Damit hatte sie vermutlich Recht, ja. Ewig so weiter machen konnte ich nicht, sonst platzte das vehement zugeschraubte Ventil früher oder später in ungute Richtung auf. Ich hatte mir vorgenommen so viel Geld wie möglich in den nächsten fünf bis zehn Jahren anzuhäufen und mich dann vielleicht irgendwann, irgendwo zur Ruhe zu setzen. Mir zwei, drei Villen an verschiedenen Enden der Erdkugel zu kaufen, immer wieder dazwischen hin und her zu switchen, schicke Autos in den Garagen zu parken, einen fetten Pool in jedem einzelnen Garten zu genießen, die Seele baumeln lassen... mir für all den Schmerz und das Leid, das ich mein ganzes Leben über hatte ertragen müssen, ein Leben in absolutem Überfluss zu gönnen und nie wieder auch nur einen Finger krumm zu machen. Pläne waren ja auch schön und gut, nur brachte mir das eben nichts mehr, wenn ich bis dahin dann schon abgekratzt war. Meiner Leber oder meinem eigenen Kopf zum Opfer fiel, weil ich es nicht mehr aushielt und den Schlussstrich ziehen wollte. So weit war es bisher hier in Norwegen aber nicht gekommen, an Selbstmord hatte ich nur anfangs im Knast gedacht. Nachdem ich mich dort aufgerafft hatte aber nie wieder, weil ich keinen Grund dafür sah. Ich war stark, physisch wie psychisch. Hulk, der Terminator, einfach so gut wie unzerstörbar. Aber das brachte mir auch nichts, wenn der Himmel grau blieb. Nie wieder wirklich blau aussah, weil mich die Wolken der Vergangenheit ewig verfolgen würden, wenn ich sie nicht ein Stück weit gehen ließ. Irgendwann würde mich das triste Grau erschlagen. Ich rang schweigend noch immer mit mir. So lange, bis Cosma mir einen unerwarteten Vorschlag machte. Vielleicht würde es aber wirklich helfen, wenn ich wusste, dass sie sich mir ebenfalls ein Stück weit anvertraute. Es war nicht so, dass ich jene neu gewonnene Informationen dann in welcher Hinsicht auch immer gegen sie verwendend wollte. Es würde mir nur vielleicht einen kleinen Teil der Angst davor, dass sie es eben wider ihrer vorherigen Worte Jemandem erzählen würde, nehmen. Wie gesagt - immenses Vertrauensproblem. Ich war nun mal nicht selten im Leben hintergangen worden, das prägte. "Würde vielleicht helfen, ja...", murmelte ich weiter vor mich hin, den Blick inzwischen auf meinen Schoß, beziehungsweise die schlichte Bettwäsche der Decke darüber gerichtet. "Aber würdest du vielleicht zuerst... an die Wand rutschen? Ich... fühl' mich besser, wenn ich dein Gesicht dabei sehe.", wurde ich noch ein paar mehr, eher leise Worte los und hob den Blick dann wieder an, um in Richtung der Rothaarigen zu sehen und herauszufinden, ob sie meinem Wunsch denn nachkommen würde. Nur für den Fall zog ich meine Beine ein Stück weit an, damit sie da in ihrem angeknacksten Zustand eben nicht drüber musste. Es war einfach eine Angewohnheit von mir, Leute beim Reden anzusehen. Erst recht dann, wenn sie mit Informationen oder dergleichen daherkamen. Wenn Jemand log, dann wollte ich das sehen. Auch, wenn ich nicht glaubte, dass Cosma mir das Angebot gemacht hatte, um mir irgendwelche wilden, erfundenen Storys aufzutischen. Trotzdem... war eben auch einer meiner Ticks, da konnte ich nicht gegen an. In jedem Fall musste sie mit der Erzählerei anfangen, mir würden die Worte so, wie es jetzt gerade war, nur im Hals stecken bleiben.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Überraschenderweise sollte Hunter sich mit dem Vorschlag tatsächlich einverstanden erklären, was mich doch einmal aufrichtig lächeln ließ. Ich konnte mir vorstellen, dass es für ihn unheimlich schwer sein musste, nach der langen Zeit endlich jemanden sein Herz zu öffnen, dafür gab ich ihm aber auch alle Zeit, die er brauchte. War ja nicht so, als hätte ich davon keine. Schon eine Woche hatte ich mit bloßen Nichtstun verbracht, da war das hier gerade eine willkommene Abwechslung. Und da kam es dann auf ein paar Minuten mehr oder weniger auch nicht mehr an. Also schwieg ich für einen Moment, damit der Amerikaner seine Gedanken sortiert bekam, ehe er sein Wort mit einer etwas ungewöhnlichen Bitte wieder an mich richtete. Weil ich damit jetzt nicht unbedingt gerechnet hatte, musste ich entsprechend verwirrt ausgesehen haben, aber das legte sich schnell wieder. Noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen nickte ich ihm zu, was sowohl ein Zeichen dafür sein sollte, dass ich seiner Bedingung Folge leisten würde, zum anderen sprach es auch einen lautlosen Dank aus, denn wenn er seine Beine nicht aus dem Weg genommen hätte, wäre es für mich schwierig geworden, so ganz ohne Probleme an die Wand zu rutschen. Trotz allem sah ich immer noch relativ unbeholfen aus, als ich mich über die Matratze robbte, weil ich schlicht und ergreifend noch immer aufpassen musste, wie ich welche Muskeln meines Körpers belasten konnte, ohne dabei tausend Tode zu sterben. Sollte aber nicht lange dauern, bis ich mit dem Rücken an der Wand gelehnt und somit Hunter direkt gegenüber saß. Dann musste ich erst einmal durchatmen, weil mir der Positionswechsel doch einiges an Kraft geraubt hatte. Schließlich faltete ich aber meine Hände zusammen und legte sie locker auf meinem Schoß ab. Währenddessen hatte ich meinen Blick stets auf meinen Gegenüber gerichtet, was mir verriet, dass er immer noch mit sich zu ringen schien, ob das ganze hier auch wirklich eine gute Idee war. Ich nutzte die Chance, ihm schon einmal etwas über mich zu erzählen, vielleicht wärmte er dann ja in der Zeit etwas auf. "Okay, also...", ich räusperte mich leicht und ein schiefes Grinsen zierte einen Moment lang meine vollen Lippen. Irgendwie war das hier alles gerade wirklich absurd. Hätte man mir vor etwas mehr als einer Woche gesagt, dass ich irgendwann mal mit Hunter auf einem Bett sitzen und eine Therapiestunde abhalten würde, hätte ich demjenigen wohl den Vogel gezeigt, was noch mehr als freundlich ausgedrückt war. Aber gut, besondere Umstände forderten bekanntermaßen ebenso besondere Maßnahmen. "Also... mein Name ist Cosma Dubois, ich bin 24 Jahre alt und komme ursprünglich aus Frankreich.", stellte ich erst einmal die ganz offensichtlichen Fakten dar. "Über meine Kindheit gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen. Ich kann mich zu der glücklichen Minderheit zählen, die ein sehr behütetes Kinderleben hatten. Viele Spielzeuge, glücklich verheiratete Eltern und eine Meeeenge Freiheiten." Es fing also an, ich driftete zunehmend mehr in Gedanken an damals ab. Bis dato war noch alles wirklich gut gewesen, ich konnte mich nicht beschweren. "Ich denke, der Knackpunkt allen Übels war die Smith and Wesson. Ich bin irgendwann... keine Ahnung, da war ich vielleicht 19 oder 20, dann aus Frankreich ausgewandert, weil ich jemanden - Daith - kennen gelernt habe. Er hat damals ein Auslandsjahr in Lyon gemacht und in meiner Nachbarschaft gewohnt. Wir haben uns des Öfteren gesehen und irgendwann hat er mich angesprochen und mich relativ altmodisch gefragt, ob wir mal etwas trinken gehen wollten." Schon alleine dieses eine Thema, was mein Leben wirklich geprägt hatte, anzusprechen, ließ meine Augen glasig werden. Ich konnte Daith förmlich vor mir stehen sehen an jenem Tag, als ich gerade auf dem Weg zur Arbeit gewesen war. Er hatte im Garten seiner Gastfamilie geholfen, Unkraut zu zupfen und stand mit einem ziemlich schmutzigen Gesicht, welches daher rührte, dass er sich mit dem ebenso dreckigen Handschuh die Schweißperlen von der Stirn gewischt hatte, vor mir. Meine Stimme begann leicht zu zittern bei dem Gedanken, aber ich redete einfach weiter. Wenn ich jetzt eine Pause inmitten des Wasserfalls machte, wäre ich vielleicht diejenige gewesen, die sich für einen Rückzieher entscheiden würde. Es war nicht so, als verletzte mich das Thema grundlegend, aber es tat einfach so weh, all die guten Erinnerungen vor meinem inneren Auge vorbeiziehen zu sehen. "Jedenfalls war ich zu der Zeit mitten in der Ausbildung zur Barkeeperin und hab mich entsprechend euphorisch auf das Treffen mit ihm gefreut. Keine Ahnung... so, wie du ihn kennen gelernt hast, war er nicht immer...", redete ich leise weiter, wobei ich meinen Blick keine Sekunde von Hunter abwendete. Immerhin wollte ich, genau so wie er es sicher auch vorgesehen hatte, sehen, wie er auf meine Ansprache reagierte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich war froh darüber, dass die junge Frau meinem Wunsch nachkam, auch wenn ich mich kurzzeitig doch fast ein wenig schlecht deshalb fühlte, weil sie sich so abmühen musste und sicher auch Schmerzen dabei hatte. Vermutlich viel Kraft dafür benötigte. Aber als Belohnung lehnte mich ein wenig nach vorne und gab ihr ein Stück der Decke ab, die es vielleicht immerhin ein klein wenig gemütlicher und angenehmer für die Rothaarige machen würde. Auch, wenn ich mich ganz bestimmt weit unwohler fühlte als sie es tat. Wenn der Körper krank oder verletzt war, fror man sowieso oft etwas schneller. Ob das bei Cosma gerade der Fall war wusste ich zwar nicht, aber Vorsicht war besser als Nachsicht. Dann setzte sie zum Reden an, fing an mir über sich zu erzählen. Dass sie aus Frankreich kam, ließ allein der Nachname ja schon vermuten, lag einfach sehr nahe. Natürlich hätten ihre Eltern auch mit ihr ausgewandert sein können, aber nachdem ich von etwaigen Eltern noch nie etwas gesehen hatte, glaubte ich da eher weniger dran. Im Gegensatz zu mir schienen ihre Eltern nämlich auch Etwas für sie übrig gehabt, sie geliebt zu haben, wofür sie wirklich dankbar sein konnte - es auch war, ihren Worten nach zu urteilen. Ich wusste nicht einmal, ob meine eigenen Eltern mich damals geliebt hatten. Als ich noch sehr klein war vielleicht, da war ich weniger anstrengend gewesen... aber so mit 5, 6 Jahren war ich eher zum frustrierten kleinen Teufel mutiert, der fortwährend gemeckert hatte, unzufrieden war, viel Beschäftigung brauchte. Keine Ahnung, ob ich sowas wie ADHS gehabt hatte - wenn ja, hatte ich es auf jeden Fall abgelegt. Bestätigung und Aufmerksamkeit brauchte ich schon lange nicht mehr, hatte ich mit mir selbst doch mehr als genug zu tun. War sowieso nur eine dieser Modekrankheiten, wenn man mich fragte. Auf jeden Fall hatte Cosma damit wohl mehr Glück als ich, wuchs in ganzheitlich guten Vehältnissen auf. Die Wende des Ganzen war wohl erst im jungen Erwachsenenalter gekommen, als sie sich offenbar über beide Ohren in den Vollpfosten verliebt hatte, der in meinen Augen Nichts außer sehr viel Mitleid - für sein reumütiges Antanzen - und ein paar Schläge verdient hatte. Auch, wenn er nicht immer so gewesen zu sein schien, sonst wäre Cosma kaum mit ihm nach Norwegen eingekehrt. Hatte sich mit ihm zusammen die Bar aufgebaut, die wohl aus gutem Grund jetzt nur noch ihr gehörte. Neugierig, wie ich es in den meisten Fällen eben war, musste ich natürlich danach fragen. Der Teil von mir, der gerne absolut Alles über ausnahmslos jede Person in meinem Umfeld wissen wollte, konnte gar nicht anders. "Warum seid ihr getrennte Wege gegangen?", halte ich also nach, weshalb es denn zur Trennung gekommen war. Den Blick während der Frage noch in ihre Augen gerichtet, danach sah ich kurz zu der Flasche, die ich einhändig zuzuschrauben begann. Legte sie dann dahin, wo sie vorher schon ihr Dasein gefristet hatte, bevor meine Augen sich erneut auf die Rothaarige richteten. Ich sollte wohl wenigstens versuchen nicht ständig zu trinken, wenn mir Etwas unangenehm war oder mich meine Gedanken um den Verstand brachten. Einsicht war bekanntlich der erste Weg zur Besserung.