Richards merkwürdiges Verhalten - und natürlich auch sein ramponiertes Gesicht - bei unserem ursprünglich vereinbarten Treffen ließen bei mir persönlich die Alarmglocken sofort schrillen. Er hatte mich zwar nicht lange angesehen, hatte schnell das Weite gesucht, aber dieses auffällige Symbol war quasi gar nicht zu übersehen gewesen. Nicht zuletzt deshalb, weil ich es schon mehrfach zuvor gesehen hatte. Nicht in den Gesichtern anderer Menschen, sondern überwiegend an Hauswänden oder anderen Mauern. Trotzdem hatten auch zwei oder drei der Untertanen Hunters, die wir dem Erdboden gleichgemacht hatten, dieses Zeichen entweder am Handrücken, im Nacken oder woanders am Hals gehabt. Wir wussten natürlich nicht mit Sicherheit, wofür diese Markierung letztendlich genau stand, aber in jedem Fall hing sie mit diesem unfassbar nervigen, amerikanischen Ungeziefer zusammen. Es würde mich also doch sehr wundern, wenn der Dunkelhaarige nicht auch irgendwie mit ihm in Verbindung stand. Ich hatte mich eine ganze Weile lang mit den anderen beiden führenden Köpfen unterhalten - gleich abschießen zur Sicherheit oder der Sache auf den Grund gehen? Es war nur unwahrscheinlich ein Zufall, dass ausgerechnet Richard diese Abreibung kassiert hatte. Ihn einfach als Freiwild zu erklären stand aber nach längerer Überlegung nicht mehr zur Debatte, also sollte es auf Tuchfühlung und damit Informationsbeschaffung gehen. Wer durfte das erledigen? Ich natürlich. Mir lag aber zu viel an meinem Leben, um zu dieser Uhrzeit noch allein raus zu gehen. Hunters Leute wechselten die Routen ständig, eine One-Man-Show war also nicht drin. Außerdem machte es mir schlichtweg Spaß, mal nicht selber der Schatten zu sein, sondern welche links und rechts neben mir her zu ziehen. Also suchte ich den Typen mit der Galerie wenige Tage später am Abend auf, während der Himmel immer dunkler wurde, sich langsam der Nacht zuwendete. Es war nicht besonders schwer den jungen Mann von der Universität aus zu verfolgen und den bewusst eingehaltenen Abstand an der Tür zu seinem Wohnhaus schließlich aufzulösen. Womöglich war er tatsächlich immer so unvorsichtig, weil er es gar nicht gewohnt war verfolgt zu werden. Er drehte sich um, grüßte uns doch mit hörbarer Unsicherheit. Ich kannte diesen Tonfall inzwischen zu genüge, setzte ein nicht besonders natürlich aussehendes, breites Lächeln auf. "Ich bin mir sicher, dass du ein paar Minuten Zeit für uns hast..?", stellte ich ihm eine absolut nicht ernst gemeinte, rein rhetorische, indirekte Frage, auf die ich nicht mal den Funken einer Antwort haben wollte. Auf der offenen Straße würde ich nicht mit ihm reden. Wäre es schon tiefe Nacht wäre mir das womöglich egal, aber es galt ihn im Fall der Fälle lieber nicht vor den Augen potenzieller Zeugen umzulegen. Ich nickte in Richtung Haustür, womit unmissverständlich klar sein sollte, dass wir alle gemeinsam nach drinnen gehen und uns dort unterhalten würden. Gäbe es hier oben im Norden guten Kaffee würde ich ihn vielleicht um einen bitten - es ihm selbstverständlich befehlen -, aber verglichen mit dem italienischen war das hier die reinste Plörre. Quasi eine Beleidigung für meine Geschmacksnerven. Zu einem gemütlichen Kaffeekränzchen würde es also nur unwahrscheinlich kommen, selbst wenn er sich als potenziell nützlich herausstellen würde. Letzteres wäre wohl besser für ihn, auch wenn er mit dem Gesicht ohnehin ein ganzes Stück Lebensqualität verloren hatte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Sabin hatte ... tatsächlich Recht gehabt. Ich konnte und wollte es einfach nicht glauben, aber ich sah es hier und jetzt mit meinen eigenen Augen. Der temperamentvolle Südländer hatte sich entgegen meiner persönlichen Erwartungen wirklich dazu entschieden, der ganzen, überaus mysteriösen Geschichte auf den Grund gehen zu wollen und ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob mir deswegen jetzt nach lachen oder doch eher weinen zumute war. Zum Einen begrüßte ich natürlich den Umstand, dass wir den Plan wie abgesprochen verfolgen konnten, auf der anderen Seite hatte ich mich mit dem Gedanken, fernab der Gangkriminalität wieder ein halbwegs normales Leben zu führen, bereits angefreundet. Aber was sollte ich sage... Ich mochte manchmal vielleicht etwas schwierig im Umgang sein, trotzdem würde ich meine Kameraden nicht mit Absicht vor die Hunde gehen lassen, wenn ich tatsächlich die Möglichkeit hatte, es zu verhindern. Wie eben in diesem Fall. Ich schob die Fantasien an ein schöneres Leben also für den Moment beiseite, straffte meine Schultern und schenkte Agnolo schließlich ein ebenso breites, der verschandelten Gesichtshälfte wegen nur leider nicht ganz so schönes Lächeln, als er mich indirekt dazu aufforderte, ohne jegliche Faxen die Tür zu meinem Apartment aufzuschließen. "Für so nette junge Männer habe ich immer Zeit!", flötete ich und drehte mich auf dem Absatz wieder zur Tür, um den Schlüssel final ins Schloss zu stecken und ihn bis zum verräterischen Klacken herum zu drehen. Die massive Holztür schwang auf und gab den Blick auf ein weiträumiges Treppenhaus frei, an dessen Ende die sich öffnenden Türen eines Personenaufzugs zu hören waren. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu verlieren, lief ich geradewegs auf das Licht der Aufzugskabine in dem ansonsten stockdunklen Hausflur zu. Ich wusste ja nicht, wie Agnolo und Anhang das sahen, aber bis in den sechsten Stock lief ich persönlich nur sehr ungern. Ich bevorzugte die bequemere Variante, bei der ich lediglich einen Knopf drücken musste, aber wenn den Männern der Sinn nach Laufen stand, konnten sie natürlich auch gerne die Treppe nehmen. Es schien mir allerdings, als würden sie mich nicht aus den Augen lassen wollen und somit standen wir kurz darauf relativ nah nebeneinander, als ich den Knopf für den sechsten Stock drückte. Die Türen schlossen sich und öffneten erst nach etwa fünfzehn Sekunden Fahrt wieder mit dem gewohnt metallischen Schleifen von Neuem. Ich schob mich an Agnolos Handlangern, die als Letztes zugestiegen waren, vorbei, um kurz darauf die gegenüberliegende Tür zu meinem Loft aufzuschließen. "Bitte, kommt nur rein und fühlt euch wie Zuhause. Kann ich euch etwas zu trinken anbieten? Oder vielleicht ein paar Snacks?", fragte ich überschwänglich, als ich die Hausschlüssel neben der Eingangstür in eine Schale auf der sonst recht kahlen Kommode fallen ließ. Ich war ein Gewohnheitstier und würde meine Schlüssel wohl jeden Tag aufs Neue suchen, wenn ich sie nicht konsequent an ihrem gewohnten Platz aufbewahrte. Meine Wohnung war, wie für ein Loft üblich, sehr großzügig und offen geschnitten. Viele der gewohnten Trennwände fehlten und somit erschlugen einen die dreistelligen Quadratmeterzahlen beinahe. Jedoch hatte ich nahezu jede Ecke, jedes noch so winzige Plätzchen an der Wand mit Bildern, Skulpturen und Pflanzen dekoriert. Gepaart mit verschiedenen Akzenten aus Holz und Leder vermittelte der Wohnbereich das Gefühl von Natur und hatte damit eine sehr beruhigende Wirkung auf mich. Aber ich war mir sicher, dass die Italiener mir keinen Besuch abstatteten, nur um sich meine Wohnung anzusehen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Nein, wie erfreulich. Alles, was ich auf seine Worte noch erwiderte, war ein überdeutliches Blinzeln. Es war schließlich nicht so, als hätte Richard wirklich eine Wahl dabei, ob er nun Besuch haben wollte oder eben nicht. War aber natürlich sehr nett von ihm, dass er uns freiwillig mit nach oben nahm und sich nicht erst durch die Tür nach drinnen prügeln lassen musste, damit er verstand. Ich für meinen Teil fragte mich nun schon seit ein paar Tagen, ob er eine Ahnung davon hatte, mit wem er es hier eigentlich zu tun hatte. Vielleicht hatte er aber einfach nur eine verhältnismäßig gefasst bleibende Persönlichkeit, die auch in diesem Moment hier griff. Er wirkte hier und da mal ein wenig unsicher, aber nicht so ängstlich, wie es bei den meisten anderen Leuten jetzt der Fall gewesen wäre, die sich auf dem besten Weg zu einem unangenehmen Verhör befanden. Wenn der junge Mann sich brav anstellte kam er mit einem nur imaginären blauen Auge davon, aber das hing schlichtweg ganz von ihm und seinen Antworten ab. Auf dem Weg nach oben hielt ich Ausschau nach etwaigen Sicherheitskameras, die hier und da in einer Ecke hingen. Sollte nicht von Bedeutung sein, falls der junge Mann sich als nützlich erwies, aber falls nicht sollte hier und da unter Umständen Beweismaterial vernichtet werden. Richard bot uns, als wir ein oder zwei Minuten später aus dem Fahrstuhl raus und in seiner Wohnung angekommen waren, erst einmal Getränke und Snacks an. Mein Blick schweifte schon währenddessen aufmerksam durch die weitläufigen Räumlichkeiten, blieb hier und da auch an einem Bild an der Wand hängen, während ich ein paar wenige Schritte machte. Der Dunkelhaarige hatte einige Sekunden auf meine Antwort warten müssen - von den anderen beiden stummen Mitläufern würde er schließlich keine bekommen. Die waren nur hier, um mir meine Arbeit zu erleichtern und hatten das Maul nur dann aufzureißen, wenn