Irgendwie war das Ganze einfach komisch. Normalerweise kannte ich meine Bewerber nicht und trat ihnen vollkommen unvoreingenommen entgegen, aber in diesem Fall hatte ich jetzt gefühlt alles, außer das für den Job wesentliche vor Augen. Dennoch versuchte ich mir Nichts davon anmerken zu lassen, dass ich ein bisschen geistesabwesend war und Sydney nicht wirklich wegen dem einen kleinen Abschnitt in ihrem Lebenslauf einberufen hatte, bei dem sie - angeblich - einen Nebenjob im gleichen Gewerbe absolviert hatte. Auch, wenn sie das grundlegend schon mehr für die Arbeit hier qualifizierte als die meisten anderen Bewerber, die bisher noch keinen Finger in meiner Branche krumm gemacht hatten. Also bat ich sie gegenüber meines Schreibtisches Platz zu nehmen und bot ihr kurz darauf noch an, sich an dem Glas und der daneben bereitgestellten Wasserflasche bedienen zu dürfen, sofern ihr danach war, um danach erst einmal die grundlegenden Dinge abzuhaken. Mir ein bisschen von ihr erzählen zu lassen, was sie bisher so in ihrem Leben getrieben hatte, warum sie sich hier bei uns beworben hatte, warum sie glaubte den Job gut machen zu können. Man musste der Brünetten wirklich lassen, dass sie die komplette Geschichte ziemlich überzeugend rüberbrachte und sich gut verkaufte, obwohl ich mir nach wie vor sicher war, dass sie weder Elena hieß, noch überhaupt irgendeiner der abgehakten Punkte ihres Lebenslaufes der Wahrheit entsprach. Ich war wirklich akribisch mit meinen Fragen und versuchte sie förmlich aus der Reserve zu locken, aber bis auf ein wenig Nervosität - die im Grunde bei so gut wie jedem Bewerber vorhanden war, der den Job gerne haben wollte - war ihr nichts anzusehen. Vielleicht lag das auch einfach daran, dass man beim FBI sicherlich ein gutes Pokerface beherrschen musste, um dem Gegenüber keine mentale Angriffsfläche zu bieten und man auch allgemein wirklich einen kühlen Kopf bewahren müssen konnte. Dass ihr alter, ursprünglicher Job ihr hier zu Gute kam, würde ich also eher nicht in Frage stellen. Natürlich machte ich mir dennoch hier und da ein paar Notizen auf dem Din A4 Block vor mir auf dem Tisch, so wie ich es auch bei allen anderen Anwärtern gemacht hatte. Als ich vorerst keine Fragen mehr an die junge Frau hatte, schwenkte ich wie gewohnt dazu über ihr ein wenig mehr über den Ablauf des Geschäfts an sich zu erzählen, damit sie genau wusste woran sie hier war. Wie sich die Schichtverteilung hier regelte, dass es im Normalfall kein Problem war mal mit Jemandem zu tauschen - solange es nicht ständig vorkam - und auch, dass es hier und da mal ein wenig über den eigentlichen Feierabend hinausgehen konnte. Hing immer davon ab wie stark besucht das Café war und wie viel Arbeit nach Ladenschluss liegen blieb, aber das wurde dann auch entsprechend entlohnt. Man verdiente in dem Café als einfache Hilfskraft natürlich nicht die Welt, machen wir uns hierbei nichts vor, aber im Vergleich zu den meisten anderen Geschäften in dieser Branche war der Stundenlohn doch etwas höher. Lag vermutlich daran, dass der eigentliche Chef irgendwann im Laufe der Zeit mal gemerkt hatte, dass besser bezahlte Leute auch deutlich effektivere Arbeit verrichteten. Außerdem konnte er sich das mit seinen riesigen Kaffee-Plantagen auch schlichtweg leisten. Manchmal lud er die Manager seiner kleinen Café-Kette auf ein Abendessen auf seinem noblen Grundstück ein und ich konnte mit Stolz von mir behaupten, dass ich mit Abstand der jüngste in der Führungsetage war. Das kam aber auch nicht von ungefähr, ich hatte in den letzten 4 Jahren vermutlich etwa so viel gearbeitet wie die anderen in der doppelten Zeitspanne. Jedenfalls erläuterte ich Sydney - Verzeihung, Elena - alles, was sie wissen musste und normalerweise käme ich dann jetzt an den Punkt, an dem ich sie fragen würde, ob noch Irgendwas für sie unklar war. Stattdessen sah ich sie aber sicherlich eine halbe Minute lang schweigsam an, musterte jegliche ihrer Gesichtszüge eindringlich, während ich den rechten Ellbogen auf die Armlehne meines Chefsessels stützte, meinen Kopf mit der zur Faust geballten Hand an meinem Kiefer hielt und nebenher unterbewusst mit dem Kugelschreiber in der anderen Hand spielte. Fast so, als würde ich darauf warten, dass ihr die Nase wegen der Lügerei bis über den Tisch hinweg zu mir hinaus wuchs - passierte natürlich nicht. Genauso wenig, wie sie plötzlich ein Schild hoch hielt, auf dem stand, dass sie eine gesuchte Kriminelle war und es ein Kopfgeld für sie gab. Also richtete ich mich schließlich zu einem geraden Sitz auf, lehnte mich mit den Ellenbogen nach vorn auf die Tischplatte und hielt dann wieder ganz ungeniert ihren Blick mit meinem fest, als die Neugier in meinem Kopf einfach die Vernunft platt machte. "Sitzt euch die Mafia noch im Nacken? Ist Mazzanti hier?", stellte ich der Brünetten gerade heraus die zwei Fragen, die mir am meisten auf der Seele brannten. Denn wenn die Mafia wusste, dass sie hier waren, wollte ich nichts mit Sydney zu tun haben. Ich wollte nicht, dass sie wussten, wo es mich hin verschlagen hatte. Ich hatte mir hier ein Leben aufgebaut und auch, wenn ich streng genommen keinen Grund dafür hatte mich vor der italienischen Mafia zu fürchten, weil laut meinen Eltern ja alles geregelt worden war, wollte ich dabei absolut kein Risiko eingehen. Ich hatte hier in Havanna, sowie auch in Trinidad einige Freunde und wollte einfach nichts von dem, was ich hatte, irgendwie aufs Spiel setzen... weshalb ich die junge Frau womöglich gar nicht erst hätte einladen sollen, aber für diesen erleuchtenden Gedankengang war es jetzt nun wirklich reichlich zu spät.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
In meinen Augen hätte das Gespräch eigentlich kaum besser laufen können, war sogar richtig vielversprechend gewesen. Neben dem Decknamen, der mir von Vahagn aufgedrückt worden war, hatte ich mir großflächig auch den Rest des mir zur Verfügung gestellten Lebenslaufs merken können und musste daher lediglich ein oder zwei Mal in den Unterlagen blättern, die ich in der Hand hielt. Ich entschuldigte die etwas verspätete Antwort auf die ein oder andere Frage dann damit, dass ich in meinem Leben schon gut herum gekommen war und mir deshalb den ein oder anderen Punkt noch einmal durchlesen musste, um mich in jene Zeit hineinversetzen zu können. Natürlich gab es da keine realen Erfahrungswerte, die ich gesammelt hatte, aber mir reichten die wenigen Sekunden, in denen ich mit meinen Augen über den Text flog, um mir eine passende Story dazu auszudenken und diese Herrn Pianigiani im direkten Anschluss zu präsentieren. Hier und da beschlich mich das ungute Gefühl, dass er mir die Geschichten nicht wirklich abkaufte, weil er doch noch einmal sehr genau nachfragte. Anfangs hatte ich noch ein wenig gestottert, als ich seine Fragen etwas holprig beantwortete, bis ich mir ins Gedächtnis rief, dass ich das eigentlich sehr viel besser konnte - die Zweifel der Leute aus dem Weg räumen, meine ich. Ich in schwierigen Verhandlungen auch nie nervös geworden war und immer einen kühlen Kopf behalten hatte, damit man mir nicht auf der Nase herum tanzte und nur, weil ich hier auf Kuba jetzt ein neues Leben anfing, hatte ich ja nicht alle meine alten Charaktereigenschaften in Norwegen zurück gelassen. Mit dieser Erkenntnis setzte ich mich schließlich ein wenig gerader hin, strafte den Rücken und war seitdem wieder ganz die professionelle FBI Agentin, welche zwar innerlich ein wenig aufgeregt war, aber nach außen hin keine Miene verzog und mit dem gewissen Maß an Professionalität das Kind schaukelte. Als es bei dem Gespräch dann endlich nicht mehr nur um mich ging, sondern Samuele mir grundlegend erklärte, wie der Ablauf hier im Café war, womit man am Ende des Monats auf seinem Gehaltsscheck rechnen konnte und wie er die Einsatzplanung handhabte, hatte ich beiläufig in meiner Handtasche nach einem Stift gekramt, um mir auf der Rückseite meiner Unterlagen ebenfalls ein paar Notizen zu machen. Kam zum einen immer gut, weil man damit grundlegend ein ernsthaftes Interesse an der Stelle bekundete und zum anderen waren diese Informationen durchaus wichtig, sollte es tatsächlich zu einer Anstellung kommen. Die war in meinen Augen im Übrigen gar nicht mehr so unrealistisch. Ich war nicht überheblich und keinesfalls perfekt, aber so wie ich das sah, war die Stelle wie maßgeschneidert für mich und andersherum deckte meine Wenigkeit die grundlegenden Anforderungen an die zu besetzende Stelle ab. Ich war geduldig, wusste mit Menschen umzugehen und war sehr flexibel, sowie belastbar, denn ohne diese Eigenschaften hätte ich es beim FBI vermutlich ziemlich schwer gehabt. Außerdem war ich, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, ziemlich ehrgeizig, was sich schon früh in mehreren Gehaltserhöhungen und Beförderungen rentiert hatte. Ich bezweifelte zwar, dass man hier in der Gastronomie besonders viele Aufstiegschancen hatte, aber wenn es welche gab, würde ich sie bei Gelegenheit sehr gerne ergreifen wollen. Jedoch war das momentan noch absolut nicht von Relevanz, weil das Wort Festanstellung noch zu keinem Zeitpunkt gefallen war. Deswegen sah ich das Ganze erst einmal ein wenig lockerer und je länger das Gespräch ging, desto angenehmer wurde es. Die Nervosität verflog aufgrund des lockeren Umgangston irgendwann gänzlich und ich fühlte mich rundum sehr gut aufgehoben. Malte mir schon aus, wie schön es wäre, hier arbeiten zu dürfen, bis... na ja, auf eine ziemlich schweigsame Minute plötzlich Fragen folgten, die mich etwas irritierten und auch... beängstigten. Ich hielt gerade die mir angebotene Wasserflasche in der Hand, um mir etwas in das Glas einzuschenken, als Samuele auf die Mafia und auch auf Sabin zu sprechen kam. Ich stockte der Irritation über diese Frage wegen kurzzeitig, besann mich jedoch dazu, weiterhin einfach ruhig und entspannt zu bleiben, wobei mir das plötzlich gar nicht mehr ganz so leicht fiel. Es stellte sich mir nämlich unweigerlich die Frage, woher er davon wusste. Gut, mit der Mafia musste ja nicht zwangsläufig die des südeuropäischen Stiefelstaates gemeint sein, gab es doch weltweit solche agierenden Bewegungen - sogar hier auf Kuba. Aber dass er von Sabin wusste... Mazzanti... machte doch unmissverständlich klar, auf welche Mafia er letztlich genau hinaus wollte und mich beschlich plötzlich ein ziemlich ungutes Gefühl bei der ganzen Sache hier. Ich hielt einen Moment inne, nahm einen Schluck von dem Wasser, um mir in der Zeit zu überlegen, was ich darauf jetzt antworten sollte. Zu fragen, woher er davon wusste, stand überhaupt nicht zur Debatte, denn ich wollte weder mich, noch die anderen auf irgendeine Art und Weise hier in die Scheiße reiten, nur weil ich der Neugier wegen meinen Mund nicht halten konnte. Alternativ blieb mir allerdings nur noch übrig, mich unwissend zu stellen, was in meinen Augen vorerst die definitiv bessere Lösung war. "Entschuldigung, ich weiß nicht, wovon Sie reden.", versuchte ich den Manager des Cafés noch immer sehr ruhig, gefasst wirkend abzuwimmeln und ihn dazu zu bewegen, über seine Worte noch ein weiteres Mal nachzudenken. Ich bezweifelte es zwar stark, aber vielleicht konnte ich ihn ja davon überzeugen, dass er mich verwechseln musste.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Dass die junge Frau auch jetzt wieder von ihrer langjährigen Erfahrung bei der Polizei Gebrauch machte, war wohl naheliegend. Sydney wäre auch schön blöd mir jetzt gerade heraus alles zu erzählen, was ich wissen wollte. Mir hier lang und breit zu erläutern, ob sie denn glaubte, dass die Mafia sie - zumindest schon mal mit den Augen - bis hierhin verfolgt hatte, war schließlich kaum in ihrem oder irgendjemand anderes Interesse. Da lag das konsequente Abstreiten auf der Hand, nur würde sie damit hier jetzt nicht weiter kommen. Ich jedoch genauso wenig und wenn wir die folgenden Minuten jetzt lediglich damit verbringen würden, dass ich ihr Fragen stellte und sie weiterhin alles abstritt, dann war das für keinen von uns beiden besonders zielführend. Dann ging sie aus diesem Gebäude genauso mit einem unguten Gefühl heraus, wie das auch bei mir nach Feierabend später der Fall sein würde, weil ich nicht wusste, woran ich war. Deshalb schien es mir relativ sinnvoll zu sein, ihr einfach zu schildern, was ich alles wusste. Nicht bis ins Detail, weil sie die ganzen Einzelheiten selbst mehr als genug kannte und ich damit nur unser beider Zeit verschwenden würde. Aber eben einfach so viel, dass sie begreifen konnte, dass ich vermutlich ohnehin schon mehr als genug über diese ganze Sache wusste und sich ein stumpfsinniges Abstreiten nicht wirklich lohnte. Ich seufzte schwer, legte den Stift endgültig bei Seite, faltete die Hände locker auf dem Tisch ineinander und holte dann entsprechend ein bisschen weiter aus. "Sich unwissend zu geben wird dir jetzt nicht helfen.", ich sprang jetzt einfach mal auf 'Du' um, weil ich es irgendwie für ein bisschen überflüssig hielt, dieses Gesieze beizubehalten. Natürlich zeugte das einfach nur von Respekt und ich schob Sydney hier auch in keinerlei Schublade, nur weil sie vielleicht ein paar Dinge im Leben nicht so ganz richtig gemacht hatte. Fehler machten wir alle. Über kurz oder lang sprang ich aber sowieso mit allen meinen Mitarbeitern auf einen eher freundschaftlichen Umgangston um, weil ich diese Förmlichkeit für unnötig hielt. Sorgte nur für Anspannung, die ich in meinem Arbeitsumfeld nicht haben wollte und wenn mich Jemand nicht als Chef akzeptierte, dann flog er ohnehin in jedem Fall über kurz oder lang raus. Nur weil ich noch recht jung war hieß das schließlich nicht, dass ich meinem Posten nicht gerecht werden konnte. "Ich weiß, dass du Sydney heißt und ehemals in Norwegen auf Mazzanti aufgepasst hast. Wieso und wie sich das geändert hat ist mir eigentlich egal, ich will nur wissen ob du immer noch was mit ihm zu tun hast... beziehungsweise ob die Italiener wissen, wo du bist oder ihr seid. Wenn nicht ist alles in Ordnung und ich bin, sofern du die Probearbeit hinbekommst, gerne dazu bereit dir hier mittels Arbeit Asyl und eine Chance zu geben. Aber das letzte, was ich will, ist selber auch nur ansatzweise wieder aufs Radar der Mafia zu rücken.", setzte ich die junge Frau darüber in Kenntnis, was der eigentliche Grund dafür war, warum ich sie danach fragte. Eben nicht, dass ich ihre Lügen hier auffliegen lassen wollte - was eher nur nebenbei geschah und gar nicht wirklich relevant für mich war, weil es nur logisch war, dass sie ihre eigentliche Identität decken wollte und ich ihr daraus keinen Strick drehen würde -, sondern ich einfach nur nicht in diesen Strudel mit hinein gezogen werden wollte. Vielleicht unbegründet, weil sie mich am Ende vielleicht gar nicht suchen oder mitnehmen würden, wenn sie mich hier auf Kuba einmal gesehen hatten, aber ich traute meiner Verwandtschaft dahingehend absolut alles zu. Selbst wenn sie meinen Eltern vor etlichen Jahren ihr Wort gegeben hatten, würden sie ihre Meinung darüber ja doch nur wieder aus irgendeiner Laune heraus ändern. Passierte nicht selten, die meisten der führenden Köpfe waren ja doch ziemlich temperamentvoll und impulsiv. "Ich weiß wie es ist, wenn man neu anfangen muss und helfe grundsätzlich Jedem gerne dabei, der so motiviert an die Sache herangeht wie du gerade eben... aber dafür brauche ich in diesem Fall einfach die Gewissheit, dass mir das nicht böse zu stehen kommt. Das verstehst du doch sicher..?", hängte ich noch ein paar mehr Worte hinten an und zuckte ganz leicht mit den Schultern, wobei meine Körperhaltung weiterhin ziemlich entspannt war. Dennoch herrschte parallel in meinem Oberstübchen reichlich viel Unruhe und vor allem noch Ungewissheit, die hoffentlich zeitnah beseitigt werden würde. War nämlich kein angenehmes Gefühl.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich verstand es einfach nicht - wirklich nicht. Wie konnte es denn bitte sein, dass ich mich augenscheinlich bei dem vermutlich einzigen Café auf ganz Kuba beworben hatte, dessen Manager mehr über meine eigentliche Identität wusste, als das eigentlich möglich war? Und was für ein Pech musste man denn haben, nicht einmal am anderen Ende der Welt, fernab des ganzen kriminellen Tohuwabohus ein halbwegs vernünftiges, Leben führen zu können. Natürlich konnte ich mich von den illegalen Machenschaften Hunters momentan schwer lossagen, was ganz einfach daran lag, dass ich aktuell keine andere Wahl hatte, als mir mit mehreren Schwerverbrechern eine Unterkunft zu teilen. Das hieß aber noch lange nicht, dass ich mir mein Geld ebenfalls durch Raub oder den Mord unschuldiger Menschen verdienen wollte. Zwar wäre das auf lange Sicht gesehen die deutlich lukrativere Option, aber da sah ich mich einfach nicht. Mochte sein, dass ich auch schon den ein oder anderen Menschen auf dem Gewissen hatte, aber da war es nie um Geld gegangen sondern um die Tatsache, dass diese Menschen im Begriff gewesen waren, noch etliche andere mit in einen so sinnlosen Tod zu reißen, dass ich einfach abdrücken musste. Die Tage und manchmal sogar Wochen darauf hatte ich mich aber immer schlecht gefühlt, weil mit Sicherheit auch der ein oder andere Kriminelle eine nun trauernde Familie gehabt hatte und so einfach, wie Hunter es beispielsweise tat, konnte ich das schlechte Gewissen dann nicht wegstecken. Gemeinsam mit der Psychologin des FBI arbeitete ich die Tötungen unmittelbar nach dem Vorfall auf, damit ich nicht doch noch irgendwann daran zerbrach und bis zum bitteren Ende war ich meiner Arbeit weiterhin nachgekommen. Hatte stets einen kühlen Kopf bewahrt und niemals unüberlegt gehandelt. Aber ich schweifte ab. Grundlegend wollte ich eigentlich nur darauf hinaus, dass ich mich nichts Böses ahnend hier beworben hatte und mich damit quasi selber in die Bredouille gebracht hatte. Nichtsahnend, wohlgemerkt. Hätte ich gewusst, dass Samuele über mein altes Ich und Sabin Bescheid wusste, dann hätte ich mich ganz bestimmt nicht auf die Stellenausschreibung gemeldet, sondern mir lieber am anderen Ende der Stadt etwas gesucht, um die Gegend rum um das Café zu meiden. Es wäre dafür im Übrigen auch absolut ausreichend gewesen, wenn in der Beschreibung ein Ansprechpartner gestanden hätte, denn der Nachname des Italieners ließ ganz eindeutige Rückschlüsse auf seine Nationalität zu und auch wenn es bescheuert war, zu glauben, dass sich alle Italiener untereinander kannten, hätte das als Abschreckung wohl schon vollkommen ausgereicht. Wie gesagt, man musste das Schicksal ja nicht unnötigerweise herausfordern. Nun, jedenfalls saß ich jetzt da und musste mir anhören, dass der junge Mann in meinen Augen viel zu viel über mich wusste, was mittlerweile ein inneres Unbehagen in mir auslöste. Ich sah mich bei seinen Worten eher beiläufig, unauffällig immer mal wieder in seinem Büro um, weil ich schon Angst hatte, dass ich durch einen verdammt blöden Zufall geradewegs in die Arme der Mafia gelaufen war, aber dahingehend schien mich der gute Herr beruhigen zu können. Ich konnte mich natürlich auch irren, aber ich interpretierte in die Aussage, dass er ebenfalls wenig Lust darauf hatte, auf dem Radar der Italiener aufzutauchen, dass er mit seinen Landsleuten ebenfalls nicht besonders gut klar kam. Aber konnte ich ihm denn glauben? Wir kannten uns gerade einmal ein paar Minuten und besonders vertrauenerweckend war er mir nicht mehr, seitdem Samuele mit der Tür ins Haus gefallen war. Stattdessen ließ es mich ihm gegenüber eher auf Distanz gehen zu wollen, aber irgendwas musste ich ja sagen, denn einfach so wortlos aufzustehen und zu gehen, wäre definitiv nicht das Gelbe vom Ei. Ich schwieg noch eine ganze Weile, überlegte hin und her, ehe ich schließlich hörbar unzufrieden seufzte. "Ich interessiere mich lediglich für eine Anstellung als Servicekraft. Warum spielt meine Vergangenheit dafür eine große Rolle?", reagierte ich mit einer Gegenfrage, die so ziemlich alle, aber auch gleichzeitig keine seiner Fragen direkt beantwortete. "Zumal ich weder über die Anstellung, noch der Arbeit beim FBI mit Ihnen sprechen darf, selbst wenn ich das wollen würde.", fügte ich weiterhin ruhig eine mir auf die Schnelle eingefallene, dafür relativ plausible Erklärung an, warum den letzten Jahren meines Lebenslauf etwas ganz anderes zu entnehmen war. Gut, ich hatte nie so wirklich in der Abteilung des Geheimdienstes gearbeitet, für den diese Regelung - dass man den Lebenslauf nach Ausscheiden aus dem Unternehmen entsprechend frisieren musste - galt, die ich mir spontan aus dem Ärmel geschüttelt hatte, aber das musste er schließlich nicht so genau wissen. Genauso wenig, wie ich ihm auf die Nase binden würde, dass Sabin sich ebenfalls auf Kuba aufhielt und noch weniger, dass ich mit ihm zusammenlebte. Jedenfalls behielt ich auch weiterhin das Siezen bei, weil ich kein Interesse daran hatte, mich unter diesen Umständen mit ihm auf eine persönliche Ebene zu begeben, wie das beim duzen zwangsläufig der Fall war. Ich hatte mich in der Zwischenzeit wieder ein wenig aufgesetzt und war ihm mit dem Oberkörper ein Stück entgegen gekommen, um meine Ellenbogen bequem auf den Knien abzustützen, ihn abwartend anzusehen. Offensichtlich wusste er mehr, als das für alle Beteiligten hier auf Kuba gut war und ich beschloss, im direkten Anschluss an das Gespräch mit Sabin zu reden. Ihn zu fragen, ob er Samuele kannte und ihm grundlegend zu schildern, was passiert war. Es erschien mir für nicht richtig, die Sache einfach unkommentiert zu lassen und so zu tun, als wüsste ich nichts davon, dass der Manager des Cafés Informationen hatte, die uns den friedlichen Neuanfang unter Umständen streitig machen konnte.
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Es ließ sich nicht vermeiden, dass ich die rechte Hand anhob und mir mit jener einmal recht langsam von oben nach unten über das Gesicht strich. Es interessierte mich ja auch gar nicht, was sie in ihrer FBI-Karriere alles für Informatilnen gesammelt hatte oder warum ausgerechnet sie mit dem gesuchten Mafia-Mitglied betraut worden war. Es war allgemein nicht von Bedeutung für mich, was nun alles in ihrer Vergangenheit lag sondern lediglich das hier und jetzt. Quasi nur, ob sie ihre Vergangenheit mit nach Kuba eingeschleppt hatte oder ob ich weiterhin in Frieden mein Dasein fristen konnte, ohne einen nächtlichen Kopfschuss mit schallgedämpfter Pistole fürchten zu müssen. Oder auf den Rücken gefesselte Hände. Oder meinen Kopf in einer vollgelaufenen Badewanne. Nein, mir war weder nach einem baldigen Tod, noch nach irgendeiner Art von Folter, die mich zum ändern meiner Meinung bewegen sollte. Würde nämlich nicht passieren - lieber bezahlte ich mit meinem Leben, als eine derartige Organisation zu unterstützen, die all ihre Macht auf nichts anderes als Gewalt und Einschüchterung baute. Mein Gemüt war durchweg friedselig, das letzte was ich wollte war Mord und Totschlag. Weder bei mir selbst, noch bei anderen. Ich erinnerte mich immer noch nicht gerne an etwaige Szenen aus meiner Kindheit, die ich damals nicht verstanden und erst im Nachhinein analysiert hatte. War an und für sich schon eine absolute Schande ein Kind derartigen Dingen auszusetzen. "Ich will doch gar nicht wissen, was sich beim FBI alles abgespielt hat oder was du wegen deiner Arbeit dort alles über die Mafia weißt. Deine Vergangenheit an sich ist mir egal. Es interessiert mich auch nicht, was in deinem... oder eurem... kriminellen Netzwerk jetzt zukünftig noch passiert. Ich will lediglich wissen, ob absehbar ist, dass die Mafia zeitnah einen Fuß in dieses Land setzen wird.", verdeutlichte ich Sydney, dass ihre bisherige Karriere für mich nicht von Belang war. Es lediglich eine Rolle für mich spielte, dass sie diese Pest nicht mit ins Land gebracht hatte - oder gar schon bis nach Havanna, was absolut verheerend wäre. Allerdings war unwahrscheinlich, dass sie sich in diesem Fall für einen Job an der Öffentlichkeit und nicht für irgendeine Bürotätigkeit oder dergleichen bewarb. Wäre dann ja weitaus sinnvoller hinter verschlossenen Türen sein Geld zu verdienen. Die Brünette schien mir verständlicherweise nicht wirklich zu vertrauen und so beschloss ich auf einem verhältnismäßig riskanten Weg voranzuschreiten. Vielleicht war das nicht allzu klug, aber wieso sollte Sydney mir auch etwas von sich und dem Stand mit der Mafia erzählen, wenn ich ihr von mir so gar nichts erzählte? Würde ich an ihrer Stelle vermutlich auch nicht machen. "Ich bin mit einem Zweig der Mafia verwand, was sich am Nachnamen sicher unschwer erkennen lässt. Ich hab mich nie an den Geschäften beteiligt, sondern bin unter gewissen Umständen... ausgegliedert worden, kann man sagen. Ich hab hier in Kuba ein Zuhause gefunden, das ich nicht verlieren möchte... viele Freunde, die ich nicht gefährden möchte. Abkommen hin oder her, ich bin mir sicher, dass dir bekannt ist wie skrupellos die Angehörigen sind. Ich persönlich möchte mich dahingehend einfach nur wirklich ungern auf den Zufall verlassen.", schilderte ich meinem Gegenüber ganz grob, weshalb mir diese Sache so am Herzen lag. Sie hatte doch bestimmt sowas wie eine Familie und konnte das nachvollziehen... oder hatte mal eine gehabt, konnte ich ja nicht wissen. Aber sie war an sich eine charmante, hübsche Frau, bei der mich absolute Einsamkeit bis zum 27. Lebensjahr doch echt ziemlich stark wundern würde. "Ich kann verstehen, dass du vorsichtig bist. Wäre ich an deiner Stelle sicher auch. Aber wenn du mir nicht zumindest sagen kannst, ob die Pest auf dem Weg nach Kuba ist, kann ich dir den Job nicht geben.", hängte ich mit einem leisen Seufzen noch ein paar mehr Worte hinten dran. Wir standen hier doch eigentlich auf der selben Seite - vermutete ich zumindest.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Samuele schien kein besonders großes Verständnis dafür aufbringen zu können, dass ich ungerne mit ihm über die Mafia und damit verbunden auch das neue Leben auf Kuba sprechen wollte. Er ließ einfach nicht locker, versuchte mir ein weiteres Mal zu verdeutlichen, warum ihm diese Auskunft so wichtig war und fing letztlich an, ein wenig über sich zu erzählen. War im Prinzip ja auch nett, er schien zu merken, dass ich verunsichert war und wollte mir mit Erzählungen über sich entgegen kommen. Schlauer Bursche, hatte ich dazumal bei Vernehmungen auch gemacht, beispielsweise wenn eine verängstigte Frau den Mund nicht aufmachen wollte. Dann hatte ich angefangen, von mir und meinen Erfahrungen zu sprechen, die in den meisten Fällen gar nicht zum eigentlichen Delikt passten, aber es verhalf den Leuten dazu, sich mir anzuvertrauen, entspannter zu werden. Jedoch wusste ich jetzt nicht, ob das, was er mir da offenbarte, mich jetzt beruhigen sollte oder nicht, denn schon bei dem Wort verwandt schrillten in meinem Oberstübchen sämtliche Alarmglocken. Es war allgemein bekannt, dass gerade die italienische Mafia nur in den wenigsten Fällen ihrer Brut ein freies, unabhängig Leben einräumte. Vielleicht mochte Sabins Austritt noch vor einem anderen Kontext stehen, aber man sah an ihm sehr gut, wie akribisch und gerissen sie auf der Suche nach ihren Landsleuten waren, um sie ihrer gerechten - oder ungerechten, wie man es nahm - Strafe zuzuführen. Deswegen konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass Samuele, der laut eigener Aussage in die ganze Sache hinein geboren worden war, einfach so hatte ausziehen dürfen, als ihm das Ganze zu bunt geworden war. Deshalb zog ich doch ein wenig misstrauisch die Augenbrauen ins Gesicht, weil mir das Gespräch langsam aber sicher ein bisschen zu blöd wurde. An der Nase herumführen konnte ich mich selber, wusste ich doch ganz genau, wie das lief. Hatte schon oft genug und vor allem mit relativ vielen Blutsbruderschaften, Clans und andere Vereinigungen zutun gehabt, wusste, wie ihr System funktioniert. Bis heute hatte ich nicht ein Mitglied der italienischen Mafia gesehen, der es ohne weiteres geschafft hatte, ein normales Leben zu führen, nachdem er seiner Familie den Rücken gekehrt hatte. Warum also sollte ausgerechnet der Manager des Cafés jetzt der erste dieser Art sein? Das wäre für meinen Geschmack ein ziemlich großer Zufall, aber die Erklärung, welche relativ kurz darauf folgte, ließ mich doch noch einmal leise seufzen, nachdenken. Es wäre vermutlich ohnehin keine gute Idee gewesen, den Job hier im Café jetzt noch anzunehmen, aber ich wusste, wie mühselig die Suche nach einer Arbeit sein konnte. Vor allem dann, wenn man mit gefälschten Unterlagen arbeiten musste und zudem nicht einmal die Amtssprache beherrschte. Ich würde bei Gott nicht immer so ein Glück haben, auf jemanden zu treffen, der einwandfrei meine Muttersprache sprach. Alles in allem passte nun mal auch der Rest. Die Bezahlung war für die Art von Job super, Samuele machte als Chef auch vor dem Hintergrund, dass er italienische Wurzeln hatte, einen sehr netten Eindruck und das Ambiente war zudem sehr schön und für mich gut zu erreichen. Ich wäre also ziemlich blöd, mir das Ganze nicht noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Eventuell einen Kompromiss zu finden, der ihm seine Antwort gab, ohne damit mich oder den Rest der Rasselbande in Gefahr zu bringen. Zwar war das hier ein ganz klassischer Fall einer Nötigung - Job gegen Antworten -, aber ich konnte ihm deswegen nicht einmal böse sein. Falls - und ich konnte es gar nicht genug betonen - an dieser Geschichte tatsächlich etwas Wahres dran sein sollte, war es nämlich absolut nachvollziehbar, dass er weder sich selbst, noch seine Freunde in Gefahr bringen wollte. "Okay, schon gut.", gab ich nach einer langen Zeit des Nachdenkens schließlich klein bei. "Ich gehe nicht davon aus, dass die Mafia weiß, dass ich hier auf Kuba gestrandet bin.", beschränkte ich die Information ganz bewusst nur auf mich selbst. So blieb immerhin Sabin, für den Fall der Fälle, dass er gerade eben doch nicht die Wahrheit gesagt hatte, außen vor. Schließlich hatte ich mich ganz alleine entgegen jeglicher Vernunft dazu entschieden, es mit der Stelle hier versuchen zu wollen, sollte mir der junge Mann tatsächlich die Chance einräumen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Scheinbar sollte es mir final dann doch noch etwas gebracht haben, dass ich mir hier förmlich den Mund fusselig redete. Ich musste Sydney wohl zugestehen, dass sie eine harte Nuss war und nicht einfach mal eben so einknickte, aber letzten Endes schien all die Rederei meinerseits doch noch etwas gebracht zu haben. Es ließ sich nicht unterdrücken, dass ich erleichtert ausatmete. Jetzt nicht so, als hätte ich gerade Getränkekästen in den vierten Stock getragen, aber eben doch auch für mein Gegenüber hörbar. Natürlich könnte sie mir hier auch einfach nur das erzählen, was ich hören wollte, damit sie den Job bekam. Im Grunde konnte ich für mein entgegengebrachtes Vertrauen, ihr meine Umstände zu erklären, aber durchaus auch ein paar ehrliche Worte von ihr erwarten. Ob die junge Frau das genauso sah sei mal dahingestellt, aber ich hoffte es einfach mal. Ich war Fremden gegenüber gerne unvoreingenommen und ansonsten machte sie mir ja einen guten Eindruck. Die Sache mit der Mafia im Hintergrund war zwar ein unschöner Haken, aber ich wollte in diesem Fall auf ihre einstige Polizei-Karriere bauen. Sie konnte unmöglich all die Werte, die sie über die Jahre bei der FBI-Arbeit vertreten hatte, einfach so über den Haufen geworfen haben, oder? Sie musste von der guten Sorte sein, meine Menschenkenntnis war eigentlich keine schlechte. "Gut, das... erleichtert mich.", stellte ich noch einmal für Sydney hörbar fest, dass sie mir mit dieser Aussage wirklich einen Gefallen getan hatte und unterstrich meine Worte noch mit einem schwachen Nicken. Natürlich wäre es mir noch gleich viel lieber gewesen, wenn sie auch den flüchtigen Mafia-Typen in ihre Aussage mit einbezogen hätte, aber das war wohl schlichtweg zu viel verlangt. Ich kannte Mazzanti nicht und konnte nur schlecht über ihn urteilen, aber wenn er selbst mal ein nicht unwesentlicher Teil der Mafia war, wäre er sicher so gar nicht begeistert davon, wenn die Brünette mir offenbarte, dass er ebenfalls hier gelandet war. Falls das der Fall war, versteht sich, aber ich hielt das nicht für unwahrscheinlich. Nach der Eskalation im Hotel in Norwegens Hauptstadt konnte er dort ja nicht bleiben und allein irgendwo hinzugehen wäre wohl sehr riskant. Andererseits könnte er sich nur mit einer ehemaligen Polizistin sicher nicht gegen seine Landsleute wehren, also womöglich hatten sich ihre Wege doch getrennt und er war mit Price woanders hin verschwunden. Ich fing langsam schon damit an mich selbst für all diese Verschwörungstheorien zu hassen, aber es ließ mich irgendwie einfach nicht los und so zwang ich mich jetzt ganz vehement dazu diese Gedanken abzuschütteln. "Dann verlasse ich mich wohl darauf, dass du die Wahrheit sagst...", setzte ich mit einem leichten Schulterzucken zu einem weiteren Satz an, vollendete ihn dann aber erst einige Sekunde später, als ich mich erneut aufrichtete und dann einen Blick in meinen Terminkalender warf. Morgen und übermorgen ging es zeittechnisch theoretisch mit ein paar Stunden voll Probearbeit, weil ich da keine anderweitigen Termine hatte. Außerdem dürfte es in den kommenden zwei Tagen zumindest vom Arbeitspensum im Gästebereich auch noch sowas wie ansatzweise erträglich werden, während in den darauffolgenden Tagen potenziell mehr Ansturm erwartet wurde. "...und wenn du weiterhin Interesse an der Stelle hast, würde ich dich für sechs Stunden Probearbeiten lassen. Am günstigsten wäre morgen oder übermorgen, da ist nicht ganz so viel los und ich kann mir die Zeit nehmen, dir alles selbst zu zeigen.", kam ich ganz ruhig wieder auf den eigentlichen, ursprünglichen Kernpunkt dieses Gesprächs zurück. Nämlich die ausgeschriebene Stelle, die weiterhin dringend besetzt werden musste, wenn ich nicht künftig regelmäßig am Schreibtisch einschlafen sollte. "Ich gehe mal nicht davon aus, dass dein Spanisch besonders gut ist..? Wenn nicht, solltest du dir möglichst zeitnah das wichtigste für die Arbeit hier aneignen. Der Anteil an Tourismus-Gästen ist bei uns zwar sehr hoch und davon spricht der Großteil Englisch, aber die meisten Kubaner sind da nicht so bewandert.", kam ich nun am Ende noch darauf zu sprechen, dass sie zumindest die Grundlagen der spanischen Sprache fließend beherrschen musste und natürlich noch hier und da ein paar Begriffe, die sich auf das alltägliche Geschäft bezogen, damit sie hier gut zurecht kam. Alle anderen Kellner und Kellnerinnen sprachen ganz gut Englisch, eben mit hier und da ein paar Ecken und Kanten, aber man verstand sie gut und zumindest mit der Belegschaft würde es sprachtechnisch keine Probleme geben.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ihm würde wohl auch nichts anderes übrig bleiben, als mir das abkaufen zu müssen. Alternativ blieb ihm nämlich nur noch übrig, die ganze Sache für ihn persönlich doch als eindeutig zu heiß einzustufen und sein Angebot zurück zu ziehen. So wie ich das sah, schien die Not am Mann für Samuele jedoch das weitaus größere Problem darzustellen, denn er lud mich kurz nachdem wir das ungemütliche Thema rund um die Mafia abgehakt hatten, für den morgigen - oder den Tag darauf, wie es mir besser passte - Tag zum Probearbeiten ein. So wirklich glücklich machte mich das allerdings nicht und auch konnte ich mir kein so erleichtertes Schnauben abringen, wie der gebürtige Italiener eines verlauten ließ. Das schlechte Gewissen kam schon jetzt angekrochen und wollte mir einreden, dass das keine gute Idee gewesen war, mich noch weiter auf ihn eingelassen zu haben, nachdem er mich bei meinem richtigen Namen genannt hatte. Aber ich konnte es jetzt wohl nicht mehr rückgängig machen und versuchte mich deshalb doch zumindest ein klein wenig darüber zu freuen, dass ich, sollte ich mich nicht ganz so blöd anstellen, schon bald einen Job haben würde. "Morgen klingt gut.", schlug ich dem jungen Mann das relativ baldige Wiedersehen vor und bestätigte damit indirekt, dass mein Interesse auch nach dem gen Ende ziemlich unangenehmen Gespräch weiterhin bestand. Vielleicht nicht mehr ganz so stark, wie noch zu Anfang, aber ja... Was die sprachliche Barriere anging, konnte ich ihm dann nur nickend zustimmen. Ein Sprachkurs wäre sicher nicht verkehrt, auch wenn sich meine Lust, noch eine zweite Fremdsprache erlernen zu müssen doch wirklich in Grenzen hielt. Dazu noch eine, die ich schon damals in der Schule gehasst hatte. Ich war ja wirklich froh, dass Vahagn in meinem Lebenslauf auf die Anmerkung vorhandener Sprachkenntnisse verzichtet hatte. Sonst hätte das nächste Dilemma vermutlich nicht lange auf sich warten lassen. Wobei Sam - ich nannte ihn jetzt zumindest gedanklich einfach mal so - vermutlich ohnehin schon dahinter gestiegen war, dass das, was vor seiner Nase auf dem Papier stand, nur zu maximal... fünf Prozent der Wahrheit entsprach - ich besaß tatsächlich einen Führerschein und könnte ohne Probleme mit einem Computer umgehen. "Ich hatte damals ein Jahr Spanisch in der Schule, aber das ist schon verdammt lange her. Habe es abgewählt und mich stattdessen für Norwegisch entschieden.", ließ ich ihn beiläufig wissen, dass sich meine Kenntnisse der spanischen Sprache maximal auf ein Hallo und Tschüss, sowie die Frage nach dem Wohlergehen beschränkten. Die Basics eben, die auch sonst jeder andere Trottel verstand. Darüber hinaus war allerdings nicht mehr viel hängen geblieben und bereits eine Antwort auf die Frage, wie es einem ging, hätte mich komplett überfordert. Eine Auffrischung war dahingehend also dringend notwendig. Aber ohne entsprechendes Geld lief das nicht, denn auch die Kubaner arbeiteten nicht für lau oder weil sie ein so großes Herz haben. Ich beschloss daher, mich daheim einfach auf die Suche nach einer geeigneten Sprachschule zu machen und bevor ich mein erstes Gehalt in die Hand gedrückt bekam, würde ich nach einer Bibliothek Ausschau halten. Dort gab es mit Sicherheit Bücher, welche einem zumindest die ein oder anderen Grundlagen vermitteln konnten, damit ich auch nicht englischsprachige Kunden bedienen konnte. Da es für Samuele scheinbar nicht weiter von Belangen war, für welchen Tag wir uns letzten Endes entschieden, nickte er den Termin für morgen ab und nannte mir noch die entsprechende Uhrzeit, wann ich da zu sein hatte. Damit war das Bewerbungsgespräch ganz offiziell beendet und ich ließ den Stift, sowie die zusammengehefteten Unterlagen zurück in meine Handtasche wandern, die ich beim Aufstehen vom Boden angelte. Einen Handschlag und ein bemüht freundliches Lächeln später, verließ ich das Büro des Managers schließlich wieder und war überrascht, was für ein Andrang im vorderen Bereich des Cafés herrschte. Gefiel mir nicht, wenn ich ehrlich sein sollte. Ich traute dem Italiener nämlich noch immer nicht wirklich über den Weg und hatte Sorge, dass sich zwischen den ganzen schwatzenden Kunden doch noch einer seiner Anhänger rührte, um mir zu folgen, aber ich verließ den Laden glücklicherweise allein und wurde auf dem Weg zur Haltestelle lediglich von einer etwas älteren Dame begleitet, die ich durch ihre Gehbehinderung aber schon bald hinter mir gelassen hatte. Zumindest auf dem Rückweg sollte ich am heutigen Tag so etwas wie Glück haben und ich war noch vor dem Bus an der entsprechenden Haltestelle eingetroffen. Mittlerweile war die Sonne so penetrant heiß geworden, dass selbst die Klimaanlage des Nahverkehrsmittels die Luft im Innenraum nicht herunter gekühlt bekam. Vielleicht - und das vermutete ich eher - war sie aber auch einfach nur kaputt gewesen. Jedenfalls kam ich schweißgebadet nach der gewohnt zwanzig minütigen Busfahrt schließlich Zuhause an. Auf dem Weg hierher war mir das Gespräch nicht aus dem Kopf gegangen und ich fühlte mich einfach nicht wohl bei der ganzen Sache, weshalb ich mich schon relativ bald, nachdem ich die Wohnungstür passiert und jene hinter mir geschlossen hatte, auf die Suche nach Sabin begab. Fündig wurde ich im Badezimmer, als er mit den Jungs gerade dabei war, die kaputten Bodenfliesen heraus zu reißen. Natürlich nicht ohne die ein oder anderen Ausrufe der Verzweiflung, die den Männern allesamt ins Gesicht geschrieben stand. Scheinbar hatten sie mit irgendwas im Badezimmer zu kämpfen, aber dafür konnte ich mich leider gerade nicht begeistern. Ich warf daher nur ein beiläufiges "Hallo." in die Runde, ehe ich mich schließlich an meine Vertrauensperson wendete. "Sabin, hast du einen Augenblick Zeit? Ich... ich muss dich kurz etwas fragen. Und dir etwas beichten.", ließ ich leise gemurmelt in seine Richtung verlauten, dass ich mich gerne kurz ungestört mit ihm unterhalten wollen würde. Ich wollte nämlich nicht, dass diese Information bei einen von Hunters Schlägern in den falschen Hals geriet und Panik ausbrach. Samuele wäre dann nämlich vermutlich schneller Geschichte, als er seine Angst vor einer Invasion der italienischen Mafia in Worte fassen konnte.
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Ich war nach der reichlich turbulenten Nacht im Club und der erlebnisreichen Wanderung zur Bushaltestelle wirklich erleichtert darüber gewesen, dass das Verhältnis zu Sydney nicht auf irgendeine Art und Weise komisch geworden war. Wir waren sicher auch beide alt genug, um zu wissen, dass die Küsse ihren Ursprung lediglich im Alkohol hatten. Vermeintlich zumindest, denn darüber geredet hatten wir bisher mit keinem Wort. Aber es schien zwischen uns alles okay zu sein, redeten wir doch nicht wirklich anders miteinander als vor dem kleinen Ausrutscher, der wohl überwiegend von meiner Seite zu verschulden war. Gut, der Moment nach dem Aufwachen war schon ein bisschen merkwürdig gewesen, hatten wir die Schlafstunden wohl mit Kuscheln verbracht und waren dementsprechend auch aufgewacht, aber wir standen da drüber. Der Kater war eher das, was mich am folgenden Tag ziemlich verrückt machte, weil der Kopfschmerz mehr als ein bisschen unangenehm war. Womöglich war ich einfach zu alt für Alkoholkonsum in diesem Ausmaß und sollte künftig wieder besser auf meinen Pegel achten. Nichtsdestotrotz ging das Leben natürlich weiter und die Bude war nach wie vor nicht fertig renoviert. Während Sydney sich auf den Weg für ein Vorstellungsgespräch gemacht hatte, war ich erst einmal in Ruhe wach geworden, hatte mir Kaffee einverleibt und ging im Anschluss mehr schlecht als recht motiviert zum nächsten renovierungsbedürftigen Teil des Hauses über. Das erste Badezimmer hatten wir relativ problemlos geschafft, aber das hier war wirklich ein Desaster. Die alte, kaputte Duschwanne rauszukriegen war echt harte Arbeit und noch dazu kam, dass die Fliesen trotz ihres Alters nur mit Ach und Krach Abschied von der Wand nehmen wollten. Der Boden war schon von den alten Fliesen befreit, aber wenn die Jungs nicht bald mal einen Zahn zulegten was die Wände anging, dann brauchten wir heute nicht mehr damit anzufangen den Boden zu gießen und für die neuen Fliesen zu ebnen. Ich hatte ja wirklich nichts gegen harte Arbeit und heute war ich so weit auch wieder körperlich auf der Höhe, aber meine Nerven vertraten da einen anderen Standpunkt. Die Arbeitsmoral vom Rest der Truppe ließ einfach zu wünschen übrig, was absolut hinderlich für ein möglichst zeitnahes Ende der Renovierungsarbeiten war und es wurde gefühlt von Tag zu Tag schlimmer. Ich konnte sie dabei ja durchaus verstehen, nur brachte uns das eben kein bisschen schneller voran. Ganz im Gegenteil. Angesichts des heutigen Arbeitstages war mir schon gänzlich die Lust darauf vergangen, mich dem dritten Badezimmer auch noch anzunehmen. Umso dankbarer war ich dafür, dass Sydney sich von ihrem Ausflug zurückmeldete und mir mit ihren Worten sogar noch eine Pause von der Arbeit einbrachte. Auch, wenn das mit der scheinbar anstehenden Beichte weniger meine Freude weckte, aber was konnte das schon schlimmes sein? Damit musste ich mich wohl überraschen lassen und so legte ich das Werkzeug bei Seite, zog auch die Handschuhe aus und schmiss sie einfach mit in die gleiche Ecke. Dann strich ich die auf die Stirn gefallenen Haarsträhnen wieder zurück an ihren Platz und verließ mit einem mahnenden Blick auf die anwesenden Knaben das Bad - nur weil ich Pause machte, hieß das nicht, dass Gleiches für sie galt. Schließlich arbeiteten sie gefühlt auch nur halb so schnell, wie sie das im Idealfall eigentlich tun sollten. Ich schloss die Tür des Raumes hinter mir und ging noch ein paar wenige Meter mit der Brünetten den langen Flur hinunter, bevor ich mich dort an die Wand lehnte und sie abwartend ansah. "Was ist denn los?", fragte ich sie gerade heraus, was ihr auf die Seele drückte. War dabei auch vollkommen ruhig, obwohl ich noch vor ein paar Minuten im Bad vor mich hingeflucht hatte. Mein Gesichtsausdruck zeugte zwar sicher nicht von absoluter Freude, aber ich versuchte mir den Stress nicht zu sehr anmerken zu lassen. Immerhin konnte die junge Frau dafür am allerwenigsten etwas.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Vermutlich hätte selbst ein Blinder mit Krückstock den fluchenden Worten Sabins entnehmen können, dass der Italiener momentan alles andere als besonders gut drauf war. Es tat mir daher gleich doppelt so Leid, ihn jetzt zusätzlich auch noch mit meinen Problemen belasten zu müssen, aber irgendwie ging uns das ja doch alle etwas an. Den jungen Mann sogar mehr, als den Rest der Meute. Schließlich hatte Samuele mich nicht nur auf die Geschichte mit der Mafia angesprochen, sondern ganz zu Anfang eben auch auf Mazzanti. Ich hatte mich zwar mit Worten und konkreten Antworten im Bezug auf Sabin zurück gehalten, aber ich konnte nicht oft genug erwähnen, wie wenig ich dem Typen traute. Am Ende wusste er ja doch mehr, als er mir das weiß gemacht hatte und ich würde meines Lebens nicht mehr froh werden, wenn dem einzigen Menschen, der mir hier auf Kuba - aus verschiedensten Gründen - etwas bedeutete, etwas zustoßen würde, nur weil ich mich dazu entschieden hatte, die Klappe zu halten und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Im Idealfall hatte der Manager des Cafés wirklich die Wahrheit gesagt und wir lebten unsere Leben ganz normal weiter, bis dieses unangenehme Vorstellungsgespräch in Vergangenheit geraten war, aber bis ich mir nicht zu einhundert Prozent sicher sein konnte, dass er mein entgegengebrachtes Vertrauen nicht missbrauchte, würde ich weiterhin alles daran setzen, zu meinem kleinen Ausrutscher zu stehen und möglichst viele vor einem möglichen Unheil zu bewahren. Ich fackelte deshalb auch nicht besonders lang, mit der Sprache heraus zu rücken, als Sabin - den ich bei seinem ohnehin schon unzufriedenen Gesichtsausdruck kaum ansehen konnte - und ich fernab des Badezimmers ungestört im Flur standen. "Kennst du einen... Samuele Pianigiani?", richtete ich eine direkte Frage an meinen Gegenüber, wartete jedoch nicht einmal seine Antwort ab, ehe ich fortfuhr. Mir brannte das Anliegen einfach viel zu sehr auf der Seele, als dass ich Sabin jetzt noch die Zeit einräumen wollte, seine grauen Gehirnzellen anzustrengen und in der Kiste voll Erinnerungen an die alte Zeit in Italien zu kramen. "Also... na ja, ist auch egal. Jedenfalls ist er der Manager des Cafés, bei dem ich heute mein Vorstellungsgespräch hatte und es lief auch alles gut und die Stelle klingt super, er würde mich wohl auch nehmen, wenn ich mich morgen beim Probearbeiten gut mache, aber da gibt es ein kleines Problem...", komprimierte ich den Ablauf meines heutigen Tages ein wenig, damit Sabin grob darüber im Bilde war, dass der Tag bis hierhin zumindest für mich kaum besser hätte laufen können. Mal ganz abgesehen von der stressigen Anfahrt und der absolut unangenehmen, schwitzigen Rückfahrt. Aber nun kam der unbequeme Teil, der mir gar nicht so leicht über die Lippen gehen wollte, wie ich mir das ausgemalt und vorgestellt hatte. "Wie soll ich das jetzt sagen...", druckste ich weiter um den heißen Brei herum, ehe ich mir gedanklich einen Tritt in den Hintern verpasste, um endlich auf den Punkt zu kommen. "Er kannte meinen Namen. Meinen echten Namen - Sydney. Und... man, das ist alles so kompliziert, lass' mich ganz kurz sortieren." Eigentlich hatte ich die Informationen auf dem Weg nach Hause super aufbereitet - damit ich eben nicht in diese Situation, in der ich bloß dumm vor mich hin stotterte, kam - musste sie nur noch an Sabin weiter tragen und doch fiel mir das gerade einfach nur schwer. Vielleicht lag es daran, dass der Italiener ohnehin keine so gute Laune zu haben schien und ich damit wohl noch mal eins oben drauf setzen würde, aber es war doch sicher auch in seinem Interesse, davon so früh wie möglich zu erfahren und nicht erst dann, wenn ich es für den richtigen Zeitpunkt hielt. Es folgte also ein weiterer Ruck, den ich mir gedanklich gab, dann schaffte ich es endlich, das Wesentliche zusammen zu fassen. "Okay, also noch mal von vorne. Ich bin da hin, das Gespräch verlief super, aber gegen Ende hat er mir plötzlich die Frage gestellt, ob uns die Mafia noch im Nacken sitzt und er hat gefragt, ob du auch mit hier auf Kuba bist. Ich habe darauf natürlich nichts geantwortet und ihn durch die Blume hindurch gefragt, ob er mich eventuell verwechselt, aber ab da hat er mich dann bei meinem Namen genannt und das Leugnen nichts bringen würde. Dann hat er mir davon erzählt, dass er scheinbar selbst auf der Flucht vor der Mafia ist, weil er mit irgendeinem Zweig verwandt ist und wollte von mir wissen, ob ich quasi eine Gefahr darstellen würde, wenn ich in seinem Laden anfange. Du weißt schon.. wenn uns deine Landsmänner noch auf den Fersen sind. Er wirkte irgendwie besorgt, aber dann auch wieder nicht und ... keine Ahnung, das war einfach ganz komisch alles.", redete ich etwas wirr und unkoordiniert vor mich hin, fuchtelte dabei auch etwas unruhig mit den Händen. Ich hatte mich noch immer nicht getraut, den Blick in die Augen Sabins anzuheben und starrte stattdessen aus dem Fenster unweit von uns nach draußen, so als könnten mir die heruntergekommen, vertrockneten Blumen vor dem Haus eine Erklärung für den ganzen Mist liefern. In jedem Fall wusste Sabin jetzt darüber Bescheid und was er mit dieser Information letztlich anfing, musste er entscheiden. Mein Gewissen war zumindest im Ansatz beruhigt, auch wenn es mir fortlaufend einredete, dass ich mich falsch verhalten hatte. Aber hätte es denn einen Weg gegeben, Samuele davon zu überzeugen, dass ich nicht diejenige war, für die er mich augenscheinlich hielt? Wenn er ein Bild von mir gesehen hatte, dann war das eher schwierig.
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Sydney fackelte glücklicherweise auch nicht allzu lange damit, mit einer Erklärung ihres Problems zu starten. Das gestaltete sich im ersten Moment nur in einer Gegenfrage, die mich den Blick nachdenklich auf den Boden abwenden ließ. Bei dem Nachnamen klingelte es bei mir, ja. Es war zwar ein nicht ganz so seltener Nachname aus Italien, aber dennoch kannte ich auch einen Zweig der Mafia diesbezüglich. Der war in einer ganz anderen Region gelegen, fernab meiner eigenen Heimatstadt, aber ich kannte dennoch auch ein paar der Mitglieder dieses Anhangs persönlich. Die führenden Köpfe eben, die man auf dem einen oder anderen Meeting getroffen hatte. Aber ein Samuele? Nicht, dass ich wüsste. Ich hing meinen Gedanken dahingehend noch nach, als die Brünette zu ein paar mehr Worten ansetzte ich tiefer in das offenbar bestehende Problem eintauchte. Nur stockend, machte sie doch immer wieder Pausen zwischendurch und schien nicht recht zu wissen, wie sie das alles in Worte fassen sollte. Aber schon ihr nächster Ansatz mit dem existierenden Problem ließ bei mir die Alarmglocken schrillen. Das allein konnte schon mal nichts Gutes heißen und ihre noch kommenden Worte, bei denen ich ihr inzwischen auch wieder ins Gesicht sah, sollten mir das bestätigen. Wie viel Pech musste man eigentlich haben, um einen weiteren Abtrünnigen der Mafia in einem Land am gefühlten Arsch der Welt zu treffen? Und dann auch noch in der selben Stadt? Je länger Sydney redete, desto weniger gefiel mir die ganze Geschichte und am Ende machte es dann auch noch Klick. Zwar hatte ich nach wie vor kein Gesicht zu Samuele, aber ich war mir jetzt ziemlich sicher damit zu wissen, wer er war. Wenn ich damit richtig lag und er nicht nur ein Spion war, der uns hier am besten bis zur Haustür auf die Schliche kommen sollte, dann log er zumindest nicht und stand tatsächlich nicht mit der Mafia in Kontakt. Das allein garantierte mir aber weiterhin nicht, dass meine ehemaligen Mitstreiter ihn nicht im Auge behalten hatten. Zwar war das, wenn ich mich recht entsinnte, auch Teil der damaligen Abmachung mit seinen Eltern gewesen, aber da konnte ich mich auch irren. Diese Geschichte lag inzwischen sicher an die zehn Jahre zurück und ich selbst hatte damals noch nicht in der Chefetage gesessen, hatte zu jener Zeit noch selber als Dealer an den Straßen gestanden. Aber irgendwann später hatte ich mich mal mit einem Kollegen aus jener Ecke Italiens nach einem Meeting darüber unterhalten, weil er sich so darüber gefreut hatte, dass der Bursche endlich das Land verlassen hatte und seine Eltern sich final an den eigentlichen Kernpunkt der Abmachung machen konnten. Ich konnte über diesen Handel nach wie vor nur den Kopf schütteln und hatte mich nie wirklich dazu geäußert, weil das mit meinem familiären, elterlichen Geist einfach absolut nicht vereinbar war. Mich dabei zu enthalten war also die beste Variante gewesen, nur half mir das hier und jetzt auch nicht weiter. Im Grunde hielt ich den jungen Mann erst einmal für keine allzu große Bedrohung, aber es ließ sich schlicht und ergreifend nicht mit Sicherheit ausschließen. Mich - beziehungsweise uns - dabei auf den Zufall zu verlassen und einfach zu hoffen, dass er die Wahrheit sagte und dass er selbst einfach nur Ruhe vor den Italienern haben wollte, kam eigentlich nicht wirklich in Frage. Dazu lag mir viel zu sehr daran, hier jetzt endlich mal wieder sowas wie ein gutes Leben aufbauen zu können. Wir mussten in Erfahrung bringen, ob Samuele die Wahrheit gesagt hatte und im Idealfall auch irgendeine Art von kleinem Abkommen mit ihm treffen. Ich wollte ihm eigentlich nicht nur stumpfsinnig drohen... obwohl das sicher auch ziehen würde, wenn er bisher noch keine Erlebnisse in diesem Bereich gesammelt hatte. Lange Rede, kurzer Sinn: Einfach so stehen lassen konnten wir die Sache wohl nicht. "Wie viel Pech kann man eigentlich haben...", stellte ich erst einmal eine rein rhetorische, geseufzte Frage an mich selbst, während ich etwas unruhig auf und ab zu gehen begann. Nie weit von der Brünetten weg, aber ich musste die innere Unruhe gerade einfach irgendwie kompensieren. In diesem Fall eben durch ein paar Schritte hin und her. Dabei machte ich Sydney gar nicht wirklich einen Vorwurf dafür, sie hatte schließlich nicht wissen können, um wen es sich bei Pianigiani handelte. Nur selbst, wenn sie ihm jetzt nichts davon erzählt hatte, dass ich hier war, konnte er ihr theoretisch einfach mal auf dem Heimweg folgen, wenn ihm danach war, um sich selbst davon zu überzeugen. Das war gerade ungefähr das letzte, was wir gebrauchen konnten. "Also erstmal... ja, ich denke ich weiß, wer er ist. Ihn selbst kenne ich nicht, aber wenn er ist, für wen ich ihn halte, dann dürfte er tatsächlich nichts mit der Mafia zu schaffen haben.", setzte ich die junge Frau erst einmal in Kenntnis darüber, dass ich eine sehr starke Vermutung dabei hatte, um wen es sich bei Samuele handelte. "Nur stehen wir gerade wirklich nicht in der Position, da irgendwelche Risiken einzugehen. Ich schätze ich werde wohl...", es folgte wieder eine kurze Denkpause, aber allein würde ich mir Pianigiani sicherlich nicht vor die Brust nehmen. "...Hunter anrufen und ihn fragen, wie er die Sache sieht.", stellte ich also abschließend fest, dass ich den Amerikaner gleich mal kontaktieren würde, um ihm die Situation zu schildern und das weitere Vorgehen zu planen. Ob das jetzt besser als das lästige Renovieren war? Fragwürdig.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Entgegen meiner Erwartung, dass Sabins Laune unter der Beichte noch weiter litt, schien er die Informationen verhältnismäßig gut wegzustecken. Er bestätigte mir sogar kurzerhand, dass Samuele - wenn es sich tatsächlich um den jungen Mann handelte, den Sabin gerade wohl vor seinem inneren Auge hatte - die Wahrheit sagte, was mich doch ein wenig erleichtert aufatmen ließ. Damit war jedoch noch absolut gar nichts in Stein gemeißelt und wir schienen uns in dem Punkt, dass wir Sam fürs Erste nicht vertrauen würden, einig zu sein. Ich war mir jedoch nicht ganz sicher, ob das Einbinden von Hunter in dem Fall eine so gute Idee war, denn so wie mein ehemaliger Klassenkamerad drauf war, hatte ich die Befürchtung, er würde dem jungen Mann nur den Kopf abreißen, selbst wenn er die Wahrheit sagte. Auf der anderen Seite müsste wohl Sabin selbst dran glauben, wenn er auf eigene Faust der Sache nachgehen wollte. Was für eine schwierige und absolut beschissene Situation, wenn man mich fragte. Zwar fühlte ich mich gegenüber dem Manager zu absolut gar nichts verpflichtet, aber ich müsste lügen, zu sagen, dass es mir gefiel, wenn er jetzt entgegen meiner Aussage, dass die Mafia ihm nichts tun würde, plötzlich von Hunter und seinen Schlägern abgefangen wurde. Aber sicher war sicher und mein schlechtes Gewissen würde sich schon irgendwann wieder beruhigen. Dass damit auch die Stelle in dem Café auf der Kippe stand - denn wer wollte schon jemanden unterhalten, der einem ja doch indirekt in den Rücken gefallen war? -, schmeckte mir natürlich keinesfalls, aber das Wohl der Gruppe stand an der Stelle ganz klar über meinen eigenen Bedürfnissen und anders als Cosma oder Vahagn beispielsweise, ließ das nicht sofort die Wut in mir hoch kochen, nur weil ich einmal nicht das bekam, was ich wollte. Vermutlich lag das am Alter, meiner damalige Arbeit und natürlich Mann und Kind, die meinen Charakter über die Jahre hinweg geformt hatten. "Ja, kann ich nachvollziehen...", bestätigte ich Sabin nach einer kurzen Pause also erst einmal, dass wir momentan nicht in der Position waren, Risiken einzugehen. Wir besser auf der Hut sein sollten, auch wenn die Situation noch so ungefährlich sein sollte. "Ich muss dir sicher nicht sagen, dass ich weniger davon begeistert bin, Hunter mit in die Sache einzubinden, weil er ihm vermutlich nach mir trotzdem den Kopf abreißen wird und er zumindest im Auftreten viel zu nett war, als dass er das verdient hätte, aber... du hast vermutlich Recht und er weiß sicher am besten, wie wir uns jetzt verhalten sollten.", äußerte ich meine Bedenken dahingehend, wobei ich gen Ende trotzdem einlenkte und meine indirekte Zustimmung gab. Zwar wäre die vermutlich weder für Sabin, noch für Hunter von Belangen gewesen, aber na ja... Jetzt, wo ich wusste, dass Sabin mir keine Predigt halten würde, was ich für einen Mist verzapft hatte, sah ich ihn auch endlich wieder an. Ich beobachtete ihn dabei, wie er nachdenklich ein paar Schritte durch den Flur machte, ehe mir noch eine wichtige Information durch den Kopf schoss, die für einen Anruf bei dem Amerikaner eventuell wichtig sein könnte. "Ach ja, ich habe morgen um 10 Uhr eine Verabredung mit ihm für ein Probearbeiten. Ich weiß nicht, ob das vielleicht wichtig ist, wenn du Hunter anrufst?", formulierte ich die Tatsache zu einer indirekten Frage um, als ich mir gerade eine verloren gegangene Strähne von der Stirn wischte. Sie klebte ziemlich unangenehm auf der vom Schweiß feuchten Haut und erinnerte mich daran, dass ich ziemlich bald duschen gehen sollte, obwohl ich das heute früh bereits getan hatte. Wenn man sich allerdings dafür entschied, bei einem solchen Wetter mit einer langen Hose vor die Tür zu gehen, musste man wohl damit rechnen, am Ende - oder mittig - des Tages vollkommen schweißgebadet vor sich hin zu stinken.
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Den Hintergedanken verstand ich schon. Der Amerikaner war schlichtweg nicht das, was man als besonders handzahm, umgänglich oder gar geduldig bezeichnen würde. Vor allem war es bis dato ja auch absolut noch nicht notwendig, den armen Kerl einen Kopf kürzer zu machen, weil er ja bisher nichts getan hatte, dass das rechtfertigen würde. Sofern er nur friedlich - ohne Kontakt zur Mafia - weiter sein Dasein auf der Insel hier genießen wollte stellte er selbstverständlich keine Bedrohung dar, also wäre es absolut unnötig ihn zu unserer ersten Leiche auf kubanischem Boden zu machen. Sollte er schon einige Zeit lang hier leben, wovon ich bis zum jetzigen Zeitpunkt ausging, dann konnte er uns vielleicht sogar nützlich sein. Wusste hier und da vielleicht ein paar Dinge, die uns zu Gute kommen könnten, während wir uns hier etwas Neues aufbauten. So weit zumindest die Theorie - wie es in der Praxis aussah war dann eine andere Sache. Vielleicht war Hunter auch zu gar keinen Kompromissen bereit, was sich sicherlich erst in ein paar Minuten zeigen würde. Ich zuckte leicht mit den Schultern, als ich langsam wieder zum Stehen kam und hob die rechte Hand an, um mir die Schläfen zu massieren. Natürlich saß Hunter im Grunde auch einfach am deutlich längeren Hebel - er finanzierte uns hier gerade so einiges und dementsprechend hatte er hier schlicht die Oberhand. Ich würde ihn nicht daran hindern können den Italiener umzulegen, wenn er das unbedingt wollte. "Wenn Samuele so vernünftig ist, wie er auf dich gewirkt hat, dann hat er denke ich nicht allzu viel zu befürchten... offenbar ist er ja Geschäftsmann, also wird sich da bestimmt irgendeine Lösung finden lassen.", blieb ich erst einmal optimistisch, was rollende Köpfe anging. Natürlich wäre er sicher nicht begeistert davon uns bei irgendwelchen kriminellen Aktionen indirekte Hilfeleistung zu geben, aber dann hätte er den Mund eben schlichtweg nicht aufmachen dürfen. Da war er zu großen Teilen jetzt also schlicht und ergreifend selbst dran Schuld. "Und dir wird Hunter erst recht nichts tun, dafür sorg' ich schon. Du konntest das ja nicht wissen, auch wenn das Ganze natürlich echt... verdammt ungünstig gelaufen ist.", beruhigte ich Sydney erst einmal was ihr eigenes Wohl anbelangte, denn da würde ich sicherlich ohne das kleinste Zögern einschreiten. Es war ja nicht so, als hätte die Brünette es drauf angelegt sich einem Verwandten der Mafia in dessen Büro vorzustellen. Gab also keinerlei Gründe dafür ihr auch nur ein Haar zu krümmen und sollte er das anders sehen, sollte er erstmal an mir vorbei. Mich würde er schließlich nicht umlegen, ganz gleich wie sehr ihm meine Einstellung vielleicht in mancher Hinsicht nicht passte, weil er dann keinen Cent von meinen Schulden mehr sehen würde. Er war zwar ein Choleriker, aber dumm war er nicht und damit hatte ich ihn zumindest ein Stück weit in der Hand. Die Info, die Sydney mir dann noch zukommen ließ, war sicher nicht ganz irrelevant für das gleich folgende Gespräch. Deshalb nickte ich jene auch gleich mit ab. "Ist wahrscheinlich gar nicht so verkehrt... du solltest da auf jeden Fall trotzdem hingehen. Damit sitzt du an der Quelle und wenn er dir noch mehr Fragen stellen sollte, statt sich mit dir nur auf die Arbeit zu konzentrieren, gibt uns das eventuell mehr Hinweise. Außerdem wär's verdächtig, wenn du's jetzt doch wieder canceln würdest.", informierte ich sie über meinen nächsten Gedankengang, unmittelbar nachdem mir jener in den Kopf geschossen war. Vielleicht verriet sich der Bursche ja selbst, wenn er doch etwas im Schilde führen sollte. So oder so war ein bisschen Beschattung sicherlich nicht verkehrt. Ob jetzt nur durch Sydney oder einen von Hunters Männern - oder beides - konnte ich noch nicht sagen, würde sich wohl erst in ein paar Minuten zeigen. "Sonst noch irgendwas, das ich wissen muss..?", hakte ich zur Sicherheit noch einmal nach, als ich mein Handy aus der rechten Hosentasche zog und Hunters Kontakt auf dem Display öffnete.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Blieb zu hoffen, dass Sabin auch dahingehend Recht behalten sollte. Hunter in Samuele vielleicht jemanden sah, mit dem man durchaus zusammenarbeiten konnte und dessen Wissen über die Stadt und das Land uns eventuell für unsere eigenen Geschäfte - beziehungsweise die der Jungs - Vorteile verschaffte. Aber das alles stand noch in den Sternen und deswegen wollte die anhaltende innere Unruhe sich auch noch nicht gänzlich auflösen. Vermutlich würde es mir erst wieder besser gehen, wenn ich wusste, dass Hunter den Italiener nicht direkt häuten wollen und sich stattdessen erst einmal anhören würde, was der gute Mann zu sagen und ihm gegebenenfalls anzubieten hatte. "Ich hoffe es...", murmelte ich diesbezüglich also nur, ehe ich den darauffolgenden Worten meines Gegenüber folgte. Dabei hatte ich mich selbst in Bewegung gesetzt und war die wenigen Zentimeter bis zum Fenster gelaufen, dann wieder zurück zu Sabin und war bei seiner Aussage, dass er höchstpersönlich dafür sorgen würde, dass Hunter mir kein Haar krümmen würde, schließlich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wieder vor ihm stehen geblieben. Ich war ihm auf der einen Seite dankbar, auf der anderen ziemlich erleichtert, dass er mir diesen Rückhalt versprach, denn ein Konflikt mit dem Amerikaner könnte mich unter Umständen und ohne weiteres mein Leben kostet. Ich hätte nie gedacht, dass mein ehemaliger Klassenkamerad eine derartige Wendung vollziehen würde, hatten wir uns doch in jungen Jahren wirklich gut verstanden und dass er mich mittlerweile ohne zu zögern umlegen würde, weil ich ihm seit meiner unehrenhaften Entlassung vom FBI effektiv einfach nichts mehr brachte, fand ich deshalb schon irgendwie erschreckend. Ich war also ganz froh, zumindest einen einzigen Menschen an meiner Seite zu haben, der mir bis dato bedingungslos beistand. Mir war zwar noch nicht ganz klar, warum sich Sabin für mich so aufopferte, wo er doch eigentlich froh sein sollte, wenn ich ihm nicht mehr dauernd auf die Nerven ging, aber ich wollte das auch überhaupt nicht hinterfragen. Hatte Angst, dahingehend auf Antworten zu stoßen, die durchaus offensichtlich waren, ich aber zumindest im aktuellen Augenblick sicher nicht verarbeiten können würde. Stattdessen schüttelte ich die stockenden Gedanken in diese Richtung schließlich ab, um das letzte Bisschen an Distanz, welche zwischen Sabin und mir lag, zu überbrücken, damit ich meine Arme um seinen Oberkörper legen und mein Kopf an seinen Oberkörper betten konnte. "Danke.", war alles, was ich relativ leise an seine Brust murmelte, bevor ich mich recht zügig auch schon wieder von ihm löste. Mir stand jetzt nicht der Sinn nach ewigen Kuscheln, aber ich wollte ihm einfach nur verdeutlichen, dass ich seine Hilfe durchaus zu schätzen wusste. Irgendwann würde ich mich dafür sicherlich auch noch auf anderen Wege erkenntlich zeigen können. Aber bis dahin musste eine flüchtige Umarmung und ein paar Worte ausreichen. Apropos... ich schenkte den letzten auffordernden, sowie fragenden Worten noch mein Gehör, nickte und schüttelte dann mit dem Kopf, ehe ich auch verbal noch einmal unterstrich, dass das kein Problem war, wenn ich morgen den Termin wahrnehmen würde und das ich keine Information mehr hatte, die ich ihm geben konnte. Ich ihn alles hatte wissen lassen, was vor weniger als einer Stunde im Büro des Cafés passiert war. "Kein Problem. Ich denke, so schwer wird mir das nicht fallen. Er war wirklich nett." Wäre halt nur blöd, wenn Samuele gelogen hatte und die Nettigkeit bloß gespielt war, aber ich hoffte es einfach mal nicht. Würde mir das am morgigen Tag einfach angucken und sollte wider Erwarten doch ein Mitglied der italienischen Mafia im Café auf mich warten... Na ja, dann war mein Tod wohl das Lehrgeld, was ich zahlen musste. "Ansonsten gibt es nichts weiter, dass du wissen musst, aber ich hätte da eine Bitte. Keine Ahnung, wie Hunter darauf reagiert und was er vor hat, aber... also ich meine nur für den Fall, dass ihr ihn euch zur Brust nehmt, wäre ich gerne dabei." Denn eine Entschuldigung für diesen Umstand war in jedem Fall angebracht. Eventuell konnte ich außerdem dabei behilflich sein, das Ganze ein bisschen diskreter über die Bühne zu bringen. Sollte eine Entscheidung diesbezüglich schon heute fallen - und so, wie ich Hunter kannte, würde sie das -, dann könnte ich Sam morgen ja erst einmal nett und freundlich darum bitten, mit mir mit zu kommen. Für den Fall der Fälle durfte Hunter natürlich gerne seine Schläger rund um das Café postieren oder sich selbst in der Nähe aufhalten, aber ich empfand es als absolut nicht richtig, direkt zu Anfang mit roher Gewalt um Informationen zu bitten. Vielleicht war der Italiener ja kooperativer, als er auf den ersten Blick den Anschein machte. Oder ich einfach naiver, als ich sein sollte...
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Es ließ meine Mundwinkel mehr nur unbewusst ein wenig nach oben wandern, dass die Brünette sich so aufrichtig mit einer Umarmung bei mir bedankte. Ich selbst fühlte mich damit auch einfach gut - was mir nicht richtig schien, wie in diesem Fall eine Bestrafung Sydneys', wollte ich schlichtweg nicht unterstützen, wenn es andere Wege gab. Dass ich sie inzwischen ganz gut kannte und mir absolut sicher damit sein konnte, dass sie das nicht bewusst so eingefädelt hatte und es ihr sicher ohnehin inzwischen schon leid tat, spielte sicher auch mit rein. Aber ich war nicht aus der Mafia ausgestiegen, um jetzt weiterhin das Verprügeln oder Ermorden mehr oder minder Unschuldiger zu dulden. Wollte es jetzt besser machen und wenn das hieß im Ernstfall für eine Freundin einzustehen, dann tat ich das trotz des Risikos auf Streit mit Hunter gerne. Mit ihm wurde ich schon fertig, wusste ich inzwischen doch ziemlich gut, welche Knöpfe man bei ihm drücken sollte, wenn er sauer war. Ruhig bleiben und andere Wege aufzeigen war da immer die beste Vorgehensweise. Ihm von dem Dorn in seinem Auge ablenken. Jedenfalls legte ich den freien Arm kurzerhand ebenfalls um ihren schlanken Körper, strich ihr einmal über den Rücken und murmelte ein "Mach ich gern.", zu ihr runter, ehe die Umarmung früh ihr Ende fand und sich Alles wieder ums eigentlich Wesentliche drehte. Trotzdem Probearbeiten zu gehen schien glücklicherweise kein Problem für Sydney zu sein und so nickte ich dahingehend auch nur noch einmal knapp, bevor ich ihren letzten Worten Gehör schenkte. Ich konnte bis jetzt nicht einschätzen, wonach genau dem Amerikaner der Sinn stand und ob er sich darauf einlassen würde, dass die Brünette den jungen Mann sowas wie eskortieren würde. "Ich sag's ihm, kann dir aber nichts versprechen.", ließ ich die junge Frau unweit vor mir wissen, dass ich das so an Hunter weitertragen würde, aber da wohl nur bedingt Einfluss drauf hatte. Der Kerl war schließlich unheimlich stur und nur selten wirklich umzustimmen, wenn er sich erst mal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Nach einem letzten Blick auf die junge Frau hob ich dann das Telefon an mein Ohr. Fing wieder an zu gehen, als Hunter erst einmal in der Leitung hing. Ging gefühlt in Zeitlupe den Flur hinauf und danach wieder runter, solange ich ihm die Situation schilderte und im direkten Anschluss mit ihm zu diskutieren begann. Selbstredend verfluchte er zuerst das unnütze Miststück, das nur Ärger machte, aber das ließ ich vorerst unkommentiert, solange keine wortwörtliche Drohung an sie gerichtet wurde. Insgesamt redete ich sicher eine Viertelstunde mit ihm darüber, welche Vorgehensweise denn für uns beide konform waren und ob sich Sydneys Wunsch auch mit einbinden ließ. Natürlich war er ebenso wenig erfreut darüber, dass sie jetzt in seinen Augen auch noch unverdiente Ansprüche stellte, aber er schien sich dennoch mehr oder weniger darauf einzulassen. Es kam nicht wirklich in Frage, dass wir uns auf öffentlichem Grund mit Samuele unterhielten, weil wir einfach nicht einschätzen konnten, wo es hier verhältnismäßig sicher war und wo nicht. Außerdem war ihn auf privaten Grund zu bewegen mehr oder weniger die einzige sichere Möglichkeit für die Gewissheit, dass sich in der Nähe Niemand Unbefugtes befand, der die Sache abhörte. Nur war die eindeutige Kehrseite eben, dass er trotzdem nicht wissen sollte, wo sich unsere privaten Grundstücke befanden und das ließ sich im Grunde nur durchs Ausknocken oder mit dem Verbinden seiner Augen bewerkstelligen. Beides sicher nicht angenehm für den jungen Mann, aber damit konnten wir ihm zumindest ein bisschen die Wahl lassen - behielt er die Augenbinde brav auf und machte keine Anstalten dazu, daran vorbeisehen zu wollen, blieb ihm ein gezielter Schlag auf den Kopf erspart. Nachdem ich aufgelegt hatte folgte erst mal ein tiefes, angestrengtes Seufzen. Es war einfach jedes Mal aufs Neue sehr nervenaufreibend mit dem Amerikaner zu reden, wenn er sauer war. Ich konnte zwar verstehen, dass er aufgebracht war, aber er übertrieb es einfach schon wieder maßlos. Noch war nichts passiert und noch wussten wir auch nicht, ob der Kerl überhaupt eine Bedrohung darstellte. Wenn nicht sollte sich die Sache schnell klären und alles war in bester Ordnung, also warum jetzt schon wieder den Teufel an die Wand malen? Unbegreiflich für mich, aber ich war wohl schlichtweg auch mit wesentlich mehr Geduld gesegnet als Hunter. Ich schob das Handy zurück in meine Hosentasche und machte dann einen kurzen Abstecher in die Küche, weil Sydney in der Zwischenzeit noch im anderen Badezimmer war - nach einer abkühlenden Dusche wäre mir jetzt wohl ebenso wie ihr, aber nachdem ich mit dem Mist im anderen Badezimmer noch nicht fertig war, kam das erst später irgendwann in Frage und so öffnete ich lediglich die Bierflasche an der Oberkante des Griffs am ohnehin noch rausfliegenden Kühlschrank. Ich sehnte wirklich das neue Küchenmobiliar herbei, als ich mich noch für weitere zehn Minuten in der Küche an den Herd lehnte, um noch kurz durchzuatmen. Dann aber suchte ich recht gezielt die Brünette in unserem Zimmer auf, weil ich gehört hatte, dass sie das Badezimmer inzwischen hinter sich gelassen hatte. "Hunter hat sich auf eine mehr oder weniger friedliche Art von Eskorte eingelassen...", setzte ich zum Reden an und schloss dann aber die Tür zumindest für die Dauer des Gesprächs hinter mir, weil nun wirklich nicht jeder vorbei streunende Handlanger wissen musste, was vor sich ging. "...öffentlicher Grund kommt für das Gespräch", ich wollte es jetzt mal nicht Verhör nennen. "nicht in Frage, heißt er muss hierher kommen, weil Hunter ihn nicht bei sich haben will. In den Keller natürlich, da kann er sich nichts wegweisendes merken. Er soll logischerweise nicht wissen wo er ist, deswegen werden zwei von Hunters Männern in einem Wagen in der Nähe des Cafés auf euch warten und euch herbringen. Solange er sich kooperativ zeigt und aus freien Stücken mit einsteigt kriegt er die Augen verbunden, ansonsten wird er eben anders dingfest gemacht. Du solltest ihm also im besten Fall vorher vermitteln, dass ihn Gegenwehr definitiv nicht weiter bringt und er im Grunde nur die Wahl darüber hat, wie unbeschadet er aus der Sache wieder herauskommt.", setzte ich die junge Frau über den Hergang des Gesprächs ins Bild. Samuele auszufragen ließ sich nicht umgehen, aber es lag ganz bei ihm, wie sich das gestaltete. Solange er keine Zicken machte konnte er potenziell unversehrt aus der Sache wieder herauskommen, alles andere kam ihm hingegen sicher teuer zu stehen. Vielleicht nicht auf Anhieb mit rollendem Kopf, aber dass Hunter sehr schnell sehr ungemütlich wurde brauchte ich sicher nicht zu erklären.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Dass das noch immer von Hunter abhängig war, ob und wenn ja, wie ich in einen möglichen Plan mit eingebunden wurde, wusste ich schon, als ich die Bitte ausgesprochen hatte. Wichtig war mir nur, dass Sabin die Frage mitnahm und vielleicht zeigte sich der Amerikaner ja gnädig. Andernfalls würde ich Samuele einfach nach dem voraussichtlich anstehenden Gespräch noch einmal alleine aufsuchen, um mich bei ihm für die Umstände zu entschuldigen - vorausgesetzt, er lebte dann noch. Aber bis die Sache nicht geklärt war, würde ich erst einmal die Füße still halten, versuchen, nicht gleich vom Schlimmsten auszugehen und mich abduschen. Ich fing langsam an, mich zu akklimatisieren und stellte dabei fest, dass kalter Schweiß mit Abstand am unangenehmsten roch. Daher nutzte ich einfach die Zeit des Telefonats zwischen Sabin und Hunter, um mich ins Badezimmer zu verziehen. Dann nutzte ich die Zeit wenigstens sinnvoll, anstatt hier weiterhin tatenlos im Gang herum zu stehen und mir mit anzuhören, wie der Amerikaner förmlich durch den Hörer kroch, nur um mir an die Gurgel gehen zu wollen. Ich hatte auf dem Weg in das etwas weiter entfernte Bad noch mitbekommen, wie sich die Stimme des Italieners in meinem Rücken erhob und ahnte schon nichts Gutes, als ich in einem der bereits fertig renovierten Badezimmer ankam. An der Wand gegenüber der Tür, die ich mit einem Stoß des Fußes hinter mir ins Schloss fallen ließ, war es zwar noch immer ziemlich kahl, weil die Wanne fehlte, aber zumindest die Duschkabine war bereits angeliefert und verbaut worden. Das Bad machte damit gleich einen sehr viel schöneren Eindruck, man konnte sich tatsächlich beinahe darin wohl fühlen, was nicht zuletzt wohl auch daran lag, dass nach dem Einbau grundlegend sauber gemacht worden sein musste. Ansonsten hätten hier sicherlich noch Späne herum gelegen, aber es war alles blitzblank, nicht einmal das kleinste Staubkörnchen war zu sehen gewesen, was mir natürlich nicht entging. Ich genoss diesen Zustand, solange er anhielt - ich gab den Jungs maximal drei Tage, bis es hier wieder aussah, wie bei Hempels unterm Sofa - und schälte mich prompt aus den nassgeschwitzten Klamotten. Diese wanderten ungeachtet zu Boden und wurden erst wieder aufgesammelt, als ich etwa eine Viertelstunde später das Bad mit einem Badehandtuch um den Körper verließ, um ins Schlafzimmer zurück zu stiefeln. Dort hatte ich mir gerade frische Unterwäsche angezogen und die übel riechenden Klamotten in Sabins und meine eigene Wäschetonne wandern lassen, als besagter junger Mann plötzlich hinter mir in der Tür stand. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören und wäre er nur eine Minute eher aufgetaucht, dann hätte ich ihm wohl ganz unfreiwillig Dinge offenbart, die ich ihm eigentlich nicht offenbaren wollte - oder vielleicht doch? Ich schüttelte etwas perplex über den plötzlichen aufkommenden, ziemlich absurden Gedanken mit dem Kopf, als ich gerade ein sauberes Top aus dem Schrank kramte und dem Italiener mein Gehör schenkte. Ganz offensichtlich war das Telefonat beendet und die beiden Männer zu einer Lösung gekommen. Diese sollte doch auch tatsächlich meinen Geschmack treffen und beinhaltete nur im äußersten Notfall rohe Gewalt. Ich sah Sabin wohl einen Augenblick lang ziemlich entgeistert an, weil ich weder in diesem, noch in einem anderen Leben damit gerechnet hätte, dass sich Hunter mehr oder weniger freiwillig auf eine derart friedliche Option einließ, aber beschweren würde ich mich ganz sicher nicht. "Wow, okay. Ich hätte nicht gedacht, dass Hunter sich so leicht überreden lässt.", stellte ich nachdenklich fest, als ich mich aus dem kurzen Moment der Schockstarre gelöst hatte und mir beim Reden das Top über den Kopf zog. "Ich denke nicht, dass Samuele Ärger machen wird, wenn ich ihm sage, dass nichts passiert, solange er kooperiert. Er scheint mir sehr intelligent zu sein.", fügte ich ferner hinzu, dass ich mich ein weiteres Mal auf das Verhandlungsgeschick der FBI Agentin in mir verlassen würde. Für gewöhnlich zog der Leitspruch Friss oder stirb' aber bei so ziemlich jedem, der nichts zu verbergen hatte und das auch verhältnismäßig schnell. Sollte der Manager also wirklich nichts mit der Mafia am Hut haben, dann würde er doch wohl sehr sicher die Bereitschaft zeigen, uns das auch beweisen zu wollen, indem wir - oder in dem Fall konkret Sabin oder Hunter - einen kurzen Plausch mit ihm hielten. Aber das war bis hierhin auch alles bloß die Theorie. In der Praxis konnte das morgen natürlich ganz anders aussehen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Nun ja, von leichtem oder gar schnellem Einverständnis seinerseits konnte kaum die Rede sein. Ich war natürlich froh darüber, dass ich nicht eine ganze Stunde mit ihm deshalb hatte telefonieren müssen oder er gar vorbei kommen wollte, um seinem Ärger Luft zu machen, aber er hatte sich dennoch ziemlich gesträubt. Er fuhr da eben eher wie die italienische Mafia auch den Film aus Einschüchterung und Gewalt, um sich Respekt zu verschaffen. Hier und da war das auch angebracht, das wollte ich gar nicht in Frage stellen, wo ich dieses Metier doch nur zu gut kannte und man als nicht einschüchternder Boss einer kriminellen Organisation ganz einfach nicht lange lebte. Nur hielt ich das bis jetzt eben unnötig im Fall von Samuele. Ich konnte mich theoretisch irren, das war mir schon klar, nur hatte ich eigentlich ein ziemlich gutes Gedächtnis und ich glaubte nicht wirklich daran, dass die Mafia noch einen anderen Pianigiani hatte gehen lassen, wo der Name in seinem Klang doch relativ einprägsam war. Außerdem sah ich nicht wirklich einen Grund dafür, warum er Sydney gegenüber so ehrlich gewesen sein sollte, nur um uns im Nachhinein dann an die Italiener zu verraten. Das würde einfach nicht wirklich einen Sinn ergeben, oder zumindest wollte sich mir dieser nicht aufzeigen. Bis wir mit ihm geredet hatten war ohnehin alles nur blankes Mutmaßen. "Von leicht kann jetzt nicht unbedingt die Rede sein...", stellte ich leise seufzend fest, bevor ich an der bereits zur Hälfte geleerten Flasche nippte. Ich ertappte mich nebenbei auch dabei, dass ich die Brünette ein wenig musterte, was vermutlich einfach nur der nackten Haut zu verschulden war. Dennoch wendete ich die Augen alsbald von ihr ab und sah stattdessen aus dem Fenster, an dem eindeutig noch ein paar Vorhänge fehlten. Zwar konnte ich durchaus auch mit Sonne im Gesicht noch ein bisschen weiter vor mich hin schlafen - lag sicher auch an meinem Alter, brauchte ich doch gefühlt bei Anbeginn eines jeden neuen Jahres gefühlt eine Stunde Schlaf mehr pro Nacht -, aber angenehmer war es trotzdem, wenn es etwas dunkler im Raum war und man nicht von den Sonnenstrahlen irritiert wurde. Außerdem war das wohl auch der letzte Funken an noch machbarer Privatsphäre, die ich um jeden Preis so hoch wie möglich ansetzen wollte. Sydney fügte dann auch noch ein paar weitere Worte an, auf die ich nur mit den Schultern zucken konnte. Schließlich hatte ich den jungen Mann bis dato noch nicht mit eigenen Augen gesehen oder gar gehört und konnte das demnach absolut nicht beurteilen. Besser für ihn wäre es aber natürlich, wenn die Brünette mit ihren Worten Recht behielt und er sich den Forderungen wortlos fügte, damit wir die Sache auch möglichst schnell hinter uns hatten. "Hoffen wir's für ihn.", äußerte ich mich dahingehend also nur noch flüchtig, weil ich sonst nichts mehr dazu zu sagen hatte. "Hunter wird dann wohl auch her kommen morgen, um sich selbst ein Bild von der Sache zu machen... stell dich am besten also schon mal mental drauf ein.", ließ ich ihr noch die Info zukommen, dass der Amerikaner morgen zum ersten Mal seit unserer Einreise ein Fuß in dieses Haus setzen würde und vermutlich wegen der Umstände eher schlecht gelaunt sein würde. Ich wusste nicht, ob er Sydney auch noch persönlich ein paar Worte an den Kopf schmeißen wollte, aber möglich war das durchaus und so wollte ich sie einfach vorgewarnt haben, obwohl es sicher ohnehin naheliegend für sie war, dass er herkam. Besser einmal zu oft als gar nicht erwähnt, würde ich sagen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Gut, wenn nicht leicht, dann eben schnell. Im Prinzip war es ja auch gehupft wie gesprungen auf welchem Wege Sabin es letztlich geschafft hatte, Hunter davon abzubringen, direkt bis unters Kinn bewaffnet Samueles Café zu stürmen. Die Hauptsache war doch, dass ich quasi das offizielle Go des Chefs hatte, um mit deutlich mehr Feingefühl an die Sache heranzugehen, als es der Amerikaner getan hätte. So wie ich Hunter nach seiner Veränderung einschätzte, war ihm das Wort vermutlich noch nicht einmal geläufig. "Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, wie man so ein großer Freund von Gewalt sein kann, dass man wirklich jeden Anlass dafür nutzen muss, seine innere Unzufriedenheit auf diesem Wege mitzuteilen.", stellte ich auf Sabins Aussage, die in ihrem Kern vermuten ließ, dass der Amerikaner ursprünglich einen ganz anderen Plan gehabt hatte, fest. Ich konnte mir auch jetzt, wo ich selbst ein Stück weit in kriminelle Machenschaften verstrickt war, einfach nicht erklären, was manche Menschen dazu antrieb, vollkommen willkürlich auf der Straße Leute zu verprügeln. Klar, wenn man angegriffen wurde, dann wehrte man sich, gar keine Frage. Auch Hass oder Neid waren Beweggründe - wenn in meinen Augen auch keine besonders nachvollziehbaren -, aber manche schienen schlichtweg Spaß daran zu haben, andere Menschen zu drangsalieren und leiden zu sehen, was mir wiederum einfach nicht in den Kopf gehen wollte. Na ja, jedenfalls schien das Thema für den heutigen Tag so weit geklärt und vom Tisch zu sein, was das kleine Steinchen, welches sich seit dem Gespräch in Sams Büro bemerkbar gemacht hatte, von meinem Herzen fallen ließ. Da konnten auch die noch folgenden Worte des Italieners nichts mehr dran ändern. Mochte sein, dass ich gehörigen Respekt vor Hunter hatte - wer, außer Tauren, hatte den nicht? -, aber besonders große Angst hatte ich deswegen noch lange nicht vor ihm. Außerdem war mir fast klar gewesen, dass er die Sache nicht einfach in Sabins und meine Hände übergeben würde, schließlich hing auch in der ganzen Sache mit drin. Wenn Samuele von dem Abtrünnigen und mir wusste, dann mit Sicherheit auch von dem Hitzkopf, der bei sich Zuhause vermutlich die Garnitur mit den Zähnen zersägte, so angefressen, wie er durch dieses außerplanmäßige Problemchen zu sein schien. Zumindest glaubte ich, dass ihn diese Kleinigkeit schon wieder einen Gang hatte hochfahren lassen, nicht zuletzt eben auch wegen dem Wortlaut von Sabins Erklärung, wissen konnte ich es letzten Endes aber nicht zu einhundert Prozent. "Soll er ruhig kommen... Hat er noch was gesagt? Also, wegen mir, meine ich?", richtete ich noch ein paar fragende Worte an den jungen Mann, welcher scheinbar relativ entspannt an der geschlossenen Tür lehnte und genüsslich sein Bier abzischte. Auf eine Antwort wartend, drehte ich Sabin den Rücken zu, um aus meinem Schrank noch eine kurze Stoffhose zu kramen, die sehr viel luftiger war, als die Jeans davor und sich damit an warmen Tagen sehr viel angenehmer tragen ließ. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass das letzte Wort zwischen Hunter und mir noch nicht gesprochen war, aber eventuell gab es ja neben der allgemeinen Information, dass er uns morgen mit seiner Anwesenheit beehrte, noch etwas, das ich wissen sollte.
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Konnte ich mir gut vorstellen, ja. Sydney war immerhin nicht in einem unschönen Umfeld aufgewachsen, soweit ich das beurteilen konnte. Natürlich musste man sich nicht von seiner Vergangenheit unterkriegen lassen, aber sie prägte einen einfach extrem. Ich merkte ja selbst oft, was die Mafia aus mir gemacht hatte. Bevor ich darin verstrickt gewesen war hatte ich nicht einmal im Traum darüber nachgedacht einen Menschen umzubringen. Hatte auch mit dem Drogenverticken damals noch keiner Fliege etwas zu Leide getan, hatte höchstens mal einem gefährlich werdenden Dealer eins auf die Nase gegeben, damit er danach von selbst wieder Abstand hielt. Entweder entsprechend zahlte, oder mit leeren Händen das Weite suchte. Aber irgendwann war der erste Mord durch Notwehr unumgänglich gewesen und ich hasste es, wie leicht mir es nach all den Jahren fiel, Jemandem das Licht auszuknipsen, wenn es notwendig war. Ich umging es noch immer, sofern es mir möglich war, aber ernsthafte Bedrohung zu eliminieren fiel mir nicht schwer. Ich hatte dabei kein schlechtes Gewissen mehr, weil ich wusste, dass sonst ich mit dem Leben bezahlte. Töten oder getötet werden. In mir schlummerte jedoch nicht die selbe Aggression wie in Hunter und so konnte ich was ihn anging nur Vermutungen anstellen. Natürlich wusste ich in etwa was er seinem Leben durchgemacht hatte - immerhin hatte er in den USA ein paar sehr nette Schlagzeilen zurückgelassen -, aber durch wie viele und welche Höllen er letztendlich wirklich gegangen war wusste er vermutlich nur selbst. "Versteh' mich nicht falsch, ich bin auch kein Freund von sinnlosem Gemetzel, aber... das ist eben eine gängige Art in unseren Kreisen mit Bedrohung umzugehen und bis zu einem gewissen Grad kann ich's nachvollziehen. Wer nicht atmet, der redet auch nicht mehr. In vielen Fällen ist das die einzige Möglichkeit wirklich sicher zu sein, dass Ruhe herrscht. Das ist ein... schwieriges Thema. Aber sich friedlich mit Samuele zu einigen sollte eigentlich nicht schwer sein, wenn er wie du sagst nicht auf den Kopf gefallen ist und ihm was an seinem Leben liegt.", äußerte ich mich dahingehend geteilter Meinung. Denn für das Geschäft und in diesem Fall auch für unsere verdeckte Identität wäre es durchaus sinnvoll ihn komplett auszuschalten, weil er vermutlich eher der einzige hier in Kuba war, der von uns wusste und uns erkannte. Aber ihn unnötig mit vorherigen Prügeleinheiten und einem Knockout zu quälen, wenn er womöglich ohne Einwände mitkam, war tatsächlich überflüssig. Wenn er kooperierte und am Ende vielleicht sogar noch eine sehr gute Gelegenheit für uns dabei heraussprang war das ohne Zweifel die langfristig sinnvollere Option. Dann hatten wir was davon und er würde sicher nicht zu plaudern anfangen, wenn er selbst mit verstrickt war. Sydney nahm Hunters morgiges Aufkreuzen recht gelassen, fragte lediglich noch einmal danach, ob er irgendwas ihr selbst bezüglich gesagt hatte. "Nicht wirklich... also außer der ewig langen Beleidigung, meine ich. Bis jetzt hat er keine Drohung oder dergleichen geäußert.", ließ ich sie im ersten Teil recht sarkastisch wissen, dass er sich bis hier hin noch nicht dazu geäußert hatte, ob er ihr an den Kragen wollte. Danach rutschte mein Blick von ihrem Hinterkopf noch einmal auf ihren Hintern ab und ich hätte mich glatt selbst dafür ohrfeigen können. Es konnte doch wohl nicht so unfassbar schwer sein einfach nur in eine andere Richtung zu sehen. "War er früher wirklich so anders?", hakte ich dann einfach aus Interesse mal nach. Die Brünette kannte ihn ja schon wesentlich länger als ich, hatte einen Teil ihrer Schulzeit mit ihm verbracht. Es war für mich irgendwie nur schwer vorstellbar, dass er damals noch wesentlich netter unterwegs war. Wenn die Artikel über den Hitzkopf keine falschen Infos beinhalteten, dann hatte er zu jener Zeit schließlich schon längst unter seiner Peinigerin leiden müssen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich stand bereits mit einem Bein in der Hose, als ich mich wieder in Sabins Richtung drehte. "Ich weiß, ich weiß. Ich möchte auch weder Hunter, noch dich oder sonst jemanden deswegen verurteilen. Also... ach, keine Ahnung. Irgendwie kann ich es schon nachvollziehen, aber die FBI Agentin steckt halt doch noch zu einem gewissen Teil in mir drin und will das einfach nicht akzeptieren. Ist wohl irgendwie... kompliziert.", ließ ich den Italiener auf einem Bein balancierend wissen, dass ich grundlegend schon verstand, dass Gewalt manchmal eben die einzige, gangbare Lösung war, aber das hieß noch lange nicht, dass ich davon hellauf begeistert sein musste. Auch beim FBI hatten Kollegen das ein oder andere Mal auf unkonventionelle Methoden der Vernehmung zurück gegriffen, nach denen der Verdächtigte mit einem blauen Auge oder einem Zahn weniger den Verhörraum verlassen hatte. Natürlich war ich dahingehend nie mit von der Partie gewesen, aber ich hatte es geduldet und war nicht bis rauf in die Chefetage gerannt um zu petzen, weil es einfach Menschen gab, die scheinbar keine andere Sprache außer die von Gewalt sprachen. In den meisten Fällen waren das bereits einmal verurteilte Vergewaltiger oder Pädophile, die rückfällig geworden waren und sich ein weiteres Mal dazu entschieden hatten, ihre Macht über andere Individuen - in dem Fall Frauen und Kinder - zu stellen und da war auch ich dann mit meinem Latein am Ende. In meinen Augen hatte jeder Mensch eine zweite Chance verdient, der andere mehr, der andere weniger. Aber wenn man dann so dumm war, sich wegen genau der selben Scheiße ein weiteres Mal vor dem Gericht verantworten zu müssen... nein, dann brauchte man nicht auf mein Einschreiten zu hoffen, wenn derjenige auf offener Straße mit Mistgabeln und Fackeln angegangen wurde. Dann war auch ich mal einer der Cops, die hier und da bei einer Straftat ein Auge zudrückten. Aber ansonsten? War ich für eine ehemalige Agentin doch recht pazifistisch angehaucht. Aber gut, ich schweife ab. Sabin und ich schienen uns in dem Punkt ein weiteres Mal die Meinung zu teilen, was ich durchaus willkommen hieß und wieder einmal stellte ich fest, dass der Typ doch gar kein so großes Arschloch war, wie ich das eingangs angenommen hatte. Ich erinnerte mich noch gut an den ersten Tag in Norwegen zurück. Wirklich leiden konnten wir uns damals ja nicht. Ich hatte viele Vorurteile ihm und allgemein dem kriminellen Teil der Bevölkerung gegenüber gehabt und wenn ich recht überlegte, hatte ich ihn auch nicht immer ganz fair behandelt. Ein weiterer Punkt, der mich vor die Frage stellte, womit ich seinen Rückhalt jetzt verdiente Zwar hatte ich ihm früh schon sehr viele Freiheiten eingeräumt, die mich letzten Endes irgendwie dann meinen Job und mein normales Leben in Amerika gekostet hatten, aber besonders nett war ich trotzdem nie gewesen. War eher launisch, weil mir die ganze Situation einfach auf den Keks ging. Für ein halbes Jahr aus der Heimat gerissen zu werden, nur um auf den Arsch eines Abtrünnigen Mafiosi aufzupassen hatte mir halt überhaupt nicht in den Kram gepasst, aber na ja. Jetzt standen wir hier, waren zu so etwas wie guten Freunden geworden und Sabin zeigte mir immer öfter, dass er eigentlich gar kein so schlechter Mensch war. Zumindest nicht, wenn man ihn mit Hunter in Verhältnis setzte. Jener launische Amerikaner schien es für nötig gehalten zu haben mich am Telefon quasi ausnahmslos zu beleidigen, hatte aber keine direkte Drohung verlauten lassen - na, dann war ich ja beruhigt. Trotzdem würde ich auf der Hut bleiben, einfach nur, weil der Typ inzwischen unberechenbar war. Vermutlich konnte er einem ins Gesicht lachen - falls er dazu überhaupt noch imstande war - und einen im nächsten Augenblick dann das Messer in den Rücken rammen. Ich hatte es inzwischen geschafft, mir die Hose anzuziehen, ohne dabei Bekanntschaft mit dem Boden zu schließen und setzte mich daraufhin in Bewegung, um unweit der Schlafzimmertür auf dem Bett Platz zu nehmen. Ich verzog dabei ein wenig schmerzverzerrt das Gesicht, weil das Steißbein wieder kurze, absolut unangenehme Schmerzimpulse durch meinen Körper jagte, als Sabin gerade eine Frage an mich richtete, die sich auf die grundlegend darauf bezog, ob Hunter schon immer so verkorkst gewesen war. "Na ja.. also er war schon irgendwie.. anders, als die anderen Kinder. Vielleicht ein bisschen schwieriger im Umgang, aber wir haben uns eigentlich immer sehr gut verstanden. Deswegen hat es mich ja so geschockt, zu sehen, was über die Jahre aus ihm geworden ist.", erklärte ich nachdenklich, während ich mich auf die Matratze fallen ließ und meinen Blick an die Decke heftete. Natürlich konnte man den Leuten immer nur vor den Kopf gucken, aber ich hätte damals meine Hand für ihn ins Feuer gelegt, dass er trotz seines seltsamen Verhaltens ein guter Mensch war. Tja, war wohl besser, dass ich es nicht getan hatte, denn entweder würde mir heute sonst eine Hand fehlen oder aber sie war mindestens genau so schrumpelig, hässlich und zu nichts mehr zu gebrauchen, wie die eine Gesichtshälfte von Richard.
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