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Statt mich mit bissigen oder abwertenden Kommentaren zu unterbrechen, so wie er es sonst gerne tat, wenn ich ein paar Wahrheiten auftischte, schien er sich heute als ein guter Zuhörer behaupten zu wollen. Während ich über meine Vergangenheit philosophierte, hatte er meinen Worten ein aufmerksames Gehör geschenkt, meinen Blick stand gehalten und sich sogar um mein Wohlergehen gesorgt. Anders konnte ich mir zumindest nicht erklären, wieso er mir inmitten des Gesprächs einen Teil seiner Decke um die Beine legte. Dafür nickte ich ihm lediglich dankend zu, ohne aber meine Geschichte dabei zu unterbrechen. Nachdem ich schließlich einen Punkt gesetzt hatte, um kurz Luft zu holen, richtete Hunter ein paar Fragende Worte an mich, die an dieser Stelle durchaus passend waren. Ich musste, denke ich, nicht noch einmal erwähnen, dass die Beziehung zwischen mir und Daith in die Hose gegangen war. Der Punkt war nach den beiden unliebsamen Begegnungen mit ihm offensichtlich gewesen, nur hatte ich Hunter gegenüber nie einen konkreten Grund geäußert, woran das gelegen hatte. Warum auch? Im Prinzip ging ihn das nichts an und interessiert hatte er sich dafür sicher auch nicht. Bis heute zumindest. Vermutlich um sich etwas mehr Zeit zu erkaufen, noch nicht über seine Vergangenheit reden zu müssen, stellte er die alles entscheidende Frage. Ja, warum gingen wir denn jetzt eigentlich getrennte Wege? Der mit Abstand schmerzhafteste Teil der ganzen Sache schnürte mir für einige Sekunden die Luft ab. Ich überbrückte die Zeit, bis sich der Kloß in meinem Hals gelöst hatte damit, dass ich meinen Blick kurzzeitig auf meine Hände richtete und gespielt unwissend mit den schmalen Schultern zuckte. Erst als ich mich wenig später wieder dazu in der Lage sah, ohne zu ersticken nach ein paar Worten zu ringen, setzte ich wieder zum Reden an und beantwortete als Erstes die Frage meinen Gegenübers. "Das... war irgendwie ein schleichender Prozess.", setzte ich an und hob meinen Blick wieder etwas, um direkt in die strahlend blauen Augen meines Gegenübers zu schauen. Ich bildete mir ein, dass mein weinerliches Ich sich in seiner Iris wiederspiegelte, was mich leise seufzen ließ. Vielleicht nahm mich das Thema doch mehr mit, als ich es mir selbst eingestehen wollte. Aber viel war es ja nicht mehr, was noch kommen sollte, ich hatte es also bald überstanden. "Am Anfang unserer Beziehung waren wir das Traumpaar schlechthin. Meine Eltern sahen ihn schon als ihren künftigen Schwiegersohn und liebten seine zuvorkommende Art mindestens genau so sehr wie ich. Entsprechend brach es uns allen das Herz, als es am Ende des Auslandsjahr für ihn hieß, wieder nach Norwegen zurück zu reisen. So eine Fernbeziehung war nicht leicht, aber ich hatte ihm versprochen, nach Abschluss meiner Ausbildung nachzukommen und was soll ich sagen...", ich lachte leise, breitete die Arme wie zu einer Umarmung ansetzend aus, um damit zu symbolisieren, dass ich jetzt hier und nicht in Frankreich geblieben war. "... ich habe mein Versprechen gehalten. Ein gutes halbes Jahr hat es gedauert, alles rund um mein Visa und eine Wohnung zu organisieren, aber umso glücklicher war ich dann, endlich wieder bei ihm sein zu können. Nach seiner Heimkehr hat er dann angefangen, BWL zu studieren und mir schließlich geholfen, einen Job zu finden. Für eine Weile habe ich in einem kleinen Lokal nahe unserer gemeinsamen Wohnung gearbeitet, aber nicht sehr lange. Daith hatte größere Pläne. Er war so motiviert, all sein angesammeltes Wissen aus dem Studium anzuwenden, das er in einer Kurzschlussreaktion mithilfe seiner Eltern eine leerstehende Kneipe gekauft hat. Weil es vor Jahren noch steuerliche Vorteile für Migranten gab, die sich selbstständig machen wollten, hat er meinen Namen in den Kaufvertrag eintragen lassen. Am End sparten wir dadurch echt viel Geld, was wir wiederum in die Restaurierung und Renovierung der Smith and Wesson stecken konnten, auch der ein oder andere teurere Schnaps ließ sich damit erwirtschaften. Eine Weile lief das Geschäft recht schleppend, Daith hatte sich in seinen Berechnungen etwas verkalkuliert und wir standen beinahe vor dem Bankrott. Das war die Zeit, in der wir uns des Öfteren Mal im Marihuana verloren hatten oder auf irgendwelchen Teilen durch die Stadt gestiefelt sind, um Hippies in den Arsch zu treten." Die Erinnerung an jene Nacht, wo wir beide in eine Schlägerei verwickelt worden waren, weil wir die Klappe nicht halten konnten, ließ mich nostalgisch werden und unterbewusst fing ich an, leicht vor mich hin zu lächeln. Natürlich hatten wir gut etwas wegstecken müssen, aber wir hatten einen Heidenspaß gehabt und das war es uns die paar blauen Flecken und eine gebrochene Nase wirklich wert gewesen. "Jedenfalls kamen dann irgendwann bessere Zeiten. Mein Ex hatte die Hoffnung schon aufgegeben, sich kaum mehr angestrengt, den Laden irgendwie aus dem Ruin zu ziehen, deshalb habe ich einen Großteil davon einfach selber in die Hand genommen. Nachdem ich die Karte etwas aufgefrischt und das Konzept grundlegend überarbeitet hatte, konnten wir uns vor Gästen kaum noch retten. Viele Leute haben angerufen, um schon Wochen im Voraus ein paar Sitzplätze zu reservieren und das war auch wirklich nötig, denn die Hütte war voll bis unters Dach. Natürlich war ich stolz darauf, dass ich das geschafft hatte, was seit meiner Ausbildung und noch weit davor mein Traum gewesen war: Mein eigenes kleines Lokal mit Stammgästen und den ganzen Spaß. Nur entwickelte sich damit auch eine große Verantwortung, der sich Daith nicht stellen wollte. Und alleine war das gar nicht so einfach. Ich verbrachte manchmal mehrere Tage nur in der Bar, um Promoaktionen zu planen, Lieferanten zu kontaktieren und so was... Geschäfte halt, wie du sie auch kennst, kosten nun mal immens viel Zeit. Leider musste ich an manchen anderen Stellen diese Zeit eben abzwacken, denn mehr als vierundzwanzig Stunden hatte mein Tag damals auch nicht. Du kannst dir sicher denken, wer darunter leiden musste..." Ich seufzte leise. Meine Entscheidung bereute ich bis heute nicht, aber trotzdem tat es weh, noch einmal an den Tag zurück zu denken, an dem mir Daith schließlich die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. "Irgendwann stellte mich Daith dann vor die Wahl. Er hatte es satt, dass ich so viel Zeit mit und in der Bar verbrachte, wollte nicht immer die zweite Wahl sein. Aber anstatt gemeinsam mit mir unser Baby zu pflegen, hatte er andere Interessen und zwang mich schließlich dazu, mich zu entscheiden. Da der Kaufvertrag auf mich lief, konnte er mir rein rechtlich nichts anhaben, die Bar gehörte offiziell mir, also griff er zu anderen Mitteln, um mich unter Druck zu setzen. Seine Aussage war, dass entweder er bleiben oder ich künftig genug Zeit für die Bar haben würde, weil er mir dann nicht mehr im Weg stand. Mit anderen Worten musste ich mich zwischen ihm und meiner Bar entscheiden. Und das war schwer. Wirklich... Ich brauchte bestimmt zwei Tage, bis ich ihn schließlich in den Wind schoss. Ich weiß, es hört sich irgendwie undankbar an, nachdem er so viel für mich gegeben hatte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, mit jemanden zusammen zu leben, bei dem ich Angst haben musste, dass er mich, sobald ich irgendein Hobby aktiv verfolgte, vor die Wahl stellt, verstehst du?", erneut ein leises Seufzen. Ich hatte es geschafft, jetzt war alles raus. In den Augen meines Ex-Freundes sollte er der einzige sein, den ich abgöttisch liebte, alles andere war nur Ballast für unsere Beziehung, wenn es nach ihm ging. Aber ich sah das anders. Wäre er weitaus weniger idiotisch an die Sache heran gegangen und hätte mich nicht unüberlebt vor die Wahl gestellt, hätten wir sicher einen guten Kompromiss für beide Seiten aushandeln können, aber diese Chance hatte er verspielt. "Und seit dem Tag, als er mit seinen Koffern unsere Wohnung verließ, um zurück zu seinen Eltern zu ziehen... ich weiß nicht... fühlt es sich an, als hätte er all die positiven Gefühle und Emotionen, die ich jemals verspürt habe, einfach mitgenommen. Wir sind jetzt schon länger getrennt, aber bis heute habe ich es nicht geschafft, mich anderweitig neu zu verlieben und generell fällt mir der Umgang mit Menschen deutlich schwieriger, als noch vor der Trennung.", schloss ich meine Erklärungen ab, hängte noch ein finales Schulterzucken hinten dran.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich spitzte wieder die Ohren, als die junge Frau weiter redete. Mir erzählte wie die ganze Bar, wie sie jetzt eben war, überhaupt zu Stande gekommen war und was sie das Alles gekostet hatte. Viel Schweiß und Tränen, offenbar auch einiges an Marihuana um das Tief zu verdrängen, schöner zu gestalten. Das hatte ja auch mehr oder weniger funktioniert und sie hatte damit aufgehört - oder zumindest wieder weniger konsumiert -, nachdem die Bar dann erst einmal ins Rollen gekommen und die Kundschaft entsprechend da war. Wenn man mich fragte war die Smith and Wesson auch keine schlechte Bar. Mir war diese Art von eher dunkler, gemütlicher Kneipe sehr viel lieber als diese auf Hochglanz polierten, modernen Schuppen. Letztere hatten in meinen Augen gar keinen Charme mehr und hatten den Sinn und Zweck einer Bar schlicht nicht verstanden. Gemütliches Beisammensitzen mit Alkohol, nicht sich auf Teufel komm raus aufzubrezeln und einen auf Club ohne Tanzfläche machen. Jedenfalls schien die Beziehung zu ihrem Exfreund schon lange gestrauchelt zu haben, bis er Cosma schließlich das absolute Ultimatum stellte. Ich konnte gut verstehen, dass sie sich für die Bar und nicht für Daith entschieden hatte. Ganz einfach deshalb, weil derartige Ultimaten in meinen Augen keinen Sinn machten. Wenn man Jemanden liebte und mit ihm sein Leben verbringen wollte, dann musste man sein Leben auch mit allem drum und dran mit ihm teilen. Wenn man mit dem Leben um die geliebte Person herum nicht dauerhaft klar kommen konnte, dann war es schlicht und ergreifend nicht der oder die eine... aber was konnte ich dazu schon sagen? Sowas wie Liebe war mir bis dato absolut fremd. Freundschaften, ja, die pflegte ich schon. Aber wenn es einen Schritt weiter ging, dann war da noch nie Jemand gewesen. Mal Affären für ein paar Wochen, das war es dann aber auch schon. Bindungsphobie war sicher auch eine der niemals endenden Baustellen, die in meinem Verstand zu Gange waren. "Wenn du mich fragst, war das aber auch die richtige Entscheidung... Alles oder Nichts. Man kann Jemanden nicht dazu zwingen, für den Anderen einen essentiellen Teil seines Lebens einfach so... aufzugeben. Das ist sicher nicht das, was... Liebe ausmachen sollte.", redete ich leicht gemurmelt vor mich hin. Ich war ganz bestimmt nicht der erste oder beste Ansprechpartner für Sowas, aber das leuchtete ja selbst mir ein. Das hatte mit Liebe ganz einfach Nichts zu tun. Es gab immer Mittel und Wege, aber das war ganz sicher Nichts davon gewesen. Auch, dass Cosma sich jetzt schwer damit tat, sich wieder Jemandem anzuvertrauen, war sicher kein Wunder, wenn sie vorher so herb enttäuscht worden war. "Ich glaube, wenn man einmal richtig enttäuscht wurde, ist es normal, dass man sich danach... schwer damit tut.", dachte ich laut nach, zuckte ein klein wenig mit den Schultern. Leider schien es so, als sei ich jetzt mit der Rederei an der Reihe, was mir so gar nicht behagte. Nach einigen schweigsamen Sekunden seufzte ich leise, rieb mir über das angestrengte Gesicht. "Schätze dann bin ich jetzt dran, hm?", stellte ich ziemlich überflüssigerweise fest und atmete noch einmal etwas tiefer durch. Ich wollte noch immer nicht, aber es war sicher besser so. Zumal ich jetzt auch ein Stück weit reden musste, wenn die Rothaarige mir schon so viel von ihrer eigenen Misere erzählte. Es führter also kein Weg mehr daran vorbei. "Als ich ganz klein war, war Alles noch in Ordnung... daran erinner' ich mich aber kaum noch. So mit fünf oder sechs Jahren wollte oder musste meine Mutter wieder zu arbeiten anfangen und ich glaube, dass ihr das auch ganz recht war, weil ich ein ziemlich anstrengendes Kind war. Meine Eltern hatten eine eigene Firma und der Arbeitstag hatte selten mal nur acht Stunden... also haben sie das Kindermädchen engagiert und ab da ging Alles ziemlich den Bach runter. Sie war meinen Eltern gegenüber immer so scheißfreundlich, dass es wahrscheinlich nicht mal ein Wunder ist, dass sie nicht gemerkt haben, wie sie mit mir umgegangen ist... am Anfang war das nur hier und da mal eine Schelle, weil ich nicht gespurt habe...", fing ich an zu reden und machte dann aber eine fast ein minütige Pause, weil in meinem Kopf die unschönen Erinnerungen an all die Schandtaten zurück kamen. Sich wie ein zu schnell abgespielter Film in meinem Kopf runter leierten. "Aus Ohrfeigen wurden aber ziemlich bald richtige Schläge. Die blauen Flecken waren durch die Tatsache, dass ich mich wegen all dem Ärger Zuhause schon als Kind gerne in der Schule geprügelt habe, bestens getarnt. Hier und da noch ein imaginärer Sandkastenunfall und die Geschichten klangen schrecklich plausibel... wenn man sich 24/7 auf irgendwelche Geschäftsreisen verpisst, dann kann man eben auch nicht merken, dass das eigene Kind oft für unzählige Stunden in den dunklen Keller gesperrt wird.", erzählte ich, atmete auch danach erst einmal wieder etwas durch. Ich erinnerte mich noch bestens daran, in den eigentlich nur als Abstellkammer genutzten, stockdunklen Keller gesperrt worden zu sein. Wie ich mich oft stundenlang in der Dunkelheit verloren und geweint hatte. Blanke Panik und Verzweiflung das einzige gewesen war, das ich gespürt hatte. "Vielleicht ist das der Grund dafür, warum ich mich nachts wohler fühle, als tagsüber. Man gewöhnt sich irgendwann an die Dunkelheit, lernt sie zu nutzen... ich finde mich im Dunkeln vermutlich besser zurecht als 99% aller anderen Menschen. Wie auch immer - ich hab das Alles über mich ergehen lassen, bis ich 12 war. Gewehrt hab ich mich da auch noch nicht, aber ich war fast nicht mehr Zuhause. Bin meistens direkt nach der Schule mit ein paar meiner Mitschülern in den abgelegenen Teil von New Orleans gezogen... da hat es Niemanden interessiert, wenn du Fenster eingeschlagen, Autos demoliert oder Jemanden verprügelt hast. Ich hab schon da gelegentlich Alkohol getrunken, mit 13 das erste Mal dann zu härteren Drogen gegriffen... aber hin und