ich sie dazu aufforderte. "Danke, aber nein... wir werden nicht allzu lange hier sein.", redete ich mit längst wieder abgesunkenen Mundwinkeln vor mich hin, während ich die letzten zwei oder drei Schritte machte. Dann hob ich die rechte Hand, machte mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger einen kurze, drehende Bewegung in der Luft, was wieder Leben in einen der beiden Männer brachte. Nummer zwei blieb an der geschlossenen Wohnungstür stehen, der andere ging gezielt in Richards Richtung und griff nach seinen Armen, um sie ihm unsanft nach hinten auf den Rücken zu drehen und festzuhalten. Dass er keine Bedrohung war, selbst wenn er weiterhin frei herumlief, brauchte ich wohl Niemandem zu erzählen. Der feste Griff sollte ihm nur den Ernst der Lage unterstreichen, während ich ganz gemütlich zu ihm zurückging. Ihn schon dabei in einen sehr stechenden Blick fasste, kurz bevor ich direkt vor ihm zum Stehen kam. "Was hast du mit Price zu tun?", fragte ich den Dunkelhaarigen ohne Umschweife, was er mit dem Amerikaner am Hut hatte. Sollte er mir schon auf diese Frage eine falsche Antwort liefern könnte ich schließlich gleich Feierabend machen, ihm nur zügig ein Ende setzen und nach Hause gehen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Fein, fein. Dann blieb der Kaffeevollautomat heute wohl gänzlich unberührt. Ich selbst verspürte nämlich auch keinen allzu großen Drang, jetzt noch ein Heißgetränk zu mir zu nehmen, aber ein Glas Wasser wäre schön gewesen. Ich hatte mich gerade auf dem Weg in die offene Küche machen wollen, um mir etwas von dem kühlen Nass zu besorgen, als mich kurz vor meinem Ziel plötzlich einer von Agnolos Lackaffen am Arm packte und mir diesen reichlich unbequem auf den Rücken drehte. Es handelte sich hierbei natürlich genau um den Arm, den auch Hunter vor nicht allzu langer Zeit schon verletzt hatte. Die Schmerzen waren zwar nicht mehr ganz so schlimm, gebrochen war schließlich nichts gewesen, aber die unnatürliche Position entlockte mir nichtsdestotrotz ein leises Zischen. Mein Gott, ich hatte hier weder jemanden eine Waffe an den Kopf gehalten, noch mich anderweitig unkooperativ gezeigt – was sollte dieser Aufriss denn jetzt? Natürlich war die Frage nicht ernst gemeint, schließlich musste ein bisschen Sicherheit ja noch irgendwie gegeben werden, wenn die Italiener sich schon aus dem Schatten heraus trauten. Es dauerte nicht lange, bis der Ranghöchste der drei Pappnasen – Agnolo – die paar wenigen Schritte zu mir aufschloss und kurz vor mir und seinem Schoßhund zum Stehen kam. Die fragenden Worte des jungen Mannes entlockten mir erst einmal nicht viel mehr, als das Hochziehen der Augenbraue meiner intakten Gesichtshälfte. Price? Der Nachname sagte mir an und für sich nichts, aber ich schlussfolgerte jetzt einfach mal ganz frei, dass es sich hierbei um Hunters Familiennamen handelte. Wissen konnte ich es nicht, denn ich war der Meinung, dass er diesen in unseren Meetings bisher nicht erwähnt hatte. Oder aber ich hatte mal wieder nicht zugehört, weil mich solch unwichtige Kleinigkeiten nicht interessierten. Wie auch immer. „Oh, du meinst Hunter? Du willst über ihn reden?“, fragte ich trotz allem noch einmal nach, ob wir tatsächlich von dem gleichen amerikanischen Hurensohn sprachen. Ganz offensichtlich war dem so. Also räusperte ich mich noch einmal, versuchte, dem unangenehmen Druck, der auf meine Handgelenke gewirkt wurde, etwas zu entkommen. Ohne Erfolg, versteht sich. „Mensch, sag das doch gleich! Dann hätten wir uns ganz ohne deine Schoßhunde bei einem Glas italienischen San Marzano auf meiner Dachterrasse unterhalten!“, flötete ich gewohnt fröhlich vor mich hin, drehte meinen Kopf dann in Richtung des Anhängers, der so penetrant meine Arme auf dem Rücken hielt. „Nichts für Ungut, ja?“, entschuldigte ich mich mit einem wehleidigen Gesichtsausdruck für die etwas geschmacklose Degradierung. Ich wusste, dass ich mich auf verdammt dünnen Eis befand. Aber ich wusste auch, dass Agnolo nicht Hunter war. Er mochte vielleicht genauso schnell genervt von mir sein, wie der Amerikaner, aber solange ich brauchbare Informationen lieferte und keinen der drei Mafiosi mit einer Waffe bedrohte oder noch respektloser behandelte, fürchtete ich mich eigentlich nicht vor Konsequenzen. Außerdem hatte er mich bereits als recht flippigen, lebensfrohen Mann kennen gelernt. Kunstliebhaber, wie er im Buche stand – mit der Gewissen Portion an Wahnsinn eben. Daher wirkte mein Auftreten ja noch nicht einmal gefaked.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es schien einen kurzen Augenblick zu dauern, bis Richard Jemanden mit dem Namen identifizieren konnte. Augenscheinlich wusste er schon mal weniger über den Amerikaner, als es bei mir - beziehungsweise uns - der Fall war. Der Unterschied lag wohl nur darin, dass er andere Dinge wissen könnte, die uns auch weiterbrachten, denn nach dem kurzen Klick-Moment schien er Feuer und Flamme für einen Plausch über Hunter zu sein. Sein Tonfall gefiel mir nicht. Entweder war das seine Art dafür mit der leisen Angst, die irgendwo in seinem Hinterkopf angeschlichen kam, umzugehen, oder er war einfach chronisch eine dicke Spur zu dreist. Vielleicht konnte er das in der Uni mit seinen Kollegen und natürlich auch mit den Schülern machen, aber hier und jetzt war der Tonfall - und nebenbei auch noch die Wortwahl - einfach gänzlich unangebracht. Es spielte keine Rolle, ob meine beiden Handlanger unter mir standen und damit nur meine Schoßhunde waren, weil sie damit hier und jetzt trotzdem noch über seiner Wenigkeit standen. Ich lachte leise auf, senkte meinen Kopf dabei für einen Moment lang und als ich den Blick wieder anhob, um den dunkelhaarigen, jungen Mann grimmig anzusehen, hob sich zeitgleich auch meine rechte Hand mit an. Legte ihm die Finger links und rechts an den Kiefer, wobei zwangsweise ein paar meiner Fingerspitzen auf dem angesengten Fleisch seiner verunstalteten Gesichtshälfte lagen. Ich übte nur ein wenig Druck aus, aber das würde angesichts der Position meiner Finger für ein kleines bisschen Schmerz locker ausreichen. "Sag' sowas nochmal und ich zieh' dir die Haut auf der schönen Gesichtshälfte auch noch ab, verstanden?", untermalte ich meine Geste mit leicht zusammen gekniffenen Augen und ein paar Worten. Die beiden Männer mochten weit unter mir stehen, aber sie gehörten trotzdem zu mir. Auch der simple Schläger der italienischen Mafia wurde besser mit ein wenig mehr Respekt behandelt, wenn der Kopf dran bleiben sollte. Ich ließ Richards Kopf mit einem leichten Ruck los, bevor ich mich umdrehte und ein weiteres Handzeichen gab. Der Kunstfanatiker wurde - reichlich unsanft, weil sich Jemand wohl auf den Schlips getreten fühlte - losgelassen und ich begab mich zu Sofa und Sessel, wo ich mich demonstrativ auf das einzelne Sitzpolster fallen ließ und die Finger vor dem Bauch locker ineinander verschränkte. Dann mit einer schlichten Handbewegung andeutete, dass sich der Dunkelhaarige ebenso hinsetzen sollte. "Und jetzt beantworte meine Frage.", forderte ich ihn auf, umgehend mit der Erklärung anzufangen, weil ich für dieses Herumgeplänkel einfach keine Zeit und auch keine Lust dazu hätte. Meinen Blick löste ich nicht von Richard, während er sich hinsetzte und der grimmig dreinschauende Schatten unweit von ihm hinter dem Sofa stehen blieb.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mein Gott, waren denn ausnahmslos alle Anhänger der italienischen Mafia solche Spaßbremsen? Ich wusste, dass auch Sabin oft nicht mit meiner Art umzugehen wusste, dabei war das Prinzip doch eigentlich recht simpel, oder? Einfach ein bisschen lächeln, lachen und die Sache war geritzt. Es war jetzt nicht so, als würde ich damit Dinge ins Lächerliche ziehen wollen oder den Ernst einer Lage nicht begreifen. Das war einfach die Art, mit der ich meine eigene, pessimistische Welt ein wenig erträglicher gestaltete. Trotzdem erledigte ich meine Aufträge immer gewissenhaft und beantwortete - auch in diesem Fall - gerne ein paar Fragen. Aber nach dem Auftritt war mir die Lust darauf fast schon wieder vergangen. Nicht zuletzt wegen Schmerzen, die mir Agnolo durch seine nackten Fingerspitzen auf meiner noch immer sehr empfindlichen Brandwunde zufügte. Mehr als das Gesicht verziehen tat ich jedoch nicht. Durch das verhältnismäßig starke Rauschmittel, welches ich noch vor der Heimfahrt zu mir genommen hatte, fühlten sich die Berührungen deutlich ferner an, als sie eigentlich waren. Waren mehr unangenehm, als das sie unsagbare Schmerzen verursachten. So oder so reichte es jedenfalls aus, meine Laune schlagartig zu verschlechtern und auch, als mich der Schoßhund endlich los ließ, änderte sich da nicht wirklich viel dran. Auf die mehr rhetorische Frage des Italieners hatte ich ihm keine Antwort gegeben, schlicht weil er das, was ich zu sagen hatte, sicher nicht hören wollte. Und weil mir manchmal doch noch etwas an meinem verkorksten Leben lag, hatte ich einfach die Klappe gehalten. Er würde noch früh genug sein Fett weg kriegen, darauf konnte er sich verlassen. Sobald wir