom sturzbetrunken sein konnte bei mir nicht die Rede sein, aber nach zwei Gin Tonic und doch ein paar mehr Shots - hatte wohl nicht wirklich mitgezählt - war ich dann eben doch ziemlich beschwipst und meine Laune entsprechend beschwingt. Ich fand das aber auch gar nicht schlimm, weil ich es schlichtweg genoss mal wieder so richtig ausgelassen zu sein. Irgendwann dachte ich auch absolut nicht mehr daran, dass der Rest der Gruppe theoretisch Ärger machen konnte, sondern kümmerte mich tatsächlich einfach nur noch um mich selbst... und Sydney eben, wo sich unsere Wege doch nie so wirklich trennten. Höchstens mal weil die Blase voll war, oder Gläser zurück an den Tresen gebracht wurden und es einfacher war, wenn das nur einer machte und dafür gleich beide abgab. Letzteres war übrigens auch jetzt der Fall. Wie schon zwei Mal zuvor hatten wir uns dazu entschieden der sauerstoffarmen Luft hier drin mal für ein paar Minuten zu entfliehen. Sydney war direkt auf dem Weg nach draußen, während ich selbst erst noch einen Schlenker zur Bar machte, um unsere beiden Gläser loszuwerden. Inzwischen war der Club auch wirklich gerappelt voll und dementsprechend dauerte es eine ganze Weile, bis ich das Pfand schließlich zurück bekam. Auf dem Weg nach draußen begegnete ich auch Ashton noch, der selbst wohl noch etwas betrunkener war als ich selbst und mir absolut angetan die junge Frau vorstellte, die er mit seiner Hand an ihrer Hüfte zu sich hinzog. Hübsch war sie, nur vermutlich noch ziemlich jung. Sicher nicht älter als 19 oder 20, aber gerade solche Frauen verloren sich wohl nur allzu leicht in den Armen eines älteren, selbstbewussten Mannes. War aber nicht mein Problem, sondern ihres, also verabschiedete ich mich nach ein paar Minuten im Vorraum zwischen Flügeltüren und Eingangstür mit einem reichlich ironischen "Treibt's nicht zu wild.", von den beiden und klopfte Hunters rechter Hand leicht auf die Schulter, woraufhin die zierliche Schwarzhaarige verlegen kicherte. Schließlich nach etwas weniger als fünfzehn Minuten draußen angekommen nahm ich erstmal zwei oder drei sehr tiefe Atemzüge, ehe ich begann nach Sydney Ausschau zu halten. War nur gar nicht so leicht sie bei all den Leuten hier ausfindig zu machen, weshalb ich mich mit einem eher leise gerufenen "Syd?", wieder in Bewegung setzte und den Blick aufmerksam schweifen ließ, während ich den Hals ein wenig streckte, um einen möglichst guten Überblick zu bekommen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Seit unserem ersten Drink an der Bar war die Zeit im Club nur so verflogen und mittlerweile hatte sowohl Sabin, als auch ich selbst wohl gut einen im Tee. Das fiel mir vor allem immer dann auf, wenn wir die Tanzfläche verließen, um dem Geruch von Alkohol und Schweiß der um uns herum tanzenden Menschen für einen Atemzug voll frischer Luft zu entfliehen. Solange ich das Tanzbein schwang, brauchte es kaum ein gutes Gleichgewicht, weil ich ja ohnehin mal mehr und mal weniger in die eine, dann wieder in die andere Richtung schaukelte. Sobald ich allerdings für ein paar Meter Geradeaus gehen musste – so wie jetzt, als ich nach Absprache mit dem Italiener schon mal nach draußen ging, während er die Gläser zurück brachte – sah man mir doch deutlich an, dass ich nicht weniger verantwortungslos Alkohol konsumiert hatte, wie ein großer Teil der jungen Leute es in einem solchen Ambiente gerne taten – und über die ich mich so gerne beschwerte. Zwar hätte ich jetzt durchaus darauf plädieren können, dass ich älter als die meisten hier Anwesenden war und deshalb wusste, wo meine Grenzen lagen, aber das wäre schlicht und ergreifend gelogen. Ich hatte aus dem mehr oder weniger ziemlich einprägenden Besäufnis damals in Norwegen offensichtlich immer noch nicht gelernt, dass ich Hochprozentiges aller Art einfach nicht besonders vertrug und zwei Cocktails plus ein paar Shots einfach mein Todesurteil war. Bereits einige Minuten nach dem Planters Punch hatte ich festgestellt, dass der darin enthaltene Rum durch meine Blutbahnen schoss wie nichts Gutes, aber ich hatte die Warnung, die ich mir beim Konsumieren des Softdrink ähnlichen Getränks noch selber vor Augen gehalten hatte, einfach ignoriert. Demnach schwankte ich mittlerweile ziemlich offensichtlich durch das Foyer nach draußen und wo es im Inneren des Clubs doch noch angenehm warm gewesen war, fror ich fast ein wenig, als ich durch die große Eingangstür, durch die wir vorhin gekommen waren und sie seitdem schon das ein oder andere Mal passiert hatten, nach draußen trat. Es war zwar im Verhältnis zu den norwegischen Nächten natürlich immer noch nicht ansatzweise kalt, aber doch eine willkommene Abkühlung für die, durch das Tanzen buchstäblich erhitzten, Gemüter. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Masse an Menschen, die sich vor dem Club versammelt hatten, um dort angeregt miteinander zu quatschen, ihre Zigarette zu rauchen und nebenher an ihren Cocktails zu schlürfen, bis ich schließlich am gefühlt anderen Ende der Horde sichtlich erschöpft an einer Wand gelehnt stehen blieb. Da merkte man dann doch, dass der Zahn der Zeit langsam an meinen Kraftreserven nagte, wobei ich mich noch lange nicht als wirklich alt titulieren würde. War nur einfach Fakt, dass man mit zunehmendem Alter eben nicht mehr ganz so belastbar war und wenn man dann, so wie ich, keine Vergangenheit mit Hochprozentigem oder dem Nachtleben an sich hatte, konnte einem das ganz schön zusetzen. Aber das war in meinen Augen auch nicht weiter schlimm. Ich hatte meinen Spaß gehabt und wir waren ja jetzt auch schon eine ganze Weile hier - zumindest fühlte sich das ganz danach an. Daher konnte ich mir nicht vorstellen, dass wir noch sehr lange bleiben würden und ich hatte mir geschworen, dass das Getränk, dessen Behältnis ich Sabin mit an die Bar gegeben hatte, auch das letzte für den heutigen Abend war. Schien mir auch eine ziemlich vernünftige Entscheidung gewesen zu sein, wo ein Wechsel der Temperaturen meinen Kreislauf angekurbelt hatte und den Alkohol nur noch schneller durch meine Blutbahnen schießen und meine Sinne auf noch recht angenehme Art und Weise betäubte. Einzig und alleine die Schlieren vor meinem inneren Auge, wenn ich mich zu schnell bewegte, waren wirklich ätzend, aber ansonsten ging es mir noch verhältnismäßig gut. Zumindest so lange, bis sich zwei der Jungs aus unserer Gemeinschaftsunterkunft jeweils rechts und links neben mir ebenfalls an die Wand lehnten. Ich grüßte, freundlich natürlich – weil man seine gewohnte Art nur wegen ein bisschen Alkohol nicht zwangsläufig ablegte – und fragte, wie denn der Abend bisher so verlaufen war. Eine Antwort auf die Frage blieb allerdings aus oder aber ich war schlicht und ergreifend zu betrunken, als dass ich sie bewusst wahrnahm. Anders war es da bei dem Arm, der sich plötzlich um meine Hüfte gelegt hatte – den spürte ich nämlich sehr wohl! Und ich wusste ehrlich gesagt nicht so genau, wie ich darauf jetzt reagieren sollte. Auf der einen Seite war es mir grundlegend fast schon egal, weil es sich bei den Burschen um zwei der Männer handelte, mit denen ich mich zwischendrin schon einmal unterhalten hatte und die mir grundlegend nie wirklich negativ aufgefallen waren, auf der anderen Seite war ich nach wie vor nicht besonders scharf darauf, den jungen Männern auch nur im Ansatz Hoffnung auf eine gemeinsame Nacht zu machen. An der Entscheidung hatte sich nämlich auch mit den Drinks intus nichts geändert, weshalb ich anfangs noch ohne einen großen Aufstand anzetteln zu wollen versucht hatte, der Situation einfach zu entfliehen, indem ich einen Schritt vor machte, um gehen zu wollen, was offensichtlich jedoch nicht toleriert wurde. Der Arm um meine Hüfte ließ nicht locker und wurde zunehmend bestimmter, sodass es bald schon nicht mehr angenehm war, in der Position mit einem Hohlkreuz an der Wand zu lehnen. „Hey, lass‘ mich los.“, lallte ich in der festen Überzeugung, dass das helfen würde, mich aus der Misere zu befreien, aber in Wirklichkeit sorgte es nur für ein breites, belustigtes Grinsen und ein „Hab‘ dich doch nicht so.“ desjenigen, der seinen Arm um mich gelegt hatte und mich mit jenem einen unsanften Stoß in den Rücken verpasste, der mich beinahe zu Fall brachte. Abgefangen wurde ich dann allerdings von dem zweiten Arm, der sich ebenfalls um meine Hüfte gelegt hatte, um mich kurz darauf ein ganzes Stück enger an den noch immer an die Wand gelehnten Oberkörper des jungen Mannes zu ziehen. Ich machte mittlerweile ziemlich deutlich, dass ich von der ganzen Geschichte trotz der Menge an Alkohol nicht besonders viel hielt und mir das auch alles andere als gefiel. Somit versuchte ich also deutlich bestimmter, mich mit den Armen gegen die Brust zu stemmen, um mich so aus dem Griff zu heben, aber nicht einmal nüchtern hätte ich mich aus dieser Position heraus eigenständig befreien können.
Es waren jetzt... etliche Stunden vergangen. Ehrlich gesagt hatte ich schon einer ganze Weile nicht mehr auf die Uhr geguckt und nur noch mitbekommen, dass es immer dunkler geworden war, als ich mit Iljah am Ohr die Auffahrt vor dem Bungalow auf und ab lief. Die knapp bemessene Zeit hatte nur bedingt dafür ausgereicht, mir über die ganze Geschichte im Klaren zu werden, seitdem sich Taurens und mein Weg heute morgen nach dem Frühstück getrennt hatte. Ich war nach Rücksprache mit dem jungen Mann den Rest des Tages durch den Wald spaziert und hatte mir meine Gedanken gemacht. Zwischendurch ließ ich mich mal hier und dann wieder woanders auf einem Baumstamm nieder, wenn ich eine kurze Pause brauchte, hatte aber tunlichst vermieden, bis zum Sonnenuntergang wieder in der kleinen Hütte mitten im Nichts aufzuschlagen. Schlicht weil ich Ruhe brauchte, mich nicht konzentrieren konnte, wenn mich dabei ständig irgendjemand ansah oder mich in ein Gespräch verwickeln wollte. Außerdem war Richard wieder ziemlich unleidlich gewesen und hatte sich darüber beschwert, dass es in der Nacht zuvor so laut gewesen war - Kleinigkeiten, an denen er sich aufhing eben, wenn der Kater einsetzte. Jedenfalls war es jetzt schon ziemlich spät, als der Kies unter meinen Füßen knirschte und ich mit Iljah über meine Zukunft sprach. Auf unserer Muttersprache, weil es mir schlicht lieber war, für den Fall der Fälle, dass so laut redete, als dass man mich im Inneren des Hauses durch die gekippten Fenster hören konnte. Wie ich bereits geahnt hatte, durfte ich mir die ersten zehn Minuten erst einmal anhören, wie müde er doch war, dass ich nicht mehr alle Latten am Zaun hatte und was das Ganze denn überhaupt sollte. Das Gespräch, welches irgendwann in einer Diskussion ausgeartet war, erstreckte sich daraufhin bestimmt über eine ganze Stunde, bis ich die Nummer auf dem Display mit einem frustrierten Schnauben wegdrückte. Aus dem Plan, mich nach Russland zitieren zu lassen, war logischerweise nichts geworden, weil das Arschloch, welches sich mein Bruder schimpfte, mich nicht einmal mit der Wahrheit - die ich ihm irgendwann erzählt hatte -, dass ich mich auf seine Kooperation verlassen hatte, wenn ich ihm nur lange genug in den Ohren lag, unterstützen wollte. Er brauchte niemanden mehr, weil die Zahl sich mit meinen ehemaligen Männern beinahe verdoppelt hatte und ich sollte die Zeit doch nutzen, mir auf Kuba vorerst ein schönes Leben zu machen. Er würde mir Geld überweisen, eine neue Identität verschaffen und wünschte mir als einer seiner letzten Aussagen noch einen schönen Urlaub. Mein sichtlich verwirrter, angenervter und alles andere als glücklicher Blick haftete sicher noch eine halbe Minute lang auf dem Display, welches kurze Zeit später nach dem Telefonat in den Ruhemodus schaltete und sich somit mein Gesicht im schwarzen Glas wiederspiegelte. Gut, zusammengefasst konnte man also sagen, dass aus der Reise in mein Heimatland so schnell nichts werden würde, Kuba erst einmal mein Zuhause blieb, weil Iljah absolut nicht einsah, mir aus meiner ganz persönlichen, eher kindischen Misere heraus zu helfen. Grundlegend war das ja auch nicht schlimm, wenn er darauf bestand, dass ich meinen eigens verzapften Mist selbst ausbadete, nur grätschte es mir ganz offensichtlich in den bereits zurechtgelegten Plan, mich das ein oder andere Mal auf Tauren einzulassen und dann abzuhauen. Als Alternative dazu blieb mir, bezugnehmend auf meine Gedanken von vorhin, dann nämlich im Prinzip nur noch, die Grenzen wie bereits angekündigt abzustecken, aber... das wollte ich einfach nicht. Die Stunden, in denen ich alleine durch den Wald gelaufen war, hatte ich vollumfänglich dafür genutzt, mir darüber im Klaren zu werden, dass mir seit geraumer Zeit einfach ein Stück weit positive Aufmerksamkeit in meinem Leben fehlte. Ein paar zärtliche Streicheleinheiten, die mein kaltes Herz insoweit schlagen lassen sollten, als dass ich nicht verbittert ins Gras beißen würde. Dann hier und da mal eine Umarmung, wenn es mir mal nicht ganz so gut ging und nicht zu vergessen auch der ein oder andere gute Sex, der jetzt schon seit einiger Zeit auf sich warten ließ. Alles in allem war Tauren wirklich der perfekte Mann für eine kurzzeitige Fickbeziehung, die mir neue Kraft zur Umgestaltung meiner Zukunft geben würde. Ich wollte ihn aber nicht derart ausnutzen, um ihm darauffolgend noch weiter auf der Insel vor der Nase herum zu tanzen, denn auch wenn ich in vielerlei Hinsicht wirklich herzlos und kalt war, aber das hatte er einfach nicht verdient. Beziehungsweise... damit wollte ich mich einfach nicht herum ärgern müssen. Meine Entscheidung war also nach dem Telefonat so gut wie in Stein gemeißelt, was mich hörbar frustriert vor mich hin fluchend das Haus betreten ließ.