wieder musste ich dann eben doch nach Hause. Hatte kein Geld, Nichts zu Essen und konnte mich nicht ewig bei anderen Familien durchschnorren. Natürlich kamen mich die tagelangen Ausflüge immer teuer zu stehen, da blieb es dann nicht bei Schlägen mit der Hand... als ich 14 war hatte ich dann aber genug und hab' angefangen zu klauen, damit ich eben gar nicht mehr zurück musste. Nur haben mich die Bullen mit 15 dabei eingesammelt und... naja...", ich schluckte leise, senkte den Blick auf meine jetzt leeren Hände auf meinem Schoß. Mir selbst war gar nicht aufgefallen, dass ich irgendwann beim Reden damit angefangen hatte, unruhig mit dem rechten Bein zu wippen. "Ich bin nichtsahnend schlafen gegangen und bin dann aufgewacht, weil sie mich mit bloßen Händen gewürgt hat. Ich weiß nicht, ob sie mich wirklich umbringen wollte... und ich kann von Glück reden, dass meine Armlänge schon damals recht gut war und ich zurückschlagen konnte, damit sie mich wieder loslässt. Ich hab sie mit allen Mitteln aus meinem Zimmer gekriegt und die Tür mit der Kommode verbarrikadiert - Schlüssel gab es in diesem Haushalt nämlich schon lang nicht mehr... ich hab das Nötigste zusammengepackt und bin durchs Fenster übers Vordach abgehauen. Das war der Punkt, wo ich mir geschworen hab, sie umzubringen... sie für all die Jahre bezahlen zu lassen, weil sie es nicht anders verdient hatte. Als ich 18 war hab ich's nach ein paar Jahren auf der Straße dann versucht... hab es aber trotzdem irgendwie nicht geschafft, es zu Ende zu bringen... obwohl ich Drogen genommen habe und so unendlich viele Gründe dafür hatte, ihr das anzutun, konnte ich es einfach nicht. Bin wieder gegangen... nur um mich dann festnehmen in den Knast abschieben zu lassen. Ich war schon vorher kaputt, aber das hat mir dann einfach den Rest gegeben. Ich war nicht immer so durchtrainiert oder... mental abgestumpft, wie ich es jetzt bin. Es hat zwei Jahre gedauert, in denen ich unzählige Male verprügelt oder fast umgebracht wurde, bis ich da war, wo ich jetzt bin. Ich hab jede freie Minute in meiner Zelle nur dazu genutzt, meinen Körper und damit auch meinen Kopf an seine absoluten Grenzen zu bringen... der Wachstumsschub war mit 20 dann auch endlich vorbei und bis auf ein paar Narben weniger war ich dann da angekommen, wo ich jetzt bin. Hab zurückgeschlagen, angefangen mit allem Möglichen zu dealen und mir meinen Kreis im Knast gebildet. Irgendwann kam mir dann keiner mehr zu nahe. Also wurde ich nicht mehr auffällig, verhielt mich auch den Wärtern gegenüber ruhig... damit ich mit 24 wieder entlassen wurde. Nach ganzen, verdammten 6 Jahren Knast.", ich lehnte den Kopf wieder nach hinten an die Wand, sah Cosma inzwischen aber wieder an. Ich schämte mich für Nichts, das ich getan hatte. Es war mir nur weiterhin hochgradig unangenehm, weshalb mir der Blickkontakt weit nicht so leicht fiel wie sonst immer. "Den Plan, das Kindermädchen umzubringen, hab' ich in der Zeit hinter Gittern dann auch perfektioniert... sie können mir bis heute Nichts davon wirklich nachweisen, obwohl der Verdacht natürlich nahe liegt. Schon einen Tag später bin ich ins erstbeste Flugzeug gestiegen... das ging offensichtlich nach Norwegen und jetzt bin ich eben hier. Eiskaltes Arschloch, Massenmörder, Serienkiller, seelenloses Monster... nenn' mich wie du willst, ich hab' sowieso schon Alles gehört.", vollendete ich die Geschichte dann erst einmal, weil sich inzwischen ein Kloß in meinem Rachen gebildet hatte, der vorerst nicht wieder zu gehen wollen schien. Es war wirklich schwer den Drang zu unterdrücken, einfach wieder nach der Flasche zu greifen und ihn mit dem Brennen im Hals wegzuspülen. Die Augen schloss ich jetzt für einen Moment, wurde mir langsam aber sicher darüber bewusst, dass ich Cosma gerade unheimlich viel von mir erzählt hatte, das ihr Bild von mir weiter verändern würde. Ob das nun in eine gute oder schlechte Richtung tendierte, konnte ich wohl nur von ihr erfahren.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Eigentlich lag es nicht in meiner Natur, dass ich mich für anderer Leute Meinungen interessierte, aber Hunters Zustimmung in Hinsicht auf meine getroffene Entscheidung tat trotzdem unglaublich gut. Es war zur Abwechslung mal ganz schön, dass ich mit meiner Meinung nicht alleine da stand, es mir einfach nicht gut getan hätte, wenn ich mich für Daith und gegen die Bar entschieden hätte. Freunde und Familie haben das zum Zeitpunkt des Geschehen anders gesehen, aber zumindest mit meiner Mutter hatte ich mich dahingehend ausgesprochen und sie letzten Endes auch auf meiner Seite gehabt. Meinen Vater konnte ich hingegen nicht überzogen. Er trug mir sicher noch bis heute nach, dass ich die Smith and Wesson nicht verkauft hatte, um den gebürtigen Norweger zu heiraten und ihm neun Monate später Enkelkinder zu schenken. Diese sollten natürlich bilingual erzogen und nur auf die besten Schulen des Landes unterrichtet werden, damit später einmal mehr aus ihnen wurde, als ein jemand, der Mitmenschen dazu verhalf, sich auf köstliche Art und Weise ins Delirium zu saufen. Mein Vater hatte meiner Ausbildung nichts abgewinnen können, aber da meine Mutter schon immer das Oberhaupt der Familie war, reichte es vollkommen aus, ihren Segen zu haben. Was natürlich nicht hieß, dass mein Vater mir gegenüber grundsätzlich keine Rückendeckung gab, wenn es darauf ankam. Er hatte sich meine Zukunft lediglich etwas anders vorgestellt. Und nachdem ich ihn schon hinsichtlich meines Berufs enttäuscht hatte, war er umso frustrierter, dass es mit Daith nichts geworden war. Aber mein Gott. Mit 24 Jahren war ich noch ziemlich jung, das Leben fing gerade erst an und Kinder kriegen wäre auch in ein paar Jahren noch drin. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mir die Frage ob oder ob nicht bis dato noch überhaupt nicht gestellt hatte. Aktuell war ich ja der Meinung, dass man meine Gene nicht unbedingt weiter geben musste, aber die Prioritäten könnten in ein paar Jahren ja auch schon wieder ganz andere sein. Vielleicht war eine Familie dann alles, was ich unbedingt haben wollte? Bis es so weit war, sollte man mich mit dem Thema aber einfach in Ruhe und mich mein Leben leben lassen. So wie ich das wollte. Immerhin war ich Erwachsen und so ganz stimmte die Aussage meines Vaters, dass aus mir Nichts geworden war, ja auch nicht. Geld technisch konnte ich mich absolut nicht beschweren und wenn man nicht gerade angeschossen wurde oder sich mit einem psychopathischen Vollidioten stritt, lebte es sich auch ganz unbeschwert eigentlich. Na ja. "Danke, das sehe ich auch so.", pflichtete ich Hunter bei und schnaubte leicht, weil ich noch immer nicht einsehen wollte, wie mein Ex so dämlich hätte sein können. Schon damals kannte er mich weitaus besser als jeder andere in meinem Umfeld und damit musste ihm auch von Anfang an klar gewesen sein, wie meine Entscheidung ausfallen würde, wieso also hatte er noch Hoffnung gehabt, ich würde mich dann doch anders entscheiden? Verstand ich nicht, war mir mittlerweile aber auch egal. Ich war darüber hinweg, auch wenn über das Thema zu sprechen doch gar nicht so leicht war, wie ich gedacht hatte. Jedenfalls ergriff Hunter erneut das Wort, die mich zustimmend nicken ließen. Ja, jetzt, nachdem ich ihm meine psychischen Leiden anvertraut hatte, wollte ich auch von ihm etwas in der Art hören und auch wenn es ihm noch immer sichtlich schwer fiel, musste ich ihn nicht weiter dazu ermutigen, endlich los zu reden. Das machte er von ganz alleine. Die kommenden Minuten, in denen der Amerikaner mir sein Leid klagte, hatte ich ruhig an der Wand gelehnt, die Hände auf meinen Beinen abgelegt und aufmerksam seinen Wort gelauscht. Vielleicht hatte ich zwischendrin auch etwas mitleidig das Gesicht verzogen, denn wenn die Geschichte, so wie er sie mir hier erzählte, wirklich stimmte, dann war mir absolut klar, warum er mittlerweile einen solchen Dachschaden hatte. Inmitten seiner ganzen Erläuterungen, legte er immer wieder kurze Pausen ein, in denen er sein Blick von mir abwendete nur um ihn während der nächsten Unterbrechung wieder auf mich zu richten. Es dauerte sicher eine gute Viertelstunde, bis er schließlich fertig erzählt hatte und mir im Anschluss daran mit einem Schweigen signalisierte, das nun die Möglichkeit bestand, mich zu diesen abscheulichen Taten und der daraus resultierenden, eher schwierigen gegenwärtigen Situation zu äußern. Gut, bevor ich das tat, musste ich das allerdings erst einmal alles sortieren und verdauen. Also verstrichen wieder ein paar Minuten, in denen ich Hunter schweigend ansah, bis mir ein paar passende Worte in den Kopf schossen. Grundlegend lag das Problem jetzt darin, dass ich nichts falsches sagen wollte. Auch wenn es vielleicht nicht den Anschein machte, war es mir unsagbar wichtig gewesen, dass der junge Mann sich jetzt endlich mal seine Sorgen von der Seele redete, auf der anderen Seite deckten sich seine Einstellungen gegenüber einigen Dingen einfach nicht mit meinen, was ja im Prinzip auch nichts Schlimmes war. Nichts desto trotz konnte ich mit dem Wissensstand jetzt einiges besser nachvollziehen, war vielleicht nicht mehr ganz so schnell angepisst, wenn ich wusste, warum er so reagierte, wie er in einer Situation eben reagierte. "Wow, also dagegen war mein Liebesdrama ja Kindergarten...", äußerte ich erst einmal nachdenklich, weil seine Erfahrungen doch weitaus prägender waren, als es meine je hätten sein können. "Ich kann zwar nicht nachvollziehen, wie das für dich gewesen sein muss, aber es reicht glaube ich auch schon, wenn ich es mir nur vorstelle. Das... tut mir alles unglaublich Leid für dich.", fügte ich ein paar leise Worte hinten dran. Die Entschuldigung ging mir auch nur deshalb so leicht von den Lippen, weil ich im Prinzip ja gar nichts falsch gemacht hatte und lediglich mein Mitgefühl ihm gegenüber ausdrücken wollte. Dennoch meinte ich jedes einzelne Wort todernst. Es tat mir wirklich Leid, was mit ihm passiert war und auch wenn meine Sympathie ihm gegenüber eher verhalten war, hatte ich das letzte Bisschen Menschlichkeit noch nicht verloren, konnte mich also noch gut oder schlecht fühlen. Lediglich in Sachen Liebe war ich komplett abgestumpft, das schloss Zärtlichkeiten und den ganzen Quatsch natürlich ein. "Mhm, optimal hat sich das Ganze sicher nicht entwickelt, aber ich denke, dass es auch einen positiven Aspekt an der ganzen Sache gibt.", war zwar wirklich schwer, diesen aufzuzeigen und vielleicht sah Hunter das ja wieder vollkommen anders, mich hatte er jedenfalls überzeugt. "Du hast schon früh gelernt, wie sich das Leben lebt. Und auch wenn das mit Abstand kein schöner Werdegang war, hast du trotzdem etwas erreicht und bist gut in dem, was du tust. Klar, legal ist das nicht, aber mein Gott...", ich verdrehte mit einem leichten Schulterzucken die Augen, lächelte dabei etwas. Jeder hatte sein Talent. Manche konnten gut mit Zahlen und waren in der legalen Buchführung ein Ass. Ein Anderer wiederum war ebenfalls gut in Mathe und entschied sich lieber dafür, illegal irgendwelche Kryptowährungen zu verschieben. So what. Yin und Yang lebten immerhin auch nicht ohneeinander, ein gesundes Gleichgewicht zwischen der legalen und weniger legalen Welt bildete doch letzten Endes das große Ganze, oder? Außerdem war ich bei Weitem nicht in der Position, über seine Entscheidungen zu urteilen. Ich hatte schließlich nicht weniger Dreck am Stecken.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich fand es nicht schlimm, dass Cosma nach den zahlreichen Minuten, die ich mit meinen Worten gedeckt hatte, erst einmal ein wenig schwieg. Denn ich selbst brauchte ohnehin erst einmal ein bisschen Stille, um meinen Kopf wieder ein Stück weit runter zu fahren. Es war nicht so, dass mir jetzt nach Heulen zu Mute war. Viel mehr kroch wieder die Wut auf die bereits tote Frau und auch meine Eltern nach oben, zeigte ihr hässliches Gesicht während ich die Hände unbewusst zu Fäusten ballte. Ich verstand einfach nicht, wie ich den Leuten, die mich - denke ich - aus Liebe zueinander gezeugt hatten, so egal sein konnte... wenn sie mich schon hassten, weil ich mich nicht in die Richtung entwickeln hatte können, die sie sich für mich gewünscht hatten, dann hätten sie mich wenigstens im Knast besuchen und es mir ins Gesicht sagen können. Vielleicht hätte ich dann zumindest mit den beiden abschließen können. Aber sie hatten sich nach meinem Verschwinden im Ghetto nie wieder sehen lassen, sich kein Stück für mich interessiert. So getan, als würde ich für sie gar nicht existieren. Das war einer der vielen Gründe, warum es mir nicht leid tat, dass ich den komplett falschen Weg eingeschlagen hatte. Sie hatten nicht einmal versucht, mich zurück in die richtige Spur zu lenken. Cosma unterbrach meine Gedankengänge durch ihre Worte. Also öffnete ich auch die Augen langsam wieder, um ihren Blick aufzufangen. Auf die Bekundung ihres Mitgefühls hin nickte ich nur ein klein wenig, sagte Nichts weiter dazu... was auch? Mich zu bedanken oder dergleichen lag bekanntlich wenig bis gar nicht mehr in meiner Natur. Außerdem war die Situation einfach absolut absurd und merkwürdig für mich. Aber sie hatte zweifelsfrei Recht mit dem, was sie im Anschluss sagte. Und wie ich zu leben und vor allem zu überleben gelernt hatte. Ich hatte ja gar keine andere Wahl gehabt, als mich irgendwie durch zu schlagen - wortwörtlich, ab einem gewissen Zeitpunkt. Sicher, die Töterei war vielleicht nicht unbedingt notwendig gewesen, aber das war eben meine Art von Gerechtigkeit für den Rest der Welt. Es gab ohnehin viel zu viele Arschlöcher da draußen, die es gar nicht verdienten noch zu atmen. Die Ironie dabei war wohl, dass Viele das auch über meine Person sagen würden. "Der Beste.", stellte ich mit leicht trockenem Unterton fest, wobei die Ironie doch deutlich heraus zu hören war. Ich war eben nicht nur gut, sondern perfekt in dem, was ich als meine Arbeit betitelte. Ich mochte meine Geschäfte, mein Imperium. Aber es gab dennoch Tage, an denen ich gerne absolut Alles in Frage stellte. Angesichts meines psychischen Leidens wohl auch kein Wunder. Depressive Verstimmungen waren meinerseits ja nicht besonders selten und dabei tendierte man ja chronisch dazu, Alles doppelt und dreifach vollkommen grundlos in Frage zu stellen. "Es ist nur... eigentlich will ich irgendwann damit aufhören, Cosma. Könnte ich theoretisch schon jetzt, Geld hab' ich mehr als genug dafür... aber ich weiß gar nicht, ob ich das noch kann. Ich bin seit Jahren so festgefahren in... einfach allem, was ich tue... vor allem eben im Kopf. Mich irgendwo am Arsch der Welt niederzulassen, wo kein Schwein nach mir sucht, und einfach mal komplett abzuschalten klingt an sich schon verlockend... aber das Nichts tun würde mich wahrscheinlich umbringen. Ich glaube es ist fast unmöglich einen Ausgleich zu Mord und Totschlag zu finden.", stellte ich leise seufzend fest, lockerte dabei erstmal die Finger wieder aus den Fäusten. Fing an mir die Hände leicht zu kneten und erneut auf jene hinab zu sehen, um die Anspannung darin ein wenig zu lindern. Zwang mich auch dazu, das Wippen meines Knies endlich einzustellen. Ich brauchte einfach das Adrenalin in meinem Alltag, um irgendwie all die Gedanken und den Schmerz zu betäuben, die sich durch meinen Geist fraßen. Einen Ausgleich zu schaffen, der ausreichend war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Hunters folgenden Worte sollten mich tatsächlich etwas stutzen lassen, denn ehrlich gesagt hatte ich ihn nicht so eingeschätzt, dass er irgendwann einmal das Handtuch werfen würde. Das, was ich gesagt hatte - wie gut er in dem war, was er tat -, war mein vollkommener Ernst gewesen und entgegen meiner Erwartungen schien Hunter zwar in seinem Job aufgegangen zu sein, hatte ihn über die Jahre aber wohl weniger lieben gelernt. Zumindest nicht so sehr, als das er ihn seinen Lebtag weiter ausführen wollte. Gut, sollte mir aber auch Recht sein. Vom Morden zurück zu treten war sicher nicht die schlechteste Entscheidung, denn früher oder später würden ihm die Bullen sicherlich auf die Schliche kommen. Dass dieses Risiko durch die Zusammenarbeit mit Sydney um ein Vielfaches größer geworden war, musste ich ihm sicher nicht noch aufzeigen. Mir persönlich war die ganze Sache sowieso viel zu heiß, ich würde mich der Polizistin gegenüber erst einmal verhalten zeigen, bis ich mich ganz sicher war, dass wirklich nichts an das FBI durchsickerte. Zwar hätte ich, anders als Hunter, sicher nur ein paar Jahre wegen illegalem Glücksspiel, Zuhälterei und Drogenmissbrauch ab zu sitzen, aber wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, in den Knast zu wandern, würde ich Einiges dafür geben, nicht das Gleiche wie Hunter durchleben zu müssen. Ich hatte ohne Frage eine wirklich große Schnauze, die mir im Gefängnis allerdings nichts brachte, insofern die Respektschellen nicht mindestens genau so weh taten. Und wir wir alle wussten, war ich körperlich jetzt nicht unbedingt in Topform, selbst wenn die Schusswunde nichts wäre. Vermutlich würde ich also elendig zugrunde gehen und darauf konnte ich gut und gerne verzichten, danke. "Ich würde dir gerne gut zureden und predigen, dass sich das Absetzen in ein anderes Land mit einem vollkommen neuen Lebensstil auf jeden Fall lohnen würde, aber dafür verstehe ich dich leider viel zu gut...", murmelte ich nachdenklich, während ich ihn mit meinem wachsamen Blick beobachtete. Wie er seine Augen öffnete, meinen Blick erwiderte und schließlich doch wieder auf seine Hände starrte entging mir daher keineswegs. Auch das nervöse Schütteln seines Beines hatte endlich aufgehört - beinahe hätte mich das noch nervös gemacht. "Vermutlich wäre es für unser aller Gesundheit das Beste, wenn wir aufhören würden, das zu tun, was wir eben so tun... Aber wir sind darin viel zu gut. Deine Talente würden, so böse das klingt, in der normalen Welt doch gar nicht wertgeschätzt. Wenn du so tickst wie ich, dann gehe ich außerdem davon aus, dass der Adrenalinkick eines Fallschirmsprungs Nichts dagegen ist, sich ständig von der Polizei beobachtet zu fühlen. Ich weiß nicht... Das ist irgendwie ein Paradoxon. Ich hab Angst, von den Bullen geschnappt zu werden, aber eigentlich ist genau das der Reiz, der mich so anmacht. Dem Staat auf der Nase herumzutanzen, weißt du?", redete ich weiter, sah ihn dabei fragend an. Natürlich konnte ich, was das anging, nur für mich selbst sprechen. Hunter und ich waren uns vielleicht ähnlich, das hieß aber nicht, dass sich unsere Ansichten grundlegend deckten. Wie gesagt: Wie er mit seiner verkorksten Kindheit umzugehen versucht hatte, konnte ich nicht zu einhundert Prozent nachvollziehen. Gleiches galt dann eben auch für Aussagen, die ich ihm gegenüber traf. Vielleicht stimmten sie überein, vielleicht aber auch nicht. Bis er mir dies nicht wörtlich bestätigte, konnte ich nur Thesen aufstellen. "Alles in Allem kannst du diese Entscheidung aber nur für dich selbst treffen und da möchte ich auch ehrlich nicht reinreden. Mir war, beziehungsweise ist wichtig, dass du endlich mal alles losgelassen hast. Vielleicht hilft dir das jetzt dabei, dich für eine Zukunft zu entscheiden. Für die Richtige..." Ihn zu verformen lag nämlich weder in meiner Macht, noch wollte ich das unbedingt. Außerdem wäre das bei seinem sturen Gemüt ohnehin nicht möglich, insofern er alle Versuche in eine solche Richtung abblocken würde. Also selbst wenn ich das vorgehabt hätte, wäre es stark davon abhängig gewesen, wie viel sich Hunter vor mir hätte einlullen lassen. Vollkommen unerwartet beugte ich mich mit einem leisen Seufzen ein Stück nach vorn. Nicht viel, weil die Wunde schon bei der kleinsten Bewegung Mucken machte. Ich griff vorsichtig nach seinen Händen, hielt sie für einen kurzen Augenblick bestimmt fest. "Wenn du jemals wieder jemanden zum Reden brauchst, bin ich da, okay? Das ist ein Versprechen, was ich dir hier und heute gebe. Was du daraus machst und was du davon hältst, musst du wissen. Aber mein Angebot steht. Auch wenn du nur meine Meinung hören oder dich ordentlich streiten willst, insofern ich irgendjemanden helfen kann, endlich wieder gerade zu laufen - drauf geschissen in welche Richtung - dann... warum nicht? Wir müssen keine Freunde werden, wenn du das nicht möchtest - ich weiß auch gar nicht, inwiefern das überhaupt möglich ist -, bekannt zu sein reicht vollkommen aus, wenn Geheimnisse auch geheim bleiben. Mir soll's Recht sein.", bot ich ihm mit meinem ehrlichsten Lächeln an, welches ich zu bieten hatte. Waren wir mal ehrlich: Der Umgang zwischen mir und Hunter hatte sich in den letzten Tage ohnehin immens verändert, da kam es auf ein Angebot in so eine Richtung jetzt auch nicht mehr an. Und wie ich bereits sagte, lag es an ihm, ob er es annahm oder nicht. Ich war mit beiden Entscheidungen vollkommen zufrieden. Entweder, er ging darauf ein und wir fanden uns einmal im Monat zu einer Sitzung zusammen oder aber gingen wieder getrennte Wege, sobald seine Verhaltensänderung abgeheilt war. Ich war jedenfalls klar im Kopf. Zwar nicht zu einhundert Prozent sicher, ob ich dieses Angebot wirklich hätte unterbreiten sollen, aber jetzt war es raus und einen Rückzieher würde ich sicher nicht machen.
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Es war gruselig, dass ich ganz genau wusste, was sie damit meinte. Dass wir scheinbar genauso viele Gemeinsamkeiten wie Differenzen zu haben schienen, war nach wie vor einfach nur merkwürdig. Aber sie hatte wieder Recht mit dem, was sie sagte - weder würde ich für meine penible Art zu Morden und Leichen verschwinden lassen eine Auszeichnung bekommen, noch konnte auch nur Irgendetwas auf dieser Welt ansatzweise an letzteres heran kommen. Es gab wahrscheinlich einfach Nichts, dass mich auf die selbe Art und Weise beschäftigen und ruhig halten konnte. Ich hatte schon oft genug darüber nachgedacht und war dabei zu dem selben ernüchternden Ergebnis gekommen, um mir damit ziemlich sicher sein zu können. "Ja, schon... es macht halt leider auch einfach zu viel Spaß. Die Bullen an der Nase herum zu führen ist erste Sahne.", konnte ich ihr dementsprechend nur beipflichten. Mir ging es dabei zwar im Gegensatz zu ihr weniger darum den Staat zu verarschen, als einfach nur darum mein eigenes Ding auf Teufel komm raus zu machen, aber das war in diesem Fall weniger der springende Punkt. Auch, wenn Cosma sicher nicht durchweg begeistert von meinem Werdegang war, unterschieden wir uns in diesem Punkt offenbar nur wenig. "Ich hab' mich einfach so an das Adrenalin gewöhnt, dass es ohne wahrscheinlich gar nicht mehr geht.", stellte ich danach noch fest, zuckte kaum sichtbar mit den breiten, muskulösen Schultern. Ich wollte glaube ich selbst nicht einmal wissen, wie viele Drogen ich in der Verzweiflung, irgendwie die selbe Euphorie und Angst zugleich zu verspüren, nehmen würde, wenn ich mit meinen Geschäften irgendwann aufhörte. Es ging nicht mehr ohne den gewissen Kick in meinem Leben. Ich brauchte das, lebte dafür, genoss es in vollen Zügen. Allerdings hob ich meinen Blick erst wieder zu der Rothaarigen an, als sie sich zu bewegen begann. Kurz darauf griff sie allerdings vollkommen unerwartet nach meinen Händen, weshalb ich für einen Moment wieder auf jene in Kombination mit ihren herunter sah. Komisch war irgendwie nicht mal mehr ein Ausdruck für diese Art von Situation. Sie konnte mich eigentlich nicht leiden, bot mir jetzt aber dennoch vollkommen unerwartet weitere Hilfe an, wenn es um meinen psychischen Ballast ging. Noch dazu mit Körperkontakt, der so auch nicht von mir einkalkuliert worden war. Ich ging vollkommen unbewusst sehr oft etliche mögliche Entwicklungen für etwaige Situationen durch, weil das bei meiner Tätigkeit ganz einfach notwendig war, um immer für Alles gewappnet zu sein. Das machte ich schon ganz automatisch, ohne aktiv daran denken zu müssen. Aber das hier war ungeplant und fühlte sich schlichtweg hochgradig ungewohnt an. Sie griff nach den Händen, die schon so viele Menschen das Leben gekostet hatten. An denen so unendlich viel Blut klebte, dass es sich gefühlt schon gar nicht mehr abwaschen ließ, egal wie lange ich sie unter sauberes Wasser hielt. Ich musste also ein paar Sekunden lang ziemlich perplex auf unsere Finger gesehen haben, bis ich die Augen schließlich davon lösen und sie wieder ansehen konnte. Nur, um in ihrem Gesicht zu sehen, dass sie das wirklich ernst meinte. Ich erkannte sofort, wenn Jemand mir eine Lüge auftischte und sie tat es ganz einfach nicht... warum auch immer. Irgendwie überstieg die Situation scheinbar meine Auffassungsgabe an Emotionen und Handlungen. Das war vermutlich auch der Grund dafür, warum ein klein wenig Unsicherheit in meinen sonst oft so sturen, kalten Augen aufflackerte. "Das... Danke.", waren die ersten, leicht stockenden Worte, die ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder über die etwas trockenen Lippen brachte. Danach war wieder ein paar Sekunden Ruhe, bevor ich weiter sprach. "Ich weiß das zu schätzen... ehrlich. Vielleicht... komm ich drauf zurück.", hüllte ich das Nutzen ihres Angebots nicht in trockene Tücher, sondern ließ es mir selbst noch offen. Einfach weil ich nicht wusste, ob ich noch einmal dermaßen offen sein konnte oder ob das jetzt nur der Tatsache zu verschulden war, dass sie mich mit ihrer Nachspioniererei so überrumpelt hatte. Allerdings verunsicherte mich der Körperkontakt doch irgendwie zunehmend weiter - sie war und blieb eine Frau, der ich bis dato nicht auf sexueller Ebene näher gekommen war, weswegen das einfach nicht so ganz in mein Bild passte -, weshalb ich ihr unbewusst für kurze Zeit zur Unterstützung meiner ernst gemeinten Worte über den Handrücken strich, bevor ich meine Hände dann doch wieder zu mir zurück nahm. Wann genau hatte mir zuletzt Jemand seine Hilfe angeboten, ohne, dass ich zuvor nach Unterstützung gefragt hatte?
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Der Antwort des jungen Mannes nach zu urteilen, sollte ich mit meiner Annahme nicht ganz Unrecht haben. Für Hunter war das Töten und Verschwinden lassen von Menschen, was für mich meine Bar war. Mit allen legalen, wie illegalen Dingen drum herum. Und sobald dieser Teil des Lebens nicht mehr da war, gewollt wie ungewollt, würden wir auf kurz oder lang wohl durchdrehen, weil es einfach kein vergleichbares und zudem legales Äquivalent dazu gab. Es wäre also schwierig, aus dem Teufelskreis raus zu kommen, man musste vom Kopf her wirklich bereit dafür sein und es auch durchziehen wollen. Nur dahin zu reden, was man wie eventuell und ganz vielleicht machen könnte, brachte einen da nicht weit. Solange die Entscheidung nicht zu einhundert Prozent in Stein gemeißelt war, holte einen die Vergangenheit immer wieder ein und mit jedem Mal, mit dem man versuchte, sie abzustreifen, schlug sie härter zu. Noch bevor ich mich weiter mit den düsteren und tristen Gedanken befassen konnte, erheiterten Hunters Worte mein Gemüt. Ein leises Lachen war die Resonanz auf seine Aussage, das Cops an der Nase herumzuführen überdurchschnittlich viel Spaß machte. "Das stimmt!", erwiderte ich glucksend, dann aber konzentrierte ich mich auf seine weiteren Worte, nach denen er augenscheinlich erst ringen musste. Es schien, als hätte ich ihn mit dem Händchenhalten ein wenig überfordert, zumindest verriet mir das sein überforderter Gesichtsausdruck, der auf seine ganz eigene Art irgendwie... niedlich aussah. Hunter brauchte verhältnismäßig lange, um die Situation zu analysieren und angemessen darauf zu reagieren, was mich zugegebenermaßen schon ein kleines bisschen amüsierte. Einen Moment wie diesen, wo der Amerikaner, der sonst immer den starken Mann mimte und dem man absolut nichts anhaben konnte, so... menschlich zu sehen, wollte ich jetzt nicht dadurch zerstören, dass ich zum falschen Zeitpunkt Raum für Interpretationen schaffte, die womöglich vollkommen in die falsche Richtung verliefen. Hätte ich jetzt gelacht oder einen dummen Spruch gebracht, der eigentlich gar nicht mal Ernst gemeint gewesen war, wäre das vermutlich falsch rüber gekommen und das wollte ich einfach vermeiden, hielt meine Gesichtszüge daher neutral, nur das schwache Lächeln blieb bestehen. Mein Blick hatte stets den seinen gesucht, nachdem er ihn endlich von unseren Händen hatte lösen können. Dann schenkte ich seinen etwas stockenden, zögerlichen Worten Gehör, während sein Daumen fast schon zärtlich über meinen Handrücken strich. Nicht sehr lange, denn es schien, als sei ihm der für uns doch eher unüblich Körperkontakt noch immer nicht ganz geheuer, aber damit konnte ich leben. Nachdem sich unsere Hände voneinander getrennt hatten, zog ich meine wieder zu mir zurück und legte sie an ihren ursprünglichen Platz auf meinen Beinen ab, den Kopf lehnte ich entspannt an die Wand in meinem Rücken. "Du weißt ja, wo du mich findest...", setzte ich mit einem schwachen Nicken an, dann musste ich aber doch breit grinsen. "Wenn du verstehst, was ich meine. So schnell haue ich hier wohl noch nicht ab.", kam ich noch einmal auf den Umstand zu sprechen, dass mich die Schusswunde auch nach etwa eineinhalb bis zwei Wochen noch immer so stark einschränkte, dass ich auf Hilfe angewiesen war. Zwar ging das Hinsetzen und Aufstehen schon wieder gut von der Hand, stand aber immer noch in Verbindung mit starken Schmerzen. Und somit würde Hunter mich wohl mindestens noch eine Woche lang aushalten und pflegen müssen. "Ah, wo wir gerade noch einmal auf meine Pflegebedürftigkeit zu sprechen kommen, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mich entweder zurück ins Wohnzimmer tragen könntest, weil meine Energiereserven für heute wirklich aufgebraucht sind, oder aber du rutscht ein Stück zur Seite, damit ich heute hier schlafen kann. Vorausgesetzt, es macht dir nichts aus, natürlich.", sprach ich noch einmal an, dass das Gespräch, so sehr ich es auch gesucht und geschätzt hatte, wirklich anstregend gewesen war. Der ganze Tag war schon stressig genug gewesen, was an meinen ohnehin schon reduzierten Kräfte zerrte. Einzig und alleine das Bisschen Adrenalin, welches durch die Aufregung hinsichtlich des Gesprächs durch mein Körper geschossen war, hatte mich noch so lange wach gehalten. Jetzt, wo die Fronten geklärt waren und allmählich wieder Ruhe einkehrte, riss mich die Müdigkeit ganz schön mit sich. Und das sogar so sehr, dass ich es mir nicht mehr zumuten wollte, alleine vom Bett herunter zu rollen, um wieder nach drüben ins Wohnzimmer zu schlurfen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Sie für etwaige Gespräche wieder aufzugabeln würde nicht schwierig sein, nein. Selbst dann, wenn sie meine vier Wände hier wieder verließ würde ich mir kaum schwer damit tun, die junge Frau wieder ausfindig zu machen. Es gab immerhin so gut wie nur eine einzige Möglichkeit, wo sie sich dann aufhalten würde - in der Bar, die sie vor einiger Zeit ihre Beziehung gekostet hatte, oder in der Wohnung direkt darüber. Aber ich konnte jetzt vielleicht auch ein bisschen besser verstehen, warum sie ihr so wichtig war und weshalb sie es dementsprechend nicht so witzig fand, wenn ich mich dort wie der Elefant im Porzellanladen aufführte. Trotzdem wäre es vielleicht sogar ein bisschen komisch, wenn sie dann nicht mehr da war und ich wieder mehr auf Achse war, als es jetzt der Fall war. Ich beschränkte mich zur Zeit noch auf so wenige Termine, die persönlich wahrgenommen werden mussten, wie irgendwie möglich war. Cosma brauchte immerhin noch reichlich Unterstützung mit dem Alltag und das war zu weiten Teilen meine Schuld. Immerhin hatte diese Schrotladung ursprünglich meine Wenigkeit treffen sollen und nicht die Rothaarige, also war ich ihr das Alles so ein bisschen schuldig. Ich nickte daraufhin in klein wenig, kam aber nicht umher, dabei selbst auch wieder ein kleines bisschen zu lächeln, obwohl mein Gemüt weiterhin noch eher ein wenig gedrückt war. Entsprechend froh war ich darum, dass das aufwühlende Gespräch hier und jetzt erst einmal beendet war und ich mich wieder so fühlte, als könnte ich normal atmen. Ein Stück weit geholfen hatte es vielleicht schon jetzt, hatte ich meinen Kopf einfach mal leben lassen können und nicht sämtliche Gedanken im Keller verscharrt gehalten. Ich fühlte mich einfach ein kleines bisschen leichter, zumindest für den Augenblick. Die Tatsache, dass Cosma irgendwie auch wieder zurück auf das Sofa im Wohnzimmer kommen musste, hatte ich bis hier hin irgendwie komplett verdrängt, war ja auch reichlich abgelenkt gewesen und hatte andere Sorgen gehabt. Was war mir denn lieber? Nochmal aufstehen und das Bett damit wie gewohnt für mich haben, oder aber einfach nur ein wenig bei Seite rücken? Zwar war das eben geführte Gespräch mir unangenehm gewesen, aber Cosmas Anwesenheit war es eigentlich nicht mehr. Ich hatte mich dahingehend in den letzten Tagen einfach ziemlich an sie gewöhnt und wenn sie mir nicht plötzlich an die Brust sprang und auf Kuschelkurs ging, wäre das sicher halb so schlimm. Erträglich in jedem Fall. Aufzustehen wäre jetzt einfach genauso unnötig anstrengend wie unser Wortwechsel zuvor, also zuckte ich schließlich ein klein wenig mit den Schultern. "Ehrlich gesagt bin ich nach dem ganzen Mist gerade wirklich zu faul, um aufzustehen.", stellte ich noch einmal wörtlich fest und setzte mich schon währenddessen in Bewegung, um näher an die Bettkante zu rutschen. An der Wand zu schlafen war nicht so meins. Ich bevorzugte es dann doch potenziellen Einbrechern und Attentätern ungehindert das Gesicht wegschießen zu können, wenn sie die Tür zu passieren versuchten. Da meldete sich ganz einfach wieder die Paranoia. Dahingehend nahm ich ausnahmsweise auch die Pistole noch unter dem Kopfkissen hervor, um sie stattdessen auf den Nachttisch zu legen. Ich war das gewohnt, aber für Cosma wäre die sicher reichlich unangenehm, war hier doch nur das eine Kopfkissen. Normalerweise brauchte ich auch nicht mehr als eins.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Absolut nachvollziehbar, wenn man mich fragte. Wie bereits erwähnt, hatte auch ich meine letzten Reserven für dieses Gespräch ausgeschöpft. Zwar hatte ich jetzt die Antworten bekommen, die ich hatte habe wollen, aber entsprechend hoch war der Preis dafür gewesen. Hörte sich aber dramatischer an als es war, schließlich teilte ich mir nichts zum ersten Mal das Bett mit Hunter. Und schon das letzte Mal hatten wir es beide überlebt, ohne uns gegenseitig über die Bettkante zu stoßen. Ich für meinen Teil war also vollkommen entspannt, als ich mich vorsichtig auf die Seite fallen ließ, um mich nur wenig später auf den Rücken zu rollen, nachdem der junge Mann mir ausreichend Platz zur Verfügung gestellt hatte. War jetzt nicht viel, da Hunters Schultern nach wie vor einen großen Teil der Matratze für sich beanspruchten - was man grundlegend auch nicht ändern könnte, es sei denn, er verlor mal eben einen Großteil seiner Muskelmasse -, reichte aber für meine schmale Persönlichkeit, die sich im Schlaf sowieso kaum bewegte, definitiv aus. "Kann ich absolut nachvollziehen. Es sei dir also ausnahmsweise verziehen.", antwortete ich mit einem leicht sarkastischen Unterton und kam nicht drum herum ein lang gestrecktes Gähnen hinten dran zu hängen. Schon als ich daran gedacht hatte, mich auf den Rücken zu drehen, waren mir die Augen das erste Mal zugefallen. Und es wurde zunehmend schwieriger, sie offen zu halten, denn das weiche Kopfkissen, was wir uns ebenfalls teilen mussten und die Decke, welche ich mir mittlerweile bis unter das Kinn gezogen hatte, lullten mich auf eine sehr angenehme Art und Weise ein. Grund genug, nach einem leisen "Danke, für deine Ehrlichkeit. Schlaf gut...", dann auch in einen tiefen, ausnahmsweise mal sehr ruhigen und erholsamen Schlaf zu fallen. Natürlich konnte ich mir nicht wirklich sicher sein, ob das, was Hunter mir erzählt hatte, wirklich der Wahrheit entsprach, aber auf der anderen Seite stellte ich mir die berechtigte Frage, warum er dahingehend irgendwelche Lügengeschichten erfinden sollte? Schließlich hätte er dann schon einmal öfter mit Jemanden über seine Probleme reden können, denn Lügen gingen ihm ja bekanntlich sehr locker von der Hand. Und gerade eben hatte ich nicht unbedingt das Gefühl, dass es ihm leicht gefallen war, sich mir gegenüber zu öffnen. Also schenkte ich der ganzen Sache vorerst meinen Glauben.
~ cet ess ~
Weitere anderthalb Wochen hatte Hunter mich noch in seinem Bunker irgendwo abseits der Stadt aufgepäppelt, war nach wie vor sehr zuvorkommend und rücksichtsvoll gewesen, was mich zum ersten Mal seit Langem wirklich vollkommen abschalten ließ. Seitdem Richard mir beinahe täglich berichtete, dass Sabin die Bar sehr gut unter Kontrolle hatte und die Besucherzahlen entsprechend stimmten, war mir ein riesiger Stein vom Herzen gefallen und der Regenerationsprozess meines Körpers konnte somit unter optimalen Bedingungen auf Hochtouren laufen. Der Gedanke, einfach mal nicht gebraucht zu werden und es lief trotzdem, war einfach Balsam für meine Seele. Im Zusammenspiel mit der außerordentlich guten Versorgung durch den jungen Amerikaner, traute ich mir an diesem Abend, etwa zwei Wochen nach dem Gespräch zwischen Hunter und mir, zum ersten Mal wieder zu, arbeiten zu gehen. Ich schluckte zwar noch immer reichlich Schmerzmittel, aber ich war mir mittlerweile nicht mal mehr sicher, ob das nicht einfach nur zur Gewohnheit geworden war. Sich quasi eine Routine entwickelt hatte, obwohl ich sie eigentlich gar nicht mehr wirklich brauchte. Jedenfalls hatte ich mir fest vorgenommen, mein Baby endlich wieder zu sehen, war jetzt doch eine ganze Weile verstrichen, seitdem ich mich das letzte Mal in der Smith and Wesson aufgehalten hatte. Und zwar war das ganz genau der Tag, an dem wir vollkommen zugekokst durch die Straßen marschiert und am End von der Bruderschaft des Sverre Clans eingesackt worden waren. Und das war jetzt wie lange her? Drei, vielleicht vier Wochen? War ja auch egal, so oder so war es ganz dringend an der Zeit. Ich war gerade von meinem Mittagsschlaf erwacht, als Hunter mit ein paar knappen Worten das Haus verließ. Vollkommen schlaftrunken hatte ich nur die Hand zum Abschied gehoben, ohne überhaupt mitbekommen zu haben, wohin er denn jetzt plötzlich verschwand. Seiner Stimmlage nach zu urteilen, war irgendwas passiert, was ihm so gar nicht schmeckte. Auch wenn ich im Normalfall neugierig genug war, mit gehobener Augenbraue nachzufragen, was vorgefallen war, blieb ich dieses Mal ganz ruhig. Selbst wenn ich meinen Senf hätte dazugeben wollen, so schnell konnte ich mich gar nicht aufsetzen, wie er durch die Tür verschwunden war. Sollte mir in diesem Sinne erst einmal egal sein, solange es mich nicht betraf. Es war ganz ruhig geworden, seitdem die Tür lautstark ins Schloss gefallen war und ich genoss noch einen Augenblick der Stille, ehe ich mich endlich dazu aufraffen konnte, ins Bad zu schlurfen. Seitdem Hunter und ich zusammen wohnten, hatte sich ein verhältnismäßig normaler Schlafrhythmus entwickelt und aus diesem Grund musste ich für den heutigen Abend doch kurzfristig eine Siesta einlegen. Sonst hätte man mich wohl um Punkt zwölf Uhr mit einer Sackkarre aus der Bar schleppen können, weil ich mit dem Kopf auf der Theke eingeschlafen war. Aber gut. Ich hatte mich entsprechend gewappnet, trug mich mit müden Schritten ins Badezimmer, wo ich mich einem ziemlich allgemein gehaltenen Hygieneritual unterzog, ehe ich wieder ins Wohnzimmer, was die letzten Wochen eher mein Schlafzimmer geworden war, ging, wo über ein paar Stühle verteilt saubere Klamotten hingen. Ich entschied mich für eine luftige, schwarze Hose, deren Bund nicht allzu sehr auf die, noch immer verbundene, Schusswunde drückte, dazu ein roséfarbenes Oberteil mit Schleifen an den Schultern. Fehlten nur noch die schlichten Chucks und ich war startklar. Auf dem Weg zur Haustür sammelte ich lediglich noch eine Jacke ein, mein Portemonnaie und das Handy wanderten in die Hosentaschen, dann trat ich vor die Tür ins kalte Nass. Mit Hunter war abgesprochen, dass Desmond mich zur Arbeit fahren würde, da öffentliche Verkehrsmittel hier eher rar gesät waren. Die nächste Haltestelle lag wohl in mehreren hundert Metern Entfernung, wenn das überhaupt ausreichte. Es brauchte daher auch nicht lange, die schwarze Limousine, mit der Hunters Handlanger vorgefahren war, ausfindig zu machen, die nur unweit der Hütte mit ausgeschalteten Lichtern auf mich wartete. Nach einer knappen Begrüßung durch das herunter gelassene Seitenfenster, ließ ich mich wortlos auf den Beifahrersitz fallen. Etwa eine Dreiviertelstunde brauchten wir bis in die Innenstadt, staute es sich doch an bekannten Zufahrtsstraßen um die Uhrzeit immer etwas. Schließlich hatten wir es aber noch pünktlich genug geschafft, es blieb jetzt noch etwa eine Stunde bis zur Öffnung. Ich bedankte mich mit einem schwachen Lächeln bei meinem Fahrer, der wider Erwarten aber mit mir ausstieg, was mich entsprechend etwas dumm dastehen ließ, aber gut. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht mitbekommen, dass die Tür in meinem Rücken offen stand, was offensichtlich der Auslöser dafür war, dass Desmond sich vom Fahrersitz scherte. Weil mich seine Reaktion im ersten Moment etwas verwirrte, drehte ich mich langsam in die Richtung, in die er seither starrte, nur um dann ebenfalls festzustellen, dass die Gott verdammte Tür zu meiner Bar aufstand. Weil Sabin schon frühzeitig Bescheid gegeben hatte, dass es bei ihm heute etwas später wurde, weil er im Stau steckte, war er ganz sicher noch nicht da. Und als ich fast schon panisch nach meinem Schlüssel tastete, der nicht wie gewohnt in der Jackentasche sein Dasein fristete, wäre der Abend ja beinahe gelaufen gewesen für mich. Der Abgeordnete des Amerikaners schien meine Gesichtszüge richtig gedeutet zu haben, konnte man diesen ganz gut entnehmen, wie besorgt ich gerade war, und machte ein paar Schritte auf die Tür zu, die Waffe schon im Anschlag, um zu überprüfen, wer sich da im Inneren befand. Noch bevor er seinen Kopf durch den Spalt gesteckt hatte, konnte man hier draußen ein paar laute Worte vernehmen, welche mich augenblicklich aufatmen ließen. Zwar nicht die Worte direkt, aber ich konnte immerhin die Stimme zuordnen. Nachdem Desmond ein paar Schritte weiter vor mir die Tür aufgeschoben hatte, konnte ich auch endlich einen Blick ins Innere erhaschen, Hunter stand mit dem Rücken zu uns. Damit erklärte sich auch, wo mein Schlüssel und der junge Mann plötzlich abgeblieben waren. Die Kernfrage war jetzt lediglich, warum er in der Bar, so kurz vor Eröffnung herum lungerte und mit wem zur Hölle er da gerade stritt, vor allem aber: warum? "Hunter? Was machst du denn hier?", fragte ich, nachdem das Schoßhündchen die Situation für entschärft hielt und mich endlich passieren ließ, sich daraufhin wieder in seinen Wagen zurück zog.
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Da es nicht ganz einfach war meine Geschäfte weiterhin so zu regeln, dass ich möglichst selten selbst dafür vor die eigene Haustür gehen musste, verging die Zeit wie im Flug. Ich hatte, wenn ich mich gerade nicht um Cosmas Wohlergehen zu sorgen hatte, alle Hände voll damit zu tun meine Leute von A nach B zu dirigieren und gleichzeitig noch den Schutz für Sabin - und Sydney, aber um ihren Tod wäre es weniger schade, wenn wir ehrlich waren - sicher zu stellen. Hatte sogar drei neue Handlanger angeheuert und mein Team damit erweitert, damit ich organisatorisch keinen Teil meines Geschäfts vernachlässigen und hinten anstellen musste. Dass das so vermutlich nicht ewig weiter gut gehen würde, hätte mir eigentlich klar sein müssen. Ausgerechnet heute, wo der kleine Teufel mir doch schon gestern angekündigt hatte wieder ein Stück weit selbstständiger werden und nach Hause gehen zu wollen, ging noch Etwas schief. Beziehungsweise war es das schon während der frühen Morgenstunden, aber es dürfte mich eigentlich nicht wundern, dass Tauren damit gezögert hatte, mir das zu beichten. Ich hatte ohnehin schon mit mir gerungen, als ich ihm die Aufgabe gegeben hatte Ashton vor der Tür eines privaten Anwesens zu ersetzen. Ich hatte letzteren an anderer Stelle dringend benötigt, vertraute ich doch eigentlich nur Desmond und ihm, wenn es um die heikleren, wichtigeren Geschichten ging. Eigentlich sollte es auch kein Problem sein. Tauren war vielleicht viel zu naiv und gutgläubig, aber er wusste wie er einen Türsteher-Job und etwaige Verteidigung auszuführen hatte. Dachte ich jedenfalls, aber ganz offensichtlich hatte er selbst diese eigentlich simple Aufgabe verkackt. Also machte ich mich wütend auf den Weg zur Bar, weil sie der nähste unserer aktuellen Treffpunkte zu dem Haus in der Stadt war, das der Idiot hatte sichern sollen. Dementsprechend zügig war ich auch mit dem BMW unterwegs und pfiff auf die eine oder andere Verkehrsregel, während ich dabei war darüber nachzudenken, wie ich dem jungen Mann endlich einprägen konnte, dass er sich Sowas nicht leisten konnte. Dass er damit nicht nur meine Kundschaft verärgerte, sondern sich auf immer dünner werdendes Eis bewegte. Ich kannte bis dahin zwar noch keine Details des Vorfalls, weil wir Sowas nur am Telefon besprachen, wenn es nicht anders ging, aber so oder so würde ein weiteres Mal die Hölle unter ihm aufbrechen. Tauren wartete bereits vor der Bar und ich verschaffte uns kurzerhand Zutritt zu jener, weil ich Angelegenheiten wie diese nicht auf der Straße klärte. Erst recht nicht solange es noch hell draußen war. Bereits sichtlich eingeschüchtert von meiner bloßen Präsenz und der Tatsache, dass ich schon stinksauer war, schilderte mit der Blonde dann den Vorfall und sobald er einige, viel zu lange Minuten voll Rumdruckserei damit fertig war, kassierte er einen saftigen Faustschlag in die Magengegend. Er krümmte sich und fing an zu Husten, während ihm das Gesicht ein wenig rot anlief. Er hatte seinen Job nicht richtig gemacht und einer meiner besten, längsten Kunden war verletzt worden. Nicht tödlich, aber das spielte auch gar keine Rolle. "Ich hab es so unendlich satt, dass du verdammt nochmal absolut Nichts richtig auf die Kette kriegst. Langsam aber sicher frage ich mich, ob ich nicht besser ohne dich und die ganzen Probleme, die du mitbringst, dran wäre... Vielleicht sollte ich dich dazu verdonnern 16 Stunden am Tag Sabins Drogen zu verpacken, weil du zu mehr offenbar nicht taugst, Tauren. Oder dich an der nächstbesten Straßenlaterne baumeln lassen, weil...", redete ich vollkommen in Rage auf ihn ein, während er mit seinem Oberkörper nach nach vorne gebeugt vor mir stand, augenscheinlich dank des harten Schlags kaum atmen konnte. Gut so, verdiente er nämlich gar nicht anders. Ich unterbrach meine Worte nur, weil eine andere Stimme die Luft durchschnitt. Eine, die mir nur allzu bekannt war, die ich in den letzten Wochen fast permanent um mich gehabt hatte, die seltsam vertraut wirkte. Es war, weil ich mit dem Rücken zur Tür stand, wohl für Niemanden sichtbar, aber mein wie so oft kalter, wütender Gesichtsausdruck wich augenblicklich einem wesentlich sanfteren. Die nach unten gezogenen Augenbrauen fanden in ihre eigentliche Position zurück, die in Falten gelegte Stirn lockerte sich und der kalte Blick wich sofort einem wesentlich neutraleren, weicheren. Ich wendete mich vom sich nur langsam wieder aufrichtenden Tauren ab und damit Cosma zu, sah im Türrahmen nur flüchtig Desmond, der dann auch schon wieder seiner angedachten Wege ging. Also fokussierte sich mein nunmehr neutraler Blick vollkommen auf die Rothaarige, die langsam auf mich zukam. "Er hat wieder Ärger gemacht.", mittlerweile konnte sie das Opfer meines Wutausbruchs sicher sehen, war ich beim Umdrehen doch ein Stück zur Seite gewichen. "Die Bar war am nähsten... hoffe, das war okay? Hätte wahrscheinlich fragen sollen...", stellte ich jetzt im Nachhinein fest und sah sie ein wenig entschuldigend an. Ich wusste ja eigentlich, dass die junge Frau es nicht mochte, wenn ich mir meine Rechte einfach so nahm, statt sie vorher abzufragen. Aber es passte mir ohnehin sehr gut, dass ich jetzt hier war, weil ich so sicher gehen konnte, dass die Rothaarige auch wirklich heil hier angekommen war. Zwei Fliegen mit einer Klappe.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich verabschiedete Desmond noch mit einer knappen Floskel, ehe ich die Bar vollständig betrat und die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ. Musste ja nicht jeder mitbekommen, was hier abging, wobei ein Großteil der Show wohl vorbei zu sein schien. Zwar war ich diesbezüglich noch nicht gänzlich ins Bild gesetzt, weil Hunters vage Antwort lediglich erahnen ließ, worum - beziehungsweise um wen - es gehen könnte. Sobald er einen Schritt zur Seite getan hatte, um sich zu mir umzudrehen, bestätigte sich mein Verdacht und es offenbarte sich mir, wen Hunter denn hinter dem mysteriösen Synonym er verborgen hatte, was mich postwendend leise seufzen ließ. Natürlich, wer auch sonst. Kaum ein anderer war wohl so oft ins Büro des Chefs gebeten worden, wie er. Tauren, der im Prinzip ein viel zu netter und herzlicher Kerl für diese Art von Beruf war, wurde von Hunters muskulösen Oberkörper verdeckt, wie ich die Bar betreten hatte. Und nun stand er da, wie ein getretener Hund. Wobei stehen auch eher Ansichtssache war. Anhand seiner Haltung konnte ich nur vermuten, zum Teil aber auch erahnen, was er gerade über sich hatte ergehen lassen müssen, kurz bevor Desmond und ich hier aufgeschlagen waren. Alleine Hunters Tonfall und seine Lautstärke sprachen diesbezüglich Bände für mich und alle anderen, die zu dem Zeitpunkt an der Eingangstür der Bar vorbei gelaufen waren. Ging ja schon wieder gut los - das Ganze hier. Eigentlich hatte ich gehofft, hier in die Bar zu kommen und zumindest den ersten Tag nach so langer Zeit mit Ruhe angehen zu können. Stattdessen hatte Hunters Jungspund mal wieder Gründe für eine Diskussion geliefert, die ausgerechnet in der Smith and Wesson ausgetragen werden sollte. Super - danke, für Nichts. Wo ich vor wenigen Sekunden noch fast in Panik verfallen war, weil ich dachte, einem Einbrecher auf die Spur gekommen zu sein, musste mein Gesichtsausdruck mittlerweile der Inbegriff von genervt sein. In diesem Moment hatte ich wohl genug Gründe, zudem große Lust, Tauren - aus welchem Grund auch immer - und auch Hunter ein paar Takte an den Kopf zu werfen, was Kräfte technisch mittlerweile auch kein allzu großes Problem mehr darstellte. Die Wunde war für ihre Art sehr gut abgeheilt, der Verband schützte lediglich noch die sensible Haut, welche die Narbenbildung noch nicht vollständig abgeschlossen hatte. Dennoch war ich in den letzten vier Wochen dermaßen darauf gepolt worden, bei Stress trotz allem ruhig zu bleiben, dass ich in der jetzigen Situation nur mit dem Kopf schütteln konnte, auch wenn ich gerne noch einen Gang höher gefahren wäre. Zudem rieb ich mir nachdenklich die Schläfe. "Ja, ne... Problem ist das keins. Ich hab nur gedacht, hier wäre... eingebrochen worden. Also ja, das nächste Mal fragen wäre top.", antwortete ich bemüht ruhig und wollte eigentlich noch ein paar vorwurfsvolle Worte an Hunter hinten dran hängen, was die Schlüssel zu der Bar anging. Hier einfach so rein zu spazieren war ja schon eine Sache, mir die Schlüssel ohne ein Sterbenswörtchen abzunehmen, noch einmal eine ganz andere. Jedoch war ich mir nicht sicher, ob nicht das vielleicht die an mich gerichteten Worte gewesen waren, die ich nur so beiläufig mitbekommen hatte, als ich noch mit einem Bein im Lummerland gestanden hatte. Und ehe ich hier haltlose Anschuldigungen durch den Raum warf ... Schwamm drüber. Seine indirekte Entschuldigung ließ mich schließlich wissen, dass er einsah, sich falsch verhalten zu haben. Ganz neue Töne im Übrigen... "Ich würde dann gerne anfangen, ein bisschen vorzubereiten. Also wenn ihr nicht unbedingt mit anpacken wollt, würde ich euch bitten, die Diskussion woanders zu beenden. Ich kann Stress - vor allem dieser Art - momentan noch immer nicht gebrauchen.", bat ich die zwei Streithähne, ihren Kampf woanders aus zutragen, nicht in meiner unmittelbaren Nähe. Dabei warf ich Tauren einen entschuldigenden Blick zu, falls er die Hoffnung gehegt hatte, ich könne ihn durch ein spontanes Ablenkungsmanöver aus dieser misslichen Lage heraus boxen. Dem war leider nicht so. Zumindest legte ich es nicht beabsichtigt darauf an. Hunters Geschäfte gingen mich nichts an, genau so wenig der Umgang mit seinen Mitarbeitern - so war sein Wortlaut. Selbst wenn ich mich, wieder einmal, schützend dazwischen geworfen hätte, wäre da sicher nichts draus geworden und Tauren hätte, wenn's ganz blöd lief, direkt noch einen zweiten Hieb für diese Aktion bekommen. Schon allein aus Prinzip. Und das musste meiner Auffassung nach nicht sein. Also sollten sich die beiden in eine Ecke verkrümeln, in der sie mir nicht auf den Geist gehen konnten, sich aussprechen und Heim gehen.
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Dachte ich's mir doch... fragen schien also angebracht zu sein und ich würde versuchen, mich zukünftig daran zu halten. Ich hatte kein Interesse daran, es mir mit Cosma wieder zu verscherzen, wo inzwischen doch Alles so friedlich zwischen uns ablief. Zum Glück schien die junge Frau ebenfalls weniger in Streitlaune zu sein, was mir hierbei sicher zu Gute kam und mich vor etwaigen Wutausbrüchen verschonte. "Okay, mach ich.", willigte ich also mit einem kaum sichtbaren Nicken noch einmal wörtlich ein, das nächste Mal bemüht vorher daran zu denken, dass Verhalten wie dieses womöglich nicht optimal war. Ich sollte es mir wohl allgemein angewöhnen, sie bei vielerlei Angelegenheiten erst zu fragen, bevor ich sie überging und es einfach tat. Das war nämlich so eines der Dinge, das immer wieder zu Diskussionen zwischen uns führte und wie Cosma selbst auch sagte, hatte sie dafür absolut keine Kraft und sicher auch keine Nerven. Ich wollte, dass sie sich weiterhin schonte und eigentlich schmeckte es mir auch nicht, dass sie jetzt schon wieder zu arbeiten anfing. Hätte sie Sabin später dabei nicht an ihrer Seite, der ihr schwere Dinge abnehmen konnte, hätte ich auch glatt einfach ein Veto eingelegt. Ich konnte zwar irgendwo auch verstehen, dass sie nicht weiter untätig auf dem Sofa herumsitzen wollte, aber dennoch war das jetzige Aufnehmen der Arbeit in meinen Augen suboptimal. "Sabin kommt heute später, hast du gesagt... richtig? Dann helf' ich dir noch ein bisschen, bis er da ist, wenn ich sowieso schon hier bin.", ließ ich die junge Frau wissen, dass ich mich vorerst von Tauren abwenden und ihr stattdessen unter die noch viel zu schwachen Ärmchen greifen würde, was die Vorbereitungen in der Bar anging. Ich kannte mich hier ja zwangsweise aus und wusste, was zu erledigen war. Bis die Bar öffnete sollte der Italiener ja dann wieder hier sein, aber ich würde die Rothaarige während dieser Stunde nicht allein mit der Arbeit lassen. Da war Tauren gerade wirklich vollkommen nebensächlich und würde eben später irgendwann noch seine Retourkutsche bekommen, weil er ein unnützer Vollidiot war. Aber für den Moment richtete sich meine volle Aufmerksamkeit stattdessen auf Cosma, während ich den Weg hinter die Theke einschlug. Was meine Hilfe für sie anging würde ich nämlich zweifelsohne nicht fragen, das war eine unumstößliche Tatsache.
Irgendwie war das schon wieder so einer dieser Tage, an denen ich im Bett hätte bleiben sollen. Ich wusste schon im Voraus, dass Hunter mir Ashtons Aufgabe nur widerwillig anvertraut hatte und eigentlich wollte ich ihm wirklich beweisen, dass ich das hin bekam. Ich könnte es schlicht und ergreifend wirklich gut gebrauchen mir beim Chef endlich mal wieder ein paar Pluspunkte anzusammeln, weil ich in der aktuellen Wertung ja nicht unbedingt rosig dastand. Aber wie sollte es auch anders sein, als dass ausgerechnet in dieser Nacht ordentlich Ärger auf dem Silbertablett serviert wurde? Ehrlich, ich hatte schon mein Bestes gegeben, aber es war einfach nahezu unmöglich mit drei Kerlen auf einmal fertig zu werden. Es ließ sich entsprechend nicht vermeiden, dass zwei von ihnen ins Innere gelangten, während der Dritte mich an die Wand tackerte und mir die Luft abschnürte. Hätte ich nicht das Messer in der Jackentasche gehabt und ihm damit in die Seite stechen können, wäre die Sache wirklich miserabel ausgegangen. Gerade so hatte ich den Inhaber des Anwesens noch vor Schlimmerem bewahren können, hatte er doch augenscheinlich ordentlich Probleme mit irgendeiner rivalisierenden Gang. So hatte ich im Anschluss zur Waffe gegriffen und während der Kerl mit dem Einstich das Weite hatte suchen können, mussten die anderen beiden später noch beseitigt werden. Das konnte ich aber erst nach dem Schichtwechsel am späten Morgen erledigen und deswegen zog es sich eine halbe Ewigkeit hin, bis ich während deren Auflösung dann auch Hunter kontaktierte. Dass letzterer von Alledem nicht begeistert sein konnte, war vorprogrammiert. Mögliche Strafen im Geiste durchgehend hatte ich mich dann, nachdem die Leichen erledigt waren, zur Bar aufgemacht, die von dem anderen Stützpunkt aus günstig gelegen war. Hunter hatte offenbar wenig Lust sich dort direkt zu treffen, was ich ein wenig merkwürdig fand, im ersten Moment aber Nichts weiter hinein interpretierte, weil er nun mal einfach ein verkorkster Mensch war. Als er dann aber während der eigentliche Sturm in der Bar über mich herein brach und ich mich vor Schmerz und Atemnot nur so krümmte, plötzlich innehielt, wurde Alles noch um eine ganze Stufe... andersartiger. Es war fast so, als hätte man den wütenden Hunter in eine Kiste gesteckt und stattdessen einen viel netteren wieder herausgenommen. Denn sobald Cosma die Bar betrat, war er merkwürdig ruhig. Als hätte man irgendeinen Kippschalter in seinem Schädel betätigt. Der junge Mann gestand sogar einen Fehler seinerseits ein, was eigentlich eine Sache der Unmöglichkeit war. Mein Blick wanderte dementsprechend irritiert zwischen den beiden hin und her, weil ich irgendwie versuchte eine Verbindung in der merkwürdigen Situation zu finden. Er bot ihr ja sogar noch ihre Hilfe an, beziehungsweise ließ sich dabei gar nicht rein reden. Da er mir keine weitere Beachtung geschenkt hatte und ich nicht wusste, ob ich für ein noch anstehendes Ende unserer Diskussion noch hier bleiben musste, trollte ich mich erst einmal einfach nur in eine Sitzecke der Bar, von wo aus ich das Folgende ganz gut im Blick haben würde. Hatten die Sverres ihm eine Gehirnwäsche verpasst? Mir war schon hin und wieder aufgefallen, dass er sich auch im vorübergehenden Krankenlager anders verhielt, wenn ich mal Irgendwas hatte vorbei bringen müssen... ich hatte es darauf geschoben, dass er selber auch verletzt war und eine Zeit zur Regeneration brauchte, aber das konnte ja jetzt kaum mehr der Fall sein. Was zur Hölle war also mit ihm los?
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Sehr schön, wenigstens einer der beiden erbarmte sich, mir bei den Vorbereitungen ein wenig unter die Arme zu greifen. Dass es wieder Hunter war, der mir möglichst viel Arbeit abnehmen wollte, ließ einmal mehr meine Augenbraue nach oben wandern, denn zunehmend fing ich an, mir wirklich ein bisschen Sorgen um das sonst so stürmische Gemüt zu machen. Nicht das es mich störte, wenn er sich so erkenntlich und einsichtig zeigte. Ganz im Gegenteil. Ich war froh, dass er mir nicht ständig einen Grund zum Streiten gab, hatte das gegenüber Sabin ja auch schon einmal betont gehabt. Seit Hunter nach der Entführung quasi den ersten Schritt getan hatte, viel es auch mir deutlich leichter, ihm gegenüber weniger aufbrausend und provokant zu sein. Und so gut wir uns in den letzten Wochen auch verstanden hatten, ging ich eigentlich davon aus, dass seine auffällige Verhaltensweise langsam aber sicher abgeklungen sein musste. Seine Wunden waren immerhin schon weitaus eher verheilt gewesen, als der Schuss in meinem Oberkörper und gerade nach unserer Aussprache, wo er mir seine Lebensgeschichte anvertraut hatte, müsste doch auch psychische Druck abgenommen haben. Warum also verhielt er sich immer noch so merkwürdig? Sich prompt aus der Verhängung von Strafen für seine idiotischen Mitarbeiter zurück zu ziehen, um mir - als Frau, die er vor nicht allzu langer Zeit noch abmurksen wollte -, unter die Arme zu greifen, war so gar nicht seine Art. Dass er mir gegenüber weitaus freundlicher gesonnen war, akzeptierte ich. Sogar ohne jeglichen Kommentar. Aber das ich mittlerweile einen indirekten Einfluss auf seine, für gewöhnlich eher radikale Arbeitsweise einzunehmen schien, hätte ich mir nie zu träumen gewagt. Versuchte er, sich mit mir gut zu stellen, weil ich eines seiner dunkelsten Kapitel aus der Vergangenheit kannte und er Angst hatte, dass ich diese entgegen meines Versprechens doch weiter tratschte oder hatte er vielleicht doch eine schwerere Kopfverletzung davon getragen und es war bis jetzt niemanden aufgefallen? Der zu gleichen Teilen irritierte und verwirrte Blick Taurens schien das wohl genau so sehen. Auch er verstand die Welt nicht mehr. "Okay, ja. Sabin kommt etwas später, er steckt im Stau fest, heute ist wirklich was los auf den Straßen. Wir haben auch gestanden.", bestätigte ich Hunters Frage, obwohl ich diese Info schon einmal an ihn weiter gegeben hatte und hängte noch eine vollkommen überflüssige Erklärung hinten dran, mit der ich mich indirekt dafür rechtfertigte, etwas später gekommen zu sein. Dabei gab es dafür nicht einmal einen Grund. Weder Hunter, noch Tauren hätten hier in der Bar sein sollen, niemand hatte auch mich gewartet und selbst wenn, wäre es mir egal gewesen. Ich konnte meinen Laden ja nun betreten, wann ich das wollte, oder nicht? Jedenfalls zuckte ich auf das Angebot des Amerikaner dann nur noch die Schultern und folgte ihm dann wortlos hinter die Theke. In der Zeit hatte sich der geschundene Handlanger in eine hintere Ecke getrollt und schien uns zu beobachten. Vermutlich, weil er das ominöse Angebot seines Chefs nichts so richtig nachvollziehen konnte, die seltsamen Wesensänderung generell nicht wirklich verstand. Aber um da jetzt gemeinsam mit ihm aktiv drüber zu philosophieren, fehlte mir einfach die Zeit. Ich musste mir zuerst wieder einen Überblick über die Lage verschaffen. Wie sah der Lagerbestand aus, welche Kisten musste Hunter mir nach vorne schleppen und wie viel Obst war eigentlich noch im Haus? Immerhin hatte Sabin binnen der letzten Wochen zwangsläufig auch bestellen müssen. Etwas, worin ich ihn noch nicht zu einhundert Prozent hatte anlernen können, aber so wie ich das sah, schien er das ohne große Probleme gemeistert zu haben. Das Lager war voll bis unters Dach und außer ein oder zwei Flaschen von einem neuen Fusel, hatte er auch das Richtige bestellt. Schön, schön. Während ich meine Unterstützung darum bat, mir einen Karton voller Whiskey nach vorne zu tragen, um ihn dort einzuräumen, hatte ich einen kurzen Abstecher in die Küche der Bar gemacht, wo ich aus dem Gefrierfach einer meiner unzähligen Kühlpads fischte. Mit diesem in der einen und einem Glas Rum in der anderen Hand, suchte ich noch einmal Hunters Lämmchen auf, was scheinbar geduldig darauf zu warten schien, noch den Rest seiner Tracht prügel abzukassieren. "Hier, wenn du den blauen Fleck kühlen magst.", waren die Worte, mit denen ich den Kühlakku an Tauren abtrat. Das Glas stellte ich vor ihm auf dem Tisch ab. "Alles okay soweit?", erkundigte ich mich weiter. Schließlich wusste ich nicht, ob er neben dem Schlag in den Magen noch mehr hatte einstecken müssen. Und ich war ja mittlerweile dafür bekannt, Etliches an Schmerzmittel am Start zu haben. Wenn er also etwas brauchte, sollte er mir das nur sagen.
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Ich war nach wie vor irgendwie in ziemlicher Alarmbereitschaft, während Hunter sich um Aufgaben kümmerte, die eigentlich gar nicht seine waren. Innerlich war ich weiterhin unruhig, hatte irgendwie permanent die leise Angst, dass er doch gleich noch einmal rüber kommen und seine Sache zu Ende bringen wollte. Mich vielleicht zu Ende bringen wollte, denn ich hatte wirklich keine Ahnung davon, ob ich noch eine weitere Chance bekam. Wenn, dann wahrscheinlich nur, weil selbst ein erfahrener Kerl wie Ashton sich mit drei Gegnern auf einem Haufen schwer getan hätte und es mir selbst schlicht an einiger Erfahrung mangelte. Aber Irgendwas musste trotzdem noch kommen, der eine Boxhieb in den Magen, der mir weiterhin die Übelkeit nach oben trieb, konnte es doch unmöglich schon gewesen sein. Das letzte Mal, als er eine Strafe auf mich angesetzt hatte, hatte das schließlich die unübersehbare Narbe in meinem Nacken zu Tage gebracht, warum sollte er von da an wieder mildere Strafen für Vergehen wählen? Die ganze Gedankenkette wurde erst dann unterbrochen, als eine schmale Gestalt auf mich zukam, die nicht Hunter hätte sein können. Es war demnach also Cosma, die zu mir in die Ecke kam und mir sogar ein wenig Linderung für die Schmerzen mitbrachte. Angesichts meiner reichlich beschissenen Arbeitsnacht und des darauffolgenden Boxhiebs hatte ich für den Moment aber trotzdem nur ein eher schmales Lächeln für sie übrig. "Danke, das ist lieb von dir.", nahm ich dankend mit einem leichten Nicken die kühlende Essenz entgegen und hielt sie mir schon kurz darauf an den noch immer schmerzenden Bauch. Im ersten Moment war das sehr unangenehm, aber die lindernde Wirkung setzte nach ein paar Sekunden doch ein. Auch der Rum kam mir gelegen, nur würde ich mit dem Trinken wohl noch ein paar Minuten warten, bis die Übelkeit sich noch ein wenig mehr verflüchtigt hatte. Kotzen musste ich jetzt nicht auch noch unbedingt, ich fühlte mich auch ohne die Würgerei schon schlecht genug. Sollte ich Cosma fragen, was sie von der ganzen Sache hielt? Ob Irgendetwas vorgefallen war, das einen derartigen Einfluss auf Hunter hatte? Ob die junge Frau selbst vielleicht der Knackpunkt an der ganzen Geschichte war und es hier nur nicht zeigte, weil sie es für unangebracht hielt? Es gab da so furchtbar viele Möglichkeiten und ohne ein oder zwei Hinweise würde ich wohl zu keinem Ergebnis kommen. Selbst mit vielleicht nicht, wie gesagt war das Alles hier mehr als grotesk und eigentlich gar nicht mit irdischen Mitteln zu erklären. Ich warf noch einen prüfenden Blick in Richtung der Bar, aber Hunter schien da noch ein paar Minuten mit der Arbeit beschäftigt zu sein, also war die Luft auf diese Distanz sicher rein. "Was hast du mit Hunter gemacht? Kaum kommst du durch die Tür wird er vom todbringenden Rottweiler zum Schoßhund.", hakte ich ein klein wenig sarkastisch, allerdings durchaus ernst gemeint also doch nach, ob sie womöglich wusste, was es mit der Sache hier auf sich hatte. Ihr musste das doch auch auffallen, immerhin war sie in den letzten Wochen doch jeden Tag mit ihm zusammen unter einem Dach gewesen. Ob da was lief?
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Wie zu erwarten gewesen war, schlug Tauren weder das schmerzlindernde Kühlpad ab, noch den Drink, den ich mitgebracht hatte, was mich zufrieden schnauben ließ. Dass er in der Situation nicht mehr als ein Lächeln und ein paar knappe Danksagungen für mich übrig hatte, sollte mich nicht weiter stören. Ich konnte nachvollziehen, dass seine Gedanken noch immer woanders zu sein schien. Meine wären es sicher auch, wenn ich ständig Angst haben müsste, dass der Rest meiner Strafe in jedem Moment folgen könnte. Da war es mir lieber, ich kassierte direkt alles ab und konnte dann in Ruhe meine Wunden lecken. So auf heißen Kohlen zu sitzen, wie er es jetzt tat, musste wahnsinnig unangenehm sein. Im Grunde schien mit ihm aber erst einmal alles in Ordnung zu sein. Bis auf den Magenhieb und die daraus resultierende Übelkeit schien ihn noch nicht viel mehr zu belasten, was mich zufrieden nicken ließ. Eigentlich hatte ich direkt wieder auf dem Absatz Kehrt machen wollen, um mich wieder meiner Arbeit zu widmen, da lenkte Tauren mit ein paar fragenden Worten ein. Das Stück, was ich mich bereits von ihm abgewandt hatte, drehte ich mich also wieder zurück um ihn nachdenklich anzusehen. Ich hatte ja bereits geahnt, dass auch ihm aufgefallen war, wie sehr Hunter sich in der letzten Zeit verändert hatte, wenn ich um ihn herum schwirrte. Allerdings war ich bis jetzt noch nicht auf die Idee gekommen, dass ich eventuell der Auslöser allen Übels war. In meinen Augen war die Entführung Schuld an seiner Verhaltensänderung, vielleicht wollte ich mir das aber auch nur einreden, weil etwaige andere Optionen dermaßen surreal klangen, dass ich sie nicht für möglich gehalten hatte. Aber gut, wie auch immer. Tauren erwartete noch immer eine Antwort von mir, die ihm allerdings nur wenig Informationen liefern würde. "Ich sag dir ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung. Seitdem wir aus der Villa raus sind und ich angeschossen wurde, verhält er sich mit gegenüber ... anders, um es mild auszudrücken.", antwortete ich leise, nachdem ich mich mit einem Blick über die Schulter ebenfalls abgesichert hatte, dass Hunter noch beschäftigt genug war, um dieses Gespräch hier zwischen uns nichts in Frage stellen zu können. Mit den nächsten Worten wollte ich ihn seinem Handlanger gegenüber nicht bloßstellen, sondern lediglich aufzeigen, dass der heutige Aussetzer nicht der Einzige dieser Art war. "Wir verstehen uns seit Neustem auch deutlich besser. Er verhält sich mir gegenüber weniger wie ein Arschloch, deswegen streiten wir auch nur noch selten..." Ein schwaches Schulterzucken unterstrich meine Aussage, dann schienen der junge Mann mir gegenüber und ich telepathisch zu kommunizieren. Mir tat sich ein Gedanke auf, der mir die Röte ins Gesicht trieb. "Aber es ist nicht so, wie du vielleicht denkst. Wir haben nichts miteinander!", verteidigte ich mich - vielleicht etwas zu offensichtlich -, nachdem sich mir im Geiste offenbart hatte, wann sich Menschen für gewöhnlich in eine deutlich positivere Richtung entwickelten. Kam normalerweise nur vor, wenn man verliebt oder sehr erfreut über etwas war. Und das war ja wohl ein vollkommen absurder Gedanke. Schließlich hatte er mir vor Kurzem erst klar gemacht - was eigentlich auch offensichtlich war -, dass er für Beziehungen aller Art, ja, selbst für bloße Zärtlichkeiten einfach nicht bereit war. Seine Vergangenheit ihn dahingehend ziemlich negativ geprägt hatte. Es war in meinen Augen also vollkommen ausgeschlossen, dass der Amerikaner Gefühle für mich hegte. Und sowohl Tauren, als auch ich sollten Gedanken dieser Art so schnell wie möglich verwerfen.
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Hmm, Cosma schien wohl genauso verwirrt über die ganze Sache zu sein, wie ich ich selbst eben auch. Das verriet mir allein schon ihr Gesichtsausdruck und ihre später folgenden Worte machten es noch offensichtlicher. Der Wendepunkt war also der Ausbruch aus der Villa gewesen. Die junge Frau war angeschossen worden und dann hatte ich sie abgeholt, im Anschluss bei der Operation geholfen. Jetzt, wo ich die ganze Sache im Geiste noch einmal Revue passieren ließ, war Hunter auch da schon ungewöhnlich unruhig und hektisch gewesen. Man hätte fast sagen können, dass er wirklich Angst darum gehabt hatte, die Rothaarige noch an den Tod zu verlieren. Immerhin hatte er den Arzt nicht einmal in Ruhe seine Arbeit machen lassen können, war zu nervös für die Assistenz gewesen und so hatte ich den Posten eingenommen. Normalerweise machte Hunter das ohne mit der Wimper zu zucken, egal um wen es sich handelte. Je länger ich darüber nachdachte, desto merkwürdiger sah er in meinen Augen aus. Scheinbar stritten die beiden sich nicht einmal mehr wirklich. Wie war das überhaupt möglich? Hunter war förmlich prädestiniert dazu, absolut jedem Menschen auf diesem Planeten bei der kleinsten Uneinigkeit sofort an die Kehle zu springen, um damit jegliche Diskussion im Voraus zu vermeiden und für sich zu entscheiden. Es war für die meisten Leute quasi unmöglich, sich nicht mit ihm zu streiten. Es ging einfach nicht, wenn man sowas wie eine eigene Meinung hatte und diese ganz gerne vertrat, was bei Cosma eindeutig der Fall war. Noch bevor ich danach hätte fragen können erzählte mir die Rothaarige von sich aus, dass scheinbar wohl keine Art von intimerer Beziehung vorhanden war. Wäre jetzt so ziemlich die einzige für mich rationale Erklärung gewesen, die in Frage kam. Dass Hunter sich irgendwie in sie verguckt hatte, durch welchen Auslöser auch immer, aber dann hätte er doch sicher schon versucht sie ins Bett zu kriegen... oder? Ich wusste ihn dahingehend nicht wirklich einzuschätzen, wusste ja lediglich, dass er ansonsten nur flüchtige Bettgeschichten pflegte. Es war aber witzig, wie Cosma das Ganze formulierte. Es schon förmlich hektisch abstritt, dringlichst ihren Standpunkt dabei klar machen wollte. Deswegen wechselte mein nachdenklicher Gesichtsausdruck zu einem leichten Grinsen, als ich gerade mit der freien Hand nach dem Glas auf dem Tisch griff. "Und du glaubst nicht, dass das vielleicht trotzdem... der Auslöser ist? Eine andere plausible Erklärung fällt mir persönlich nämlich nicht dazu ein.", stellte ich fest, zuckte ein klein wenig mit den Schultern und nahm dann einen ersten, ganz kleinen Schluck von dem Rum. Er stieß mir etwas bitter auf, aber damit war wohl vorher schon zu rechnen gewesen. "Ich meine, schau ihn dir an. Er bietet dir freiwillig seine Hilfe an, ohne eine Gegenleistung zu wollen und wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte man glatt meinen, er hat mich extra hierher gerufen... nur um selbst sicher zu gehen, dass du klar kommst.", meinte ich schulterzuckend, grinste weiter ein kleines bisschen vor mich her. Ich hätte da ja Nichts gegen, war auch nicht eifersüchtig oder so. Wir hatten miteinander geschlafen, ja, aber das war es auch gewesen. Wenn Hunter dadurch seines Wesensänderung beibehielt und ich deshalb nicht draufgehen würde, durfte Cosma sich ihm gerne an den Hals werfen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass das Gespräch mir gerade nicht hochgradig unangenehm war. Eigentlich hatte ich nur ein gutes Herz zeigen wollen, indem ich Tauren den Schnaps und etwas zum Kühlen seiner Wunde zur Verfügung stellte. Darüber zu philosophieren, was der Auslöser für Hunters plötzliche Wesensänderung war, gehörte allerdings nichts zum Programm. Schon gar nicht, wenn man mich so ganz unverblümt damit in Verbindung brachte. Schmeckte mir gar nicht, wenn ich ehrlich sein sollte. Mein Gesicht musste mittlerweile die Farbe meiner Haare angenommen haben, als ich die flache Hand vor Tauren auf den Tisch knallte. Das Glas, welches er in seinen Händen hielt, um hier und da mal dran zu nippen, vibrierte unter der Erschütterung. "Selbst wenn es so wäre, würde er mir das ganz sicher nicht auf die Nase binden. Was weiß ich schon, was in Hunters Kopf vor sich geht?", fauchte ich beinahe schon zurück und hielt mir im nächsten Moment mit schmerzverzerrter Miene die pulsierende Schusswunde. Dadurch, dass ich fast schon aufgebracht die Schuld an dem aktuellen Umstand des Amerikaner von mir weisen wollte, war mein Blutdruck rasant in die Höhe gestiegen und bestätigte mir einmal mehr, dass es doch noch zu früh war, sich aufzuregen. Sobald ich nur im Ansatz darüber nachdachte, lauter oder impulsiver zu werden, schossen viele kleine Blitze durch meinen Oberkörper. Ihren Ursprung fanden sie unter dem teils noch offenen, teils vernarbten Gewebe der Verletzung. "Hör' zu, ich gehe ehrlich gesagt nicht davon aus, dass er einen Narren an mir gefressen hat. Warum sollte er? Wir waren in der Villa der Sverre Bruderschaft mal wieder kurz davor, uns gegenseitig umzubringen. Wie wahrscheinlich ist es, dass er sich dann wenig später hoffnungslos in mich verknallt?", fügte ich ein paar deutlich ruhigere, nachhakende Worte hinten dran. Die Hand, welche so verkrampft auf den Tisch gepoltert hatte, entspannte sich mittlerweile wieder ein bisschen, blieb aber auf der Stelle liegen, an der ich mit ordentlich Geschwindigkeit positioniert hatte. Jetzt, wo ein Unbeteiligter mich auf eine solche Option aufmerksam machte, verschwendete auch ich einen kurzen, sehr knappen Gedanken daran, verwarf ihn aber mindestens genau so schnell, wie er ursprünglich gekommen war. Wie bereits erwähnt, war ich der festen Überzeugung, dass Hunter überhaupt nicht lieben konnte. In meinen Augen musste es also einen anderen Grund dafür geben, dass er in meiner Gegenwart fast schon ein zuvorkommender und höflicher junger Mann war. Wie Tauren es so schön auf den Punkt gebracht hatte: Vom Rottweiler zum Schoßhund. Aber großartig andere, ausschlaggebende Gründe gab es nicht, wenn man es nüchtern betrachtete. Das musste ich leider feststellen, als ich nach kurzer Zeit, die ich in mich gegangen war, immer noch zu keinem schlüssigen Ergebnis kam. Etwas verzweifelt, um mich irgendwie aus der Sache heraus zu reden, griff ich nach den letzten Strohhalmen. "Keine Ahnung, vielleicht hat er sich den Kopf gestoßen? Oder einfach festgestellt, dass der Umgang miteinander sehr viel angenehmer ist, wenn man sich nicht die ganze Zeit zofft.", waren die einzigen, mir zumindest im Ansatz sinnig erscheinenden Worte, die mir dazu noch einfielen. Am End musste ich mir wohl eingestehen, dass Tauren mit seiner Aussage womöglich Recht hatte. Und was dann? Wie sollte ich mich ihm gegenüber verhalten? Einfach weiter machen, wie bisher? Oder ihn vielleicht so lange nerven, bis er wieder genug von mir hatte und an Fassung verlor? Ehrlich gesagt ... keine Ahnung. Ich wollte mir darüber auch eigentlich keine Gedanken machen müssen. Weil das grundlegend einfach alles Scheiße war. Egal, wie man es drehte und wendete. Ich wollte definitiv nichts von ihm, begrüßte aber sein neues Ich sehr, weil es deutlich angenehmer im Umgang war, als das Arschloch, welches er sonst immer mimte. Ihm gegebenenfalls einen Korb zu geben, wollte ich aber auch nicht, weil die Stimmung sicher umschlagen würde und die Geschichte fing von vorne an, bla bla bla. Warum konnte ich nicht einfach akzeptieren, dass es so war, wie es jetzt eben war? Warum, zur Hölle, musste ich alles in Frage stellen. So neugierig sein und über alles Bescheid wissen. Einfach mal auskosten, dass das Leben gerade eine erfreuliche Wendung nahm, konnte doch gar nicht so schwer sein ... oder?
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