das Trio festgesetzt hatten, würde ich persönlich die Waffe an Agnolos Schläfe setzen. Vielleicht hatten wir davor sogar noch ein bisschen Zeit zum Spielen. Dann würde er das unangenehme Brennen, welches er durch seine dreckigen Flossen in meinem Gesicht zu verantworten hatte, am eigenen Leibe zu spüren kriegen. Und da gab ich ihm gerne Brief und Siegel drauf. Fürs Erste tat ich allerdings, was er von mir verlangte, folgte ihm die paar Schritte zu der gemütlichen Wohnlandschaft, wo ich mich mit mittlerweile eher angesäuerter, reichlich genervter Miene auf dem großen Sitzpolster fallen ließ. Dabei entging mir natürlich nicht, dass sein Schatten direkt Stellung hinter mir bezogen hatte. Nur für den Fall, dass ich auf dumme Ideen kam, schon klar. "Viel hab' ich mit Hunter nicht zutun.", war das erste, was ich ihn wissen ließ. Taktisch vielleicht ein reichlich unkluger Zug, war er doch einzig und alleine wegen der Informationen zu mir gekommen. Wenn ich keine parat hatte, sah ich für mein Leben schwarz, aber ich bemühte mich ja, folgende Worte recht bald hinten dran zu hängen: "Ich kann den Typen nicht leiden, so viel steht fest. Wir hatten vor kurzem einen Deal. Einer seiner Kunden hatte sich nach einem renommierten Gemälde von Jan Vermeer erkundigt. Keine Ahnung, wie es zu dem Gespräch gekommen ist, interessiert mich ehrlich gesagt auch nicht. Jedenfalls bot der Typ ihm eine ganze Stange Geld, falls er Bei der Kupplerin auftreiben konnte. Lange Rede, kurzer Sinn, Hunter hat nicht den leisesten Schimmer von Kunst und nur der Dollarzeichen wegen eifrig mit dem Kopf genickt, oder so, keine Ahnung. Daraufhin kam er zu mir. Um ein paar Ecken kennen wir die gleichen Leute, er weiß, womit ich mein Geld verdiene.", eine kurze, theatralische Pause zwischen dem ganzen Bullshit, den ich mir da gerade aus dem Ärmel zauberte. "Er versprach mir einen netten Anteil der Kohle, also hab ich zugesagt und mich darum gekümmert, dass das Bild in Arbeit ging. Nur hab ich am Ende leider nicht noch einmal drüber geguckt. Die Idioten, denen ich die Aufgabe anvertraut habe, vergaßen einfach die Karaffe. Das, was rein optisch am meisten aus dem Gemälde heraus sticht, haben sie einfach weggelassen." Wieder eine kurze Pause, in der auf dem Polster ein Stück nach vorne rutschte, um die Arme auf den Knien abzustützen und mir mit Daumen und Zeigefinger das Nasenbein zu massieren. "Dass einem echten Kunstliebhaber so etwas auffällt, muss ich sicher nicht noch erwähnen. Der Typ war stinksauer und Hunter hat nicht einen Cent von der hohen, sechsstelligen Summe gesehen. Wegen meiner Unachtsamkeit. Er hat mich dann am Tag unseres ursprünglichen Treffens abgefangen.", erklärte ich also mit sehr, sehr vielen Lügen und einer Menge Schauspielerei, womit Hunter seinen Überfall auf mich rechtfertigte. Ich konnte Agnolo schließlich kaum auf die Nase binden, dass er der eigentliche, sehr viel ursprünglichere Grund dafür gewesen war. Wäre ja schön blöd. Ne ne. Er bekam die ausgeschmückte, nicht einmal abwegige Geschichte, die so natürlich nie stattgefunden hatte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich ließ den Dunkelhaarigen zu keiner Sekunde aus den Augen. Musterte jede noch so kleine Regung in seinem Gesicht bis ins Detail mit meinen Adleraugen, um mögliche Lügen oder Halbwahrheiten gleich im Anschluss weiter in Frage zu stellen. Leider musste ich Richard eingestehen, dass er ein wirklich gutes Pokerface hatte und mich kaum etwas daraus lesen ließ, während er mir die angebliche Situation schilderte. Die Frage für mich war nur, inwiefern er wertvoll für mich sein konnte, wenn er nach eigener Aussage kaum Etwas mit dem Amerikaner zu tun hatte. Dann wusste er sicherlich nicht genug, um mir entscheidende Details zu liefern, oder? Die Geschichte mit dem Bild klang nicht so abwegig, konnte ich mir das Arschloch doch sehr gut als extrem geldgierig vorstellen und deshalb viele potenzielle Geschäfte einfach abnicken sehen. Vielleicht irrte ich mich da auch, immerhin dachte er sonst scheinbar doch relativ gut nach - sonst hätten wir ihn schließlich längst zwischen die Finger gekriegt. Das konnte und würde mir aber nur die Zukunft verraten können. Ein Pluspunkt war aber sicher, dass Richard den Amerikaner scheinbar auch nicht gerade als seinen besten Freund bezeichnete. War bei dem Gesicht irgendwie kein Wunder. Würde das Jemand bei mir machen, würde die Hölle ausbrechen. Natürlich könnte ich dem Ganzen sehr wahrscheinlich sowieso besser entgegen wirken, als das bei dem Kunstliebhaber hier der Fall gewesen sein würde, aber da ginge es rein ums Prinzip. Wie du mir, so ich dir. Die einzigen, von denen Ich eine Strafe hinnehmen würde und musste, waren mir übergeordnete Mafiamitglieder, jeder andere würde zahlen. Ich befand mich inzwischen schließlich in einer Position, in der ich ein bisschen Narrenfreiheit genießen konnte. "War also nicht grundlos.", stellte ich mehr für mich selbst fest, während mein Blick weiterhin starr in seine Augen gerichtet waren. Das bezog sich allerdings auf die Strafe, nicht auf Richards unschönes Abspeisen meiner Person bei unserem ursprünglich vereinbarten Treffen. Bei letzterem war mir egal, ob es einen Grund gab oder nicht. "Aber wie sagt man so schön... der Feind meines Feindes ist mein Freund. Wenn du mir sagen kannst, was ich wissen muss, kann ich dich ausnahmsweise vielleicht laufen lassen.", redete ich weiter, beugte mich dann nach vorne und stütze mich mit den Unterarmen auf den Knien ab. Es war mir schließlich egal, ob Irgendwas dazwischen gekommen war, als wir uns das erste Mal hatten treffen wollen, oder nicht. Richard hätte mir vor Ort und Stelle eine Erklärung liefern können, hatte es aber vorgezogen sich wegen ein bisschen Schmerz mit einer unschönen Abfuhr zu verziehen. Schwach und respektlos, wenn man mich und den Rest meiner Sippschaft fragen würde. "Es wäre also in deinem Interesse mir zu sagen, wie oder wo ich Hunter finden kann, weil du sonst ein ziemlich großes Problem hast.", forderte ich den Dunkelhaarigen dazu auf, mir Irgendwas zu liefern, womit ich arbeiten konnte. Schließlich konnte er mir im Prinzip nur so beweisen, dass er nicht auf der Seite des Amerikaners stand. Sich in Verrat übte - der streng genommen gar kein richtiger war, wenn sie normalerweise keine Geschäfte miteinander am laufen hatten.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Agnolo mochte vielleicht optisch gut aussehen, durchaus meinem Typ entsprechen, aber sein Charakter machte ihn dermaßen hässlich, dass ich an mich halten musste, ihm nicht vor die Füße zu kotzen. Natürlich würde sich das nur in meinen Gedanken abspielen, aber das wäre schon amüsant genug, um meine Mundwinkel verräterisch zucken zu lassen. Und das konnte ich im Augenblick nicht gebrauchen. Es schien, als würde der Italiener meinen Köder schlucken, zumindest hatte er am Ende der bühnenreifen Vorstellung keinerlei Rückfragen, sondern nur die ein oder andere Anmerkung für mich übrig. War also nicht grundlos. Natürlich nicht. Nur weil er vielleicht gerne wahllos auf Leute zuging und diese mit einem Messer malträtierte, musste er nicht gleich von sich auf andere schließen. Aber gut. Ich sagte nichts, zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Mittlerweile hatte ich mich ganz gut mit der kaputten Gesichtshälfte arrangiert. Sich immer und immer wieder einzureden, dass es sich nicht mehr rückgängig machen ließ, wirkte sich auf kurz oder lang tatsächlich positiv auf die Psyche aus und somit hatte ich meine Strafe schließlich akzeptiert. Stand nicht mehr fluchend vor dem Spiegel und auch das Ego schien sich langsam aber sicher zu erholen. Einzig und alleine die Schmerztabletten erinnerten mich daran, dass der Vorfall noch gar nicht so lange her war, aber auch das würde vielleicht noch eine, maximal zwei Wochen anhalten und war ab dann ebenfalls Geschichte. Vorausgesetzt, die Wunde blieb unangetastet und wurde nicht durch italienische Hurensöhne wieder und wieder gereizt. Bei den darauffolgenden Worten Agnolos hatte ich mich erneut nach hinten in das bequeme Polster sinken lassen und die Arme im Nacken verschränkt. Auch hier mit der nötigen Vorsicht. Die Platzwunde hatte zwar schon eine gute Kruste aus Schorf gebildet, löste bei Berührungen aber noch immer ein unangenehmes Druckgefühl aus. Jedenfalls ließ ich mir mit meiner Antwort verhältnismäßig viel Zeit. Für ein paar Sekunden hatte ich mich in meiner wunderschönen Inneneinrichtung verloren, in der ich nach ein paar passenden Worten zu suchen schien. Das, was ich persönlich zu sagen hatte, würde den temperamentvollen Italiener aufgrund meines Tonfalls und der Wortwahl ganz sicher nicht in den Kram passen, aber ich hätte ihn trotzdem gerne gefragt, was er sich von den Drohungen mir gegenüber erhoffte. Mich einzuschüchtern? Oder mir vielleicht Angst vor dem Tod einzujagen? Bitte... wenn der Tod kam, dann kam er eben - ob mit oder ohne Ankündigung spielte keine Rolle, wenn wir mal ehrlich waren. Streng genommen war es jetzt nicht so, dass mein Leben wirklich lebenswert war. Was nicht heißen sollte, dass ich es nicht genoss, aber ... ich hatte keine Familie, keine Haustiere und Freunde auch nur wenige. Ich lebte für mich selbst, verdiente das Geld nur für mich - damit es mir gut ging. Wenn ich von heute auf morgen nicht mehr da war, bekam ich davon ohnehin nichts mehr mit und viele trauernden Gäste würde es auf meiner Beerdigung nicht geben. Ich sah es also gar nicht ein, mir von derart anstrengenden Pissnelken auf der Nase herum tanzen zu lassen. Ich verengte meine Augen also ebenfalls ein wenig, als ich nach bestimmt anderthalb Minuten zu ein paar neutral klingenden Worten ansetzte. "Ich sehe hier keinen Grund, mir drohen zu müssen. Dein Sprichwort trifft den Nagel schließlich auf den Kopf und ich meinte meine Aussage von vorhin durchaus Ernst, dass ich ohne Weiteres zu einem Gespräch bereit gewesen wäre." Ein Blick auf die Armbanduhr an meinem linken Handgelenk sollte meine direkt anknüpfenden Worte sinnbildlich untermalen. "Wo er sich konkret aufhält, weiß wohl niemand, außer er selbst. Aber in circa zwei Stunden wird er sich - voraussichtlich - bei einer Warenübergabe im alten Industriegebiet befinden. Geht um ein bisschen Diebesgut. Unter anderem zwei kleine Skulpturen, die der Verkäufer bei mir hatte schätzen lassen.", beendete ich meine Erklärung auch gleich mit dem Hinweis darauf, warum ich von der Übergabe wusste, um Agnolo den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zwar wusste ich überhaupt nicht, was am heutigen Tag eigentlich hin- und hergeschoben wurde, aber solange die Sippschaft sah, dass tatsächlich eine Übergabe statt fand - bei der Hunter unter Umständen anwesend war -, würde es wohl niemanden interessieren, woraus sich das Diebesgut im Einzelnen zusammen setzte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Wusste er das wirklich nicht? Wenn Richard nicht verstand, warum ich ihm hier drohte, dann war er wohl deutlich weniger mit kriminellen Kontakten gesegnet, als ich angenommen hatte. Gut, ich wusste natürlich, dass er nicht viel mehr als ein Kunstfälscher war - die Drogengeschichte war mir schließlich nicht bekannt -, aber das nicht erst seit gestern. Er sollte es eigentlich fast schon gewohnt sein, dass der Umgangston so gut wie immer rau und die Wortwahl nur selten nett war. Wenn dem nicht so war oder er sich schlicht nicht in der Position sah, das zu akzeptieren, dann hatten wir hier ein Problem. Ich hatte nämlich nicht im geringsten vor ihm gegenüber netter zu werden bevor ich nicht wusste, inwiefern er die Wahrheit sagte oder eben nicht. "Offensichtlich tust du das nicht, nein.", antwortete ich und lachte leise, wenn auch recht trocken. Der Dunkelhaarige sollte wirklich lieber das Metier wechseln. "Die meisten Menschen tendieren tatsächlich eher dazu die Wahrheit zu sagen, wenn sie eine Pistole am Schädel haben... wortwörtlich oder im übertragenen Sinn. Solange ich nicht mit Sicherheit sagen kann, dass du mir hier keinen Bullshit erzählst und nicht einfach nur unter Price' Einfluss stehst, wirst du dich also daran gewöhnen müssen.", erklärte ich ihm, was eigentlich ziemlich offensichtlich sein sollte. Ich hörte nämlich keineswegs damit auf, die ganze Geschichte in Frage zu stellen. Es waren schon ein paar sehr viele Zufälle, wenn man mich fragte. Erst unser Gespräch im Hinterzimmer der Bar, dann das ursprünglich geplante Treffen und jetzt das hier. Gut natürlich hatte ich ihn jetzt selbst ganz bewusst aufgesucht, aber rein theoretisch könnten die Arschlöcher es eben auch einfach genau darauf abgesehen haben. Ein abgekartetes Spiel eingeleitet haben, das ich in jenem Fall nur ungern mitspielen wollte. Richards nächste Worte sollten tatsächlich einen brauchbaren Anhaltspunkt darstellen, sofern es eben der Wahrheit entsprach. Sollte das amerikanische Arschloch - oder zumindest sein Gesindel - sich dort aufhalten, log er zumindest dahingehend schon mal nicht. Wobei ich mir nicht sicher war, ob es nun besser wäre Hunter auch dort vorzufinden oder nicht. Wenn nicht, dann könnte man vielleicht halbwegs unauffällig eine der Wachen kidnappen, sofern sich jene ein Stück weit vom eigentlichen Mittelpunkt des Geschehens entfernt befand. Zwar war ich mir fast sicher, dass keiner seiner Männer freiwillig den Mund aufmachte, weil er dann wahrscheinlich erst recht sterben würde, aber damit wütend machen konnte man den Tätowierten bestimmt. Sollte er selbst anwesend sein brauchte ich über sowas gar nicht nachzudenken. Ich hatte immer das ungute Gefühl, dass seine Anhänger ihre Sinne ganz bewusst nochmal schärften, wenn er selbst mit von der Partie war. Außerdem würde er uns, wenn er es merkte, falls nötig bis nach Hongkong verfolgen, um uns platt zu machen. Da war er unnormal penetrant und leider Gottes noch effektiver. "Also weißt du nicht sicher ob er da ist oder nicht?", hakte ich nochmal nach, weil es eigentlich kein unwichtiges Detail war, ließ ihn dabei nach wie vor nicht aus dem Blick. Meine Stimme klang aber ein klein wenig ruhiger, weniger rau, weil die Zahnräder in meinem Schädel sich immer rasanter drehten und ich damit etwas abgelenkt war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Na ja, immerhin war er ehrlich. Auch wenn ich es mit der Wahrheit oft selbst nicht ganz so genau nahm, schätzte ich diese Eigenschaft an anderen Menschen wirklich sehr und ... zack, machte es Agnolo gleich wieder ein Stück weit sympatischer. Und das trotz des weniger freundlichen Kommentars, den ich allerdings gekonnt ausblendete. Es war nichts Neues mehr, dass ich wesentliche Bestandteile eines Gesprächs gerne ignorierte, damit der Schuh mir doch noch irgendwie gefiel und ich musste mir eingestehen ... so ätzend dieser italienische Vollarsch hier auch war: Er weckte ab von dem abgekarteten Spiel irgendwie mein Interesse. Nichts in Richtung Beziehung oder dergleichen, davon schreckte mich sein bis dato anstrengender Charakter mich viel zu sehr ab, aber der junge Mann war so ... vielfältig. Ja. Steckte voller Überraschungen, während ich doch ein großer Fan von Erkundungen war. "Hui, na gut. Ich glaube, die zwei Stunden halte ich deine kalte Art gerade noch aus.", flötete ich wieder etwas besser gelaunt vor mich hin und stimmte ebenfalls ein leises, wenn auch weniger trockenes, sehr viel fröhlicheres Lachen an. Fand der Deal statt, wie Hunter mir im Beisein der Anderen versichert hatte, konnte ich mich schon jetzt in trockenen Tüchern wiegen. Dann würde mir Agnolo, sofern seine Worte auch der Wahrheit entsprachen, vielleicht ein bisschen erträglicher gegenüber treten. Blieb allerdings abzuwarten, denn noch hatte das Treffen nicht stattgefunden und hellsehen konnte nicht. Womöglich fand er nachher doch noch irgendeinen Grund, mir seine imaginäre - oder durchaus echte - Pistole an den Kopf zu halten und dann? Tja, dann musste ich das wohl so hinnehmen. Am Ende blieb mir kaum etwas anderes übrig. Was die folgenden Worte des jungen Mannes betraf, konnte ich wieder einmal nur etwas ratlos mit den Schultern zucken. Auch hier hätte ich gerne die ein oder andere durchweg sarkastische Antwort gegeben, beließ es allerdings bei einem "Ich schätze, dass Hunter und ich in etwa die gleiche Sympathie füreinander pflegen. Wir arbeiten zwar geschäftlich ab und an zusammen, aber bei Weitem nicht so eng, dass er mich in seine Einsatzpläne, so möchte ich es mal nennen, einweiht. In diesem Fall obliegt es einzig und alleine Fortuna, ob ihr ihn heute Abend antreffen werdet oder nicht." Und das war dieses Mal nichts, als die pure Wahrheit. Keine dieser Geschichten, die ich mir im Verlauf des Gesprächs aus dem Ärmel geschüttelt hatte. Hunter und ich konnten uns nicht riechen, arbeiteten zwangsläufig allerdings über manche Ecken zusammen und sein Einsatzplan war mir völlig fremd. Zwar hatte er angeboten, bei der Übergabe dabei zu sein, um das Ganze noch ein wenig glaubwürdiger darzustellen, aber ich hatte nicht noch einmal nachgefragt, ob es dabei blieb oder er doch andere Pläne hatte. Ich würde es spätestens dann erfahren, wenn mich Agnolo zum alten Industriegebiet schleifte, nur um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass ich ihn nicht angelogen hatte. Dass ich ihm und seinem Gesindel noch durchaus von Nutzen sein konnte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Als hätte er eine Wahl. Wenn Richard mit dem harschen Ton nicht zurechtkommen müssen wollte, dann konnte er sich die Kugel ja auch selber verpassen. Wäre zwar schade drum, wenn er wirklich noch weitere Informationen für mich haben sollte, die irgendwie von Bedeutung für die Zukunft waren, aber wir würden den Amerikaner ganz sicher auch ohne ihn platt kriegen. Dauerte dann vielleicht unnötig länger, aber ich könnte damit leben. Gewöhnte mich unfreiwillig langsam an das unfreundliche Wetter und das gefühlt täglich stattfindende Geballer. "War ich überhaupt schon mal wirklich nett zu dir? Wage ich zu bezweifeln.", stellte ich eine rein rhetorische Frage, dicht gefolgt von einer Feststellung und einem ironischen Schnauben. Ich konnte mich zumindest nicht dran erinnern. Immerhin war ich ihm in der Bar auch schon mit reichlich Argwohn gegenüber getreten, auch wenn ich dort weniger gewaltsam aufgetreten war, als es hier der Fall war. Hierfür hatte ich schließlich gute Gründe. Der Dunkelhaarige schien wie bereits befürchtet keinerlei Ahnung davon zu haben, ob Hunter selbst auch mit von der Partie sein würde oder nicht. In diesem Fall sollten wir besser reichlich Vorsicht mit zur Warenübergabe bringen, die es erst einmal ausfindig zu machen galt. Das Industriegebiet war jetzt nicht unbedingt klein und besonders akkurat hatte der junge Mann hier sich nicht ausgedrückt. Ich zog erstmal das Smartphone aus meiner Hosentasche und rief bei meinen beiden Kumpanen an, was sicher fast zehn Minuten in Anspruch nahm. Wir diskutierten darüber, wie wir die Sache am besten angingen und wie mit Richard weiter verfahren werden würde. Einigten uns am Ende darauf, dass es besser war ihn mitzunehmen, als bewacht hier zu lassen. Auch darauf, dass wir schon jetzt zwei möglichst unauffällige, nur kleine Patrouille durch das entsprechende Gebiet schicken würden, um frühzeitig erkennen zu können, wo sich die Sache spezifisch abspielen würde. Wir kannten Hunters Fahrzeuge inzwischen und es sollte nicht allzu schwer sein einen der Wagen zu entdecken, sobald sie sich erstmal im Umkreis befanden. Es gab eigentlich nur zwei verschiedene Hauptstraßen hinein, eine davon würden sie sicher nutzen. Letztlich stand ich auf und verstaute mit einem Räuspern das Mobiltelefon wieder an seinem vorherigen Platz, bevor ich mir recht ausgiebig den Nacken dehnte. Erst im Anschluss sah ich den Dunkelhaarigen gegenüber erneut an. "Falls du's meinen Worten nicht schon entnehmen konntest... du kommst mit. Ich muss erst nochmal zum Stützpunkt für ein paar Vorbereitungen, heißt du wirst zwangsweise vorübergehend blind werden müssen.", ließ ich dem jungen Mann ein paar ruhigere Worte mit künstlichem Lächeln zukommen. Bis zum Auto durfte er seine Augen noch nutzen, nur für den Fall, dass wir auf dem Weg dahin unerwartet irgendwem über den Weg liefen, auch wenn es schon spät war. Von da an würde er aber eine Augenbinde tragen müssen, damit er nicht wusste, wo es hin ging. Umgänglich war das nicht, ich wäre nämlich gerne mit mehr als einer Pistole bewaffnet. Man wusste schließlich nie und außerdem wollte ich auch noch mit ein, zwei Männern, die den Auftrag mit ausführen würden, Rücksprache halten. Als ich mich in Bewegung setzte deutete ich Richard mit einem seitlichen Kopfnicken in Richtung Tür an, dass er mir im Beisein meiner Untergebenen zu folgen hatte, ehe ich mich mit Anhang auf den Rückweg nach unten machte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Oh, das war eine gute Frage. Während ich darüber nachdachte, ob Agnolo im Verlaufe unserer Begegnungen schon einmal der umgängliche Typ Mensch gewesen war, breitete ich meine Arme über die Lehne der Couch aus. Mit überschlagenen Beinen gab ich dann ein nachdenkliches "Hmm..." von mir, bis ich schließlich mit dem Kopf schüttelnd die Schultern zuckte. Auch wenn es eine hörbar rhetorische Frage gewesen war, die durch das Schnauben noch mehr unterstrichen wurde, setzte ich unnötigerweise trotzdem zu einer Antwort an. Ich redete eben gerne und viel, dass sollte mittlerweile auch der Italiener verstanden haben. "Ach, das lag an den Gegebenheiten. Wenn wir uns erst einmal kennen gelernt haben, wird dir das ganz leicht fallen.", waren also meine weniger gut durchdachten Worte, bei denen ich viel zu spät merkte, dass sie doppeldeutiger rüber kamen, als sie es eigentlich sollten. Mit Agnolo zu flirten war weniger meine Intention. Ich hatte hier eine ganz klare Mission, da gab es keine Daseinsberechtigung für Testosteron gesteuerte Gedanken, aber Worte fing man nicht mal eben so wieder ein. Dabei hatte ich doch nur über eine sich anbahnende Geschäftsbeziehung philosophiert... Na ja. Glücklicherweise hatte mein Gegenüber erst einmal nicht vor, das Ganze zu kommentieren und widmete sich stattdessen für eine halbe Ewigkeit, in der er mich warten ließ, seinem Smartphone. Ich seufzte leise und fing an, gelangweilt mit dem Fuß - an ihm ein maßgeschneiderter Lederschuh - zu wippen und dem Gespräch zu folgen. Agnolo machte keinen Hehl daraus, dass das Telefonat auch für meine Ohren hörbar war, denn er blieb sitzen. Stand nicht auf, um in einem anderen Raum das weitere Vorgehen zu besprechen. Wäre hier im Loft aber auch schwierig geworden, selbst wenn er es gewollt hätte. Und so bekam ich Bruchstücke der weiteren Planung mit, wobei mir natürlich trotzdem eine ganze Menge Information fehlte, aber ich konnte mir ganz gut vorstellen, in welchen Kontext die Worte des jungen Mannes standen. Sie würden das Gebiet schon jetzt unter die Lupe nehmen, insbesondere die beiden Hauptstraßen, was mich persönlich eine Augenbraue anheben ließ. Zwar hatte ich von Hunters Planung seiner Deals nicht die leiseste Ahnung, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er es der Sippschaft - und der Polizei - so leicht machen würde. Es gab neben den Hauptstraßen noch weitaus unauffälligere Schotterwege, die über privates Firmengelände führten, aber, soweit ich Bescheid wusste, nicht von Kameras erfasst wurden. Das war nämlich das größte Problem der Hauptstraßen. Man konnte sich kaum bewegen, ohne das nicht jeder einzelne Schritt dokumentiert wurde, das wusste ich. Zwar hielt ich mich sehr selten in einem solchen Metier auf, aber ab und an hatte es auch mich dorthin verschlagen. Private Gründe halt. Daher konnte ich mit einhundert prozentiger Sicherheit sagen, dass gerade die großen Firmen an der Hauptschlagader des Industrieparks Kameras installiert hatten, um vor allem den Warenverkehr zu kontrollieren. In dem Punkt würde es mich wundern, wenn Hunter davon nichts wusste. Fürs Erste blieb ich allerdings ruhig, grätschte nicht ins Telefonat und wartete brav, bis sich Agnolo aus dem bequemen Sessel erhob und sein Wort wieder an mich richtete. Ich sollte mitkommen? Ja, hatte ich mitbekommen. War mir aber auch von vorn herein klar gewesen und ich war absolut einverstanden damit. Nicht unbedingt damit, blind zu werden, aber auch damit konnte und musste ich mich kurzfristig arrangieren. Bei seinem vielsagenden Nicken in Richtung Tür, hatte ich mich ebenfalls erhoben, die müden Muskeln gestreckt. Noch zehn Minuten länger und ich wäre wohl auf dem Sofa eingeschlafen, so kaputt war ich. "Oh, das hat schon lange niemand mehr mit mir gemacht. Wie spannend.", gab ich einen weiteren, ziemlich unpassenden Kommentar ab, den ich mit einem verschmitzten Grinsen unterstrich. Dann allerdings wurde meine Miene wieder etwas ernster, auch der Tonfall deutete darauf hin, dass nachfolgende Informationen durchaus Relevanz für die ganze Operation hier hatte. "Ich lausche ja nicht gerne und habe keine Ahnung, ob ich das richtig interpretiert habe, aber ich schätze, dass Patrouillen an den Hauptstraßen vergeudete Liebesmüh und zudem noch viel zu gefährlich für deine Männer wären. An den Hauptzufahrtsstraßen haben zwei der bedeutendsten Firmen des ganzen Industrieparks ihren Sitz. Da betritt keiner auch nur im Ansatz unbemerkt das Gelände. Stattdessen würde ich den Fokus auf zwei Schotterwege legen. Die verlaufen quasi quer zu den Hauptstraßen und sind kaum bis gar nicht überwacht.", gab ich zu Bedenken, während ich die paar Schritte von meiner Wohnlandschaft in Richtung Haustür tat. Aus der Schale angelte ich mir den Haustürschlüssel, nur damit ich nach Verlassen des Apartments die Tür verschließen konnte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Wenn wir uns kennen gelernt haben? Was dachte er denn, wie lange und wie innig sich unsere Wege weiterhin kreuzen würden? Sobald Richard keinen Nutzen mehr für mich hatte würde ich mich wohl eher nicht mehr in seiner Gegenwart aufhalten. Wozu auch? Wenn die Geschichte mit unserem Verräter erledigt war, dann würde ich Oslo in gefühlter Lichtgeschwindigkeit ohne zu warten verlassen. Akzeptanz der kalten Temperaturen hin oder her, ich wollte zurück in mein sonniges Italien. Inklusive kleiner Villa unweit der Küste, von wo aus ich quasi zu Fuß zum Meer laufen konnte, wenn mir mal der Sinn danach stand. Aber wie dem auch sei - nein, ich ging nicht von vielen weiteren Treffen mit dem Dunkelhaarigen aus, bei denen wir uns aneinander gewöhnen würden. Ich kam nicht umher die rechte Augenbraue in die Höhe schnellen und dem jungen Mann einen relativ neutralen, vielleicht minimal grimmigen Blick zukommen zu lassen. Was sollte das? Ich war mir wirklich nicht sicher, was er sich jetzt davon versprach ständig irgendwelche Kommentare abzugeben, die weder angebracht, noch in irgendeiner Art und Weise hilfreich waren. Ganz gleich, ob sich das jetzt auf irgendwelche Versteckspiele und Töpfe schlagen in seiner Kindheit, oder auf sein Sexleben bezog. Ich kommentierte das also nur kalt mit den Worten "Das interessiert jetzt wen genau?" und einem recht tiefen Seufzen, kurz bevor ich den noch folgenden Worten Richards lauschte. Es sollte dieses Mal auch tatsächlich etwas sein, das von Nutzen war. Auch, wenn mir persönlich das Risiko etwaiger Kameras vollkommen am Arsch vorbeiging, war es durchaus von Wert zu wissen, welche Wege der Amerikaner womöglich bevorzugt einschlagen würde. Das ersparte uns Arbeit und eventuell auch Zeit, die wir unter Umständen nicht hatten. Immerhin waren im Apartment des Kunstliebhabers schon einige Minuten verstrichen. Bis ich zum Stützpunkt hin und dann weiter bis ins alte Industriegebiet war dauerte es auch ein bisschen, konnte also durchaus von Vorteil sein. Misslich daran war eben nur, dass ich nach wie vor nicht wusste inwiefern ich seinen Worten auch Glauben oder gar Vertrauen schenken sollte. Ich grübelte einige Sekunden lang über seine Aussage nach, während wir die Wohnung verließen und er abschloss. Setzte auch erst wieder zum Reden an, als wir dann den Fahrstuhl betreten und sich die Türen hinter uns geschlossen hatten. "Dann hoffen wir mal, dass du die Wahrheit sagst.", stellte ich für Alle hörbar fest, dass ich dem vorerst mal traute, wenn auch mit bestehen bleibender Vorsicht. Zückte auf dem Weg durch den unteren Flur bis hin zu der schwarzen Limousine mein Handy, um die Info weiterzugeben, Rücksprache zu halten. Ich glaubte Richard trotzdem nicht, dass er nicht gerne lauschte. Konnte er wem anders erzählen. In meinen Augen war er eindeutig der Typ Mensch, der dadurch gerne seine eigenen Vorteile suchen würde, sofern möglich. Bis dato schätzte ich ihn leider etwas heimtückischer ein, als er sich bisher gezeigt hatte. Dumm sein konnte er auch kaum, wenn er weiß Gott was für Ämter an der Uni führte und erfolgreich gefälschte Bilder von hohem Wert vertickte. Es galt den Dunkelhaarigen eindeutig nur mit Vorsicht zu genießen... in welcher Hinsicht auch immer.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Autsch, warum musste er nur immer so gemein sein? Keine Ahnung, wie es um Agnolos Erziehung gestanden hatte, aber meine Mutter war stets bedacht darauf gewesen, mir einzubläuen, dass man einfach die Klappe halten sollte, wenn man nichts Nettes zu sagen hatte. Um anderen Leuten nicht unnötig auf den Schlips zu treten oder ihre Gefühle zu verletzen. Machte Sinn, oder? Gut, zugegeben lebte ich schon seit mehreren Jahren nicht mehr nach diesem Prinzip, war meist einer, der als Erster seinem Unmut eine Stimme gab, aber bei mir war das natürlich auch immer etwas vollkommen anderes. Ich durfte das, andere eben nicht. So einfach war das. Aber es war nicht so, als hätte der Italiener mich mit seiner Art jetzt den Tränen nahe gebracht, ich tat seinen Kommentar also lediglich mit einem leisen Gackern ab, ehe ich, eskortiert von Agnolos Schoßhunden schließlich den Aufzug betrat, in dem der Ranghöhste des Trios direkt wieder ein paar Worte an mich richtete. Weniger gemeine, aber nicht minder misstrauische Worte, die mich schief grinsend mit den verhältnismäßig schmalen Schultern zucken ließen. "Ich schätze mal, dass wirst du früh genug herausfinden.", gab ich mit einem Unterton von mir, der eine Menge Interpretationsfreiraum bot. Meine Augen funkelten dabei aufgereget und ich gab den jungen Männern reihum ein mysteriös-psychotisches Grinsen zum Besten, was durch das entstellte Gesicht nicht minder beunruhigend aussah. Zum jetzigen Zeitpunk blieb den Herrschaften wohl nichts anderes übrig, als meinen Worten Glauben zu schenken. Vorausgesetzt, sie wollten wirklich sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um den Amerikaner dingfest zu machen. Und solange das Stand der Dinge war, lief alles ganz genau nach Plan. Ich freute mich richtig, dass Sabin in dem Punkt tatsächlich Recht behalten hatte und so wie es aussah, waren wir wirklich auf dem besten Wege dorthin, immer und immer näher an dieses ekelhafte Pack heran zu kommen, so dass mir mein geistiger Totalausfall hinsichtlich der Worte und den Gesichtszügen erst an der schwarzen Limousine so richtig bewusst wurde. Nämlich erst, als die Euphorie über den ersten kleinen Sieg wieder verflogen war. Zugegeben wurde mir etwas flau im Magen, als sich die Tür zur Rückbank öffnete, denn ich wusste genau, was folgen würde. Und das... gefiel mir wiederum nicht ganz so gut. Spannende Bettgeschichten waren die eine Sache, aber das hier? Bei Hunters Übergriff hatte ich immerhin noch verfolgen können, was als nächstes auf mich zukam - das wäre mit verbundenen Augen leider nicht der Fall. Aber das musste ich wohl über mich ergehen lassen, akzeptieren, weil ich sonst nur noch in einem Sarg meinen Weg aus der Geschichte sah. Und das war noch viel weniger mein Ziel, als blind durch die Walachei kutschiert zu werden. Oslo war zwar groß, aber ich schätzte, dass der Stützpunkt nicht sehr weit weg sein würde. Fünfzehn, vielleicht zwanzig, jedoch maximal dreißig Minuten vielleicht? Ich wünschte mir zu dem Zeitpunkt nichts sehnlicher, als das man anhand der Fahrtzeit schon einen ungefähren Aufenthaltsort lokalisieren konnte, wie die Filmindustrie einem das bei Geiseldramen verkaufen wollte. Nur war das in der Realität gar nicht mal so einfach. Ampeln, Umwege und Baustellen verfälschten das Ergebnis. Außerdem fuhr manch einer mit sechzig durch eine dreißiger Zone. Wie sollte man dadurch ein bestimmtes Gebiet abstecken können? War einfach vollkommen unmöglich, absolut realitätsfern! "Mhm, fürs Erste wird's wohl Zeit zum Abschied nehmen, hm?", stellte ich das Offensichtliche unnötigerweise noch einmal für mich persönlich fest, seufzte schwer. Machte leider mehr Sinn, als mir lieb war, dass ich temporär erblinden sollte. Ansonsten hätte mich Agnolo ja direkt in Versteck beordern können. Hätte uns einigen Aufwand erspart, wenn ich ehrlich sein sollte. Aber das Leben war kein Ponyhof. In Oslo schon gar nicht und mit unerwünschten, nervtötenden Italienern noch viel weniger.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ganz dünnes Eis, mein Lieber. Ich verstand wirklich nicht, warum Richard seine Worte - gerade nach meinem Dämpfer von gerade eben - nach wie vor so gar nicht weise wählte. Er befand sich nun wirklich nicht in der Stellung dazu die Freiheit zu haben, hier Irgendjemanden zu provozieren. Dementsprechend wanderte mein Blick auch postwendend erneut zu ihm und ich funkelte den jungen Mann merklich gereizt aus den braunen Augen an. Wäre er nicht schon so furchtbar verstümmelt worden, dann hätte ich ihm wohl aus Prinzip mindestens eine Rückhandschelle oder gleich eine Faust gegeben, je nach Laune. Aber für den Moment blieb es noch bei dem nahezu seine Augen durchbohrenden Blick und einem hörbaren, tieferen Durchatmen. Ich hatte selbst gerade nur wenig Nerven dazu mich mit Richard auf dieser dämlichen Ebene auseinander zu setzen. Ich machte mir auch ohne ihn zu oft die Hände schmutzig, weil ich gar keine andere Wahl hatte, demnach übergab ich das an dieser Stelle lieber einem meiner Handlanger. Für ein oder zwei Minuten ließ ich ihn also damit gewähren, bis wir letztendlich beim Wagen ankamen und der Kunstfanatiker selbst auch noch einmal feststellte, dass es gleich unangenehm für ihn werden würde. Dass er gleich in die Dunkelheit abtauchen würde, obwohl es in einer Stadt Dank der Laternen eigentlich nie ganz dunkel war. "Kann's kaum erwarten.", ließ ich den Dunkelhaarigen mit ein paar trockenen Worten wissen, dass ich dagegen absolut Nichts einzuwenden hatte. Ich selbst ging um den schwarzen Wagen herum zum Fahrersitz, weil ich es fast ausnahmslos bevorzugte selbst hinter dem Steuer zu sitzen, während sich der zweite Schatten Richards um ihn kümmerte. Ihn erst unsanft ins Auto stieß und sich drinnen neben ihn gesellte, um ihm dort die Augenbinde zu verpassen. "Mach die Hände auch dingfest.", wies ich ihn vom Steuer aus an, vergewisserte mich mit einem Blick nach hinten, dass Richard inzwischen blind war und fuhr dann los, als auch der Beifahrersitz besetzt war. Es wäre wohl nicht unbedingt notwendig dem jungen Mann auch noch die Handgelenke mit Kabelbinder fest zu machen, aber er hatte es verdient. Außerdem konnte er so nicht auf die dumme 'Ich tu' so als würde ich mich an der Nase kratzen und versuche die Augenbinde zu verschieben'-Idee kommen. Alles schon gehabt und das endete in der Regel stark verprügelt, weil es da um das Prinzip ging. Der junge Mann hier hatte mich außerdem unschön gereizt und vielleicht war er auch fähig die fiese - sicher nach einer Weile taube Hände hervorrufende - Fessel dahingehend richtig zu deuten, weil davon vor seinen unpassenden Kommentaren ja niemals die Rede gewesen war. Wenn nicht, dann konnte ich das dem werten Herrn Professor auch gerne nochmal ausführlich erklären. Der Weg zum Stützpunkt beanspruchte knapp zwanzig Minuten, die Arbeit dort selbst dann etwas mehr als eine halbe Stunde. Der Aufbruch zum Industriegebiet erfolgte ohne weitere Verzögerungen und mit etwas Abstand gefolgt von einem zweiten, aber unauffälligeren Wagen. Es dauerte wohl nochmal etwa fünfzehn Minuten, bis wir dann nahe dem Gebiet waren und ich aber ganz bewusst eine Schleife fuhr, damit wir nicht aus der Richtung dort ankamen, in der unser Lager lag. Ich wies meinen Komplizen auf der Rückbank dazu an Richard die Binde wieder abzunehmen, als die Spur weit genug verwischt war. "Sag mir, wo ich lang muss.", forderte ich den jungen Mann dazu auf den Schotterweg für mich zu definieren, weil ich ihn schlecht riechen konnte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Nein, ich würde mich mit dieser Art von Menschen wohl nicht anfreunden können. Es war eine Sache, genervt von meiner verhältnismäßig guten Laune und dem überschwänglichen Charakter zu sein, wenn man das einfach auf sich beruhen ließ. Eine ganz andere, wenn man ständig nur etwas miesepetriges darauf erwiderte. Es war scheinbar vollkommen egal, was ich machte. Ob ich das freundliche, weniger aufdringliche oder doch eher chaotisch-psychotische gut drauf war - davon ließ sich der Italiener überhaupt nicht beeindrucken. Nicht einmal im Ansatz. Wie frustrierend. Dabei wollte ich die Stimmung doch für uns alle ein wenig anheben. Es gab in meinen Augen nämlich keinen Grund - für niemanden von uns - jetzt schlecht drauf zu sein. Die Sippschaft bekam einige nützliche Informationen von mir und im Gegenzug ließen sie und ihr System unterwandern. Eine ganz klare Win-win Situation, oder? Aber gut, wenn nicht erwünscht, dann eben nicht. Ich konnte auch zickig werden. Sehr viel besser, als gut drauf sein, im Übrigen. Und das stellte ich auch direkt mal zur Schau, als einer von Agnolos Schoßhunden mich unsanft ins Auto manövrieren wollte. Ich patzte und schlug wie ein kleines Kind die schmierigen Griffel von meinem Arm, damit ich - ohne mir den Kopf dabei zu stoßen - schließlich auf der Rückbank der dunklen Limousine Platz nehmen konnte. Die Pissnelke von Handlanger nahm schon sehr bald neben mir Platz und verband mir die Augen. Natürlich nicht, ohne das ich auch dabei nicht still hielt, weshalb ich mir die Kabelbinder, von denen vor wenigen Minuten noch überhaupt keine Rede gewesen war, nur aufgrund meines Verhaltens erklären konnte. Dass Agnolo es lediglich angeordnet hatte, weil ich mir im Apartment und auf dem Weg zum Wagen mehr Rechte raus genommen hatte, als mir eigentlich zustanden, hielt ich für vollkommen realitätsfern. Aber ich hatte die kommenden, ziemlich dunklen fünfundvierzig Minuten, ja, über eine Stunde Zeit, das Alles noch einmal Revue passieren zu lassen und das Ende vom Lied meiner Gedankengänge war ... das ich fast eingeschlafen wäre. In der Zeit, wo ich - alleine oder unter Beobachtung, das konnte ich nicht genau sagen - im Auto verbracht hatte, war es um mich herum so ruhig geworden, dass ich auf eine richtig unangenehme Art und Weise zusammengezuckt war, als die sich entriegelnden Türen zeitnah Besucher ankündigten. Es brauchte noch ein paar weitere Minuten, in denen ich langsam wieder zu mir fand, dann wurde ich endlich von der Augenbinde befreit. Die Kabelbinder schnitten sich hingegen weiterhin in die sensible Haut um meine Handgelenke, was ich durch das anhaltende Taubheitsgefühl jedoch kaum spürte. Gegen das Licht der hellen Straßenlaternen musste ich erst einmal anblinzeln, bis sich die verschwommenen Punkte vor meinen Augen auflösten, dann richtete Agnolo auch schon direkt sein Wort an mich. Nur fürs Protokoll. Ich war immer noch stinkig, wollte eigentlich nicht reden, aber das brachte hier ja auch niemanden weiter. Ganz so blöd war ich schließlich nicht. Ich sah mich also um, orientierte mich an den ein oder anderen Merkmalen des Industriegebiets, ehe ich schließlich nachdenklich vor mich hin grummelte. "Es gibt zwei potenziell geeignete Strecken für eine Übergabe dieser Art. Zumindest was die Überwachung angeht. Nur eine davon ist mit dem Auto befahrbar. Den anderen Weg kann man nur zu Fuß laufen. Ich schätze mal, dass aus dieser der Verkäufer kommen wird, weil er damit sicher gehen kann, dass er nicht von hinten eingekesselt wird.", erläuterte ich und fing dann an, den Italiener in Richtung der befahrbaren Strecke zu lotsen. Dabei gab ich noch zu bedenken: "Vermutlich werden auch Hunters Männer diesen Weg wählen. Aus genau demselben Grund. Dir kann im Umkreis von mehreren hundert Metern niemand auf die Pelle rücken, ohne sich auf potenziellen Nahkampf einzulassen. Die gegenüberliegende, mit dem Auto zu erreichende Straße ist sehr viel gefährlicher. Das Gebiet ist übersichtlich, die Gebäude stehen nicht direkt beieinander. Leichtes Spiel für einen Scharfschützen, wenn du mich fragst.", redete ich also weiter vor mich hin, während mein Blick die vorbeiziehende Landschaft inspizierte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
An und für sich war es schon gut, dass Richard etwas weiter ausholte und mich damit ein paar nicht unwesentliche Details wissen ließ, nach denen ich überhaupt gar nicht gefragt hatte. Im Grunde war das also schon etwas Positives, das mich in meiner weiteren Vorgehensweise oder Entscheidung beeinflussen würde. Andererseits hasste ich es aber, wenn Jemand lange zum Reden brauchte, obwohl mir gerade mehr der Sinn nach knackig kurzen Antworten stand. Schließlich wollte ich die ganze Sache hier im besten Fall einfach nur schnell erledigt haben, aber wie auch immer. Der Dunkelhaarige kam dann irgendwann auch mal zum Ende und ich folgte seiner Instruktion, welcher zur Folge es eigentlich nur eine sinnvolle Möglichkeit gab, wenn auch zwei Optionen. Der zweite Weg schien mir reichlich ungünstig und ich hatte ganz einfach auch nicht vor, hier und heute zu sterben. Schon gar nicht in diesem Drecksloch namens Oslo, erschossen von einer dieser unfassbar nervigen, schwedischen Pestbeulen. Entsprechend würde ich mitsamt Anhang den restlichen Weg wohl zu Fuß zurücklegen müssen, sobald wir an geeigneter Stelle hielten. Nicht direkt an besagtem Schotterweg, sondern einige Meter weit weg. Man musste die Geschichte schließlich nicht auffälliger als notwendig gestalten, auch wenn die anderen - zumindest Hunter und sein Fußvolk - hier sicher längst vorbei waren. Den gewählten Ort der Übergabe ausreichend für die folgende Aktion sicherten - das wäre zumindest das, was man zu diesem Zeitpunkt jetzt in der italienischen Mafia tun würde, bevor eben der Rest der Zielpersonen dort ankam. Nachdem der Wagen geparkt war hielt ich noch einen Moment lang inne. Hm, den nervigen Professor jetzt mitschleifen oder hier lassen? Eigentlich wäre er nur eine Last, wenn ich ihn mitnahm. Sollten wir entdeckt werden würde er zwar vielleicht das erste Opfer sein, weil Hunter ganz bestimmt fähig war dahingehend seine eigenen Schlüsse zu ziehen, wenn er den Dunkelhaarigen mit meiner Mannschaft hier auffahren sah, aber das war eigentlich nicht Grund genug. Bringen würde es mir dann auch Nichts mehr, dass der junge Mann in jedem Fall tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte, weil er dann hinüber war. "Noch Irgendwas, das ich wissen sollte? oder war's das?", hakte ich also in der Intention nach, ihn hier zu lassen und damit im weiteren Verlauf keine anderen Tipps oder Hinweise mehr annehmen zu können. Natürlich musste ich dann auch einen Wachmann hier lassen, aber erwischt zu werden stand ja sowieso nicht auf der Order. Solange Alles halbwegs nach Plan lief bekam Niemand auch nur einen Kratzer - außer Richard, falls er gelogen haben sollte. Mein Beifahrer stieg indessen schon aus und begab sich zum Kofferraum des Autos, woraufhin es Trupp Nummer zwei des anderen Wagens ihm gleich tat. Sich vorbereitete auf das, was jetzt kam, während ich zu meinem momentanen Gefangenen nach hinten auf die Rückbank sah. Nur einen kurzen Seitenblick auf seinen Aufpasser warf, der ausreichen sollte, um ihm zu verdeutlichen, dass er mit der potenziellen Informationsquelle hier bleiben würde. Dann galt meine volle Aufmerksamkeit aber wieder dem Engländer.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Es war dann eine ganze Zeit lang wieder ziemlich still geworden, weil Agnolo die Informationen nur wortlos zur Kenntnis genommen hatte. Das war für mich jetzt auch nicht sonderlich schlimm, weil meine Laune nach wie vor einem gehörigen Dämpfer unterlag, aber irgendeine Reaktion als Zeichen der Kenntnisnahme hätte ich mir schon gewünscht. Aber wer war ich, dass ich in meiner aktuellen Position etwas erwarten konnte? Ich freute mich schon auf den Augenblick, an dem die ganze Sache hier ihr Ende fand. Den Tag würde ich mir wohl im Kalender anstreichen. Fürs Erste musste ich mich allerdings noch etwas zurückhalten, weshalb ich nach der knappen Instruktion, die an das Ende meiner elend langen Erklärung anschloss, dann auch wieder die Klappe hielt. Schweigend aus dem Fenster starrte, bis das Auto nach wenigen Minuten in unmittelbarer Nähe der beiden Querstraßen Halt machte. Ich löste meinen Blick von den umliegenden Häuserfassaden, die einen mit ihrem grau-gelben Anstrich zu erdrücken vermochten, um direkt in Agnolos Augen zu schauen, der sich inzwischen auf dem Fahrersitz zu uns - dem Äffchen und mir - umgedreht hatte. Das Wort richtete er dabei direkt an mich, wobei ich darauf erst einmal nicht viel mehr als ein Schulterzucken, gefolgt von einem schwachen Kopfschütteln erwiderte. Indessen überlegte ich tatsächlich kurz, ob ich etwas Wichtiges vergessen hatte. Die Antwort war wohl ein ganz klares Nein. Alles, was für die Übergabe wichtig war, hatte ich ihm mitgeteilt. Alles, was mit Hunter abgesprochen war eben. Ausnahmsweise hatte ich dieses Mal nichts zu dem persönlichen Nachteil des Amerikaners hinzugedichtet, er konnte stolz auf mich sein. Und selbst wenn ... ich konnte mir nicht vorstellen, dass das Aufgebot von italienischem Abschaum ihm auf dem Industriegebiet wirklich Paroli bieten konnte. Ich wusste nicht, wie gut Hunter seine Leute für die Übergabe aufgestellt hatte, aber ich war mir sicher, dass sie bei zahlenmäßiger Unterlegenheit aufgrund des Heimvorteils trotzdem am längeren Hebel saßen. Die Italiener hatten, ab von meinen Informationen, nicht den leisesten Schimmer von der Gegend hier. Sollte also einer von Hunters Jungs Wind davon bekommen, dass ihnen ins Geschäft gepfuscht wurde, würden sie Agnolo samt Anhang durchs Labyrinth jagen. Und in dem mit Abstand verwinkeltesten Teil des Industriegebietes würden sie wie Laborratten umher irren, bis sie dem Tod irgendwann in die Augen - sehr wahrscheinlicher jedoch in den Lauf einer Waffe - schauten. Es gab also nur eines, was ich dem jungen Mann noch mit auf den Weg geben konnte. Im Anschluss an das Strecken der müden Gliedmaßen - soweit das auf einer Rückbank mit gefesselten Händen eben möglich war -, setzte ich mich etwas gerade hin, rutschte auf dem Leder ein Stück nach vorne. "Sei... einfach vorsichtig. Hunter ist nicht so dumm, wie er mit seinen affigen Tätowierungen und der absurden Frisur vielleicht aussehen mag.", beantwortete ich schließlich die mir gestellte Frage, während sich in meinem Gesicht weiterhin nicht die leisesten Anzeichen von Regung zeigten. Mittlerweile war ich nicht nur schlecht gelaunt, sondern auch richtig müde. Das Abschalten über die lange Fahrt und die Wartezeit im Auto war mir nicht sehr gut bekommen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Offenbar hatte Richard mir sonst keine wirklich maßgeblichen Informationen mehr mitzuteilen. Dachte einen Augenblick nach, hatte dann im Endeffekt aber doch nur noch eine kleine, indirekte Warnung für mich parat. Ich wünschte wirklich, er hätte mit diesen Worten nicht auf so unschöne Art und Weise Recht. Wünschte mir, dass Hunter dumm wäre, weil die ganze Geschichte hier dann schon längst erledigt sein könnte. Aber der Amerikaner war schrecklich gut auf seinem Gebiet, das musste ich ihm leider eingestehen. Er schien auch wirklich vor absolut gar nichts Angst zu haben - oder zumindest nicht in Hinsicht auf hitzige Gefechte und Todesangst -, womit er vielen anderen Menschen gegenüber einen großen Vorteil hatte. Es kam zwar nicht mehr oft vor, aber hin und wieder packte selbst mich noch der Angstschweiß. Ich hatte schon unzählige Auseinandersetzungen dieser Art hinter mir, aber vollends daran gewöhnen würde ich mich wohl nie... ich war Mensch und nicht Terminator, aber wie dem auch sei. "Ja, ist mit leider schon aufgefallen.", gab ich dem Dunkelhaarigen eine mit sarkastischem Unterton belegte Antwort. "Aber keine Panik, so schnell wirst du mich nicht los.", hängte ich noch ein paar weitere, wenig ernst gemeinte Worte hinten ran, während ich mich schon der Autotür zuwendete und kurz darauf auch ausstieg. Richard mit seinem Wachhund im Wagen zurückließ und mich selbst am Kofferraum ausreichend bewaffnete. Direkt im Anschluss daran folgte nur noch eine kurze Anweisung an meine Mitstreiter, bevor die Aktion in die Vollen ging. Ich wies alle Mann zu extremer Vorsicht an, sich wenn möglich immer im Schatten oder anderweitiger Deckung aufzuhalten, weil ich ungern eine Leiche hier zurücklassen wollte. Das Adrenalin kochte mir zunehmend mehr in den Adern je näher wir dem Treffpunkt der Übergabe entgegen kamen und schließlich erblickte ich auch mehrere von Hunters Männern, die dabei waren den Verkäufer so ideal wie möglich den Lieferwagen parken zu lassen, was ein wenig rangieren erforderte. Auf den ersten und auch zweiten Blick konnte ich nicht ausmachen, ob das Oberhaupt selbst ebenfalls mit von der Partie war. Zu viele Hauswände, hinter denen er sich potenziell verborgen halten konnte. So oder so schien der Kunstliebhaber im Auto aber die Wahrheit gesagt zu haben. Das war weiterhin kein eindeutiges Indiz dafür, dass er auch wirklich gegen den Menschenschlächter spielte, aber zumindest kein schlechter Anfang. Bis letzterer sich zeigte vergingen noch einige Minuten, denn er beschloss erst hinter einem nahen Gebäude hervor zu kommen, als sich auch der Käufer näherte. Ich beobachtete das ganze Szenario aus sicherer Entfernung, beschloss an diesem Punkt dann endgültig nicht gegen die Truppe vorzugehen. Es würde mich nur Männer kosten und es war reichlich unwahrscheinlich, dass ich außerhalb meines italienischen Reviers einen entscheidenden Vorteil landen konnte. Also wies ich meine Mannschaft nach einigen Minuten zum Rückzug an und wir machten uns - vermeintlich ungesehen und auf jeden Fall nicht attackiert - auf den Heimweg. Ich hatte gesehen, was ich hatte sehen wollen und war vorerst Richard gegenüber besänftigt, trotz seiner unpassenden Kommentare. Ob man's glauben wollte oder nicht, ich war tatsächlich weniger nachtragend als meine beiden in Oslo campenden Vorgesetzten. Wieder an den Fahrzeugen angekommen ging Alles relativ zügig. Ein Blick auf die Uhr im Wagen verriet mir dann, dass wir etwas mehr als eine halbe Stunde unterwegs gewesen waren. "Kannst ihn losmachen.", wies ich meinen Mann auf der Rückbank dazu an die simple Fessel von den Handgelenken Richards zu entfernen. "Willst du hier raus oder 'nen Escortservice?", fragte ich den Dunkelhaarigen auf der Rückbank, wobei mir durchaus bewusst war, dass man das Wort jetzt hätte in zweierlei Richtungen deuten können. Vielleicht konnte ich seine sicher eher noch miese Laune - er hatte vorhin jetzt nicht mehr sehr begeistert ausgesehen - damit etwas anheben, Richard hatte schließlich allen Grund dazu sich zu freuen... er durfte ja weiter leben, das war in der Mafia nach einem Vergehen immer ein Grund zum Feiern.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Das war aber schade. Ich persönlich hätte jetzt nichts dagegen gehabt, wenn Hunters Männer Wind von der Sache bekamen und Agnolo samt seinem Gefolge hier und heute dem Erdboden gleichmachten. Am Ende brachte uns das zwar nicht viel mehr, als Genugtuung, wieder ein Dutzend der Kontrahenten ausgeschaltet zu haben, aber es wäre Balsam für meine momentan ordentlich angekratzte Seele. Klar, die zwei führenden Köpfe würden auch ohne ihren Jüngling weiterhin nach Sabin suchen, aber Cosma war ja der felsenfesten Überzeugung gewesen, dass es auch noch andere Möglichkeiten geben würde. Welche das waren, wusste aktuell wohl nur der Liebe Gott. Aber wie auch immer. Es wurde jedenfalls ziemlich still, nachdem sich der Italiener mit ein paar knappen Worten an seinen Mitstreiter vom Wagen entfernt und auf dem Weg zum Treffpunkt gemacht hatte. Und die Stille hielt an, denn weder hatte der Knabe neben mir, noch ich selbst große Lust zum Reden. Ich bevorzugte es im Moment, einfach in Ruhe gelassen und nicht unnötig mit irgendeiner gequirlten Scheiße behelligt zu werden. Nach der Aktion in meiner Wohnung vorhin hatte ich eigentlich fest mit einer Machtdemonstration des Handlangers gerechnet. Jetzt, wo wir alleine waren, sein Boss nicht in unmittelbarer Nähe war, hätte er leichtes Spiel gehabt. Aber er blieb ruhig. Hier und da vielleicht ein böser Blick, aber den konnte man gut ignorieren. Weil ich die Augen zwischenzeitlich geschlossen hatte, bekam ich das so oder so nicht wirklich mit. Die Zeit verging schließlich wie im Flug und nachdem ich ein, zwei Mal kurz weggenickt war, öffnete sich auch schon wieder die Tür auf der Fahrerseite. Ganz offensichtlich waren Agnolos Männer nicht erwischt worden. Oder aber Hunter hatte seine Männer angewiesen, auch bei Sichtkontakt ruhig zu bleiben. Nicht einzugreifen und sie einfach gewähren zu lassen. Hielt ich sogar für sehr viel wahrscheinlicher. Hunter musste schließlich damit rechnen, dass die Italiener nach meinem heißen Tipp hier aufkreuzen würden. Der junge Mann sah jedenfalls noch recht lebendig aus, es war also alles gut gegangen und seine Worte waren Musik in meinen Ohren. Die Kabelbinder hatten sich mittlerweile schon auf unangenehme Art und Weise ins Fleisch gegraben, sodass ich mir erst einmal ausgiebig die Handgelenke massierte, als das Hündchen den Anweisungen seines Herrchens Folge leistete und mit einem Taschenmesser das Hartplastik durchtrennte. Indessen erreichten mich Agnolos darauffolgende Worte, auf die ich erst einmal nur mit einer hochgezogenen Augenbraue reagierte. Jetzt war er derjenige mit den flotten Sprüchen oder was? Schön, dass wenigstens er jetzt bessere Laune zu haben schien. Ich war nach wie vor sauer und das hörte man wohl ziemlich deutlich. „Sei so gut und bring mich Heim. Nach dem Tag kann ich ein wenig Verwöhnprogramm gut gebrauchen. Außerdem: Sieht mich hier jemand, war es das mit den Informationen für dich.“, bemerkte ich recht trocken, ehe ich die geschundenen Arme vor der Brust ineinander verschränkte und ihn herausfordernd anfunkelte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #