Beinahe überwältigte mich die Illusion von einer normalen Beziehung, wie ich hier mit einem fröhlichen Lachen in Isaacs Armen hing und sogar einer eisigkalten Niederlage unerschrocken entgegenblickte; meinen Untergang sogar minimal provozierte. Ich durfte seitens des Dunkelhaarigen sicherlich nicht mit Nachsicht oder gar Rücksicht rechnen, weshalb ich seine übertrieben dargestellte Nachdenklichkeit überwiegend auf Überlegungen in Richtung meiner Zurechnungsfähigkeit schätzte. Ich wusste selbst nicht, warum ich mich auf diese Schlacht im kalt-nassen Element des Winters einlassen wollte, aber meine Vernunft verlor haushoch gegen die ausgelassene Freude in mir. Sein provokanter Kommentar entlockte mir ein freches Grinsen, ebenso wie eine Erwiderung, die sämtliche interne Sicherheitskontrollen ausmanövrierte und absolut nicht mit der präsentierten zur Perfektion getriebenen Unschuldsmiene vereinbar war: „Ist das eine Warnung oder ein Versprechen?“ Dieses neckende Spielchen beherrschte ich ebenso. Da es keinen spontan ersichtlichen Fluchtweg aus dem bevorstehenden Gefecht zu geben schien, wappnete ich mich gegen die auf der anderen Seite der Glasscheibe befindlichen Temperaturen, trotzdem überwältigte mich der erste frostige Windstoß bereits, nachdem die Schiebetür mit einem kaum hörbaren Geräusch bewegt wurde, und entlockte mir ein meiner Empfindlichkeit zuzuschreibendes Schütteln – kalte Hände und Füße würden zu einem späteren Zeitpunkt wohl meine kleinsten Probleme darstellen. Die winterliche Luft hüllte mich wie eine zweite Haut ein, wodurch ich mich stark in Versuchung gebracht fühlte, mich beharrlich an Isaac zu klammern und seine Körperwärme weiterhin zu beanspruchen. Wäre da nicht die offensichtliche Herausforderung, bei der sich Isaac nicht einmal die Mühe machte, sie zwischen den Zeilen zu verbergen. Er durfte sich seiner Sache schließlich auch verdammt sicher sein; unbeeindruckt von diesen unmenschlichen Temperaturen und im nicht abzustreitenden Vorteil bezüglich seiner körperlichen Attribute. Auch mein Stolz dürfte – zusätzlich zur Vernunft – das Duell gegen meine spontan auflodernde Ausgelassenheit verlieren, da ich anstatt eines Rückzugs die Schultern straffte und rutschte aus seiner wärmenden Umarmung. Die Kälte traf mich zum zweiten Mal mit voller Wucht, dieses Mal ausgehend von meinen Fußsohlen, da die flauschigen Hausschuhe der Gastgeberin binnen Sekunden vom Schnee durchweicht waren, der sich zentimeterhoch auf der Veranda gehäuft hatte. Keine optimalen Bedingungen, aber noch glomm mein Kampfgeist tapfer. Ein Blick zu Isaac verriet mir, dass er neugierig auf mein weiteres Handeln abwartete – sprach er mir einen kleinen Vorsprung zu? Gut, ich nahm, was ich bekam und bevor der werte Herr es sich noch anders überlegte, sauste ich auch schon in den klammen Hausschuhen los – womöglich sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass meine Erfahrungen mit geballten Mengen an Schnee relativ bescheiden ausfielen – und hechtete los, um möglichst viel Abstand zu Beginn zwischen uns zu bringen. Eine Distanz, die er wahrscheinlich bald aufholen würde, aber man musste es dem übernatürlichen Spitzenprädator ja nicht zu einfach machen. Zumindest lautete so der Plan, die Realität sah insofern anders aus, als dass ich die Höhe und Tragfähigkeit des Schnees maßlos unterschätzt hatte und mit meinem Glück nach keinen zwei Metern eine Stelle erwischte, die mein Gewicht nicht mehr bereit war zu tragen und der weiß-reflektierende Boden unter mir nachgab. Mein Schwung trug dazu bei, dass ich keine Chance mehr erhielt, meine Balance doch noch wiederzufinden, sondern mit fuchtelnden Armen und inkludiertem Aufschrei gerade noch eine halbe Umdrehung vollziehen zu können, bevor ich im kalten Pulverschnee landete und die aufgestobene Böe langsam wieder auf mich herabrieselte.
Es war wirklich schön, dass die zierliche Blondine inzwischen mitspielte und meine Flirts nicht mehr nur ständig ins Leere liefen. Zu zweit machte das deutlich mehr Spaß, was das Grinsen auf meinen Lippen sehr ungeniert nach außen trug. "Beides.", entgegnete ich und warf dabei einen kurzen Blick auf Riccardas geschwungene Lippen. Ich war kurz davor, mir noch einen Kuss zu stehlen, widerstand der Versuchung letztendlich jedoch. Auf Gutes lohnte es sich zu warten und ich würde später wieder dazu kommen, wenn es ans Aufwärmen ging. Vorher musste dem Engelchen aber erstmal kalt werden und ich war tatsächlich gespannt darauf, wie sie gedachte, mich in dieser Schlacht zu schlagen. Ihr ungefähr einziger Vorteil war, dass ich durch meine Körpergröße nicht besonders schwer zu treffen war… und der bereits von mir zugesprochene Vorsprung, natürlich. Den beanspruchte sie nach einem letzten kurzen Blickwechsel, der allem Anschein nach dazu diente, diesbezüglich auf Nummer Sicher zu gehen. Das Grinsen kehrte schnell in meine Mundwinkel zurück, als Riccarda sich zügig in Bewegung setzte. Etwas zu zügig, genau genommen. Ich ging gerade erst etwas in die Knie, um mir kalten Schnee für den ersten Ball zu nehmen, als die blonden Locken einen Abgang Richtung Boden machten. Die Lippen fest aufeinander pressend und kurz zuckend, verkniff ich mir mit größer Mühe das Lachen, das andernfalls laut bis in den Wald hinein geschallt wäre. Ungefähr fünf Sekunden später trat ich an das neue, menschenförmige Loch in der Schneedecke heran. Mit dem kleinen Schneeball in der Hand und schief gelegtem Kopf sah ich zu Riccarda runter. Nachdem ich sicher war, dass sie sich nicht weh getan hatte, ging ich wieder zur Tagesordnung über: "War sich tot zu stellen dein Plan..?", stellte ich ihr eine rhetorische Frage. Locker warf ich den kleinen Schneeball in der rechten Hand ein wenig nach oben, nur um ihn direkt im Anschluss aufzufangen. Vielleicht hätte ich das Engelchen nochmal darauf hinweisen sollen, dass der Boden hier nicht zu einhundert Prozent eben war und der Schnee außerdem ziemlich täuschen konnte. Ich war bei meinem ersten Ausflug zu Fuß durch den Schnee - auch wenn er auf vier Pfoten stattgefunden hatte - auch stellenweise überrascht worden. Zuhause hatten wir nie so viel Schnee. Er blieb selten lange genug liegen, als dass sich dermaßen viel davon ansammeln konnte und die Winter waren generell kürzer als hier. Das hatte seine Vor- und Nachteile. Wie weit der Schnee jetzt wohl schon durch Riccardas Klamotten gekrochen war? Langsam aber sicher merkte ich, dass der Stoff meiner eigenen Hose ebenfalls nass wurde und die winterliche Kälte direkt auf meine Haut traf. Auch für mich war das nicht angenehm und ich bevorzugte es definitiv, mit meinem bis zu einem gewissen Grad wasserdichten Pelz durch die Winterlandschaft zu wandern. Bei der Schneeballschlacht hier hatte es sich von vornherein nur um ein stark befristetes Unterfangen gehandelt, das jetzt vielleicht noch deutlich kürzer ausfiel als angenommen. Das lag jedoch nicht bei mir. Auch dann, wenn der Wolf nur in mir schlummerte, war ich eindeutig derjenige von uns beiden mit mehr Kälteresistenz. “Willst du einen zweiten Versuch wagen oder verschieben wir das lieber besser vorbereitet auf morgen?”, fragte ich mit verhältnismäßig neutralem Tonfall, auch wenn das Amusement noch immer ein Fünkchen zu hören war. Das Grinsen war indessen zum Lächeln geschrumpft. Ich streckte die rechte Hand nach unten aus und öffnete die Finger, wobei der schon ein wenig geschmolzene Schneeball einzig von Schwerkraft angetrieben auf Riccarda hinab fiel. Es war also höchstens indirektes Abwerfen, während ich eigentlich darauf abzielte, ihr zurück auf die Beine zu helfen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Es dauerte etwa fünf Sekunden, ehe ich meine neue Situation sondiert und mich wieder zurechtgefunden hatte. Eisige Kälte sickerte in Rekordgeschwindigkeit in meine Kleidung und gab sich sämtliche Mühe, um mich für die Nachwelt zu konservieren. Verdutzt – vielleicht dauerte die Verdauung meiner unfreiwilligen Stunteinlage doch minimal länger – blinzelte ich gegen die herabfallenden Flöckchen an, die sich wie eine dünne Schicht zusätzlich auf meinem Körper verteilte, und blieb für den Moment einfach liegen, schaute in den überraschend azurblauen Himmel empor, dessen Anblick mir relativ bald von Isaac blockiert wurde. Ich wusste schon, was ich mir mit dieser Aktion eingehandelt hatte, doch der erwartete Spott blieb erstmal aus. Wir musterten uns nur stumm. Eigentlich mochte ich meine deutlich unterlegene Position im Angesicht des Dunkelhaarigen nicht, aber noch hatte ich mich nicht entschieden, wie ich zu der Situation stand und dementsprechend lagen meine Gefühle diesbezüglich noch nicht fest. Issacs Amüsement sickerte aus jeder einzelnen Pore, ich sah ihm das verkniffene Lachen regelrecht an und presste daraufhin die Lippen quittierend zusammen. Dass ein Spruch kam, war wohl unumgänglich; die Tatsache, dass ich Isaacs Kommentare längst nicht mehr regelmäßig als persönliche Angriffe einordnete, half, um nur ein leises, unwirsches Brummen von mir zu geben, bevor ich zu einer richtigen Antwort ansetzte: „Ich werde dir sicherlich nicht die Trageweite meines ultimativen Masterplans verraten.“ Ganz so, als hätte es diesen ominösen Plan jemals gegeben. Der Ansatz meiner Idee, nämlich möglichst viel Distanz aufzubauen und danach auf meine Wurfkünste sowie ein bisschen Glück zu hoffen, war bereits in der ersten Instanz gescheitert, sodass nun Spontanität gefragt war. Jedenfalls juckte es mich in den Fingern, dieses Grinsen in einen überraschten Ausdruck zu verwandeln. Die Belustigung tanzte weiterhin über Isaacs Züge, dennoch vollbrachte er es irgendwie, seinen Ton annehmbar neutral zu gestalten, als er mich nach dem weiteren Vorgehen fragte. Falls seine gleichzeitig ausgestreckte Hand ein Friedensangebot darstellen sollte, hätte er den matschigen Schneeball besser vorher entsorgen sollen. So aber klatschte mir das kalte Gebilde direkt auf den Bauch und löste eine instinktive Kettenreaktion aus. Überwiegend aus einem Reflex heraus, griff ich mit der rechten Hand neben mich in den Schnee, dabei spürte ich meine rot angelaufenen Finger kaum noch, und formte blitzschnell ein kleines Kügelchen, das ich Isaac auf die Brust schoss. Zum Glück stand der Mann direkt vor mir und bot ausreichend Körpermasse an, um aus so kurzer Entfernung unmöglich daneben schießen zu können. Von meinem Ablenkungsmanöver bestenfalls ausreichend irritiert, schnappte ich mir die nach wie vor hingehaltene Hand und zog mit beiden Händen unter vollem Einsatz meines Gewichts – samt nasser Kleidung –, um den Dunkelhaarigen zu mir in den kalten Schnee zu befördern. Gleichberechtigung und dergleichen. Wahrscheinlich half mir jene glitzernde Bodenbedeckung nun, die mir vorhin zum Verhängnis geworden war, denn von einem sicheren Stand konnte man in diesem unebenen Gelände kaum sprechen. Ich vertraute also ich schlichtweg darauf, dass seine hammermäßig-scharfen Reflexe schon dafür sorgten, mich nicht lebendig unter sich zu begraben, als er tatsächlich ins Wanken geriet und von der Schwerkraft angezogen in meine Richtung kippte.
Masterplan, schon klar. Es war gar nicht so einfach, diese Antwort des Engels einfach so hinzunehmen und mir das Lachen weiterhin gewissenhaft zu verkneifen. Doch mein Wille zum Frieden war da und er hielt sich wacker. Jedenfalls so lange, bis die zierliche Blondine mir eine Retourkutsche für das kleine Bällchen gab, das ihre Klamotten kaum wesentlich nasser gemacht haben dürfte, als sie es zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon waren. Ich schloss reflexartig die Augen, als ich sie werfen sah und zuckte leicht zusammen, als mich der kleine Schneeball an der Brust traf. Natürlich nicht aus Schmerz, sondern aus Überraschung. Vielleicht hätte ich kommen sehen sollen, was dann passierte. Riccarda hatte mir schon weit mehr als einmal klar gemacht, dass sie sich nicht gerne geschlagen gab. Niemals, auf gar keiner Ebene – sei es auch eigentlich nur die Natur, der sie zum Opfer gefallen war, und gar nicht meine Wenigkeit. Scheinbar hatte ich mit meiner Reaktion trotzdem meinen eigenen Fall provoziert. Denn als ich die Augen wieder geöffnet hatte, griffen die schmalen Finger des Engels ehrgeizig nach meinen. Ich versuchte erst noch, dagegen zu halten und mir mein Gleichgewicht zu sichern. Leider wurde plattgetretener Schnee schnell glatt. Als ich dann ausgerechnet mit dem rechten Fuß endgültig den Halt verlor, war es um meine Standhaftigkeit geschehen. Beinahe auch um Riccarda, wohlgemerkt. Während mir unweigerlich ein überrumpelter Laut über die Lippen rutschte, war es meiner verhältnismäßig kurzen Reaktionszeit zu verdanken, dass ich Arme und Beine rechtzeitig vor potenzieller Kollision sortiert bekam. Ein bisschen war es auch der Tatsache zu verschulden, dass ich leicht schräg gestanden hatte. So landete ein Knie zwischen ihren Beinen und das andere neben ihr, während meine linke Hand ziemlich dicht neben ihrem Kopf im Schnee landete und der andere Arm sich semi-hilfreich über sie hinweg streckte. Am Ende waren es höchstens zwei Zentimeter und meine krampfartige Körperspannung, die meinen Oberkörper noch von ihrem getrennt hatten. Vor Schreck hatte ich tatsächlich die Luft angehalten und atmete jetzt schwer wieder aus. “Das…”, setzte ich an. Richtete mich dabei so weit auf, sie ansehen zu können und eine stabilere Körperhaltung wiederherzustellen. “...war echt leichtsinnig.” Die Idee hätte also glatt von mir selbst kommen können. Für einen Moment hob ich die linke Hand aus dem eisigen Schnee, weil mir der Aufprall das Handgelenk leicht gestaucht hatte. Ich kreiste das Gelenk kurz, ehe die Hand sich erneut in die weißen Eiskristalle neben Riccardas Kopf grub. “...und frech. Sehr frech.”, stellte ich weiter fest. Dabei beugte ich mich mit leicht zusammengekniffenen Augen zu ihr runter. Meine Augen schimmerten ihr verspielt entgegen und meine Mundwinkel bogen sich langsam wieder nach oben, der kurze Schock war verdaut. “Was ich, zu deinem Vorteil, sehr viel attraktiver finde, als gesund ist.” Das war gewiss keine Vorliebe, die mir das Leben auf Dauer leichter machte. Aber es machte es interessanter, abwechslungsreicher und aufregender. Als reicher Erbe war mir viel zu viel in den Schoß gelegt worden, als dass ich nach einer Frau suchen könnte, die sich immer sofort geschlagen gab. “Also kann ich mich vielleicht auf dieses Unentschieden festlegen, wennnn… du einem Bad zustimmst.” Überflüssig zu erwähnen, dass es sich bei der Badewanne um eine ziemlich große handelte, weil in diesem Haus an Komfort nicht gespart wurde. Gerade im Winter war eine Eckbadewanne mit Massagedüsen Gold wert, wenn man sich draußen den Allerwertesten abgefroren hatte. Also ebenso überflüssig zu erwähnen, dass sie nicht alleine baden gehen würde. Oder stattdessen gleich nochmal ordentlich im Schnee badete.
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Triumpf flackerte in meinem Blick auf, als ich Isaac tatsächlich – mithilfe der rutschigen Schneedecke unter seinen Füßen – zu Fall brachte, wobei mir kurzfristig die Genugtuung aus dem Gesicht wich, als sich der Muskelberg von einem Mann sehr zielstrebig und vor allem ungebremst auf mich zubewegte. Doch mein Vertrauen in seine schnelle Reaktionsfähigkeit erwies sich als berechtigt; zumindest spürte ich nicht, wie sein Gewicht mich tiefer in den frostigen Untergrund presste. Vorsichtig öffnete ich meine instinktiv geschlossenen Lider wieder und konfrontierte mich dabei direkt mit einem vorwurfsvollen Blick aus zwei klaren, sehr nahen Augen. Uns trennte maximal eine Handbreite voneinander, sodass ich Isaacs warmen Atem über meine Haut streichen spürte – ich schob meine aufgekrochene Gänsehaut dennoch meiner eisig-klammen Kleidung zu, die sich ekelhaft an meinen Körper schmiegte und jegliche vorhandene Restwärme gierig aufsog. Nur vielleicht war diese körperliche Reaktion auf die unmittelbare Nähe des Dunkelhaarigen zurückzuführen. Isaac brauchte einen ganzen Atemzug lag, um sich aufzurichten, damit Abstand zwischen uns zu bringen und Luft für eine Ansage zu holen. Leichtsinnigkeit gehörte normalerweise definitiv nicht zu meinen Eigenschaften, schon gar nicht in seiner Anwesenheit, doch manchmal vergas ich all meine Skepsis und Zweifel gegenüber meinem unerwarteten Gefährten und dann tendierte wohl sogar ich zu unüberlegten Handlungen. Wahrscheinlich wäre eine vergleichbare Aktion eher von Isaac selbst zu erwarten gewesen. Noch während ich überlegte, ob eine Rechtfertigung angebracht war oder ich schlichtweg darauf beharrte, dass mein Einfall eine wundervolle Idee zum Kräfteausgleich darstellte, bewegte Isaac sein Handgelenk probehalber ein paar Mal kreisend in der Luft. Hatte er sich verletzt? Für den Bruchteil eines Gedankens überrollte mich das schlechte Gewissen, jedoch erinnerte ich mich ebenso schnell an seine beschleunigten Selbstheilungskräfte und damit verpuffte auch die Reue ganz rasch wieder. Ich durchlebte hier ein persönliches Wechselbad der Gefühle – im überschaubaren Ausmaß – und doch vollbrachte Isaac es spielerisch, ein paar zusätzliche Emotionen in den Mix zu werfen. Verblüfft weiteten sich meine Augen für einen kurzen Moment. Frech? Ja, so konnte man das Szenario durchaus auch beschreiben. Das verspielte Glitzern in Kombination mit den aufwärtswandernden Mundwinkeln deuteten eine Richtung an, die keinen Streit bedeutete: vielmehr das Gegenteil. Glücklicherweise schaltete mein Hirn rechtzeitig und interpretierte die Atmosphäre zwischen uns richtig, anderenfalls wäre mein schelmisches Grinsen fehl am Platz gewesen. So aber schenkte ich ihm meinen schönsten diabolischen Blick und damit das indirekte Versprechen, in dem Fall auf seine Kosten zu kommen. Die verspielte Stimmung schien keinen Abbruch erlitten zu haben. Isaac betitelte meine zugegebenermaßen unfaire Methodik, die zum Ende der nie richtig begonnenen Schneeballschlacht geführt hatte, sogar als ein Unentschieden, jedoch mit Haken. Fragend hob ich eine Augenbraue an, vermittelte ihm damit mein Interesse an dem Deal. Lang ließ sich Isaac ohnehin nicht bitten, sondern eröffnete mir direkt seinen Vorschlag samt verschlagenen Funkeln in den Augen. Ich wusste nicht so recht, wann wir zu diesem Level unserer verkorksten Beziehung aufgestiegen waren, aber ich störte mich nicht daran, sondern empfand als erste Reaktion eine prickelnde Aufregung, die mir nicht nur eine zarte Hitze in die ohnehin geröteten Wangen beförderte, sondern auch für spezielle Bilder im Kopf sorgten. Natürlich würde mich mein leicht erhöhter Herzschlag sofort verraten, aber in gewissen Momenten – diesem eingeschlossen – störte mich Isaacs Radar gar nicht so. In dem Fall durfte er ruhig wissen, dass mich sein Kompromiss nicht kalt ließ, sondern eine erfreuliche Verlockung darstellte. Entgegen meiner verräterischen Physis nahm ich mir ein paar Sekunden Zeit, um scheinbar darüber nachzudenken, aber eigentlich hätte ich fast jeden Vorwand mit Freuden angenommen, um endlich meinen eingefrorenen Hintern aus dem Schnee zu bekommen. „Das erscheint mir fair“, brachte ich schließlich möglichst erhaben hervor. Als wäre dies ein Startschuss gewesen, ging es Isaac auf einmal gar nicht schnell genug, schon befand ich mich wieder auf eigenen Füßen und spürte nun so richtig das gesamte Ausmaß meines Tauchgangs im Tiefschnee, weshalb ich ebenfalls nicht trödelte, um endlich wieder in die Wärme des Anwesens zu gelangen. Als ob Charlotte es wittern würde, dass wir eine weitere Möglichkeit entdeckt hatten, uns noch ein bisschen mehr Schonzeit zu ergaunern, passte sie uns an der imposanten Holztreppe ab und wollte Isaac, der vor mir ging und ein zügiges Tempo anschlug, bereits weiter in eine neue Richtung lotsen, als ihr Blick nun doch auf mich fiel, nachdem ich zitternd neben dem Gestaltwandler auftauchte. Überrascht schnappte sie nach Atem und griff sich theatralisch mit einer Hand an die Brust. „Was habt ihr denn getrieben? Kinder, so könnt ihr bei den Temperaturen doch nicht im Schnee spielen. Dass ich euch sowas erst sagen muss. Nein. So wirst du mir noch krank. Sicher nicht…“ Die schauspielerische Glanzleistung nahm noch ihren Lauf, jedoch kannte ich die Leier in etwa von meiner eigenen Mutter aus Kindheitstagen – die Schneemengen ließen sich nur nicht vergleichen. Jedenfalls dauerte es eine geschlagene Ewigkeit, bevor Charlotte uns die Treppen hinaufscheuchte, als wäre das Aufwärmen in heißem Wasser ihre eigene Idee gewesen. Wir waren beinahe schon am oberen Treppenabsatz angekommen, als sie uns nachrief: „Lasst euch nicht zu viel Zeit.“ Ich stolperte fast über die letzte Stufe, weil ich mit dem wissenden, süffisanten Unterton ihrer Stimme nicht gerechnet hatte. Waren ihr unsere verstohlenen Blicke aufgefallen? Man durfte die Frau gewiss nicht unterschätzen.
Jedes Mal aufs Neue war es eine kleine, aber über die Maße schmackhafte Genugtuung. Ich könnte auf ewig in dem Gefühl baden, das entstand, wenn wohlige Unruhe durch Riccardas Körper pulsierte. Der rosa Schimmer auf den Wangen stand ihr meiner Meinung nach in etwa genauso gut wie das provokante Grinsen, weshalb ich sicherlich nicht allzu bald davon absehen würde, genau diese Reaktion immer wieder zu provozieren. Meiner Sache war ich mir allein dadurch bereits ziemlich sicher, weshalb das Lächeln auf meinen Lippen schon deutlich breiter wurde, während die zierliche Blondine vermeintlich noch am Nachdenken war – nur um dann in meinen Vorschlag einzuwilligen. Damit gab es dann absolut nichts mehr, das mich im eisigen Schnee festhielt. Nicht schwer vorhersehbar, dass ich es jetzt eiliger hatte als vorher, wieder ins Haus und in unser Gästezimmer zurückzukommen. Es war – insbesondere in Anbetracht meines Stresspegels der letzten Tage – mehr als nur ein bisschen verlockend, mit dem hübschen Engelchen die Klamotten loszuwerden und ins Badewasser einzutauchen… Charlotte unterbrach diesen Gedanken im Flur jedoch ziemlich jäh. Am liebsten hätte sie uns gleich weiter in Richtung Esszimmer und Kuchen geschoben, obwohl wir schätzungsweise noch fünfzehn Minuten Zeit gehabt hätten. Als sie uns als Kinder betitelte, zog ich die rechte Augenbraue hoch. Als bräuchten wir ihre Bemutterung in unserem Alter noch. Ich wollte den Mund aufmachen, um ihr zu verklickern, dass wir schon auf dem besten Weg gewesen waren, dem potenziellen Erkältungsproblem Abhilfe zu schaffen, aber die Frau redete wieder wie ein Wasserfall. Schlussendlich war ich einfach nur dankbar dafür, dass sie im Laufe dessen von selbst darauf kam, dass es absolut kontraproduktiv war, wenn sie uns daran hinderte, weiterzugehen. Mein Augenrollen, kaum hatten wir ihren Blick nur noch im Rücken und waren auf dem Weg nach oben, sprach dahingehend Bände. Reflexartig griff ich nach Riccardas Oberarm, als die letzte Stufe sie beinahe so geübt mitnahm wie der unberechenbare Schnee. Letzterer war nicht mehr da, um ihren Fall zu bremsen. Es war wieder ein bisschen süß, dass Charlotte sie in Verlegenheit zu bringen schien – natürlich sagte ich das aber nicht. Riccarda fing sich glücklicherweise selbst und das Grinsen auf meinen Lippen war erneut allzu präsent. Allerdings viel mehr aufgrund von Charlottes Kommentar. “Würde mir nie einfallen.”, rief ich über meine Schulter hinweg noch zurück. Dabei klang ich so übertrieben ernst, dass unmissverständlich klar wurde, wie ich meine Prioritäten in diesem Augenblick setzte. Die Hausherrin warf noch einen Blick a lá muss das sein? nach oben, den ich einfach so stehen ließ. Vielleicht war sie jetzt doch ganz froh, dass ich nicht ihr Sohn war. Natürlich war ich mir der Uhrzeit bewusst, während wir die letzten Meter zum Zimmer gingen. Sie kümmerte mich nur herzlich wenig. Ich hatte mein ganzes Leben darauf warten müssen, zu erfahren, wer mein Vater war. Dann konnten die da unten also auch warten, bis ich Lust dazu hatte, einen wichtigen Inhalt meines Lebens mit ihnen zu teilen: Die Frau an meiner Seite, die ich voran durchs Gästezimmer und ins Badezimmer gehen ließ. Das Badezimmer war ähnlich wie das Schlafzimmer relativ schlicht gestaltet: Zwischen weißer Wand und überwiegend weißem Mobiliar, gab das verlegte Parkett zusammen mit den hölzernen Elementen der Möbel und den Balken an der Decke in fast identischem Ton eine angenehme Wärme an den Raum ab. Das einzig kitschige waren die weißen Marmor-Elemente an den Wänden, die schlichtere Fließen ersetzten. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig daran hindern, Riccarda meine nach wie vor kalten Finger unter den Stoff des am Rücken ziemlich nassen Oberteils zu schieben. Stattdessen griff ich hinter ihr stehend auf beiden Seiten nach dem unteren Saum, um sie so auszubremsen. “Und wie wir uns Zeit lassen…”, grinste ich leise und hauchte einen Kuss an den äußersten Punkt ihrer Ohrmuschel. Nur für den Fall, dass das Offensichtliche an ihr vorbeigezogen war. Ich zog mich zurück, um ihr dabei zu helfen, den klebenden Stoff loszuwerden. Ganz und gar uneigennützig, natürlich. Gewissenhaft warf ich erst einen Blick auf ihren nass glänzenden Rücken, bevor ich – noch mit dem Oberteil in der linken Hand – zur Wanne ging, um den Hahn aufzudrehen. Danach ging ich weiter zur Heizung an der Wand. “Falls du ein Schaumbad bevorzugst, findest du welche im Schrank links vom Waschbecken.”, ließ ich den Engel beiläufig um vorhandene Optionen wissen, während ich die Wandheizung einschaltete. Mein Handtuch von heute Morgen hing schon drauf und ich schnappte mir zusätzlich eines der eingerollten Badehandtücher auf der Ablage, damit ich später nicht der einzige mit einem angewärmten Handtuch war. Es war hier im Bad ganz allgemein eine Spur wärmer als im Schlafzimmer, wo ich kühlere Temperaturen bevorzugte. "Ach und bevor du jetzt Panik kriegst... man kann nichts sehen. Ist von außen verspiegelt.", merkte ich noch mit einem Nicken in Richtung des einzigen Fensters an, bevor ich mir den eigenen Pullover vom Körper zog, dessen Ärmel gehörig nass geworden waren. Ein essentieller Bestandteil des hellen Badezimmer war nämlich das große, bodentiefe Fenster. Die Wanne war nicht direkt daneben, stand jedoch leicht erhöht und so konnte man auch von diesem Ende des Raumes noch entspannt nach draußen in die Ferne sehen.
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Ein Sturz pro Tag reichte vollkommen aus, wie auch mein Gleichgewichtssinn entschied und mich vor einem weiteren Abgang bewahrte, sodass ich endlich sicher im ersten Stock ankam. Ich hätte Charlottes Provokation lieber unkommentiert gelassen, aber Isaac entschied sich tendenziell für die Konfrontation, weshalb es auch in diesem Fall zu keiner Ausnahme kam und er übertrieben rhetorisch seinen Standpunkt verdeutlichte. Innerlich seufzte ich auf, aber da unsere Gastgeberin daraufhin keine Erwiderung mehr fand, schien das Kapitel erledigt zu sein – die Galgenfrist schien sich doch künstlich verlängern zu lassen und Isaac hatte ja bereits deutlich angemerkt, dass Kaffee und Kuchen ihn nicht unbedingt zur Eile drängen würden. Einerseits erleichterte mich der Aufschub, andererseits wollte ich das Rudel nur ungern im Vorfeld bereits gegen mich aufbringen; die moralische Zwickmühle beschäftigte mich genau bis zum Erreichen des spürbar wärmeren Badezimmers, in dem ich mich mit zwei schnellen Blicken zu orientieren versuchte. Da mein Körper weder von einer schnell-regulierenden Heizung noch einer erhöhten Kerntemperatur profitierte, fror ich erbärmlich in meinen schnee-nassen Klamotten. Nicht nur mein Oberteil hatte sich mit dem kalten Wasser vollgesogen, auch meine Jeans klebte unangenehm klamm an meinen Beinen und rieb bei jeder Bewegung auf der Haut. Dieser Umstand störte nicht ansatzweise genug, um meine von Natur aus ausgeprägte Neugier zu bremsen und auf Erkundungstour zu gehen. Streng genommen zog mich die riesige Fensterscheibe an, die erneut einen grandiosen Ausblick über die Landschaft anbot. Man musste auf so viel Freizügigkeit stehen… in einem urban besiedelten Gebiet käme eine derartige Architektur überhaupt nicht in Frage beziehungsweise besaßen Werwölfe anscheinend ein anderes Schamgefühl als der durchschnittliche Bürger, der seine Privatsphäre gegenüber potenziellen Nachbarn doch gerne wahrte. Meine genauere Inspektion wurde abrupt abgewürgt, als ich beidseitig am Saum meines ausgeschnittenen Wollpullovers Widerstand spürte und dadurch sanft zum Stillstand gezwungen wurde. Seine raue Stimme hallte in einem wohligen Klang wie ein Echo durch meinen ganzen Körper, lockte mit einem verführerischen Versprechen und sorgte für ein elektrisierendes Prickeln, das zeitgleich mit jedem freigelegten Zentimeter Haut auf meinem Rücken spürbarer wurde. Einzelne Strähnen klebten mir nass am Hals oder auf den Schultern, jene die sich aus dem in Mitleidenschaft gezogenen Zopf befreien konnten, und meine Frisur bekam sicherlich kein Upgrade durchs Ausziehen des Oberteils. Glücklicherweise fühlte ich mich in Isaacs Anwesenheit längst wohl genug, um kein Problem mit meinem Aufzug in Hose und BH zu bekommen, sondern reagierte enthusiastisch auf seinen Wink mit den Badezusätzen, die angeblich in einem der Schränkchen verborgen warteten. Isaac wäre die männlichste Blumenfee, die diese Welt jemals zuvor erschnuppert hätte, sobald er diesen Raum wieder verließ – zumindest tendierte meine Wahl des Zusatzes stark in diese Richtung, nachdem ich probeweise an einigen wenigen Fläschchen gerochen hatte, bevor meine Entscheidung gefallen war. Da die Badewanne, die definitiv den Raum dominierte, größer war als jedes Exemplar im Engelspalast, dosierte ich auch die Menge der duftenden Essenz dementsprechend großzügiger als gewohnt und verstaute die Flasche anschließend wieder an ihrem ursprünglichen Platz. Womöglich war mein Blick zum Fenster vorhin ein bisschen zu skeptisch gewesen, weshalb sich Isaac nun verpflichtet fühlte, mögliche Sorgen direkt am Anfang zu eliminieren, ehe diese zum Störfaktor mutieren konnten. Der existierende Sinn für Privatsphäre beruhigte ich mehr als gedacht, nur schlug der Gedanke relativ schnell zur Nebensächlichkeit um, als auch Isaac sich von seinem schneegetränkten Pullover trennte und damit einen Ausblick schuf, der die Landschaft auf der anderen Seite der Fensterscheibe in den Hintergrund drängte. Isaacs Ego brauchte definitiv keine Unterstützung meinerseits, aber ein bisschen Pflege schadete nie – ließ sich halt auch nicht vermeiden. Mein Blick wanderte genüsslich von dem tiefsitzenden Hosenbund über straffe Bauchmuskeln weiter zu der definierten Brustpartie und breiten Schultern hinauf. Um mir ein dämliches Grinsen zu verkneifen, biss ich mir unbewusst leicht auf die Unterlippe, aber gegen die emporzuckenden Mundwinkel half dieser kleine Trick nur sehr bedingt. Der Dunkelhaarige hängte unsere Outdoor-erprobten Oberteile auf niedrigere Sprossen der beheizbaren Wand, sodass ich noch ein paar Sekunden für vergnügliche Beobachtungen übrig hatte, ehe mich seine Aufmerksamkeit erneut traf. „Wäre es in dieser speziellen Situation unangebracht zu erwähnen, dass ich dich vermisst habe?“, erkundigte ich mit einem frechen Glitzern in den Augen. Ohne einer kleinen Provokation zum Drüberstreuen wäre es doch nur halb so aufregend. Wieder glitten meine Augen – nun deutlich demonstrativer – einmal seinen Oberkörper hinab und wieder hinauf. Er wusste ja ohnehin, dass er zu den überdurchschnittlich attraktiven Exemplaren seines Geschlechts zählte, da brauchte ich gar nicht erst den Anschein zu wahren, dass ich nicht ebenfalls auf dieses äußerliche Merkmal ansprang. Zudem ich ihn für mich beanspruchen konnte! Noch während meiner Musterung hatte ich die wenigen Schritte zu ihm überwunden und stand nun dicht genug vor Isaac, um mühelos meine Zeigefinger jeweils in eine Lasche seiner Hose zu haken und ihn den letzten halben Schritt zu mir zu ziehen. Wir standen dadurch so knapp voreinander, dass ich den Kopf weit in den Nacken zurücklegen musste, um ihm mein kokettes Grinsen zeigen zu können.
Der Duft der verschiedenen Sorten zog schon beim probeweisen Öffnen der Gefäße nacheinander in meine Nase. Sämtliche dieser Produkte waren stark konzentriert und dementsprechend brauchte es kaum mehr als einen Hauch davon, um sich in meine Wahrnehmung zu schleichen. Das war der Hauptgrund dafür, mich an solchen Schaumbädern alleine niemals zu bedienen. Abgesehen davon, dass ich im Alleingang eigentlich sowieso nie baden ging, weil ich wenig Sinn darin sah. Mir fehlte wohl die Geduld dafür. Etwas ganz anderes war es, wenn Riccarda mir dabei Gesellschaft leisten würde. Auch wenn mir das auserwählte Schaumbad gefühlt bis ins Gehirn hochzog, als sie die Flüssigkeit in die Wanne kippte und der Dampf des Wassers den Geruch zügig in der Luft verteilte, weshalb ich möglicherweise für einen Augenblick das Gesicht verzog. Ich hatte das dumme Gefühl, dass mich hier ganz auf die Wünsche des Engels einzulassen, ein Nachspiel in Form eines blöden Kommentars beim Kaffeetrinken haben würde. Schließlich war ich nicht der einzige, der das roch. Das lag jedoch noch weit genug in der Zukunft, um mich für den Moment nicht zu kümmern. Riccardas Blicke nahm ich längst wahr, während ich vermeintlich noch mit anderen Dingen beschäftigt war. Ein Auge und ein Ohr streckten sich im übertragenen Sinne immer in ihre Richtung aus, wenn sie bei mir war. Doch ließ ich mir das nicht anmerken, sondern mein übergroßes Selbstbewusstsein sich im Stillen daran laben, bis ich die Pullover endgültig losgeworden war und mich Riccarda wieder aktiv zuwendete. Mein Blick traf sehr zielstrebig in ihren. Während sie sprach, entwickelte sich das nächste schelmische Lächeln auf meinen Lippen, zusammen mit einem angenehm aufgeregten Flattern in meiner Brust. Doch ich hielt mich mit einer Antwort noch zurück und erwiderte schamlos den musternden Blick, bis Riccarda direkt vor mir stand. Bereitwillig gab ich dem leichten Zug an der Hose nach und sah – mittlerweile das Grinsen erwidernd – in ihre dunklen Augen. Meine rechte Hand legte sich seitlich an ihren Hals, die linke schob sich an ihren unteren Rücken. “Absolut nicht.”, raunte ich an ihre geröteten Lippen und holte mir daraufhin den vorhin noch aufgeschobenen Kuss. Zuerst sanft, dann aber doch intensiver im Verlauf, weil Riccarda spüren sollte, dass sie das ruhig öfter sagen durfte. Gerne auch dann, wenn ihr Oberkörper wie in diesem Moment an meinem klebte. Es übte seine ganz eigene Faszination auf mich aus, dass die kleine sturköpfige Blondine es im Laufe unserer Beziehung tatsächlich hingekriegt hatte, dass mich das anmachte. Nur noch mehr Verlangen nach ihrer Nähe in mir auslöste, statt mich zu verscheuchen. Den direkten Weg zur nächsten Tür zu suchen war das, was ich früher immer getan hatte, sobald sich eine Frau nur einen Funken zu sehr an mich gewöhnte. Offensichtlich Schnee von gestern. Mein Daumen streichelte ihren Kiefer und ihren Hals hinab, von dort aus weiter übers Schlüsselbein und die seitliche Schulter zum Rücken. Veteran in Sachen BH-Öffnung hin oder her, ging das schon immer leichter mit beiden Händen. Ich strich Riccarda die Träger von den schmalen Schultern, wobei der Kuss das erste Mal abbrach. Dezent aber doch zielstrebig schob ich sie vor mir her zur Badewanne. Bevor sie unangenehme Bekanntschaft mit der großen Stufe davor machte, hob ich sie hoch und setzte sie auf dem Rand der Badewanne ab. Danach rutschten meine Hände zum Bund ihrer Hose. “Ladies first… glaube, du frierst mehr als ich.”, grinste ich an ihre Lippen, küsste sie jedoch nicht, sondern genoss in dem Moment, als ich den Knopf an ihrem Bauch öffnete, lieber den Blickaustausch. In der Theorie brauchte das Engelchen ganz sicher nicht meine Hilfe dabei, die mehr als sonst haftende Hose loszuwerden. Sie zwängte sich oft genug für ihre Kleider in enge Strumpfhosen und kam ja auch irgendwie wieder raus. Aber darum gings gar nicht. Mir war ihr Zittern durchaus aufgefallen und auch, wenn es massiv abgenommen hatte, seit wir hier im Badezimmer anbandelten, war ihre Haut noch immer kalt und feucht. Genauso wenig wie Charlotte wollte ich, dass Riccarda aufgrund der Aktion im Schnee krank wurde. Sie sollte demnach gerne schon vor mir die Füße ins warme Wasser halten – sofern das Engelchen also den Hintern anhob, zog ich ihr die Hose mitsamt der Unterwäsche darunter von den Beinen. Ebenso die nassen Socken, die wahrscheinlich schon für eisige Zehen gesorgt hatten.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Der aufsteigende Wasserdampf, aus der sich füllenden Wanne, hüllte den Raum in einen mir angenehmen blumigen Duft und ließ die Temperaturen stetig hinaufklettern, trotzdem sorgte überwiegend Isaacs intensiver Blick für ein hitziges Flackern in meinem Inneren. Inzwischen fühlte ich mich durch diese Intensität in seinen Zügen, samt dem einnehmenden Grinsen, nicht länger bedrängt oder eventuell sogar eingeschüchtert, sondern viel mehr bestätigt; mein lang unterdrücktes Verlangen traf auf Erwiderung. Dass Isaac meinem subtilen Drängen kommentarlos nachgab und den Appell dahinter – bewusst oder auch nicht – verstand, trugen zu dieser Annahme bei. Mein zuvor anzügliches Grinsen verwandelte sich in eine zufriedenere Version, sobald ich seine scheinbar immer-warmen Hände auf meiner deutlich ausgekühlten Haut spürte und ich beinahe ein wohliges Seufzen verlor, als ich mich gegen seinen Oberkörper lehnte, die Arme locker um seine Taille geschlungen. Wie versprochen bekam er meine eiskalten Fingerchen ab, während ich kleine Kreise über seinen Lendenwirbelbereich zog. Wow. Wer hätte gedacht, dass zwei Wörtchen auf einmal derart sinnlich klingen konnten? Isaac, der meine bloße physische Präsenz bereits verabscheut hatte und zu überwiegend unverbindlichen Gepflogenheiten mit der Damenwelt tendiert hatte, schien Gefallen an meiner Sehnsucht nach ihm gefunden zu haben; und war vor allem bereit, dieser nachzugehen. Weitere Gedanken ertranken in dem explosiven Cocktail aus beflügelnder Euphorie, prickelnder Erregung und einem minimalen Anteil an selbstüberzeugter Genugtuung, sobald Isaac den sanften Start des Kusses durch leidenschaftlichere Bestätigung ersetzte. Meine Finger stoppten an seinem Rücken, gruben sich stattdessen leicht in seine Muskulatur und gaben mir dadurch zusätzlichen Halt. Ob ich diesen nötig hatte, ließ ich vorerst so im Raum stehen. Mein Fokus lag gänzlich auf der kribbelnden Linie, die sein Daumen federleicht auf meine Haut zeichnete, gefiel mir das spielerische Herantasten gleichermaßen wie es mich um den Verstand brachte. Unweigerlicher intensivierte sich der Kuss kurz vor seinem Erreichen des BH-Verschlusses, bevor unser Sehvermögen einmal mehr verlangt wurde – wahrscheinlich hauptsächlich, um meine Unversehrtheit auf dem kurzen Weg zur lockenden Badewanne zu garantieren. Der irrelevant gewordene BH blieb vergessen irgendwo auf den Fließen zurück, während ich rückwärts bis an die Kante des Podests, auf dem die Badewanne thronte, dirigiert wurde und anschließend für wenige Sekunden den Boden unter den Füßen verlor. Instinktiv hielt ich mich an Isaac fest, indem meine Hände auf seinen festen Schultern landeten. Zudem ergab sich die wunderbare Chance, mir einen schnellen, drängenden Kuss zu stehlen, ehe ich auf dem Rand der Wanne aufsaß und ihn mit einem belustigten Funkeln dabei beobachtete, wie seine flinken Finger den Weg hinab zum Hosenknopf fanden. „Wie überaus rücksichtsvoll und selbstlos von dir“, kommentierte ich seine spitzbübische Bemerkung mit einem wissenden Schmunzeln. Hier ging es definitiv nicht um das Abstreiten von Selbstständigkeit, sondern dem Spaß am Ausziehen des jeweils anderen. Meine Unterarme lagen nur mehr locker auf seinen Schultern auf, die Handgelenke in seinem Nacken verschränkt, weswegen es lediglich geringen Kraftaufwand benötigte, um meine Hände über seine Schultern hinab zu seinen Seiten gleiten zu lassen, wo sie erst von dem Hosenbund aufgehalten wurden – mein Ziel. Mit tastenden Berührungen schob ich meine Finger bis zum Knopf vor, der schnell meinem Willen unterlag und kein Hindernis mehr darstellte. Da meine sitzende Position hinderlich fürs weitere Schälen aus den klammen Stoffen war, stützte ich mich nun mit meinen Händen seitlich am Badewannenrand ab, um mein Gesäß ausreichend weit anzuheben. Isaac ließ sich nicht zweimal bitten und befreite mich mit – geübten – Griffen aus den nassen Sachen. Angenehme Erleichterung überkam mich. Ehrlicherweise interessierte mich nicht, wo genau die Klamotten landeten, denn ich drehte mich bereits auf dem schmalen Badewannenrand um und tauchte die Füßchen vorsichtig ins heiße Wasser. Ein im ersten Moment unangenehmes Prickeln setzte ein, ehe es einem wohligeren Gefühl wich und ich zufrieden aufseufzte.
Ich war mir unsicher damit, was ich denn nun von den eisigen Fingern halten sollte. Einerseits reagierte meine Haut stellenweise instinktiv mit einer flüchtigen Gänsehaut, aber andererseits verstärkte die Kälte das leichte Kribbeln unter den Berührungen. Ein wünschenswertes Gefühl, das von einem beinahe unschuldigen Lächeln ergänzt wurde, als Riccarda auf meine Selbstlosigkeit zu sprechen kam. “Wie gesagt…”, setzte ich zur Antwort an, genoss vor Vollendung des Satzes jedoch den Anblick ihrer Finger, die an meinem Körper hinab wanderten. Elektrisierende Linien zeichneten, bis am Knopf ankamen. Erst als meine eigene Jeans offen war, sah ich zurück in ihre dunklen Augen. “...ab und zu geht das mit dem Gentleman schon.” Vor allem immer genau dann, wenn mir das fabelhaft in den eigenen Kram passte. Wobei man dazu sagen musste, dass ich mich dem Engel gegenüber nicht mehr selten ernsthaft zuvorkommend verhielt. Früher war das vielleicht nur Tarnung für die Fake-Ehe gewesen, aber inzwischen wollte ich wirklich, dass jeder, der uns dabei über den Weg lief, ganz deutlich sehen konnte, dass ich Wert auf die hübsche Blondine legte. Auch wenn unsere Eltern in der Heimat noch immer glauben mochten, das wäre nur Schall und Rauch, der maximal territorialem Verhalten meinerseits entsprang. Wir beide wussten es besser. Der Gedanke wurde zügig durch einen neuen ersetzt. Wenn ichs mir recht überlegte, könnte ich es leicht für den Rest des Tages aushalten, unsere persönlichen vier Wände nicht mehr zu verlassen. Als ich sämtlichen nassen Stoff von den schlanken langen Beinen des Engels zog, ging ich dabei einen Schritt zurück. Kaum war Riccarda frei von sämtlichen Klamotten, schwang sie die Füße auf die andere Seite des Beckenrands und präsentierte mir so ihren hinreißenden Rücken. Ihre insgesamt eher schmale Statur bot einen schönen Kontrast zu meiner eigenen. Abgesehen von der ansehnlichen nackten Haut – die meinen Blick ein paar Sekunden gefangen hielt – stimmte es mich aber auch aufrichtig glücklich, dass sie mir selbst in dieser Situation bedenkenlos den Rücken zuwendete. Dass sie ganz offensichtlich nicht mehr das Gefühl hatte, jeden meiner Schritte im Auge behalten zu müssen, wann immer ihre Haut frei lag. Es mochte ein ganzes verfluchtes Jahr gedauert haben, doch jetzt vertraute sie mir. Ich wurde noch meine eigenen Klamotten los, sobald ich mich von dem Anblick lösen konnte. Eigentlich war die Wandheizung nicht weit entfernt. Die zehn nötigen Sekunden sparte ich mir jedoch trotzdem – die Kleidung blieb achtlos auf dem Boden liegen und ich betrat die Stufe leicht versetzt hinter Riccarda. “Deinen Rücken könnte ich mir ewig ansehen.”, ließ ich sie mit unterschwelligem, angeregtem Grummeln wissen und hob daraufhin die Hände, um den Haargummi fast schon übervorsichtig aus ihren nassen Haaren zu lösen. Dem lag ein Ereignis von vor ein paar Jahren zugrunde. Leider wusste ich selbst am besten, dass ich nicht immer sanft zu den Frauen gewesen war, die sich in mein Bett – oder eine nahe Wanne in welcher Form auch immer – verloren hatten. Ich wollte tunlichst vermeiden, dass es dem Engelchen an der Kopfhaut ziepte, aber mir gefielen ihre Haare besser, wenn sie nicht hochgebunden waren. Das bekam ich nicht so oft zu Gesicht: Offene Haare störten häufig im Alltag, so hatte ich mir sagen lassen. Der von seiner Pflicht entbundene Haargummi fristete von da an sein Dasein am äußeren Rand der Badewanne. Da legte ich das halbnasse Ding nämlich ab, als ich über den Rand geklettert war und ins Wasser sank. Nur meine Füße waren tatsächlich ebenfalls ein bisschen kalt geworden, der Rest meines Körpers hatte sich vom Schnee längst erholt. Ich war aber auch nicht so schlimm eingeschneit worden wie die blonde Schönheit, die sich in der Zwischenzeit ebenfalls mit dem Wasser angefreundet hatte. Ein kleines bisschen fies war’s schon, dass der Schaum deutlich mehr von ihr verdeckte, als klares Wasser das getan hätte. Immer mehr, je höher das Wasser stieg. “Wenn du willst, kannst du dich an dem Touchpad austoben.” Ich nickte leicht in Richtung der Ecke rechts von mir. Dort befand sich – direkt im Rand der Wanne verbaut – ein kleines Bedienfeld. Ich hatte mir das Ding bisher logischerweise nicht angesehen. Laut Charlotte, die mir eine Zimmerführung gegeben hatte als besäße ich keine eigenen Augen, ließen sich dort aber für beide Seiten der Wanne separat die Düsen für eine Rückenmassage einstellen und auch die bis jetzt noch ausgeschalteten LEDs an Leuchtkraft und Farbe einstellen. Alles Dinge, die kein normaler Mensch brauchte, aber als reiche Familie mit offenbar zu viel Geld nice to have waren. Zumindest, wenn man gerne baden ging. “Wobei ich die Massage natürlich auch übernehmen könnte…” Das durch und durch selbstbewusste Lächeln, das ich Riccarda mit dem Nacken auf dem Beckenrand angelehnt zukommen ließ, sprach selbstverständlich wieder für absolute Uneigennützigkeit. Mann musste ja sicher sein, dass sich auch wirklich jede Verspannung im Rücken löste, nicht?
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Es dauerte ein paar Atemzüge, bis das Gefühl von tausend winziger Nadeln, die in rücksichtslos in die Haut pickten, bei Kontakt mit dem heißen Badewasser abflaute und stattdessen eine wohlige Wärme die Eiszapfen an meinen Zehen auftaute. Die Bewegungen meiner Füße schlugen leichte Wellen gegen den hohen Wannenrand, an dem auch mit steigendem Wasserspiegel die Schaumkrone emporkletterte. Mein Geplantsche endete, als ich mir dem beobachtenden Blick im Rücken allzu bewusstwurde und den Kopf leicht über die Schulter drehte, sodass ich Isaac eine stumme Frage stellen konnte, bekam aber bevor ich Anstalten diesbezüglich machte, eine entsprechende Antwort, die mir ein zartes Grinsen abrang. Mittlerweile störte es mich nicht länger, wenn Isaac nur am Rande meiner Wahrnehmung agierte und ich in einer – momentan relativ verletzlichen – Situation steckte. Ewiges Misstrauen wirkte wie Gift für jede Beziehung. Nicht nur der Dunkelhaarige hatte in der Vergangenheit an sich gearbeitet, auch ich trug meinen Teil bestmöglich bei. Zudem freute es mich irgendwie auf einer tiefgreifend emotionalen Ebene, diesen Schritt mit ihm gehen zu können; ohne mir selbst hinderlich im Weg zu stehen. Mit einer sanften Röte im Gesicht, die ich vehement auf die Kälte schob, die noch in meinem restlichen Körper steckte, wandte ich meine Augen wieder auf das gluckernde Wasser vor mir, das bereits bis über die Hälfte meiner Wade angestiegen war. Ich sackte das Kompliment kommentarlos ein, denn seine trotz des Grummelns nicht zu überhörende Erregung ging mir unwahrscheinlich heftig unter die Haut, sodass ich meiner Stimme für den Augenblick nicht traute. Stattdessen schluckte ich einmal und versuchte mich daran zu erinnern, dass wir bereits weitaus intimer miteinander waren – dennoch gab es weiterhin genug erste Male zwischen uns, die mir wohl weiterhin ein nervöses Prickeln am ganzen Körper bescheren würden. Wie auch nicht? Isaac zeichnete sich bestimmt nicht durch überschwängliche Rücksicht oder Nächstenliebe aus, aber gerade deshalb reagierte ich umso empfänglicher auf die versteckten Zärtlichkeiten, sodass das vorsichtige Befreien meiner Haare aus dem hohen Zopf durchaus etwas Sinnliches annahm. Schwer flossen die goldglänzenden Locken, nun wieder erbarmungslos von der Schwerkraft angezogen, über meine Schultern und den Rücken hinab, umrahmten mein Gesicht und schränkten mein Sichtfeld seitlich ein, als ich endlich vom Wannenrand rutschte und in das Schaumbad eintauchte. Warmes Wasser schmiegte ich an meinen ausgekühlten Körper, als ich gegen die Wannenwand sank. Genießerisch schloss ich die Augen, hieß die Entspannung herzlich willkommen und störte mich auch nicht an der Möglichkeit, unter Beobachtung dabei zu stehen. Naja, fast. Isaacs Bemerkung bezüglich eines bisher unentdeckten Features brachte ihm nun doch meinen neugierigen Blick ein, bei dem ich mich wieder ein bisschen aufrichtete. Kleine Seifenblasen glitzerten im Schein des Lichts verspielt auf meiner Haut, als ich mich nach dem Touchpad umsah. „Das ist Extravaganz auf einem ganz neuen Level“, sogar für mich und ich war so einiges aus dem elterlichen Palast der Engel gewohnt. Erstaunen schwang in meiner Stimme mit, als ich die vielen verschiedenen Einstellungen studierte und probeweise auf eine beliebige Schaltfläche drückte. Sofort gingen kleine LED-Leuchten, die in die Wannenrand eingelassen waren, in einem schummrigen grün-türkis an und beleuchteten die Schaumdecke von unten. Sein Angebot entlockte mir ein leises Lachen, bei dem ich amüsiert aufsah und meinen Blick begutachtend über seine zufriedene Miene bis hin zur schwankenden Wasseroberfläche wandern ließ. „Du denkst, dass diese sicherlich sündhaft-teuren Hightech-Massagedüsen das nicht so gut hinbekommen würden?“ Eine kaum versteckte Herausforderung winkte schelmisch zwischen den Zeilen hervor und ich verkniff mir nur mit Mühe ein freches Lächeln, als ich ihn abwartend ansah und die lästig ins Gesicht fallenden Haarsträhnen energisch nach hinten über die Schulter verbannte. Mir gefiel seine Lockerheit, dieser dezente Anflug von selbstüberschätzender Arroganz und dem Wissen, dass da doch noch so viel mehr hinter seiner Fassade schlummerte und ich zu den wenigen Glücklichen zählte, die das Privileg seines Anvertrauens erhalten hatte.
Säße ich nicht schon im Wasser, würde ich stattdessen einfach in den Funken Elektrizität baden, die sich irgendwo nahe dem Schaum über der Wasseroberfläche durch die Luft schlängelten. Riccarda brauchte mir nicht näher zu sein, damit meine Sinne förmlich nach jedem winzigen Fetzen von Spannung schnappten. Es reichte völlig aus, dass mein Blick wie so oft an ihr klebte, während sie sich durchs Wasser ans Touchpad bewegte. Damit war sie mir schon näher als vorher und ich hätte theoretisch nur die Hand nach ihr ausstrecken müssen, um sie zu berühren. Doch stattdessen beobachtete ich reglos, wie das jüngst eingeschaltete, farbige Licht sich an wenigen seifenfreien Stellen durch klares Wasser auf Riccardas helle Haut brach. “Ist beim Anbau wahrscheinlich auch wieder auf Charlottes Mist gewachsen… ich würde darauf wetten, dass man im alten Teil des Hauses nur von dieser Badewanne träumen kann.”, seufzte ich, vollkommen zufriedengestellt vom Luxus, den ich bekanntlich gerne hatte. Für die Gäste nur das beste, oder so – wahrscheinlich hatten nicht mal diejenigen, die tatsächlich dauerhaft in diesem Teil des Hauses wohnten, so viel Schnickschnack. Im Alltag hatte eigentlich sowieso keiner Zeit für solche Bäder, oder? Ich war noch nicht lange im Arbeitstrott gefangen und hatte trotzdem schon jetzt festgestellt, dass man die freie Zeit, die plötzlich Mangelware war, sehr zu schätzen lernte. Einer von vielen guten Gründen, diesen Moment auszukosten. Hier, ganz weit weg vom Stress in der Heimat und aktuell nur noch maximal ein bisschen belastet von den jüngsten Offenbarungen. Meine Augen wanderten gerade über die blonden Strähnen des Engels, als mir ihr Lachen zu Ohren kam. Hier im Badezimmer hallte es ein bisschen mehr als gewöhnlich, was in Kombination mit ihren Worten jedoch nur dazu führte, dass ich ein kurzes Grinsen nicht mehr unterdrücken konnte. Es war ja ohnehin nicht so, als müsste ich noch versuchen, hier irgendein Gesicht zu wahren. Bevor ich antwortete, beobachtete ich – mit wie üblich in derartigen Situationen leicht unruhigem Funkeln in den hellen Augen – wie Riccarda ihre Locken aus dem Weg räumte. Schon nur dafür gabs ein Eins zu Null für die offene Haarpracht. “Ich schätze, dem perfekt einprogrammierten Takt bin ich möglicherweise unterlegen…”, setzte ich zu einer Erwiderung an, ohne jedoch den selbstsicheren, etwas tieferen Klang in der Stimme zu verlieren. Mit diesen Worten holte ich nur Schwung, um mit den noch darauf folgenden meinen Blick zielstrebig zurück in ihren zu richten: “...doch abgesehen davon dürfte ich die Nase weit vorne haben.” Ich zuckte leicht mit den Schultern, so als könnte mir das alles egal sein. War es natürlich nicht. Kein bisschen. Schließlich wollte ich nicht mit den eigenen Händen dabei nachhelfen müssen, dass die attraktive Blondine weiter in meine Richtung vorrückte. “Wenn du vom Lernen irgendwo Verspannungen hast – und da bin ich mir sicher – dann find’ ich sie auch.”, zeigte ich mich weiterhin so sicher wie eh und je. Mit Recht, weil Riccarda nun mal auch in dieser Hinsicht nicht die erste Frau war, die ich anfasste. Ein hoher Bodycount mochte nicht grundsätzlich erstrebenswert sein, doch mein früher sehr turbulentes Liebesleben hatte für das Engelchen den entscheidenden Vorteil, dass ich so ziemlich alle Fehler schon gemacht hatte. Sie musste nichts davon noch ausbaden oder korrigieren, weil ich der Lernphase längst entronnen war. Irgendwo würden sich ganz sicher kleine Knötchen in ihrer Muskulatur von meinen Fingern finden lassen. Oft genug hatte ich gesehen, wie Riccarda in ungesund schiefer Körperhaltung irgendwelche Lernunterlagen durchging und sich dabei immer wieder umsetzte, wenn irgendein Teil ihres Nackens oder Rückens sich schmerzlich bemerkbar machte. “...und falls ich damit wider Erwarten doch falsch liegen sollte, bezahl’ ich dir eine dieser sündigen Wannen für unser zukünftiges eigenes Badezimmer.” Aus leicht verengten Augen heraus sah ich die hübsche junge Frau nun meinerseits herausfordernd an, was mein schon mitten im Raum stehendes Riesen-Ego überflüssigerweise weiter untermauerte. An körperlichem Kontakt würde unsere Beziehung nie scheitern müssen, das war so sicher wie das Amen in einem dieser gottlosen Kirchengemäuer.
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Die unzähligen Möglichkeiten luden mich regelrecht dazu ein, meine Aufmerksamkeit vollkommen auf das Bedienungsfeld zu lenken und sämtliche Vorzüge dieser luxuriösen Anschaffung auszuprobieren. Unter anderem Umständen, die mein Allein-sein inkludierten, täte ich das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch, aber Isaac leistete mir Gesellschaft und seine allgegenwärtige Ausstrahlung reichte, um einen Teil meiner Konzentration permanent an ihm haften zu lassen; weniger aus Gründen der Vorsicht, sondern aufgrund der knisternden Spannung, die greifbar in der Luft lag und eine positive Aufregung in mein Inneres pflanzte. Nein… einen Mann wie Isaac konnte man schlichtweg nicht einfach so ignorieren oder gar aus dem Bewusstsein verdrängen, schon gar nicht, wenn er nackt und mit begehrendem Funkeln in den Augen neben einem saß. Deshalb begnügte ich mich mit dem Spiel der Farben, sodass das Wasser binnen kürzester Zeit in sämtlichen Nuancen des Regenbogens glitzerte, ehe ich zurück zu dem grünlich-türkisen Ausgangszustand kehrte. „Definitiv keine schlechte Anschaffung“, bemerkte ich mit nicht abzustreitender Begeisterung in der Stimme, wobei auch Isaac, hingegen seiner zynisch klingenden Worte, der Luxusversion einer Badewanne sehr zugetan schien. Mir gefiel der entspannte Ausdruck auf seinem markanten Gesicht, wenn er die Maske der kühlen Arroganz ablegte. So gefiel er mir eigentlich am besten. Gedanken, die ich nicht allzu bald teilen würde, sondern vorerst lieber als kleines Geheimnis hüten wollte. Es gab derzeit ohnehin Wichtigeres zu besprechen: beispielsweise das an ein Wunder grenzende Eingeständnis seitens Isaac, in irgendeinem Belangen schlechter zu sein… und sei es in Konkurrenz mit einer futuristischen sanitären Anlage stehend. Ein amüsiertes Glucksen verließ meine Kehle, noch bevor ich den Laut verschlucken konnte oder Isaac weitersprach, denn wir beide wussten gut genug, dass da ein Zusatz käme, bei dem dieser angebliche Nachteil abgeschwächt und kleingeredet wurde. Voller Überzeugung hielt er mich mit seinem durchdringenden Blick fest und was sollte ich schon sagen? Natürlich glaubte ich ihm. Und ein Teil von mir wollte direkt nach dem handfesten Beweis verlangen, doch der entscheidend größere Anteil wünschte sich eine Verlängerung dieses Lockens. Ich kaufte ihm die betonte Lässigkeit nicht zur Gänze ab. Dafür hatte sein Blick wenige Sekunden zuvor noch zu brennend auf meiner Haut gelegen und war meinen Bewegungen zu wachsam gefolgt. Grundsätzlich hatte er das Spiel bereits gewonnen, nur fühlte es sich für mich nicht nach einer Niederlage an, weswegen ich es ruhigen Gewissens mithilfe eines gespielt nachdenklichen Blickes verlängerte. Ruhig tastete ich mit der rechten Hand über meine linke Schulter nach hinten, als müsse ich mich erst selbst von den besagten Verspannungen überzeugen, die da durchaus überall steckten. Meine Haltung beim Lernen ließ stark zu wünschen übrig und entsprach gewiss nicht den orthopädischen Vorgaben des richtigen Sitzens. „Ich denke, dass man da auch nicht allzu lange suchen müsste“, befand ich allgemein und zog meine Hand wieder zurück, nicht ohne Isaac dabei aus den Augen zu lassen. Sah man mir meine Willensstärke an, um standhaft zu bleiben und nicht euphorisch seinem Angebot nachzukommen? Wem machte ich hier eigentlich etwas vor? Trotzdem setzte Isaac unter zusammengezogenen Augenbrauen noch einen Bonus obendrauf, bei dem meine Brauen in die entgegengesetzte Richtung wanderten. Direkt überrascht war ich nicht, dennoch schien es ihm ein Anliegen zu sein, mich zwischen die Finger zu bekommen. Als ob ich seiner Armkraft in der rutschigen Wannenbeschichtung etwas physisch entgegenzusetzen hätte. Wenn ich es mir recht überlegte, ging es dem Dunkelhaarigen wohl genau darum: ich sollte freiwillig näherkommen. Also tat ich ihm den Gefallen und rückte zu ihm auf. Die wirklich überdurchschnittlich große Badewanne bot ausreichend Platz, um halbwegs elegant auf etwas über der Hälfte seiner starken Oberschenkel Platz zu nehmen und die Arme locker um seinen Hals zu legen. Sicherheitshalber hielt ich noch einen gewissen Abstand zwischen unseren Oberkörpern, sozusagen die letzte Instanz, bevor ich vollständig einknickte. „Bei diesem Deal steige ich in jedem Szenario besser aus“, merkte ich verschwörerisch an, lehnte mich nun doch ein bisschen weiter vor. „Was erhoffst du dir also davon?“, säuselte ich nun dicht vor seinen Lippen, sah auf deren verführerischen Schwung, ehe ich meinen Blick zurück zu seinen Augen zwang, den Kopf bewusst unschuldig ein paar unscheinbare Grade zur Seite neigte. Dass das Wasser samt Schaumschicht nun deutlich weniger meines Körpers verbarg, konnte mir im Grunde nur zugutekommen. Ich wollte es von ihm hören, gesagt bekommen. Vielleicht erwies sich meine Geduld als standhafter, vielleicht würde ich ihn auch schon küssen, noch bevor er das erste Wort ausgesprochen hatte. Inzwischen dürfte auch die sorgfältige Ruhe in meinen Augen durch ein sinnliches Funkeln ersetzt worden sein.
Nein, mit der Wanne hatte man wirklich nichts falsch machen können. Sie war sicher unnötig teuer gewesen, aber wenn man die Geduld dafür besaß, kam man damit bestimmt auf seine Kosten. Nachdem wir nicht direkt heute Abend wieder losfliegen würden, hätte die zierliche Blondine vielleicht noch die Möglichkeit dazu, sich damit zu beschäftigen. “Wenn du’s schaffst, mich für eine Stunde loszuwerden, könntest du dich davon sicher umfangreicher überzeugen.”, grinste ich schelmisch vor mich hin. Inwieweit Riccarda das aufgrund der Wolfsmeute im Haus überhaupt für erstrebenswert hielt, sei mal dahingestellt. Ich würde sie nicht für eine Jagd mit den anderen hier zurücklassen, es sei denn, es waren wirklich alle Wölfe dabei mit von der Partie, was nur unwahrscheinlich zu erreichen war. Ihre Sicherheit durch meine Abwesenheit zu riskieren, kam gar nicht in Frage und wenn sie wollte, dass ich nebenan im Schlafzimmer wartete, statt ihr ins nackte Vergnügen zu folgen, musste sie mich schon energisch aus dem Türrahmen schieben und die Tür abschließen. Momente wie dieser hier waren bei uns noch rar gesät und freiwillig ließ ich bestimmt nichts unversucht. Zusammen mit meiner chronischen Ungeduld beobachtete ich die zierliche junge Frau dabei, wie sie mit der Hand an ihrer schmalen Schulter nach den eigenen Verspannungen suchte. Als wäre das tatsächlich notwendig. “Wasss du nicht sagst…”, erwiderte ich langgezogen, hob dabei die rechte Augenbraue und atmete etwas tiefer aus. Sie schindete Zeit, mal wieder. Vielleicht, weil sie es sich noch immer nicht selbst eingestehen wollte, wie angezogen sie sich von mir fühlte, obwohl ich das ohnehin wahrnehmen konnte. Vielleicht, weil sie wieder mal sehen wollte, wie weit sie damit kam. Oder vielleicht auch nur, weil sie es liebte, mich mindestens ein bisschen wahnsinnig zu machen. Gedanken, die sofort verpufften, als endlich mehr Bewegung in die schlanke Blondine kam. Ihre Haut schmiegte sich dank des Wassers geschmeidig an meine und für einen kurzen Moment biss ich mir auf die Unterlippe. Die Finger meiner linken Hand stießen ohnehin schon an ihr Knie, also ließ ich beide Hände auf ihre Schenkel gleiten. Weil es mich zu viel Selbstbeherrschung kostete, einfach stillzuhalten und abzuwarten, schob ich meine Finger langsam in Richtung ihrer Hüfte. Jetzt wo Riccardas Arme um meinen Hals lagen und sie mir nahe war, verdrängte ihr Geruch zumindest einen guten Teil des Badezusatzes und ich hatte Mühe damit, mich noch auf die Konversation zu fokussieren. Andererseits war diese eine Frage das einzige, was mich noch daran hinderte, sie einfach an den beiden Hüftknochen, die sich so gut greifen ließen, zu packen und zu mir hinzuziehen. Meine mahlenden Kiefermuskeln verrieten allzu offensichtlich, dass die Spannung längst in Blitzen durch meinen Körper zuckte. Ihre dunklen Augen machten es nur umso schwerer, nicht einfach meinem Verlangen nachzugeben und den nächsten ungebremsten Kuss anzuzetteln. “Dich.” Mein Blick rutschte nach diesem einzigen, so unscheinbaren Wort auf ihre süßen Lippen ab und da war es auch beinahe um mich geschehen. “Aber nicht den unschuldigen kleinen Engel, der immer die Fassade zu wahren versucht…” Ich löste die linke Hand von ihrer Hüfte, um stattdessen nach ihrem schmalen Kinn zu greifen und es mit zwei Fingern sanft zur Seite zu drehen, weil ich sonst nicht zur Vollendung meines Satzes kommen würde. Leicht überbrückte ich die paar nötigen Zentimeter, um die Lippen für einen zarten Kuss am Ende ihres Kieferknochens auf ihre Haut zu senken. Riccardas blonde Strähnen kitzelten mich, als ich ihrem Ohr näher kam. “...sondern das, was du dahinter noch vor mir versteckst. Alles von dir.” Der Klang meiner Stimme bekam zwischenzeitlich wieder die herben Allüren eines Kettenrauchers. Meine rechte Hand schob sich über Riccardas Taille an ihrem Rücken nach oben, als ich den Mund ohne weiteres Zögern an ihren Hals senkte. Die Zungenspitze ausstreckte und begleitet von meinem Atem über ihre Haut zog, bevor sich meine Lippen an ihren Hals legten und im Einklang mit meiner Zunge den Ansatz eines Knutschflecks erzeugten. Ich saugte nicht stark und auch nicht lange, wollte nur die Hormone förmlich von ihrer weichen Haut lecken, weil nichts je wieder besser schmecken würde. Und ein bisschen deswegen, weil es einfacher war, diese Sätze auf diese Weise auszusprechen. Riccarda nicht dabei anzusehen, weil diese Worte eigentlich gar nicht rein auf diese sehr körperliche Angelegenheit bezogen waren. Ich wusste, dass wir beide noch immer ein paar Mauern in uns zogen, die bis jetzt kein Tor zum Durchgehen für den jeweils anderen bereit hielten. Heute war ich mir sicherer denn je damit, auch diese Mauern noch im Sturm einreißen zu wollen. Sie irgendwann jede kaputte Ecke meiner Seele sehen zu lassen, wenn sie mir dafür ihre zeigte. Das war alles, was noch fehlte – das starke Herz, das in diesem Moment hart gegen meinen Brustkorb schlug, gehörte ihr längst.
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Ich hielt gedanklich einen kurzen Augenblick inne, um seine Worte in Kombination mit dem frechen Grinsen richtig zu interpretieren. Normalerweise stellte es kein Problem dar, ein bisschen Zeit für sich allein zu ergattern, da unsere Tagesabläufe manchmal nur sehr schlecht zu synchronisieren waren. Aber die Umstände galten nicht als normal, denn ich war tief in den verschneiten Norden gereist, um nun gemeinsam mit einem mir gegenüber fragwürdig eingestellten Rudel ein Dach zu teilen. Da verzichtete ich nur ungern auf Isaacs Gesellschaft und sei es für eine Stunde Einsamkeit, deren Wert gewiss nicht mit dem mal mehr, mal weniger bewussten Risiko meiner dezent provozierenden Anwesenheit im Hause Werwolf aufzuwiegen war. Isaac wusste mit absoluter Sicherheit, dass ich mich nicht aus seinem schützenden Radius hinausbewegen würde, egal wie viel Gastfreundschaft mir in diesem Anwesen entgegengebracht wurde. Dann bliebe nur mehr die Option, dass er im Schlafzimmer abwartete, bis ich mit neuen Luxusbadewannen-Erfahrungen aus dem Bad zurückkehrte… und das schien mehr sehr unwahrscheinlich. Noch dazu stellte sich mir direkt im Anschluss an den Gedanken die Frage, ob ich ihn überhaupt aus diesem Erlebnis aussperren wollte. Zumindest für den Augenblick empfand ich seine Anwesenheit als sehr ansprechend. Seine wandernden Hände auf meinen Oberschenkeln lösten ein wohliges Kribbeln auf meiner Haut aus. Meine Sinne schienen umso sensibler auf seine Berührungen zu reagieren, desto länger der Körperkontakt bestehen blieb – und zugegebenermaßen wollte ich die Wärme seiner Finger nicht allzu bald missen müssen, obwohl meine Erfrierungserscheinungen längst nachgelassen hatten und sich meine Körpertemperatur in einem für Engel angemessenen Rahmen befand. Womöglich ein bisschen darüber, wenn man bedachte, wie die Hitze hungrig durch mein Inneres fegte; eine Reaktion hervorgerufen durch Isaacs Reaktion auf meine Annäherung. Die Ungezügeltheit in seinen Augen verursachte ein bittersüßes Ziehen in meiner Magengegend, doch den Rest gab mir erst die rohe Direktheit seiner einsilbigen Antwort. Mein Herz klopfte instinktiv ein paar Takte zu schnell hinter meinen Rippen. Isaacs unterbrach den verwobenen Blickkontakt zwischen uns, als seine Augen ein neues Ziel, etwas tiefer, anvisierten. Seine folgenden Worte trafen mich unerwartet, wenngleich nicht völlig überrumpelnd. Trotzdem flammte für den Bruchteil einer Sekunde Unsicherheit in meinen Augen auf. Ich identifizierte mich stark mit diesem über die Jahre hinweg antrainierten Anschein eines annehmbaren Aushängeschilds der Familie Keerlow und mein einziger Akt der Rebellion endete in einer Zwangsehe. Zu sagen, ich hätte mich an diese Version von mir gewöhnt, erschien mir plötzlich wie eine maßlose Untertreibung. Zwar glaubte ich durchaus zu wissen, was da versteckt in mir lauerte, aber diese aufbegehrenden Gedanken waren bereits vor langer Zeit erloschen beziehungsweise mit einer ungewollten Hochzeit als Demonstration der Macht über mich und mein Leben erstickt worden. Dass ausgerechnet Isaac nun an diesem dunklen Gefängnis zu rütteln begann, einen Blick hinter die Kulissen verlangte und den Schein durchschaute, erschütterte mich in einem Ausmaß, das schwer zu greifen war. Es löste eine trügerische Hoffnung – worauf auch immer – in mir aus, gleichzeitig erschlug mich der unerbittliche Drang, Isaac augenblicklich mit allen verfügbaren Mitteln von mir zu stoßen und aus diesem gefährlichen Terrain eventuell unliebsamer Offenbarungen zu befördern. Zum Glück drehte Isaac mein Gesicht früh genug zur Seite, um den Ausbruch meines inneren Kampfes zu verpassen – anscheinend konnten wir in diesem Moment beide nicht mit der Intimität zweier verwobener Blicke umgehen. Dafür wirkte der Kuss auf meiner Haut geradezu beruhigend, wie ein sanftes Zugeständnis, obwohl wir uns dabei nicht in die Augen sehen konnten. Isaac drohte mir nicht, schärfte ich meinem Verstand ein, dazu sprach das raue Verlangen nach einer tieferen Vertrauensbasis zu deutlich aus seinem Verhalten, seiner Haltung und seiner Stimme. Alles echote es in meinem Kopf nach und verlor dabei sogar etwas von seinem bedrohlichen Klang. Trotzdem hallte die Angst, nicht gewollt oder erwünscht zu sein, schwer in mir nach. Aber ich hatte gefragt! Es war nur mehr als angenommen zurückgekommen; weniger oberflächliches Bettgeflüster und mehr entwaffnende Ehrlichkeit. Dieser unangenehme Anflug von Panik dauerte einige wenige Sekunden, ehe mich die Realität wieder einholte und mein Bewusstsein an der richtigen Stelle einrastete. Isaacs Hand, die sich gut spürbar mit leichtem Druck über meine Wirbelsäule hinaufschob, bis hin zu seinen Lippen an meinem Hals halfen bei diesem Zurückfinden. Meine Lider senkten sich, als ich automatisch den Nacken leicht dehnte, um ihm mehr meiner Haut zu präsentieren. Wenn es falsch wäre, dürfte es sich doch nicht so gut anfühlen, oder? Ich ängstigte mich vor einer Was-wäre-wenn-Situation, was ich mir entschlossen verbat. Es gab genug andere Herausforderungen, denen wir uns ebenfalls stellen mussten und die verhinderten auch nicht, dass ich Isaac wollte. Jetzt und noch sehr viel länger. Ich wollte ihn mit so einer Vehemenz, dass nicht nur die Hitze zwischen meinen Beinen nach mehr Nähe lechzte, sondern mein ganzer Körper vor Sehnsucht ächzte. Nur seine Lippen zu spüren, reichte in dem Fall nicht länger. Ich entzog mich nur widerwillig seinem Tun, aber die Aussicht auf mehr beflügelte mich. Ich schlug die Augen wieder auf und griff mit der rechten Hand in seine dunklen Haare am Hinterkopf, um mit etwas Druck seinen Kopf nach hinten zu biegen. Ich war unbewusst weiter zu seinem Becken aufgerückt, sodass bei jedem Mal einatmen, meine Brüste seinen Oberkörper berührten. Dadurch saß ich nun aber auch in einer Position, in der ich etwas hinunterschauen musste, um seinen Blick wieder einzufangen. „Eines nach dem anderen“, versprach ich ihm leise lächelnd. Mehr Zuspruch gab es derzeit nicht von mir. Abgesehen von dem feurigen Glühen in meinen Augen, das mir momentan mangelhafte Geduld unterstellte, gab es eine Reihe an Baustellen in unserem Leben, um die wir uns nach und nach kümmern sollten. Aber das tat gerade nichts zur Sache. Also küsste ich Isaac. Ich übersprang den einfühlsamen Teil und drückte stattdessen meine Lippen fordernd auf seine. Intuitiv biss ich sanft auf seine volle Unterlippe, ehe ich mit meiner Zunge um Einlass bat. Die eine Hand vergrub sich in seinem dichten Haar, als hätte ich die Sorge, er würde mir davonlaufen, während mein linker Unterarm diagonal über seine Schulterblätter lag und ich meine Fingerkuppen in seinen Rücken drückte, mich an ihn schmiegte.
Wie jedes andere Mal auch, wenn die zierliche Blondine nicht sofort antwortete, weil ich im Versuch ihr noch näher zu kommen unerprobtes Gelände betreten hatte, übertrug sich ein kleines bisschen ihrer Unsicherheit auf mich. Es war nicht nur ihr Herzschlag, der sie durch Taktveränderungen verriet. Dabei musste ich mich unweigerlich fragen, wovor sie Angst hatte – dass ich ihr nicht dasselbe erlaubte? Dass ich dafür die falsche Person war? Dass ich sie verurteilen würde, für was auch immer? Sicher war für mich, dass letzteres Szenario unwahrscheinlich war. Ich hatte vor unserer gemeinsamen Zeit viele schlimme Dinge getan, die sie nie im Leben toppen konnte. In dem Engel mochten vielleicht andere kleine Monsterchen wohnen, aber mit der Bestie in meinem Inneren zu konkurrieren, dürfte schwierig für sie werden. Wenn sie sogar damit klarkam, würde ich bestimmt auch ihre weniger schönen Seiten schlucken können. Ob ich diese dumme rosa Brille auf der Nase hatte, von der immer alle sprachen? Konnte ich manches an ihr nicht sehen, weil ich es nicht sehen wollte? Es waren die schmalen Finger in meinen Haaren, die mich von diesen Gedanken weg brachten. Ich gab Riccardas Forderung ohne Gegenwehr nach und mein Blick rutschte ganz von selbst zurück in ihren, als ich den Kopf im Nacken hatte und zu ihr aufsah. Meine Hand war von ihrem Kinn gerutscht, als sie beschlossen hatte, dass da noch zu viel Abstand zwischen uns war. Der Arm sollte den harten Brustwarzen, die kurz darauf meine eigene Haut streiften, schließlich nicht im Weg sein. Die Worte, die der Engel dann doch noch aussprach, beschrieben im Grunde unseren ganzen Werdegang. Riccarda hatte sich von mir niemals zu irgendwas drängen lassen und das würde sich vermutlich nie ändern. Meiner gefühlt schon angeborenen Ungeduld schmeckte das nicht, aber sie würde es aushalten müssen. Denn es war kein nein, kein bis hierhin und nicht weiter. Deshalb bogen sich meine eigenen Mundwinkel ebenfalls ein bisschen nach oben, kurz bevor ich mich in den Kuss verwickeln ließ. Sie zuckten sogar noch einmal kurz zu einem schwachen Grinsen nach oben, als ich die Zähne an meiner Lippe spürte. An der Tatsache bemessen, dass ich von uns beiden der Alpha-Werwolf mit dem tatsächlich gefährlichen Maul voll Zähne war, empfand ich nämlich auch diese ach so kleine Geste als genau im richtigen Maß frech. Mit dem rechten Arm an ihrem Rücken zog ich die schlanke Schönheit mit Nachdruck an mich heran, als gleichzeitig im folgenden Zungenkuss sämtliches Grinsen aus meinem Gesicht gewischt wurde. Meine linke Hand legte sich auf Höhe ihrer Rippen an Riccardas Seite, um daraufhin genussvoll abwärts ihrer Silhouette nachzufühlen. Bis meine Hand an ihren Hintern rutschte und ich ihre Hüfte an meine drückte, während ich den Ansatz ihrer Fingernägel im Rücken spürte.
[ich bin mal so frech und überspringe die Details an dieser Stelle, nachdem wir zwei Seiten vorher erst eine sehr ausführliche, sehr lange Sexszene hatten und das diesmal deutlich weniger Story-relevant ist. Damit wir mal bisschen vorwärts kommen hier... x’D]
Die fünfzehn Minuten bis zum offiziellen Beginn des familiären Kaffeekranzes mussten inzwischen doppelt bis dreifach vorbei sein. Ob mich das kümmerte, während ich völlig tiefenentspannt mit einer Hand über Riccardas Rücken streichelte? Sogar noch viel weniger als vor unserem Bad. Mit geschlossenen Augen und dem Kopf auf dem Beckenrand lächelte ich stumm vor mich hin, solange die hübsche junge Frau noch an meiner Brust lehnte. Es war fast schon schwierig gewesen, die Sache aufgrund des Wassers – das ein maximal semi-taugliches Gleitmittel darstellte – ein bisschen langsamer angehen zu lassen, bei all der Hitze zwischen uns, für die wir das warme Badewasser gewiss nicht gebraucht hätten. Vielleicht hatte es uns doch ganz gut getan, mal die paar Tage voneinander getrennt gewesen zu sein. Es hatte unseren inzwischen oft anstrengenden Alltag unterbrochen und wir hatten offensichtlich beide festgestellt, dass wir einander vermissten. Ich für meinen Teil spätestens dann, als ich Riccardas Gesicht am Flughafen endlich wiedergesehen und sie das erste Mal wieder in meine Arme geschlossen hatte. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass es mir nicht gefiel, dass wir uns hier im Anwesen meiner eigenen Verwandtschaft mit nichts zu verstecken brauchen. Die kümmerte es nicht, ob wir etwas ehrliches, tieferes füreinander empfanden, statt uns nur zwangsweise mit den Konsequenzen der Heirat zu arrangieren. Keiner von ihnen würde zu Riccardas Eltern rennen, um ihnen irgendwas zu stecken. Unsere Beziehung zueinander interessierte die anderen Wölfe maximal insofern, dass sie es nicht verstehen konnten und der hübsche kleine Engel damit von der Abschussliste gestrichen war. Falls es der letzte Volltrottel unter ihnen nach dem anstehenden Nachmittagstisch noch nicht begriffen hatte, dass das kein Scherz von mir war, prügelte ich da auch gerne nochmal mit Wucht nach. Da reichte eine einzige ernsthaft fiese Bemerkung, ein einziges gekrümmtes Haar von ihnen blonden Locken. Unter Werwölfen war scherzhaftes Necken etwas sehr normales, aber ich konnte den Unterschied zu einer tatsächlichen Beleidigung dabei bestens herausfiltern. Es war also Vorsicht geboten. Das einzige, was langsam aber sicher sogar für mich darauf hindeutete, dass es keine gute Idee wäre, noch ewig lange in der Wanne sitzen zu bleiben, waren unsere schrumpelig werdenden Fingerspitzen. Trotzdem genoss ich die ruhigeren Nachbeben des Aktes etwas zu sehr, um tatsächlich selbst etwas an der Situation zu ändern. Noch so eine Sache, die früher für mich undenkbar gewesen war. “Du bist sonst immer der vernünftige Part von uns beiden… bring’ uns mal dazu, aus dieser Wanne zu steigen… sonst wird der Kaffee noch kalt und der Kuchen ist weg, bevor wir da sind.”, murmelte ich absolut unmotiviert vor mich hin und hauchte einen Kuss auf Riccardas schmale Schulter. Dann noch einen... und einen weiteren, so als hätte ich tatsächlich nichts Wichtigeres zu tun als genau das: Riccarda zu zeigen, wie sehr ich ihre Anwesenheit und vor allem ihre Nähe genoss und wertschätzte, obwohl sie nicht auf den Kopf gefallen war und das längst gemerkt haben musste.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Vielleicht genoss ich den Moment der einvernehmlichen Zufriedenheit ein bisschen zu viel, denn mir war im Laufe des Geschehens jegliches Gefühl für die Zeit abhandengekommen und die bevorstehende Konfrontation mit dem Großteil des Rudels war zwischendurch bestimmt nicht aus spontanen Krankheitsfällen oder einem anderen Notfall abgesagt worden. Mein Pflichtgefühl meldete sich und kämpfte gegen die entspannte Trägheit meines Körpers an, verlor jedoch stetig an Boden im Hinblick auf meinen seligen Zustand der Losgelöstheit. Mir reichte es für den Moment vollkommen, das mittlerweile abkühlende Wasser mit Isaacs Körperwärme auszugleichen, seine vom Wasserdampf feuchte Haut am Schlüsselbein mit kleinen geometrischen Mustern zu verzieren und die ergaunerte Galgenfrist zu genießen. Ja, ich oder besser gesagt wir konnten nicht ewig vor dieser gesellschaftlichen Bürde davonlaufen, aber ein paar Minuten ließen sich gewiss noch erübrigen – unsere bereits verursachte Verspätung war ohnehin bereits nicht zu entschuldigen und sprach gegen jegliche Etikette, die mir meine Mutter im Verlauf meiner Kindheit einzutrichtern versucht hatte. Ich fühlte mich sogar minimalst schlecht deswegen. Meine Gedanken drehten schleppend ihre Runden in meinem Kopf, ohne sonderlich präsent in meinem Bewusstsein aufzuscheinen; wie ein gemächlich dahinblubbernder Fluss, der sich dem Bachlauf fügte. Isaac durchbrach die einträchtige Stille im mit Dampfschwaden verhangenen Badezimmer und entlockte mir ein protestierendes Schnauben. „Irgendwie bedeutet vernünftiger Part immer gleichzeitig, die unangenehmen Dinge tun zu müssen“, erwiderte ich nur mäßig begeistert von seiner Idee, mir den ersten Schritt des Aufstehens in die Schuhe zu schieben. „Soll ich dir wirklich glauben, dass du dir auf einmal Sorgen um kalten Kaffee und aufgegessenen Kuchen machst?“, erkundigte ich mich und hob dabei den Kopf soweit an, dass er meinen vorwurfsvoll-fragenden Blick sehen konnte. Das amüsierte Zucken meiner Mundwinkel nahmen den Worten die Härte. Seine Küsse auf meiner Haut führten uns keinen Zentimeter an das Ziel, das offizielle Kennenlernen nicht noch weiter hinauszuschieben, heran, stattdessen seufzte ich theatralisch. „Du bist gerade keine große Hilfe“, informierte ich Isaac leidgeprüft und schob mich wieder ein bisschen über ihn, sodass ich mein Kinn auf meinem Handrücken ablegen konnte und relativ mittig auf seinem Oberkörper abgestützt war. „Ich bin für einen Rollentausch… nur für jetzt. Deine Familie, also deine Verantwortung, mich da die Treppe hinunter zu befördern“, eröffnete ich ihm mit süßer Stimme und charmanten Lächeln auf den Lippen. Um meine Worte zu untermauern, schmiegte ich mich mit einem wohligen Laut an ihn und drückte ihm einen weichen Kuss auf den Mundwinkel. Das Risiko von kaltem Koffein und verzehrten Mehlspeisen nahm ich in Kauf, obwohl ich normalerweise keine Scheu vor jeglicher Form der Prüfung hegte, aber in diesem Fall gruselte mich allein die Vorstellung einer Schar Werwölfe. Die Begegnungen mit einem einzelnen Exemplar liefen in der Vergangenheit schon nicht gut, womit musste ich also nun rechnen, wo sie alle auf einen Haufen hockten? Ausnahmsweise teilte ich einmal Isaacs Grundeinstellung gegen familiäre Zusammenkünfte, weshalb es umso dramatischer war, dass dieses Treffen früher oder später stattfand. Allein aus Respekt… allein deshalb, weil Isaac enger mit ihnen allen verbunden war als angenommen.
Wenn ich so darüber nachdachte, war Riccardas Umschreibung mit Sicherheit einer der ausschlaggebenden Gründe dafür, warum ich Verantwortung in den letzten Jahren so gerne vermieden hatte. Je älter man wurde, desto lästiger und unangenehmer wurden sämtliche aller Pflichten. “Vermutlich geb’ ich diesen Part genau deswegen seit Jahren gerne ab”, stellte ich ironisch fest. Natürlich war das gewiss nicht der Auslöser für meine Rebellion gegen ungefähr alles, was mein Vater mir jemals aufzuerlegen versucht hatte, aber es war definitiv ein Nebeneffekt davon. Wenn man nur noch das tat, wonach einem selbst der Sinn stand, war das Leben sehr viel angenehmer. Doch davon hatte ich mich verabschiedet, als ich beschlossen hatte, nicht mehr nur eine Bürde für den blonden Engel an meiner Brust sein zu wollen. Ich kam nicht um Verpflichtung und Verantwortung herum, wenn ich Riccardas Leben bereichern wollte. “Absolut nicht. Ich hab ja nicht mal versucht, überzeugend zu lügen”, gestand ich schamlos grinsend nach dem letzten der kleinen Küsse. Das bezog sich sowohl auf ihre Frage bezüglich des angebrochenen Nachmittagstisches, wie auch auf ihre Feststellung danach. Von mir aus konnte der Kaffee kalt und der Kuchen leer sein, ich verzehrte mich in diesem Moment gewiss nach etwas ganz anderem. Die Aufgabe des verantwortungsvollen Familienmitglieds war das allerdings nicht. Deshalb zog ich auch die rechte Augenbraue leicht nach oben, als die Blondine mir genau das schmackhaft zu machen versuchte, indem sie ihren nassen Körper erneut an meinen schmiegte. Ihre weichen Lippen waren meinen ohnehin schon so nahe, dass es kaum noch zwei Sekunden dauerte, bevor ich mir den nächsten zarten Kuss davon holte. “Wer ist jetzt hier keine Hilfe..?”, grummelte ich rhetorisch und mit reichlich wenig Ernsthaftigkeit, war ihrem Mund dabei noch sehr nahe. Ich blickte direkt in Riccardas Augen, musterte den dunklen Ring ihrer Iris dabei zum ungefähr tausendsten Mal. Als könnte ich ihr nicht längst jedes Detail ihrer braunen Augen benennen, würde sie danach fragen. Ich versank gerne darin… nur war gerade ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt dafür, weshalb ich mit der freien Hand nach dem Abfluss am Boden der Wanne tastete, um ihn aufzudrehen. Natürlich war es im Badezimmer noch immer ziemlich warm, aber ohne das Wasser würde dem Engelchen gleich eine gute Stufe kälter werden. Mehr als mir in jedem Fall. “Wenn du mich loslässt, hol’ ich dir dein warmes Handtuch.”, bot ich Riccarda also einen Deal für eher unausgewogenes, aber trotzdem geteiltes Leid an, während das Gurgeln des im Abfluss versinkenden Wassers zu hören war. Ich hauchte ihr trotzdem noch einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Spätestens als ihr Rücken durch den zügig sinkenden Wasserstand entblößt wurde, was mein Ausstieg aus der Wanne aber besiegelt. Einmal pro Tag zu frieren reichte Riccarda scheinbar aus, weshalb ich mich – nach wie vor offensichtlich unmotiviert – aus der Wanne erhob und ausstieg. Ich hinterließ eine Spur aus Tropfen auf dem Boden, als ich zur Heizung ging. Beide der Badehandtücher wurden von den Streben gezogen und ich trocknete mich selbst schon flüchtig im Gehen ab, als ich zurück zur Wanne tappte, mein Versprechen einlöste und Riccarda ihr Handtuch reichte. Erst daraufhin bekamen meine Haare eine Abreibung und auch der Rest meines Körpers wurde getrocknet. So gut, wie das in sehr feuchter Luft stehend eben ging. Ich cremte mir mit dem Handtuch um die Hüfte nur das Gesicht ein und verpasste mir ein bisschen Deo, bevor ich die noch auf dem Boden herumliegenden Klamotten aufsammelte und auf den frei gewordenen Platz an der Heizung hängte. “Föhn müsste auch irgendwo in den Schränken sein… aber stress’ dich nicht”, meinte ich beiläufig mit einem letzten Blick in Riccardas Richtung. Einem vielleicht wieder etwas zu auffällig musternden Blick, aber selbst die am unteren Ende nass geworden Haarsträhnen sahen gut an ihr aus. Ich öffnete die Tür zum Schlafzimmer bereits zur Hälfte, weshalb mir die doch deutlich kühlere Luft seitlich an den Bauch stieß, als mir was einfiel: “Brauchst du was aus deinem Koffer? Kann ich dir holen”, bot ich ihr mit einem Schulterzucken an. Im Gegensatz zu mir war Riccarda im Bad noch nicht eingerichtet und ich war sowieso fertig, bis auf die Haare, die aber erst nach dem Anziehen an der Reihe waren. Der jungen Frau den Weg durchs frischere Schlafgemach zu ersparen war kaum der Rede wert.
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Ich verstand Isaac in dieser Hinsicht nur zu gut, leider rettete mich das weder vor Verpflichtungen noch vor Verantwortung und da sich diese Angelegenheiten selten von allein lösten, brauchte es immer wieder Initiative. Etwas, das mir gerade deutlich fehlte. Womöglich färbte das rebellische Verhalten des Dunkelhaarigen teilweise auf mich ab oder aber ich suchte gerade nur eine passende Ausrede für mein schlechtes Gewissen, das sich nun doch deutlicher regte, je intensiver ich mich mit dem bevorstehenden Thema auseinandersetzte. Trotz des flauen Gefühls in meinem Magen, das sich wie ein mulmiges Kribbeln durch meinen gesamten Körper arbeitete, lachte ich kurz auf, nachdem Isaac seine Lüge ohne Anzeichen von Reue gestand. Ich hätte ihm in dem Fall ohnehin kein Gegenargument der Welt abgekauft. Ebenso wie ich ihn dieses Mal nicht von seiner Pflicht davonkommen lassen würde, mir den nötigen – metaphorischen – Tritt zu geben, um in die Gänge zu kommen. „Ich wollte nur alle Vorteile meiner neuen Rolle auskosten“, versicherte ich ihm mit einem breiten Lächeln auf seine rhetorische Gegenfrage. Ich erleichterte ihm seine jüngste Aufgabe wohl kaum, aber dafür bereitete es mir eine zu große Freude, den einen oder anderen Kuss zu stehlen, bevor wirklich ein Schlussstrich gezogen werden musste. Meine Haut schrumpelte ohnehin schon an den Fingern und signalisierte das Ende des Badespaßes. Das Wasser verdeutlichte dieses Aus des Aufschubs nur mit einem nachdrücklichen Gluckern, ehe es in einem kleinen Wirbel hinab in die Kanalisation floss. Mit dem sinkenden Wasserspiegel wurde meine Haut auch immer mehr der dunstigen Luft ausgesetzt, die dennoch einen kühlen Kontrast zu dem warmen Badewasser darstellte und jeden Gedanken an einen längeren Aufenthalt in der Wanne unangenehm wirken ließ. Da kam mir Isaacs Vorschlag sehr gelegen und ich nickte bestätigend, während ich mich aufrappelte und Platz machte. Mir fiel auf die Schnelle nicht ein, seit wann wir so viele spontane Küsse austauschten, jedoch sympathisierte ich sehr mit dieser neuen Angewohnheit und erklärte es mir mit den Tagen, die wir getrennt verbracht und dadurch festgestellt hatten, dass wir uns tatsächlich gegenseitig vermissten. Mir gefiel diese scheinbar normale Zärtlichkeit, weil sie für Isaac und mich eben alles andere als selbstverständlich war. Und so wartete ich mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht klebend darauf, dass mir das flauschige Badehandtuch gebracht wurde. Zwar wurde mir schnell wieder etwas frisch, jedoch sorgte der Anblick einer verboten attraktiven Rückansicht des Dunkelhaarigen dafür, dass ich den Kälteanflug kaum spürte, sondern resignierte, wie mir die Hitze in die Wangen kletterte. Immerhin sprach Isaac die wahrscheinlich sichtbaren Rötungen in meinem Gesicht nicht an, sondern überreichte mir den vorgewärmten Stoff, dem ich meine Hand bereits entgegenstreckte und dabei gleichzeitig aufstand. Wasser spritze bei meiner Bewegung in sämtliche Richtung und ich spürte, wie die Tropfen in vorgezeigten Bahnen über meine Haut von der Schwerkraft angezogen hinabglitten, bevor ich mich bereits in die herrliche Wärme des Badetuchs einwickelte und vorsichtig, um nicht zu guter Letzt eine weitere Bruchlandung auf dem rutschigen Untergrund hinzulegen, über den erhöhten Rand der Badewanne stieg. Dabei fiel mein Blick auf das Touchpad, auf dem ich den farblichen Lichteffekt deaktivierte und überprüfte, ob man das Hightech-Ding anderweitig auch noch abschalten musste – schien nicht so, daher ließ ich die Finger vorerst wieder davon. Isaacs knappe Einweisung lenkte ohnehin meine Aufmerksamkeit auf ihn, wie er da mit seinem Handtuch um die Hüfte stand und im Grunde einer verdammten Zeitschrift entsprungen sein könnte. Mein Blick brauchte wirklich merkbar lang, zu lang, um den Weg bis hinauf in sein Gesicht zu finden, ehe ich leicht mit den Schultern zuckte. „Das wird schon gehen.“ Ich verbat mir jede weitere unnötige Verzögerung und griff, wie um zu beweisen, dass kein Föhn nötig sei, nach dem Gummiband, mit dem ich bereits wieder dabei war, meine Haare zu einem hohen Zopf zusammenzufassen. Beim Öffnen der Tür trat beinahe augenblicklich spürbar deutlich kältere Luft in das dunstige Badezimmer und ließ mich instinktiv die Arme an den Oberkörper pressen. Ich wollte da wirklich, wirklich, wirklich nicht nur in einem Badehandtuch gekleidet in die unerbittliche Kühle des Schlafzimmers schleichen müssen, aber Isaac in meiner Unterwäsche kramen zu lassen, fühlte sich dann doch noch etwas befremdlich an, weshalb ich seufzend abwinkte und mich abtrocknete. Als ich fertig war, wickelte ich erneut den Stoff um mich und verließ so eingepackt das kuschelig-warme Badezimmer. Energischen Schrittes, sodass mein Zopf im Takt mitwippte, peilte ich das wartende Gepäckstück an und kniete mich davor auf den Boden, der übrigens auch kalt war. Ich war gerade definitiv kälteempfindlicher als üblicherweise. „Was zieht man zu so einem netten Kennenlernen bei Kaffee und Kuchen hier an?“, fragte ich sarkastisch über die Schulter hinweg, während ich Kleidungsstücke nacheinander hervorkramte. Wäre es ein Teekränzchen, zu denen mich meine Großmutter wie ein dressierten Showhund gezerrt hatte, dann hatte ich eventuell das Falsche mitgenommen. Bei der Unterwäsche konnte ich immerhin nichts falsch machen, die bekam bestenfalls niemand der Meute zu sehen, sofern mir nicht im Zuge eines emotionalen Ausbruchs die Klamotten vom Leid geschreddert wurden. Ich schaffte es wirklich blendend, mir Mut zuzusprechen und wahrscheinlich standen mir die Zweifel ins Gesicht geschrieben. Trotzdem entledigte ich mich des ohnehin verrutschten Tuchs, schlüpfte in mit dezenter Spitze versehene Wäsche und durchsuchte weiter den Inhalt meines Köfferchens; als ob ich nicht wüsste, was ich erst kürzlich hineingestopft hatte. Wenn mich etwas stresste, offenbarte sich das gerne in der sehr klischeebedingten Tatsache, nichts Passendes anzuziehen zu finden und das wiederum nervte mich nur umso mehr. „Ach verdammt“, grummelte ich bitter und schnappte mir das bordeauxrote Täschchen, mit dem bewaffnet ich zurück ins Badezimmer stiefelte, wo mich die stickige Luft nun plötzlich zu erschlagen drohte. Der große Spiegel war noch immer zur Hälfte angelaufen, aber für meine Zwecke reichte es: eincremen, ein bisschen Mascara und Labello auftragen, fertig. Eigentlich, denn ich verschwendete durchaus noch ein paar Sekunden, um mein Spiegelbild finster zu betrachten, bevor ich zurück ins Schlafzimmer marschierte und das Erstbeste vom Boden sammelte und anzog.
Na wenigstens war ich nicht der einzige, der bei viel nackter Haut ins Starren kam. Man könnte beinahe behaupten, dass wir uns dabei zeitweise in absolut nichts mehr nachstanden, was mir ungemein das Gemüt erheiterte. Es schlug sich in dezentem Grinsen nieder, als ich ein weiteres Mal mit den breiten Schultern zuckte. “Ganz wie du willst”, ließ ich der kleinen Blondine ihren freien Willen und schlüpfte anschließend aus dem Badezimmer. Ein bisschen unangenehm war der Temperaturunterschied auch für mich, aber ich verschwendete nicht wirklich viele Gedanken daran, weil er ohnehin gleich Geschichte sein würde. Ich bewegte mich entspannt auf meinen – oder jetzt viel mehr unseren – vorübergehenden Kleiderschrank zu und zog mir erst eine der Boxershorts und Socken raus, bevor auch Hose und Oberbekleidung folgten. Als Riccarda sich zu mir gesellte, hatte ich mir gerade erst die Boxershorts angezogen und griff nach den Socken, die ich wie den Rest der Klamotten auch zur Zwischenlagerung aufs Bett geworfen hatte. Es war schwer nicht zu bemerken, dass der Engel wegen des familiären Essens deutlich gestresster war als ich selbst. Die Emotionen schwappten durch den Raum zu mir rüber, aber ich wollte mich trotzdem weiter in vorsichtiger Zuversicht wiegen. Meine Laune war zu beschwingt, um sie mir schon im Voraus selbst verderben zu wollen. Wie energisch die junge Frau hingegen in ihrem Koffer wühlte, ließ mich beinahe seufzen. “Solange du dich nicht in einem Kartoffelsack an den Tisch setzt, dürfte denen das ziemlich egal sein. Die machen das ja fast jeden Tag, ist eigentlich nichts Besonderes. Also zieh’ bitte einfach an, womit du dich wohlfühlst… du hast sowieso nichts, was dir nicht steht.”, appellierte ich mit ruhiger Stimme daran, dass es wichtiger war, dass Riccarda sich in ihrem Outfit wohlfühlte, solange ich mir die beiden Socken über die Füße zog. Von mir aus konnte sie genauso in einem kuscheligen, etwas zu großen Pullover neben mir Platz nehmen, wie sie auch mit Absatz und Kleid am Tisch sitzen konnte, wenn ihr der Sinn danach stand. Alles, was ihr Selbstbewusstsein in der anstehenden Situation stärkte, kam ihr gelegen. Werwölfe suchten allzu gerne nach Schwächen, wenn sie ihr Gegenüber erstmals ausloteten. Ich gönnte mir noch zwei, drei verstohlene Blick auf ihre nackte Haut, während Riccarda in ihre Unterwäsche schlüpfte. Als sie aufgeschmissen erneut ins Badezimmer verschwand, seufzte ich dann doch leise in mich hinein. Ich zog mir die schwarze Chino-Hose an und im Anschluss daran das langärmlige weiße Polohemd mit schlichtem Webmuster im Stoff, in dem mir eigentlich noch fast ein bisschen zu warm war. Die aktuell noch aufgestaute Hitze würde jedoch bald verfliegen. Deswegen schob ich auch die Ärmel bis unter die Ellenbogen hoch und machte lediglich den untersten der drei Knöpfe zu. So oder so konnte ich allseits bekannt voll zugeknöpfte Hemden in keiner Form leiden. Ich schob gerade noch das untere Ende der Ärmel zurecht, als die Blondine zurück ins Zimmer fegte. Es war wirklich schlagartig mit ihrer Entspannung vorbei gewesen und ich wollte mich trotzdem weiterhin darum bemühen, mich davon nicht anstecken zu lassen. Solange sie sich anzog, machte ich selbst den letzten kurzen Gang ins Badezimmer, um die noch wüst in jegliche Richtungen fallenden Haare zu ordnen und zu festigen. Im Gegensatz zu Riccarda ließ ich mich dabei auch nicht stressen und leistete wie immer sehr präzise Arbeit. Als ich zu ihr zurückging, schien sie fertig zu sein. Äußerlich jedenfalls, über ihren geistigen Zustand urteilte ich differenziert. Deshalb ging ich erstmal lächelnd auf die junge Frau zu und hob die rechte Hand, um ihr über die Wange zu streicheln. “Dir passiert nichts… glaub mir, die wenigstens von denen würden an mir vorbei wollen”, schmunzelte ich und senkte den Kopf, um einen Kuss an ihre Stirn zu hauchen. Ein bisschen so wie vor dem Dinner im Restaurant, als ich mindestens Chads Stolz als Werwolf in den Boden gestampft hatte. Nur waren die Gemüter da andersrum verteilt gewesen. “Und bis auf ein oder zwei Quoten-Idioten sind sie wirklich in Ordnung. Sie haben kaum was mit meiner Verwandtschaft Zuhause gemeinsam”, murmelte ich an ihre Stirn, bevor ich mich davon löste und mit lockerem Grinsen zu ihr runterblickte. “Außerdem konterst du gut, das werden sie mögen. Lass’ dir bloß nichts gefallen.” Ich wollte ihr ein bisschen die Bedenken nehmen, sie könnte irgendwas Falsches tun oder sagen. Das war in diesem Haus schlichtweg schwer zu erreichen. Der Umgangston war selbst für mich zu Beginn ungewohnt locker gewesen, wenn man auch da die paar wenigen Ausnahmen außen vor ließ. Erst als das Engelchen ausreichend tief durchgeatmet hatte, machten wir uns auf den Weg zum Esszimmer. Es war untypisch für uns, aber ich bestand darauf, ihre Hand zu halten. Die Gänge waren so leer wie schon zu erwarten war und – zumindest für Riccarda – stieg der Geräuschpegel erst an, als wir dem großen Raum mit den geöffneten Flügeltüren nahe kamen. Einige Stimmen waren schon im Flur zu hören und weil ich das Herz der Blondine ein paar Takte schneller schlagen hörte, streichelte ich über ihren Handrücken, bevor wir den Türbogen passierten. Auch war vorhersehbar gewesen, das daraufhin erstmal kurz unangenehme Stille eingekehrte, weil 80% der Anwesenden sofort damit beschäftigt waren, Riccarda unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht wollten sie aber auch Sylvan das erste Wort geben. Ich blieb nämlich gar nicht erst stehen, sondern ging mit meinem Anhängsel im Schlepptau hinter einigen Stuhllehnen entlang zielstrebig zu den beiden leeren Plätzen, die sich neben dem Kopf der Familie befanden. Mein Vater stand auf, noch bevor wir bei ihm ankamen. “Ihr seid zu spät.”, begrüßte er mich mit dem Offensichtlichen. Weil ich ihn jetzt schon etwas besser kannte, ließ ich mich davon jedoch nicht irritieren, sondern warf nur einen kurzen Blick auf die übergroße Wanduhr an der anderen Stirnseite des Raumes. Wir hatten uns um genau 51 Minuten verspätet. “Tja, immerhin nur ‘ne Stunde und nicht über 20 Jahre, hm?”, ließ ich ihn mit leicht schief gelegtem Kopf ungeniert wissen, dass ich diese Unpünktlichkeit möglicherweise von ihm geerbt hatte. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bevor er den strengen Gesichtsausdruck verlor und lachte. “Chapeau, mein Lieber”, sprach er mir noch halb lachend zu, bevor er seine ungeteilte Aufmerksamkeit grinsend auf meine Begleitung richtete. Ohne zu zögern streckte er Riccarda seine Hand entgegen. “Es freut mich sehr, dass du seine Einladung angenommen hast und wir uns kennenlernen. Ich bin Sylvan… Vater dieses übergroßen Sturkopfs, aber ich schätze das weißt du längst.” Ja, beides. “Bitte setzt euch, frischer Kaffee ist schon auf dem Weg.”, hängte der Alpha nach dem Händeschütteln noch an, machte erst eine ausschweifende Handgeste in Richtung der Stühle und nickte daraufhin einem Bediensteten zu, der umgehend den Weg in die Küche einschlug. Ich bevorzugte es, mich zwischen meinen Vater und meine Frau zu setzen. Zur anderen Seite saß nämlich nur Aiden, den Riccarda immerhin schon kurz gesehen hatte, und neben ihm wiederum nur seine Frau Claire, die ein Auge auf Theodore daneben hatte. Nur, weil ich nicht glaubte, dass Jemand hier meinem Engel etwas anhaben wollte, hieß das nicht, dass ich die Risiken nicht sorgfältig abwägte. Aiden war die weit kleinere Bedrohung.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