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Vermutlich wäre es nüchtern einfacher gewesen die Brünette ausfindig zu machen. Es war jetzt nicht so, als würde ich alles doppelt sehen, aber die Wahrnehmung war schlichtweg nicht mehr ganz einwandfrei. Hier und da mal ein bisschen verwackelt, während meine Aufmerksamkeit kurzzeitig durch andere Umwelteinflüsse wie hell auflachende Leute um mich herum beeinträchtigt wurde. Es nahm also bestimmt noch mal eineinhalb Minuten in Anspruch mich einmal quer durch die Leute zu schlängeln, nur um festzustellen, dass Sydney sich nicht unter jenen befand. Allerdings sollte sie schon bald in mein Sichtfeld rücken, als ich die Traube voll Menschen hinter mir gelassen hatte. Ausschlaggebend dafür war sicher das blaue Kleid in Kombination mit den etwas längeren, braunen, zum Zopf hochgebundenen Haaren. Es dauerte auch nicht lange bis ich die Situation an sich weit genug analysiert hatte, weshalb ich mich prompt in Bewegung setzte. Noch immer nicht wirklich klar im Kopf, aber doch mit ziemlich energischen Schritten ging ich auf die drei zu und mein bis eben noch recht entspannter, gut gelaunter Blick verfinsterte sich sichtbar. Hätten sie sich an einer anderen Frau zu vergreifen versucht... okay, würde ich auch alles andere als gutheißen, aber ich konnte schlecht für alle hier den Babysitter spielen. Dass die beiden - einer wohl mehr als der andere - sich jedoch an Sydney ranschmissen, obwohl sie das ganz eindeutig nicht zu wollen schien, war auf so unendlich vielen Ebenen abstoßend und vor allem tabu. Der Versuch an sich sie für sich selbst zu gewinnen wäre tolerierbar gewesen, aber danach hätte der Korb selbstredend friedlich akzeptiert werden müssen. Das Nummer Zwei auch noch der Ansicht war, sich darüber amüsieren zu müssen anstatt einzugreifen, machte es nun wirklich nicht besser. Als letzterer mich kommen sah nippte er gerade an seinem Cocktail und verschluckte sich, woraufhin ein atemloses, heftiges Husten folgte - was ich absolut willkommen hieß, denn das Brennen des Alkohols in seiner Luftröhre hatte er ganz eindeutig verdient. Er verschüttete dabei auch beinahe gänzlich den Rest des alkoholischen Glasinhalts, während sich der eigentliche Übeltäter keinen Millimeter regte, als er mich sah. Seine Hände ließ, wo sie waren und keinerlei Anstalten dazu machte, die junge Frau aus seinen Armen zu entlassen. "Was?", rotzte Lucas mir stattdessen förmlich über die Sydneys Schulter hinweg entgegen, dass er meine Anwesenheit absolut nicht begrüßte. "Lass sie los. Es ist offensichtlich, dass sie keinen Bock auf dich hat.", versuchte ich ihn erst einmal mit ein paar Worten auf die friedliche Tour zur Vernunft zu bewegen, was ihn lediglich schnauben ließ. "Ich krieg' sie schon noch dazu, dass sie will.", fügte er dem Ganzen ein paar raue Worte an, was in meinen Augen dann wirklich endgültig genug war. Ich machte noch die letzten zwei Schritte auf die beiden zu und streckte meine rechte Hand nach seiner Kehle aus. Drückte ihm meine Finger ungehemmt seitlich auf hochgradig unangenehme Weise in den Hals, während meine Handfläche ihm vorne auf die Kehle drückte. "Ich hab gesagt, dass du sie loslassen soll.", wiederholte ich meine vorherigen Worte, funkelte ihn an und der drohende Unterton war nicht zu überhören. "Sonst was?", ächzte er sichtlich angepisst unter dem Druck meiner Hand mit zusammengekniffenen Augen zurück. "Sonst amputier' ich dir eigenhändig beide Unterarme, damit das nie wieder vorkommt.", zeigte ich ihm ganz ungehemmt die Folgen auf, falls er sich meinen Worten weiterhin widersetzen würde. Er wäre schließlich nicht der erste, der eine sehr schmerzhafte und lebensverändernde Quittung für eine Missetat von mir bekam. Fand Hunter zwar womöglich nicht lustig, aber auch darüber würden wir uns sicher einig werden, wie das bisher immer der Fall gewesen war. Lucas hielt Sydney noch ein paar weitere Sekunden fest und duellierte sich mit seinem Blick weiter mit mir, bevor er einen unzufriedenen Laut von sich gab und die Brünette unsanft mit reichlich Schwung von sich weg schubste. Ich hielt ihn trotzdem noch ein paar Sekunden lang fest und verstärkte meinen Griff noch weiter, während ich den Gegendruck der Wand an seinem Hinterkopf dazu nutzte, den Druck auf seinen Adamsapfel beinahe unerträglich zu machen. Daraufhin legte er auch seine eigene Hand an die meine und sein Blick wurde merklich weicher. Fast schon bittend, also ließ ich ihn los. Verpasste ihm aber trotzdem noch einen Boxhieb in die Magengegend für die unnötige Diskussion seinerseits. Er krümmte sich und ich knurrte noch ein "Widersprech' mir nie wieder.", zu ihm runter, bevor ich mich nach Sydney umsah... die nach dem saftigen Stoß nach hinten wohl auf dem Hintern gelandet war. Deshalb hielt ich ihr auch gleich meine Hand entgegen, um ihr wieder hochzuhelfen.
Nachdem Vahagn das Haus verlassen hatte wurde es reichlich ungemütlich. Richard ging mir auf die Nerven und ich hatte gerade eigentlich zu gute Laune, um ihm endlich meine Meinung ins Gesicht zu sagen. Würde das wohl eher morgen mal in Angriff nehmen, wo ich den Kopf bestimmt auch etwas freier haben würde. Ich verließ irgendwann selbst also auch das Haus und machte mich mit meinem Skateboard - eigentlich bräuchte ich mal ein neues, war das hier doch schon ziemlich am Arsch, zumindest die Unterseite des Bretts - ganz gemütlich auf in Richtung Stadt. Rauchte dabei hier und da eine Kippe, während ich in überwiegend eher sehr gediegenem Tempo die Straße entlang fuhr. Leider musste ich dabei feststellen, dass Kubas Straßen echt nicht die besten waren, aber ich wusste den Rinnen und Schlaglöchern ganz gut auszuweichen. Hätte lediglich einmal beinahe den Abgang gemacht, weil auch noch ein Rind auf die Straße getrabt war. Das Ganze war ziemlich grotesk und es würde sicher noch eine Weile dauern, bis ich mich an die recht chaotischen Straßenverhältnisse hier gewöhnt hatte. Oder ganz allgemein an das häufig uneingezäunte Vieh, das quasi ein kleines Eigenleben führte. Irgendwann kam ich aber doch noch heil am Hafen der Stadt an und machte dort eine ganze Weile Pause. Vielleicht war das skateboarden doch noch keine so gute Idee gewesen, hatte ich hier und da zum ausbalancieren mal etwas ruckartig den verletzten Arm heben müssen und der Oberschenkel hatte auch ab und an mal leicht gezwickt, aber jetzt war's dann sowieso zu spät. Ich ließ mir auch an einem der Imbissstände an der Küste noch etwas zu essen mitgehen, probierte eines der kubanischen Traditionsgerichte und was positiv überrascht. Unterhielt mich auch noch ein wenig mit dem noch recht jung aussehenden Koch, der durchweg freundlich und auch froh über das abwechslungsreiche Gespräch war, obwohl sein Englisch ziemlich holprig und stockend war. Ich versprach ihm in jedem Fall zukünftig mal wieder vorbei zu schauen und machte mich dann langsam wieder auf den Rückweg. Als ich Zuhause ankam war der Sonnenuntergang wohl nicht mehr weit und ich verbrachte noch ein paar Minuten mit einem Bier auf der Terrasse. Allerdings nur so lange, bis mich die Stechmücken zu nerven begannen und ich das Sofa im Wohnzimmer vorzog. Von da aus konnte ich auch hören, dass die Brünette inzwischen wieder Zuhause war und irgendwo vor dem Haus telefonierte, wobei ich dem ganzen erstmal keine Beachtung schenkte. War sicher nur ihr Bruder oder jemand anderes aus der Heimat, da machte ich mir nicht wirklich einen Kopf drum. War auch einfach ziemlich kaputt von meinem heutigen Ausflug, wo meine Kondition nach etlichen Wochen Pause einfach ein wenig zu wünschen übrig ließ, mein Körper nur langsam wieder in die Gänge kam. Irgendwann kam Vahagn dann nach drinnen, wobei die Flucherei kaum zu überhören war. Mein Blick wanderte unweigerlich zum Türrahmen am Flur, wo die junge Frau wenig später in mein Sichtfeld trat. "Alles okay?", hakte ich nach, ehe ich den letzten Schluck aus der Bierflasche leerte und mich nach vorne lehnte, um letztere auf dem Couchtisch abzustellen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
In den darauffolgenden Minuten sollte das Drama dann aber auch schon ein abruptes Ende nehmen, was ich doch sehr begrüßte. In meiner Zeit als FBI Agentin hatte ich das ein oder andere Mal ein Sexualdelikt bearbeiten müssen und die Bilder einiger Opfer spielten sich just in diesem Moment vor meinem inneren Auge ab, ließen mich Lucas leicht panisch ansehen, was sowohl ihn, als auch seinen untätigen Kumpel weiterhin amüsiert grinsen ließ. Wäre Sabin nicht rechtzeitig eingeschritten, hätte ich mich vermutlich selbst zu eines der Vergewaltigungsopfer zählen können, nur ob zum lebenden oder danach ermordeten Teil - das wollte ich wohl gar nicht so genau wissen. Ich war also ganz froh, eine mir bekannte Stimme im Rücken zu hören, wobei ich ein paar Sekunden brauchte, um den Italiener als meine Begleitung zu identifizieren, mit der ich mir hier draußen zum eine Atmen hatte treffen wollen. Die anfänglich seitens des Ex-Mafiosi bemüht ruhige Konversation artete schnell in eine ziemlich unmissverständliche Machtdemonstration aus, die ich noch immer in den Armen des jungen Mannes hängend verfolgte. Erst zu dem Zeitpunkt, als Sabin meinen Peiniger am Hals packte und ihn an die Wand drückte, rückte mir die Mähne des volltätowierten jungen Mannes ins Sichtfeld, der trotz des ebenfalls fleißig konsumierten Alkohols noch sehr gefasst wirkte, was mich erleichtert aufatmen ließ. Dann hatte immerhin einer die Situation hier im griff, denn ich persönlich bekam kaum noch etwas bewusst mit - vermutlich, weil mein Körper aus Angst vor Schmerz schon in die Defensivstellung wechselte. Das änderte sich bei dem angeregten Gespräch der beiden kurzzeitig allerdings wieder und ich versuchte parallel zu dem rauen Schlagabtausch, mich ein weiteres Mal aus dem Griff zu winden, weil die Hoffnung aufkeimte, Lucas könne mit dem Gespräch abgelenkt genug sein, mich endlich los zulassen, wenn ich mich plötzlich regte. Leider ging der Versuch wie der vorangegangene auch schon kläglich in die Hose. Ein paar drohende und durch Taten untermauerte Worte seitens Sabin später, spürte ich schließlich nur noch einen recht unsanften Stoß gegen den Oberkörper, der mich aufgrund des hohen Promillewertes in Kombination mit dem Überraschungsmoment glatt zu Boden riss. Ich landete mit einem erstickten Ächzen auf dem Hintern und konnte wohl von Glück reden, dass nur mein Kleid unter dem steinharten Asphaltboden gelitten hat und die darunter liegende Haut heile geblieben war. Nichtsdestotrotz erschien das in meinen Augen schon vollkommen ausreichend, um mich, in Verbindung mit dem Schmerz, der ungeachtet der benebelnden Wirkung des Alkohols, ziemlich penetrant meine Wirbelsäule nach oben kroch, für einen Augenblick lang gelähmt und leise fluchend auf dem Boden sitzen zu lassen. Ich fühlte mich wie bei der Geburt Noahs, der mir mit den einsetzenden Wehen auf genau die gleiche Art und Weise die Luft zum Atmen genommen hatte. Ich wollte hier jetzt nicht unbedingt die Geburt eines Kindes mit der Prellung des Steißbeins vergleichen, aber der Schmerz war sich doch sehr ähnlich. Außerdem hatte der Sturz meine Welt gleich ein weiteres Mal Karussell fahren und mich schwindelig die Augen schließen lassen, damit der Mageninhalt auch ja da blieb, wo er hingehörte. Mir die Blöße geben, mich jetzt auch noch zu übergeben, wollte ich nämlich nicht. Demnach brauchte es mich ein paar Sekunden, bis ich die Hilfe beim Aufstehen anbietende Hand des Italieners vor meinem Gesicht vernahm und bereitwillig danach griff, weil ich ohne vermutlich gar nicht mehr aufgestanden wäre. Ich schwankte und es fiel mir schwer, mich nicht mit meinem gesamten Gewicht an Sabin - der ebenfalls gut gebechert hatte - zu hängen, aber irgendwie schaffte ich es dann doch, halbwegs souverän auf die Beine zu kommen, ohne den jungen Mann aus den Schuhen zu reißen. Sah zwar bestimmt sehr unbeholfen aus, aber das interessierte mich in diesem Fall nur wenig bis gar nicht. Ich war nur ein weiteres Mal froh, keine hohen Schuhe zu tragen, denn der Sturz hätte mich womöglich einen, wenn nicht sogar beide gesunden Knöcheln gekostet. Mein Blick wanderte beinahe etwas unruhig zwischen dem Italiener und dem sich krümmenden jungen Mann hin und her, ehe ich mir schließlich leise seufzend ein paar Strähnen, die aus dem Zopf gefallen waren, hinter mein Ohr strich. "Verdammte Scheiße, man... danke.", murmelte ich undeutlich und hörbar lallend in Richtung meines Retters, während ich leicht schwankend mit einer Hand meine Oberschenkel abtastete, um zu überprüfen, ob ich einer Verletzung in der Region doch tatsächlich gerade so entgangen war, aber ich hatte Glück. Weder spürte ich die für Schürfwunden typische, geriffelte Haut, noch klebte Blut an meiner Hand, was meinen angestiegenen Adrenalinspiegel zumindest ein kleines bisschen senkte. Nur der Stoff des blauen Kleides war kaputt gegangen, sodass ich das Teil Zuhause angekommen postwendend in die Mülltonne kloppen konnte. Besten Dank auch. Weil ich einer weiteren Konfrontation aber erst einmal aus dem Weg gehen wollte, bevor ich mich dahingehend beschwerte, packte ich Sabin verhältnismäßig bestimmt - was in meinem Zustand also nicht besonders fest war - am Handgelenk, um ihn ein paar Meter weiter weg von der Masse zu ziehen. Dabei lehnte ich fortwährend ein Stück weit gegen seine Schulter, weil jetzt scheinbar auch der letzte Drink seine Wirkung entfaltet hatte.
