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| Zuletzt Online: 26.08.2025
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 Der Spaziergang durch die verschneite Landschaft verlief weitestgehend schweigsam. Eine angenehme Ruhe färbte die Atmosphäre zwischen den unterschiedlich dicht stehenden Baumstämmen, an denen sich Isaac einen möglichst effizienten Weg vorbeisuchte. Ich begnügte mich lediglich damit, seiner Spur durch den hohen Schnee zu folgen und meine Umgebung mit tiefen Atemzügen und neugierigen Blicken in mich aufzunehmen. Offensichtlich verirrten sich hier kaum Menschen her, was ich durchaus begrüßte – ein medial bekanntes Gesicht zu haben beziehungsweise mit einem verheiratet zu sein, egal ob zum Schein oder ernsthaft, bedeutete in weiterer Folge auch, unerwartete Schnappschüsse von sich selbst während beliebiger Freizeitaktivitäten zu finden. Ein Übel, mit dem ich mich abgefunden hatte, aber umso befreiender fühlte es sich direkt an, zu wissen, dass hier keine nervös klickenden Kameras warten würden und dieser Moment nur uns gemeinsam gehörte; eine Gelegenheit zur Zweisamkeit und womöglich sogar dazu, eine in Vergessenheit geratene Sorglosigkeit wieder aufleben zu lassen. Um ehrlich zu sein konnte ich meine letzte Schlittenfahrt gar nicht mehr datieren. Eine Schande, die nun behoben wurde. Aufregung kitzelte meine Nervenenden und eine kindliche Hibbeligkeit beschleunigte meine Schritte, sobald ich erkannte, dass wir unser Ziel erreicht haben mussten. Wir standen auf einer nach wie vor bewaldeten Erhöhung und hatten einen guten Ausblick auf die Strecke hinunter, die in einer flach auslaufenden Lichtung endete. Da ich hoffnungslos schlecht darin war, Entfernungen realitätsgetreu einzuschätzen, ließ ich es direkt bleiben und nickte nur leicht auf Isaacs Kommentar hin. Wo keine Menschen Erholung und Abwechslung zum Arbeitsalltag suchten, herrschte kaum Tourismus und das bedeutete wiederum, dass es niemanden kümmerte, ob man hier mit seinem Schlitten bis zur Hüfte im Schnee versank oder das Ausbleiben von Liften einen dazu zwang, sich jede weitere Fahrt hinab körperlich zu erarbeiten. Die Aussicht auf kräftezerrendes Stapfen durch den unpräparierten Schnee beeinflusste keinesfalls meine gute Laune; ebenso wenig erreichte mich die abzuwägende Gefahr eines zusätzlichen Hindernisses in Form des besagten Baches. In dem Moment hielt mich weder eine berechtigte Warnung noch die Vernunft. Eigentlich nahm ich bereits Anlauf, um mich mit Schwung auf den Schlitten zu befördern und sauste an bereits an Isaac vorbei, als dieser gerade erst Platz auf der Sitzfläche nahm. Ich hörte nur mehr das Wort Wettrennen, welches ich mit einem ausgelassenen Lachen beantwortete. Eine ausführlichere Antwort gäbe es nicht auf seine Frage, weil ich mich einerseits nicht festlegen wollte und andererseits rodelte ich bereits schneller als erwartet den beinahe baumfreien Hang hinab, sodass meine zwei geflochtenen Zöpfe nur so durch die Luft peitschten. Die gestrickte Mütze mit dem Kunstfell-Bommel sorgte dafür, dass meine Ohren nicht aufgrund der eisigen Zugluft abfroren, während ich nach einer Weile den flacheren Bereich erreichte und nach einigen Metern die Füße vom Schlitten nahm, um endgültig zu bremsen. Ein breites Lächeln zierte meine Gesichtszüge, als ich mich halb umwandte, um zu schauen, wo Isaac blieb, der mir ohnehin dicht auf den Fersen war und kurz darauf neben mir landete. „Das war großartig“, begrüßte ich ihn begeistert und so folgte eine Abfahrt der nächsten. Gnadenlose Wettrennen wurden zu gemütlicheren Fahrten, bis ich auf die glorreiche Idee einer Rampe kam. Der Dunkelhaarige brauchte gar nichts zu sagen, denn seine Mimik drückte genug Skepsis für uns beide aus, aber ich ließ mich nicht von dem Vorhaben abbringen – ja, mein Körper heilte längst nicht so schnell wie Isaacs, aber das hielt mich definitiv nicht davon ab, mein inneres Kind in vollen Zügen auszuleben. Nicht heute. Also wuselte ich mit leuchtenden Augen durch den Schnee, um den optimalen Platz für besagte Schanze zu eruieren und begann nach erfolgreicher Suche, einen riesigen Schneehaufen zu akkumulieren; sozusagen die Rohmasse für meine erstklassige Rampe. Isaac wählte zunächst die Rolle des amüsierten Beobachters, ehe er sich an dem Bauspaß beteiligte und mir die perfekte Gelegenheit bot, einen gar nicht so unschuldigen Schneeball nach ihm zu werfen, sobald er nah genug war, um ihn auf jeden Fall zu treffen.
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 Isaac bemühte sich zwar, die aufkeimende Freude im Zaum zu halten, aber da ich seine Reaktionen ohne Ablenkung durchs Autofahren beobachten konnte, entging mir weder das Aufblitzende Grinsen noch das Funkeln seiner hellen Augen. Dass er seine offensichtliche Euphorie dennoch zu dämpfen versuchte, rechnete ich ihm durchaus als kleinen Pluspunkt an. Allein um unserer instabilen Beziehung Willen würde ich niemals offen zugeben, dass es mich eine kleine Überwindung gekostet hatte, meine Verbindung zu Jago auf diese extreme Art zu kappen – die Alternative seines Todes wäre zwar noch heftiger, aber diese große Distanz zu einem Menschen, der mir einmal sehr viel bedeutet hatte, hatte sich im ersten Moment nach der erfolgreichen Abwicklung wie ein tiefgreifender Verlust angefühlt. Verstandesmäßig wusste ich, dass dieser Schritt nötig gewesen war, um allen Beteiligten das Weitermachen zu ermöglichen und dennoch fühlte es sich im Herzen gleichzeitig wie eine Aufopferung an. Isaac würde es womöglich aufgrund seiner launischen Unsicherheit in den falschen Hals bekommen, obwohl ich inzwischen mit Überzeugung bestätigen könnte, dass ich meine Handlung nicht bereute. Er knabberte ohnehin an der angeblichen Perfektion meiner damaligen Beziehung, die von meinen Verwandten maßlos übertrieben dargestellt worden war. Jago gehörte von nun an einem abgeschlossenen Kapitel an. Irgendwie fühlte es sich sogar gut an, zu wissen, dass ich ihm sozusagen als stille Entschuldigung für das gebrochene Herz einen triumphalen Karrierestart ermöglicht hatte; abseits der Entwürfe für den Wiederaufbau des Engelpalasts. Im Vordergrund sollte aber Isaacs Entlastung stehen, weshalb ich ihm auf seine Bemerkung ein halbes Lächeln schenkte. Zu gut, um wahr zu sein. Vor ein paar Wochen hätte mich dieser indirekte Zweifel in gewisser Weise verletzt, aber gerade wusste ich es besser. Ich wollte die zur Abwechslung mal -mehr oder weniger - ungetrübte nicht mit dunklen Gedanken verpesten, nachdem sich auch Isaac regelrecht beschwingt zeigte. Zumindest deutete seine Berührung auf meinem Oberschenkel ganz darauf hin, dass Nähe vorerst wieder zwischen uns in Ordnung war. Wir achteten momentan vermehrt auf persönliche Grenzen, wobei natürlich auch die körperliche Toleranzschwelle eine entscheidenden Rolle einnahm. Ich genoss das Gefühl seiner schweren Hand, deren Wärme leicht durch die Vielzahl an Schichten meiner Kleidung sickerte, auf meinem Bein. „Ich lass‘ mich einfach überraschen“, kommentiere ich die Beschreibung unseres Aufenthaltsort für diesen wettertechnisch perfekten Samstagnachmittag. Die lockere Stimmung wurde nur von meiner Neuformulierung gedämpft, der Isaac schlussendlich zögerlich zustimmte. Seine weitere Ausführung besserte die Situation zwar nicht, bot mir aber einen tieferen Einblick in die Komplexität des Problems, mit dem sich der junge Mann auseinandersetzen musste, wenn diese Beziehung auf Dauer funktionieren sollte. Wir würden noch oft genug aufgrund Meinungsverschiedenheiten oder Missverständnissen aneinandergeraten, manchmal aus schwerwiegenderen Gründen als andere Male und ebendarum schien es mir so ausgesprochen wichtig, an unserer Kommunikation zu arbeiten. Ein Haufen Arbeit, von dem wir uns auch mal ein paar Stunden freinehmen durften, um die Unbeschwertheit unserer Zweisamkeit wieder aufleben zu lassen. Klang doch nach einem guten Plan, nicht wahr? Dass meine durchaus ernst gemeinte Erkundigung auf Amüsement stieß, traf mich zugegebenermaßen unerwartet, weshalb ich Isaac einen teils irritierten, teils staunenden Blick zuwarf. „Ich dachte nur, weil dein Wolf und du so stark verbunden seid“, brummelte ich eine leise Rechtfertigung, erklärte meine Neugier damit dann auch als befriedigt. Isaac tat mir dennoch den Gefallen und führte seine Anmerkung weiter aus. Ihn reizte meine artspezifische Genetik nicht mehr, was doch darauf hoffen ließe, dass er auch weitere Trigger mit ausreichend Geduld entschärfen konnte. Wie immer eine Frage der Zeit und ob wir uns diese auch tatsächlich nahmen. Eine Beziehung bedeutete Arbeit, erst recht nach dem unsanften Verlust der sogenannten rosaroten Brille. Gerade dann benötigte es schöne gemeinsame Erfahrungen, die wir hier wohl zu sammeln versuchten. Mitten in einer mir unbekannten Gegend, wo weit und breit lediglich ein eingeschneites Häuschen stand und wir mit dem einzelnen Auto zurückzuführenden Ausbleiben jeglichen Menschenkontakts rechnen durfte. Wie hoch war die Chance, sich ausgerechnet hier zufällig über den Weg zu laufen? Unbewusst hatte ich mich ein wenig aus dem durch die Sitzheizung herrlich warmen Plätzchen gelehnt, um einen interessierten Blick aus der seitlichen Scheibe zu werfen, während Isaac ohne viel Umtun den SUV in der Parkbucht abstellte. „Schön zu hören, dass ich von deinem Wolfsradar nicht mehr als Abschusskandidatin betrachtet werde“, scherzte ich sanft und schenkte ihm ein flüchtiges Grinsen, ehe ich mich anschickte, aus dem hohen Geländewagen zu klettern und im Anflug kindlicher Freunde direkt in den Schnee zu springen – dieses Mal entsprach meiner Kleidung auch den dafür erforderlichen Kriterien. Der mangelnde Platz machte es mehr zu einem motivierten Hopser, aber der Wille allein zählte in dem Moment, bevor ich ebenfalls zum Kofferraum stapfte und einen der hölzernen Schlitten herauszerrte. Da Isaac einen genauen Platz vor Augen zu haben schien, folgte ich ihm an dem Häuschen vorbei, entlang dessen kleinen eingezäunten Gartens und weiter in den tatsächlich mit der Zeit weniger dicht stehenden Wald. Unsere Schlittenkufen zogen feine Linien in den beinahe unberührten Schnee. Lediglich ein paar Trittsiegel verrieten die Anwesenheit von Waldbewohnern. Ein sehr idyllischer Ort, keine Frage. Wir kämpften uns ein paar Minuten durch das pulvrige Weiß, bevor Isaac mit der Hand auf ein abschüssiges Gefälle wies, das in einiger Entfernung auf einer Lichtung auslief.
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 Meine Freude nahm insgeheim diebische Ausmaßen an, weswegen sich das zufriedene Lächeln vorerst nicht verabschiedete. Isaacs positive Überraschung trug einen Großteil dazu bei, mich in meinem Handeln nachträglich bestätigt zu fühlen. Jagos Einfluss auf unser Miteinander hatte einen tiefen Krater geschlagen und um diese Kluft mit neuem Vertrauen aufzufüllen bräuchte es aktive Beteiligung an der Problembekämpfung. Außerdem tat ich es nicht nur um meine Beziehung zu retten oder Isaac eine Last von den Schultern zu nehmen… ich tat es auch für meinen Ex-Freund, an dem mir auf rein platonischer Ebene immer noch etwas lag. Das ließe sich vorerst nicht vermeiden und bis der Gestaltwandler Jagos Rolle in meinem Leben ohne Eifersuchtsdrama hinnahm, verlangte es eben nach Abstand und keinerlei gestreuten Unsicherheiten. Hoffentlich klärte sich damit auch die Frage, ob ich den jungen Architekten weiterhin als Konstante in meinem Leben wollte. Die Antwort lautete wider jeglichen Erwartens nein, nachdem ich mich lange mit diesem Thema auseinandergesetzt hatte, bevor ich die nötigen Hebel für Jagos Zukunft in Bewegung setzte. „Ich wusste nicht, ob es sicher klappen würde und wollte deshalb keine falsche Hoffnung schüren“, erklärte ich mein Schweigen, wobei sich Isaac mit Sicherheit mindestens einen weiteren Grund selbst zusammenreimen konnte. Sein Zwang zur Eigeninitiative besaß durchaus angenehme Seiten, konnte nur leider ebenso übers Ziel hinausschießen; immer diese zwei Seiten einer Medaille. „In zirka zwei Wochen. Aber er wird Anfang nächster Woche bereits für drei Tage nach Vancouver fliegen, um sich dort ein paar Wohnungen anzusehen, den Vertrag zu unterzeichnen und das restliche Team kennenzulernen.“ Wahrscheinlich hatte er es deshalb Theodore deshalb erzählt, um seine kurzfristige Reise nach Kanada zu erklären und dabei musste er wohl oder übel mit der gesamten Story auspacken. Da wir seit der Trennung nie über Zukunftspläne gesprochen hatten, verdankte ich meine Information Theo selbst, der weiterhin engen Kontakt zu Jago pflegte und mir deshalb einmal von diesem ausgeschriebenen Wettbewerb für Architektur-Absolventen erzählt hatte. Ohne diesem Einschreiben wäre mein Plan ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen. Ich hätte weder Jago noch das Planungsbüro ohne passender Grundlage zu einer Zusammenarbeit zwingen können. Manchmal spielte mir das Schicksal doch noch in die Hände, was wiederum sehr ermutigend auf meine Gesamteinstellung wirkte. Das Thema erlag kurzfristig meinem Irrglauben, uns verfahren zu haben. Isaacs Grinsen belehrte mich eines Besseren, weshalb ich die Erwähnung meiner teils immer noch durchscheinenden Naivität überging und stattdessen das in letzter Zeit so selten gewordene Anheben der Mundwinkel genoss. Da fiel es mir leicht zuzugeben, dass ich schlichtweg vom Naheliegendsten ausgegangen war und erwiderte leichthin: „Ich dachte, ich werde mich auf einer gesicherten Piste aufhalten, bei der ich nicht Gefahr laufe, gegen den nächstbesten Baumstamm zu brettern“. Schön, wenn er die Gegend wie seine rechte Westentasche kannte, ich verirrte mich mit meinem Glück samt Schlitten irgendwo in der verschneiten Winterlandschaft der Appalachen. Wenigstens durfte ich mich darauf verlassen, dass Isaacs feine Wolfsnase meine Witterung aufnehmen und mich aufspüren würde, sollte ich der Unwahrscheinlichkeit zum Trotz verloren gehen. Außerdem gefiel mir die Aussicht abseits Publikums. Das Debakel auf dem Weihnachtsball meiner Eltern hatte ohnehin für schreiende Schlagzeilen in diversen Klatschblättern gesorgt. In den meisten Zeitschriften ging es um unsere kriselnde Beziehung – aus der Traum schrieb eine Journalistin so aussagelos über das Foto eines in der Nacht davonfahrenden Sportwagens, der zweifellos auf Isaac Garcia zurückzuführen war – und nur selten wurde die innerfamiliäre Erbstreitigkeit aufgegriffen. Scheinbar schienen diese Informationen beinahe vollständig von meiner Mutter abgefangen worden zu sein und da es nur in einem Magazin angesprochen wurde, galt der Hype mehr der angeblichen Trennung kurz vor Weihnachten des angesagtesten jungen Ehepaars der Stadt. Eine selbstzerstörerische Art in mir drängte mich dazu, jeden einzelnen Artikel zu lesen und ein Klatschblatt hatte sogar den kreativen Einfall, die Scheidungsanwälte der Stadt in einer dünnen Spalte am Rande der Seite anzuführen. Sehr hilfreich, besten Dank. Isaacs sogenannte rebellische Jugendphase hatte früher ebenfalls sehr viel Platz in den lokalen Medien gefunden, ebenso sein regelmäßiges Verschwinden für mehrere Tage. Kaum jemand hatte herausgefunden, wohin es den umtriebigen Kerl während seiner Abwesenheit zog. Hier bekam ich die Antwort, obwohl ich mir inzwischen eine der Wahrheit sehr nahen Vermutung zusammengebastelt hatte. Einen aufgewühlten Wolf zog es in die Natur und hier wuchs Wald flächendeckend über viele Hektar Land. Anhand der Regelmäßigkeit seines Abtauchens ging ich davon aus, dass Isaac tatsächlich jeden Winkel erkundet hatte und damit die besten Plätze für etwaige Aktivitäten kannte. Dass diese Wanderungen im Wolfspelz auch einen grundlegenden Nachteil mit sich gebracht hatten, eröffnete mir der Dunkelhaarige nur zögerlich. „Damit ich es richtig verstehe… du hast einen relevanten Teil deiner emotionalen Entwicklung als Wolf durchlebt?“ Als Person ohne wechselnder Gestalt schwer nachvollziehbar, weshalb ich dankbar für den Schritt war, den die beiden Männer aufeinander zugegangen waren. Isaac brauchte Hilfe, die ihm sonst niemand geben konnte. Ich lernte selbst noch sehr regelmäßig Neues über Werwölfe und sein Ziehvater kam als Option gar nicht erst in Frage. Es freute mich zu hören, dass er seinen Stolz in gewisser Hinsicht überwunden und sich Sylvan anvertraut hatte. Dabei kam eine gänzlich unerwartete Frage in mir auf: „Du hast mir vor einer gefühlten Ewigkeit gesagt, dass der Wolf durch mein Engel-sein getriggert wird. Trifft das eigentlich noch immer zu?“ Zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit hatte er mich einen stinkenden Flattermann genannt und öfter in meine Richtung geknurrt als gut für das Aufbauen von Vertrauen war. Mein Naturell hatte ihm definitiv aufs Wolfs-Gemüt geschlagen, weil das bei natürlichen Feinden wohl so im Genom programmiert sein sollte, aber mich würde interessieren, ob er sich an diese abstoßenden Elemente schlichtweg gewöhnt hatte oder nach wie vor dagegen ankämpfen musste. Bei Engel fand die eingetrichterte Ablehnung gegenüber den Werwölfen im Kopf statt, hatte einen psychischen Ursprung – unser pelziges Pendant erlebte die Gegensätzlichkeit auch physisch. Zwar konnte ich nichts an meiner Spezies ändern, aber das Wissen darüber würde eventuell auch auf weite Sicht helfen, den Ursprung gewisser Reaktionen besser einschätzen zu können.
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 Ein kleines vorweihnachtliches Wunder geschah als meine Bitte oder besser mein hysterisches Forderung um Ruhe beherzigt wurde. Niemand klopfte diesen Abend mehr an die Tür und verlangte nach meiner Anwesenheit, damit die Gäste nicht zu reden begannen. Zwar schriebe mir ein paar der oberflächlichen Freunde, wo ich steckte oder ob es eine geheime zweite Party gab, zu der nur Auserwählte eingeladen worden waren. Angesichts der fünf grinsenden Emojis danach hoffentlich ein Witz, aber warum mit dem Verletzen von Gefühlen aufhören, wenn ich einen derartig guten Lauf verzeichnete? Ich drehte mein Handy einfach ab, legte es zurück in die kleine Tasche und diese blieb auf der Kommode direkt neben der verzierten Eingangstür zurück, während ich mich aus dem plötzlich viel zu engen Kleid schälte und in gemütlichere Kleidung wechselte. Ich brauchte Abstand zu allem, was mich an diesen katastrophalen Abend band. Auch zu meinen Gedanken, die im Vergleich leider nicht ganz so einfach abzuschalten und wegzuschieben waren. Normalerweise würde ich behaupten, mich in Sachen Selbstreflexion ganz gut anzustellen, aber vorerst fehlte mir die Energie, um über den zerstörerischen Streit mit Isaac nachzudenken. Ich wollte vorerst nicht herausfinden, in welchen Punkten ich die Beziehung schlimmstenfalls dauerhaft beschädigt hatte. Mein schlechtes Gewissen schlug mir jedenfalls stark aufs Gemüt und die Sehnsucht nach einem harmonischen Umfeld tat ihr Übriges, um mich äußerst unbehaglich in der eigenen Haut zu fühlen. Ich fühlte mich nicht nur allein, derzeit ließ sich mein Zustand mit keinem anderen Begriff besser beschreiben – ich hatte mich bewusst abgekoppelt und litt trotzdem darunter, welch Ironie an sich – sondern auch meinen jahrelang herangezüchteten Minderwertigkeitskomplexen ausgeliefert. Diese toxischen Selbstzweifel hatten ausreichend Zeit bekommen, um tiefe Furchen in meine Substanz zu schlagen, weshalb meine Gegenwehr manchmal auf taube Ohren traf. Ich musste aus dem Teufelskreis ausbrechen, aber für den Moment fehlten mir die passenden Werkzeuge und vor allem ausreichend Energie dazu. Also bemühte ich mich um Ablenkung bei der abendlichen Waschroutine, beim Versuch ein paar Kapitel in meinem Buch zu schaffen, aber nachdem ich eine Seite dreimal lesen musste und dennoch den Inhalt nicht erfasst hatte, schlug ich den Wälzer wieder zu und arbeitete mich stattdessen durch die Auswahl diverser Streaming-Dienste. Wenig überraschend explodierten die Weihnachtsfilme, allesamt Komödien oder irgendwelche Romanzen. Mir war weder nach lachen noch nach der Veranschaulichung meiner in Scherben liegenden Beziehung. Wahrscheinlich fühlte ich mich im Anschluss nur noch elender. Es lief also darauf hinaus, dass ich ins Bett kletterte, mich unter wärmenden Decken verkroch und kein Auge zu tat. Die Erschöpfung führte mich irgendwann nach Mitternacht in einen unruhigen Schlaf und hielt mich nicht ausreichend lang gefangen, um den Anflug von Kopfschmerzen und brennender Augen beim Erwachen zu verhindern. Unbewusst tastete ich auf die kalte, unbenutzte Bettseite und holte damit all die unschönen Erinnerungen schlagartig wieder aus ihrem schlummernden Schweigen. Erschreckend, wie falsch es sich anfühlte, den Tag nicht neben Isaac zu starten. Dieses Gefühl, das etwas Essentielles fehlte, ging weit über eine normale Gewohnheit hinaus und animierte mich dazu, all die unterschiedlichen Ereignisse des Vorabends erneut zu durchleben. Ich kämpfte mich verbissen durch die drei ausschlaggebenden Gespräche: zwischen Isaac und Jago, zwischen meine Mutter und mir und anschließend zwischen Isaac und mir. Ich fühlte mich im Nachhinein teils schuldig für die nach wie vor bestehende Unsicherheit seitens Isaac und gestand mir meinen Mangel an Initiative ein. Einsicht bildete immerhin ein gutes Fundament für jeden weiteren Schritt, wobei ich mir noch unschlüssig war, worin der Bestand. Ich besaß keinen Plan und derzeit fehlte mir die emotionale Handlungsfähigkeit, um der Ratlosigkeit zu entfliehen. Dafür setzte sich an anderer Stelle ein Puzzle von allein zusammen. Zumindest was meine Mutter betraf. Einmal hatte sie eine unverzeihliche Schwelle überschritten, weshalb ich nicht einschätzen konnte, inwiefern sich ihre Bereitschaft zur Gewalt weiterentwickeln würde. Es stand außer Frage, dass wir in gar nicht so ferner Zukunft erneut aneinandergeraten werden. Womit hatte ich also zu rechnen? Um eine Wiederholung definitiv aus der Wahl an Möglichkeiten zu streichen, musste ich die Sache selbst in die Hand nehmen… und aufhören, ständig auf das Beste in meinen Mitmenschen zu hoffen, zweite Chancen ungerechtfertigt zu verteilen. Manche verdienten einen weiteren Anlauf, manche nicht. Klang in meiner Vorstellung ziemlich einfach, aber die Umsetzung stellte mich immer wieder vor Probleme. Zudem wusste ich nicht, wo ich anfangen sollte. Als es verhältnismäßig zurückhaltend an meiner Tür klopfte, vegetierte ich noch immer im Bett herum, aber entschied mich, die Isolation zu beenden. Man mochte mir eine gewisse Eitelkeit unterstellen, doch dafür konnte mir mein mitgenommenes Aussehen mit den zerknautschten in alle Richtung zeigenden Locken kaum egaler sein. Misstrauisch zog ich die Tür einen Spalt auf und wurde sogleich ein Stück nach hinten geschoben, als ausgerechnet Lysander sich ungeduldig in den Raum schob – dicht gefolgt von Theodore, der mich mit einer Mischung aus Bedauern und Frustration bedachte. Es ließ sich nicht einschätzen, welche der Emotionen sich konkret an mich richtete, daher half ich der ungewöhnlichen Situation ein wenig nach: „Was wollt ihr hier?“ Wenig einladend stand ich mit vor der Brust verschränkten Armen im Wohnbereich, während meine Brüder sich im restlichen Raum verteilen. Mein ältester Bruder verriet mir, dass Theo ihm von der Auseinandersetzung mit unsere Mutter berichtet hatte. Er verlangte nach keiner Rechtfertigung meinerseits, sondern wollte die Eskalation scheinbar aus erster Hand beschrieben bekommen. Wir redeten lang darüber, umschifften dabei wohlwissend den Auslöser des Unglücks und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich meinen Brüdern wieder etwas verbundener. Sie ergriffen beide Partei für mich, suchten die Schuld nicht bei mir. Meine Erleichterung ließ sich trotz des verbesserungswürdigen Verhältnisses zu meinen Geschwistern und der noch unausgesprochenen Erb-Geschichte kaum mit Worten beschreiben. Zwar änderte dieses Zugeständnis nichts an dem ewig anhaltenden Konkurrenzdenken zwischen uns, aber die Gewissheit, dass wir nach wie vor eine kleine Einheit darstellten, beruhigte mein überlastetes Nervenkostüm fürs Erste. Dass sich Isaac ebenfalls noch mit der Bitte, ihm ein paar seiner Sachen in das am Rande der Stadt liegende Häuschen zu bringen, verbuchte ich als zusätzliche positive Entwicklung dieses Vormittags, weshalb ich mich nach einem zurückgezogenen Mittagsessen in meinen Räumlichkeiten zusammenpackte und zu dem Anwesen fuhr. Das flaue Gefühl im Magen zwang mich, ein paar Minuten in dem beheizten Auto sitzen zu bleiben und das Haus anzustarren, als würde es einer sagenumwobenen, lokalen Gruselgeschichte entspringen. Dabei wartete nur mein Freund auf mich. Nichts Tragisches oder vor dem ich mich fürchten sollte. Trotzdem suggerierte mir meine Nervosität etwas anderes: wartete die nächste Erschütterung unserer Beziehung hinter dem noch fassadenlosen Mauerwerk? Wenn ich hier wie ein Feigling sitzen bliebe, fand ich es definitiv nie heraus, weshalb ich mir einen metaphorischen Schups gab, die Reisetasche auf dem Beifahrersitz schnappte und ausstieg. Mein Blick fiel nur kurz auf Isaacs Luxusschlitten, der mit einer feinen Schneeschicht bedeckt wurde, die über Nacht gefallen war, bevor ich durch den Schnee-Erde-Matsch hinüber zum Haus stapfte. Glücklicherweise hatte ich mich für meine gefütterten Gummistiefel entschieden, die meine Zehen trocken und warm hielten, bis ich die Eingangstür erreichte und den Schlüssel mit einem Klicken im Schloss drehte. Im Inneren empfing mich eine behagliche Wärme, während ich die Stiefel von meinen Füßen striff und in dicken Kuschelsocken ein paar Schritte durch das Wohnzimmer machte, wo ich auch die Reisetasche mit Isaacs Sachen und seinem verpackten Weihnachtsgeschenk auf der anhand der zerknautschten Decke offensichtlich benutzten Couch abstellte. Isaac hatte mir bereits beim Betreten des Hauses seinen Aufenthaltsort verraten, sodass ich letztendlich die Stufen in den ersten Stock erklomm, wo ich ihn schlussendlich in einer völlig unerwarteten Situation auffand. Zartlila schimmernden Augenringe erzählten von einer schlaflosen Nacht, die Haare standen ihm etwas zu Berge – nicht unattraktiv – und trotzdem überraschte mich am meisten der Pinsel in seiner Hand; und die stechend weißen Farbkleckse auf seinem zerknitterten, schwarzen Hemd. Ein sehr ungewöhnlicher Anblick, aber nicht ablenkend genug, um die mit weiter Wandfarbe geschriebene Auflistung zu ignorieren. Stumm ließ ich die geballte Negativität auf mich wirken, vergrub die Hände in den Taschen meiner offenstehenden Winterjacke, die ich vorhin nicht ausgezogen hatte. Mir fehlten im ersten Moment die Worte, daher schüttelte ich nur stumm den Kopf. Hoffentlich erwartete Isaac nicht ernsthaft eine Ergänzung meinerseits. Ich setzte mich im Schneidersitz neben ihn, wir starrten gemeinsam die Wand an und irgendwann ließen sich die ausstehenden Entschuldigungen aussprechen. Wir unterhielten uns eine Stunde über Schiefgelaufenes, versuchten Missverständnisse aufzuarbeiten und Gefühltes ohne gegenseitige Anschuldigungen zu erklären. Ein vorsichtiger Tanz über eine sehr frische, sehr dünne Eisschicht. Wir verabschiedeten uns mit der Einigung, noch ein paar Tage getrennt zu verbringen und so gut mir der Abstand tat, freute ich mich bereits darauf, als Isaac endlich wieder im Palast aufschlug. Obwohl seine Rückkehr mit gewissen Stolpersteinen in Verbindung stand, verbesserte sich unser Verhältnis langsam. Meine Eltern begegneten ihm mit milder Ignoranz, während meine Brüder sich an etwas Offenheit versuchten, nachdem sich Isaac offiziell für die unbedachte Kundmachung entschuldigt hatte. Wir rauften uns so weit zusammen, dass Silvester sogar als schöne gemeinsame Erfahrung verbucht werden dufte – trotz Jagos Anwesenheit. Wochen verstrichen und eine vorsichtige Annäherung entwickelte sich auf der Basis von weiteren klärenden Gesprächen. Isaac arbeitete sichtbar an seinem Verhalten, was mich wiederum motivierte, ebenfalls Resultate zu zeigen – oder zumindest meine Bemühungen offensichtlicher nach außen zu tragen. Großteils. Isaac nahm sich zum Abreagieren seinen Freiraum und ich begrüßte diese neue Bewältigungsstrategie, da die anschließenden Diskussionen weitaus glimpflicher als alle davor abliefen. Meinerseits achtete ich dafür vermehrt auf meinen Umgang mit dem Gestaltwandler in Angesicht meiner Verwandtschaft beziehungsweise deren Verhalten ihm gegenüber. Mehrmals erinnerte ich gewisse auf die Tradition verbissene Mitglieder des Clans auf ein friedvolles Miteinander, das Toleranz und Akzeptanz voraussetzte. Bei einem sehr uneinsichtigen Großvater einer meiner Cousinen war mir sogar in einem unüberlegten Moment herausgerutscht, dass er sich gefälligst eine neue Bleibe suchen sollte, wenn ihm die Anwesenheit eines Werwolfs in den heiligen Hallen seiner Heimat derart sauer aufstieß. Es sollte gesagt sein, dass ich an dem Tag keine Sympathiepunkte sammelte. Aber klare Statements halfen, die Abneigung und Herablassung wenigstens hinter unseren Rücken auszuleben – meistens. Ein paar Zärtlichkeiten nebenbei trugen ebenfalls sehr dazu bei, die Bruchstücke wieder zu kitten. Wer bereits einmal eine zerbrochene Vase zu reparieren versucht hatte, wusste, dass man die einzelnen Scherben mit viel Aufwand lange zusammendrücken und halten musste, ehe man sich der nächsten Bruchstelle widmen durfte. Mit anderen Worten: wir brauchten Zeit, um die offenen Wunden zu versorgen und sie zu Narben verblassen zu lassen. Und eigentlich stellten wir uns gar nicht so schlecht damit an. Wir hatten für Samstagnachmittag ein bisschen Zeit zu zweit eingeplant, davor stand jedoch noch das Mittagessen mit meinen Geschwistern an. Meine Eltern ließen sich bei der Mahlzeit nicht blicken und Lysander entschuldigte sich zwei Stunden davor aufgrund eines Notfalls, den er aber nicht weiter ausführte. Also saßen nur Theo, Isaac und ich an dem großen Tisch in dem hellen, mit Stillleben dekorierten Esszimmer. Wir verbrachten die Nahrungsaufnahme überwiegend schweigend, als mein Bruder die Stille mit einer Neuigkeit unterbrach, die mich ohne großartiger Gefühlsregung aufsehenließ. „Ich habe keine Kontakt mehr zu Jago“, erklärte ich wahrheitsgetreu und ging damit auch nicht näher auf die lautlose Unterstellung ein. Mein Bruder brauchte nicht zu erfahren, dass ich das namhafte Unternehmen, das das Projekt ausgeschrieben hatte, höchstpersönlich angeschrieben und beinahe mit der kriminellen Energie eines Erpressers auf Jagos Einreichung aufmerksam gemacht hatte. Vielleicht nutze ich es doch hier und da aus, einen sehr einflussreichen Nachnamen zu tragen – wenn ich die Bürde der gesellschaftlichen Elite schon (er-)trug, dann verlangte ich ebenso die Vorteile davon. Theodore würde an keine relevanten Hinweise gelangen, da nur ich von dieser kleinen Abmachung hinter verschlossenen Türen wusste. Vorerst durfte die Angelegenheit darauf beruhen. Mein schlechtes Gewissen darüber, Isaac ebenso im Dunklen tappen zu lassen, hielt sich in Grenzen. Früher oder später erfuhr er es ohnehin. Es passierte früher. Nämlich in dem SUV meiner Familie auf dem Weg in die nahen Berge, um mit den Schlitten ein paar Pisten hinunterzusausen. „Jago ist ein maßgebliches Problem für dich und sabotiert in weiterer Folge unsere Beziehung. Ich habe mich darum gekümmert, ihm einen Neustart zu ermöglichen.“ Das selbstzufriedene Lächeln schlich sich unbemerkt auf meine Lippen, das berechnende Funkeln in meinen Augen geschah dahingegen absichtlich. „Auf meine Art“, fügte ich schlussendlich doch noch hinzu. In all der Zeit, die ich mit Nachdenken und Reflektieren verbracht hatte, war mir zudem aufgefallen, dass Jago in einer maximal ungemütlichen Situation festhing: er durfte dabei zusehen, wie seine ausgespannte Freundin glücklich und zufrieden mit einem anderen Mann weiterlebte und kam selber aufgrund dem noch ausbaufähigen Karrierestart nicht aus der Gegend raus, um ebenfalls sein Glück woanders zu suchen. Ich hatte lediglich das Nötige veranlasst, um ihm diesen Neuanfang zu ermöglichen… und die Beziehung dadurch von der einflussreichsten, externen Belastung befreit. „Hätten wir da nicht abbiegen müssen?“, wechselte ich ganz abrupt das Thema und deutete auf die Abbiegemöglichkeit, die in der Sekunde ungenutzt an uns vorbeizog. Das Schildchen mit dem Lift und einem Schlitten würde zumindest vermuten lassen, dass wir ab jetzt einen Umweg nahmen.
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 Der Abend zehrte an meinen Kräften und dieser Streit schien auch die letzten Energiereserven gierig aufzusaugen. Missmutig kniff ich mir mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel und atmete anschließend einmal tief durch, um meine Fassung endlich zurückzugewinnen. Leichter gesagt als getan. In mir brodelte es weiterhin gefährlich heiß und doch schaltete sich zwischendurch wieder genug Vernunft dazu, um einzusehen, dass dieser Streit auf keinen fruchtbaren Boden mehr stattfand. Wir wurden gehässig und destruktiv. Wollte ich, dass diese Beziehung funktioniere? Auf jeden Fall. Daher zwang ich mich zur Ruhe, presste meine aufgekratzten Emotionen in eine kleine metaphorische Truhe zum Abkühlen. Später würde ich den ganzen Knoten an Gefühlen wieder ans Tageslicht kramen und mir einzeln vornehmen. Alleine. Bestenfalls ohne der Frage, was zwischen Isaac und mir nach dieser Katastrophe noch übriggeblieben war. Ich bemühte mich wirklich, meine Anspannung aus dem Muskeln zu vertreiben und den anklagenden Unterton aus meiner Stimmlage zu verbannen, aber meine Miene blieb ein offenes Buch. Das wünschte er sich doch. Ich sollte meine Gedanken nicht hinter kühlen Objektivität verbergen, also bekam er auch den bösen Blick zu spüren. Seine Frage provozierte es ja geradezu und testete mein instabiles Konstrukt der Ruhe. Als käme er mit diesem Geschrei und den Anschuldigungen besser zurecht, weil diese Form der Kommunikation am stärksten verinnerlicht hatte. Ich nicht – mir ging es stark an die Substanz. Ebenso wie sich jede weitere Entgegnung seitens Isaac wie ein mehr oder weniger stark ausgeführter Hieb anfühlte. Gewisse Seitenschläge drangen stärker zu mir durch als andere. Beispielsweise diese zurecht hinterfragte Angewohnheit, es meinen Eltern trotz unzähliger Fehlschläge immer noch rechtmachen zu müssen. Es gab keine logisch-rationale Erklärung dafür. Es ähnelte mehr einem unnachgiebigen Zwang, der wie ein hartnäckiger Ohrwurm in meinen Gehirnwindungen feststeckte. Ich durfte nicht verlangen, dass Isaac dieses Bedürfnis nach elterlicher Wertschätzung nachvollziehen konnte. Trotzdem erschwerte es seine einsichtslose Haltung enorm und ich weigerte mich, ihm in diesem Punkt noch mehr Angriffsfläche zu bieten. Ich machte die Schotten diesbezüglich dicht, dafür ging mir das Thema zu nah. Zusätzlich schrammte es stark an der Tatsache vorbei, dass ich die Handgreiflichkeit zuerst vollständig verarbeiten musste, um mir anschließend wieder ein Bild von meinen Wünschen bezüglich meines Familienlebens zu machen. Was ich jedoch wusste: meine Harmoniebedürftigkeit – allgemein als Engelseigenschaft bekannt, aber wohl nur rezessiv vererbt – wollte die noch so toxischen Verhältnisse zu gewissen Familienmitgliedern nicht aufgeben. Trotz des Bewusstseins, dass man mir schneller den Rücken zukehren würde. „Ich will meine Familie aufgrund von auf Tradition basierenden Uneinigkeiten nicht fallen lassen.“ Meine Mutter ausgeklammert, denn noch herrschte da zu viel Schmerz in mir, um einen rationalen Beschluss zu fassen. „Wenn ich ausziehen und allen den Rücken kehre, dann laufe ich im Grunde einfach nur vor einer unangenehmeren Option weg.“ Dann machte ich mich absolut abhängig von Isaacs Präsenz in meinem Leben, weil ich sonst niemandem mit einer ähnlichen Bürde hatte. Es fiel mir unglaublich schwer, diese letzte Rückversicherung aufzugeben. Vor allem in dem Licht, dass Isaac seine wölfische Übermacht nach wie vor gegen mich verwendete, mir absichtlich Angst einjagte und seine Raubtierseite zu seinem Vorteil ausspielte. Vielleicht nicht mit Vorsatz, aber unterm Strich tat er es und das reichte aus. Wie oft konnte man ohne bleibende Schäden innerhalb kürzester Zeit am Boden der Tatsachen aufschlagen? Die endgültige Ernüchterung kam gleichzeitig mit der Erkenntnis über mich, dass ich Isaac ebenso wenig reichte. Nicht genug verhöhnte mich meine eigene Kopfstimme gehässig und am liebsten würde mich mir die Hände über die Ohren halten, aber das half erfahrungsgemäß nichts. Ich wählte einen anderen Weg: Augen zu und durch. „Was unterscheidet dich denn von den anderen. Versuchst du gerade nicht, mich zu beeinflussen? Bestimmt auch mit den besten Absichten und ganz uneigennützig“, entgegnete ich hart. Vielleicht sollte er sich nicht wie ein kaltherziges Arschloch verhalten. Ich verbat es mir, derart auffällig zu werden, obwohl alles in mir danach verlangte, die mühsam zusammengekratzte Ruhe über Bord zu werfen und im nächsten Wutanfall abzutauchen. Zumindest wäre diese zornverhangene Taubheit angenehmer als der saubere Genickbruch, mit dem Isaac diese Auseinandersetzung für mich beendet hatte. Ich sah ihm die Zweifel an, wie er all seine Entscheidungen mit einem Mal erneut überdachte und womöglich zu einer neuen Ansicht gelangte. „Hast du jemals vor, etwas aufzubauen, ohne das Fundament immer wieder davor zu beschädigen oder zu zerstören?“, stellte ich ihm die Gegenfrage. Wie vermutet besaß der Dunkelhaarige ausreichend Empathie, um zu verstehen, welche Schmerzen diese Unterhaltung hervorrief und trotzdem hörte er nicht auf zu reden. Diese verfluchte Stimme verhöhnte mich ebenfalls noch immer mit denselben wiederkehrenden zwei, leise geraunten Wörtchen. Im Grunde verwendete Isaac lediglich eine hübschere Verpackung, aber der Konsens blieb gleich: nicht genug. „Vielleicht sollten wir an der Stelle hinterfragen, was wir wollen und im Gegenzug dafür zu geben bereit sind.“ Ich bastelte mir einen armseligen Fluchtweg, bevor auch der klägliche Rest meiner Seele zerbrach. Ohne auf Isaacs Erwiderung zu warten, floh ich aus dem plötzlich viel zu eng wirkenden Raum. Ja, welch rücksichtslose Doppelmoral, dass ich vorhin noch darüber schwadroniert hatte, vor Problemen nicht wegzulaufen und nun aber Reißaus nahm, als hinge mein Leben davon ab. Ich versuchte sogar dem finsteren Stimmchen in meinem Kopf zu entkommen. Weit kam ich nicht, gerade mal bis zu der majestätisch geschwungenen Treppe in den ersten Stock hinauf. Zirka bei der Hälfte der Marmorstufen fing mich Theodore ab und hielt mich am Oberarm fest, sodass ich mich gezwungenermaßen zu ihm umwenden musste. „Was ist passiert? Wir haben dich überall gesucht, nachdem du nicht mehr im Festsaal aufgetaucht bist“, erkundigte sich mein Bruder, wobei ich die leichte Spur der Anklage überdeutlich heraushörte. „Ich habe keine Lust mehr und will allein sein“, fertigte ich ihn kurzbündig ab und zog an meinem Arm, jedoch ohne Erfolg. „Riccarda.“ Ich funkelte ihn wie ein bockendes Kind an, immerhin behandelte er mich auch wie eines. Allein, wie er meinen Namen aussprach. Nun schien er mich aber auch erst richtig anzusehen, denn seine Augen wurden plötzlich groß und eine atypische Härte manifestierte sich in seinen Zügen. „Was hat er getan?“ Argwohn hielt sich mit Bestürzung die Waage. Anscheinend sah man mir diverse Gefühlsausbrüche der letzten verstrichenen halben Stunde an. Der Griff um meinen Oberarm wurde unangenehm fest, weshalb ich nun meine Hand zur Hilfe nahm, um mich von seinem Halt zu befreien. Ich verlor schon wieder die Kontrolle über meine Gefühle – neuer Gegner, neue Runde. „Warum muss immer Isaac an allem schuld sein?“, fuhr ich meinen Bruder an, der überrascht einen Schritt zurückfuhr. „Mutter hat mir eine verpasst, nachdem ihre sonstige Moralpredigt scheinbar keinen Eindruck mehr auf mich gemacht hat. Bitte schön, da hast du den Bösewicht in der Geschichte und jetzt lasst mich verdammt noch mal alle in Ruhe!“ Zum Ende hin nahm meine Stimme einen kratzig schrillen Ton an, der gut und gerne an Hysterie erinnerte. Ich fühlte mich wie ein bei der Jagd in die Enge getriebenes Wildtier. Immerhin verdutzte der Anfall meinen Bruder ausreichend, um keinen Gegenwind zu erhalten, sondern einfach verschwinden zu können.
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 Meine Vorahnung erfüllte sich: dieser Streit mochte vielleicht aus einem Fehltritt geboren worden sein, jedoch kamen ganz andere Schattenseiten aus den geheimen Tiefen unserer Seelen empor, je intensiver wir uns Grausamkeiten vorwarfen. Da der Großteil unserer Beziehung aus Streitgesprächen und explosiven Auseinandersetzungen bestanden hatte, wussten wir leider zu genau, welche Schalter wir jeweils bedienen mussten, um die wunden Stellen zu erwischen. Nur dass Eifersucht nicht zu meinem Repertoire an Lastern zählte und mich sein geschildertes Szenario deshalb höchstens oberflächlich pikste. Außerdem war ich zuhause und dennoch bräuchte ich nur in den Festsaal hinübergehen und würde auf ausreichend Verflossene des Dunkelhaarigen treffen. Mir fielen die sehnsüchtigen Blicke auf, die sie ihm schenkten; ebenso wie die finsteren, die ich abbekam. Der einzige, aber elementare Unterschied lag darin, dass Isaac nie etwas Ernstes von diesen Damen wollte und sich nicht bekehren ließ. Jago und ich hatten eine sehr ernste, sehr offizielle Beziehung miteinander. Das Argument seiner ehemaligen Liebschaften wies zu viele Schwachpunkte auf, um hier angeführt zu werden. Die Tatsache reichte aber nicht aus, um mich dieses indirekte Eingeständnis kommentarlos hinzunehmen. „Es tut weh, weil du mir nicht glaubst, dass ich mich für dich entschieden habe. Hör auf, meine Wahl anzuzweifeln!“ Oder wollte er Zweifel sähen, damit ich Bedenken fand, wo eigentlich keine existierten? „Ich ziehe bei Mord durchaus eine Grenze, allerdings“, bestätigte ich ihm mit Nachdruck. Zwar hatte ich Jago aus meinem sozialen Umfeld bestmöglich verbannt und wenn er mit seiner Präsenz im Schloss glänzte, mied ich seine Aufmerksamkeit. Das hieß trotzdem nicht, dass ich es für gut befand, wenn Isaac kurzen Prozess mit ihm machte. „Es ist ja auch überaus mutig, jedem an die Gurgel zu springen, weil dir die Person, aus welchem Grund auch immer, nicht in den Kram passt.“ Ich überspielte damit den Schlag unter die Gürtellinie. Sämtliche verletzte Gefühle mussten auf einen späteren Moment geschoben werden, um mich ausreichend damit zu beschäftigen. „Ich habe noch nie diesen unrealistischen Ansprüchen gerecht werden können, keine Sorge“, giftete ich unfreiwillig energisch zurück. Oh, Isaac wusste genau, welche Wunden er da aufriss. Und ich bemerkte ebenfalls, als ich übers Ziel hinausgeschossen war. Die unterschiedlichen Emotionen – auf einer Skala von Trauer, Schock und Wut – huschten in rasanter Abfolge über seine angespannten Gesichtszüge und ich erkannte sogar das Muskelspiel unter dem Hemdstoff. Meine Schultern und Oberarme spannten sich nach einer kurzen Ruhephase sogar noch mehr an. Ich verstand die Anzeichen. Sein mörderischer Blick reichte, um die neue Rollenverteilung binnen Sekunden zu verdauen und ihn mit anderen Augen zu sehen. Seine wölfische Seite gewann die Überhand. Jene Seite, die meinem Leben in pelziger Form bereits einmal gefährlich nahegetreten war. Immerhin knurrte nicht an, sondern schrie mich inbrünstig an. Das Sprichwort “Rückzug ist manchmal die beste Verteidigung“ nahm ich mir in diesem Fall besonders zu Herzen, wich mit jedem von Isaacs Schritten ebenfalls zurück. Zumindest soweit es die Physik des Raums samt Dekor und Mobiliar zuließ. Sein Zorn rollte wie eine gewaltige Welle über mich hinweg, aber mir stand nicht der Sinn danach, klein beizugeben und mich von seinem zugegebenermaßen bedrohlichen Auftritt überdurchschnittlich einschüchtern zu lassen. „Gut. Dann ziehen wir doch zu dir. Die letzte Zusammenführung mit deiner hier ansässigen Familie hat doch so gut funktioniert. Schauen wir, wer von uns beiden zuerst unter dem Alpha draufgeht. Denn darauf liefe es hinaus. Hier ist es weiß Gott nicht angenehm oder gar einfach zu leben, das ist kein Geheimnis, aber meine Verwandtschaft bringt dich immerhin nicht dafür um, weil du keiner von ihnen bist.“ Ich bin mehr zuschnappenden Wolfsgebissen in diversen Rudeln begegnet als er öffentlichen Anfeindungen innerhalb der Engelsschar. Unsere Entscheidung, im Engelspalast zu wohnen, kam nicht von ungefähr. Im Grunde schrien wir uns nur mehr an. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wohin uns dieser Streit führen würde, aber ich fürchtete, dass wir in diesem Zustand der aufgewühlten Emotionen und erhitzten Gemüter auf keinen gemeinsamen Nenner kämen. Es wäre vernünftig, einen Schlussstrich zu ziehen. Wäre. Konjunktiv. Aber derzeit fühlte ich mich der Vernunft sehr fern. Unvernünftig fern. Ein gequälter Laut presste sich über meine zusammengekniffenen Lippen. Ich hörte dieses Eingeständnis hinsichtlich seines Kontrollverlusts nicht zum ersten Mal. Wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal. Das Thema verfolgte uns bereist eine Weile und ließe sich auch – wie Isaac so nachdrücklich erwähnte – demnächst nicht aus der Welt schaffen. Trotzdem platzte mir der Kragen, als Isaac erneut von Jago begann. „Ich liebe ihn aber nicht mehr. Versteh das doch endlich, du sturer Bock. Ich liebe dich, verdammt!“ Meine Stimme nahm einen der Verzweiflung verdächtig nahen klang an. Am liebsten würde ich diesen großen Mann kräftig schütteln, damit diese Aussage endlich an den richtigen Platz fiel und dort Wurzeln schlug. Und weil ich ihn liebte, tat es ausgesprochen weh, dass er mir nicht glaubte. Dass ihm meine Bestätigung nicht reichte. Die Ratlosigkeit verschwand mit seiner Unterstellung. Nun sah ich ihn mordlustig an. „Wieso sollte ich dir den Alpha-Wolf austreiben? Ich will von dir einfach nicht als Eigentum betrachtet werden, das du mit Knurren und Morddrohungen verteidigst“, fuhr ich ihn ungehalten an. Territorialität beschrieb per Definition die wahrgenommenen Besitzansprüche von räumlichen Begebenheiten. Ich war kein Revier und auch kein markanter Baumstamm, der zum Abstecken passend erscheint. Ich war ein Mensch – ein Engel – mit zutiefst gekränkten Gefühlen in einer immer weiter eskalierenden Situation.
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 Es handelte sich um eine schlechte Idee, dieses erbarmungslose Gespräch im Angesicht aufgewühlter Gefühle zu führen, aber wann gab es schon den optimalen Moment für eine unangenehme Aussprache? Wir würden sehen, ob sich Isaac bereit für einen normalen Umgang zeigte oder seine gewohnte Masche abziehen wollte – immerhin verlor ich in meiner Frustration den klaren Blick, diese Rolle war also besetzt. Womöglich bemühte sich der junge Mann um eine gewisse Ruhe, ich sah ihm im Grunde dabei zu, wie er sich abwandte und die Haare raufte. Ob es etwas nützte? Abwarten. Das geknurrte Murmeln klang wenig vielversprechend, zudem sprach er keine Neuigkeit aus. Ich verstand seine Eifersucht beziehungsweise die Ablehnung bis zu einem gewissen Grad, aber irgendwo gab es Grenzen in meiner Nachsicht und die war an dem heutigen Abend definitiv mit seinen kundgetanen Besitzansprüchen gesprengt worden. Ich stellte kein Revier dar, dass man markierte und anschließend zähnefletschend verteidigte. „Aber du hast die Bombe platzen lassen“, griff ich Isaacs Wortlaut auf. „Jeder nimmt sich doch das Recht heraus, über unsere Beziehung zu urteilen. Über mich. Über dich. Das Thema hatten wir bei Silvan bereits. Ich kann ihm schwer den Mund oder den Umgang mit meinen Brüdern verbieten“, hielt ich dagegen an. Ich rang zwar um Fassung, aber Isaacs Bestätigung zur Berechtigung meiner Wut zu hören, tat überaus gut. Ich wollte nämlich gar nicht von dem lodernden Zorn in meiner Brust ablassen. Gerne hätte ich ihm all die negativen Gefühle um die Ohren geschmissen, aber dabei handelte es sich gewissermaßen um Neuland für mich, weswegen meine Vorgehensweise konfus und impulsiv vonstattenging. „Nein, wussten wir nicht. Ich war davon überzeugt, dass du über seine Provokationen stehen könntest, egal, wie sehr er dich reizt. Dass du besser bist. Dass du weißt, dass wir ein Team sind.“ Als ob Isaac nicht in irgendeiner dunklen Gehirnwindung nachvollziehen konnte, wieso Jago ihn derartig hasste; die Zwangsehe hatte unsere solide Beziehung absolut unvorbereitet und abrupt beendet. Von einem Tag auf den anderen musste Jacob seine Freundin in die Hände eines anderen abgeben, dass ich hierbei wie eine Trophäe herumgereicht wurde, klammerte ich an der Stelle entschieden aus. „Hier verreckt niemand, verstanden“, blaffte ich Isaac an. „Und ich lass meinen verdammten Ex sicher nicht deine alleinige Sorge sein. Du hast ja bewiesen, wie hervorragend du dich unter Kontrolle hast.“ Merkte Isaac eigentlich, wie furchtbar arrogant und abschätzend er in meinen Ohren klang? Er machte mich fuchsteufelswild. Als ob es in seinem Recht lag, hier die Aufgaben zu verteilen – wir hatten schon eine klare Abmachung, an die wohlgemerkt er sich nicht gehalten hatte! „Ach, darum darf ich mich kümmern… oder funkst du dann auch deinem Ermessen nach dazwischen und fährst die ganze Sache gegen die Wand?“ Endlich versiegten die Tränen. Zumindest spürte ich keine der salzigen Nachzügler mehr über meine Wangen rollen. Vielleicht waren sie im Anbetracht der Hitze in mir einfach auf meiner Haut verdampft. Dafür spürte ich sehr deutlich, wie unser hart erarbeitete und dennoch nur brüchige Harmonie einen Knacks abbekam. Einen tiefen Knacks. Egal, ob ich seinen Zorn hinsichtlich der Handgreiflichkeiten mir gegenüber teilte. Egal, dass er sich diesbezüglich für mich stark machte und mich beschützen wollte. Es änderte nichts daran, wie offensichtlich Isaac sich zum wiederholten Male für einen wütenden Ausbruch entschied und lediglich auf seine Art und Weise des Problemumgangs zurückgriff. Er wurde übergriffig. „Es existiert aber nicht nur deine Welt“, warf ich ihm aufgebracht gegen den Kopf. „Wenn du es schon so differenzieren willst, von mir aus. In meiner Welt gibt es einen sitzengelassenen Ex-Freund. In meiner Welt gibt es ebenso toxische Familienverhältnisse. In meiner Welt wird gerne der Schein bewahrt. Du hast dich wissentlich auf all das eingelassen, damit wir die Chance auf eine gemeinsame Welt bekommen. Und ich habe dir geglaubt. Ich habe dir jedes verdammte Mal geglaubt, dass es dir ernst genug ist, um durchzuhalten.“ Mein Frust fand seinen Gipfel. „Wie soll es jemals zu unserer Welt werden, wenn du schlussendlich trotzdem nur nach deinen eigenen Spielregeln spielst und dann mit Wutausbrüchen versuchst, deine Territorialität zu rechtfertigen und wahren Gefühle zu unterdrücken?“ Ich erinnerte mich zu genau an die Unterhaltung in Silvans Anwesen und an seine Einsicht. In dieser Situation hätte er es beweisen können, denn Taten sprachen mehr als Worte. Stattdessen rutschte Isaac in seine altbewährten Gewohnheiten und riss in seiner wutinduzierten Kurzsichtigkeit alles mit in den Abgrund.
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 Hier standen wir nun, versteckten uns wohlwissend hinter verschlossener Mimik, während zwischen uns eine einst überwundene Kluft erneut aufriss. Die Sache mit dem Vertrauen war eine verflixt heikle Angelegenheit; viel zu zerbrechlich. Und ich fühlte mich in zweierlei Hinsicht erschüttert: Isaacs Verrat lastete schwer auf unserer Beziehung, aber meine Mutter hatte eine Grenze derart endgültig überschritten, dass ich mich seltsam losgelöst und… verlassen fühlte. Meine mentalen Kapazitäten reichten nicht aus, um beide Probleme in Angriff zu nehmen, gleichzeitig weigerte ich mich aber, überhaupt eine Sache ansprechen zu wollen. Gerne hätte ich mehr Zeit bekommen, um meine chaotischen Gedanken zu sortieren und meinen Standpunkt zu festigen. Alles in mir stand Kopf. Zu gern wollte ich mich in Isaacs Arme werfen, die Anschuldigungen und enttäuschten Gesichter meiner Familie in dem Wissen seiner Unterstützung verarbeiten, aber der Widerwille, mich ihm nach diesem jüngsten Vertrauensbruch direkt wieder offenzulegen, gewann den internen Wettstreit. Außerdem müsste ich ihm dann auch die Standpauke inklusive des überraschenden Übergriffs schildern, damit er das volle Spektrum meines emotionalen Ungleichgewichts verstand. Noch schien Isaac nichts zu ahnen, anderenfalls würde er sich kaum nach meinem Wohlergehen erkundigen. Mir fiel eine kleine Last von den Schultern, zu wissen, dass er sich tatsächlich aus dem Gespräch rausgehalten hatte und sich seines Fehlverhaltens bewusst war. Es kam immerhin keine Entschuldigung, die ich in meiner derzeitigen Verfassung ohnehin nicht akzeptiert hätte. Isaac kannte mich mittlerweile gut genug, was im Umkehrschluss auch auf mich zutraf. Während er sich damit begnügte, das rote, bodenlange Abendkleid zu begutachten, hielt ich mich mit meiner Musterung weit weniger zurück. Der selbstbewusste Dunkelhaarige wirkte mit den in den Hosentaschen vergrabenen Händen beinahe unbeholfen. Wir wussten scheinbar gerade beide nicht, was wir mit dem jeweils anderen anfangen sollten. Ich sah mich ehrlich versucht, Isaac tatsächlich wegzuschicken. Ich wünschte mir, Ruhe und Abstand zu der gesamten Situation – noch lieber wäre mir ein Reset-Button, aber der existierte in der Realität leider nicht. Isaac zu bitten, zu gehen, schien mir daher eine logische und vor allem vernünftige Entscheidung. Mir stand nicht der Sinn nach einer weiteren Auseinandersetzung, weshalb ich mich so verbissen an eine stoisch-ruhige Mimik klammerte und doch hatte ich ihm ursprünglich versichert, an diesem elenden Mechanismus zu arbeiten. „Ich will gerade nicht darüber reden. Ich will eigentlich nicht einmal jemanden sehen. Vielleicht wäre es also wirklich besser, wenn du wieder gehst.“ Er hatte genug Zeit, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass ich noch in einem Stück und/oder nicht über alle Berge verschwunden war. Mehr Zugeständnisse gab es vorerst auf verbaler Ebene meinerseits nicht. Trotzdem löste ich ein paar starre Brocken aus meinen Gesichtszügen, zeigte meine Überforderung und die destruktive Wirkung der Kaskade an Katastrophen. Schließlich sah er mir sogar ins Gesicht. Wir sahen uns für einen Atemzug lediglich an, ehe sich seine Augen geradezu schockiert weiteten. Nein, ich ging nicht davon aus, dass diese Regung die Überraschung über meine neu überdachte Bewältigungsstrategie ihm gegenüber widerspiegelt. Dafür haftete sein Blick zu starr auf meiner Wange. Nur schwer unterdrückte ich den Impuls, die Hand an die gerötete Stelle zu legen, reagierte aber dennoch verteidigend, als ich den Kopf leicht wegdrehte, um die Überbleibsel der unsanften Berührung zu verbergen. Ein nett gemeinter Versuch, aber sinnlos in Anbetracht der sichtbar aufwallenden Wut meines Gegenübers. Verkniffen presste ich die Lippen aufeinander, als er meinen Kopf zurück in seine Ausgangshaltung lenkte. Wie gesagt: ich fühlte mich nicht bereit, beide Thematiken angemessen zu behandeln. Entweder Isaac oder meine Mutter. Die Welt auszuschließen und mich in einem Schneckenhaus zu verkriechen, verpuffte in dem Moment als eine meiner Optionen, als ich den zornigen Blick meines Gefährten auffing. Ich hielt es nicht für ratsam, Isaac mit dieser neuen Erkenntnis wegzuschicken. Niedergeschlagenheit drückte meine Schultern gen Boden. Das klatschende Geräusch ihrer Hand auf meiner Wange hallte immer noch in meinem Kopf nach, aber es von einem dritten quasi Unbeteiligten laut ausgesprochen zu hören, machte es unwiderruflicher. Realer. Isaac wartete hoffentlich nicht auf meine Bestätigung, wenn doch, könnte es noch ein Weilchen dauern. In meinem Verstand setzte sich der Hergang erst nach und nach zusammen. „Sie hat mit ihrer üblichen Standpauke begonnen“, erklärte ich zögerlich, wusste dabei nicht, wohin mit meinen Armen und verschränkte sie deshalb einfachheitshalber vor meiner Brust. „Wahrscheinlich ist ihr mittendrin aufgefallen, dass mich ihre Worte nicht mehr treffen und…“, an der Stelle brach meine Stimme weg. Ich tippte darauf, dass meine Mutter die Kontrolle über sich verloren hatte, als sie realisierte, keinen Einfluss mehr auf mich zu besitzen. Vielleicht eine panische Kurzschlussreaktion? Um Isaacs stechendem Blick zu entgehen, lehnte ich meinen Kopf gegen seine breite Brust und atmete seinen vertrauten, inzwischen beruhigend wirkenden Duft tief ein. Gerade rechtzeitig, um die einzelnen, stummen Tränen zu verbergen, die heiß über meine Haut liefen. Verärgert über mich selbst, wischte ich mir fahrig über die Wangen und vorsichtiger unter den Augen herum, bemüht, die verräterisch dunklen Spuren meines Augen-Makeups zu eliminieren. Ich gestand mir diesen klitzekleinen Moment der Schwäche ein, ehe ich mich wieder aufrappelte und Abstand zwischen Isaac und mich brachte. „Ich bin so wütend.“ Immer noch nestelte ich an meinem Gesicht herum, weil meine Augen immer noch überzulaufen drohten und mich diese Tatsache nur noch mehr reizte. „Ich kann nicht fassen, dass du mich aus deiner unnötigen Eifersucht derart ans Messer geliefert hast.“ Gut, vielleicht fand ich nun doch die Energie zum Streiten. „Ich… ich verstehe nicht… ich meine, das hat sie noch nie zuvor getan.“ Irgendwie stellte sich mein Verstand absichtlich dumm, sobald ich versuchte, der Tatsache ins Auge zu sehen. Mir wurde bewusst, dass der Damm ungehindert meiner Beherrschung erneut gebrochen war und salzige Tropfen einen Wettlauf über mein Gesicht bis hinunter zu meinem Hals veranstalteten. „Und ich hab keine Ahnung, warum ich heule. Ich bin enttäuscht und traurig… und frustriert. Aber vorrangig bin ich so unglaublich wütend.“ Ich gab es auf, Herrin der Situation in meinem Gesicht zu werden, und funkelte stattdessen Isaac aus glasigen, geröteten Augen an. „Warum steigst du auf Jagos Provokationen ein? Du tust ihm doch einen Gefallen, wenn du so bereitwillig auf seine Köder anspringst. Er macht das absichtlich, um einen Keil zwischen uns zu treiben.“ Mit Erfolg, aber das bräuchte ich an der Stelle wohl nicht extra zu erwähnen.
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 Mir fehlten die Worte. Mir fehlte ebenfalls sämtliches Gefühl für meinen Körper, anderenfalls stünde ich nicht wie gefroren mit der Hand seitlich am Gesicht mitten in einem mir so verhassten Raum. Nur langsam verarbeitete ich, was eben vorgefallen war. Zuvor hatte meine Mutter noch nie derart brachial durchgegriffen… dermaßen die Kontrolle verloren. Lediglich das Pulsieren an meiner Wange führte mir vor Augen, dass sie tatsächlich handgreiflich geworden war. Es sah ihr absolut nicht ähnlich. Schikanierende Beleidigungen, Angriffe gegen mein Selbstwertgefühl, all das war ich gewohnt und hatte meine Schutzmechanismen im Laufe der Zeit darauf ausgelegt und angepasst. Meine Mutter strafte nicht physisch, sondern psychisch. Sie entzog mir ihre Aufmerksamkeit, sprach kein Wort mehr mit mir und behandelte mich wie Luft – zumindest bis zu dem Moment, an dem mein Verhalten ihrer Ansicht nach passte. Oh, und wie ich mich als Kind bemüht hatte, ihren hohen Erwartungen zu entsprechen. Elterliche Zuneigung musste man sich in diesem Haushalt hart erarbeiten. Aufmerksamkeit sollte verdient sein. Gewalt wäre nicht zermürbend genug und doch brach in dem Moment, als ich wahrhaftig realisierte, was meine Mutter gerade getan hatte, irgendetwas in mir. Es ließ sich nicht benennen, aber ich fühlte es überdeutlich in seine Einzelteile zerspringen und die danach eintretende Leere in meiner Brust. Aus dem Schock heraus wallte in mir der Wunsch auf, einfach zu weinen. Meinen Frust, meine Enttäuschung und all die verletzten Gefühle in einer Flut aus Tränen aus mir hinauszuspülen. Aber bis auf eine bebende Unterlippe regte sich da nichts. Äußerlich zumindest, denn im Inneren überschlugen sich die Gedanken – viel mehr erschlugen sich all die Emotionen gegenseitig, fanden kein Ventil. Deshalb verharrte ich in diesem Zimmer voller Konkurrenzgedanken, besah mir die unterschiedlich großen Pokale, die unzähligen Schleifen, die Urkunden und Fotos. Überall strahlten mir falsche Lächeln und kühle Augen entgegen. Lysander, Theodore und ich. Meine Eltern. Cousinen und Cousins. Wir alle wollten irgendwie einen Platz in diesem weitläufigen Raum ergattern, aber der Schein des Glücklichseins bewahrte niemanden vor der Realität. Ich war nicht glücklich. Ich war unzufrieden. Traurig. Wütend. Enttäuscht. Entsetzt. Verwirrt. Bloßgestellt. Einsam. Ein niedergeschlagenes Seufzen entrang sich mir. Ich wusste mit irritierender Gewissheit, dass ich Isaac in unseren Räumlichkeiten vorfinden würde, und womöglich würde es mich unweigerlich zu ihm ziehen, hätte er nicht als Auslöser für diese Katastrophe gewirkt. Wir müssten darüber reden, was geschehen ist und doch fehlte mir dafür die nötige Energie. Trotz all der aufgestauten Gefühle fühlte ich mich schrecklich erschöpft. Dieser Umstand führte zu meinem Verharren. Ich lief ganz bewusst vor der Konfrontation weg – im übertragenen Sinne, da ich viel mehr sehr entschieden in diesem Raum blieb und mich vor der Realität versteckte. Aber die Realität fand mich in Form von Isaac. Er hatte sich umgezogen. Ein nebensächliches Detail, das mir dennoch sofort ins Auge stach. Schwarz stand ihm auch schlichtweg besser als Weiß. Er sah beinahe lässig aus, wie er da mit den obersten Knöpfen seines Hemds geöffnet stand und mich musterte. Nur seine harten Gesichtszügen verrieten etwas von der Anspannung, unter der er stand. Ich selbst klammerte mich ebenfalls mit aller Kraft an die schützende Maske der Neutralität. Dabei schrie der Kummer und die Frustration laut, sodass es beinahe in meinem Ohren rauschte. Nur kurz überkam mich der bestürzte Gedanke, dass die Chance ungünstig hochstand, zumindest Teile von Mutters Handabdruck auf meiner blassen Haut zu erkennen. Andererseits färbte die Wut meine Wangen ohnehin rot, was bestenfalls kaschierend wirkte. Wie zuvor, befürchtete ich, dass ich beim Öffnen meines Mundes einfach losschrie, weshalb ich an meiner kühlen Fassade festhielt und nach besten Ermessen jegliche verräterische Emotion aus meiner Stimme verbannte, ehe ich Luft holte: „Was willst du, Isaac?“ Hast du für heute nicht bereist genug gesagt? Ich bin nicht bereit, in Ruhe mit dir zu sprechen. Ich will dich eigentlich gerade nicht in meiner Nähe wissen. War es das wert? Fühlst du dich jetzt in deiner Position mehr bestätigt? All die Fragen schwangen unausgesprochen hinter den knappen vier Worten mit. In meinen Augen lag jedoch eine ganz andere Frage: Warum? Warum hast du dein Versprechen gesprochen?!
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 Mit dem Verklingen der letzten Silbe dieses verhassten Kosenamens unterschrieb Jago sein Todesurteil. Für einen kurzen Moment fragte ich mich, wie man so unvernünftig handeln konnte, dabei wusste ich über seine problematische Neigung zu Fehlern unter Alkoholeinfluss nur zu gut Bescheid. Manche mochten es als Herausforderung des Schicksals ansehen, ob wir tatsächlich auch in schlechten Zeiten zueinanderstanden, aber ich hielt das Ganze für mit Testosteron überladene Besitzansprüche, die ihren Gipfel unweigerlich in Handgreiflichkeiten finden werden. Immerhin besaß Theo ausreichend Weitblick, um unseren zur Seite bugsierten Bruder wissentlich am Ellbogen zurückzuhalten, als dieser sich mit vernebeltem Blick die Ärmel seines Jacketts hochschob und seinem Freund zur Hilfe eilen wollte. Jagos Stolz büßte für jedes provozierende Wort, das er an mich gerichtet hatte. Mit blutverschmierter Hand drückte Isaac meinen Ex-Freund gegen den gläsernen Tresen; er ließ es wie eine Leichtigkeit aussehen, obwohl der junge Architekt sich anfangs noch nach Kräften bemühte, dem schonungslosen Griff eines übernatürlichen Gestaltwandlers zu entkommen. Ich wusste, wie aussichtlos seine Bemühungen bleiben würden und dennoch stellte sich kein Fünkchen Mitleid ein. Um nicht zu sagen, dass er sich sein eigenes Grab geschaufelt hatte. Womöglich müsste ich meine Tatenlosigkeit irgendwann bereuen, aber für den Augenblick sprach ich Isaac das Recht zu, eine klare Botschaft zu formulieren. Ich erhoffte mir dadurch, seiner grundlosen Eifersucht ebenfalls ein Schnippchen zu schlagen und das leidvolle Thema meiner vergangenen Beziehung zu dem aufstrebenden Architekten damit abhaken zu können. Erst bei Isaacs zweiten Aufzählungspunkt hielt Jago endlich inne… und auch mir stockte der Atem. Er hatte doch nicht etwa?! Doch. Nun sah ich doch den Zeitpunkt gekommen, an dem ich einschreiten sollte, um Schlimmeres zu verhindern. Ich nannte es eine böse Vorahnung. Eilig trat ich an die Seite des energiegeladenen Dunkelhaarigen und zog an seinem Arm, um für einen wertvollen Augenblick zum Hauptaugenmerk seiner vom Zorn vernebelten Aufmerksamkeit zu werden. Der Versuch misslang. Stattdessen ignorierte mich Isaac schlichtweg – oder bemerkte es in seinem Ausbruch erst gar nicht. Beides fühlte sich sehr bescheiden an; um nicht kränkend zu sagen. Immerhin war ich der Auslöser für diese Eskalation und doch befand sich Isaac in einem wutverzerrten Tunnel, der offensichtlich auch sämtliche Zurückhaltung ausschloss. Mir graute es bereits, als der Ansatz einer dritten Aufzählung durch den inzwischen beinahe leeren Festsaal hallte. Kaum das Isaac mit seiner Standpauke endete, gefror mir das Blut in den andern, was bei dem rasenden Herzschlag eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein sollte. Blinzelnd versuchte ich, den aufkommenden Schwindel zu unterdrücken, als sich Lysander bereits an mich wandte und nach Klarheit verlangte. Zwar klappte mein Mund auf, aber kein Ton entrang sich meiner Kehle und so schloss ich meine Lippen unverrichteter Dinge wieder. „Riccarda?“, schaltete sich nun auch Theodore ein, der sogar einen Schritt auf mich zumachte und ich unbewusst dieselbe Distanz zurückwich. Dass Jago sich aufrichtete und versuchte, die Sauerei an seinem Hemdkragen gemeinsam mit dem hilfsbereiten Barkeeper bestmöglich zu beseitigen, bemerkte ich nur am Rande, als mein Blick nach einer Erklärung suchend über die Beteiligten wanderte. In mir passierte auf emotionaler Ebene gerade zu viel, weshalb ich fürchtete, sobald ich den Mund aufmachte, alles ungebremst aus mir herausschreien zu müssen. Ich drückte die Arme seitlich gegen meinen Körper, presste die geschminkten Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und konzentrierte mich für einen Moment, den ich mir schlichtweg nahm, nur auf meine Atmung. „Von was für einem Erbe spricht Isaac?“, versuchte es Lysander erneut und nun sackten meine Schultern endgültig herab. Der kostbare Augenblick der Ruhe war verstrichen, ich entkam dem Geständnis nicht länger. „Harry vermacht mir nach meinem Abschluss sein Unternehmen, das Isaac und ich gemeinsam weiterführen werden“, erklärte ich möglichst gefasst und in aller Kürze. Damit sollte soweit alles gesagt sein und doch sah ich den sich anbahnenden Sturm an Fragen auf mich zukommen, der lediglich aufgrund des erstickt-hysterischen Ausrufs meines vollen Namens ausblieb. Erschrocken wirbelte ich herum. Meine Mutter stand mit aufgerissenen Augen mittig im Raum. Die roten Flecken bei Aufregung hatte ich definitiv von ihr geerbt. Eine Hand lag auf ihrem Brustbein, als hätte sie physische Schmerzen, die andere verdeckte zur Hälfte ihren entsetzt geöffneten Mund. „Mom… ich…“, fing ich an, wurde aber mittels einer wüsten Handbewegung selbst über die Distanz hinweg abgewürgt. Hilfesuchend wanderte mein Blick hinüber zu meinen Brüdern, die jedoch wegsahen. Beide distanzierten sich von mir. Die Enttäuschung traf mich hart; als hätte man mir Eiswasser ohne Vorwarnung über den Kopf gegossen. Ich hörte förmlich ihre Gedanken: Verräterin. Nun sah ich zum ersten Mal Isaac direkt an und plötzlich mischte sich auch Wut hinzu. Oh, wenn Blicke töten könnten! Dabei reflektierten meine Augen viel mehr von dem Anteil meiner verletzten Gefühle, von dem begangenen Vertrauensbruch. „Riccarda, auf ein Wort“, pfiff mich meine Mutter wie ein unartiges Haustier zu sich, woraufhin sich meine Körperhaltung ganz automatisch veränderte. Ich straffte die Schultern, drückte das Rückgrat durch und jene perfekt einstudierte Maske legte sich auf meine Züge. Die Schutzmechanismen rasteten selbstständig ein, immerhin wusste ich, was mir gleich unter vier Augen blühen würde. Trotz der aufrechten Haltung fühlte ich mich klein und verletzlich, zudem hasste ich es, wie ich auf dem Weg zur Schlachtbank allein durch den Raum stöckeln musste. Möglichst würdevoll marschierte ich an meiner wartenden Mutter vorbei, die sich selbstverständlich weiterhin als perfekte Gastgeberin präsentieren musste, an die vier Männer bei der Bar wandte: „Die Gentleman entschuldigen uns für einen Moment. Theo, Schatz, kümmere dich doch bitte um… das Malheur .“ Dabei brauchte ich gar nicht hinzusehen, um zu wissen, mit welch abschätzigen Blick sie dabei Isaac ins Visier nahm, ehe sie mir aus dem Festsaal folgte. Kaum schlug die gewaltige Tür hinter ihr zu, verschwand ihre aufgesetzte Höflichkeit und stattdessen strafte sie mich mit ihrem speziellen Blick der Verachtung. Ich fühlte mich sofort wieder wie ein Kind, das nun die Konsequenzen für sein Fehlverhalten zu spüren bekam. „Du schuldest mir eine ausführliche Erklärung“, begann sie scharf. Allein der kompromisslose Unterton ließ mich erahnen, dass ich nicht ungeschoren aus dieser Sache herauskäme. Aber ein paar Minuten musste sie sich gedulden, denn ich kannte da einen gewissen Mann, dessen überdurchschnittlicher Gehörsinn keinen Halt vor einer verschlossenen Tür machte. „Nicht hier, Mom. Lass uns bitte woanders hingehen.“ Das Trophäenzimmer zwei Räumlichkeiten weiter musste genügen. Wahrscheinlich hatte meine Mutter diesen Ort explizit als Alternative ausgewählt, um mich zwischen all den Erfolgen der Familie als Enttäuschung darzustellen. Denn darauf würde es hinauslaufen. Ich hatte ihr noch nie gereicht. Und nun hatte ihr Isaac die Bestätigung auf dem Silbertablett serviert. Während der Litanei über meine Fehleranfälligkeit und Mangelhaftigkeit schraubte sich ihre Stimme immer weiter nach oben, weshalb ich nur froh war, nicht genau vor der Eingangstür zum Festsaal zu stehen. Der Inhalt ihrer Worte prallte jedoch an der gefühlstauben Schutzschicht – eine hübsch verputzte Fassade – ab. „Ich habe mehr von der erwartet. Wie konntest du deine Familie nur derart hintergehen. Du undankbares Gör bekommst den Hals nicht voll. Als würde es dir hier nicht gut gehen, musst du dir auch noch das Geld deines Onkels unter den Nagel reißen. Und dann verheimlichst du es noch. Wie lange geht das schon?“ Unnachgiebig bohrte sich ihr Blick in meinen, als ich ihr das Datum unseres Besuchs noch einmal vor Augen führte. Ich hatte mit einem Zornausbruch gerechnet – meine Mutter besaß ein sehr leicht zu entflammendes Temperament, welches sie perfekt zu verstecken wusste – und dennoch überraschte mich der stechende Schmerz an meiner Wange, der meinen Kopf zur Seite lenkte. Schwer atmend starrte ich die Frau mir gegenüber fassungslos an, während meine Hand zaghaft an die prickelnde Stelle in meinem Gesicht wanderte. Derartiges war zuvor noch nie passiert. „Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an, Riccarda. Du wolltest kaltherzig deine Familie hintergehen. Ich hatte oft genug Nachsicht mit dir und deinen Unzulänglichkeiten, das wird sich ab jetzt ändern.“ Mit diesen bedeutungsschwangeren Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und ließ mich zurück… inmitten all der glanzvollen Momenten meiner Familie.
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 Die Unterhaltung führte uns irgendwann zu den nervenaufreibenden Hochzeitsvorbereitungen des frisch verlobten Paares und meine Schulfreundin erhoffte sich tatsächlich den einen oder anderen hilfreichen Ratschlag meinerseits. Als ob ich nur einen Handgriff getätigt hätte. Beinahe fühlte ich mich ertappt, als genau dieser Gedanke begleitet von einem gerade so als freundschaftlich zu bezeichnendes Lachen von einer Dunkelhaarigen in der Runde kam. Sie formulierte meine Passivität nur weit diskreter und erntete dafür ein paar zögerliche Lacher, wobei ich schlussendlich reinen Tisch machte: „Ich gestehe, dass mir die Vorbereitung abgenommen wurde. Ich musste nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort erscheinen.“ Auch dafür hatten meine Eltern höchstpersönlich gesorgt. Die gesamte Hochzeitszeremonie war von ihnen durchgeplant worden und selbst das Kleid hatte ich nicht selbst ausgesucht, da es gewissen Erwartungen entsprechen musste. Die zufällig jemand anderem gehörten, denn meine Meinung war damals überwiegend ignoriert worden. Wie gesagt: ich hatte nur meine Rolle als glückliche Braut zu spielen. Unweigerlich begann ich schon wieder mit dem Ring am Finger zu spielen, drehte ihn um das Gelenk und atmete erleichtert durch, als von einer weiteren Freundin ein preiswerter Hochzeitsplaner empfohlen wurde, dessen Visitenkarte sie natürlich rein zufällig in der kleinen Clutch stecken hatte und mit einem strahlenden Lächeln überreichte. Die Frauen kamen dadurch von einem zum anderen, weswegen ich eine kleine Pause bekam und mich möglichst unauffällig nach Isaac umsah. Entgegen meiner Erwartung erblickte ich den großgewachsenen Mann an der Bar, was insofern nicht ungewöhnlich wäre, stünden meine Brüder samt Jago nicht ebenfalls genau dort. Unbewusst schoben sich meine schmalen Augenbrauen ein Stück weit zusammen, als ob ich dadurch die Lage besser über den Raum hinweg einschätzen könnte. Die betont lockeren Haltungen schick eingepackter Oberkörper täuschte mich nicht über die Tatsache hinweg, dass sich dort drüben zwei verhärtete Fronten gegenüberstanden; mein Exfreund plus meine Brüder, die schon seit Beginn meiner Beziehung einen guten Draht zu Jago gehabt hatten und mein eher unbeliebter Mann. Bei dem Anblick bekam ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend, was definitiv nicht dem Alkohol zuzuschieben war. Obwohl alle Beteiligten alt genug wären, um die Konfrontation diskret abzuhandeln, fühlte ich mich dazu berufen, als Puffer und notfalls deeskalierend einzugreifen. „Entschuldigt mich bitte. Geht doch schon mal vor, ich komme gleich nach“, versicherte ich der kleinen Gesellschaft rund um mich, die nun beschlossen hatte, ebenfalls das Buffet zu stürmen. Gesagt, getan: ich löste mich mit einem höflichen Lächeln aus der Gruppe und schritt zielstrebig auf den hohen Absätzen quer durch den weit weniger besuchten Ballsaal. Isaac stand mit den Rücken zu mir, weshalb er mich als Letzter erblickte. Trotzdem war er mir am nächsten, kam mir sogar ein paar Schritte entgegen, doch ich war bereits zu nah am Geschehen, um den nach Luft japsenden Architekten und die steinernen Mienen meiner Brüder zu übersehen. Fragend wanderte mein Blick weiter zu dem Gestaltwandler, der jedoch sehr deutlich machte, dass er keine Sekunde länger in der Gegenwart der drei Männer verweilen wollte und ich bestenfalls auch eine Kehrtwendung hinlegte. Die Worte lagen mir bereits auf der Zunge, aber ich würgte sie mühsam ab und gab mich aufgrund des eisigen Ausdrucks in Isaacs Zügen vorerst geschlagen. Manche Personen besaßen ausreichend Menschenkenntnis, um Situationen richtig zu deuten und andere… nicht. Jago schien seine Empathie im Laufe des Abends im Alkohol ertränkt zu haben, denn kaum, dass ich dem Trio ebenfalls den Rücken zugewandt hatte, krächzte er meinen Namen, ehe er sich räusperte und noch einen Versuch wagte: „Hey Riccarda, was soll das eigentlich?“ Ich erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, was dem jungen Mann scheinbar reichte. Seine Stimme klang bereits wieder deutlich fester, obwohl ich die Trunkenheit mitschwingen hörte: „Wie lange lässt du mich noch warten? Wie lange sollen wir uns alle noch diese Scharade ansehen?“ Mit einem Mal klopfte mir das Herz bis zum Hals. Ich wollte mich wirklich nicht auf diese Diskussion einlassen, aber Jago deutete auch meine kurzfristig zu Fäusten geballte Hände nicht richtig, sondern stichelte weiter: „Wir wissen beide, was wir miteinander hatten. Wir waren perfekt, bis der da passiert ist. Erinnerst du dich nicht an unsere Zukunftspläne, Babe?“ Okay, jetzt war der Bogen definitiv überspannt! Erbost wirbelte ich herum, holte bereits Atem für eine energische Ansage, aber dummerweise war Isaac mir zuvorgekommen.
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 So actionreich meine Ankunft im nördlich gelegenen Rudel stattgefunden hatte, so gediegen endete unser gemeinsamer Aufenthalt bei der durchaus liebenswerten Großfamilie. Isaac brachte das ausstehende Gespräch mit seinem leiblichen Vater gut über die Bühne, obwohl der Grund seiner Zeugung wahrscheinlich noch für die eine oder andere aufgrund der arbeitenden Gedanken ruhelose Nacht sorgen würde. Wir erkundeten tatsächlich während eines abendlichen Abflugs von Abenteuerlust die Kellergewölbe des schicken Herrenhauses beziehungsweise durchforsteten die gut bestückte Bibliothek nach weiteren Antworten für unser Engel-Werwolf-Familien-Problem. In der Geschichte unserer gegensätzlichen Spezies war es wohl nie zu einer gut dokumentierten Fusionierung gekommen, weshalb wir uns überwiegend auf halb vergilbte Tagebucheinträge und Niederschriften von Heilern verlassen mussten – nichts, worauf ich im Hinblick auf meinen potenziellen Tod bauen wollte und Isaacs Laune hinsichtlich meines beinahe unausweichlichen Sterbens während einer Geburt verdüsterte sich von Bericht zu Bericht. Dennoch munterte ich mich damit auf, dass dies erst der Beginn unserer Recherche war und nur, weil Sylvan keine verlässliche Literatur besaß, hieß das nicht, dass keine zu diesem spezifischen Thema existierte. Zudem: Wunder geschahen immer wieder und manchmal eben in Form einer zerknirschten Jungwölfin, die Isaac mehr oder weniger darum bat, sie ihn seinem Koffer aus dem elterlichen Haus zu schmuggeln. Wie auch immer sie sich das ohne offizielle Papiere vorstellte, lehnte ihr Halbbruder ohnehin ab. Zugegebenermaßen geschah dies sehr zu meiner Erleichterung. Als hätten wir nicht genug eigene Probleme am Hals beziehungsweise wären mit dem Aufbau unserer gemeinsamen Zukunft ausreichend beschäftigt, um zusätzlich die Erziehung einer pubertären Teenagerin übernehmen zu wollen. Ich verstand ihren Freiheitsdrang – ehrlich und deshalb überkam mich ein dubioser Anflug von Mitgefühl, als sie nur mit Mühe den Trotz statt ihrer Enttäuschung zeigte – und hoffte, dass sie diesen Weg irgendwann allein bestritt. Alles in Allem befand ich meinen ungeplanten Ausflug in das nördlich beheimatete Rudel sehr aufschlussreich, wenngleich gewisse Episoden eine Kürzung oder Verbesserung vertragen hätten – trotzdem ließ sich nicht abstreiten, dass Isaac und ich bezüglich unserer Beziehung einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung unternommen hatten. Dies führte in weiterer Folge dazu, dass ich bei meinen Eltern immer wieder kleine Andeutungen anbrachte, um sie behutsam auf die sicherlich unerwartete Überraschung vorzubereiten. Vor allem mein Vater würde aus allen Wolken fallen, wenn ich ihm erklärte, dass die Zwangsheirat weit mehr als einen Scheinfrieden zwischen den zwei Familien gebracht hatte. Unter anderem hatte ich meine Mutter darum gebeten, nun, wo der Palast wieder renoviert und fertiggestellt war, die Lobeshymnen auf Jago runterzuschrauben oder besser gänzlich einzustellen. Meine Bitte traf, wie vermutet, auf Irritation und dennoch hörte ich seinen Namen deutlich seltener aus ihrem Mund. Ob sie die Verknüpfung zwischen meiner Bitte und der Rücksichtnahme auf Isaac herstellte, fand ich bis zum Schluss nicht heraus. Oder beide meiner Elternteile wollten die zarten Andeutungen übergehen; beispielsweise der weit wärmere Umgang miteinander, unzählige gemeinsam verbrachte Stunden. Isaac würde es sicherlich vehement und voller Inbrunst abstreiten, aber ich hatte ihn sogar für ganze zwanzig Minuten dazu einspannen können, mir beim weihnachtlichen Schmücken unserer Räumlichkeiten zu helfen – und sei es nur, weil mich meine Körpergröße bei der Umsetzung meiner adventzeitlichen Vorstellungen behinderte und er im Nachhinein ausreichend für diese Aufopferungsbereitschaft entlohnt wurde. Ich für meinen Teil freute mich auf den Weihnachtsball. Eigentlich galt er sogar als Highlight der Festlichkeiten innerhalb meiner Verwandtschaft und selbst unter den Menschen galt eine Einladung als das Prestigemittel während der Weihnachtszeit. Die Klatschblätter würden sich mit Freude darüber zerreißen, dass Isaac als einziger Garcia auf der Gästeliste stand. Es gab zwar genug weitere skandalträchtige Prominente auf dem Ball, aber die Mitglieder der wirklich einflussreichen Familien gerieten dennoch weitaus öfter in den Mittelpunkt der Presseleute. Allein deswegen – ich redete mir jedenfalls tapfer ein, dass es nicht dem antrainierten Perfektionismus meiner Mutter zu Schulden kam – trug ich ein bordeauxrotes Abendkleid mit herzförmigen Ausschnitt und Beinschlitz, der fast bis zur Hüfte reichte, dessen Rotton auf die Nuance genau zu Isaacs Fliege passte. Wir wurden in hunderte Gespräche verwickelt, Hände mussten geschüttelt werden und irgendwann schmerzten meine Kiefermuskeln bereits von all dem gestellten Lächeln, sodass die alljährlichen Reden geradezu einem Erlösungsschlag gleichkamen. Obwohl ich den Inhalt der Ansprachen beinahe auswendig mitsprechen konnte, versuchte ich aufmerksam und interessiert genug zu wirken, sodass Schnappschüsse höchstens eine von all der Nächstenliebe und Wohltätigkeit gerührten Blondine einfangen konnten. Mein Vater ergriff zuletzt das Wort, bedankte sich für die zahlreiche Teilnahme, die hohen Spendenbeträge und eröffnete zu guter Letzt das meterlange Buffett im angrenzenden Speisesaal, wohin sich die meisten Gäste auch wie gelenkte Herdentiere brav begaben. Ich würde den ersten Ansturm abwarten, denn zufälligerweise rissen sich die Besucher plötzlich um das vegetarische Essen, sobald sich ein Familienmitglied in der Nähe befand, und unterhielt mich mit einer Handvoll Freundinnen dort weiter, wo wir durch das Knacken des Mikrofons vorhin unterbrochen wurden. Es ging um das Auslandsjahr einer ehemaligen Klassenkameradin, die an der fremden Universität ihren Verlobten kennen gelernt hatte, den sie hier erstmalig der Gesellschaft vorstellte. Ich genoss es, in den Anekdoten zu versinken und mich in verhältnismäßig normale Leben entführen zu lassen, als ich den stärkeren Griff an meiner Taille wahrnahm und meinen Blick auf Isaac richtete. Er sah nicht unbedingt gut unterhalten aus, aber ich hatte ihm mindestens dreimal angeboten, dass er sich eine Runde mit für ihn spannenderen Themen suchen sollte, um vielleicht auch ein wenig Spaß zu haben. Aber der sture Esel wich mir nicht von der Seite, außer es ging darum, für weitere Drinks zu sorgen… und das hatte er eben davon. Es reichte ein eindringlicher Blick, um das Angebot stumm zu wiederholen, aber stattdessen fragte er mich geradezu sprühend vor Engagement, ob ich ebenfalls etwas wollte. Mit einem zarten Lächeln, das seiner Aufmunterung dienen sollte, legte ich eine Hand auf seinen Oberarm und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Nein, danke.“ Ich hatte bereits zum Anstoßen mit sämtlichen Personen viel zu viel Sekt getrunken und auf leeren Magen vertrug sich das bekanntlich besonders gut – nicht. Ich spürte das Kribbeln ohnehin schon in meinen Beinen und sollte in der nächsten halben Stunde dafür sorgen, dass ich etwas Nahrhaftes zwischen die Zähne bekam. Mein Blick haftete nach wie vor an Isaac, als sich dieser von der Gruppe entfernte und selbstsicher genug durch die Menge schritt, sodass ihm der Weg automatisch freigemacht wurde. Nur kurz huschte meine Aufmerksamkeit am Barthresen entlang, wo sich auch meine Brüder lachend mit Jago unterhielten.
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 Ich hatte verloren. Wem machte ich etwas vor? Spätestens das selbstsichere Lächeln auf den schön geschwungenen Lippen mir gegenüber zeigte ganz deutlich, wie schlecht meine Vertuschungsversuche kaschierten. Mich überkam eine gewisse Machtlosigkeit, denn bisher hatte mich mein Körper noch nie derart im Stich gelassen und trotzdem erinnerte mich mit minimal zeitlicher Verzögerung ein kleines Stimmchen in meinem Kopf, dass weiterhin alles in Ordnung war. Obwohl meine Wangen glühten, obwohl das Verlangen in meinem Blick geschrieben stand und trotz der offensichtlichen Zurschaustellung von Gefühlen. Es gab keinen Grund, um alte Schutzschilde direkt wieder aufzufahren und eigentlich wollte ich das doch gar nicht. Diese alten Verhaltensmuster klebten nur förmlich in meinem Denken und Handeln, weshalb die Abwärtsbewegung seiner Hände ganz gelegen kam, um die Anspannung in meiner Rückenmuskulatur durch ein angenehm warmes Prickeln zu ersetzen und die Verkrampfung damit nach und nach wieder lösten. Meine Aufmerksamkeit haftete an der Berührung seiner Finger, wie das leichte Kribbeln an meiner Wirbelsäule hinabglitt und ich ganz erpicht darauf wartete, wohin es sich weiter ausbreiten würde. Ein hoffnungsloser Fall und unter anderen Umständen hätte ich vielleicht einen Moment die Augen geschlossen, um mich wieder zu sammeln. Aber Isaacs Blick hielt mich fest, zudem lockte er meine Neugier mit der Andeutung einer Frage, die ich höchstwahrscheinlich nicht beantworten wollen würde. Abgesehen von dem Glühwürmchen-Alarm in meinem Magen, verspürte ich die leise Vorahnung, dass ich in Erklärungsnot geraten könnte. Trotzdem lauschte ich ihm abwartend. Als würden gerötete Wangen nicht reichen, schoss mir die Hitze einem Blitzschlag ähnlich in den Kopf, als Isaac seinen Gedankengang vor mir offenbarte. Ich spürte regelrecht, wie sich die hektischen kleinen Fleckchen auf meiner Haut am Hals und im Dekolleté bildeten. „Ich verstecke doch…“, begehrte ich bereits instinktiv auf, noch bevor mein Verstand gänzlich mitschaltete und diese lächerliche Verleugnung endlich wieder stoppen konnte. Stattdessen biss ich mir auf die Unterlippe, bevor ich dazu ansetzte, diese hinterhältige Frage, die prinzipiell mehr einer Feststellung glich, zu beantworten. Diese elende Wolfsnase. „Keine Ahnung“, kam es schlussendlich wenig geistreich über meine Lippen. Mein hormongeschwängertes Hirn schien der Logik momentan keine realistischen Chancen zur Verteidigung einräumen zu wollen. Als müsste diese Vermutung untermauert werden, reagierte ich ganz von allein, als Isaac mich näher zog und ich dem Druck bereitwillig nachgab und zurück an seinen Oberkörper kippte. Ich konnte seinen übernatürlichen Wolfs-Sinnen nichts vormachen, was sich gleichzeitig wie ein Stückweit Kontrollverlust anfühlte. Nur dass ich in seinem klaren Blick nichts Bedrohliches erkennen konnte; nicht einmal den Anflug von süffisanter Überlegenheit oder einer Art von Machtdemonstration. Ich durfte mich wirklich fallen lassen. Natürlich sprang ich sowohl auf die Intensivierung der körperlichen Nähe ebenso wie auf die raue Stimmlage und die vielversprechenden Worte an. Mein ganzer Körper wurde weich und ein sanftes Beben überkam mich, mit dem ich mich instinktiv näher an Isaac presste. Sein Beteuerung hallte noch für ein paar Sekunden in meinem Kopf nach, obwohl ich mir zu dem Zeitpunkt keine Gedanken über deren tieferen Sinn machte; machen konnte. Vielleicht könnte ich dem Versprechen später etwas ansatzweise Romantisches abgewinnen, doch gerade klang es lediglich furchtbar verrucht und dennoch so aufregend, dass ein ganzes Feuerwerk losging, als Isaac mich derart nachdrücklich küsste. Ich schlang meine Arme fest um ihn, sodass kein Blatt mehr zwischen unsere Oberkörper passte und erwiderte den Kuss stürmisch. Dabei könnte es durchaus vorkommen, dass ich mit meinen Becken etwas weiter nach vorne gerutscht war und ich mich nachdrücklich an Isaac drückte. Mir entglitt ein leises Seufzen, ehe ich zart an seiner Unterlippe knabberte und diese erst wieder durch das Verbiegen zu einem wissenden Grinsen von meinen Zähnen befreite. Irgendwann während des leidenschaftlichen Kusses hatten sich meine Lider geschlossen, denn nun öffnete ich sie so weit, um mein eigenes Begehren in dem kristallklaren Blau direkt vor mir widergespiegelt vorzufinden. Die Pause dauerte nicht lange an, gerade so lange, um ein bisschen Sauerstoff in die Lunge zu pumpen, bevor ich Isaac hingebungsvoll weiterküsste. Jup, ich hatte sowas von verloren. Aber es störte mich nicht.
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Gewöhn dich dran. Einerseits warnten mich diese drei einfachen Wörtchen daran, mit einem Werwolf zugange zu sein und mich auch bewusst für dieses Miteinander und die damit einhergehenden Verhaltensmuster entschieden zu haben, andererseits erkannte ein kleiner, verruchter Teil in mir darin ein aufregendes Versprechen, bei dem es mir heiß den Rücken runterlief. Anscheinend tanzten meine Hormone gerade in jeglicher Hinsicht aus der Reihe, aber ich gönnte diesem Mix aus Endorphinen und dergleichen diese Ausgelassenheit und profitierte von dem unbeschreiblichen Energieschub. Ein vielsagendes Funkeln trat in meine Augen, als ich zu einer knappen Erwiderung ansetzte: „Das schaffe ich.“ Überhaupt konnte ich mich an dieses Zusammensein mit Isaac gewöhnen – keine Gewitterwolken, keine tausend Interpretationsmöglichkeiten aufgrund kryptischer Aussagen, sondern peinlich mädchenhaftes Kichern meinerseits und der unvergleichbar attraktive Ausdruck von ehrlicher Freude in Isaacs markanten Gesichtszügen. So ungern ich es mir eingestand, aber inzwischen wusste der junge Mann durchaus, welche Knöpfe er drücken musste, um die Saiten in meinem Inneren schwingen zu lassen. Allein die Aussicht darauf, irgendwann den ursprünglich abgeschriebenen Traum einer Hochzeit nach meinen Vorstellungen ausleben zu dürfen, beschleunigte meinen Herzschlag, aber Isaacs Kommentar dazu ließ einen ganzen Schwarm an Schmetterlingen in meiner Magengegend zum Leben erwachen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Isaac Garcia mir jemals dieses ganz eigene Bauchkribbeln bescheren würde? Und doch saß ich hier rittlings auf seinem Schoß, suchte den Körperkontakt und konnte meine Finger nicht von ihm lassen. Der Wechsel von einem sanften Lächeln zu dem spitzbübischen Grinsen seitens Isaac machte mich aufmerksam. Auf keine wachsame, kontrollieren Art… eher neugierig. Der werte Herr zeigte sich immer für eine kleine Überraschung gut – manchmal öfter, manchmal seltener – und entlockte mir dabei ein amüsiertes Grinsen, dass ich schnell hinter einem vorwurfsvollen Blick zu verbergen versuchte. „Darauf wollte ich nicht hinaus und das weißt du genau“, entgegnete ich ihm gespielt mahnend und lehnte mich dabei ein wenig zurück, damit er das Rollen meiner Augen begleitet von dem dezenten Schmunzeln gut mitbekam. Aber der Dunkelhaarige ließ nicht locker, sondern setzte dem Ganzen noch eines drauf und sorgte damit gleichzeitig dafür, dass mir diese dumme Röte erneut in die Wangen schoss. „Man, Isaac… romantischer wird’s heute wohl nicht mehr“, schnaubte ich mit einer Mischung aus Entrüstung und Belustigung und verpasste ihm einen leichten Klaps gegen die Schulter. Aber die Stelle, die von seinen warmen Händen an meinem Rücken bedeckt wurde, kribbelte bereits verräterisch und ich betete zum Universum, dass Isaacs wölfischen Sinne von meinem nach wie vor schnell hüpfenden Herzen und dem nicht ernst gemeinten Tadel abgelenkt wären. Mein Körper entschied sich nämlich spontan dazu, ein mieser Verräter zu sein. Bei Isaacs angedeuteten Worten und dem spielerisch schiefgelegten Kopf wanderten meine eigenen Gedanken in eine gänzlich neue Richtung, für die er die Weichen gelegt hatte. Mein Inneres zog sich in ungeduldiger Erwartung zusammen und ich spürte förmlich, wie sich der Ausdruck in meinen Augen kurzfristig vor Sehnsucht verdunkelte. Schluckend bemühte ich mich um eine gelassene Mimik, obwohl der Wirbelsturm an unbändiger Freude, einem absoluten Hochgefühl, wärmender Zuneigung und hinzukommendem zehrendem Verlangen in mir randalierte.
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Ein beschämtes Hallo aus der Versenkung. Die letzten zwei Monate waren permanent irgendwelche Kleinigkeiten bzw. meine Projektabgabe hat sich bis Mitte September gezogen, obwohls hieß, es wäre mit 15. August erledigt... und dann hat die Uni auch schon wieder begonnen - ich kann aber voll naiver Hoffnung verkünden, dass ich mich bestenfalls im vorletzten Lernsemester befinde und bald den Wisch in der Hand haben sollt. Irgendwann dann halt. ^^ Kaum dass ich dachte, ich hätte mich an den neuen Semesterrhythmus mit Arbeit, Lehrveranstaltungen und Alltag gewöhnt, haben wir letzten Sonntag einen kleinen Kater mitten in der Nacht auf der Straße beim Heimgehen von einer Bar gefunden, der uns bis in die Wohnung gefolgt ist und vorerst bei uns wohnt; bis sich halt die rechtmäßigen Besitzer melden und ihn wieder abholen. Joah... Leben mit einem kaum 1-jährigen Kater stellt mich vor neue, längst vergessene Herausforderungen im Zeitmanagement und dem Arbeitsaufwand daheim. >-> Jedenfalls leide ich drunter, aber das Schreiben kommt gezwungenermaßen zu kurz. </3 Wie erging es dir die letzte Zeit? Kam etwas beim Tierarztbesuch bezüglich deiner Katze raus? Wie gehts dem Pony, nun, wo's wieder kälter wird? ________
 Mein Hirn oder viel mehr die Verarbeitung der unerwartet verkündeten Information hinkte minimal hinterher, während mein Körper die Kontrolle gewissermaßen übernommen und auf Autopilot gewechselt hatte. Obwohl ich mich in überzeugter Sicherheit wiegte, keinem Missverständnis zum Opfer zu fallen und in der nächsten Sekunde hart auf dem Boden der Tatsachen aufzuschlagen, zerpflückte mein Verstand die wenigen, aber doch so schwerwiegenden Worte in meinem Kopf. Das Ziel dieser sekundenschnellen Analyse blieb mir unbekannt beziehungsweise kam ich zu keinem abschließenden Resultat, da mein Bewusstsein regelrecht in Endorphinen ertrank, sobald meine Lippen überschwänglich auf Isaacs trafen. Die Berührung bewirkte ein allgemeines Herunterfahren meiner wirbelnden Gedanken und sorgte dafür, dass sämtliche emotionale Laster des Tages federleicht von meinen Schultern glitten; zumindest existierte für den Moment kein Platz dafür in mir. Wie auch? Ich fühlte – metaphorisch gesprochen – jede einzelne Zelle meines Körpers vor Freude knistern und die ausgeschütteten Glücksgefühle drückten sich strahlend aus jeder einzelnen Pore. Es handelte sich um eine angenehme Form der Überforderung: als wäre ich in der Lage, mit all der positiven Energie in mir die Welt umarmen zu können. Trotz dieser überschäumenden Kraft – oder eben der Illusion davon – lag es an Isaac, der mir bereitwillig Platz machte, dass ich schlussendlich auf seinen Schoß rutschte und mich fest an ihn schmiegte. Der enge Griff um meine Taille lud geradewegs dazu ein. Wahrscheinlich hätte ich noch eine undefinierbare Ewigkeit in dieser glückseligen Berührung schwelgen können, aber irgendwann lechzte meine Lunge erneut nach bitter nötigem Sauerstoff und zudem lag es noch an mir, diese bereits lauernden Worte auf meiner Zunge endlich laut auszusprechen. Ich kostete jede Silbe aus, genoss es, diese Intimität mit Isaac teilen zu dürfen und ließ mich anschließend direkt zu dem nächsten innigen Kuss verleiten. Zu einem späteren Zeitpunkt würde ich diesen Augenblick revue-passieren lassen und diesen Abschluss an unvorhersehbaren Neuigkeiten in angemessenem Tempo verarbeiten, wofür momentan keine Zeit blieb. All die hauchzarten Berührungen auf meiner Haut führten zu einem hellen Kichern meinerseits, weil die schnelle Abfolge der Küsse ein angenehmes Kitzeln bei mir auslöste. Zumindest bis ich seine Zähne sanft an meinem Hals spürte. Isaac tat mir nicht weh; eigentlich fühlte es sich sogar irgendwie gut an. Trotzdem löste sich ein amüsiertes „Hey“ begleitet durch den Ausklang des verhaltenen Lachens von meinen Lippen, weniger als Tadel, sondern mehr als indirekte Frage ausgesprochen. Ich freute mich gerade zu viel, um jegliche Form der Negativität empfinden zu können und außerdem schien ich eine Schwäche für Isaacs verspielte Seite zu besitzen. Wobei mir dieser glückliche Glanz in seinen schönen Augen ebenso zusprach, mein Herz verräterisch hüpfen ließ. Seine gemurmelten Worte erinnerten mich ganz neu daran, wie oberflächlich Isaac seine vergangenen Liebschaften geführt hatte und ein sehr primitiver Teil in mir freute sich insgeheim darüber, diese besondere Einzigartigkeit der ersten ernsthaften Liebesbekundung von ihm sein zu dürfen. Dem dezenten besitzergreifenden Teil in mir gefiel diese Erkenntnis, wobei ich mich nicht allzu lang an dieser Sonderstellung verbeißen konnte, da der junge Mann mich mit seiner Anmerkung kurz aus dem Konzept brachte, ehe ein freudiges Lachen aus meiner Kehle drang und ich den Kopf leicht schüttelte. „Über den Punkt sind wir wohl hinaus.“ Ob ich seine Freundin sein wollte? Ja. Zwar hatte ich nicht gewusst, dass ich diese im Scherz formulierte Feststellung hatte hören müssen, aber die darin verpackte Bedeutung legte sich wie Balsam auf meine mitgenommene Seele. Instinktiv legte ich meinen Kopf in seine streichelnde Berührung und sog die Zärtlichkeit in mich auf, während ich seinem gedehnten Gedankengang neugierig folgte. Wen bekam ich irgendwann? Ich schob es definitiv auf mein verklärtes Hirn, getränkt von Glückshormonen und dementsprechend zu keinem rationalen Gedanken fähig, dass ich Isaac nicht folgen konnte. Dafür hellte sich meine Miene augenblicklich auf: eine Hochzeit mit allem Drum und Dran. Sofort blitzte die Erinnerung an ein kleines, blond gelocktes Mädchen in mir auf, dass sich seine traumhafte Märchenhochzeit ausmalte und mithilfe kindlicher Fantasie die unvorstellbarsten Pläne schmiedete. „Das würde mich sehr glücklich machen“, gestand ich leise. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Gestaltwandler überhaupt nichts aus diesen überaus menschlichen Symbol der Ehe machte. Seine Reaktion auf meine damalige Ehrlichkeit haftete nach wie vor gut abrufbar in meinem Gedächtnis – umso mehr freute ich mich deshalb über dieses Zugeständnis. Meine Finger hatten zwischenzeitlich mit dem Spielen der kurzen, dunklen Haarsträhnen an Isaacs Hinterkopf begonnen, weil es mir scheinbar immer noch schwerfiel, die Hände ruhig zu halten, wenn ich aufgeregt war. „Ich hoffe nur, dass wir bald mal die Angewohnheit ablegen, Nahtoderfahrungen vor jedem Schritt des Näherkommens durchleben zu müssen“, erklärte ich schwach lächelnd, dachte dabei an den Grizzly und das Dinner mit Isaacs Halbbruder, die die Vorreiter für körperliche Intimität darstellten. Die heutige Konfrontation mit einem zu neugierigen Alpha und einer angriffslustigen Werwölfin durfte ruhig das letzte Sprungbrett bleiben, um uns der Wichtigkeit des jeweils anderen im eigenen Leben wahrlich bewusst zu werden. Ich benötigte keine weiteren Denkanstöße mehr. „Mir gefällt es aber, wenn wir einen so turbulenten Tag mit etwas Schönem abschließen.“ Um nicht zu sagen, dass all das Drama des Tages mehr oder weniger durch dieses Liebesgeständnis aufgewogen wurde.
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 Wie anfangs befürchtet, wusste ich ebenfalls keine zufriedenstellende Antwort auf Isaacs ruhelose Gedanken und im Falle der Beweggründe seiner Mutter würde er keine Erklärung aus erster Hand erhalten. Bedauern überschattete meine Gesichtszüge. „Es gab sicherlich einen Grund“, stimmte ich Isaac zugegebenermaßen lasch zu, aber meine Möglichkeiten blieben eben auch sehr begrenzt. Ich kannte seine Mutter kaum – eigentlich gar nicht – und wusste deshalb auch nicht, ob sie aus jugendlichem Leichtsinn mit beiden Gestaltwandlern geschlafen hatte oder es einen weitgreifenden Hintergedanken gegeben hatte. „Vielleicht versuchst du noch einmal mit Sylvan darüber zu sprechen?“, schlug ich behutsam vor, erhoffte mir aber kein allzu positives Feedback auf die Idee. Eine klärende Unterhaltung mit seinem betrogenen Ziehvater stellte ich mir im Vergleich zu der unangenehmen Konversation mit dem hiesigen Alpha weitaus komplizierter und riskanter vor. Isaac stand also unter einem gewissen Zeitdruck, diese gewichtige Entscheidung zu treffen. Etwas, das ich ihm nicht abnehmen würde, aber Isaac jederzeit Beistand; sofern er mich dabeihaben wollte. Meine Ansprache schien die Überlegungen hinsichtlich der mütterlichen Motive zu dem Seitensprung vorerst zu verdrängen, immerhin schafften es die ausgesprochenen Worte, Isaac vom Fenster zu lösen und mir seine volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ein Teil von mir verzichtete gerne auf diesen Fokus, solang ich mich so verwundbar fühlte, aber glücklicherweise hielt meine Vernunft dagegen an. Ich brauchte mich nicht zu fürchten, obwohl mir die Unsicherheit leserlich ins Gesicht geschrieben stand. Ich hasste das, weil ich mich nicht so fühlen wollte. Schließlich stimmte jede einzelne Silbe, daran durfte es keine Zweifel geben und es schien mir unpassend, mich deswegen so anzustellen. Ehrlichkeit sollte nicht zu dem leisesten Anflug von Unbehagen führen; zumindest in meiner Wunschvorstellung. Die Realität sah stets anders aus. Allerdings, denn mein Herz schlug spürbar schneller, als Isaac genau vor mich trat und ich unter dem dunkelgefärbten Wimpernkranz zu ihm aufblickte. Seine Miene gab mir Rätsel auf, als er nach meinen klammen Fingern griff und diese mit seinen warmen Händen umschloss. Ich bemühte mich, aus seiner Mimik eine Reaktion auf meinen emotionalen Vorstoß herauszulesen. Fehlanzeige. Mir blieb nichts anderes übrig, als seiner Meinung entgegenzublicken… und irgendwie auf das Beste zu hoffen. Isaac gab meinen Blick ohnehin nicht mehr frei, sobald ich mich in dem eisig klaren Blau verloren hatte. Ausgesucht zu werden, seine Wahl zu sein, obwohl wir ursprünglich zu dieser Verbindung gezwungen worden waren, bedeutete mir mehr zu hören, als ich gedacht hätte. Dennoch trauten sich meine Muskeln noch nicht zu entspannen, obwohl die streichelnden Bewegungen auf meinem Handrücken sehr dazu einluden. Außerdem schloss er sich meiner Meinung an, was ich als gutes Zeichen wertete. Obwohl dieser Teil der Aussage mein Herzklopfen nicht verschuldete. Gewissermaßen hatte ich mit seiner Zustimmung gerechnet, anderenfalls würde Isaac sich nicht derart über Charlottes Formulierung brüskieren. Das war sicheres Terrain, welches wir in dem Augenblick verließen, als Isaac hinzufügte, dass Charly jedoch in einem Aspekt Recht behalten sollte. Für den Bruchteil einer Sekunde fackelte Irritation in meinen Augen auf, als Isaac in aller Ruhe vor mir niederkniete, bevor Neugierde die Verwirrung ablöste. Womöglich täuschte ich mich, aber lägen Isaacs Nerven blank, würde er eher wie ein eingesperrtes Tier durch den Raum tigern und nicht an Ort und Stelle verharren. Dennoch nahm ich eine dezente Anspannung in seiner Haltung wahr – nicht nur mein Nervenkostüm schien auf die Probe gestellt zu werden. Isaac gestand mir sogar die Angst vor diesen intensiven Gefühlen, woraufhin nicht anders konnte, als unsere verknoteten Hände leicht zu drücken. Naja, vielleicht war das eine falsche Eingebung, denn kurz darauf entzog er mir seine Finger sanft und mir rutschte mein Herz kurzfristig bis in die Knie hinunter, bevor ich seine Körperwärme seitlich an den Oberschenkeln spürte. Ohne Beschäftigung fingen meine Finger automatisch wieder damit an, an dem glänzenden Ehering zu drehen – ein bisschen hielt ich mich an dem Symbol fest, ein bisschen versuchte ich ein Ventil für meine Unruhe zu schaffen und ein bisschen half mir die motorische Ablenkung, um mich nicht in Isaacs Unterarme zu krallen. Erst Isaacs Lächeln erlöste mich von der irrational übermächtigen Sorge, dass ihn mein verborgenes Geständnis abschreckte und er sich emotional entfernte. Es dauerte ein oder zwei Atemzüge, bis auch meine Lippen ein zaghaftes Lächeln zierte. Allein die Tatsache, diesen Mann innerhalb weniger Tage zu vermissen oder mich immer wieder auf den gemeinsamen Tagesausklang zu freuen, sprach für sich. Im Prinzip konnte ich seine Ausführung mit Beispielen, die auf ihn zutrafen, ebenso unterschreiben. Außerdem wärmte es mein in Aufruhr geratenes Herzchen, zusehen zu dürfen, wie Isaacs Lächeln breiter und strahlender wurde. Erst recht, als er meine roten Wangen erwähnten, die sich selbstverständlich sofort dazu berufen fühlten, seine Worte physisch zu untermauern. Ich spürte regelrecht, wie mir die Hitze auf Kommando ins Gesicht kroch. Gerne hätte ich dem jungen Mann einen mahnenden Blick zugeworfen, aber er wirkte in diesem Augenblick so überzeugt und entspannt, dass der Ausdruck überwiegend bewundernd ausfiel. Nicht ganz meine Intuition, aber das stand kurze Zeit später ohnehin nicht mehr zur Debatte, denn mein Hirn leerte sich blitzschnell und mein Mund öffnete sich leicht vor Erstaunen. Hatte er gerade…? Ja. Ich hatte mich nicht verhört. Die Worte samt inhaltlicher Information brauchte ein paar Abbiegungen, bis sie im richtigen Areal meines Hirns ankamen und die Erkenntnis einsickern konnte. Würden meine Wangen nicht bereits glühen, wäre es spätestens jetzt so weit. Gemeinsam mit dem verräterisch dümmlichen Grinsen und den verdächtig glänzenden Augen legte ich sicherlich eine ästhetische Glanzleistung hin. Perfekt – nur eine eitle Bemerkung am Rande meiner Wahrnehmung, die in den überschäumenden Endorphinen ertrank, bevor sie irgendeinen Schaden anstellte. „Isaac…“, hauchte ich brüchig, nicht fähig, den Satz zu vollenden, anderenfalls würde ich hier wirklich noch vor Rührung und Freude zu heulen beginnen. Bevor der Damm meiner Beherrschung brechen konnte, schlang ich meine Arme um seinen Nacken, warf mich Isaac dabei geradewegs entgegen und küsste ihn – fest, intensiv und gleichzeitig hingebungsvoll. Es war meine Art der Erwiderung, solang mir die Stimme voraussichtlich versagen würde und der unerwartete Schwall unbändigen Glücks durch mich hindurchwütete. Die leidenschaftlichen Berührungen wurden langsam zu liebevolleren Bekenntnissen, bevor ich mich schweratmend von seinen Lippen trennte. Mir war nicht aufgefallen, dass ich bei meinem Überfall irgendwie auf Isaacs Schoß gelandet war – gezogen wurde, wie auch immer –, aber es fügte sich ausgezeichnet, da wir uns dadurch fast auf gleicher Augenhöhe befanden. Meine Lippen fühlten sich etwas geschwollen an, aber es handelte sich um ein gutes Gefühl, ebenso wie sich die anbahnenden Worte auf meiner Zunge richtig anfühlten. „Ich liebe dich, Isaac.“ Dieses Mal funktionierte es mit solider Stimme. Ohne dem Risiko einer Tränenflut, nur ein strahlendes Lächeln und erhitzte Wangen.
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 Das uns zugedachte Zimmer hatte sich innerhalb eines Tages zu meinem persönlichen Hafen der Sicherheit innerhalb des wölfischen Herrenhauses entwickelt, weshalb ich es nachvollziehen konnte, weswegen Isaac erst mit seinen Gedanken herausrückte, als die Tür ins Schloss fiel und unsere Unterhaltung vor ungewünschten Zuhörern sicher war. Obwohl ich nicht einschätzen konnte, womit Isaac mich gleich konfrontieren würde, wappnete ich mich mental und ging zu einer abwartenden Haltung über – mit anderen Worten: ich stand ziemlich unschlüssig vor dem großgewachsenen Mann und übte mich in Geduld. Wann immer der Dunkelhaarige bereit wäre, mir seine Gedanken mitzuteilen, ich stünde im übertragenen Sinne zur Stelle. Es dauerte zu meiner Erleichterung nicht lange, damit Isaac die Stimme erhob. Er bot mir eine erfahrungsgemäß stark gekürzte Version des Knotens in seinem Kopf an, was ich mit einem nachdenklichen Nicken quittierte. Die spärliche Auskunft sorgte zudem für eine Gegenfrage meinerseits: „Was sind das für Fragen?“ Die Erkenntnis, das seine gesamte Kindheit und Jugend auf einer Lüge hinsichtlich seines leiblichen Vaters aufbaute, musste einer Sinneskrise epischen Ausmaßes gleichkommen. Ich an Isaacs Stelle würde wahrscheinlich mein ganzes Leben hinterfragen und ebenfalls nach Antworten lechzen. Antworten, die Sylvan eventuell geben könnte, aber scheinbar hinderte die beiden Männer etwas an diesem klärenden Gespräch. Stolz, Hintergedanken, weitere Unklarheiten… die Liste ließe sich bestimmt weiter ausführen, aber ehe ich mich in möglichen Ausreden für das hartnäckige Schweigen verlieren konnte, schloss Isaac an jenen Gedanken an, die ihn derzeit so offensichtlich beschäftigten. Unsere Beziehung oder viel mehr deren Einzigartigkeit schlug hohe Wellen innerhalb des Rudels. Wir alle wuchsen mit unterschiedlichen anerzogenen Überzeugungen auf, die gewisse Denkmuster begünstigten und unsere Vorstellungen von richtig und falsch prägten – in unserem Fall: Engel und Wölfe galten als natürliche Feinde. Punkt. Isaac und ich sprengten diese tiefgreifende Einstellung mit unserer Verbindung, weshalb ich die Skepsis und Neugierde bis zu einem bestimmten Grad nachvollziehen beziehungsweise tolerieren konnte. „Hier oben passiert scheinbar nicht sonderlich viel, weshalb sie sich auf jede Neuigkeit wie die Geier stürzen. Ich will niemanden in Schutz nehmen, schließlich kenne ich niemanden dieses Rudels nah genug, aber ich denke, dass sich der Wirbel bald gelegt hat und dementsprechend auch das Interesse an unserer atypischen Beziehung abflaut.“ Trotzdem stellte sich mir die Frage, weshalb ein Urteil des Rudels über uns dermaßen an Isaacs Substanz kratzt, wo er doch selten etwas auf die Meinung anderer – mit Ausnahmen – gab. Der finstere Blick aus seinen schönen Augen machte mir deutlich, wie schwer es ihm gegen den Strich ging, dass unsere Beziehung dermaßen unter die Lupe genommen wurde, während mich dieses mögliche Urteil relativ kalt ließ. Mich verband jedoch auch kein familiärer Bezug, ich bekam hier keine Möglichkeit auf eine zweite, deutlich gesittetere Familie – womöglich sehnte sich Isaac nach dieser unerwarteten Chance und beschäftigte sich deshalb vermehrt mit deren Meinung über ihn oder eher uns. Schweigend sah ich ihm nach, als er zu dem großen Fenster traf und es öffnete, während ich mich langsam auf die einsinkende Matratze des Bettes setzte und so weit nach hinten rutschte, dass meine, in dem Fall sorgten meine zu kurzen Beine dafür, Füße ein paar Zentimeter über den Holzboden baumelten. Die frische Brise kitzelte meine Nase, stahl sich in die wohlige Wärme des Raumes und doch hieß ich die eindringende Kälte willkommen. Eventuell erhob ich, die im Gegensatz zu Isaac bei schwindend geringen Außentemperaturen zum Eiszapfen mutierte, keinen Einwand, weil es mir nicht gefiel, wie verbissen er aus dem Fenster starrte, die Hand um den Fenstergriff geklammert. Als bräuchte er diese Kälte gerade. Ich hielt mich zurück, bot ihm den Raum zum Atmen und um seine Emotionen zu sortieren. Außerdem hütete ich mich, das nächste Donnerwetter mit einem falschen Wort zur falschen Zeit auszulösen. Unter anderen Umständen schreckte ich nicht davor zurück, geradewegs auf den Punkt zu kommen, aber der heutige Tag hatte genug Auf und Abs geboten, sodass mir nun mehr der Sinn nach Einheit und Frieden stand. Da aber selbst nach einer kurzen Pause, die wir beide schweigend oder eher in Gedanken versunken zubrachten, keine weitere Ergänzung seitens Isaac kam, übernahm ich die Weiterführung der stockenden Unterhaltung: „Und wie siehst du’s?“ Eine relativ simpel auszusprechende Frage, aber die Antwort würde wohl mehr Überwindung kosten. Daher fügte ich leise hinzu: „Ich sehe es nämlich auch etwas anders als Charlotte.“ Vielleicht half es Isaac, wenn er wusste, dass ich diesem Dogma ebenfalls nicht zustimmte; immerhin hatte ich mich sehr bewusst dazu entschiede, Isaac die Chance auf Wiedergutmachung zu ermöglichen und mich tatsächlich darauf einzulassen. „Eine Beziehung lebt nicht nur von Zuneigung“, damit umschiffte ich das bisher streng gemiedene L-Wort eher ungeschickt, „sondern bedeutet auch Arbeit… und Arbeit passiert nicht einfach so. Wir investieren Zeit und finden Kompromisse. Wir räumen uns gegenseitig Chancen zur Besserung ein, entwickeln uns weiter, weil ein Zusammen funktionieren soll. Wir entscheiden uns bewusst dafür. Ich hab mir das also unterm Strich durchaus selbst ausgesucht.“ Das Ende meiner sanften Ansprache schlüpfte nur mehr leise, beinahe verletzlich über meine Lippen, während ich meine Finger träge knetete. Im Hinblick auf Charlottes Aussage kam dies einer zweiten indirekten Liebeserklärung innerhalb weniger Stunden gleich und ich wusste nicht, wie ich mit dieser Schutzlosigkeit gerade in diesem Augenblick umgehen sollte. Zwar würde mich Isaac niemals absichtlich verletzten, aber in Punkto Gefühlen stand er teilweise immer noch am Anfang und mein Herz fühlte sich gerade besonders ausgeliefert an. Ich stand zu meinen Worten, deshalb blickte ich Isaac tapfer entgegen, jedoch hielt ich den Blickkontakt nur kurz, bevor ich den Fokus wieder zurück auf meine Hände legte.
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 Isaac selbstzerstörerisches und leichtlebiges Image brandmarkte ihn selbst nach über einem Jahr weiterhin, was sich wahrscheinlich auch in den kommenden Monaten ohne aktives Gegensteuern nicht ändern würde – trotzdem störte mich der vorläufige Rückzug und die Stille rund um meinen Partner nicht. Manchmal gab es keine Möglichkeit zur Schadensbegrenzung, solang die Erinnerungen an gewisse Ausrutscher zu frisch waren und ich verlangte keine altruistischen Aktionen, nur um gute Publicity zu erhalten. Isaac investierte seine Zeit ohnehin in sich, eben unter Ausschluss der Öffentlichkeit und im produktiven Sinne für eine gemeinsame, erfolggekrönte Zukunft. Sylvan behandelte ich in der Hinsicht wie eine unbekannte Variable, die uns hoffentlich keine Schwierigkeiten einbrachte, sondern den Prozess des Vergessens mittels charmanter Worte verbesserte. Und von meiner Seite benötigte es wohl weiterhin positives Einwirken, um Isaacs ewig pessimistische Einstellung zu sich selbst in mancherlei Hinsicht abzulegen – zumindest sah ich keinen Grund dafür, tendenziell vom Schlimmsten auszugehen. Damit beschwor man doch erst recht Negatives hervor, oder verhielt ich mich da zu abergläubisch? Keine Ahnung, aber wir mussten es ja im Anblick der dutzenden Herausforderungen und Probleme, die in unterschiedlicher Geschwindigkeit auf uns zukamen, nicht riskieren. Unter anderem zählte ich dazu den potenziell unerfüllbaren Kinderwunsch, der wie ein äußerst scharfes Damokles-Schwert über unseren Köpfen schwebte und auf den wir von Charlotte unwissentlich sehr unsanft angesprochen wurde. Mir verrutschte für ein oder zwei Atemzüge das lockere Lächeln, aber Isaac managte die Situation hervorragend mit seiner ausweichenden Erwiderung. Was sollte er auch anderes sagen, ohne sich zu weit mit Halbwahrheiten aus dem Fenster zu lehnen? [i]Wir müssen vorher noch das Für und Wider meines Todes abschätzen, bevor wir weitere Entscheidungen trafen[i], käme meines Erachtens nicht zu unserem Gunsten rüber und hätte einen ganzen Rattenschwanz an Folgefragen im Schlepptau, auf die ich gut und gerne vorerst verzichtete. Trotzdem wollten ein paar unangenehme Details ausgesprochen werden, denn sobald Salacia den Raum gefolgt von ein paar weiteren Rudelmitgliedern verlassen hatte, platzte die wenig schmeichelhafte Feststellung aus Isaac heraus. Beinahe hätte ich ihm unbemerkt unter dem Tisch mit dem Fuß einen leichten Schubs verpasst, aber Charlotte reagierte glücklicherweise überwiegend erschöpft-resigniert auf seine Anmerkung. Ihre Erklärung klang ein wenig lahm – Isaac hatte schon recht, aber sie wäre ja nicht immer derart eigensinnig. War man als Mutter verpflichtet, Kritik an den eigenen Kindern abzumildern? Galt das auch für uneheliche Söhne? Während Charly auf mich eben noch unbekümmert gewirkt hatte, schien sie schlagartig vorsichtiger mit ihrer Wortwahl zu werden, fand aber eine diplomatische Entgegnung und beendete damit den spontanen Vorstoß Isaacs. Ich folgte der bunt gekleideten Frau mit meinem Blick, als sie sich mit auf der Tischplatte abgestützten Handflächen aufstemmte, und bereitete mich sozusagen auf den obligatorischen Wunsch der guten Nacht vor, als Charlotte stattdessen noch eine kleine Anmerkung fallen ließ, die prinzipiell als Kleinigkeit abzutun wäre, aber in unserer komplexen Beziehung mit bombenverdächtigen Potenzial einschlug. Schnell huschten meine Aufmerksamkeit eruierend zu Isaac, wie er diese Unterstellung auffasste, immerhin konnte man anscheinend doch das Lieben lernen, wenn einem jegliche Alternativen versagt wurden. Richtig romantisch. „Gute Nacht“, wünschte ich der davongehenden Hausherrin dennoch mit bemüht unbeschwerter Stimme, aber das leise Seufzen drang anschließend ungefiltert über meine Lippen. Isaacs schlagartige Aufbruchstimmung war wohl auf die rhetorische Frage zurückzuvollziehen, wieso sonst sollte er den letzten Schluck seines Getränks unbeachtet stehen lassen? Ich hatte mein Weinglas bereits vor ein paar Minuten geleert und musste zugeben, dass mir bezüglich der gebunkerten, edlen Tropfen nicht zu viel versprochen worden war. Wir verabschiedeten uns von den vereinzelt am Tisch sitzenden, sich ruhig unterhaltenden Gestaltwandlern und ließen damit das Speisezimmer für diesen Tag endgültig hinter uns. Auf halbem Weg auf der Treppe merkte ich, dass es in Isaac rumorte und schob meine Hand vorsichtig zwischen seine Finger. „Was geht dir im Kopf um?“, erkundigte ich mich erst, als wir quasi vor unserer Tür standen und in die ungestörte Zweisamkeit traten. Meines Ermessens nach lief das Abendessen so unkompliziert wie irgendwie möglich, was definitiv als Erfolg zu verbuchen war.
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 Noch während ich munter erzählte, in Erinnerungen schwelte, spürte ich den minimal fester werdenden Druck auf meinem Oberschenkel und schloss instinktiv daraus, dass irgendetwas nicht stimmte. Ohne mir etwas ansehen zu lassen, schwenkte mein Blick im Laufe der kleinen Anekdote zu Salacia und weiter zu Isaac neben mir, doch dessen Aufmerksamkeit lag auf dem zweifachen Vater, der sich darum bemühte, seine Jungs unter Kontrolle zu halten, die ganz wissbegierig sämtliche Erzählungen am Tisch geschluckt hatten. Es waren höchstwahrscheinlich nicht die besten Gute-Nacht-Geschichten, die man sich als Verantwortlicher für zwei teils pubertierende Jungwölfe vorstellte. Hätte ich mein Erlebnis vorsichtiger formulieren müssen oder sollte ich Salacia nicht zu viel reizen, deren Stimmung überwiegend gedrückt wirkte, weshalb mich Isaac vorsichtshalber non-verbal um Rücksicht bat? Oder gab es einen anderen Grund, der sich mir aus der derzeitigen Situation und mangelnder Werwolf-Kenntnis nicht erschloss, weshalb sich seine Hand auf meinem Oberschenkel kurzfristig verkrampft hatte? Keiner der anwesenden Wölfe zeigte Anzeichen, demnächst aus der Haut zu fahren – eigentlich wirkte die Stimmung regelrecht gemütlich – und ich entschied, dass der Punkt auf der Liste meiner Jugendsünden keine Bedrohung für den Tischfrieden darstellte. Logan schien ohnehin regelrecht begeistert davon sein, einen indirekt vorbestraften Engel vorzufinden. Natürlich hatten meine Eltern sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um meinen Nachbarn zu besänftigen und die polizeiliche Akte weiterhin einwandfrei zu halten, deswegen galt ich nach wie vor als vorbildliche Bürgerin ohne Hinweis auf die kleinste Verfehlung. Glücklicherweise hatten die Beamten mich hinterm Steuer aufgelesen, anderenfalls hätte mein Vater keine Sekunde gezögert, um meinem Freund die gesamte Schuld in die Schuhe zu schieben und mich als naives, verknalltes Mädchen hinzustellen, das es schlichtweg nicht besser wusste. Tja, dass man mir anschließend den Kontakt zu dem Jungen verbot, war zwar prinzipiell nachvollziehbar, hielt uns damals aber nicht davon, ab, weiterhin gemeinsam durch die Gegend zu ziehen, schließlich teilten wir uns auch den Freundeskreis. „Ich hänge meine Skandale nur nicht an die große Glocke, wie manch anderer“, entgegnete ich mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen, während ich mit einer leichten Kopfneigung in Isaacs Richtung nickte. Außerdem hätte ich es niemals geschafft, derart viel öffentlichen Trubel um meine Person zu veranstalten, wie es meinem Partner gelungen war. Die Presse hatte ihn samt seiner Fehltritte geradezu verehrt, schließlich musste man nur ausreichend Geduld beweisen und irgendwann belohnte Isaac Garcia das Warten schon mit einer Titelseiten-verdächtigen Story. So gesehen hatten seine Chancen geradewegs gegen Null gestanden, diverse Vorfälle unbemerkt unter den Teppich zu kehren. Die unerwartete Hochzeit hatte noch einmal für einen Aufschwung aufdringlicher Presse-Leute gesorgt, aber seitdem musste sich die Redaktion andere Protagonisten für ihre Klatschblätter suchen, denn um den verrufenen Junggesellen herum war es ruhig geworden; sehr zu meiner Erleichterung. Außerdem fanden die Journalisten ohnehin schnell neue Opfer für ihre reißerischen Artikel, schließlich rückten genug junge Erben mit zu viel Geld und Langeweile nach, um für weiteres Futter zu sorgen. Eben der Kreislauf der Zeit. Auch Theo würde irgendwann in dieses Alter kommen, doch vorerst interessierte ihn viel mehr, was diese komischen Masasis wären, was von seiner Mutter bereits richtig erklärt wurde und von mir nur mehr ein bestätigendes Nicken erhielt. Zwar waren meine Gedanken dezent in andere Gefilde abgewandert, kehrten aber schnell zurück an den Tisch, als Logan mir vorschlug, Isaacs Auto kurzzuschließen, sollte er mir auf die Nerven gehen, und einen kleinen Ausflug zu unternehmen. Belustigung umspielte meine Gesichtszüge, während der Mann neben mir genau das Gegenteil in seiner Mimik präsentierte. „Wieso gehst du davon aus, dass ich direkt einen Unfall bauen würde? Vielleicht würde ich mir nur die Sehkühe anschauen fahren, ein Eis essen und danach tiefenentspannt zurückkommen“, hakte ich interessiert mit angehobener Augenbraue an, aber das unterschwellige Lächeln verriet mich. Prinzipiell würde das Potenzial für meine Kränkung fix und fertig serviert vor mir liegen, ich bräuchte nur mehr zuzugreifen, aber da ich längst über diesen Punkt hinausgewachsen war, machte ich mir lediglich einen Spaß daraus, Isaac ganz kurz schwitzen zu lassen. „Danke, Logan“, warf ich ein, nachdem mir der Werwolf indirekt den Rücken stärkte. Isaacs stöhnende Reaktion sorgte für heiteres Lachen am Tisch, weswegen ich mich kurzerhand zu ihm lehnte, einen sanften Kuss auf seine Wange legte und ihm leise versicherte, dass sein Auto schon vor mir sicher wäre. Der Gedanke, dass es trotz gesenkter Stimme alle Beteiligten hörten, fühlte sich nach wie vor sehr falsch an, aber ich arrangierte mich bestmöglich mit dieser übernatürlichen Form der mangelnden Privatsphäre. Hoffentlich wusste er, dass ich wusste, dass es ihm nicht hauptsächlich um einen potenziellen Schaden an dem teuren Sportwagen ging, aber das sprach ich nun wirklich nicht für alle hörbar aus. Theo schaltete sich erneut ein: „Bin ich denn auch ein 24/7?“ Neugierig richtete er seinen kindlich-offenen Blick zuerst an Isaac, danach direkt an seine lachende Mutter, die ihm liebevoll das Haar hinters Ohr strich. „Allerdings, Liebling. Du bis unser 24/7, das jetzt aber dringend in die Badewanne und danach ins Bett muss.“ Zuerst kicherte der Kleine noch, dann erstarb der fröhliche Laut und stattdessen setzte das Jammern ein: „Aber ich war doch erst gestern baden. Warum muss ich heute schon wieder?“ „Weil du ein kleiner Schmutzfink bist, deshalb“, erwiderte Aiden anstelle seiner Frau und hob nach einem knappen Seitenblick zu Isaac den Knirps problemlos hoch, warf ihn sich locker über die Schulter und brachte seinen Sohn damit zu lautem Gelächter – der Albtraum eines bevorstehenden Bades schien kurzfristig in den Hintergrund zu rücken –, um ihn so aus dem Raum zu tragen. Claire rückte die drei Stühle zurecht, ehe sie dem immer noch hörbaren Duo aus dem Speisezimmer folgte. Der Abgang der drei schien ein allgemeines Aufbrechen losgelöst zu haben, wobei Salacia als eine der Ersten zügig aus dem Raum stolzierte. Logan hingegen blieb noch so lange sitzen, bis sein Whisky-Glas vollends geleert war und verabschiedete sich erst danach von den Übriggebliebenen.
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 Oftmals reichte die Aussicht auf etwas Schönes, um die derzeit unangenehme Situation leichter zu ertragen und in meinem Fall bedeutete dies, an der Vorstellung festzuhalten, wie Isaac und ich spät abends den Weinkeller auf Herz und Nieren überprüften. Diese jugendhafte Rebellion würde keinerlei nennenswerter Auswirkungen bekommen, da ich nicht gedachte, mich auf die Kosten des nördlichen Rudels zu betrinken oder die vorgefundenen Räumlichkeiten großflächig umzudekorieren. Es kam mir überwiegend wie eine kleine Flucht in die Sorglosigkeit vor, falls wir tatsächlich zu dem Entschluss kamen, dem ominösen Rätsel eines versteckten Weinkellers auf die Spur zu gehen. Allein die Vorstellung reichte aus, um mich dem Abendessen mit einer gehobenen Laune zu stellen, obwohl mein Unwohlsein dennoch wie ein unruhiges Tier im Käfig auf und ab marschierte. Salacias Entschuldigung besaß einiges an Verbesserungspotenzial, aber um den sensiblen Frieden zu wahren, begnügte ich mich mit den wenigen Worten und würde die Situation nicht unnötig verkomplizieren. Mir reichte es ohnehin an neuen Erkenntnissen und irritierenden Gepflogenheiten, um noch eine zusätzliche Feindin ins Boot zu holen, die ganz gezielt etwas gegen mich persönlich einzuwenden hätte – die Abneigung gegen mein Naturell reichte für den Anfang. Zudem Isaac es scheinbar für unproblematisch hielt, mein Unbehagen zum neuen Tischthema zu machen. Beinahe strafend traf mein Blick auf ihn, hatte ich mich doch so vehement an meine starre, aber offensichtlich lückenhafte Miene geklammert. Sein lockerer Umgang damit – oder vielleicht das amüsierte Schmunzeln, das mir so sehr an ihm gefiel – animierte mich dazu, es ebenfalls entspannter anzugehen. Ich versuchte es zumindest hinzunehmen, die Neue mit den Eingliederungsschwierigkeiten zu sein. Dabei rechnete ich nicht mit dem moralischen Beistand durch Theos Mutter, die sich fröhlich einmischte und den Fokus des Gesprächs dadurch von mir weg auf die allgemeine Gewöhnungsbedürftigkeit umlenkte. Dankbarkeit huschte über meine Züge, während ich dem kurzen, herzlichen Schlagabtausch zwischen den Eheleuten lauschte. Es wirkte so alltäglich, als würde ich den immer gleichen Debatten meiner Verwandten am Tisch zuhören. Auf einmal verschwammen die Grenzen zwischen Wölfen und Engeln für einen herrlichen Augenblick. Das zugegebenermaßen köstliche Essen – ich schloss von der Vorzüglichkeit meines Gerichts darauf, dass das Rudel hier regelmäßig auf hohem Standard speiste – reichte offenbar aus, um sich nicht länger an meiner (oder auch Isaacs) Anwesenheit zu stören. Besteck klirrte, hier und da vernahm ich ein leises Schmatzen aus Theos Richtung und sonst ertönten nur gemurmelte Gespräche in dem Speisezimmer. Isaac wandte sich auch einmal an mich, um sich nach meiner Zufriedenheit zu erkundigen. Lächelnd lobte ich die Köchin für ihr kulinarisches Kunstwerk, bei dem mir spontan kein Mangel auffiel und der wahrscheinlich auch bis zum Ende des Abendessens nicht auftreten würde. Der Genuss lenkte mich dennoch nicht ausreichend ab, um das Geschehen um mich herum auszublenden – natürlich freute ich mich über das harmonische Beisammensein, aber ich wusste aus belehrender Erfahrung, wie schnell die Stimmung bei Werwölfen umschwenken konnte. Vielleicht hätte der harmlose Diebstahl einer Flasche Wein in dem Rudel zuhause ein Drama losgelöst, aber hier reagierte Isaac geradezu belustigt von dem Versuch und stieg auch nicht auf die leise Provokation des Jungwolfes ein. Der Junge tappte auch geradewegs in die Falle, schien er seine Fähigkeit, Sarkasmus als solchen zu erkennen, noch nicht ausreichend gefördert zu haben und schnappte dementsprechend empört nach Luft, sammelte diese in aufgeblasenen Bäckchen und lehnte sich beleidigt mit vor der schmalen Brust verschränkten Armen nach hinten gegen die Stuhllehne. Ich verkniff mir ein entzücktes Grinsen, denn der schmollende Kleine war herzallerliebst anzusehen. Erst recht, als er japsend die Luft ausstieß und sich an den nun sprechenden Gestaltwandler mit großen, leuchtenden Augen wandte. „Gute Idee, danke“, freute er sich und schon schien der Unmut vergessen zu sein, während sein Vater direkt neben ihm finstere Blicke verteilte. „Herzlichen Dank, perfekt“, murrte der Mann und richtete sich im Anschluss sogleich an den immer noch strahlenden Sohn. In der Zwischenzeit startete Isaac mit einer neuen Frage die Unterhaltung mit allen, was bereitwillig von dem Rudel angenommen wurde. Die Hand meines Partners lag währenddessen ruhig auf meinem Oberschenkel, was sich mittlerweile als Symbol für Sicherheit in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Ich entspannte mich zunehmend mit den zum Besten gegebenen Geschichten, lachte hier und da leise mit und bewunderte das rhetorische Geschick Logans, der mit seinen ausschweifenden Anekdoten die Menge unterhielt, aber auch durch die Art der Erzählung den Eindruck verlieh, die Erinnerung selbst mitzuerleben. Charlottes Auftreten änderte entgegen meiner Annahme nichts an dem Rudelverhalten, stattdessen lachte die bunt gekleidete Frau direkt mit und stimmte zu, sich an den Schlamassel gut erinnern zu können. Währenddessen servierte eines der Dienstmädchen ebenfalls einen dampfenden Teller mit vegetarischem Essen, woraufhin ich einen fragenden Blick zugeworfen bekam. Erneut wiederholte ich meine volle Zufriedenheit und fügte mit einem ehrlichen Lächeln ein dickes Lob an ihre Köchin hinzu. Charly schien es wirklich zu freuen, obwohl ich mir kaum Gedanken über meine Wortwahl gemacht hatte, aber manchmal durfte die spontane Eingebung auch reichen; angenehm, nicht jede Formulierung in die Waagschale werfen zu müssen. Leider dauerte diese unproblematische Erkenntnis nicht lange an, denn keine fünf Atemzüge danach erhob Salacia die Stimme und richtete mit ihrer stichelnden Frage ganz gezielt auf mich. Ruhig löste ich mich mit Charlotte, konzentrierte mich stattdessen auf deren eigenwillige Tochter, bevor der Anflug eines entspannten Lächelns an meinen Mundwinkeln zupfte. „Ich kann nicht für alle Engel sprechen, denn mir ist durchaus bewusst, dass manche einfach umfallen würden, wenn man ihnen den Stock aus dem Hintern ziehen würde,“ die Erwähnung meiner teils sehr steifen Verwandtschaft trug mir von einem argwöhnischen Blinzeln bis hin zu amüsierten Glucksen diverse Regungen ein, „aber wir sind auch irgendwann in einer rebellischen Phase festgesteckt, dachten es sei klug, das Auto vom Nachbar für eine Spritztour zu klauen und haben Grenzen ausgetestet. Irgendwer im Freundeskreis hatte eine dumme Idee und die anderen sind begeistert mitgezogen. So läuft das halt“, bei der Erinnerung glitzerten meine Augen freudig als mein Blick mit einer stummen Herausforderung auf Salacia lag. Ihre Seltenheit zwang sie dazu, im Verborgenen zu leben und auf derartige Eskapaden im Schutz der Jugend verzichten zu müssen. Wahrscheinlich war das Rudel ihr soziales Umfeld; es gab keine Freunde, die sie auf irrwitzige Aktionen mitnehmen konnten. Ich wusste es und verpackte den Seitenhieb lediglich etwas diskreter. Sie verstand den hübsch verpackten Hieb scheinbar, denn ihre Miene verdunkelte sich merklich und sie zog die Nase etwas kraus. Bevor sie jedoch eine Erwiderung geben konnte, drängte sich Logan dazwischen: „Das mit dem gestohlenen Auto müsstest du bitte aufgrund von Lernzwecken genauer ausführen.“ Dabei zwinkerte er mir schelmisch zu, während Axtons Vater regelrecht in sich zusammenfiel und gar nicht wusste, welchem seiner Söhne er die Ohren vorzugsweise zuhalten sollte. Kurz überlegte ich mich dagegen zu entscheiden, aber mich drängte das Bedürfnis, zumindest ein kleiner Teil auf absehbare Zeit sein zu dürfen und deshalb öffnete ich den Mund wieder: „Ich müsste fünfzehn gewesen sein und hatte natürlich keinen Führerschein, als mich mein damaliger Freund fragte, ob ich schon mal wilde Manatis gesehen hätte. Keine Ahnung, wie er da draufkam, aber ich verneinte natürlich und damit war es wohl entschieden. Er schloss das neue Cabrio meines Nachbarn kurz und wir machten uns auf den Weg. Wir wussten beide nicht, wo wir diese verdammten Manatis überhaupt finden würden, aber fühlten uns schrecklich erwachsen und es machte einfach Spaß, nur an der Küste entlangzufahren. Zumindest so lang, bis uns die Polizei eingesammelt und wieder heimgebracht hat. Das war übrigens auch meine erste Erfahrung als Autolenkerin“, beendete ich meine Erzählung kurzerhand mit einem Grinsen.
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