Ich hatte meinen Blick weiterhin auf das im Standby befindliche Handy gerichtet, als ich das Haus betreten hatte, weshalb mir der im Sofapolster versunkene Tauren einen gehörigen Schrecken einjagte, als er sein Wort an mich richtete. Daraufhin war ich sichtlich zusammen gezuckt, was so ziemlich jede meiner Wunden mit einem mahnenden Stechen quittierte und ich gar nicht wusste, weshalb ich zuerst schmerzverzerrt aufstöhnen sollte. Es kam daher nicht viel mehr als ein erschöpftes Ächzen über meine Lippen und ich spürte, dass das schon wieder keine besonders gute Ausgangslage für ein ruhiges, sachliches Gespräch zwischen zwei Erwachsenen war. Ich wäre allerdings nicht Vahagn, wenn ich auf solche Kleinigkeiten nicht scheißen würde und so schleppte ich mich mit müden Beinen rüber zum Fernseher, um mich schräg neben Tauren auf den Sitzhocker fallen zu lassen, was die Verletzung am Bauch gleich ein weiteres Mal rebellisch protestieren ließ. "Ne, nichts ist okay.", stellte ich wahrheitsgemäß fest und versuchte gar nicht erst, die komplett beschissene Lage und das absolut nicht zielführende Gespräch mit Iljah zu beschönigen. "Ich hab dir versprochen, dass du heute Abend mit einer Antwort von mir rechnen kannst, was die ganze... na ja, intime Geschichte angeht... du weißt schon.", plapperte ich ohne weiteres darauf los und unterstrich die letzten Worte mit einer wegwerfenden Handbewegung, die meine Einstellung zu dem ganzen Thema bereits ganz treffend auf den Punkt brachte. Dabei war sie ja eigentlich gar nicht so schlecht, nur die jüngsten Entwicklungen ließen mich einfach hörbar unzufrieden darauf zu sprechen kommen, aber es half ja alles nichts. Um einen Fristaufschub bat ich in der Regel nur äußerst selten und würde mir nach den ohnehin schon zahlreichen Erniedrigungen nicht noch ein weiteres Mal freiwillig die Blöße geben, ihm erneut in den Arsch zu kriechen und ihn um etwas zu bitten, dass ich eigentlich gar nicht wollte. Ich entschloss mich also dazu, einfach die bis hierhin erlangten Erkenntnisse, sowie Überlegungen offen und unverblümt darzulegen. Dann konnte der Norwegers ganz alleine entscheiden, was er mit diesen Informationen letztlich anstellte und inwieweit es sich dann für ihn noch lohnen würde, sich um meine Gunst zu bemühen. Also atmete ich einmal tief durch und rieb mir mit der Hand einer der durch das Telefonieren überstrapazierten Arme über das Gesicht. "Tja, was soll ich sagen... aus dem Plan, den ich mir vor ein paar Stunden zurecht gelegt hatte, wird wohl leider nichts und ich befürchte, dass es deshalb darauf hinaus laufen wird, dass ich an den von mir vernachlässigten Grenzen festhalten möchte, beziehungsweise... muss.", setzte ich verhältnismäßig ruhig an und suchte dabei den Blick des jungen Mannes, um seine Reaktion auf die nachfolgenden Worte genau analysieren zu können. "Ich möchte ehrlich mit dir sein, Tauren, denn das schulde ich dir nach alledem, was du für mich getan hast. Aber für mich gab es genau zwei Optionen: Kuba sehr bald verlassen und deinem guten Aussehen ein bis zwei Mal verfallen oder aber die Grenzen konsequent abzustecken, um Ärger zu vermeiden, sollte ich doch länger hierbleiben. Ich habe gerade mit Iljah telefoniert und er hat mir mitgeteilt, dass ich in Russland in naher Zukunft nicht gebraucht werde, das heißt, dass ich zwangsläufig noch eine Weile hierbleiben werde. Keine Sorge, sobald es mir besser geht, werde ich dich und Richard auch so schnell es mir möglich ist wieder alleine lassen, aber das Kernproblem an der Sache ist, dass ich keine Lust habe, mir irgendwelche Verpflichtungen dir gegenüber aufzuhalsen, nur weil ich mich entgegen der beiden - in meinen Augen - einzigen, gangbaren Lösungen dazu entschieden habe, trotzdem etwas mit dir anzufangen." Eigentlich wäre meine Erklärung ab dem Punkt schon vollkommen ausreichend, das Gespräch quasi beendet gewesen, aber ich musste natürlich noch eins drauf setzen. Schlicht, um dem jungen Mann, der von meinem plötzlichen Redefluss übermannt wurde, unmissverständlich klar zu machen, dass ich für uns beide einfach keine Zukunft sah, wenn wir erst einmal angefangen hatten, uns einander... noch näher kennen zulernen. "Ich weiß nicht, wie du dir diese ganze, abstruse Geschichte in ihrem Verlauf vorgestellt hattest, aber für mich wäre da nicht mehr als ein paar Liebeleien, ein schneller Fick - wobei das auf die klassische Art sicher schwierig geworden wäre - und ein Kuss zum Abschied rausgesprungen, ehe ich mich in den Flieger nach Russland gesetzt hätte - so ganz ohne schlechtes Gewissen, weißt du? Keine Gefühle, keine Verpflichtungen, lediglich die Stimulierung eines Bedürfnisses. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich jetzt aber noch eine Weile auf Kuba bleibe und mich hier darauf konzentrieren muss, mein Geschäft wieder zum Laufen zu kriegen, dann möchte ich mich nicht noch um dein gebrochenes Herz kümmern müssen.", brachte ich die ganze Sache nach einer halben Ewigkeit schließlich auf den Punkt. Ich konnte mich natürlich auch irren und Tauren war auch lediglich auf einen Quickie zwischendurch aus, aber der junge Mann machte mir weniger den Anschein, als würde er seine Zeit am Wochenende damit verbringen, unzählige Weiber aufzureißen. Was im Umkehrschluss aber nicht heißen musste, dass er langfristige Beziehungen lieber hatte und... ach, keine Ahnung. Ich würde mich wohl einfach überraschen lassen, wie er meine sehr direkten Informationen, meine Erklärungen aufnehmen würde und dann wusste ich ja, ob ich die Aussprache von heute früh direkt wieder mit Füßen getreten hatte oder ob er nachvollziehen konnte, wo meine Probleme lagen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das vom Boden hochziehen der jungen Frau gestaltete sich wohl für uns beide ein wenig anstrengender, als das gewöhnlich der Fall war, denn sie kam mir schwerer vor, als sie eigentlich sein sollte. Das lag vermutlich nur daran, dass sie mich unweigerlich mit ihrem Gewicht ein wenig nach vorne zog und ich aktiv stark gegenlenken musste, was im Normalfall gar nicht wirklich notwendig gewesen wäre. Immerhin wog ich deutlich mehr als Sydney und hatte nicht wenig Kraft in den Armen. Aber mein eigener Gleichgewichtssinn war doch merklich angekratzt und so war ich letztendlich heilfroh darüber, dass wir beide im Anschluss auf den Beinen standen und ich nicht auch noch Bekanntschaft mit dem vermutlich sehr harten Boden geschlossen hatte. Das Aufstehen wäre für mich nämlich sicherlich nicht weniger abenteuerlich gewesen als für die Brünette, die mir jetzt ihren Dank zukommen ließ. Ich nickte mit den Worten "Keine Ursache.", ein klein wenig. Für mich war die Aktion von eben eine ziemlich Selbstverständlichkeit, was leider nicht auf jeden hier zutraf. Nicht einzugreifen, wenn eine Frau dermaßen bedrängt wurde, war schlichtweg nicht weniger schlimm als die Tat selbst. Dass Menschlichkeit in den heutigen Zeiten allerdings immer mehr auf der Strecke blieb war mir nichts Neues und so hielt ich Sydney noch ein bisschen weiter fest, während sie mit der anderen Hand ihre Beine unter die Lupe nahm - auch hierbei wieder das ein oder andere Schwanken inbegriffen. Danach ließ ich mich auch ohne jegliche Gegenwehr einfach von ihr mitschleifen, weil ich sowieso nicht gewusst hätte, wo ich sonst jetzt hin sollte. War nicht so als wäre meine Laune nun gänzlich hinüber - dem Alkohol sei dank, der mir weiterhin eintrichterte wie toll er doch war und wie sehr ich ihn vermisst haben musste -, aber sie hatte doch einen Knacks weggekriegt und nach der Situation von eben würde ich Sydney ohnehin nur ungern nochmal hier in Nähe des Clubs länger als eine Minute alleine lassen. Zwar hatte Lucas seine Lektion sicherlich gelernt, hörte man irgendwo im Hintergrund jetzt sehr eindeutige Würgegeräusche, aber es gab noch genug andere von Hunters Streunern hier. Das Risiko ging ich ungern ein und legte stattdessen dann nach ein paar Schritten meinen Arm um ihre Taille. Weit lockerer und weniger bestimmend als der Vollpfosten von gerade eben, aber doch nicht wirklich zögerlich. Schließlich kam sie mir mit ihrem Kopf ja auch entgegen, also hatte sie ganz bestimmt nichts dagegen. Als wir ein paar Meter weit gegangen waren und damit an einer deutlich ruhigeren Ecke ankamen, brachte ich die junge Frau aber doch sachte zum Anhalten und stellte mich vor sie, musterte sie ein klein wenig. Zwar konnte ich auf den ersten Blick keine Verletzungen bezüglich des Sturzes oder den unsanften Pranken des Übeltäters feststellen, erkundigte mich aber doch mit den leicht gemurmelten Worten "Hat er dir weh getan?", bei ihr und fand dabei mit meinen Augen die ihren. "Ich wär ja früher da gewesen, aber Ashton hat mich aufgehalten..", fügte ich noch eine indirekte Entschuldigung hinten an, ehe ich die freie Hand zu ihrer Wange anhob und dort zur Unterstreichung meiner entschuldigenden Worte einmal mit dem Daumen über ihre Wange strich. Mir war einfach danach und der Alkohol ließ mich an der Richtigkeit dieser kleinen Zärtlichkeit auch gar nicht erst zweifeln.
Ich hatte wohl eher damit gerechnet, dass sie sich erst einmal nur über ihren Bruder auskotzen würde, weil er ein Arschloch war oder was auch immer. Nicht aber damit, dass sie mir postwendend lang und breit all die Gedanken auftischte, die ihr bezüglich der noch offenen Frage im Kopf herumschwirrten und das auch noch auf so schamlos taktlose Art, dass mir erst einmal wirklich komplett die Worte fehlten. Ich ihr lediglich mein Gehör schenkte. Eigentlich hatte ich gedacht, dass das Gespräch gestern schon wirklich unangenehm gewesen war, aber das hier stand irgendwie noch mal eine Stufe höher. Einerseits war es natürlich gut, wenn die junge Frau ganz einfach vollkommen ehrlich zu mir war, aber selbst noch so unschöne Wahrheiten konnte man schlichtweg besser verpacken. Mit Einfühlungsvermögen und zumindest einem Hauch Gefühl, statt es mir derart kalt ins Gesicht zu klatschen. Ich wusste zwar schon vorher, dass Vahagn nicht wirklich mit besonders viel Taktgefühl gesegnet war, aber das hier war echt die Krönung. Sie schien es ja nicht einmal im Ansatz für möglich zu halten, dass ich sie nur ohne Weiteres flachlegen wollte, sondern mir stattdessen nur die Zähne an ihr ausbeißen und ihr wie eine Klette am Arsch hängen würde. Ich hatte seit über 8 Jahren keinerlei feste Bindung mehr gehabt, da würde sich das kaum innerhalb von ein paar Minuten Sex ändern. Erst recht nicht, wenn sie es weiterhin beibehielt, mir regelmäßig irgendeine unverschämte Scheiße zu servieren. Vielleicht war ich hier und da eine zu treue Seele, gerade was so derartig kalte Menschen anging - das beste Beispiel war da wohl Hunter, obwohl das natürlich unter ganz anderem Aspekt spielte -, aber ich würde doch ohnehin schon bald wieder damit anfangen für den Amerikaner zu arbeiten und allerspätestens dabei würde mich die Realität wieder einholen. Mein Leben war nicht für eine Beziehung gemacht und wenn Vahagn sich dann sowieso alsbald wieder ihren Geschäften widmete, sich unsere Wege auch vom Wohnen her wieder trennten, würde der Kontakt ziemlich sicher schnell abnehmen. "Das... wow. Einfach nur wow.", waren meine ersten Worte, die ich nach einem hörbar angesäuerten Schnauben von mir gab. Das Entsetzen stand mir zu jenem Zeitpunkt wohl noch ziemlich fett ins Gesicht geschrieben. Sie hatte es innerhalb von ein paar wenigen Sätzen geschafft, dass mir zum jetzigen Zeitpunkt wirklich jegliche Lust auf Sex mit ihr vergangen war. Einfach nur, weil sie sich schon wieder so eklig kaltherzig verhielt, obwohl sie das verdammt nochmal gar nicht sein musste. "Schon mal was davon gehört, Dinge einfach auf sich zukommen zu lassen? Erstens kann man Gefühle nicht steuern, auch nicht mit vorheriger Absprache", legte ich erst einmal eine unwiderrufliche Tatsache dar, die ich durch eigene Erfahrungen bestätigen konnte. Nicht nur durch unerwartet entstandene Gefühle meinerseits, sondern auch aus Sicht der ein oder anderen Frau betrachtet, die sich bei regelmäßigem Sex recht leicht etwas zu sehr an mich gehängt hatten. Seitdem hatte ich einfache One Night Stands etwaigen Fickbeziehungen vorgezogen. Aber nur ein einziges Mal miteinander zu schlafen war vermutlich schwer umzusetzen, wenn man im selben Haus wohnte und nach dem ersten Mal Sex wusste, was der andere zu bieten hatte. "und zweitens hatte ich seit acht Jahren schon keine Beziehung mehr, weil sich das als Drogendealer oder Mörder einfach nicht besonders gut macht. Ich hätte dich was das angeht also durchaus beruhigen können.", vollendete ich grummelnd und gen Ende hin ironisch meinen Satz, weil ich eben doch einfach ziemlich genervt von ihrer abgehobenen Art war. Ebenso wie von der Tatsache, dass sie scheinbar ziemlich stark davon ausging, dass ich ihr wie ein hechelnder Köter hinterher rennen würde, sobald wir uns einmal aufeinander eingelassen hatten. "Aber ich glaub mir ist jetzt so oder so ziemlich die Lust darauf vergangen.", stellte ich kopfschüttelnd fest und drehte den Kopf dann erstmal wieder in Richtung Fernseher. Natürlich würde mir das Nein sagen sehr wahrscheinlich schwer fallen, wenn sie sich wie vom Teufel besessen einfach nackt auf meinen Schoß schmeißen würde, aber erstens war das unwahrscheinlich und zweitens änderte das nichts an ihren vorangegangenen Worten. Ich wünschte wirklich, sie hätte mir einfach heute Mittag schon ins Gesicht gesagt, dass ich wenn überhaupt, dann maximal für ein oder zwei Nächte taugte, nach denen sie dann flüchten und mich wegschmeißen konnte, nur damit nicht mal ansatzweise die Möglichkeit aufkam, dass sie selbst anfangen könnte mich auch nur ein bisschen zu viel zu mögen. Vielleicht war ich allgemein ziemlich sensibel, aber auf meiner Stirn stand trotzdem nach wie vor nicht Fußabtreter geschrieben.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Nüchtern - im wahrsten Sinne - betrachtet, brauchten Sabin und ich für die paar Meter bis um die nächste Ecke doch überdurchschnittlich lange, was nicht zuletzt daran lag, dass ich mir viel Zeit nahm, mich darauf zu konzentrieren, einen Fuß unfallfrei vor den anderen zu setzen. Ein Abgang am heutigen Abend war in meinen Augen vollkommen ausreichend und da uns ohnehin niemand hetzte, wir unser eigener Herr waren, hatten wir in meinen Augen alle Zeit der Welt. Zwar wurde ich mittlerweile echt müde und eine schnelle Heimreise wäre dahingehend nur von Vorteil gewesen, aber das Adrenalin würde mich ohnehin noch eine ganze Weile lang wach halten, also war das alles halb so wild. Dieses kleine, aber feine Hormon war zwar in mancherlei Hinsicht ein echter Allrounder, verlieh es einem außergewöhnliche Kräfte, ließ einen verdammt schnell laufen oder noch lange wachsam die Augen offen halten, aber ab einer gewissen Menge an Alkohol, der die Sinne betäubte, ließ es einen nicht mehr zu einhundert Prozent gerade stehen und problemlos laufen. Deswegen war ich Sabin ganz dankbar, dass er relativ bald, nachdem wir den Ort des Geschehens verlassen hatten, einen Arm um mich legte, um präventiv einen weiteren Sturz meinerseits zu vermeiden. Meine Beine wurden nämlich immer schwerer und ohne sein entsprechendes Gegengewicht hätte es mich sehr bald ziemlich sicher noch ein weiteres Mal zu Boden gerissen. Anders als bei unserem Freund Lucas, der sich gerade den Fausthieb in die Magengegend schmecken ließ, hegte ich bei Sabin außerdem überhaupt gar keinen Gedanken daran, dass er etwas im Schilde führen könnte. Nicht so, wie das bei den zwei Idioten der Fall gewesen war. Schließlich wusste ich, hatte mich mehrfach davon überzeugen können, dass er einfach sehr viel reifer im Kopf war und sich seinem Alter entsprechend verhielt, wenn es um Themen wie Respekt oder Anstand ging. Das konnte man von einem ehemaligen Vater zwar durchaus erwarten, aber in diesem Metier würde ich so etwas noch lange nicht als Selbstverständlichkeit in Stein meißeln. Trotzdem sah ich keinerlei Grund zur Aufregung, weil er mich ja auch zeitnah schon wieder los ließ. Falls mir also der Sinn danach gestanden hätte, wäre jetzt sicherlich ein guter Zeitpunkt gewesen, das Weite zu suchen, aber warum sollte ich das tun? Mal ganz abgesehen davon, dass ich maximal zwei Schritte machen würde, bis ich wie ein Kartenhaus in mich zusammenfiel und liegen blieb. So lange, bis mich der örtliche Rettungsdienst auflesen und ins nahe gelegene Krankenhaus einliefern würde. So ganz los ließ mich Sabin jedoch nicht, was ich feststellte, als wir um die Ecke gebogen waren, um eine kurze Pause einzulegen. Eine Hand hielt mich nach wie vor an der Schulter, minimierte damit das alkoholisierte Schwanken, während sich die andere Hand an meiner Wange wieder fand. Ein paar Sekunden lang hatte ich noch auf den Boden, schließlich gegen Sabins Brust gestarrt, als jener sich vor mir eingefunden hatte, bis ich bei seinen Worten zu ihm nach oben sah. Mein Blick fixierte - oder versuchte es zumindest - den seinen, als ich dabei war, zu verstehen, was hier gerade passierte. Klappte zwar nur so semi-optimal, aber grundlegend war das zur Beantwortung der Frage auch erst mal irrelevant, was die Hand, welche sich so unglaublich warm und weich anfühlte, jetzt in meinem Gesicht zu suchen hatte. Ich schmiegte mir einfach wortlos ein wenig an sie und genoss das zärtliche Streicheln, ohne weiter etwas dazu zu sagen - nahm es quasi einfach so hin, als wäre es das Normalste der Welt. "Ich... nein, mir geht es gut. Also bis auf den Sturz natürlich und... eh, das mein Kleid jetzt kaputt ist.", stammelte ich nachdenklich und sichtlich überfordert mit der Situation vor mich hin. "Bist ja gerade noch mal rechtzeitig gekommen...", fügte ich noch weitere Worte hinten dran und tat damit seine indirekte Entschuldigung mit einem schwachen Lächeln ab. Klar, hätte es vielleicht gar nicht erst so weit kommen müssen, dass ich mich in den Armen dieses Schmierlappens wiederfand, aber es war ja Gott sei Dank noch nicht viel passiert. Ich würde ihm also gerade noch einmal verzeihen, dass er sich hatte aufhalten lassen - ha ha.
Ich hatte ja bereits erwartet, dass Tauren alles andere als begeistert davon sein würde, wenn ich ihm mitteilte, dass da zwischen uns nichts weiter laufen würde, weil ich es mir schlicht einfach nicht erlauben konnte, aber mit dieser Art von trotziger Reaktion stieß er bei mir auf vollkommenes Unverständnis. Was hatte ich denn nun schon wieder falsch gemacht, dass er so bockig reagieren musste? Mir dann auch noch Dinge an den Kopf warf und vermeintliche Tatsachen darlegte, bei denen ich mich echt beherrschen musste, nicht laut loszulachen, weil sie einfach so vollkommen absurd und weit hergeholt waren, dass ich mir ernsthaft die Frage stellte, ob er das jetzt wirklich ernst meinte. "Ich verstehe gerade echt nicht, wo jetzt dein verdammtes Problem liegt. Warum zickst du mich denn jetzt an, nur weil ich dir sage, was Sache ist? Ich dachte, ich soll ehrlich mit dir sein oder trifft das nur auf Dinge zu, die du auch hören willst?", fragte ich sichtlich verwirrt, nicht einmal ein Bisschen ironisch, weil ich es wirklich nicht verstand. In meinen Augen hatte ich mich ausnahmsweise einmal nicht falsch verhalten, hatte ihn nicht an der Nase herum geführt, sondern war mit der Tür ins Haus gefallen, so wie er das vor nicht allzu langer Zeit von mir verlangt hatte. Dass seine miese Laune bloß daher rührte, dass ich alles andere als taktvoll oder einfühlsam an die Sache herangegangen war, konnte ich ja wohl nicht riechen, weil ich hinsichtlich dieser Attribute wohl einfach blind war. Nicht mitbekam, wenn ich eine Aussage vielleicht etwas schöner hätte verpacken sollen, weil es den Gegenüber verletzte. "Außerdem... was redest du da eigentlich? Es gibt Dinge, die will ich schlicht und ergreifend nicht auf mich zukommen lassen, aus verschiedenen Gründen..." Meine Augenbrauen zogen sich beinahe reflexartig zusammen und mein Oberkörper straffte sich, weil ich den Norweger etwas perplex ansah. Ich meine... klar, war ich sicher nicht gänzlich immun gegen Gefühle, sollte dich das blutige Stück Schrott in meiner Brust noch einmal dazu aufraffen können, so etwas wie Liebe zu verspüren, aber selbst wenn, wusste ich, wie ich damit umzugehen hatte. Entweder musste derjenige dann sterben oder aber ich packte meine sieben Sachen und war weg, um aufkeimende Gefühle direkt von Anfang an zu unterbinden. Und da letzteres sich momentan schwierig gestaltete, sollte die eingeschnappte Mimose unweit von meiner eigenen Person besser dafür beten, dass ich mich nicht in ihn verlieben würde. Ich konnte mir das einfach nicht leisten, mich von Gefühlen verweichlichen zu lassen, wenn mein Geschäft darauf wartete, von mir wieder aufgebaut zu werden. Eventuell hätte ich für so etwas Schwachsinniges wie eine Beziehung ja Zeit und Lust gehabt, wenn der Hangar in Italien noch stehen würde, aber unter den aktuellen Umständen hieße das für mich nur noch mehr Ballast und dafür hatte ich schlichtweg weder die Zeit, noch die Kraft. Na ja, abgesehen davon gab es da dann noch eine weitere Aussage seitens Tauren, die mich ebenfalls nur verständnislos mit dem Kopf schütteln ließ. Das, was er da gerade gesagt hatte, stand doch dann im kompletten Widerspruch zu seinem Verhalten, wenn man mich fragte. "Wenn dir die Lust ohnehin vergangen ist, was machst du hier dann so ein Fass auf? Ist dann nicht eigentlich alles in bester Ordnung, weil wir die Sache damit ein für allemal geklärt hätten?", stellte ich also zwei weitere, sehr direkte Fragen an den jungen Mann, der seinen Blick inzwischen von mir abgewandt hatte. Ich sah ihn jedoch weiterhin eindringlich an, versuchte aus seiner Reaktion schlau zu werden, was mir wirklich schwer fiel. Lag wohl aber nicht zuletzt auch daran, dass ich kein besonders empathischer Mensch war. Noch dazu war ich ziemlich von mir selbst überzeugt und tat mir schwer damit, meine Fehler zu analysieren und mir diese dann einzugestehen, weil ich in meinen Augen hier und jetzt einfach keinen gemacht hatte, verdammt noch mal. Aber einfach gehen und die Sache so auf sich beruhen lassen wollte ich dann auch wieder nicht, weil offensichtlich war, dass Tauren noch irgendein Problem zu haben schien, das ihm auf der Seele lag. Und auch wenn meine Nerven bereits bis zum Zerbersten gespannt waren, würde ich gerne wissen, was ich falsch gemacht hatte.
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Immerhin schien Sydney trotz meines verspäteten Eintreffens nicht wirklich etwas zu fehlen. Natürlich war die Landung auf dem Boden dennoch reichlich unsanft gewesen und brachte ihr mit ein bisschen Pech bestimmt auch ein, zwei blaue Flecken ein. Das war angesichts einer anderweitigen Vergewaltigung - ich war mir für meinen Teil nämlich nicht sicher, ob das Arschloch davor Halt gemacht hätte - aber das deutlich kleinere Übel, daran gab es keinen Zweifel. Um das Kleid war es aber wirklich ein bisschen schade. Ich vertrat weiterhin die Ansicht, dass es den Körper der Brünetten sehr gut zur Geltung brachte und das auch ohne hohe Absätze. Allerdings würde ich da wohl auch nicht nein sagen. Es hatte einfach was für sich, wenn eine Frau mit eleganten, gezielten Schritten auf hohen Absätzen mit dem gewissen dezenten Hüftschwung auf einen zukam. Unweigerlich flackerte kurzzeitig Sydney in schwarzen, viel zu verboten lange, schlanke Beine zaubernden Absätzen vor meinem inneren Auge auf. Mir selbst war dabei aber gar nicht wirklich bewusst, dass mein Gedankengang in eine vielleicht nicht ganz optimale Richtung verlief. Der Alkohol verschleierte ganz gekonnt, dass die Amerikanerin eventuell nicht die optimale Wahl für irgendwelche Avancen war. Nicht wegen ihrer Person an sich, sondern weil sie in mein eigenes Netzwerk inzwischen viel zu eng verstrickt war und das unschöne Komplikationen geben könnte, wo wir beide uns doch auch noch ein Zimmer teilten. "Hmm, ist wirklich schade um das Kleid...", ließ ich Sydney wissen, dass mindestens mein betrunkenes Ich dem Kleid ein bisschen nachtrauern würde. Ich schlang meinen Arm dabei ganz von allein etwas enger um ihre Taille, was sie unweigerlich noch ein Stück näher zu mir hinbrachte. Vielleicht war ich einfach schon ein bisschen zu lange verhältnismäßig einsam. Nicht allein, war doch fast immer irgendwer um mich herum gewesen, seit ich nach Norwegen gekommen war, aber das ersetzte einem nicht die ab und an einfach nötige Körpernähe. Natürlich spielte der Alkohol an diesem Punkt eine große Rolle und eventuell auch die zahlreichen, viel zu knapp bekleideten und nicht selten gutaussehenden Frauen, die sich gefühlt überall im Club befunden hatten. Vielleicht reizte mich das mehr nur unterbewusst zusätzlich, war aber in Kombination mit dem Alkohol einfach sehr provokant. Und wieso eigentlich nicht? Wir verstanden uns sonst doch auch gut und waren ziemlich auf der selben Wellenlänge, was sollte da mit ein oder zwei Küssen schon passieren? "...andererseits siehst du darin vielleicht sogar schon ein bisschen... zu gut aus.", murmelte ich zu ihr runter, als ich ihrem Gesicht mit meinem doch schon merklich näher gekommen war. Mein Daumen setzte sich indessen wieder in Bewegung, strich sachte ihren Kiefer von ihrem Ohr an bis nach vorne zu ihrem Kinn entlang. Ich hatte meine Augen bis zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich von ihren abgewandt, rutschte erst jetzt mit dem Blick nach unten zu ihren Lippen ab. Mir war schon vorher mal aufgefallen, dass sie wirklich schön geschwungene, volle Lippen hatte, nur hatte ich mich an diesem Gedanken noch nie so aufgehängt wie in diesem Moment. Gänzlich die Gefahr einer folglich kaputten Freundschaft ignorierend näherte ich mich ihr noch weiter, sah ihr nur noch einen kurzen Moment lang in die Augen, bevor ich meine Lider sinken ließ und sie einfach aus dem Affekt heraus küsste. Nicht zu stürmisch, eher noch ein bisschen vorsichtig, aber durchaus selbstbewusst.
Das war jetzt wieder einer dieser Momente, in denen ich verstand, warum wohl so ziemlich jeder andere, der die Brünette kannte, sie für ein unnahbares Biest hielt. Vielleicht verschloss ich oft ganz gerne die Augen davor, wie kalt sie sein konnte, weil ich sie eben teilweise ganz anders kannte... dass das keine so gute Idee war, machte sie mir hier ziemlich deutlich. Denn egal wie nett wir uns manchmal unterhielten, war sie doch auf der anderen Seite nach wie vor einfach rein menschlich gesehen komplett verkrüppelt. Vielleicht hatte sie sowas wie Taktgefühl und Manieren einfach nie beigebracht bekommen und man könnte ihr in diesem Fall dann vermutlich nicht einmal wirklich einen Vorwurf machen, aber es war einfach hochgradig unangenehm. Tat weh, wenn auch nicht auf irgendeiner Art von gefährlicher Ebene. Außerdem hatten mich meine Eltern auch nur wenig bis gar nicht erzogen, weil sie ja beide permanent auf der schiefen Bahn gewesen waren, also war das wirklich keine gute Ausrede dafür. "Weil man so ganz einfach nicht mit Anderen umgeht, Vahagn. Klartext reden ist eine Sache, es auszulegen wie ein menschlich verkrüppelter, alles genau analysierender Professor ohne auch nur einen winzigen Funken Taktgefühl, verdammt nochmal aber eine andere.", murrte ich zynisch vor mich hin, ohne dabei wieder die Augen auf sie zu richten. Genauso wie ich wusste, dass sie manchmal gefühlt gar kein Herz besaß, müsste die Russin inzwischen nämlich wissen, dass ich hier und da schlichtweg sensibel war. Wenn ich ständig versuchte auf sie einzugehen, dann konnte sie das ganz einfach auch mal für mich tun und nachdenken, bevor sie etwas derartiges von sich gab. Ich verstand nicht, wie sie das wirklich nicht einmal im Ansatz begreifen konnte. Mir war inzwischen dann auch egal, was ihre angeblich ach so guten Gründe dafür waren, nicht hier und da einfach mal nur nach Gefühl zu handeln, statt etwaige Abläufe im Voraus zu planen und abzustecken. Sollte sie sich ruhig weiter in ihrer Eishöhle verkriechen, aber ich würde nicht ewig weiter immer wieder hineinkriechen um sie zu wärmen. Vielleicht genoss sie die Kälte einfach viel zu sehr, um sich an die Wärme gewöhnen zu wollen. Also löste auch dieser Satz nicht mehr als nur ein leises Schnauben, dicht gefolgt von dem nächsten Kopfschütteln aus. Was sollte ich dazu auch noch groß sagen? Sie von etwaigen anderen Möglichkeiten überzeugen zu wollen würde absolut ins Leere verlaufen, so wie ich sie kannte. Bei Vahagns letzten Worten drehte ich meinen Kopf aber doch wieder zu ihr rüber. Allerdings nur, weil ich wollte, dass sie vielleicht wenigstens einen Hauch all der negativen Emotionen in meinem Inneren aus meinen Gesichtszügen lesen konnte. "Es geht mir nicht um Sex oder nicht Sex, Vahagn. Es geht mir darum, dass du mir immer wieder im übertragenen Sinn ins Gesicht spuckst, obwohl ich mir jeden verfluchten Tag Mühe damit gebe, dass es dir an nichts fehlt. Genauso wie ich darauf eingehe, dass du deinen Freiraum brauchst und bloß nicht zu oft nach Hilfe fragen musst, indem ich dir ganz einfach ungefragt helfe und das damit umgehe, könntest du auch einfach mal darauf eingehen, dass ich ein bisschen sensibler bin als die ganzen Arschlöcher, mit denen du sonst verkehrst. Ich hab echt langsam die Schnauze voll davon diese beschissene Einbahnstraße zu fahren. Ja, ich helfe dir gern und freiwillig - aber das hat Grenzen und ich bin kein blöder Fußabtreter.", ließ ich ebenso wie sie vorher meinen Gedanken freien Lauf und stand dann auf. Sammelte die Bierflasche vom Tisch, bevor mein Blick die junge Frau noch einmal traf. "Mir egal wo du pennst, aber denk mal über dein beschissenes Verhalten nach.", ließ ich ihr über den niedrigen Tisch hinweg noch ein paar Worte zukommen, bevor ich mich abwendete, um nur noch zuerst die Bierflasche zurück in den Kasten in der Speisekammer zu stellen, dann duschen zu gehen und mich im Anschluss bettfertig zu machen. Das Duschen würde mich hoffentlich zumindest ein bisschen entspannen und außerdem hatte ich bei der Tour mit dem Skateboard auch einfach ziemlich geschwitzt, wollte so nicht in die Laken. Eigentlich hatte ich nur wenig Lust darauf die Brünette womöglich auf meiner Matratze wiederzufinden, aber ich stand zu meinem Wort von heute morgen und würde das nicht revidieren... obwohl ich echt genug Gründe dafür hätte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Tja, eigentlich würde mich das kleine Malheur ja nicht weiter stören, hätte ich genug Geld, das Kleid ganz einfach durch ein neues, vielleicht noch hübscheres Stück zu ersetzen, aber damit war meine bislang einzige Abendrobe hinüber und solange ich hier keinen Job fand, würde das vermutlich auch noch eine ganze Weile lang so bleiben. Ich seufzte resigniert, zuckte nur leicht mit den Schultern. Na dann war das nun mal so, ändern konnte ich es jetzt ohnehin nicht mehr und dem Teil noch länger nachzutrauern machte es auch nicht wieder ganz. Ich wollte also gerade abwinken und Sabin eher pro forma fragen, ob das für ihn in Ordnung ginge, wenn wir uns langsam auf den Heimweg machten - ich ging jedoch schon jetzt davon aus, dass da absolut nichts gegen sprach -, als er plötzlich vollkommen unerwartet noch ein weiteres Mal das Wort ergriff. Dieses Mal ging es jedoch nicht um das Kleid, dessen Verlust er ebenso zu bedauern schien, wie ich selbst, sondern eher um die Dame, die darin steckte. In dem Fall ging es also um mich, was ich erst zu realisieren begann, als der Italiener mich schon mit seinen Blicken gefangen genommen hatte und seine Hand an meiner Wange auf Wanderschaft ging, er mir allgemein ziemlich nahe kam. Wie war das? Ich hatte mit ihm an meiner Seite keine dummen Gedanken zu befürchten? Ich musste ihn ziemlich überrascht und ein wenig perplex angesehen haben, merkte ich doch, wie mir der Mund offen stand und ich absolut nicht in der Lage war, auf diese Aussage irgendetwas Brauchbares zu erwidern. Zwar hatte ich angefangen, nach einer passenden Reaktion in meinem Oberstübchen zu recherchieren, aber bis dabei etwas herum gekommen war, lagen die Lippen des jungen Mannes auch schon auf den meinen und verwickelten sie in einen liebevollen, fast leidenschaftlichen Kuss. Anfangs hatte ich noch dagestanden wie der Ochs vorm Scheunentor, weil der Alkohol mich im Denken einfach viel zu sehr einschränkte, als dass ich zeitnah alle Teile des Puzzles zusammen gesetzt bekam. War dann aber auch gar nicht weiter schlimm, dass hier und da noch ein Stück fehlte, weil das Herz, welches keine Rezeptoren vorzuweisen hatte, die durch die leckeren Cocktails beeinflusst werden konnten schließlich das Ruder übernahm. Es signalisierte mir mit dem klassischen Herzstolpern, welches fälschlicherweise als ein Aussetzen des Herzschlags interpretiert wurde, obwohl genau das Gegenteil der Fall war, dass das hier schon alles seine Richtigkeit hatte und so in Ordnung ging, ich keine Angst haben müsste, dass mich der gut aussehende Mann nicht gehen ließ, selbst wenn ich ihn inständig darum bat. Meine Augen, die ich bis zu dieser Erkenntnis noch geöffnet hatte, schlossen sich prompt und ich gab mich voll und ganz, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, Sabin und seinen Lippen hin. Es wirkte sich leider nur ein wenig negativ auf meinen Gleichgewichtssinn aus, wenn ich so gar nichts mehr sah und trotzdem noch von mir verlangt wurde, aufrecht und gerade zu stehen. Deshalb wanderte die rechte Hand an Sabins muskulösen Oberarm, um mich dort an ihm festzuhalten, während die Linke noch ein Stück weiter nach oben bis zu seiner Wange wanderte, wo sie schließlich inne hielt. Es wirkte womöglich etwas unbeholfen - konnte man mir das nach der Aufregung und dieser Aktion hier denn jetzt wirklich verübeln? -, wie ich mit zittriger Hand über die gestutzten Bartstoppeln strich. Ich hätte mich ihm jetzt liebend gerne noch ein wenig entgegen gestreckt, leider war das unter den aktuellen Gegebenheiten etwas schwierig, weshalb nun doch auch die rechte Hand zum effektiven Einsatz kam. Vorsichtig tastete ich mich an dem, unter dem Hemd versteckten, Oberarm weiter nach oben, wo sie parallel zur linken Hand in der Halsbeuge lag, aber von dort noch ein Stück weiter bis in seinen Nacken wanderte, damit ich mich wenig später noch etwas enger an ihn heran ziehen konnte. Verdammt, vielleicht wären hohe Schuhe doch gar nicht mal so verkehrt gewesen, denn es war alles andere als angenehm, sich so strecken zu müssen, um an die Lippen von Sabin heran zu kommen, aber ablassen wollte ich jetzt so schnell auch nicht mehr, wo er mich einmal ziemlich unverhofft auf den Geschmack gebracht hatte. Er war nun mal ein ganzen Stück größer, als ich, was ich im Alltag bis jetzt gar nicht so bewusst wahr genommen hatte. Warum auch? In der Regel standen wir nebeneinander und verhielten uns wie... normale Freunde eben. Menschen, die miteinander kommunizierten, ohne sich zu lieben oder die Gunst des jeweils anderen für sich gewinnen zu wollen. Dass er so offensiv vor mir stand, kam dabei nur äußerst selten mal vor - wie beispielsweise vorhin im Schlafzimmer, als ich ihm das Kleid vorgeführt hatte. Jedenfalls suchte ich mir meinen Freundeskreis ganz bestimmt nicht anhand der Körpergröße aus, weshalb es mich jetzt doch positiv überraschte, wie - im wahrsten Sinne - überragend groß Sabin doch eigentlich war.
Aha, daher wehte also der Wind. Ich war dem feinen Herr mal wieder nicht einfühlsam genug, was mich im direkten Anschluss an diese Anschuldigung genervt mit den Augen rollen ließ. Tauren müsste doch mittlerweile eigentlich geschnallt haben, dass ich mir dahingehend einfach ein bisschen schwer tat, ohne das wirklich böse zu meinen und hätte er mich in einem ruhigen Tonfall darauf angesprochen, dann... nein, hätte ich vermutlich trotzdem nichts revidiert oder beschönigt, weil ich dann von seiner Unterbrechung und der, wie er es so schön auf den Punkt traf, sensiblen Art einfach dermaßen genervt war, dass es mich dann auch nicht weiter interessierte, was er diesbezüglich zu sagen hatte. Faktisch gesehen war das aber doch auch vollkommen egal, weil ich dem Norweger bestimmt schon mehr als ein Mal klar gemacht hatte, dass er bei mir lange auf Empathie und Einfühlungsvermögen warten konnte. Das hatte doch aber absolut nichts mit ihm persönlich zutun, so wie er das gerade hinzustellen versuchte. Das war nun mal einfach so gar nicht ich. Nicht mehr, zumindest. Vor ein paar Jahren war das vielleicht noch anders gewesen, aber mittlerweile hielt ich von diesen Charaktereigenschaften an mir selbst nur noch recht wenig, wusste man durch meine unverblümte Art doch eigentlich immer sofort, woran man an mir war. Und dass sich das Biest in mir nicht so schnell verabschiedet hatte, hätte einem ja wohl klar sein können, oder? Trotz der ausführlichen Erklärung seitens meines Gegenübers verstand ich das ganze Tohuwabohu einfach nicht und behielt das verständnislose Kopfschütteln einfach bei. Auch die darauffolgenden Worte sollten nicht wirklich Licht ins Dunkeln bringen, sondern mich eher noch sehr viel verwirrter und auf einer Ebene, die so schnell kein Tageslicht sah, verletzt zurück lassen. Nur, weil ich in diesem Punkt seiner Meinung nach nicht korrekt auf ihn eingegangen war, wollte er wirklich die Schau mal, was ich bis jetzt alles für dich getan hab-Karte spielen, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen? Keine Ahnung, was er sich davon erhoffte, aber ich wusste, dass ich mich ihm künftig wohl nicht mehr so bereitwillig öffnen würde, wie ich das die letzten Tage über gerade wegen seines fürsorglichen Verhaltens getan hatte. Ihm dadurch mehr oder weniger meinen Dank ausgesprochen hatte, weil mir Worte in diese Richtung einfach verdammt schwer über die Lippen kamen. Klar, waren wir hier und da weiterhin aneinander geraten, angeeckt, aber ich brauchte eben meine Zeit, um die Schlüssel zu meinem Herzen sortiert zu bekommen, um ihm auch ja den Richtigen anzureichen - einen nach dem anderen, damit er sich die traumatischen Erlebnisse - und damit auch die step by step Entwicklung meines Charakter - hinter jeder Tür einzeln anschauen und beurteilen konnte, bis der große Showdown bevorstand. Dass er diesen Prozess als eine Einbahnstraße ansah, traf mich hart und ich musste mir ziemlich unangenehm auf die Zunge beißen, damit mein Körper gar nicht erst auf die blöde Idee kam, meine Tränendrüsen jetzt hier in die ganze Geschichte mit einbinden zu wollen. "Okay, ich verstehe.", war alles, was ich als Teillüge und mit heiserer Stimme noch hervorbrachte, als Tauren vom Sofa aufstand und Anstalten machte, gehen zu wollen. Aufhalten würde ich ihn ganz sicher nicht, dafür sehnte ich mich zu sehr nach ein bisschen Ruhe, um den Rückschlag zu verarbeiten. Ich mochte vielleicht nicht über all meine Fehler ganz genau Bescheid wissen, aber ich wusste, dass ich - bei Gott - nicht perfekt war und überdurchschnittlich viele Ecken und Kanten mit mir herum schleppte, an denen sich andere stoßen konnte, aber der Norweger hatte mir bis jetzt einen sehr geduldigen Eindruck gemacht und mir den Anschein vermittelt, als könnte er mir tatsächlich helfen, einen Teil meiner Last abzulegen, die mein Gemüt so drückten und auch wenn meine Worte eingangs harsch gewesen sein mochten - gerade deshalb hätte er sich ganz bestimmt als ein guter Freund entwickelt, wenn er mir einfach noch ein wenig Zeit gegeben hätte. Mehr, als diese paar Stunden am heutigen Tag, wo ich Hals über Kopf Entscheidungen treffen musste, weil ich mich selbst einmal mehr so unter Druck gesetzt hatte. Ich sah dem jungen Mann noch kurz nach, wie er erst in die Küche und schließlich in den Flur verschwand, ehe sich mein ziemlich leerer Blick auf meine Hände richtete, die ich indessen vor meinen Bauch ineinander verschränkt hatte. Ja, ich würde wohl mal über mein beschissenes Verhalten nachdenken und mich einmal mehr dafür rügen, zu glauben, dass es da draußen doch tatsächlich noch jemanden gab, der irgendwann in ferner Zukunft mit dem letzten Schlüssel in der Hand dastand. Angeschlagen von all dem Leid, das er gesehen hatte, aber standhaft und bereit für den letzten Kampf. Tja, aber ob und wenn ja, wann das sein würde wusste wohl nur der liebe Gott. Ich saß bestimmt noch anderthalb Stunden beinahe reglos auf diesem verfickten Hocker, wo ich das Gespräch von gerade eben noch einmal Revue passieren ließ, bis mir irgendwann der Rücken weh tat und auch die Verletzungen sich zu Wort meldeten, dass sie jetzt ganz gerne schlafen gehen würden. Ich hatte die Zeit ausgiebig darin investiert, mir die Frage zu stellen, wie sich das Leben eigentlich so einfach gestalten ließ, wie es bei Tauren oder Richard auf den ersten Blick den Anschein machte. Bei letzterem konnte ich verstehen, dass es die Drogen waren, welche all die Schmerzen betäubten, aber was bitteschön trieb Tauren an, jeden Morgen aufzustehen und beinahe nur das Gute am Leben zu sehen? Ich konnte es keinen Meter nachvollziehen und das hatte sich auch nach etwa neunzig Minuten nicht geändert, weshalb ich resigniert aufstand und mir unter Schmerzen über das Gesicht rieb. Mir egal, wo du pennst... waren seine Worte gewesen und ich überlegte einen Moment lang, ob ich nicht einfach hier im Wohnzimmer bleiben würde, weil ich wenig Lust hatte, jetzt noch eine Diskussion anzuzetteln, indem ich mich wortlos neben ihn ins Bett legte. Andererseits war die letzte Nacht auf dem zum Sitzen eigentlich sehr bequemen Sofa wirklich die Hölle gewesen und ein weiteres Mal würde ich sehr gerne umgehen wollen. So trugen mich meine Beine nach einem kurzen Abstecher in die Küche - ungeachtet dem aktuellen Schweregrad meiner Verletzungen, entschied ich mich dort nämlich für eine ganze Oxycodontablette - und ins Bad also tatsächlich in das Schlafzimmer des jungen Mannes, der mit dem Rücken zur Tür lag. Kam mir ganz gelegen, denn falls er noch wach sein sollte, sah er mich wenigstens nicht mit seinem vorwurfsvollen Blick an und erschwerte mir somit nicht noch zusätzlich das Einschlafen, was mir ohnehin schon verdammt schwer fallen würde, weil doch in den letzten zwei Tagen - ach, was redete ich denn da... in den letzten vierundzwanzig Stunden - einfach derart viele Narben in meinem Inneren aufgerissen waren, dass ich tröpfchenweise meinen Verstand zu verlieren drohte. Ich hatte mir auf dem Weg hierher noch die Decke aus dem Wohnzimmer mitgenommen, um meinem Bettgenossen keine weiteren Umstände zu bereiten und so versuchte ich möglichst leise den für mich offensichtlich freigehaltenen Platz einzunehmen, ohne ihn aufzuwecken, falls er bereits schlafen sollte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Was ich gemacht hätte, wenn nur ich von dieser Schnapsidee gerade hellauf begeistert war und Sydney eher nicht so der Sinn nach Körperkontakt stand? Vermutlich hätte ich mich aufrichtig entschuldigt und ihr vergewissert, dass das so nicht mehr vorkommen würde, solange sie das eben nicht wollte. Das hätte wohl insgesamt für einen sehr unschönen Moment gesorgt, aber ich schien Glück zu haben - die Amerikanerin wirkte zwar so, als würde sie alles in allem noch einen kurzen Moment dazu brauchen, um das das Ganze zu begreifen, kam mir letzten Endes aber sogar noch mehr entgegen. Nicht zuletzt womöglich auch wegen des Sinne raubenden Alkohols, aber sie war ja zum Glück nicht schwer und auch nicht besonders groß. Die junge Frau so ein bisschen mit auszubalancieren und festzuhalten war also glücklicherweise noch im Bereich des möglichen und so führte ich den Kuss mit Sydney einfach noch eine ganze Weile fort. Es ließ sich schlicht nicht leugnen, dass es sich gut anfühlte mal wieder Jemanden zu küssen, zu dem auch anderweitig eine Bindung bestand. Mir war nicht mehr so sehr nach irgendwelchen flüchtigen Bettbekanntschaften, wie das in meinen jüngeren Jahren der Fall gewesen war. Das war dann zwar immer noch besser als gar keinen körperlichen Kontakt zu Frauen zu haben, aber ich würde mich wohl trotz meines reichlich riskanten Jobs viel lieber wieder auf eine richtige Beziehung einlassen. Was nicht hieß, dass ich aus den Küssen hier gerade irgendwas dergleichen schlussfolgerte - alles, was ich mir dazu gerade dachte, war, dass es sich gut anfühlte und ich eigentlich nicht unbedingt wieder damit aufhören wollte. Also standen wir da sicher ein paar Minuten, in denen der Kuss doch irgendwann noch deutlich weniger zurückhaltend und fordernder wurde. Uns beiden kam dabei sicher zu Gute, dass wir den Alkoholgeruch des jeweils anderen nicht mehr wirklich bemerkten, weil man selbst den gleichen mit sich herumschleppte. Ich verlor mich nur allzu leicht immer mehr in dem angeregten Kuss und verlor dabei ein bisschen die Fähigkeit dafür, noch auf den Rest zu achten. Dass wir nicht umkippten zum Beispiel. Sydney hing die ganze Zeit über an meinem Hals und mir entging, dass wir deshalb irgendwann ein wenig zu sehr in ihre Richtung kippten. Als das dann aber doch mal am entsprechenden Knotenpunkt in meinem Hirn ankam, war es schon beinahe zu spät - ich fiel ein bisschen zu weit nach vorne und stolperte deshalb unweigerlich einen unkontrollierten Schritt in Sydneys Richtung, wobei sich unsere Lippen doch ziemlich ruckartig voneinander lösten. Wir konnten wohl von Glück reden, dass sich unweit hinter der Brünetten eine Hauswand befand, an der ich mich mit der Hand, die ihr vorher sachte über die Wange gestrichen hatte, reflexartig abstützen und damit noch gerade so alle Beteiligten von einem Sturz abfangen konnte. Mein anderer Arm lag nach wie vor um ihren schlanken Körper und löste sich glücklicherweise auch durch die ungeplante Stolpereinheit nicht, hielt ich Sydney doch einfach aus dem Affekt heraus weiterhin fest, damit die wertvolle Fracht nicht ein weiteres Mal unsanft auf dem Boden landen musste. Ich kam aber nicht umher die ganze irgendwie leicht peinliche Situation mit einem leisen Lachen und den Worten "Scheiße, ich war echt schon lange nicht mehr so betrunken.[/i]", zu kommentieren, als mein Blick mit einem leichten Grinsen dann wieder den der Brünetten fand, kaum standen wir auf halbwegs sicheren Beinen. Womöglich war es keine so gute Idee noch lange unterwegs zu bleiben, wo wir doch beide ziemlich dicht waren. Andererseits konnte man sich betrunken sicher noch besser an all der Musik und den spontanen Tanzeinlagen in Havannas Straßen erfreuen... aber gut, dafür gab es bestimmt noch viele andere Gelegenheiten. "Gehen wir lieber heim, oder?", hakte ich nach, wie Sydney darüber dachte und stieß mich dabei sachte mit dem Arm von der Wand ab. Dabei dachte ich aber tatsächlich nicht daran, noch irgendein höheres Ziel zu verfolgen. Vielleicht bekam ich das mit dem Sex zwar schon noch irgendwie hin, aber machen wir uns nichts vor - wirklich gut laufen konnte das nicht. Wir konnten ja beide kaum gerade stehen, wie sollten wir da wirklich zielführenden Sex zu Stande kriegen? Lieber nicht, endete sicher nur in irgendeinem unangenehmen Desaster, über das wir in unserem aktuellen Zustand vielleicht trotzdem lachen würden, aber halt nichts davon hatten außer frustrierte Hormone.
Eigentlich war vermutlich bereits zu erwarten gewesen, dass die Dusche nur bedingt half. Zumindest solange ich das Wasser auf angenehm warmer Temperatur ließ spielte sich das Gespräch wieder und wieder vor meinem inneren Auge ab, deshalb machte ich das Wasser gegen Ende hin noch einmal ziemlich eiskalt. Vielleicht war ich nicht besonders nett gewesen, aber das war schlicht mein gutes Recht, wo sie doch sonst auch nur selten Halt davor machte, mir hier und da immer mal wieder kleine Stiche in die Brust zu versetzen. Also machte ich mir da jetzt keine weiteren Vorwürfe mehr und trocknete mich nur flüchtig ab, bevor noch die üblichen Aktionen des abendlichen Rituals im Bad folgten. Danach stand ich sicherlich noch gut fünf weitere Minuten vor dem Waschbecken und sah in den Spiegel gegenüber. Wusste dabei gar nicht, was ich darin sehen wollte. Einen Engel auf der einen Schulter, der mir sagte, dass ich mich doch lieber gleich wieder entschuldigen sollte, oder doch viel mehr den Teufel, der mir beipflichten und sagen würde, dass sie nach ihren unfreundlichen Worten ruhig ein wenig schmoren konnte? Oder dass mir selbst ein entsprechender Heiligenschein über dem Kopf schwebte, weil ich in den Augen der jungen Frau von einem Engel nicht weit entfernt war? Ich schüttelte schließlich nur resiginiert den Kopf und seufzte leise, bevor ich mich vom Badezimmer bis zu meinem Schlafzimmer schleppte. Gewissermaßen froh darüber war, dass die Brünette zumindest jetzt noch nicht hier war, obwohl ich sicher eine halbe Stunde gebraucht hatte. Ohne große Umschweife machte ich es mir auch im Bett bequem, nachdem das Badehandtuch um meine Hüfte herum auf den Boden gewandert war und ich mir noch Boxershorts aus dem Schrank gezogen hatte. Zwar wusste ich nicht, ob ich allein schlafen würde oder nicht, aber es spielte dahingehend auch eigentlich gar keine Rolle. Ich schlief bevorzugt immer mit nicht mehr als der Unterhose, weil ich es auf diese Weise schlicht als am bequemsten empfand, war es in dem Haus hier doch eher recht warm. Also zog ich mir die Decke letztlich über den Körper und warf noch einmal einen kurzen Blick auf mein Handy. Ließ Sabin wissen, dass sich die Geschichte mit Sydneys Mithilfe leider doch nicht erledigt hatte wir ihnen dankbar wären, wenn sie ab morgen oder übermorgen wieder vorbei kamen. Ich für meinen Teil sah es nämlich nicht ein, Vahagn noch ein weiteres Mal beim Duschen zu helfen, würde das jetzt doch einfach nur noch viel unangenehmer werden als das letzte Mal auch schon. Beim An- und Ausziehen helfen, okay, das tat ich von mir aus weiterhin - aber was ihre nackte Haut anbelangte war das dann auch einfach die Grenze. Ich musste mich selbst nicht mehr foltern, als unbedingt notwendig war, wenn sowieso nie etwas dabei rumkommen würde. Das Handy wanderte zurück auf seinen Platz auf dem Beistelltisch und ich nahm noch einen Schluck aus der Wasserflasche neben dem Bett, bevor ich mich der Wand zudrehte und einzuschlafen versuchte. Klappte auch fast sowas wie gut, weil ich mir bis jetzt kein zu schlechtes Gewissen machte, mich zu einem großen Anteil im Recht sah. Demnach war ich auch schon in einen leichten Schlaf gefallen, als noch einmal leise Schritte an mein Ohr drangen und ich zwangsweise wieder wach wurde. Dafür war aber vermutlich mehr mein allzeit bereites, sensibles Gehör zuständig, das mich gerne vor etwaigen Attentaten schützen wollte und weniger Vahagn selbst, aber innerlich seufzte ich trotzdem auf. Versuchte mich gar nicht erst wirklich daran aufzuhängen, sondern gleich wieder einzuschlafen. Ich verdankte es wohl meiner Müdigkeit und der Tatsache, dass ich mich den Tag über ein wenig ausgepowert hatte, dass ich zeitnah wieder eingeschlafen war, nachdem die Bewegung auf der Matratze ihr Ende gefunden hatte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Hätte mir jemand zu Anbeginn des Abends gesagt, dass jener in seinem Verlauf ziemlich abenteuerlich und facettenreich werden würde, dann wäre mir wohl nur ein leises Lachen über die zu einem müden Lächeln geformten Lippen gekommen. Ich - oder zumindest die Optimistin in mir - war nämlich der festen Überzeugung gewesen, dass uns zwischen dem ganzen Chaos und dem Stress der letzten Woche wenigstens ein Tag Ruhe vergönnt sein würde, aber damit lag ich wohl falsch. Dass ich an diesem Abend einer vermeintlichen Vergewaltigung gerade noch einmal entkommen war und jetzt hier wild mit Sabin knutschend hinter irgendeiner Hauswand stand, war jedenfalls nicht das, was ich mir unter einem - einer Partynacht entsprechend - entspannten Abend vorgestellt hatte. Aber ich wollte mich jetzt trotzdem nicht beschweren. Schließlich waren die Stunden im Club wirklich schön gewesen, hatten echt Spaß gemacht und würden definitiv wiederholt werden, wenn sich das in naher Zukunft einrichten ließ. Das, was mir darauffolgend dann vor der noblen Diskothek passiert war... na ja, darauf konnte ich gut und gerne verzichten, aber für das nächste Mal war ich schlauer, würde nicht noch einmal vollkommen unbewaffnet das Haus verlassen und wenn mir der Sinn nach frischer Luft stand, hielt ich mich künftig nahe der Menschenmassen auf, vor der ich wenig intelligent geflüchtet war, nur um meine Ruhe zu haben. Tja, das hatte ich schließlich davon gehabt. Alles, aber keine Ruhe. Stattdessen plagten mich jetzt Schmerzen in der Gegend des Steißbeins und einen kurzzeitigen Schock hatte ich ebenfalls erlitten. Natürlich war eine Traube voller Menschen auch nicht das Wahre, wurde man doch auch dort ziemlich offensichtlich angeflirtet und begrapscht. Der kleine aber feine Unterschied lag jedoch darin, dass es wahrscheinlicher war, Hilfe zu bekommen, falls die Sache eskalierte. In Stein meißeln würde ich das zwar nicht, aber so weit zumindest die Theorie. Jedenfalls wollte ich jetzt auch gar keinen weiteren Gedanken mehr daran verschwenden, was passiert wäre, wenn Sabin sich einfach dagegen entschieden hätte, mich suchen zu gehen oder Ashton ihn noch länger aufgehalten hätte und versuchte mich stattdessen lieber auf den ziemlich intensiven Kuss zu fokussieren. War auch gar nicht schwer, denn im Moment ging entweder nur das Eine oder eben das Andere. Gleich zwei Gedanken auf einmal durchzukauen, lief im betrunkenen Zustand einfach kein bisschen gut. Also entschied ich mich dafür, das weitaus angenehmere Thema zu verfolgen und hing damit noch eine ganze Weile lang an den so unglaublich anziehenden Lippen des Italieners, blendete für den Moment alles um uns herum schlichtweg aus. Sabin tat offensichtlich das gleiche und wenn keiner von uns zumindest im Ansatz ein bisschen aufpasste, war der folgende Beinahunfall quasi vorprogrammiert gewesen. Ich gab einen erstickten, hörbar erschrockenen Laut von mir, als der junge Mann mir förmlich entgegen fiel und ich hatte schon Angst, dass es uns beide gleich zu Boden reißen würde. Allerdings hatten wir gerade noch einmal Glück im Unglück und anders als meine eigenen Reflexe, schienen die von Sabin noch präsent genug zu sein, um uns vor dem Schlimmsten zu bewahren. Somit standen wir zwar auf etwas wackligen Beinen da, aber wir standen immerhin. Dem belustigten Kommentar des jungen Mannes konnte ich aus meiner aktuellen Position heraus so nur zustimmen, beziehungsweise mich einklinken, denn auch die Eskapade in Norwegen war jetzt schon eine ganze Weile her gewesen. "Schließe ich mich an.", murmelte ich mit einem sichtlich amüsierten Grinsen auf den Lippen, als wir uns gerade wieder aufrichteten. In Anbetracht der Tatsache, dass meine Beine nicht leichter wurden und auch das Adrenalin langsam abebbte, konnte ich ihm auch auf seine darauffolgende Worte nur zustimmen. "Ja, heim und dann ins Bett klingt ziemlich verlockend.", bestätigte ich dahingehend auch noch mal verbal, dass ich absolut nichts dagegen einzuwenden hatte, wenn wir langsam den Heimweg antreten würden. Wie gesagt, war mir der Gedanke bereits ebenfalls gekommen, er musste also keine Angst haben, dass ich ihm widersprechen und noch einmal in den Club zurückkehren würde. Selbst wenn ich noch Lust und die Kraft gehabt hätte, wäre ich alleine bestimmt nicht noch einmal umgedreht. Dafür war mir die Situation rund um und im Club einfach zu angespannt und ein weiteres Mal musste man das Schicksal nun wirklich nicht herausfordern. Einmal am heutigen Abend einem Ärgernis entkommen zu sein, war absolut ausreichend. Da zog ich mein kuschliges Bett und vielleicht auch die warme Brust Sabins definitiv vor. Ich untermauerte meine Worte noch mit einem leichten Nicken und stieß mich dann ebenfalls - jedoch weitaus vorsichtiger - von der Wand ab, gegen die ich glücklicherweise nicht gefallen, sondern nur gelehnt worden war, um mich schließlich in Bewegung zu setzen. Natürlich nicht, ohne mich wieder bei dem Italiener einzuhaken, weil sich an dem Umstand, dass ich nicht ohne ein entsprechendes Gegengewicht geradeaus laufen konnte, in den letzten paar Minuten auch durch den Kuss nichts geändert hatte. Ich lief also gegen die muskulöse Schulter gelehnt neben ihm her, verschränkte eher aus Gewohnheit meine Hand mit der seinen, als wir die Fußgängerzone betraten. Dabei fiel mir auf, dass mir hier absolut nichts bekannt vor kam und ich absolut orientierungslos war. "Weißt du... ehm, wo wir lang müssen?", fragte ich nachdenklich, als ich mich einmal so mehr oder weniger umgesehen hatte. Aber weit und breit war keine Bushaltestelle oder Oberleitung einer Trasse zu sehen. Gab es um diese Uhrzeit eigentlich so etwas wie den öffentlichen Nahverkehr hier in Kuba? Angesichts der vielen Menschen, welche sich um diese Uhrzeit noch auf den Straßen vergnügten, wollte man das zwar meinen, aber ob das letztlich auch so war, würden wir erst dann sehen, wenn wir eine entsprechende Haltestelle ausfindig gemacht hatten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Dass Sydney nicht weniger tief als ich selbst ins Glas geschaut hatte machte die Geschichte wenigstens ein bisschen weniger peinlich. Man sollte ja meinen, dass ich mit 28 - mein Geburtstag war auch gar nicht mehr weit, also so gut wie 29 - meine Grenze eigentlich kannte. War auch der Fall, nur hatte ich die heute wohl im Eifer des Gefechts recht erfolgreich verdrängt. Ein oder besser zwei Shots weniger hätten bestimmt auch gereicht, aber solange mir zumindest nicht schlecht wurde und wir unbeschadet Zuhause ankamen, war trotzdem alles im grünen Bereich. Apropos Heimweg - Sydney schien ebenfalls die Ansicht zu hegen, dass es wohl besser wäre nach Hause zu gehen und so standen wir vor der nächsten schwankenden Etappe. Denn als wir uns wieder in Bewegung setzten machten wir hier und da die nächsten Schlenker, was mir schon fast gar nicht mehr auffiel. Ich ließ mich auch kommentarlos wieder von der Brünetten als Stütze nehmen, machte mir hierzu keinerlei Gedanken, sondern hielt sie einfach nur fest. Versuchte hier und da ihren benebelten Gleichgewichtssinn etwas auszugleichen und bekam das zumindest einigermaßen gut hin. Sydney schien jedoch keine besonders gute Orientierung mehr zu haben und wir konnten wohl von Glück reden, dass wir das im Gegensatz zu unserem Alkoholpegel nicht gemeinsam hatten. "Da lang... fast sicher.", kommentierte ich schief grinsend, als ich sie einfach mit meinem Körper in die entsprechende Richtung lotste. Wirklich auskennen tat ich mich in dieser Straße selbstredend nicht, aber ich war mir doch sehr sicher, dass wir aus eben jener Richtung vorhin auch gekommen waren. Blieb also zu hoffen, dass ich mich dahingehend nicht irrte. Nach ein paar turbulenten, hier und da mit belustigtem, leisen Lachen angereicherten Gehminuten kamen wir letztendlich auch am Ende der Fußgängerzone an und von da aus war einige Meter weiter die Straße hinunter auch die Bushaltestelle von vorhin zu sehen. Allerdings war leider auch zu erkennen, dass der bereits dort stehende Bus sich in Bewegung setzte, seine Tour fortsetzte. Ohne uns. "Na das war ja ausgezeichnetes Timing.", stellte ich recht ironisch fest und seufzte leise, aber nicht einmal der geflüchtete Bus konnte mir gerade die weiterhin gute Laune verderben. Wir gingen trotzdem noch weiter bis zur Haltestelle, um uns den dort ausgehängten Plan zu besehen - an dieser Stelle wäre mein alkoholisiertes Gehirn übrigens dankbar für eine größere Schriftart gewesen, war das ganze doch eher klein geschrieben. Das Lesen verlernte man mit Alkohol im Blut zwar nicht, aber es wurde anstrengender in der entsprechenden Zeile zu bleiben. Erst recht, wenn keine Tabelle um die Abfahrtszeiten gezeichnet war. Letztlich schaffte ich es aber doch zu entziffern, dass das augenscheinlich der letzte Bus in diese Richtung für heute gewesen war. "Wohl doch eher Taxi..", murmelte ich undeutlich eine Feststellung vor mich hin und richtete mich dann wieder etwas mehr auf, um nach einem entsprechenden Fahrzeug Ausschau zu halten. Auf der anderen Straßenseite parkte eins, maximal zwanzig Meter weit die Straße runter und so nahm ich die betrunkene Brünette kurz darauf genau dort mit hin. Vermutlich war das Taxi auch trotz des in die Jahre gekommenen Fahrzeugs weitaus bequemer als der Bus, wenn dafür wahrscheinlich auch teurer. Wie gut, dass mein betrunkenes Ich keinerlei finanzielle Vernunft mehr besaß und es mich dementsprechend auch kein bisschen interessierte, was uns die Heimfahrt letztlich kosten würde, als wir eingestiegen waren und ich dem Fahrer die Adresse gab, zu der er uns bringen sollte. Wir saßen beide auf der Rückbank, wobei ich vollkommen unterbewusst stumm vor mich hin lächelte. Einfach nur, weil ich gut gelaunt war... und natürlich wegen dem Nervengift in meinen Blutbahnen, das wohl der Auslöser für ersteres war. Ich war dementsprechend doch recht froh, dass wir das Bett in absehbarer Zeit erreichen würden und ich mich der mit dem Sitzen langsam eintreffenden Müdigkeit hingeben konnte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich hätte niemals gedacht, dass ein derartiger Kontrollverlust noch so unterhaltsam sein konnte. Der Weg zur Bushaltestelle gestaltete sich mit der Menge an Alkohol intus zwar nicht gerade einfach - ganz im Gegenteil -, aber Sabin und ich hatten zwischenzeitlich immer mal wieder etwas zum Lachen gehabt, Pausen eingelegt, was den Weg deutlich erträglicher werden ließ. Meine Füße hatten allerdings trotz Unterbrechungen hier und da, sowie den bequemen Ballerina langsam angefangen weh zutun, was ich ihnen ehrlich gesagt absolut nicht verübeln konnte. Lag wohl vermutlich an dem Sturz, der auch an meinen darauf absolut nicht vorbereiteten Knöcheln nicht ohne weiteres vorbei gegangen war und natürlich der Tatsache, dass das betrunkene Schlenker laufen alles andere als ergonomisch für den Gehapparat des Menschen war. Weil ich nicht mehr gerade laufen konnte, wurde meine Hüfte auf eine ganz andere, nicht sehr gesunde Art und Weise belastet, als wenn ich normal gehen würde und das abrupte Abfedern der unkoordinierten Schritte tat weder den Füßen, noch den Knien besonders gut. Ich war daher schon fast ein wenig erleichtert, als die Bushaltestelle nach einer schier unendlich langen Wanderschaft in mein Sichtfeld rückte und gerade, als ich hellauf begeistert einen Ausruf der Freude verlauten lassen wollte, sah ich, wie der letzte Bus des heutigen Abends an uns vorbei zog. "Oh... ja, das kannst du wohl laut sagen.", stimmte ich Sabin hinsichtlich unseres perfekten Timings zu, wobei meine Laune weiterhin sehr beschwingt war. Natürlich ärgerte es mich, dass wir jetzt vermutlich eine ganze Weile lang dazu verdammt waren, an der Haltestelle zu warten, weil wir zwischendurch immer mal wieder kleinere Pausen eingelegt hatten und nur deshalb so spät dran gewesen waren, aber ändern ließe sich das jetzt so oder so auch nicht mehr. Ich hatte mich unweit des Italieners gegen ein Straßenschild gelehnt, als besagter junger Mann den Fahrplan checkte, um mir kurz darauf mitzuteilen, dass wir die deutlich teurere Alternative nehmen mussten, wenn wir nicht an die fünf bis sechs Stunden warten wollten, bis der nächste Bus uns mitnehmen würde. Ich seufzte leise, im Ansatz genervt, wenn das durch das wirre Gluckern und Glucksen meinerseits überhaupt noch auffallen würde. Das war nämlich etwas, dass ich nur ungern hörte. Ich war kein besonders großer Freund vom Taxi fahren und vor allem dann nicht, wenn ich die Ortschaft überhaupt nicht kannte, zudem noch gut einen im Tee hatte. Vielleicht bildete ich mir das ja auch nur ein, aber es schien mir so, als würden die Fahrer das in so ziemlich jedem Fall gekonnt ausnutzen, nur um noch ein paar Cent mehr am Ende der Fahr berechnen zu können und weil keiner von uns mit plötzlichem Reichtum gesegnet war, stieß mir das unterbewusst doch tatsächlich ein wenig sauer auf. Nicht, dass ich mich dahingehend jetzt bemerkbar gemacht oder mich beschwert hätte, denn Sabin zog mich bereits am Arm in Richtung eines Fahrzeugs auf der gegenüberliegenden Straßenseite, aber na ja... Weil mir selbst keine kostengünstigere, aber verhältnismäßig gleich schnelle Alternative einfallen wollte, ließ ich mich ohne ein weiteres Wort zu verlieren einfach auf der Rückbank nieder. Binnen der ersten paar Minuten, in denen das Taxi uns dann heimwärts chauffierte, wurden meine Augen immer schwerer und mir persönlich egaler, wie viel wir letzten Endes für die Fahrt gezahlt hatten. Sabin kümmerte sich gerade um die Abrechnung, während ich schon einmal ausgestiegen war, um einen tiefen Atemzug der frischen Luft zu nehmen. Ganz offensichtlich wurden in dem Fahrzeug nämlich auch rauchende Passagiere befördert und der Gestank nach kaltem Zigarettenrauch ließ mich auf die Dauer beinahe würgen. Demnach distanzierte ich mich sehr bald von dem Fahrzeug und steuerte stattdessen mit reichlich unbeholfenen Schritten die Haustür an, neben der ich letztlich auf meine Begleitung wartend gegen die Wand lehnte. Ich selbst hatte meinen Hausschlüssel ja daheim gelassen und ohne Sabin blieb mir nur noch übrig, zu klingeln und zu klopfen, bis mir einer der zurückgebliebenen Jungs vermutlich mit einer Knarre im Anschlag die Tür öffnete. Besuch um diese Uhrzeit verhieß wohl in den seltensten Fällen etwas Gutes, also war ich dann doch ganz froh, dass Sabin sich mit der Bezahlung beeilte, um alsbald zu mir aufzuschließen.
-> lö zeitsprüng vong... wenige Tage <-
Gut, dass ein Kater im Regelfall nur einen Tag anhielt und man sich schon relativ bald wieder wie ein normaler Mensch fühlte. Dass ich gemeinsam mit Sabin ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatte, war mir am darauffolgenden Morgen schmerzhaft bewusst geworden, als auch der letzte klägliche Rest an Alkohol sich durch Erbrechen über der Toilettenschüssel verabschiedet hatte. Seitdem ging es mir wieder verhältnismäßig gut und wir waren in den letzten Tage wieder unserem gewohnten Alltag nachgegangen, wobei mir die Sache mit dem Kuss und das darauffolgende, aneinander gekuschelte Einschlafen seitdem nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Die Erinnerungen an jenen Abend waren noch weitestgehend vorhanden und deshalb spielte sich die Szene in meiner wohl verdienten Freizeit zwischen dem Schreiben von Bewerbungen und dem Renovieren, die ich wie gewohnt am Strand verbrachte, immer und immer wieder vor meinem inneren Auge ab. Na ja, das war wohl ein Thema, über das ich mir am Wochenende noch einmal meine Gedanken machen würde, weil aktuell kaum Zeit dafür übrig war. Tauren hatte sich noch einmal bei dem Italiener gemeldet und verlauten lassen, dass die Sache mit Vahagn doch noch nicht gänzlich abgehakt war und wir am Tag nach dem Clubbesuch bei den den drei - geistigen, wie körperlichen - Pflegefällen eingeladen waren. Die Kopfschmerzen und die allgemeine Unlust darüber, mich jetzt doch wieder um die Russin kümmern zu müssen, hatte mich entsprechend griesgrämig drein blicken lassen, damit auch ja niemand auf die Idee kam, mich blöd von der Seite anquatschen zu müssen. Tat zu meiner Überraschung auch niemand. Nicht einmal Vahagn, die eine solche Chance doch selten ungenutzt ließ, erlaubte sich einen Scherz auf meine Kosten, was ich mir mit der allgemein etwas angespannt wirkenden Beziehung zu Tauren erklärte. Im Normalfall hätte ich mich ja brennend dafür interessiert, was da bitte vorgefallen war, aber ich hatte momentan genug eigene Probleme - also eigentlich nur die anhaltenden Kopfschmerzen, aber ja... - und grundlegend war es sicher nichts, worüber einer der beiden jemals mit mir gesprochen hätte. Also hatte ich mich dahingehend einfach zurückgehalten, war meiner Arbeit nachgegangen und anschließend wieder nach Hause gedackelt, um mich auf das morgige Vorstellungsgespräch vorzubereiten. Dort hatte ich die Unterlagen, die dem Café, welches mich zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, bereits als Bewerbung vorlagen, noch einmal für mich selbst ausgedruckt, um bei etwaigen Fragen bezüglich einzelner, in meinem Lebenslauf aufgeführten Punkte selbst noch einmal nachlesen zu können. Schließlich entsprach nichts, was darin aufgeführt war, auch nur ansatzweise der Wahrheit und es wäre echt blöd, wenn ich mich mitten im Gespräch verhaspeln würde. Demnach studierte ich noch eine ganze Weile lang am Abend die Eintragungen, bis ich mich tags darauf verhältnismäßig früh aus dem Bett quälte, um zeitig mit dem Bus in die Stadt zu fahren. Das Frühstück nach dem Duschen gehen hatte ich ausgelassen, weil ich die Nervosität, ob das mit den gefälschten Dokumenten auch alles so funktionierte, wie Vahagn uns das versprochen hatte, mir das Hungergefühl nahm. Ich trank lediglich ein Glas Orangensaft, ehe ich die Küche wieder verließ, um mich stattdessen im Schlafzimmer anzuziehen. Ich entschied mich für eine lange, blaue Jeans und ein weißes T-Shirt, welches ich in die Hose steckte, bevor die Füße ihren Weg in pechschwarze Sneakers fanden, die wunderbar mit dem ebenfalls dunklen Gürtel harmonierten. Es war selbstredend, dass ich keine Jacke brauchte, als ich mit der Handtasche über der Schulter gerade den Gang entlang lief und Sabin, den ich in der Hektik wohl aus Versehen aus dem Bett geschmissen hatte und der nun noch etwas müde aussehend in der Küche hockte, verabschiedete. Ein letzter Check, ob das Handy, der Haustürschlüssel und das Portemonnaie an Bord waren, dann machte ich mich auch schon auf den Weg in die Innenstadt.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Seit ich Italien den Rücken gekehrt hatte könnte mein Leben wohl kaum besser laufen. Ich hatte dem südeuropäischen Land bereits abgesagt, als ich das 18. Lebensjahr geknackt hatte. Vermutlich wollte ich gar nicht wissen womit meine Eltern hatten bezahlen müssen, damit ich friedlich von Dannen ziehen konnte, verschwiegen sie mir das doch bis heute noch. Als ich 12 gewesen war hatte ich mich erstmalig aktiv dagegen ausgesprochen ein Teil der hiesigen italienischen Mafia werden zu müssen. Etwa in dem Alter realisierte ich das erste Mal so richtig, dass ich in eine Sippschaft hineingeboren worden war, mit der ich nichts zu tun haben wollte. Mir war zuvor schon hier und da mal etwas merkwürdiges aufgefallen, aber da hatte es dann Klick gemacht. Zwar hatten meine Eltern selbst wenig bis gar nicht ihre Finger in den illegalen Machenschaften, aber mein Onkel war leider ziemlich stark darin verstrickt. Ich war jung, nicht auf den Kopf gefallen und noch unberührt - quasi der perfekte Nachrücker in jüngerer Generation, um das Geschäft zukünftig am Leben zu erhalten. Nur wollte ich das eben nicht, weigerte mich vehement dagegen erste Schritte in diese Richtung tätigen zu müssen und verschwand mehrfach von Zuhause, um meine Ruhe haben zu können. Es dauerte natürlich nie lang, bis ich wieder gefunden wurde, weil es immer zeitnah aufflog, dass ich bei einem Freund schlief - dessen Eltern natürlich den Glauben pflegten, ich hätte das mit meinen eigenen auch abgesprochen. Ich hatte keinen Schimmer davon, wie meine Eltern es bewerkstelligt hatten meinen Kopf aus dieser Schlinge zu ziehen, was für ein Abkommen sie getroffen hatten, aber wir zogen ein Jahr später irgendwo ganz tief ins Nirgendwo der Toskana. Komplett abgeschottet von der Außenwelt auf einen abgelegenen Hof, umringt von kilometerweiten Feldern und Wiesen. Ich bekam privaten Unterricht Zuhause und vereinsamte die Jahre über ziemlich stark, kam nur selten mal raus und dann auch niemals allein. Wenn meine Mutter nicht dabei war, dann war es mein Vater und umgekehrt - dass man so eher keine neuen Freunde kennenlernte, wenn man mal in der Stadt war, war kein Wunder. Auch mein Handy und Laptop wurden überwacht, ich brauchte also nicht einmal im Traum daran zu denken im Internet auf Kontaktsuche zu gehen. Mir war schon klar, wo das Ganze herrührte - hier draußen war quasi keine Zivilisation und dass ich hier auch nur im Ansatz Irgendwas mitbekam, das mit der Mafia zu tun hatte und nicht sowieso in den Nachrichten spielte, war unwahrscheinlich. Bis ich Achtzehn war blieb ich in Italien, weil meine Mutter darauf bestand mich so lange bei sich haben zu dürfen, danach stieg ich in den nächstbesten Flieger am Flughafen und es verschlug mich nach Kuba. Das nächste Jahr war nichts als turbulent. Ich jobbte mal hier und mal da für recht kleines Geld, durchlebte eine Selbstfindungsphase mit nicht wenig Sex und unzähligen Zigarren, sowie kubanischem Rum. Hier und da auch mal andere Drogen, aber ich stellte schnell fest, dass das nicht so mein Ding war. Ich erlebte lieber ganz bewusst reale Dinge und Gefühle, als einen von Halluzinationen begleiteten Rausch in einer Parallelwelt. Ich beschränkte mich auch nicht auf Frauen, sondern gab auch dem männlichen Geschlecht Chancen mich für sich zu begeistern. Beides hatte seinen Reiz und bis zum heutigen Tag hatte ich sowohl Beziehungen mit Frauen, als auch mit Männern geführt. Dabei fiel es mir mit der Treue aber nie schwer, weil ich schlichtweg beides mochte und aber keinesfalls zwangsweise beides brauchte. Ich verliebte mich schließlich in den Charakter einer Person, nicht nur in ihren Körper. Mit knapp 19 Jahren musste ich dann aber langsam doch mal erwachsen werden und aufwachen - ich hatte kaum Geld, lebte in einer Bruchbude und das war nicht gerade vorbildlich. Also raffte ich mich auf und probierte mich an mehreren Berufsfeldern, blieb letzten Endes ein halbes Jahr später im Dienstleistungsbereich hängen. Ich war unheimlich gern mit Menschen zusammen und hatte eine ausdauernd ruhige Persönlichkeit, mit der sich selbst anstrengende Kunden ganz gut aushalten ließen. Anfangs arbeitete ich nur als Kellner in einem kleinen Café in Trinidad, arbeitete mich doch aber zügig bis in den Bürobereich hoch. Verbrachte von da an nur noch die Hälfte meiner Arbeitszeit im aktiven Cafébereich und die andere Hälfte im Personalbereich. Ich war engagiert und der steigende Lohn motivierte mich zusätzlich, also setzte ich mich bestmöglich dafür ein noch höher auf der Karriereleiter zu klettern. Mit 21 war ich der Chef des recht kleinen Cafés und wurde ein halbes Jahr später nach Havanna versetzt, wo der Inhaber des Ladens ein weiteres, etwas größeres Geschäft und Not am Mann hatte. Dort stieg ich bald auch in den Vertrieb der hauseigenen Kaffeebohnen mit ein und verbrachte von da an dann mehr Zeit im Büro, als beim Kunden. Ich war bis jetzt in Havanna geblieben und fühlte mich pudelwohl, sprang aber immer noch auch gerne selbst bei der Kundenbedienung ein, wenn es notwendig war. Apropos - wir hatten die Anzahl der Plätze draußen auf der Terrasse vor etwa drei Wochen merklich erhöht, weil wir inzwischen immer größeren Anklang bei Touristen fanden und seitdem wurde es arbeitstechnisch wirklich nur noch stressig. Ich musste mehr Zeit für die Bedienung der Kundschaft aufwenden, als eigentlich machbar war und geriet dadurch permanent unter Zeitdruck. Dauergestresst widmete ich mich dann nach der Erlaubnis seitens meines Bosses auch nach Feierabend noch den eintreffenden Bewerbungen für die neu ausgeschrieben Stelle. Es waren nur wenige interessante Leute dabei, wollte ich doch eigentlich auf jeden Fall Jemanden, der schon mal in dieser Branche gearbeitet hatte und in etwa wusste, wie der Hase lief. Die Leute, die bisher einen Probearbeitstag hinter sich gebracht hatten, waren allesamt nicht wirklich das gelbe vom Ei. Nervosität war eine Sache, unzufriedene Kunden aber eine ganz andere. Letztlich traf jedoch eine durchaus interessante Bewerbung auf meinem Schreibtisch ein - ich konnte im ersten Moment nicht mehr sagen woher, aber ich kannte dieses Gesicht. Nach über einer Stunde machte es dann Klick. Zwar war ich kein Teil der Mafia, aber es konnte mir keiner verbieten mich im Internet ein bisschen über jene auf dem Laufenden zu halten, jetzt wo keiner mehr permanent meinen Websiten-Verlauf verfolgte. Fast Alles was in dieser Hinsicht an die Öffentlichkeit flatterte, poppte auch früher oder später auf meinem Laptop-Display auf, weil ich einfach neugierig war... und vielleicht auch, weil ich nicht lesen müssen wollte, dass meine Eltern doch noch wegen der Mafia dran glauben mussten. Ich telefonierte alle paar Tage mal mit ihnen, aber in den Stunden dazwischen konnte viel passieren. Jedenfalls fiel mir wieder ein, woher ich Sydney kannte und dass sie wohl irgendwie in Verbindung mit dem verheerenden Norwegen-Eklat stand, der wiederum an Sabin Mazzanti haftete. Ich bewunderte den Kerl ja wirklich für seine Ausdauer und Standhaftigkeit, würde aber zu keiner Sekunde mit ihm tauschen wollen. Ein Leben auf dauerhafter Flucht? Das war noch stressiger als 12 bis 14 Stunden Arbeit am Tag. Wenn Sydney hier war, war dann auch der Italiener hier? Es ließ sich sehr wohl im Internet auffinden, dass weiter nach ihm gefahndet wurde, wo er doch schon seit unzählligen Wochen komplett von der Bildfläche verschwunden war, sein derzeitiger Aufenthaltsort unbekannt war. Genauso wie Sydneys und auch der von Hunter Price, der an der Ausmerzung des italienischen Clans im Hotel wie in der Luft verpufft war - Zufall? Ich glaube nicht. Wenn die Amerikanerin hier war, dann womöglich auch Sabin oder gar der psychotische Ex-Knacki, über den es herrlich viele unterhaltsame Artikel gab, wenn man Google nur lange genug durchforstete. Irgendwie fand ich die ganze Geschichte echt wahnsinnig interessant, aber andererseits war ich mir sehr sicher damit, dass ich nicht auch nur eine der drei genannten Personen in meiner Nachbarschaft haben wollte. Würde von jetzt an sehr sicher besser die Augen offen halten, wenn ich nachts auf die Straßen ging. Dennoch beschloss ich Sydney zum Gespräch einzuladen - vermutlich mehr aus Neugier, als dass ich sie für eine Bereicherung dieses Geschäfts hielt. Die ganze Geschichte ließ mir bis zum heutigen Tag auch keine Ruhe mehr, weshalb ich doch wirklich froh darüber war, dass der Tag des Vorstellungsgesprächs endlich gekommen war. Ich befand mich wie so oft selbst hinter dem Tresen und kümmerte mich darum die vollen Kaffeetassen und Gebäck an die beiden Kellnerinnen weiterzugeben, oder zwischendurch auch Kunden zu ihren reservierten Tischen zu begleiten. Als dann das von mir bereits erwartete Gesicht durch die elegante Glastür trat ließ ich nur noch den von einem Kunden georderten Cappuccino durchlaufen, bevor ich mir die Hände wusch und der Brünetten aus freien Stücken auf den letzten beiden Metern entgegen kam, damit sie nicht erst bei einer der beiden ohnehin schon hochgradig gestressten jungen Damen mit Schürze nachfragen musste. Ich kam ihr dann mit einem leichten Lächeln und den Worten "Elena Carter, richtig? Ich bin Samuele Pianigiani.", entgegen, streckte noch im gleichen Atemzug meine Hand zur Begrüßung aus. "Kommen Sie doch mit nach hinten in mein Büro, da haben wir Ruhe.", bat ich sie dann im Anschluss mit einem Nicken in Richtung Personaltür mir in den abgeschlossenen Bereich zu folgen. Irgendwie hatte ich bei der Sache jetzt doch ein leicht mulmiges Gefühl.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Schon als ich den ersten Schritt aus der Tür gemacht und jene hinter mir wieder zugezogen hatte, stellte ich fest, dass heute scheinbar absolut nicht mein Tag war. Die Sonne stand um diese Uhrzeit bereits hoch am Himmelszelt und strahlte ohne Rücksicht auf Verluste eine Wärme aus, welche mir in den langen Hosen bereits auf dem Weg zur Bushaltestelle Schweißperlen auf die Stirn trieb. Ich erschien mir eine gute Idee, zum Vorstellungsgespräch einen etwas koscheren Eindruck machen zu wollen und deswegen hatte ich ganz bewusst auf eine kurze Hose verzichtet. Mittlerweile würde ich mich für diese Entscheidung am liebsten Ohrfeigen, aber um jetzt noch einmal umzukehren und mich umzuziehen war weniger als gar keine Zeit mehr. Ich musste ja schon circa zwanzig Meter von der Bushaltestelle entfernt loslaufen und die Aufmerksamkeit des Busfahrer durch heftiges Winken mit dem Arm auf mich ziehen, damit er die Türen noch einen kurzen Augenblick offen hielt und auf mich wartete, bis ich sichtlich außer Atem in den - Gott sei Dank - klimatisierten Bus gestolpert war. Was ein paar Monate ohne aktives Training in Verbindung mit dieser beschissen stickigen Luft ausmachen konnten... der pure Wahnsinn. Ich hatte Glück, dass sich außer mir nur noch eine etwas ältere Dame und zwei Schulkinder im Bus befanden - war dann immerhin nicht ganz so peinlich, als ich mir nach dem Lösen einer Fahrkarte schwer atmend einen Platz am Fenster suchte. Ich stöhnte leise, schmerzverzerrt auf, als ich mich in die lediglich mit einem dünnen Stoff überzogene, harte Plastikschale fallen ließ, weil sich postwendend das etwas lädierte Steißbein zu Wort meldete. War wohl alles andere als begeistert von der verdammt unkomfortablen Sitzgelegenheit, aber um einen Stehplatz würde ich mich auf der Strecke auch wieder nicht reißen wollen. Die Kurven waren doch allesamt ziemlich scharf und der ein oder andere Hügel wurde auch erklommen, bis man schließlich im Herzen Havannas entlassen wurde, wo man am Tag die Aktivitäten der vorangegangenen Nacht nur erahnen konnte. Jedenfalls nutzte ich die etwa zwanzig minütige Fahrt noch ein weiteres Mal dazu, mir die Unterlagen anzusehen, damit gleich auch ja nichts schief laufen würde. Wichtig war vor allem, dass ich mich nicht mit Sydney Mc Evans vorstellte, sondern mit Elena Carter, weil das der offizielle Deckname war, unter den Vahagn mir hier in Kuba ein neues Leben ermöglich hatte. Solange ich mir das merken konnte, ließen sich die ein oder anderen Missverständnisse gut begründet sicher schnell wieder aus der Welt schaffen. Seinen eigenen Namen hingegen nicht zu kennen, wirkte jedoch sehr verdächtig. Und ich wollte die Chance auf eine eventuelle Anstellung wirklich nicht verspielen. Mir fielen Zuhause mit den ganzen Vollidioten zunehmend mehr Teile der porösen Decke auf den Kopf und ich sehnte mich ein Stück weit nach einem Ausgleich. Außerdem hatte ich mir lange genug den Hintern platt gesessen, wollte mich endlich wieder ein bisschen mehr bewegen. Und vom finanziellen Aspekt eines Jobs brauchte ich sicher gar nicht erst anzufangen. Es ertönte wenig später die gewohnt monotone Stimme des Sprechers, der die Haltestellennamen verlauten ließ, der mich dazu brachte, etwas hektisch nach der ausgedruckten Stellenausschreibung zu kramen. Dort hatte man freundlicherweise für diejenigen, die nicht mit dem Auto anreisten, angegeben, wo man mit welchem Verkehrsmittel aussteigen musste und ich sprang gerade noch im letzten Moment auf, um aus der Tür nach draußen zu stolpern. Dass ich dabei den automatischen Sensor der Türblockierung auslöste, ließ den Busfahrer hörbar genervt schnauben, weshalb ich mich mit ein paar brüchigen Worten auf Spanisch bei ihm entschuldigte und noch einen schönen Tag wünschte, ehe ich auf dem Absatz Kehrt machte und versucht zielstrebig in Richtung der Fußgängerzone lief, aus der ich vor wenigen Tagen mehr schlecht als recht hinaus gekrochen gekommen war. Das Café war nur wenige Meter vor der Haltestelle entfernt sesshaft und damit noch relativ am Anfang, was ich sehr begrüßte, denn den ganzen weiten Weg, quasi bis runter zum Club, hätte mir ganz sicher den Rest gegeben. Ich hatte mich im Bus insoweit akklimatisiert, als dass mir mittlerweile keine Schweißperlen mehr auf der Stirn standen, aber warm war mir ja doch wieder relativ schnell. Lag nicht zuletzt sicher an den offenen Haaren, die ich wie die lange Hose für eine gute Idee gehalten hatte. Wieder riskierte ich einen kurzen Blick auf meine Uhr und stellte fest, dass die Zeit mir ausnahmsweise nicht mehr ganz so stark im Nacken saß. Ich hatte noch eine Viertelstunde, die ich unweit des Geschäfts damit verbrachte, mir die Haare halbwegs anständig in einen Dutt zu binden und etwas Deo aufzutragen. Im direkten Anschluss folgte ein nervöses über mein Gesicht wischen, bis ich meinen Weg schließlich fortsetzte, um wenig später die Flügeltüren des ansehnlichen Cafés aufzustoßen, das schon von außen einen verdammt schicken Eindruck gemacht hatte. Alleine die Kundschaft um diese Uhrzeit ließ darauf schließen, dass es hier sicherlich keinen schlechten Kaffee gab und auch die Kuchenstücke gar nicht so verkehrt schmecken konnte. Eventuell war ein Großteil der Frauen aber auch einfach nur wegen dem verdammt gut aussehenden jungen Mann hier, der mich mit einem Handschlag hier im Laden willkommen hieß. Zugegeben hatte ich mich kurzzeitig in diese unverschämt strahlenden Augen verloren, die farblich in einem solch herrlichen Kontrast zu den nahezu schwarzen Haaren und der gebräunten Haut standen. Als er jedoch meinen vermeintlichen Namen nannte, riss ich mich von seinem Anblick los und schüttelte innerlich leicht den Kopf, während ich nach außen hin ein stets freundliches Lächeln aufsetzte, versuchte, auch durch die Nervosität hindurch einfach ich selbst zu sein... nur eben unter einem anderen Namen... mit einer anderen Vergangenheit... "Ja, richtig. Freut mich, Sie kennen zu lernen!", erwiderte ich die Begrüßung in einem ruhigen, durchweg freundlichen Tonfall, während ich den Händedruck nur allzu gerne erwiderte. Ich kam der Bitte, Herrn Pianigiani in die hinteren Räumlichen zu begleiten selbstverständlich nach und nahm in seinem Büro angekommen nach einer entsprechenden Aufforderung auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch platz. Meine Handtasche hatte ich neben mir auf den Boden wandern lassen und lediglich die durch eine Büroklammer zusammengehaltenen Unterlagen bei mir behalten, sie auf meinem Schoß abgelegt, nachdem ich die Beine der Bequemlichkeit halber elegant überschlagen hatte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #