Beiträge: 3161
| Zuletzt Online: 29.10.2024
-
-
Ein beschämtes Hallo aus der Versenkung. Die letzten zwei Monate waren permanent irgendwelche Kleinigkeiten bzw. meine Projektabgabe hat sich bis Mitte September gezogen, obwohls hieß, es wäre mit 15. August erledigt... und dann hat die Uni auch schon wieder begonnen - ich kann aber voll naiver Hoffnung verkünden, dass ich mich bestenfalls im vorletzten Lernsemester befinde und bald den Wisch in der Hand haben sollt. Irgendwann dann halt. ^^ Kaum dass ich dachte, ich hätte mich an den neuen Semesterrhythmus mit Arbeit, Lehrveranstaltungen und Alltag gewöhnt, haben wir letzten Sonntag einen kleinen Kater mitten in der Nacht auf der Straße beim Heimgehen von einer Bar gefunden, der uns bis in die Wohnung gefolgt ist und vorerst bei uns wohnt; bis sich halt die rechtmäßigen Besitzer melden und ihn wieder abholen. Joah... Leben mit einem kaum 1-jährigen Kater stellt mich vor neue, längst vergessene Herausforderungen im Zeitmanagement und dem Arbeitsaufwand daheim. >-> Jedenfalls leide ich drunter, aber das Schreiben kommt gezwungenermaßen zu kurz. </3 Wie erging es dir die letzte Zeit? Kam etwas beim Tierarztbesuch bezüglich deiner Katze raus? Wie gehts dem Pony, nun, wo's wieder kälter wird? ________
Mein Hirn oder viel mehr die Verarbeitung der unerwartet verkündeten Information hinkte minimal hinterher, während mein Körper die Kontrolle gewissermaßen übernommen und auf Autopilot gewechselt hatte. Obwohl ich mich in überzeugter Sicherheit wiegte, keinem Missverständnis zum Opfer zu fallen und in der nächsten Sekunde hart auf dem Boden der Tatsachen aufzuschlagen, zerpflückte mein Verstand die wenigen, aber doch so schwerwiegenden Worte in meinem Kopf. Das Ziel dieser sekundenschnellen Analyse blieb mir unbekannt beziehungsweise kam ich zu keinem abschließenden Resultat, da mein Bewusstsein regelrecht in Endorphinen ertrank, sobald meine Lippen überschwänglich auf Isaacs trafen. Die Berührung bewirkte ein allgemeines Herunterfahren meiner wirbelnden Gedanken und sorgte dafür, dass sämtliche emotionale Laster des Tages federleicht von meinen Schultern glitten; zumindest existierte für den Moment kein Platz dafür in mir. Wie auch? Ich fühlte – metaphorisch gesprochen – jede einzelne Zelle meines Körpers vor Freude knistern und die ausgeschütteten Glücksgefühle drückten sich strahlend aus jeder einzelnen Pore. Es handelte sich um eine angenehme Form der Überforderung: als wäre ich in der Lage, mit all der positiven Energie in mir die Welt umarmen zu können. Trotz dieser überschäumenden Kraft – oder eben der Illusion davon – lag es an Isaac, der mir bereitwillig Platz machte, dass ich schlussendlich auf seinen Schoß rutschte und mich fest an ihn schmiegte. Der enge Griff um meine Taille lud geradewegs dazu ein. Wahrscheinlich hätte ich noch eine undefinierbare Ewigkeit in dieser glückseligen Berührung schwelgen können, aber irgendwann lechzte meine Lunge erneut nach bitter nötigem Sauerstoff und zudem lag es noch an mir, diese bereits lauernden Worte auf meiner Zunge endlich laut auszusprechen. Ich kostete jede Silbe aus, genoss es, diese Intimität mit Isaac teilen zu dürfen und ließ mich anschließend direkt zu dem nächsten innigen Kuss verleiten. Zu einem späteren Zeitpunkt würde ich diesen Augenblick revue-passieren lassen und diesen Abschluss an unvorhersehbaren Neuigkeiten in angemessenem Tempo verarbeiten, wofür momentan keine Zeit blieb. All die hauchzarten Berührungen auf meiner Haut führten zu einem hellen Kichern meinerseits, weil die schnelle Abfolge der Küsse ein angenehmes Kitzeln bei mir auslöste. Zumindest bis ich seine Zähne sanft an meinem Hals spürte. Isaac tat mir nicht weh; eigentlich fühlte es sich sogar irgendwie gut an. Trotzdem löste sich ein amüsiertes „Hey“ begleitet durch den Ausklang des verhaltenen Lachens von meinen Lippen, weniger als Tadel, sondern mehr als indirekte Frage ausgesprochen. Ich freute mich gerade zu viel, um jegliche Form der Negativität empfinden zu können und außerdem schien ich eine Schwäche für Isaacs verspielte Seite zu besitzen. Wobei mir dieser glückliche Glanz in seinen schönen Augen ebenso zusprach, mein Herz verräterisch hüpfen ließ. Seine gemurmelten Worte erinnerten mich ganz neu daran, wie oberflächlich Isaac seine vergangenen Liebschaften geführt hatte und ein sehr primitiver Teil in mir freute sich insgeheim darüber, diese besondere Einzigartigkeit der ersten ernsthaften Liebesbekundung von ihm sein zu dürfen. Dem dezenten besitzergreifenden Teil in mir gefiel diese Erkenntnis, wobei ich mich nicht allzu lang an dieser Sonderstellung verbeißen konnte, da der junge Mann mich mit seiner Anmerkung kurz aus dem Konzept brachte, ehe ein freudiges Lachen aus meiner Kehle drang und ich den Kopf leicht schüttelte. „Über den Punkt sind wir wohl hinaus.“ Ob ich seine Freundin sein wollte? Ja. Zwar hatte ich nicht gewusst, dass ich diese im Scherz formulierte Feststellung hatte hören müssen, aber die darin verpackte Bedeutung legte sich wie Balsam auf meine mitgenommene Seele. Instinktiv legte ich meinen Kopf in seine streichelnde Berührung und sog die Zärtlichkeit in mich auf, während ich seinem gedehnten Gedankengang neugierig folgte. Wen bekam ich irgendwann? Ich schob es definitiv auf mein verklärtes Hirn, getränkt von Glückshormonen und dementsprechend zu keinem rationalen Gedanken fähig, dass ich Isaac nicht folgen konnte. Dafür hellte sich meine Miene augenblicklich auf: eine Hochzeit mit allem Drum und Dran. Sofort blitzte die Erinnerung an ein kleines, blond gelocktes Mädchen in mir auf, dass sich seine traumhafte Märchenhochzeit ausmalte und mithilfe kindlicher Fantasie die unvorstellbarsten Pläne schmiedete. „Das würde mich sehr glücklich machen“, gestand ich leise. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Gestaltwandler überhaupt nichts aus diesen überaus menschlichen Symbol der Ehe machte. Seine Reaktion auf meine damalige Ehrlichkeit haftete nach wie vor gut abrufbar in meinem Gedächtnis – umso mehr freute ich mich deshalb über dieses Zugeständnis. Meine Finger hatten zwischenzeitlich mit dem Spielen der kurzen, dunklen Haarsträhnen an Isaacs Hinterkopf begonnen, weil es mir scheinbar immer noch schwerfiel, die Hände ruhig zu halten, wenn ich aufgeregt war. „Ich hoffe nur, dass wir bald mal die Angewohnheit ablegen, Nahtoderfahrungen vor jedem Schritt des Näherkommens durchleben zu müssen“, erklärte ich schwach lächelnd, dachte dabei an den Grizzly und das Dinner mit Isaacs Halbbruder, die die Vorreiter für körperliche Intimität darstellten. Die heutige Konfrontation mit einem zu neugierigen Alpha und einer angriffslustigen Werwölfin durfte ruhig das letzte Sprungbrett bleiben, um uns der Wichtigkeit des jeweils anderen im eigenen Leben wahrlich bewusst zu werden. Ich benötigte keine weiteren Denkanstöße mehr. „Mir gefällt es aber, wenn wir einen so turbulenten Tag mit etwas Schönem abschließen.“ Um nicht zu sagen, dass all das Drama des Tages mehr oder weniger durch dieses Liebesgeständnis aufgewogen wurde.
-
-
Wie anfangs befürchtet, wusste ich ebenfalls keine zufriedenstellende Antwort auf Isaacs ruhelose Gedanken und im Falle der Beweggründe seiner Mutter würde er keine Erklärung aus erster Hand erhalten. Bedauern überschattete meine Gesichtszüge. „Es gab sicherlich einen Grund“, stimmte ich Isaac zugegebenermaßen lasch zu, aber meine Möglichkeiten blieben eben auch sehr begrenzt. Ich kannte seine Mutter kaum – eigentlich gar nicht – und wusste deshalb auch nicht, ob sie aus jugendlichem Leichtsinn mit beiden Gestaltwandlern geschlafen hatte oder es einen weitgreifenden Hintergedanken gegeben hatte. „Vielleicht versuchst du noch einmal mit Sylvan darüber zu sprechen?“, schlug ich behutsam vor, erhoffte mir aber kein allzu positives Feedback auf die Idee. Eine klärende Unterhaltung mit seinem betrogenen Ziehvater stellte ich mir im Vergleich zu der unangenehmen Konversation mit dem hiesigen Alpha weitaus komplizierter und riskanter vor. Isaac stand also unter einem gewissen Zeitdruck, diese gewichtige Entscheidung zu treffen. Etwas, das ich ihm nicht abnehmen würde, aber Isaac jederzeit Beistand; sofern er mich dabeihaben wollte. Meine Ansprache schien die Überlegungen hinsichtlich der mütterlichen Motive zu dem Seitensprung vorerst zu verdrängen, immerhin schafften es die ausgesprochenen Worte, Isaac vom Fenster zu lösen und mir seine volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ein Teil von mir verzichtete gerne auf diesen Fokus, solang ich mich so verwundbar fühlte, aber glücklicherweise hielt meine Vernunft dagegen an. Ich brauchte mich nicht zu fürchten, obwohl mir die Unsicherheit leserlich ins Gesicht geschrieben stand. Ich hasste das, weil ich mich nicht so fühlen wollte. Schließlich stimmte jede einzelne Silbe, daran durfte es keine Zweifel geben und es schien mir unpassend, mich deswegen so anzustellen. Ehrlichkeit sollte nicht zu dem leisesten Anflug von Unbehagen führen; zumindest in meiner Wunschvorstellung. Die Realität sah stets anders aus. Allerdings, denn mein Herz schlug spürbar schneller, als Isaac genau vor mich trat und ich unter dem dunkelgefärbten Wimpernkranz zu ihm aufblickte. Seine Miene gab mir Rätsel auf, als er nach meinen klammen Fingern griff und diese mit seinen warmen Händen umschloss. Ich bemühte mich, aus seiner Mimik eine Reaktion auf meinen emotionalen Vorstoß herauszulesen. Fehlanzeige. Mir blieb nichts anderes übrig, als seiner Meinung entgegenzublicken… und irgendwie auf das Beste zu hoffen. Isaac gab meinen Blick ohnehin nicht mehr frei, sobald ich mich in dem eisig klaren Blau verloren hatte. Ausgesucht zu werden, seine Wahl zu sein, obwohl wir ursprünglich zu dieser Verbindung gezwungen worden waren, bedeutete mir mehr zu hören, als ich gedacht hätte. Dennoch trauten sich meine Muskeln noch nicht zu entspannen, obwohl die streichelnden Bewegungen auf meinem Handrücken sehr dazu einluden. Außerdem schloss er sich meiner Meinung an, was ich als gutes Zeichen wertete. Obwohl dieser Teil der Aussage mein Herzklopfen nicht verschuldete. Gewissermaßen hatte ich mit seiner Zustimmung gerechnet, anderenfalls würde Isaac sich nicht derart über Charlottes Formulierung brüskieren. Das war sicheres Terrain, welches wir in dem Augenblick verließen, als Isaac hinzufügte, dass Charly jedoch in einem Aspekt Recht behalten sollte. Für den Bruchteil einer Sekunde fackelte Irritation in meinen Augen auf, als Isaac in aller Ruhe vor mir niederkniete, bevor Neugierde die Verwirrung ablöste. Womöglich täuschte ich mich, aber lägen Isaacs Nerven blank, würde er eher wie ein eingesperrtes Tier durch den Raum tigern und nicht an Ort und Stelle verharren. Dennoch nahm ich eine dezente Anspannung in seiner Haltung wahr – nicht nur mein Nervenkostüm schien auf die Probe gestellt zu werden. Isaac gestand mir sogar die Angst vor diesen intensiven Gefühlen, woraufhin nicht anders konnte, als unsere verknoteten Hände leicht zu drücken. Naja, vielleicht war das eine falsche Eingebung, denn kurz darauf entzog er mir seine Finger sanft und mir rutschte mein Herz kurzfristig bis in die Knie hinunter, bevor ich seine Körperwärme seitlich an den Oberschenkeln spürte. Ohne Beschäftigung fingen meine Finger automatisch wieder damit an, an dem glänzenden Ehering zu drehen – ein bisschen hielt ich mich an dem Symbol fest, ein bisschen versuchte ich ein Ventil für meine Unruhe zu schaffen und ein bisschen half mir die motorische Ablenkung, um mich nicht in Isaacs Unterarme zu krallen. Erst Isaacs Lächeln erlöste mich von der irrational übermächtigen Sorge, dass ihn mein verborgenes Geständnis abschreckte und er sich emotional entfernte. Es dauerte ein oder zwei Atemzüge, bis auch meine Lippen ein zaghaftes Lächeln zierte. Allein die Tatsache, diesen Mann innerhalb weniger Tage zu vermissen oder mich immer wieder auf den gemeinsamen Tagesausklang zu freuen, sprach für sich. Im Prinzip konnte ich seine Ausführung mit Beispielen, die auf ihn zutrafen, ebenso unterschreiben. Außerdem wärmte es mein in Aufruhr geratenes Herzchen, zusehen zu dürfen, wie Isaacs Lächeln breiter und strahlender wurde. Erst recht, als er meine roten Wangen erwähnten, die sich selbstverständlich sofort dazu berufen fühlten, seine Worte physisch zu untermauern. Ich spürte regelrecht, wie mir die Hitze auf Kommando ins Gesicht kroch. Gerne hätte ich dem jungen Mann einen mahnenden Blick zugeworfen, aber er wirkte in diesem Augenblick so überzeugt und entspannt, dass der Ausdruck überwiegend bewundernd ausfiel. Nicht ganz meine Intuition, aber das stand kurze Zeit später ohnehin nicht mehr zur Debatte, denn mein Hirn leerte sich blitzschnell und mein Mund öffnete sich leicht vor Erstaunen. Hatte er gerade…? Ja. Ich hatte mich nicht verhört. Die Worte samt inhaltlicher Information brauchte ein paar Abbiegungen, bis sie im richtigen Areal meines Hirns ankamen und die Erkenntnis einsickern konnte. Würden meine Wangen nicht bereits glühen, wäre es spätestens jetzt so weit. Gemeinsam mit dem verräterisch dümmlichen Grinsen und den verdächtig glänzenden Augen legte ich sicherlich eine ästhetische Glanzleistung hin. Perfekt – nur eine eitle Bemerkung am Rande meiner Wahrnehmung, die in den überschäumenden Endorphinen ertrank, bevor sie irgendeinen Schaden anstellte. „Isaac…“, hauchte ich brüchig, nicht fähig, den Satz zu vollenden, anderenfalls würde ich hier wirklich noch vor Rührung und Freude zu heulen beginnen. Bevor der Damm meiner Beherrschung brechen konnte, schlang ich meine Arme um seinen Nacken, warf mich Isaac dabei geradewegs entgegen und küsste ihn – fest, intensiv und gleichzeitig hingebungsvoll. Es war meine Art der Erwiderung, solang mir die Stimme voraussichtlich versagen würde und der unerwartete Schwall unbändigen Glücks durch mich hindurchwütete. Die leidenschaftlichen Berührungen wurden langsam zu liebevolleren Bekenntnissen, bevor ich mich schweratmend von seinen Lippen trennte. Mir war nicht aufgefallen, dass ich bei meinem Überfall irgendwie auf Isaacs Schoß gelandet war – gezogen wurde, wie auch immer –, aber es fügte sich ausgezeichnet, da wir uns dadurch fast auf gleicher Augenhöhe befanden. Meine Lippen fühlten sich etwas geschwollen an, aber es handelte sich um ein gutes Gefühl, ebenso wie sich die anbahnenden Worte auf meiner Zunge richtig anfühlten. „Ich liebe dich, Isaac.“ Dieses Mal funktionierte es mit solider Stimme. Ohne dem Risiko einer Tränenflut, nur ein strahlendes Lächeln und erhitzte Wangen.
-
-
Das uns zugedachte Zimmer hatte sich innerhalb eines Tages zu meinem persönlichen Hafen der Sicherheit innerhalb des wölfischen Herrenhauses entwickelt, weshalb ich es nachvollziehen konnte, weswegen Isaac erst mit seinen Gedanken herausrückte, als die Tür ins Schloss fiel und unsere Unterhaltung vor ungewünschten Zuhörern sicher war. Obwohl ich nicht einschätzen konnte, womit Isaac mich gleich konfrontieren würde, wappnete ich mich mental und ging zu einer abwartenden Haltung über – mit anderen Worten: ich stand ziemlich unschlüssig vor dem großgewachsenen Mann und übte mich in Geduld. Wann immer der Dunkelhaarige bereit wäre, mir seine Gedanken mitzuteilen, ich stünde im übertragenen Sinne zur Stelle. Es dauerte zu meiner Erleichterung nicht lange, damit Isaac die Stimme erhob. Er bot mir eine erfahrungsgemäß stark gekürzte Version des Knotens in seinem Kopf an, was ich mit einem nachdenklichen Nicken quittierte. Die spärliche Auskunft sorgte zudem für eine Gegenfrage meinerseits: „Was sind das für Fragen?“ Die Erkenntnis, das seine gesamte Kindheit und Jugend auf einer Lüge hinsichtlich seines leiblichen Vaters aufbaute, musste einer Sinneskrise epischen Ausmaßes gleichkommen. Ich an Isaacs Stelle würde wahrscheinlich mein ganzes Leben hinterfragen und ebenfalls nach Antworten lechzen. Antworten, die Sylvan eventuell geben könnte, aber scheinbar hinderte die beiden Männer etwas an diesem klärenden Gespräch. Stolz, Hintergedanken, weitere Unklarheiten… die Liste ließe sich bestimmt weiter ausführen, aber ehe ich mich in möglichen Ausreden für das hartnäckige Schweigen verlieren konnte, schloss Isaac an jenen Gedanken an, die ihn derzeit so offensichtlich beschäftigten. Unsere Beziehung oder viel mehr deren Einzigartigkeit schlug hohe Wellen innerhalb des Rudels. Wir alle wuchsen mit unterschiedlichen anerzogenen Überzeugungen auf, die gewisse Denkmuster begünstigten und unsere Vorstellungen von richtig und falsch prägten – in unserem Fall: Engel und Wölfe galten als natürliche Feinde. Punkt. Isaac und ich sprengten diese tiefgreifende Einstellung mit unserer Verbindung, weshalb ich die Skepsis und Neugierde bis zu einem bestimmten Grad nachvollziehen beziehungsweise tolerieren konnte. „Hier oben passiert scheinbar nicht sonderlich viel, weshalb sie sich auf jede Neuigkeit wie die Geier stürzen. Ich will niemanden in Schutz nehmen, schließlich kenne ich niemanden dieses Rudels nah genug, aber ich denke, dass sich der Wirbel bald gelegt hat und dementsprechend auch das Interesse an unserer atypischen Beziehung abflaut.“ Trotzdem stellte sich mir die Frage, weshalb ein Urteil des Rudels über uns dermaßen an Isaacs Substanz kratzt, wo er doch selten etwas auf die Meinung anderer – mit Ausnahmen – gab. Der finstere Blick aus seinen schönen Augen machte mir deutlich, wie schwer es ihm gegen den Strich ging, dass unsere Beziehung dermaßen unter die Lupe genommen wurde, während mich dieses mögliche Urteil relativ kalt ließ. Mich verband jedoch auch kein familiärer Bezug, ich bekam hier keine Möglichkeit auf eine zweite, deutlich gesittetere Familie – womöglich sehnte sich Isaac nach dieser unerwarteten Chance und beschäftigte sich deshalb vermehrt mit deren Meinung über ihn oder eher uns. Schweigend sah ich ihm nach, als er zu dem großen Fenster traf und es öffnete, während ich mich langsam auf die einsinkende Matratze des Bettes setzte und so weit nach hinten rutschte, dass meine, in dem Fall sorgten meine zu kurzen Beine dafür, Füße ein paar Zentimeter über den Holzboden baumelten. Die frische Brise kitzelte meine Nase, stahl sich in die wohlige Wärme des Raumes und doch hieß ich die eindringende Kälte willkommen. Eventuell erhob ich, die im Gegensatz zu Isaac bei schwindend geringen Außentemperaturen zum Eiszapfen mutierte, keinen Einwand, weil es mir nicht gefiel, wie verbissen er aus dem Fenster starrte, die Hand um den Fenstergriff geklammert. Als bräuchte er diese Kälte gerade. Ich hielt mich zurück, bot ihm den Raum zum Atmen und um seine Emotionen zu sortieren. Außerdem hütete ich mich, das nächste Donnerwetter mit einem falschen Wort zur falschen Zeit auszulösen. Unter anderen Umständen schreckte ich nicht davor zurück, geradewegs auf den Punkt zu kommen, aber der heutige Tag hatte genug Auf und Abs geboten, sodass mir nun mehr der Sinn nach Einheit und Frieden stand. Da aber selbst nach einer kurzen Pause, die wir beide schweigend oder eher in Gedanken versunken zubrachten, keine weitere Ergänzung seitens Isaac kam, übernahm ich die Weiterführung der stockenden Unterhaltung: „Und wie siehst du’s?“ Eine relativ simpel auszusprechende Frage, aber die Antwort würde wohl mehr Überwindung kosten. Daher fügte ich leise hinzu: „Ich sehe es nämlich auch etwas anders als Charlotte.“ Vielleicht half es Isaac, wenn er wusste, dass ich diesem Dogma ebenfalls nicht zustimmte; immerhin hatte ich mich sehr bewusst dazu entschiede, Isaac die Chance auf Wiedergutmachung zu ermöglichen und mich tatsächlich darauf einzulassen. „Eine Beziehung lebt nicht nur von Zuneigung“, damit umschiffte ich das bisher streng gemiedene L-Wort eher ungeschickt, „sondern bedeutet auch Arbeit… und Arbeit passiert nicht einfach so. Wir investieren Zeit und finden Kompromisse. Wir räumen uns gegenseitig Chancen zur Besserung ein, entwickeln uns weiter, weil ein Zusammen funktionieren soll. Wir entscheiden uns bewusst dafür. Ich hab mir das also unterm Strich durchaus selbst ausgesucht.“ Das Ende meiner sanften Ansprache schlüpfte nur mehr leise, beinahe verletzlich über meine Lippen, während ich meine Finger träge knetete. Im Hinblick auf Charlottes Aussage kam dies einer zweiten indirekten Liebeserklärung innerhalb weniger Stunden gleich und ich wusste nicht, wie ich mit dieser Schutzlosigkeit gerade in diesem Augenblick umgehen sollte. Zwar würde mich Isaac niemals absichtlich verletzten, aber in Punkto Gefühlen stand er teilweise immer noch am Anfang und mein Herz fühlte sich gerade besonders ausgeliefert an. Ich stand zu meinen Worten, deshalb blickte ich Isaac tapfer entgegen, jedoch hielt ich den Blickkontakt nur kurz, bevor ich den Fokus wieder zurück auf meine Hände legte.
-
-
Isaac selbstzerstörerisches und leichtlebiges Image brandmarkte ihn selbst nach über einem Jahr weiterhin, was sich wahrscheinlich auch in den kommenden Monaten ohne aktives Gegensteuern nicht ändern würde – trotzdem störte mich der vorläufige Rückzug und die Stille rund um meinen Partner nicht. Manchmal gab es keine Möglichkeit zur Schadensbegrenzung, solang die Erinnerungen an gewisse Ausrutscher zu frisch waren und ich verlangte keine altruistischen Aktionen, nur um gute Publicity zu erhalten. Isaac investierte seine Zeit ohnehin in sich, eben unter Ausschluss der Öffentlichkeit und im produktiven Sinne für eine gemeinsame, erfolggekrönte Zukunft. Sylvan behandelte ich in der Hinsicht wie eine unbekannte Variable, die uns hoffentlich keine Schwierigkeiten einbrachte, sondern den Prozess des Vergessens mittels charmanter Worte verbesserte. Und von meiner Seite benötigte es wohl weiterhin positives Einwirken, um Isaacs ewig pessimistische Einstellung zu sich selbst in mancherlei Hinsicht abzulegen – zumindest sah ich keinen Grund dafür, tendenziell vom Schlimmsten auszugehen. Damit beschwor man doch erst recht Negatives hervor, oder verhielt ich mich da zu abergläubisch? Keine Ahnung, aber wir mussten es ja im Anblick der dutzenden Herausforderungen und Probleme, die in unterschiedlicher Geschwindigkeit auf uns zukamen, nicht riskieren. Unter anderem zählte ich dazu den potenziell unerfüllbaren Kinderwunsch, der wie ein äußerst scharfes Damokles-Schwert über unseren Köpfen schwebte und auf den wir von Charlotte unwissentlich sehr unsanft angesprochen wurde. Mir verrutschte für ein oder zwei Atemzüge das lockere Lächeln, aber Isaac managte die Situation hervorragend mit seiner ausweichenden Erwiderung. Was sollte er auch anderes sagen, ohne sich zu weit mit Halbwahrheiten aus dem Fenster zu lehnen? [i]Wir müssen vorher noch das Für und Wider meines Todes abschätzen, bevor wir weitere Entscheidungen trafen[i], käme meines Erachtens nicht zu unserem Gunsten rüber und hätte einen ganzen Rattenschwanz an Folgefragen im Schlepptau, auf die ich gut und gerne vorerst verzichtete. Trotzdem wollten ein paar unangenehme Details ausgesprochen werden, denn sobald Salacia den Raum gefolgt von ein paar weiteren Rudelmitgliedern verlassen hatte, platzte die wenig schmeichelhafte Feststellung aus Isaac heraus. Beinahe hätte ich ihm unbemerkt unter dem Tisch mit dem Fuß einen leichten Schubs verpasst, aber Charlotte reagierte glücklicherweise überwiegend erschöpft-resigniert auf seine Anmerkung. Ihre Erklärung klang ein wenig lahm – Isaac hatte schon recht, aber sie wäre ja nicht immer derart eigensinnig. War man als Mutter verpflichtet, Kritik an den eigenen Kindern abzumildern? Galt das auch für uneheliche Söhne? Während Charly auf mich eben noch unbekümmert gewirkt hatte, schien sie schlagartig vorsichtiger mit ihrer Wortwahl zu werden, fand aber eine diplomatische Entgegnung und beendete damit den spontanen Vorstoß Isaacs. Ich folgte der bunt gekleideten Frau mit meinem Blick, als sie sich mit auf der Tischplatte abgestützten Handflächen aufstemmte, und bereitete mich sozusagen auf den obligatorischen Wunsch der guten Nacht vor, als Charlotte stattdessen noch eine kleine Anmerkung fallen ließ, die prinzipiell als Kleinigkeit abzutun wäre, aber in unserer komplexen Beziehung mit bombenverdächtigen Potenzial einschlug. Schnell huschten meine Aufmerksamkeit eruierend zu Isaac, wie er diese Unterstellung auffasste, immerhin konnte man anscheinend doch das Lieben lernen, wenn einem jegliche Alternativen versagt wurden. Richtig romantisch. „Gute Nacht“, wünschte ich der davongehenden Hausherrin dennoch mit bemüht unbeschwerter Stimme, aber das leise Seufzen drang anschließend ungefiltert über meine Lippen. Isaacs schlagartige Aufbruchstimmung war wohl auf die rhetorische Frage zurückzuvollziehen, wieso sonst sollte er den letzten Schluck seines Getränks unbeachtet stehen lassen? Ich hatte mein Weinglas bereits vor ein paar Minuten geleert und musste zugeben, dass mir bezüglich der gebunkerten, edlen Tropfen nicht zu viel versprochen worden war. Wir verabschiedeten uns von den vereinzelt am Tisch sitzenden, sich ruhig unterhaltenden Gestaltwandlern und ließen damit das Speisezimmer für diesen Tag endgültig hinter uns. Auf halbem Weg auf der Treppe merkte ich, dass es in Isaac rumorte und schob meine Hand vorsichtig zwischen seine Finger. „Was geht dir im Kopf um?“, erkundigte ich mich erst, als wir quasi vor unserer Tür standen und in die ungestörte Zweisamkeit traten. Meines Ermessens nach lief das Abendessen so unkompliziert wie irgendwie möglich, was definitiv als Erfolg zu verbuchen war.
-
-
Noch während ich munter erzählte, in Erinnerungen schwelte, spürte ich den minimal fester werdenden Druck auf meinem Oberschenkel und schloss instinktiv daraus, dass irgendetwas nicht stimmte. Ohne mir etwas ansehen zu lassen, schwenkte mein Blick im Laufe der kleinen Anekdote zu Salacia und weiter zu Isaac neben mir, doch dessen Aufmerksamkeit lag auf dem zweifachen Vater, der sich darum bemühte, seine Jungs unter Kontrolle zu halten, die ganz wissbegierig sämtliche Erzählungen am Tisch geschluckt hatten. Es waren höchstwahrscheinlich nicht die besten Gute-Nacht-Geschichten, die man sich als Verantwortlicher für zwei teils pubertierende Jungwölfe vorstellte. Hätte ich mein Erlebnis vorsichtiger formulieren müssen oder sollte ich Salacia nicht zu viel reizen, deren Stimmung überwiegend gedrückt wirkte, weshalb mich Isaac vorsichtshalber non-verbal um Rücksicht bat? Oder gab es einen anderen Grund, der sich mir aus der derzeitigen Situation und mangelnder Werwolf-Kenntnis nicht erschloss, weshalb sich seine Hand auf meinem Oberschenkel kurzfristig verkrampft hatte? Keiner der anwesenden Wölfe zeigte Anzeichen, demnächst aus der Haut zu fahren – eigentlich wirkte die Stimmung regelrecht gemütlich – und ich entschied, dass der Punkt auf der Liste meiner Jugendsünden keine Bedrohung für den Tischfrieden darstellte. Logan schien ohnehin regelrecht begeistert davon sein, einen indirekt vorbestraften Engel vorzufinden. Natürlich hatten meine Eltern sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um meinen Nachbarn zu besänftigen und die polizeiliche Akte weiterhin einwandfrei zu halten, deswegen galt ich nach wie vor als vorbildliche Bürgerin ohne Hinweis auf die kleinste Verfehlung. Glücklicherweise hatten die Beamten mich hinterm Steuer aufgelesen, anderenfalls hätte mein Vater keine Sekunde gezögert, um meinem Freund die gesamte Schuld in die Schuhe zu schieben und mich als naives, verknalltes Mädchen hinzustellen, das es schlichtweg nicht besser wusste. Tja, dass man mir anschließend den Kontakt zu dem Jungen verbot, war zwar prinzipiell nachvollziehbar, hielt uns damals aber nicht davon, ab, weiterhin gemeinsam durch die Gegend zu ziehen, schließlich teilten wir uns auch den Freundeskreis. „Ich hänge meine Skandale nur nicht an die große Glocke, wie manch anderer“, entgegnete ich mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen, während ich mit einer leichten Kopfneigung in Isaacs Richtung nickte. Außerdem hätte ich es niemals geschafft, derart viel öffentlichen Trubel um meine Person zu veranstalten, wie es meinem Partner gelungen war. Die Presse hatte ihn samt seiner Fehltritte geradezu verehrt, schließlich musste man nur ausreichend Geduld beweisen und irgendwann belohnte Isaac Garcia das Warten schon mit einer Titelseiten-verdächtigen Story. So gesehen hatten seine Chancen geradewegs gegen Null gestanden, diverse Vorfälle unbemerkt unter den Teppich zu kehren. Die unerwartete Hochzeit hatte noch einmal für einen Aufschwung aufdringlicher Presse-Leute gesorgt, aber seitdem musste sich die Redaktion andere Protagonisten für ihre Klatschblätter suchen, denn um den verrufenen Junggesellen herum war es ruhig geworden; sehr zu meiner Erleichterung. Außerdem fanden die Journalisten ohnehin schnell neue Opfer für ihre reißerischen Artikel, schließlich rückten genug junge Erben mit zu viel Geld und Langeweile nach, um für weiteres Futter zu sorgen. Eben der Kreislauf der Zeit. Auch Theo würde irgendwann in dieses Alter kommen, doch vorerst interessierte ihn viel mehr, was diese komischen Masasis wären, was von seiner Mutter bereits richtig erklärt wurde und von mir nur mehr ein bestätigendes Nicken erhielt. Zwar waren meine Gedanken dezent in andere Gefilde abgewandert, kehrten aber schnell zurück an den Tisch, als Logan mir vorschlug, Isaacs Auto kurzzuschließen, sollte er mir auf die Nerven gehen, und einen kleinen Ausflug zu unternehmen. Belustigung umspielte meine Gesichtszüge, während der Mann neben mir genau das Gegenteil in seiner Mimik präsentierte. „Wieso gehst du davon aus, dass ich direkt einen Unfall bauen würde? Vielleicht würde ich mir nur die Sehkühe anschauen fahren, ein Eis essen und danach tiefenentspannt zurückkommen“, hakte ich interessiert mit angehobener Augenbraue an, aber das unterschwellige Lächeln verriet mich. Prinzipiell würde das Potenzial für meine Kränkung fix und fertig serviert vor mir liegen, ich bräuchte nur mehr zuzugreifen, aber da ich längst über diesen Punkt hinausgewachsen war, machte ich mir lediglich einen Spaß daraus, Isaac ganz kurz schwitzen zu lassen. „Danke, Logan“, warf ich ein, nachdem mir der Werwolf indirekt den Rücken stärkte. Isaacs stöhnende Reaktion sorgte für heiteres Lachen am Tisch, weswegen ich mich kurzerhand zu ihm lehnte, einen sanften Kuss auf seine Wange legte und ihm leise versicherte, dass sein Auto schon vor mir sicher wäre. Der Gedanke, dass es trotz gesenkter Stimme alle Beteiligten hörten, fühlte sich nach wie vor sehr falsch an, aber ich arrangierte mich bestmöglich mit dieser übernatürlichen Form der mangelnden Privatsphäre. Hoffentlich wusste er, dass ich wusste, dass es ihm nicht hauptsächlich um einen potenziellen Schaden an dem teuren Sportwagen ging, aber das sprach ich nun wirklich nicht für alle hörbar aus. Theo schaltete sich erneut ein: „Bin ich denn auch ein 24/7?“ Neugierig richtete er seinen kindlich-offenen Blick zuerst an Isaac, danach direkt an seine lachende Mutter, die ihm liebevoll das Haar hinters Ohr strich. „Allerdings, Liebling. Du bis unser 24/7, das jetzt aber dringend in die Badewanne und danach ins Bett muss.“ Zuerst kicherte der Kleine noch, dann erstarb der fröhliche Laut und stattdessen setzte das Jammern ein: „Aber ich war doch erst gestern baden. Warum muss ich heute schon wieder?“ „Weil du ein kleiner Schmutzfink bist, deshalb“, erwiderte Aiden anstelle seiner Frau und hob nach einem knappen Seitenblick zu Isaac den Knirps problemlos hoch, warf ihn sich locker über die Schulter und brachte seinen Sohn damit zu lautem Gelächter – der Albtraum eines bevorstehenden Bades schien kurzfristig in den Hintergrund zu rücken –, um ihn so aus dem Raum zu tragen. Claire rückte die drei Stühle zurecht, ehe sie dem immer noch hörbaren Duo aus dem Speisezimmer folgte. Der Abgang der drei schien ein allgemeines Aufbrechen losgelöst zu haben, wobei Salacia als eine der Ersten zügig aus dem Raum stolzierte. Logan hingegen blieb noch so lange sitzen, bis sein Whisky-Glas vollends geleert war und verabschiedete sich erst danach von den Übriggebliebenen.
-
-
Oftmals reichte die Aussicht auf etwas Schönes, um die derzeit unangenehme Situation leichter zu ertragen und in meinem Fall bedeutete dies, an der Vorstellung festzuhalten, wie Isaac und ich spät abends den Weinkeller auf Herz und Nieren überprüften. Diese jugendhafte Rebellion würde keinerlei nennenswerter Auswirkungen bekommen, da ich nicht gedachte, mich auf die Kosten des nördlichen Rudels zu betrinken oder die vorgefundenen Räumlichkeiten großflächig umzudekorieren. Es kam mir überwiegend wie eine kleine Flucht in die Sorglosigkeit vor, falls wir tatsächlich zu dem Entschluss kamen, dem ominösen Rätsel eines versteckten Weinkellers auf die Spur zu gehen. Allein die Vorstellung reichte aus, um mich dem Abendessen mit einer gehobenen Laune zu stellen, obwohl mein Unwohlsein dennoch wie ein unruhiges Tier im Käfig auf und ab marschierte. Salacias Entschuldigung besaß einiges an Verbesserungspotenzial, aber um den sensiblen Frieden zu wahren, begnügte ich mich mit den wenigen Worten und würde die Situation nicht unnötig verkomplizieren. Mir reichte es ohnehin an neuen Erkenntnissen und irritierenden Gepflogenheiten, um noch eine zusätzliche Feindin ins Boot zu holen, die ganz gezielt etwas gegen mich persönlich einzuwenden hätte – die Abneigung gegen mein Naturell reichte für den Anfang. Zudem Isaac es scheinbar für unproblematisch hielt, mein Unbehagen zum neuen Tischthema zu machen. Beinahe strafend traf mein Blick auf ihn, hatte ich mich doch so vehement an meine starre, aber offensichtlich lückenhafte Miene geklammert. Sein lockerer Umgang damit – oder vielleicht das amüsierte Schmunzeln, das mir so sehr an ihm gefiel – animierte mich dazu, es ebenfalls entspannter anzugehen. Ich versuchte es zumindest hinzunehmen, die Neue mit den Eingliederungsschwierigkeiten zu sein. Dabei rechnete ich nicht mit dem moralischen Beistand durch Theos Mutter, die sich fröhlich einmischte und den Fokus des Gesprächs dadurch von mir weg auf die allgemeine Gewöhnungsbedürftigkeit umlenkte. Dankbarkeit huschte über meine Züge, während ich dem kurzen, herzlichen Schlagabtausch zwischen den Eheleuten lauschte. Es wirkte so alltäglich, als würde ich den immer gleichen Debatten meiner Verwandten am Tisch zuhören. Auf einmal verschwammen die Grenzen zwischen Wölfen und Engeln für einen herrlichen Augenblick. Das zugegebenermaßen köstliche Essen – ich schloss von der Vorzüglichkeit meines Gerichts darauf, dass das Rudel hier regelmäßig auf hohem Standard speiste – reichte offenbar aus, um sich nicht länger an meiner (oder auch Isaacs) Anwesenheit zu stören. Besteck klirrte, hier und da vernahm ich ein leises Schmatzen aus Theos Richtung und sonst ertönten nur gemurmelte Gespräche in dem Speisezimmer. Isaac wandte sich auch einmal an mich, um sich nach meiner Zufriedenheit zu erkundigen. Lächelnd lobte ich die Köchin für ihr kulinarisches Kunstwerk, bei dem mir spontan kein Mangel auffiel und der wahrscheinlich auch bis zum Ende des Abendessens nicht auftreten würde. Der Genuss lenkte mich dennoch nicht ausreichend ab, um das Geschehen um mich herum auszublenden – natürlich freute ich mich über das harmonische Beisammensein, aber ich wusste aus belehrender Erfahrung, wie schnell die Stimmung bei Werwölfen umschwenken konnte. Vielleicht hätte der harmlose Diebstahl einer Flasche Wein in dem Rudel zuhause ein Drama losgelöst, aber hier reagierte Isaac geradezu belustigt von dem Versuch und stieg auch nicht auf die leise Provokation des Jungwolfes ein. Der Junge tappte auch geradewegs in die Falle, schien er seine Fähigkeit, Sarkasmus als solchen zu erkennen, noch nicht ausreichend gefördert zu haben und schnappte dementsprechend empört nach Luft, sammelte diese in aufgeblasenen Bäckchen und lehnte sich beleidigt mit vor der schmalen Brust verschränkten Armen nach hinten gegen die Stuhllehne. Ich verkniff mir ein entzücktes Grinsen, denn der schmollende Kleine war herzallerliebst anzusehen. Erst recht, als er japsend die Luft ausstieß und sich an den nun sprechenden Gestaltwandler mit großen, leuchtenden Augen wandte. „Gute Idee, danke“, freute er sich und schon schien der Unmut vergessen zu sein, während sein Vater direkt neben ihm finstere Blicke verteilte. „Herzlichen Dank, perfekt“, murrte der Mann und richtete sich im Anschluss sogleich an den immer noch strahlenden Sohn. In der Zwischenzeit startete Isaac mit einer neuen Frage die Unterhaltung mit allen, was bereitwillig von dem Rudel angenommen wurde. Die Hand meines Partners lag währenddessen ruhig auf meinem Oberschenkel, was sich mittlerweile als Symbol für Sicherheit in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Ich entspannte mich zunehmend mit den zum Besten gegebenen Geschichten, lachte hier und da leise mit und bewunderte das rhetorische Geschick Logans, der mit seinen ausschweifenden Anekdoten die Menge unterhielt, aber auch durch die Art der Erzählung den Eindruck verlieh, die Erinnerung selbst mitzuerleben. Charlottes Auftreten änderte entgegen meiner Annahme nichts an dem Rudelverhalten, stattdessen lachte die bunt gekleidete Frau direkt mit und stimmte zu, sich an den Schlamassel gut erinnern zu können. Währenddessen servierte eines der Dienstmädchen ebenfalls einen dampfenden Teller mit vegetarischem Essen, woraufhin ich einen fragenden Blick zugeworfen bekam. Erneut wiederholte ich meine volle Zufriedenheit und fügte mit einem ehrlichen Lächeln ein dickes Lob an ihre Köchin hinzu. Charly schien es wirklich zu freuen, obwohl ich mir kaum Gedanken über meine Wortwahl gemacht hatte, aber manchmal durfte die spontane Eingebung auch reichen; angenehm, nicht jede Formulierung in die Waagschale werfen zu müssen. Leider dauerte diese unproblematische Erkenntnis nicht lange an, denn keine fünf Atemzüge danach erhob Salacia die Stimme und richtete mit ihrer stichelnden Frage ganz gezielt auf mich. Ruhig löste ich mich mit Charlotte, konzentrierte mich stattdessen auf deren eigenwillige Tochter, bevor der Anflug eines entspannten Lächelns an meinen Mundwinkeln zupfte. „Ich kann nicht für alle Engel sprechen, denn mir ist durchaus bewusst, dass manche einfach umfallen würden, wenn man ihnen den Stock aus dem Hintern ziehen würde,“ die Erwähnung meiner teils sehr steifen Verwandtschaft trug mir von einem argwöhnischen Blinzeln bis hin zu amüsierten Glucksen diverse Regungen ein, „aber wir sind auch irgendwann in einer rebellischen Phase festgesteckt, dachten es sei klug, das Auto vom Nachbar für eine Spritztour zu klauen und haben Grenzen ausgetestet. Irgendwer im Freundeskreis hatte eine dumme Idee und die anderen sind begeistert mitgezogen. So läuft das halt“, bei der Erinnerung glitzerten meine Augen freudig als mein Blick mit einer stummen Herausforderung auf Salacia lag. Ihre Seltenheit zwang sie dazu, im Verborgenen zu leben und auf derartige Eskapaden im Schutz der Jugend verzichten zu müssen. Wahrscheinlich war das Rudel ihr soziales Umfeld; es gab keine Freunde, die sie auf irrwitzige Aktionen mitnehmen konnten. Ich wusste es und verpackte den Seitenhieb lediglich etwas diskreter. Sie verstand den hübsch verpackten Hieb scheinbar, denn ihre Miene verdunkelte sich merklich und sie zog die Nase etwas kraus. Bevor sie jedoch eine Erwiderung geben konnte, drängte sich Logan dazwischen: „Das mit dem gestohlenen Auto müsstest du bitte aufgrund von Lernzwecken genauer ausführen.“ Dabei zwinkerte er mir schelmisch zu, während Axtons Vater regelrecht in sich zusammenfiel und gar nicht wusste, welchem seiner Söhne er die Ohren vorzugsweise zuhalten sollte. Kurz überlegte ich mich dagegen zu entscheiden, aber mich drängte das Bedürfnis, zumindest ein kleiner Teil auf absehbare Zeit sein zu dürfen und deshalb öffnete ich den Mund wieder: „Ich müsste fünfzehn gewesen sein und hatte natürlich keinen Führerschein, als mich mein damaliger Freund fragte, ob ich schon mal wilde Manatis gesehen hätte. Keine Ahnung, wie er da draufkam, aber ich verneinte natürlich und damit war es wohl entschieden. Er schloss das neue Cabrio meines Nachbarn kurz und wir machten uns auf den Weg. Wir wussten beide nicht, wo wir diese verdammten Manatis überhaupt finden würden, aber fühlten uns schrecklich erwachsen und es machte einfach Spaß, nur an der Küste entlangzufahren. Zumindest so lang, bis uns die Polizei eingesammelt und wieder heimgebracht hat. Das war übrigens auch meine erste Erfahrung als Autolenkerin“, beendete ich meine Erzählung kurzerhand mit einem Grinsen.
-
-
Abgesehen davon, dass ich ohnehin mit einer angemessen misstrauischen Einstellung in die Höhle des Wolfes marschiert war, machte es mich trotzdem zumindest minimal sauer, damit genau den Absichten des Alphas entsprochen zu haben. Zwar gab es keine Alternative, denn Isaac nach der offensichtlichen Bitte um Beistand allein zu lassen, kam nicht in Frage, aber gerade missfiel es mir, dieser Manipulation widerstandslos zum Opfer gefallen zu sein. Ich sah mich nicht gerne in dieser Rolle, weshalb ich das Geschehen als Warnung verbuchte – ob ich eine Wiederholung aufgrund dieser Erkenntnis verhindern konnte, blieb abzuwarten. Was auch immer der Alpha im Schilde führte und ob er weitere persönliche Ziele in Hinblick auf uns verfolgte, würde sich im Laufe der nächsten Tage herausstellen; allzu viel Zeit blieb ihm schließlich nicht mehr, um etwas ins Rollen zu bringen. Tja, daraufhin tat mir die Anwendung meiner Fähigkeit gleich noch ein Stück weniger leid. Dennoch verließ ich mich nicht darauf, dass Sylvan die Füße ruhig hielt und sich wehleidig in den privaten Räumlichkeiten zurückzog, also schadete es sicherlich nicht, seiner mangelhaften Bereitschaft, Informationen zu teilen, ebenso entgegenzuwirken. Dass Isaac diese Option nie in Betracht gezogen hatte, wies mich daraufhin, dass es wahrscheinlich irgendeinen wolfs-internen Haken geben musste, den ich wohl oder übel berücksichtigen musste. Nicht-wissen schützte nicht vor Konsequenzen. „Wir würden es vorsichtig angehen und nicht mit der Tür ins Haus fallen“, erwiderte ich schmunzelnd, da Isaac sein Temperament im Gespräch erst bestens unter Beweis gestellt hatte und dieser impulsive, direkte Weg sicherlich nicht der richtige in Anbetracht der Umstände wäre. Die lockere Stimmung zwischen uns ließ sich von meinem dezenten Missfallen nicht trüben und so stahl sich auch schnell ein kleines Grinsen auf meine Lippen. „Dir blieb nichts anderes übrig, im Mitleid zu versinken und um dein hübsches Gesicht zu bangen… herzzerreißend“, zog ich ihn mit einem liebevollen Ausdruck in den Augen auf, vor allem mein ach so mitfühlendes Abschlusswort triefte vor fröhlichem Humor. Immerhin stand ich weiterhin für die Meinung ein, dass Isaac damals den Absturz auf den Boden der Tatsachen durchaus vertragen hatte und es ein wichtiger Meilenstein in Sachen gegenseitigem Respekt darstellte; sich hinsichtlich des todbringenden Potenzials ebenbürtig zu sein, schien vor allem bei einem Raubtier als Partner von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit zu sein. Ebenfalls ein Punkt, den ich lernen und mir weiter verinnerlichen musste. Ebenso wie die Tatsache des hohen Ranges, den ich automatisch durch Isaac bekleidete – von dessen Vorteil ich nach wie vor nicht gänzlich überzeugt war. Aber wie Isaac richtig bekundete: dafür hatte ich ja ihn an meiner Seite. „Ich Glückspilz“, erklärte ich mit einem durchscheinenden Strahlen in den Augen. Ganz im Gegensatz zu meiner vorherigen Aussage schwang nun nicht der kleinste Funken Sarkasmus in meiner Stimme mit. Ich meinte es, wie ich es sagte und schätzte mich froh, Isaac bei mir haben zu dürfen. „Ich schätze, du hättest auch einfach einen der Angestellten um Alkohol bitten können und müsstest nicht selbst den Vorrat im Keller suchen gehen“, überlegte ich laut, immerhin wuselten auch hier genug Bedienstete herum, um sie immer wieder mal flüchtig ihren Tätigkeiten nachkommend zu begegnen. Jedenfalls ging ich schwer davon aus, dass man hier nur selbst einen Finger krümmen machen musste, wenn man entweder das Privileg durch eine Verletzung der Rangordnung verloren hatte oder sich die Mühe machen wollte. Vielleicht sprach hierbei aber auch wieder die eigene Erfahrung aus der Heimat aus mir. Wie auch immer, der Service im Esszimmer ließ – wie Kaffee und Kuchen bezeugt hatten – jedenfalls nicht zu wünschen übrig. Aber das wäre ohnehin mein kleinstes Problem gewesen. Gerade fühlte ich mich bei all den verstummten Wölfen wie ein unerwünschter Eindringling und weniger als ein respektierter Gast. Zumindest bis zu dem Moment, an dem die Unterhaltungen erneut mit gesenkten Stimmen aufgenommen wurden. Ich spürte trotzdem die prickelnden Blicke auf meiner Haut, als würden sie dort durch die Kleidung hindurch tatsächlich Spuren hinterlassen können. Meine verschlossene Miene lockerte sich erst minimal auf, als Aiden ein Lächeln zeigte und damit die vollkommene Ruhe ausstrahlte. Seine Frau mit Theo an der Hand wirkte ein wenig gestresster, aber vielleicht lag es an dem hyperaktiven Sohn, den es zu bändigen galt. Der Whisky vor Isaac schien den Startschuss für zwei uniformierte Angestellte zu bedeuten, die damit begonnen hatten, um den gewaltigen Tisch zu wuseln und weitere Getränke zu kredenzen. Dass mir ebenfalls sehr zügig das gewünschte Wasser samt Zitronenscheibe vor die Nase gestellt wurde, nahm ich eher am Rande wahr. Das Dienstmädchen neben meinem Partner genoss den Großteil meiner Aufmerksamkeit oder zumindest ihre Stimme, denn ich musste mich im Gegensatz zu den Gestaltwandlern anstrengen, um die geflüsterten Worte akustisch gut zu verstehen. Mein Blick wanderte suchend nach der Antwort auf meine Vermutung zu Isaacs Gesicht, wo mir auch schon zuckende Mundwinkel die Bestätigung präsentierten. Ranghöchstes Paar geisterte es erneut durch meinen Kopf. Die Dynamik änderte sich kaum merklich, eigentlich erkannte ich den Umschwung nur, weil ich extra auf Anzeichen geachtet hatte: abwägende Blicke zu dem leeren Platz am Tischende, die schleichende Erkenntnis in jungen Augenpaaren, die sich rückversichernd zu den dazugehörigen Eltern richteten. Mir blieb nicht genug Zeit, um alle Anwesenden eingehend zu mustern, aber das Gesehene reichte, um mich minimal zu entspannen. Obwohl mir zuerst verborgen blieb, weshalb alle erwartungsvoll abwechselnd zwischen Isaac und der Tür hin und her schauten, reimte ich mir bald zusammen, dass der ranghöchste Gestaltwandler das Essen einläutete und der junge Mann neben mir auf Vollzähligkeit – exklusive der entschuldigten Personen – wartete. Nur ein Stuhl stand noch an den Tisch gerückt. Ich verbarg sämtliche Empfindungen beim Anblick der jungen Frau hinter einer kühlen Maske, während ich Salacia bei ihrem Weg rund um den Tisch mit den Augen folgte. Ihre selbstbewusste Haltung hatte unter der Niederlage mit ihrem Halbbruder gebüßt, ebenso ihre Makellosigkeit. Meine Musterung stoppte lediglich ein paar Sekunden länger an den gut sichtbaren Zahnabdrücken mitten in ihrem Gesicht, deren sanfte Röte im Kontrast zu ihrer hellen Haut stand. Zwar kannte ich sie nicht, aber um die greifbare Unruhe zu erkennen bedarf es keiner großartigen Menschenkenntnis. Ihre auf Isaac gerichteten Augen erzählten von einem inneren Zwiespalt, einem Kampf zwischen Trotz und Vernunft, den ganz zu meiner Erleichterung ihr Intellekt – oder das Vermögen, Situationen richtig einzuschätzen – gewann. Isaac erhob nicht einmal die Stimme, um ihr ein paar zögerliche Worte an ihn zu entlocken und es brauchte augenscheinlich nur eines weiteren Blickes, um ihre Aufmerksamkeit auf mich umzulenken. Ich verengte die Augen leicht, als Salacias Entschuldigung durch den Raum klang. Ich zweifelte ihre Aufrichtigkeit an, aber als sie für den Bruchteil einer Sekunde ihren festen Blick abwandte, auf ihren bandagierten Unterarm blickte, den sie auf ihren Schoß zog und damit vor neugierigen Beobachtern verbarg und nicht wieder aufschaute, nickte ich leicht. „In Ordnung“, löste ich die lauernde Spannung mit zwei simplen Worten, die keine weiteren Rückschlüsse auf meine Gedanken zuließen. Zwar verstand ich die Feinheiten des Rudelverhaltens nicht gänzlich, aber ich kannte meine zu spielende Rolle und die besagte nun mal, dass ich die Nase nach Isaac für die Dauer des Essens am höchsten tragen durfte. Auch wenn ich mich nicht danach fühlte. Es handelte sich lediglich um eine weitere Rolle, in die ich temporär schlüpfen würde. Selbst die Jüngsten am Tisch schielten mit hoffnungsvollen Mienen von den dampfenden Essensplatten weiter zu Isaac, dem das Recht des Ersten oblag. Dass ich erneut in diesem Tischgebot inkludiert war, wurde überdeutlich, als ein paar Jungwölfe ungeduldig auf ihren Plätzen zu rutschen begannen und niemand einen Finger rührte, ehe eine der Bediensteten mir ebenso einen eigenen Teller samt vegetarischer Kost, die einen herrlichen Duft verströmte, vor die Nase stellte. Ich dankte der Frau mit einem angedeuteten Lächeln, die sich daraufhin wieder in einer fließenden Bewegung zurückzog. Isaac wartete meine kleine Extra-Behandlung ebenfalls schweigend ab, bevor mir sein Blick auf das bereits haltende Besteck den entscheidenden Hinweis gab: es reichte anscheinend nicht, dass das Essen schon direkt vor mir stand, um die stillschweigende Erlaubnis für die anderen zu erteilen. Da ich niemanden nach Salacias Verzögerung weiter auf die Folter spannen wollte, griff ich auch zu Messer und Gabel. Als hätte diese einfache Geste wie ein Startschuss geknallt, kam Leben ins das Rudel. Ich kämpfte stark darum, mir die Irritation nicht ansehen zu lassen. Was hier Normalität bedeutete, kam für mich absolutem Neuland gleich.
-
-
Hm. Die Zahnrädchen in meinem Kopf drehten sich lediglich langsam mit, während Isaac seine Vermutung zu Sylvans Verhalten aussprach. Gerade klang die ganze Sache nach einer hinterhältigen Manipulation, womit ich mich wenig anfreunden konnte oder auch wollte. Mir missfiel es, dass der Alpha unseren ersten Durchbruch hinsichtlich des Springens über den eigenen Schatten und um Hilfe bitten beeinflusst, wenn nicht sogar überhaupt erst in Gang gesetzt hatte. Eigentlich störte es mich ganz allgemein, als Spielfigur auf dem Schachbrett eines mir prinzipiell Fremden zu stehen und demzufolge reduzierte sich auch mein schlechtes Gewissen bezüglich der zugefügten Schmerzen rasant. „Er hat es also darauf angelegt, mich ebenfalls herzulocken und uns beide dann vor einem Teil des Rudels auszutesten?“, fasste ich mit säuerlich belegter Stimme zusammen. Wie hinterhältig. Es erinnerte mich beinahe an die sorgfältig gesponnenen Intrigen im Engelspalast, was mich insofern nicht überraschen dürfte, immerhin ging es in meinem Familienclan ebenso wie in dem Rudel um das Halten von Machtpositionen, Einschätzen von potenziellen Bedrohungen und im Fall der Fälle um die Eliminierung der Gefahrenquelle. Hervorragend. Musste ich nun mit einem Attentat rechnen, weil wir ein Risiko für die derzeitige Hierarchie darstellten, oder hatte die Machtdemonstration gereicht, um uns in besagte Reihung einzugliedern? Sämtliches Wohlwollen gegenüber dem Alpha minimierte sich für den Augenblick zu einem kläglichen Rest, erst recht, als mir Isaac vor Augen führte, wie gern er ebenfalls mehr Antworten bekommen würde. „Dann spielen wir dieses Spiel ab jetzt eben auch so. Er erfährt etwas Relevantes von uns, wenn wir eine akzeptable Antwort von ihm erhalten“, schlug ich vor, um einen Ansatz zum Glätten der Wogen anzubieten. Sylvan schien die Angelegenheit des Informationsgewinns weitaus taktischer und weniger impulsiv anzugehen und damit befanden wir uns in mir vertrauten Gefilden. Jedoch schien mir inzwischen die Chance, dass Sylvan uns tatsächlich mit seiner Präsenz am Esstisch ehren würde, ziemlich gering, sodass wir seinerseits von einem weiteren Verhör verschont bleiben würden und deshalb keine Gegenmaßnahmen notwendig wären. Isaac hatte recht: zum zivilisierten Fleischessen brauchte man tendenziell beide Hände, um Messer und Gabel bedienen zu können und wahrscheinlich bäte er Charlotte nicht darum, ihm sein Essen kleinzuschneiden. Dass er die Selbstbeherrschung besäße, besagtes Training mit ohnehin aufmüpfigen Jungwölfen durchzuführen, hielt ich für ebenso bezweifelbar. „Er wird früh genug erkennen, dass seine Neugier ihn für die kommenden Tage weitestgehend außer Gefecht gesetzt hat“, warf ich als Erwiderung auf die Erwähnung der Hoffnung, sehr bald schon wieder unbekümmert von Schmerzen durch die Gegend zu marschieren, ein und schaffte es dabei nicht rechtzeitig, das schmale Lächeln zu unterdrücken. Geschah Sylvan schon recht. Ja, ich hatte mich dazu entschiede, ihm diese eingefädelte Action samt Konsequenzen nachzutragen und dadurch fiel es mir weit weniger schwer, ein bisschen Genugtuung zu empfinden. Bei Sylvan zumindest, Charlotte tat mir weiterhin leid, denn sie konnte absolut nichts für den gesamten Schlamassel, sondern musste nun die Nachwirkungen ausbaden. Charly besaß gewiss den einen oder anderen Trick im Ärmel, um Sylvan aus seiner Laune zu befreien, was mir Isaacs Gegenfrage auch vor Augen führte. Stimmt. In Zukunft zeigten sich sicherlich noch weitere Möglichkeiten, um meinen Gefährten aus seiner persönlichen Gewitterwolke zu befreien, aber für den Moment kannte ich bereits ein paar funktionierende Gegenmaßnahmen. Damals hätten sie bei Isaacs Verletzung wohl trotzdem nicht geholfen, denn da steckte der junge Mann noch ganz am Anfang seiner charakterlichen Entwicklung und unsere Beziehung zueinander war zum Scheitern verurteilt. Meine Mundwinkel zuckten amüsiert nach oben, nachdem ich sozusagen in meiner Bemerkung bestätigt wurde. Außerdem beruhigte es mich auf eine mir höchst unangenehme Weise, dass Isaac damals nicht trostsuchend zu einer x-beliebigen Frau gegangen war. Ein fürchterlich dummer Anflug von verspäteter Eifersucht, der hier absolut nichts zu suchen hatte und definitiv in keiner Relation stand. Um mich abzulenken, hob ich die rechte Hand und zeichnete mit sanften Fingerspitzen vage die Stelle in seinem Gesicht nach, die ich damals so verheerend erwischt hatte. Mein Blick lag dabei auf der langsamen Bewegung, als ich mit einem leisen Lachen sagte: „Natürlich war der Schaden an deiner Attraktivität das schlimmste in der Situation.“ Reiner Sarkasmus. Isaacs Einschätzung über Sylvan ließ mich ahnen, dass er selbst wenig Bock auf Besuch empfunden hatte – Reizüberflutung, Demonstration von Schmerz und dergleichen. Nachdem meine Fingerkuppen den markanten Kieferknochen erreicht hatten, senkte ich meine Hand wieder hinab und schaute ihn stattdessen etwas erstaunt an. Gar nichts? Die Frage stand mir ins Gesicht geschrieben. Isaacs Erklärung führte mir einmal mehr vor Augen, wie wenig ich das Leben im Rudel verstand und zusätzlich, wie stark ich von den Machenschaften meiner eigenen Sippe geprägt war. In Engelsaugen müsste ich so schnell wie möglich aus dem Weg geräumt werden, weshalb ich automatisch davon ausging, dass es hier im nördlichen Rudel ebenfalls so ablief. Blödsinn. Schon klar, wie mir jetzt auch auffiel. Zusätzlich existierte da ja noch die Absicherung durch Isaac. Wir hatten gemeinsam nicht nur Sylvan in die Knie gezwungen, sondern auch seiner Tochter sichtbare Spuren der Auseinandersetzung auferlegt. Für das Rudel schien das zu reichen. In mir sträubte sich dennoch alles, mich darauf zu verlassen, da es dem krassen Gegenteil zu meinen bisherigen Erfahrungen gleichkam. Austickende Jungwölfe klangen verständlicher für mich, auch wenn Isaac gegen Ende geradezu enthusiastisch klang. Ranghöchstes Paar… daran hatte ich gar nicht gedacht. Damit identifizierte ich mich auch nicht. So funktionierte das nicht in meiner Welt! „Die Umstellung von Engeldenken auf Werwolfdenken klappt irgendwie noch nicht so gut“, murmelte ich erklärend. Die Euphorie Isaacs erreichte mich leider nicht richtig. Dafür steckte zu viel Gegensätzliches in meinem Kopf fest. Aber wenn er sich zuversichtlich zeigte, dann wollte ich darauf vertrauen und ebenfalls versuchen, einen hoffentlich unkomplizierten Abend zu genießen. Wein als Themenwechsel zu verwenden, war abrupt, aber effektiv. Lachend ließ ich mich darauf ein: „Gibt es hier etwa einen alten Weinkeller versteckt, der sämtliche Weinkenner und -liebhaber in die Knie zwingen würde?“ Zwar hatte ich bereits eine Tour durchs Haus bekommen, aber wer wusste schon, was für geheime Kammern wohlwissend im Verborgenen blieben? Jedenfalls packte mich eine neugewonnene Neugierde, als wir zum zweiten Mal an diesem turbulenten Tag die Stiegen hinabgingen und uns ins bereits halb gefüllte Esszimmer begaben. Beinahe sekundenschnell wurde es leise, sämtliche Blicke richteten sich erneut auf uns. Ich durchlebte ein kleines Déjà-vu, wie ich aufrecht mit gehobenem Kinn dastand und meine Aufmerksamkeit über die versammelten Wölfe gleiten ließ. Von Sylvan keine Spur, kein Hinweis auf Salacia und Charlottes Stimme war ebenso nicht zu vernehmen. Ich schaute auf die Uhr – sie hätten auch noch ganze drei Minuten Zeit, um aufzutauchen.
-
-
Nun, da die Berücksichtigung meiner vegetarischen Ernährung abgehakt und unsere Pünktlichkeit zugesichert worden waren, überließ uns Charlotte wieder der ungestörten Zweisamkeit. Anderenfalls wäre ich niemals so direkt mit meinen Gedanken herausgerückt – diese Vorgehensweise ähnelte primär Isaac, der natürlich auf die Unterstellung reagierte und mich neugierig eine Augenbraue heben ließ. Das Zeichen dafür, dass er sich bitte genauer erklären sollte. Währenddessen trat ich zurück in unser Zimmer, wandte den Blick jedoch nicht von dem jungen Mann ab – am mangelnden Vertrauen lag es längst nicht mehr. Meine Aufmerksamkeit war der leichteren Interpretation seiner Aussage verschuldet, wenn ich Isaacs Mimik dazu beobachten konnte. Ob beabsichtigt oder nicht, der werte Herr trug seine Meinung gerne relativ offensichtlich zur Schau, sofern man nach den richtigen Anzeichen suchte beziehungsweise die Hinweise kannte. Ich glaubte ihm. Prinzipiell. Ich nahm Isaac lediglich nicht vollständig ab, dass es da nicht einen noch so kleinen Funken Genugtuung in seinem Bewusstsein gab, der Sylvan die Schmerzen vergönnte; eine Retourkutsche sozusagen. Wie auch immer, denn der darauffolgende Teil beanspruchte meine volle Aufmerksamkeit. Hellhörig geworden, spitzte ich die Ohren, konnte meinem Gegenüber nur nicht vollständig folgen. „Was für Strippen wollte Sylvan ziehen, indem er sich von mir elektrisieren lässt?“ Das ergab doch keinen Sinn oder hatte ich einen essenziellen Teil der Beweggründe des Alphas schlichtweg verpasst? Die leichtsinnige Annahme beinhaltete wohl, die zugefügten Schmerzen problemlos einstecken zu können, wobei ich da hoffentlich sämtliche Illusionen diesbezüglich erfolgreich eliminiert hatte und sich keine weiteren Versuchskaninchen meldeten. Abgesehen davon, würde ich ohnehin auf eine zweite Kostprobe einer beinahe eskalierenden Rudeldynamik zu gerne verzichten. Daher auch die leise Hoffnung, Sylvan nicht beim Abendessen am Tisch sitzen zu haben. Ein schrecklicher Gedanke, selbstsüchtig und undankbar, immerhin hatte er mich in seinem Haus mit offenen Armen empfangen, und trotzdem wäre mir wohler mit der Gewissheit, ihm für den heutigen Tag nicht mehr begegnen zu müssen. Isaacs Verneinung beruhigte mich nur bis zu einem gewissen Grad, denn gegen die eingetrichterte Stimme der guten Erziehung kam er leider nicht vollständig an. Immerhin stand ich mit meinem skandalösen Wunsch nicht allein da, das machte es tatsächlich ein bisschen erträglicher und ein schmales Lächeln schlicht sich in meine Züge. „Sie sind doch nur neugierig auf dich… uns. Wir verkörpern schließlich etwas, von dessen Unmöglichkeit sie ein ganzes Leben lang überzeugt waren.“ Aus irgendeinem Grund – man möge es Harmoniebedürftigkeit nennen – sah ich mich dazu verpflichtet, Sylvans Fragerei und Charlottes Kennenlernen in Schutz zu nehmen oder eher zu rechtfertigen. „Wie hoch schätzt du die Wahrscheinlichkeit ein, dass wir Glück haben und er es gar nicht erst versucht, am Abendessen teilzunehmen?“ Isaac würde den Alpha sowohl in persönlicher als auch in wölfischer Hinsicht besser einschätzen können als ich. Er hoffte einfach auf das Beste… na gut. Was blieb mir dann anderes übrig, als dasselbe zu tun? Da seine großen Hände mein Gesicht umschlossen, geschah es ganz automatisch, dass mein Kopf ein bisschen zurückkippte. Ebenso willkürlich huschte ein schnelles Lächeln über meine Lippen, ehe ich den zarten Druck erwiderte und mich leise darüber freute, wie natürlich sich derartige Berührungen inzwischen anfühlten. Nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten, bedachte ich Isaac mit einem nachdenklichen Blick. „Ich wüsste wirklich nicht, was Charlotte tun sollte, um ihn von dem Schmerz abzulenken oder seine Beschwerden erträglicher zu machen…“, warf ich unschlüssig ein und runzelte die Stirn. „Hätte dein Ego denn eine Frau in deine Nähe gelassen, während dein Gesicht offensichtlich verletzt war?“, hakte ich mit einem neckenden Unterton ein. Zudem sah ich es als menschliche Reaktion oder Überlebenswillen an, einem schmollenden Werwolf lieber aus dem Weg gehen zu wollen, falls seine Frau sich dazu entschied, einen gewissen Abstand zu wahren. „Und wenn Sylvan UND Charlotte fehlen, was dann?“ Dieses Mal schaffte ich es überhaupt nicht mehr, die Sorge aus meiner Stimme fernzuhalten. Wobei es dieses Mal nicht um mein Gewissen ging, sondern darum, heil aus der Sache wieder rauszukommen. Meine Gedanken wanderten dahingegen vor allem zu einer jungen Werwölfin.
-
-
Das vermittelte Verständnis sorgte in weiterer Folge für ein inneres entspanntes Aufatmen, schließlich traf ich mit der Enthüllung meiner destruktiven Fähigkeit selten auf Begeisterung oder Lobeshymnen. Misstrauen in Kombination zu einer spontan aufkommenden Distanziertheit galten da mehr als Norm, obwohl es nur wenig Eingeweihte in meinem speziellen Fall gab. Die einschlägig unangenehmen Reaktionen hatten mir damals gereicht und sorgten noch heute für eine unterschwellige Unsicherheit bezüglich dieser atypischen Gabenverteilung, was die offene Aussprache betraf. Dass Isaac das Thema mit neutralem Interesse behandelte, half mir, meiner Scheu entgegenzuwirken und mich offener darauf einzulassen. Dennoch störte es mich nicht, als wir einen Schlussstrich unter meine Zerstörungsgewalt zogen und der Dunkelhaarige meine rhetorische Frage zu dem Gefallen an Gewittern beantwortete. Ob das zuckende Spektakel bestehend aus grellen Licht hübsch anzusehen war, überließ ich jeder Person selbst zu entscheiden, aber ich fand daran keinen Gefallen und rang mir deshalb nur ein semi-überzeugtes Lächeln ab. Wie gesagt: Ich bevorzugte Regen, worauf wir uns sicherlich einigen konnten, wenn es um das Beobachten von Naturschauspielen ging; für Sonnenuntergänge hatten wir uns ebenfalls schon gemeinsam begeistern können, erinnerte ich mich kurzerhand mit einem warmen Gefühl in der Bauchgegend zurück. Vielleicht trugen die starken Arme, die meine Taille inzwischen umschlagen, ebenfalls zu der angenehmen Wärme bei, wobei das angeschnittene Thema eher für eine zarte Unruhe in meinem Inneren sorgte. Ich verzog meine Miene nur ganz leicht, wohlwissend, dass es Isaac trotzdem auffallen würde und stieß leise die Luft aus. Mich beschlich die dunkle Ahnung, keine Chance aufgrund mangelhafter Argumente gegen seine Bitte zu haben, was auch durch den resignierten Ausdruck in meinen Augen widergespiegelt wurde. Ja, ich trug die langfristigen Narben davon und mein Heilprozess war ebenfalls langwierig und schmerzhaft – lediglich auf einer anderen Skala bemessen. „Deine Gliedmaßen sind vor mir sicher“, durfte ich ihn schmunzelnd beruhigen, wobei ich diese Aussage nicht für seine Nervenbahnen tätigen wollte. Das Potenzial zum irreparablen Ausbrennen schlummerte gewissermaßen in meiner Fähigkeit, was anscheinend selbst einen jungen Alpha-Werwolf in der Blüte seines Lebens vor Grenzen stellen würde. Aber soweit ließe ich es gar nicht erst kommen, wodurch ich zum Ausgangspunkt zurückgelangte: „Mir gefällt es trotzdem nicht, dir eventuell wehtun zu müssen“, nuschelte ich leise vor mir hin, froh darüber, dass Issac von einem Klopfen an unserer Tür ausreichend von dem Umstand abgelenkt wurde, mir das Versprechen nicht abgenommen zu haben. In diesem Fall spielte mir seine offensichtliche Schadenfreude sehr vorteilhaft in die eigenen Karten. Skeptisch, aber mit einem dezenten Grinsen auf den Lippen beobachtete ich, wie er selbstgefällig zur Tür schlenderte und Charlotte in eine etwas hinkende Unterhaltung verwickelte. Himmel, Isaacs Genugtuung sprach aus jeder Faser seines Körpers und animierte mich dazu, ebenfalls meinen Platz im Bett aufzugeben und im Türrahmen zu erscheinen. Meine Miene hingegen zeigte überwiegend Schuldgefühle. Zerknirscht kaute ich am Rand meiner Unterlippe und haderte mit meinem Gewissen. Sollte ich mich zu einem späteren Zeitpunkt bei Sylvan entschuldigen? Erwartete man das in weiterer Folge von mir? Andererseits hatte das Rudeloberhaupt regelrecht danach verlangt, die Erfahrung samt erwartungsgemäß eingetretener Konsequenzen machen zu dürfen. Wie viel Teilschuld musste ich mir also hierfür selbst aufbürden? Mein Karma war definitiv im Keller. Erst recht, als ich kleinlaut hinzufügte: „Wahrscheinlich wird der Schmerz in der Nacht seinen Höhepunkt finden… er ruht sich dann zwar eigentlich aus, aber sein Körper ist am aktivsten. Die Nervenzellen regenerieren und das ist ähm auch schmerzhaft.“ Charlotte sollte wissen, worauf sie sich die kommenden Nächte einstellen musste. Immerhin wurden die Nervenzellen nicht auf natürlichen Wege angegriffen, sondern durch eine übernatürliche, sehr Werwolf-schädliche Kraft, weshalb Sylvans Nerven nicht einfach stillschweigend und unbemerkt heilen, sondern kräftig Trubel dabei machen würden. „Großartig“, entwich es ihr trocken, während sie sich seitlich übers Gesicht strich. „Ich kann ihn schlecht eine Woche wegsperren“, murrte Charlotte eher zu sich selbst, ertappte sich aber sehr schnell dabei, den Gedanken unabsichtlich laut ausgesprochen zu haben. Ihr Blick huschte von Isaac zu mir und wieder zurück. „Ich hoffe, dass die Fronten damit vorerst geklärt sind“, dabei bedachte sie vor allem den unehelichen Sohn ihres Mannes neben mir, ehe sie mich mit einem sanfteren Ausdruck musterte, „damit wir die restliche Zeit eures Aufenthalts damit verbringen können, uns besser kennen zu lernen.“ Und damit war die fröhliche Seite der Hausherrin auch schon zurück an ihren angemessenen Platz geschnellt. Ich nahm ihr das breite Lächeln zwar nicht gänzlich ab, aber ihr abrupter Themenwechsel ließ keinen Raum für weitere Interpretationen. „Isaac hat mir mitgeteilt, dass du dich vegetarisch ernährst. Du glaubst mir gar nicht, wie unsere Köchin zu strahlen begonnen hat, also gehe ich einmal vom Besten aus. Lass es mich aber sofort wissen, sollte es dir an irgendetwas mangeln“, prasselte es schon wieder gewohnt euphorisch über ihre Lippen. „Das wäre nicht nötig gewesen, ich hätte bei den Beilagen sicher…“, begann ich, wurde aber wüst von einem pikierten Blick abgewürgt. „Du ernährst dich hier sicherlich nicht nur von Brot, Ofenkartoffeln und Salat!“ Charlotte reagierte geradezu entsetzt, weswegen ich hastig zurückruderte und beschwichtigend lächelte. „Entschuldige. Danke für deine Nachsicht.“ Trotzdem fand ich es unnötig in einem Haushalt voller überzeugter Fleischesser für die einzige Vegetarierin extra zu kochen. Milde gestimmt, fügte Charlotte zwinkernd hinzu: „Zusätzlich schadet es nicht, wenn hier mal wieder darauf aufmerksam gemacht wird, dass es kulinarische Alternativen zu Steak, Braten und Co gibt.“ „Okay“, erwiderte ich etwas unsicher, was nun die angemessene Reaktion auf das verschwörerische Getue wäre. „Sehr schön, dann pünktlich in einer Stunde, ihr Lieben“, trällerte die Hausherrin, bevor sie sich abwandte und wie ein Wirbelwind weiterzog. Der lockere Seitenhieb bezog sich sicherlich auf unsere unangebrachte Verspätung zu Kaffee und Kuchen, was ich ohnehin nicht zu wiederholen gedachte. Erst als ich mir absolut sicher war, dass sich Charlotte nicht mehr in Hörweite befand, richtete ich mich an Isaac und sah ihn mit einer Mischung aus Amüsement und Vorwurf an: „Du genießt es richtig, dass Sylvan sich derzeit quält.“ Eine nicht unbedingt diplomatische Feststellung. Eine kurze Pause verging. „Macht es mich zu einem schlechten Menschen, weil ich hoffe, dass er beim Abendessen nicht dabei ist?“, fügte ich zögerlich hinzu und sah nun weitaus weniger amüsiert drein. Mein Beweggrund stand für Isaac hoffentlich nicht in Frage: Sylvans Schmerzen würden am Tisch sowas von offensichtlich sein und die Erkenntnis über die Tragweite meines kleinen Scharmützels könnte sehr abträglich für eine friedvolle Stimmung beim Abendessen wirken – sprich: nicht gut für mich… und stressig für Isaac.
-
-
Eine simple Frage, die ich dennoch nicht auf Anhieb beantwortete, weil ich nun doch minimal ausholen musste und zuvor noch den Rahmen abstecken musste, welche Details tatsächlich zur Erklärung beitrugen oder nur überflüssigen Input darstellten. „Elektrizität von außen, egal ob ein Blitz oder… sagen wir ein Elektrozaun, wird oberflächlich an der Haut weitergeleitet, deshalb ist die Überlebenschance im Falle des Blitzschlags auch gegeben. Wenn du an den unter Strom stehenden Weidezaun greifen würdest, nachdem du mir die Hand gibst, würde es mir auch einen Schlag verpassen und du hättest Elektrizität weitergeleitet. Dieses oberflächliche Weiterleiten kann im Grunde jeder, die Verträglichkeit ist dabei individuell unterschiedlich. Meine Elektrizität ist hingegen intern und setzt direkt an den Nervensignalen an, das ist ein grundlegender Unterschied.“ Ich vergewisserte mich mit einem kurzen Blick bei Isaac, ob er meinen Worten folgen konnte und fügte schlussendlich seine erwünschte Information hinzu: „Um also auf deine Frage zurückzukommen… ich kann keine externe Energie, egal in welchem Ausmaß, aktiv lenken und bin auf meine eigenen Kraftreserven beschränkt.“ Trotz zahlreicher Untersuchungen hatte niemand der Forscher und Mediziner beantworten können, weswegen mein Fähigkeit sich nicht mit äußeren Energiequellen koppeln ließ, aber die logischste Vermutung lag darin, dass sich die oberflächlich laufende Elektrizität von meinem Körper nicht absorbieren ließ und deshalb schlichtweg abgeleitet wurde. Ohnehin schien es ein Rätsel zu bleiben, wie genau die Übertragung meiner Elektrizität von mir auf eine andere Person funktionierte. Die Ideen für weitere Untersuchungen wurden selbst meinen Eltern irgendwann zu bunt und als bereits traumatisiertes Kind hatte ich keine Einwände, die nähere Durchleuchtung meiner Fähigkeit zu beenden. „Ich weiß ohnehin nicht, was man an Gewittern so toll finden kann“, nuschelte ich mit leicht zusammengezogenen Brauen. Außer laut und gefährlich war so ein Spiel aus Blitzen und Donner nichts. Jedenfalls fehlte mir jegliche Begeisterung für das Naturschauspiel. „Regen ist mir bedeutend lieber“, stimmte ich Isaac abschließend noch zu und nickte, sofern das in meiner Position gut möglich war. Die Erinnerung an meine Panikattacke vor dem jungen Mann zählte nicht unbedingt zu meinen liebsten, weswegen ich gar keinen weiteren Gedanken darauf verwendete, sondern seine Berührungen am Rücken in meinen Fokus legte. Warm, fest und trotzdem behutsam strichen seine Finger über meine Haut und sorgten für einen wohligen Schauer. Nur sein minder-begeisterter Gesichtsausdruck hinsichtlich meiner fehlenden Bestätigung störte den friedlichen Zustand und ich wusste instinktiv, dass dieses Thema noch nicht restlos vom Tisch war. Brummend atmete ich aus, denn gegen seine Bitte ließ sich kein haltbares Gegenargument finden; abgesehen von meinem Unwillen, Isaac Schaden zuzufügen. „Es sind zwar deine Zähne gewesen, deren Abdrücke man jetzt noch sieht, aber ich weiß nur zu genau, wie groß mein Anteil an dieser Eskalation war, deshalb trägst du ganz bestimmt nicht allein die Schuld daran.“ Meine Stimme nahm einen sanften Klang an. Ich nahm ihm die Narben wirklich nicht böse und meine jedes Wort so, wie ich es auch sagte. Sollte es zukünftige Zwischenfälle geben, bei denen Isaac mich verletzen würde, so gäbe es dafür sicherlich einen ausschlaggebenden Grund. Ich kannte das Risiko, mit einem Werwolf zusammen zu sein, aber das hielt mich nicht auf, trotzdem vom Besten in Bezug auf meine Unverletztheit auszugehen. Ich ging von keinem hinterhältigen Komplott aus, bei dem Isaac mir Gefühle vorspielte – dazu waren gewisse Anzeichen, unter anderem auch der kürzeste Ausbruch, zu echt. Ebenso kaufte ich ihm seinen Willen zum Fairplay ab, wobei ich mich willkürlich fragte, wo die Chancengleichheit bei so gravierenden körperlichen Unterschieden lag. Oder inwiefern man von einer Schlacht sprechen konnte, wenn der Sieger bereits im Vorfeld feststand. Trotzdem lächelte ich nur beschwichtigend, da es mir persönlich um den Spaß ging. Schneeballschlachten mit meinen Brüdern lagen bereits sehr weit in der Vergangenheit und die Nostalgie kickte beim Anblick der weißen Landschaft direkt vor der Nase. Die potenziellen Konsequenzen in Form von ach so menschlichen Erkrankungserscheinungen nahm ich dazu gerne in Kauf. Da ich mich aber in einem gesundheitlich ausgezeichnetem Zustand befand, hielt ich eine akute Verkühlung vorerst für ausgeschlossen, sofern ich keine längere Einwirkzeit im eiskalten Nass verbrachte – wobei die Aussicht auf Isaac als Pfleger durchaus ein verlockendes Szenario darstellte. Mein schelmisches Grinsen unterstrich den Gedankengang, obwohl der Ausdruck nicht gänzlich zu seiner Aussage passte, derer ich mich just in dem Augenblick wieder bewusst wurde. „Wir wären schneller, wenn ich aufzähle, was nicht erschreckend menschlich an mir ist“, erwiderte ich ebenso trocken, behielt die angehobenen Mundwinkel jedoch bei. Nur dass mein Grinsen ziemlich schnell zu einer erfreuten Version wechselte. „Hier sind wir nun“, wiederholte ich leise, bevor sich unsere Lippen für einen kurzen Kuss berührten. Ich hatte mein Gelübde damals bei der Hochzeit das erste Mal gesehen, geschweige denn gelesen, wobei es sich ohnehin um ein sehr nüchternes Standartwerk gehandelt hatte. Nichts Persönliches, was damals wahrscheinlich beabsichtigt war. Kaum auszudenken, was für kreative Unannehmlichkeiten wir uns gegenseitig an den Kopf geworfen hätten. Das Klopfen an der Tür riss mich aus unserer Blase der Zweisamkeit und mein Blick huschte automatisch zum einzigen Eingang des Zimmers. „Ich will euch nicht stören, ihr Lieben, aber das Abendessen wird heute um eine Stunde nach hinten verlegt.“ Kurze Stille, danach erklang Charlottes Stimme ein weiteres Mal. „Sylvan fühlt sich nicht gänzlich salonfähig.“ Hörte ich da eventuell einen gewissen Tonfall in ihrer Stimme mitschwingen? Mein Blick schwenkte unweigerlich zu Isaac unter mir. Ich wusste gerade nicht ganz, ob ich mich darüber zumindest ein wenig amüsieren durfte oder eher meinem schlechten Gewissen nachgeben sollte. Jedenfalls bezweifelte ich, dass sechzig Minuten irgendetwas an dem Schmerzlevel ändern würde, aber diese Information fand der Alpha auch ohne mein Zutun früh genug heraus.
-
-
Meines Erachtens kämen wir beim Gespräch über meine hochnäsige Verwandtschaft auf keine weiteren erfreulichen Themen, da die jeweiligen Familien eher holpriges Pflaster darstellten und genug Raum für negative Äußerungen anboten. Da mir eine Auseinandersetzung mit Isaac pro Tag völlig reichte, beschloss ich diesen Teil unserer Unterhaltung mit einem zustimmenden Nicken zu beenden. Besser würde es nicht mehr werden und sie waren trotz all ihrer Fehler meine Familie, die ich mich bis zu einem gewissen Grad zu verteidigen gezwungen fühlte. Zudem wüsste ich ohnehin nichts auf Isaacs knappe Bemerkung hinzuzufügen – ja, manche der Engel ließen ihren Status innerhalb unserer Gemeinschaft raushängen, was sie wiederum einflussreichen Menschen sehr nahebrachten. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt angelangt waren. Ich wollte mich nicht aussichtslos im Kreis drehen, zudem steckte da ein Anflug von nervöser Energie in mir, nachdem ich Isaac mehr oder weniger einen Freifahrtschein für seine Neugier im Hinblick auf meine Fähigkeit geschenkt hatte. Abwartend beobachtete ich Isaacs Gesichtszüge, versuchte im Vorfeld zu erraten, in welche Richtung er sich weiter vortasten würde. Mir war klar, wie aussichtslos dieses Unterfangen war, aber dadurch fühlte ich mich anschließend irgendwie – auf eine verdrehte, nicht nachvollziehbare Weise – vorbereiteter. Es gab keine ausschließlich leichte Erklärung, dennoch atmete ich einmal leise auf, nachdem der Gestaltwandler mit einer verhältnismäßig oberflächlichen Frage rausrückte. „Nein, also ich kann keine externe Elektrizität steuern. Wenn ein Blitz einschlägt, könnte ich nicht kontrollieren, wo oder mit welcher Intensität. Meine Fähigkeit beschränkt sich auf die Elektrizität innerhalb eines Körpers, daher wird sie auch von meinen eigenen Kraftreserven gespeist. Sollte mich selbst ein Blitz treffen, tut das zwar kurzfristig höllisch weh und direkter Kontakt ist danach ebenfalls für einen gewissen Zeitraum nicht ratsam, aber da mein Körper im Grunde dafür ausgelegt ist, auch starke Elektrizität leiten zu können, passiert sonst nicht viel.“ Es wäre ja nicht so, als hätten meine Eltern das nicht ebenfalls gründlich untersuchen lassen; meine irrationale Angst vor Gewittern war nicht grundlos im Kindesalter aufgekommen. Ich gab Isaac Zeit, um sich den weiteren Informationsschnipsel durch den Kopf gehen zu lassen, zusätzlich schien er sich ein paar Augenblicke zu nehmen, um das glatte Narbengewebe gänzlich zu erfassen und seine damit verbundenen Erinnerungen oder Verknüpfungen abzuarbeiten. Ich verband mit den hell-schimmernden Stellen auf meinem Rumpf eine stille Mahnung an das tödliche Potenzial meines Gefährten, auch wenn er es mittlerweile nicht mehr gegen mich richtete, so schlummerte es dennoch pausenlos in ihm. Isaac schienen ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen, trotzdem musterte ich ihn aufgrund seiner bedenklichen Bitte streng. Gerne würde ich ihm an den Kopf werfen, dass sowas kein zweites Mal passieren würde, aber naja… sogar ich wusste dank der immer kehrenden Vorfälle, dass mit der wölfischen Impulsivität nicht zu spaßen war und ein Restrisiko stets bestehen blieb. Egal wie unwohl ich mich bei dem Gedanken, Isaac verletzen zu müssen, fühlte. „Wenn mir keine andere Wahl bleibt, werde ich mich wehren“, räumte ich eher schwammig ein. Um ihm ohne Bedenken im Notfall einen Stromstoß auf die Schnauze zu verpassen, bräuchte ich definitiv mehr Hintergrundwissen zu seiner ärztlichen Selbstversorgung – beispielsweise: Heilte sein Körper lediglich sehr schnell und geradezu perfektionistisch oder schaffte er die Regeneration von nicht länger vorhandenen Elementen auch? Da wir bereits herausgefunden hatten, dass durch mich zugefügte Verletzung bedeutend mehr Zeit zur Genesung in Anspruch nahmen und mit permanenten Schmerzen verbunden waren, wollte ich das Ausmaß von normalerweise beim Menschen irreparablen Schäden bei einem Werwolf nicht austesten. Da stellte ich bedeutend lieber mein eigenes Glück bei einer aussichtslosen Schneeballschlacht auf den Prüfstand. Dass er meinen Vorschlag als netten Gedanken bezeichnete, erwiderte ich mit einem wenig zurückhaltenden Augenrollen. „Als wärst du nicht schon längst selbst auf die Idee gekommen“, unterstellte ich ihm amüsiert. Da brauchte der werte Herr gar nicht so nachdenklich zur Decke starren. Dass er gewinnen würde, stand also bereits fest und nur zu gerne würde ich ihn eines Besseren belehren, nur fehlte mir dafür im Moment die Kreativität und Initiative. „Ich dachte schon, ich müsse mich danach beschämt in eine dunkle Ecke stellen“, erwiderte ich sarkastisch auf seinen Ausbruch überproportionalen Selbstbewusstseins. Immerhin wusste ich ja schon im Vorfeld, worauf ich mich einließ. Aber dieses Mal tatsächlich mit den Bedingungen angepasster Kleidung. „Du könntest wenigstens so tun, als wäre die Sorge um meine Gesundheit ebenfalls ein Grund, weshalb wir nicht in Hausschuhen im Winter draußen unterwegs sind“, zog ich den Dunkelhaarigen grinsend auf. Er brauchte sich diesbezüglich wahrscheinlich keine Sorgen machen, aber Engel erkälteten sich ebenso wie der Durchschnittsmensch und eine ausgewachsene Grippe fesselte auch mich für Tage ans Bett.
-
-
Isaacs Erfahrungswerte im Umgang mit Engeln erwies sich tatsächlich als sehr eindimensional, wenn ich die einzige Referenz darstellte – der Kontakt zu meiner Verwandtschaft ließ sich mit einem Hindernis-Parkour aus unausgesprochenen Regeln und dutzenden Stolperfallen vergleichen, weswegen sich allein der Smalltalk, zu dem Isaac ohnehin nicht neigte, bereits häufig als schwierig und umständlich erwies. Die jüngeren Engel im Kindesalter fanden die Anwesenheit eines Werwolfes im Palast hingegen ziemlich abenteuerlich, aber mit genug Einsatz der Erwachsenen würden auch ihre unschuldigen Gedanken bald vergiftet sein. Mit Vorurteilen hatte man also immer in irgendeiner Form ständig zu kämpfen, weshalb mich dieser Einwand nicht groß schockierte. Seine kritisierende Ansicht bezüglich der Engel im Allgemeinen traf mich wenig, immerhin zeigte Isaac keine neuen Abgründe meiner Familie auf. Er nannte relevante Punkte, weshalb ich sogar leicht grinste. „Wir sind den Menschen sogar ziemlich gleich, wenn wir unsere Fähigkeiten nicht hätten und das vergisst so manch ein Engel auf seinem Ego-Trip gerne“, kommentierte ich seine Ansicht. Dass gewisse Rudeldynamiken alles andere als gesund und konstruktiv ausfielen, ersparte ich mir zu erwähnen, denn meine Absicht hinter der Frage war keine losbrechende Grundsatzdiskussion, sondern reine Neugierde; ausnahmsweise sogar ohne Hintergedanke und aus einer spontanen Eingebung heraus. Man bekam selten eine ehrliche Antwort von einem Menschen, der im besten Fall einfach nur nicht anecken wollte und im schlimmsten Fall versuchte, mit schmeichelnden Worten Sympathiepunkte zu sammeln. Mein Vertrauen in Isaac reichte tief genug, um an dem Wahrheitsgehalt seiner Aussagen nicht zu zweifeln, deshalb fiel es mir leicht, seine Einschätzung meines Familienclans als seine objektive Meinung anzunehmen. Zudem fiel es mir leicht, ihm zu glauben, dass er tatsächlich nicht an die Erwähnung seiner Fähigkeit gedacht hatte, wenn wir auf das Thema Werwolf gekommen waren – meistens widmeten wir uns in diesen Gesprächen dann einem präsenteren Detail und weniger der Möglichkeit zur Gedankenmanipulation. Ich entschied aus einem ohnehin angeschlagenen Bauchgefühl heraus, dass wir dieses Fass heute nicht zusätzlich öffnen mussten. Dieser Ort, das Anwesen oder die Entfernung zu unserem Zuhause entlockte uns ohnehin nach und nach sämtliche unausgesprochenen Geheimnisse. Eine weitere Enthüllung samt deren ganzer Tragweite bräuchte ich heute nicht zusätzlich. In meinem Kopf stapelten sich bereits die Pakete an neuen Informationen, die ich fertig verarbeiten musste und da dieser Turm erst kürzlich heftig wankend für Überforderung gesorgt hatte, verschob ich Isaacs Potenzial auf einen späteren Zeitpunkt. Außerdem wollte ich nicht den Eindruck erwecken, mich um eine Erklärung zu drücken. Dass ich unabsichtlich übers Ziel hinausgeschossen war… naja, einfach nur zu sagen, dass ich mit dem vollen Ausmaß meiner Fähigkeit problemlos zur Serienkillerin des Jahrhunderts mutieren könnte, kam mir dann doch mangelhaft vor. Abgesehen davon, gefiel mir dieses gezeichnete Bild überhaupt nicht. Der Drang zur Rechtfertigung hatte den Einblick ausschweifender gestaltet als ich ursprünglich vorgehabt hatte: ein kleiner Teil in mir wäre nach wie vor lieber die gute Fee, die es regnen lassen konnte oder die Sprache der Tiere verstand. Nichts, weswegen man von der eigenen Familie gemieden werden würde. Ein aussichtsloser Wunsch und daher eigentlich nicht der Rede wert, zudem mir die Einzigartigkeit oder der daraus resultierende Respekt durchaus imponierte. Trotzdem verunsicherte mich Isaacs zerstreuter Gesichtsausdruck ausreichend, um bereits wieder Schadensbegrenzung zu leisten. Nur seine warmen Finger direkt auf meinen Rücken stoppten den Versuch und ließen mich aufhorchen. „Möchtest du sonst noch etwas wissen?“, bot ich ihm eine weitere Frage an. Momentan befand ich mich anscheinend in einer mutigen Redelaune, bestärkt durch seinen unterstützenden Berührungen. Da es unserer Beziehung noch in genug Bereichen an Transparenz fehlte und wir im Grunde mitten im Thema waren, würde ich es gerne hinter mich bringen und nicht stückchenweise die Courage zusammenkratzen, um den Mund aufzubekommen. „Es ist ja auch nicht so, dass man es sehen kann. Entweder spürt man es selbst oder man sieht die Auswirkungen an anderen.“ Daher auch das Angebot, weiter nachzuhaken, nachdem sich seine Mimik wieder normalisiert hatte und wieder ein positiverer, wenngleich schwer zu interpretierender Ausdruck in seinen Augen lag. Kein Mitleid, weil ich aufgrund der Rarität meiner Fähigkeit als Versuchskaninchen gedient hatte, womit ich inzwischen gut abgeschlossen hatte. Erleichterung sah ebenfalls ein bisschen anders aus, noch dazu, übertünchte der scherzende Tonfall potenzielle mitschwingende Emotionen, was mich jedoch auch zu einem schmalen Lächeln verleitete. „Ich hab sogar kleine Ehrenabzeichen für meinen Edelmut davongetragen“, erwiderte ich süffisant und griff nach seiner Hand, schob diese ein Stück weiter auf die Seite. Irgendwo rechts der Wirbelsäule befanden sich zwei feine Erhebungen, die im richtigen Lichteinfall silbrig-weiß glänzten. Ähnliche Narben dekorierten auch meine Vorderseite auf fast derselben Höhe. Engel profitierten von einer verbesserten Selbstregeneration des Körpers, aber waren dem übernatürlichen Heilungsprozesses eines Werwolfes weit unterlegen, daher trug ich auch Andenken aus der Auseinandersetzung hervor, während Isaacs Gesicht in unbestreitbarer Makellosigkeit erstrahlte. Ich nahm ihm diese Körpermodifikation längst nicht mehr übel, anderenfalls würde ich in diesem Moment nicht derart unbekümmert darüber sprechen. Ebenso locker sah ich die bevorstehende Niederlage bei der Schneeballschlacht, die ich wahrscheinlich so oder so niemals erfolgreich für mich entscheiden könnte. „Kein Vorsprung und ein gnadenloser Kontrahent… eigentlich könntest du mich auch gleich einfach nehmen und in den Schnee schupsen. Es käme auf dasselbe hinaus“, fasste ich amüsiert zusammen. „Aber immerhin hätte ich dann gegen dich verloren und nicht gegen den Schnee. Das ist ein wichtiger Unterschied fürs Ego“, lachte ich leise. Mein Stolz nagte lediglich an dem Umstand, von der Witterung ganz ohne Isaacs Zutun besiegt worden zu sein. Irgendeinen Trostpreis würde ich also schon finden, um diese zweite vorhersehbare Schmach zu kompensieren und keine zweite Revenge verlangen zu müssen. Unweigerlich huschten Bilder des gemeinsamen Bads vor meinem inneren Auge vorbei und ein verspieltes Funkeln trat in meinen Blick.
-
-
Als atypisch für einen Engel bezeichnet zu werden, warf mich durchaus ein wenig aus der Bahn, jedoch blieb ich ruhig liegen und wiederholte die Worte in meinem Kopf ein zweites Mal. Sie klangen nicht wie eine Beleidigung, aber fühlten sich auch nur bedingt nach einem Kompliment an. „Was ist eigentlich deine eigene Definition eines Engels?“ Stinkender Flattermann, wie er es mir teils so charmant an den Kopf geworfen hatte, traf inzwischen allen Anschein nach nicht länger zu. Demnach interessierte mich seine Meinung, nach welchen Merkmalen er meine Spezies überhaupt charakterisierte. Isaac nannte die Geduld im selben Satz, was tatsächlich eine sehr stark ausgeprägte Eigenschaft innerhalb meiner Sippe darstellte – es brauchte normalerweise sehr viel, um einen Engel zum Explodieren zu bringen. Wölfe besaßen da eine weit kürzere Zündschnur und boten weniger Spielraum zum Ausloten der Grenzen an. Mir kam es so vor, als würden die Charakterzüge der einen übernatürlichen Spezies die genau gegenteiligen Eigenschaften der anderen widerspiegeln; hell und dunkel, Licht und Schatten. Engel versammelten sich zwar als Clan in größeren Gemeinschaften, aber dennoch drehte jeder sein eigenes Ding und nahm nur unter gewissen Umständen Unterstützung in Anspruch, während das Leben im Rudel fast schon als Dreh und Angelpunkt des wölfischen Daseins galt. Probleme mit dem Vertrauen besaßen wir wohl beide, wobei Isaacs Baustelle diesbezüglich eine sehr weitgreifende Dimension annahm, während sich mein Misstrauen überwiegend im kleinskalierten – hypothetischen – Raum bewegte und sehr präzise Themen umfasste. Meine Fähigkeit rangierte dabei sehr weit oben auf besagter Liste an heiklen Angelegenheiten. Ob es der Geheimniskrämerei meiner Eltern oder die lang andauernde Abscheu meiner ungewollten Andersartigkeit zugrunde lag, wusste ich nicht so recht. Während mein Kopf die durchaus vorsichtig gestellte Frage noch verarbeitete, versteifte sich mein Rücken und intuitiv spannten sich sämtliche Muskeln im Nacken- und Schulterbereich an. „Wenn wir über deine Wolf-Seite sprechen, klammern wir aber ebenfalls immer deine Fähigkeit aus“, merkte ich leise an, um zumindest auf seinen Vorstoß zu reagieren, ehe ich meine Position minimal änderte, den Kopf anhob und auf meinen übereinander gefalteten Händen auf Isaacs Brust am Kinn abstützte. Bei diesem Gespräch bevorzugte ich die Möglichkeit des Blickkontakts, obwohl ich noch keinen nützlichen Anfang als Einstieg gefunden hatte. Deshalb fing ich mit dem ernüchternden Teil direkt als Erstes an: „Die volle Breitseite hätte deinen Tod bedeutet. Bei einem natürlichen Blitzschlag ist die Elektrizität nach maximal einer tausendstel Sekunde wieder aus dem Körper draußen, weshalb man normalerweise überlebt. Zwar mit Folgen, aber die Überlebenschance ist wirklich groß. Wenn ich hingegen mit derselben Kraft eines Blitzes zuschlagen würde, würde es bereits zu lange dauern, bis ich den Energiefluss wieder unterbrochen hätte. Meine Eltern haben mich im Rahmen einer Blitzforschungs-Einrichtung dahingehend testen lassen.“ Nachdem diese hässliche Wahrheit meine Lippen verlassen hatte, entspannte sich mein Körper ein wenig. Mein inneres Monster stülpte sich nicht mit Pelz bekleidet hervor, sondern lebte still und heimlich unter der menschlichen Oberfläche und ihm plus der Geschichte dahinter nun endlich ein klein bisschen Raum in meinem Dasein zuzusprechen, fühlte sich irritierend befreiend an. „Sylvan hat genau das gespürt, was ich ihn spüren lassen wollte. Ich habe ausreichend Erfahrungen gemacht, um einschätzen zu können, wie stark der elektrische Impuls ausfallen muss, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. In diesem Fall also keine bleibenden Gewebeschäden, aber trotzdem genug Nachdruck, um mich hinsichtlich meiner Fähigkeit in Ruhe zu lassen.“ Obwohl die Situation vollständig aus dem Ruder gelaufen war, hatte ich meinen Einfluss auf Sylvan durchgehend unter Kontrolle gehalten und seine Bitte berücksichtigt. Bei dem Zwischenfall mit Isaac war ich zwischen seinen Reißzähnen gefangen, blutete stark und fürchtete akut um mein Leben; die beiden Szenarien ließen sich schlichtweg nicht vergleichen. „In deinem speziellen Fall damals wollte ich eigentlich nur aus deinem Maul raus, nachdem du mich bereits ernsthaft verletzt hast. Ich wusste nicht, wie weit du gehen würdest, also musste ich dich schneller außer Gefecht setzen als du mich. Ich war bei dir skrupelloser als dieses Mal“, räumte ich zuletzt noch zaghaft ein. Die zugefügten Verletzungen beziehungsweise Schmerzen von damals und heute ließen sich nicht bagatellisieren; egal welche Beweggründe ich nannte. „Beantwortet das deine Frage?“, erkundigte ich mich hoffnungsvoll. Immerhin rieben seine Finger nach wie vor mit leichtem Druck über meine Seite, also dürfte der minimale Einblick nicht allzu weltenzerschlagend gewesen sein. Zudem schaffte es Isaac ohne Weiteres, mich wegen der missglückten Schneeballschlacht aufzuziehen, was auch auf meinen Zügen zu einem Anflug von Belustigung führte. „Einmal hat mich der Schnee unvorbereitet erwischt, das passiert mir kein zweites Mal“, versicherte ich dem Dunkelhaarigen unter mir, bevor mein Blick zu den zu weit entfernten Kissen am oberen Bettende wanderte. Nicht gerade subtil, aber da ich das Objekt meiner Interesse ohnehin nicht erreichte, durfte Isaac ruhig meinen Gedankengang erraten. „Außerdem wäre eine Kissenschlacht nicht dasselbe…“
-
-
Die Dinge hatten sich mittlerweile so weit zum Positiven verändert, dass es mir keinen Aufschwung mehr bereitete, Isaac auf seine Schwächen hinzuweisen, sondern ich mich stattdessen mit dezentem Unwohlsein herumschlug. Lediglich das Wissen, dass diese Form des Aufmerksam-Machens dabei helfen würde, es in Zukunft besser zu machen, motivierte mich zu der kritisierenden Aussage. Irgendwann wären solche Anmerkungen hoffentlich nicht mehr nötig, weil wir endlich einen gemeinsamen Nenner hinsichtlich der offenen Kommunikation gefunden hätten – bis dahin mussten wir beide nur trotz unangenehmer Nebeneffekte oft genug den Mund aufbekommen. Oberflächlich gesehen schafften wir es inzwischen sogar ziemlich vorbildlich, einen normalen Dialog zu führen, uns über den Alltag gegenseitig zu informieren und dergleichen, aber richtige Aussprachen brauchten leider immer noch einen ausdrücklichen Auslöser. Wenigstens funktionierte das Reden, sofern der Knopf einmal aufgesprungen war. „Das streite ich auch gar nicht ab. Ich will nur sagen, dass ich diesen Ausbruch irgendwie verstehen kann. Nachdem ich den Kontext dazu bekommen habe.“ Mit ein bisschen Verständnis oder Nachsicht für die andere Perspektive fanden sich Lösungen tendenziell leichter beziehungsweise ließen sich Kompromisse eher schließen, wie wir gerade selbst bewiesen. Die Situation zwischen uns fühlte sich längst nicht mehr so negativ geladen an; anderenfalls würde Isaac wohl nicht auf meinen Versuch eines auflockernden Scherzes einsteigen. Dafür bekam er ein schiefes Lächeln meinerseits geschenkt. Hauptsache er schaute nicht mehr ganz so gequält aus der Wäsche! Isaacs Punkt könnte ich so unterschreiben, wie er es eben gesagt hatte: wir vergasen manchmal zu schnell, wie effektiv wir als Einheit agieren könnten. Warum bekam ich das nicht in meinen Kopf hinein? Gewohnheit hin oder her. Ich verstand diese Blockade in mir noch immer nicht so richtig, weshalb mir das Beseitigen bis dato noch immer nicht gelungen war – diese Erkenntnis schien mir ein weiteres Post-it wert zu sein, das ich auf die imaginäre Pinwand heftete. „Ich war schon immer schlecht im Teamplay…“, gestand ich leise in den leeren Raum zwischen uns hinein, wobei ich damit gewiss kein Geheimnis ausplauderte. Alles war immer ein Wettkampf zwischen uns Geschwistern gewesen und gemeinsam hatten wir ein Ziel nie erreicht. Kurzfristige Allianzen, um Vorteile zu gewinnen, ja, aber auf der Zielgeraden stand sich doch jeder selbst am nächsten. Dabei mochte ich meine Brüder eigentlich ziemlich gern. Wahrscheinlich steckte nach wie vor zu viel von diesem Konkurrenzdenken in meinem Unterbewusstsein. Kein Wunder, dass ich bei all diesen zerstreuten Gedanken, unter Kopfschmerzen litt. Das Chaos schien momentan geradezu perfekt zu sein, obwohl wir gemeinsam für ein bisschen Ordnung sorgen konnten. Bei der Erwähnung des vermeintlich beschissenen Tages, schloss ich kurz resigniert die Augen. Es klang wirklich ziemlich mies… und Isaacs Versicherung half mir zumindest soweit kein schlechtes Gewissen aufgrund meiner erbarmungslosen Aussage zu bekommen. „Du hast recht“, murmelte ich, bevor ich mich etwas ungeschickt auf ihn draufrollte und meinen Kopf auf seine sich regelmäßig bewegende Brust ablegte. „Es ist schön, dich wieder in meiner Nähe zu haben“, ließ ich Isaac wissen und lauschte dabei seinem gleichmäßigen Herzschlag. „Natürlich für die Seele, was auch sonst?“, grinste ich in mich hinein. Die Frage blieb rhetorischer Natur und verlangte keine explizite Antwort seitens Isaacs. „Wobei ich anmerken möchte, dass wir bezüglich dieser Beinahe-Schneeballschlacht noch nicht quitt sind und meine Seele da noch Nachholbedarf erkennt“, kündigte ich groß an, erweckte aber einen gegenteiligen Eindruck: angeschmiegt an Isaacs warmen Oberkörper und mit halb geschlossenen Lidern sprühte nicht unbedingt die Abenteuerlust aus jeder meiner Poren.
-
-
Isaac schien mit meiner Ausführung glücklich zu sein, was mich wiederum mit einer stummen Zufriedenheit erfüllte. Diese Zugeständnisse waren mir sogar recht leicht über die Lippen geflossen, nachdem ich endlich einen Anfang gefunden hatte, und die Aussage ließe sich problemlos weiter ausbauen, aber alles zu seiner gegebenen Zeit. Gerade genoss ich den friedlichen Moment, hörte Isaacs laut gedachter Überlegung dennoch aufmerksam zu. Nein, ich wusste nicht, wann er zu dieser grundlegenden Erkenntnis über sich selbst gekommen war, und mir schien es nicht, dass Isaac eine Antwort meinerseits auf die rhetorische Frage erwartete. „Ein hinterhältiger Deckendiebstahl kam mir damals weitaus realistischer vor“, setzte ich unbekümmert zu meiner Verteidigung an – wer hätte den mit diesem absurd unerträglichen Kater ahnen können, dass ausgerechnet Isaac wohlwollend Decken ausschüttelte? Der zuvor noch mitschwingende Humor verschwand aus meiner Stimme, als ich seinen Unterarm leicht streichelte und ihm mehr oder weniger zustimmte: „Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass du das von deiner Mutter hast.“ Sein gedachter Vater glich in vielerlei Hinsicht einem tobenden Monster, von dem ich keine guten Eigenschaften erwarten würde, und Sylvans wahres Wesen blieb mir vorerst noch verborgen, weshalb die Chancen sehr gut lagen, dass Isaacs weiche Seiten dem weiblichen Input zu verdanken waren. Glücklicherweise. Wer wusste schon, welchen immensen Schaden sein Ziehvater verbrochen hätte, wäre die schützende, ausgleichende Hand seiner Mutter nicht wie eine Decke über Isaac gelegen. „Es klingt nicht unbedingt dumm, wenn einem die eigenen Gewohnheiten normal vorkommen und man erst einen kleinen Stoß von außen braucht, um diese eventuell zu hinterfragen.“ Manchmal fuhr man sich so in einer Ansicht fest, dass man allein keinen Ausweg mehr fand und in Isaacs Fall hatte nur jemand gefehlt, der ihm einen Spiegel vor Augen hielt, aber sich nicht wegduckte, sobald ein einschüchterndes Knurren von ihm kam. Den Rest hatte der junge Mann selbstständig ins Rollen gebracht. Da brauchte es keinen Dank. „Jeder hat eine zweite Chance verdient… und wenn ich noch dazu an den großkotzigen Kerl gebunden bin, dann bekommt er sogar noch eine dritte oder vierte zugesprochen“, stieg ich in seinen Humor ein, wenngleich ich eine weniger trockene Version verwendete. „Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, aber du hättest mich schlichtweg fragen können, wann ich denke, meine Eltern in unsere nicht-gefakte Beziehung einzuweihen. Da hättest du sogar all das Gefühlschaos ausklammern können, wenn dir danach gewesen wäre, obwohl es natürlich produktiver für uns war, dass diese Bombe endlich mal explodiert ist.“ Zwar hätte ich gut und gerne auf das bedrohliche Raubtierverhalten und die angesprochene Selbstmordtendenz verzichten können, aber irgendwie hatte alles seinen Sinn, auch wenn man ihn zuerst vielleicht nicht klar erkannte. „… aber du hast sonst niemanden, den du wirklich anschreien kannst, wenn es dir zu viel wird.“ Die Schlussfolgerung hing greifbar im Raum. „Beziehungen sind ein anhaltender Lernprozess. Da du bisher die Beziehungsschule erfolgreich geschwänzt hast und nur zu den spaßigen Sporteinheiten erschienen bist, erwarte ich nicht, dass du mit dem ganzen Zusatz, der über die körperliche Ebene hinausgeht, problemlos umgehen kannst. Ich wusste, worauf ich mich einlasse, und drehe dir daraus jetzt keinen Strick. Außerdem muss ich auch noch an genug eigenen Baustellen arbeiten.“ Trotzdem würde mir sein Versprechen helfen, den Silberstreif am Horizont nicht aus den Augen zu verlieren, sollte die nächste Gewitterfront auf uns zusteuern; und irgendwann käme die bestimmt angerollt. Jedoch stellte ich die Unumstößlichkeit seiner Versprechen längst nicht mehr in Frage, dazu hatte Isaac mir nie einen Grund geliefert, und das wiederum verlieh mir die Hoffnung, dass die nächste Auseinandersetzung wieder ein Stückweit erträglicher verlaufen würde. Konfrontationen ließen sich nie vollständig vermeiden, aber gewisse Probleme konnten präventiv vermieden werden, weshalb ich seiner Vermutung nur zustimmen konnte: „Ich weiß. Wir reden immer wieder von einem Wir, aber in spontanen Stresssituationen ist die Tendenz zum Einzelkämpfer trotzdem stärker.“ Dabei sprach ich vor allem für mich persönlich, denn die Eskalation nach dem Kaffeekränzchen war die höllische Ausgeburt einer besonders kopflosen Stresssituation gewesen. Ich hatte mich unter Druck gesetzt gefühlt, keine Zeit für rationale Überlegungen eingeräumt, mich beweisen wollen und nach Isaacs neutralen Äußerung zu der Idee dem Schicksal seinem Lauf überlassen – eine offensichtlich verheerende Kombination. Zu gern wollte ich mich in seine Berührung lehnen, die Zärtlichkeit annehmen, aber gleichzeitig hatte beim Ausüben des einseitigen Drucks auf meine Schläfe der Schmerz in meinem Schädel minimal nachgelassen und ich fürchtete, dass bei einer falschen Kopfbewegung das volle Ausmaß gleich wieder zurückkehren könnte. „Ein wenig.“ Und da wir bereits bei der Ehrlichkeit und dem offenen Dialog waren, fasste ich den Grund meiner Beschwerde möglichst prägnant zusammen: „Ich bin in weniger als 24 Stunden mehrfach besorgt um dich gewesen, wurde von Neuigkeiten erschlagen, die mir in Zukunft sicherlich noch Bauchschmerzen bereiten werden, war zum ersten Mal in meinem Leben mit so vielen Wölfen gleichzeitig konfrontiert, habe meine Fähigkeit nach langer Zeit mal wieder verwendet und damit einmal mehr meinen Beinahe-Tod provoziert inklusive dein Leben gefährdet. Und der Tag ist noch nicht einmal zu Ende.“ Dabei konnte es doch kaum noch schlimmer werden, richtig? In der Hoffnung, es nicht schon in Gedanken verschrien zu haben, hielt ich einfach die Klappe und ließ mich stattdessen plump nach hinten auf die federnde Matratze fallen. Mein Unterarm landete der Länge nach über meinen Augen, verharrte dort jedoch nicht lang, als mir eine beunruhigende Erkenntnis durch den Kopf schoss. Argwöhnisch sah ich unter meinem Arm hervor Isaac an: „Das heißt aber nicht, dass ich es bereue, hergekommen zu sein und wehe dir, du rufst mich das nächste Mal nicht an, solltest du meine Hilfe brauchen. Es ist nur gerade ein bisschen viel auf einmal“, versuchte ich die Bedeutung meiner Aufzählung abzuwiegeln. Bei all der ausgesprochenen Unsicherheit wollte ich keinesfalls riskieren, dass Isaac aufgrund meines momentan geklagten Leids jemals in Erwägung zog, mich nicht ins Boot zu holen, weil ich bei strapazierenden Angelegenheiten zu Kopfschmerzen neigte.
-
Nun hing es überwiegend von Isaac ab, ob er meine metaphorisch hingehaltene Hand auch annahm oder sich lieber weiterhin in der selbst-erschaffenen Finsternis wegduckte. Die Sekunden tröpfelten gemächlich dahin, während sich eine neuartige Spannung in meinem Inneren ausdehnte: Isaac öffnete sich so weit, wie noch nie zuvor in meiner Anwesenheit, und ich wartete irgendwie nur auf den Augenblick, an dem es zu viel wurde und er zurück in seine Deckung floh. Kleine Schritte führten ebenso zum Ziel. Der Dunkelhaarige entschloss sich jedoch weiterhin für Hechtsprünge, nun, wo die Karten bereits am Tisch lagen, sollte die Runde wohl auch zu Ende geführt werden. Auf seine ungewöhnliche Frage hin, nahm ich mir einen Moment, um seinen Blick ruhig zu erwidern, seine Gesichtszüge anschließend zu mustern und zurück zu seinen schönen Augen zukehren. Unter alltäglicheren Umständen würde ich ihm wahrscheinlich eine Antwort verweigern und amüsiert unterstellen, dass sein Ego nicht unnötig gepusht werden müsse, er seine Qualitäten ohnehin ausreichend kenne. Aber mit all dieser Unsicherheit wirkte die Frage lediglich wie ein subtil verpackter Hilferuf, dem nicht nachzukommen ich nicht übers Herz brachte. Trotzdem erwies sich die Formulierung einer guten Antwort als schwer; schwerer als gedacht, weil ich ihm keine lose Aneinanderreihung seiner positiven Eigenschaften präsentieren wollte. „Ich sehe eine Stärke in dir, die nichts mit deinen Alpha-Wolf-Genen zu tun hat. Du kannst dein Verhalten reflektieren und deine Fehler eingestehen. Nicht immer direkt und offen, aber du arbeitest daran. Trotz der katastrophalen Erziehungsmethode bist du behütend und fürsorglich. Damit meine ich nicht den beispielhaften Zug, vor den du dich werfen willst, sondern all die aufmerksamen Kleinigkeiten zwischendurch.“ Manchmal verbarg sich Isaacs menschliche Seite zu gern hinter dem dominanten Wolf, dem niemand etwas anhaben konnte, weil er in der Hack-Ordnung nun mal am obersten Ende stand. „Ja, du bist auch der große, schwarze Wolf aus den Gruselgeschichten für kleine Engel, aber das ist nur eine Seite an dir. Es ist bestimmt einfacher, eigene und gesellschaftliche moralische Prinzipien fallen zu lassen und das Dogma des bösen Albtraums zu verkörpern, aber ich denke, dass du gerne mehr bist, nur manchmal nicht genau weißt, wie. Und das macht den Unterschied für mich aus.“ Das Streben nach einem besseren Selbst ist mitunter eine der nobelsten Tugenden, die Isaac während unseres gemeinsamen Werdegangs mehrfach bewiesen hatte und nach wie vor zeigte. Wir alle steckten doch irgendwie in Gewohnheiten fest. Eine meiner schlechtesten schien ein grundlegender Bestandteil in Isaacs Fundament der Unsicherheit zu sein. Ich wäre ohne essenziellen Grund nie in allzu naher Zukunft auf die Idee gekommen, meine eisern antrainierte Fassade primär vor meinen Eltern fallen zu lassen, dazu vergönnte ich ihnen den Einblick in mein Leben abseits des silbernen Präsentiertellers zu wenig. Aber Isaac erschien mir als Grund genug, dieses abweisende Verhalten Stück für Stück abzutragen – irgendwie würde ich schon mit der Rolle der personifizierten Enttäuschung umzugehen lernen, obwohl mir allein bei der Vorstellung bereits schlecht wurde. Ein Problem für einen späteren Augenblick. Eines nach dem anderen. „Du hättest es mir auch schon früher sagen können…“, erwiderte ich auf seine Bemerkung eher lasch, weil uns die Thematik der mangelhaften Kommunikation eigentlich sehr penetrant durch die gesamte Beziehung hindurch verfolgte. Dinge, die für mich als selbstverständlich galten, schienen für Isaac völliges Neuland darzustellen und trotz all der Annäherung hatten wir diesbezüglich noch immer nicht alle Grenzen ausgelotet beziehungsweise Licht ins Dunkle gebracht. Noch so ein Punkt auf der langen Liste an anzugehender Erledigungen, die keinen Aufschub duldeten. Immerhin schienen wir für den Moment Einigkeit gefunden zu haben, was mich zu einem tiefen Durchatmen brachte. Das Gewicht von Isaacs Kopf auf meiner Schulter fühlte sich angenehm erdend an und sein Atem strich mit einer tröstlichen Wärme über meine Haut. Wenn es mit den benötigten Erinnerungen auf beiden Seiten so weiter ging, müsste ich uns Post-it beschaffen und mit den bunten Klebezettel die Wände neu tapezieren. Der Gedanke geisterte als kleine Witzelei durch meinen Kopf, blieb aber darin eingeschlossen. Stattdessen nickte ich nur sanft. Das Erinnern würde hoffentlich mit der Zunahme an offenen Gesprächen weniger notwendig werden. Vielleicht schadete ein regelmäßiges Update, wo wir uns derzeit emotional befanden, nicht, sofern es tatsächlich ohne spannungsaufgeladenen Einstieg funktionierte. Isaacs Bedürfnis danach, zuerst zuzuschnappen und dann erst zu reden, kam nicht von irgendwo, war aber gleichzeitig ein ernstzunehmendes Hindernis, sollte er dieses Schutzmechanismus nicht los werden… ebenso wie ich meine irrationale Kritikunfähigkeit endlich von der damit in meinem Kopf implizierten Unterstellung, unzureichend zu sein, abkoppeln musste. „Es wäre ein Anfang, mich nicht wegen einer Sache anzuschreien, so gerechtfertigt es auch sein mag, und dann aber auf eine andere hinauszuwollen“, schlug ich mit einem zaghaften Lächeln vor. Ich wusste nicht, ob wir dieses Thema vorerst abgehakt hatten oder ob da noch eine nahe Fortsetzung versteckt lauerte, aber für den Moment zog ich eine friedfertige Option der weiter anhaltenden Auseinandersetzung vor. Wie lang dauerte unsere Schonzeit bis zum angekündigten Abendessen diesmal? Isaacs Verwandtschaft besaß die unangenehme Angewohnheit zu Kopfschmerzen meinerseits zu führen. Unbewusst rieb ich mir auf der Seite, die nicht von Isaac in Beschlag genommen wurde, die Schläfe. Momentan bereute ich den voreiligen Beschluss, auf jeden Fall zu der Mahlzeit im familiären Kreis zu erscheinen, egal wie entscheidend unser Auftritt für die Festigung der demonstrierten Stellungen war. Ich erkannte den Sinn dahinter und würde mich nicht drücken, aber für ein paar Sekunden genehmigte ich mir mein Wehklagen.
-
-
Die Unsicherheit nagte weiterhin an mir. Ich konnte nicht einschätzen, ob ich Isaac neben meiner inzwischen offensichtlich gewordenen Verzweiflung oder besser gesagt Hilflosigkeit noch zusätzlich weitere Einblicke in das Chaos in meinem Inneren geben sollte oder ob es klüger wäre, all die Informationen sacken zu lassen und möglichst ruhig abzuwarten. Dieses Nichts-tun fiel mir unglaublich schwer, gerade wegen des Drucks auf meiner Brust, unbedingt etwas gegen dieses Problem zwischen uns unternehmen zu müssen. Angespannt verknotete ich meine Finger zu einem kleinen Ball auf meinen Oberschenkeln, aber immerhin schwieg ich und räumte dem Gestaltwandler Zeit zum Denken ein. Mir gefiel der zusammengesunkene, das Gesicht in den Händen verborgene Zustand seitens Isaac überhaupt nicht, passte es nur schwer in mein bereits bestehendes Bild des unumstößlichen, selbstbewussten Mannes. Aber jede Person besaß in irgendeiner Form einen weichen Kern und in diesem Augenblick drängten sich sehr viele für ihn atypische Emotionen an die Oberfläche. Wenn man diese Art der eigenen Gefühle nicht gewohnt war, dann konnte solch ein Sturm schnell zur Überforderung führen – Isaac wirkte auf mich nach wie vor ziemlich überfordert. Wenn er seine Fassung wieder erlangt hätte, würde er wahrscheinlich nicht zum Boden hinunter sprechen. Oder? Ich musste mich jedenfalls etwas anstrengen, um die gemurmelten Worte richtig zu verstehen. Mein Ohr nahm die Aussage wahr, aber mein Hirn bekam bei der Verarbeitung Probleme: dass meine nicht-wölfische Art keine Rolle spielte, widersprach meiner Annahme grundlegend. Ich versuchte es als eine positive Nachricht zu verbuchen, bekam jedoch schnell einen Dämpfer verpasst, als ein klassisches – zwar nicht ausgesprochenes – Aber nach der ausbleibenden Absicht zu Vorwürfen kam. Beinahe ärgerlich, dass ich automatisch vom Schlimmsten ausging, denn die Realität stellte sich als fast harmlos heraus. Trotzdem stolperte mein kleines Herz für einen Takt, kam aus dem Rhythmus. Da Isaac aber weiterhin stur an die gegenüberliegende Wand starrte, fühlte ich mich mehr wie eine Zuhörerin dieses Eingeständnisses und weniger als sein Gegenüber, dem er diese Schwäche zugab. Es machte keinen Unterschied für mich. Und es brauchte auch nicht meine ausgesprochene Bestätigung. Trotzdem wollte ich ihm einen kleinen Zuspruch geben, immerhin machte er entwicklungstechnisch einen enormen Schritt nach vorne, wenn er dieses Ungleichgewicht laut aussprechen konnte. Zaghaft löste ich meine verschlungenen Finger auseinander und schob eine Hand unter seinem Oberarm durch und legte sie auf seinem Unterarm ab. Ich signalisierte meinen Beistand, dass mich diese Erkenntnis nicht abschreckte. Eigentlich ermutigte mich jeder weitere Satz aus seinem Mund. Mein Verhalten ihm gegenüber schien glücklicherweise nicht das ausschlaggebende Problem zu sein. Die Erleichterung sprengte regelrecht den klammerartigen Griff um meine Eingeweide und verscheuchte die giftigen Tentakeln der Unsicherheit. Minderwertigkeitskomplexe standen nicht auf meiner Liste an akuten charakterlichen Schwächen, aber nicht genug zu sein… das Gefühl war mir schmerzlich vertraut und mein Bewältigungsmechanismus ließ noch viel Spielraum für Verbesserungen frei. Den Mund aufmachen half anscheinend wahre Wunder. Mit der Bestätigung dieser einfachen Tatsache hätte sich dieser gesamte Tumult abkürzen lassen, ohne am Rande einer richtigen Krise zu schrammen. Darauf, dass Ehrlichkeit zwischen uns mittlerweile ausdrücklich erwünscht war, musste ich mich ebenfalls erst neu einstellen. Aber es gefiel mir. Nicht der überfordernde, verheerende Teil, sondern die Aussprache danach. Isaac übernahm hierbei den deutlich schwierigeren Part, da im Laufe seines Lebens die Kommunikation leider ziemlich auf der Strecke blieb und er die neuen, friedfertigeren Verhaltensmuster nach wie vor erst verinnerlichen musste. Natürlich fiel mir diese Unterhaltung aufgrund meines ‘Vorteils‘ nicht viel einfacher, es fühlte sich noch immer sehr bescheiden an und meine Mitte schien sich äußerst gut vor den überwiegend negativen Gefühlen in mir zu verstecken. Davon lauerten derzeit viele in mir. Deshalb rutschte mir die folgende Aussage auch etwas zu energisch heraus: „Hör auf, dich als schlecht oder durch und durch böse darzustellen. Ich sehe da längst etwas anderes, wenn ich dich ansehe.“ Gegen Ende schaffte ich es immerhin, meiner Stimme einen weit sanfteren Ton zu verpassen. Aber diese elende Stereotype funktionierte inzwischen wie ein rotes Tuch für mich, weil ich selbst zu lange daran festgehalten und mich manipulieren lassen hatte. Aber auch das schien nicht der entscheidende Knackpunkt des Problems zu sein, denn Isaac schlug für mich eher unerwartete eine andere Richtung ein: das Geheimnis unserer Beziehung innerhalb des Engelpalasts beziehungsweise vor meiner gesamten Familie. Langsam fiel der Groschen bei mir und ein verlegenes Oh echote durch meinen Kopf. Das kurze Hoch der Erleichterung fiel wie ein instabiles Kartenhaus beim ersten Anzeichen von Wind – Scham, ein schlechtes Gewissen – in sich zusammen. Die Fortsetzung seiner zögerlichen Beschreibung besiegelte meine Vermutung. Trotzdem fiel mir unweigerlich auf, wie oft Isaac von Unsicherheit sprach, aber mir vor wenigen Minuten erst seine felsenfeste Entscheidung vor den Kopf geknallt hatte und dadurch Druck auf mich aufgebaut, in Zugzwang gebracht hatte. Also was galt? Oder befanden wir uns in derselben Ausgangslage – etwas wollen und trotzdem hemmten uns unsere Gefühle. Es schien mir logisch, weshalb ich mich von dieser Überlegung ab- und dem unangenehmeren Teil zuwandte. Meine ach so perfekte Fassade entsprang der langjährigen Inakzeptanz meiner Eltern gegenüber individuellen Persönlichkeitsausbrüchen. Wie erklärte ich meine durchaus fragwürdige Maske einer Person, die seit der ersten Sekunde für sich eingestanden war und nie den Pfad des Nachgebens gewählt hatte? In der Hinsicht zeigten wir wieder die Unterschiede des unnachgiebigen Wolfs und harmoniebedürftigen Engels. Ein Seufzen verließ meine Kehle, denn, ja, mir leuchtete diese Verwirrung aufgrund meines unterschiedlichen Verhaltens ein und bei mir würde es ebenfalls Zweifel säen. Eine Rechtfertigung meinerseits reichte da leider nicht, es brauchte eine Lösung oder zumindest einen Kompromiss. „Ich versuche in der Zukunft mehr darauf zu achten, diese harten Persönlichkeitswechsel abzumildern. Es schadet sicher nicht, meine Eltern langsam darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Plan der Familienvereinigung bestens funktioniert hat. Ich befürchte nur, dass du mich hin und wieder daran erinnern musst… diese Scharade hat sehr früh begonnen und steckt mir deshalb tief in den Knochen.“ Die Angewohnheit des Versteckens würde ich sicherlich nicht binnen weniger Wochen ablegen können. Oder ich sagte es ihm wirklich öfter in unmissverständlicher Absicht. Ich fühlte mich dumm, wie verdutzt ich dabei aus der Wäsche schauen musste und an der Innenseite meiner Wange herumkaute, ehe ich meine Zustimmung durch ein Nicken zeigte. Diese Kombination aus Isaacs Bitte und meinem eigenen Vorsatz fühlte sich erfolgsversprechend an. Zudem schien es mir ein kleiner Preis zu sein, wenn dafür eine gemeinsame Zukunft aus uns wartete. Mein Herz fühlte sich zwar noch immer ein bisschen schwer an und in meinem Kopf manifestierten sich die ersten Anzeichen von Kopfschmerzen, trotzdem zupfte ein hoffnungsvolles Lächeln meine Mundwinkel leicht nach oben, als ich seinen Blick suchte. „Ich bin unglaublich stolz auf dich, dass du so offen mit mir gesprochen hast. Du verdienst alles, was du möchtest… und wenn das in dem Fall ich bin, dann darf ich mich darüber glücklich schätzen.“ Ich nahm das leichte Zucken in seinem Gesicht wahr, aber hey, das dünne Eis unter uns, auf das wir uns mit jedem ausgesprochenen Wort weiter raus begaben, knackste auch ohrenbetäubend laut. „Und dann erinnere ich dich auch zusätzlich daran, dass es in einer Beziehung nicht ums Verdienen geht“, fügte ich leise hinzu, bevor ich mich zu ihm lehnte und Isaac einen kurzen, zarten Kuss entlockte.
-
-
Zugegebenermaßen wusste ich in diesem Moment längst nicht mehr, wo mir eigentlich der Kopf stand. Scheinbar verkomplizierte sich die ohnehin angespannte Stimmung mit jedem ausgesprochenen Wort zwischen uns, dabei hieß es normalerweise, dass Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg war. Bei uns resultierte es gerade eher im Gegenteil. Oder übertrieb ich bei dem Gefühl, dass wir gerade unbewusst an einem Scheidepunkt angekommen waren und sich dieser Ausbruch an Emotionen am besten Weg zu einem ausgewachsenen Streit befand? Mir stand die Überforderung bis zum Hals, weshalb ich am liebsten einfach schreien würde, um endlich aus meiner Haut zu kommen, aber da dies nicht im Bereich des Möglichen klang, kniff ich mir stattdessen kurz und schmerzhaft mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel, presste die Augenlider dabei zusammen und holte einmal tief Luft. Davor hätte ich wahrscheinlich nicht ohne den Gebrauch von unangebrachten Schimpfworten auf Isaacs Unterstellung reagieren können. „Ich will dich. Aber anscheinend kannst oder willst du mir nicht genug vertrauen, um das endlich auch einzusehen. Ich bin in dieser und vielen Hinsichten nicht wie du und ich schätze deine Versuche, mir dein Denken und Verhalten näher zu bringen, aber ich werde es dennoch nie auf der Gefühlsebene nachvollziehen können. Ich bin nämlich kein Werwolf. Ich werde nie einer sein und nie wie einer denken.“ Ich sah ihn an, ob er verstand, worauf ich anspielte, ging schlussendlich jedoch auf Nummer sicher, indem ich es eben leise aussprach. „Deswegen kann ich mich auch nie so binden, wie es deinesgleichen gewohnt ist. Ich kann mich nur auf meine diesbezüglich vollkommen menschliche Art an dich binden und gerade sieht es für mich aus, als wäre dir das nicht genug.“ Keine Entscheidung war auch eine Entscheidung, darin gab ich ihm recht. Aber was, wenn ihm meine Grenzen der Möglichkeit schlichtweg nicht reichten und er es deshalb als mangelnden Entscheidungswillen interpretierte? Traurigkeit füllte meinen Blick, denn momentan fühlte ich mich überhaupt nicht verstanden. Um diese Ehrlichkeit jedoch offen auszusprechen, fehlte mir die Courage. Isaac versuchte es bestimmt und ich glaubte ihm, dass er meine Bedenken und Ängste ebenso auf seine Art teilte. Er lebte längst nicht mehr locker in den Tag hinein, unbeeindruckt bezüglich seiner Zukunft. Der Gestaltwandler nahm potenzielle Probleme wahr und nahm Herausforderungen, die eine Eroberung für die Nacht zu finden übertrafen, an. Mir ging es nicht um all die Schwierigkeiten, die unser Weg sicherlich noch in der einen oder anderen Form für uns bereithielt. Meine Angst nährte sich von der hartnäckigen Sorge, nicht genug für ihn zu sein, weil es anscheinend bereits im Vorfeld daran scheiterte, ausreichend Vertrauen zu generieren beziehungsweise meine Entscheidung wahrzunehmen. Daher ersparte ich mir die Erwiderung, dass ich ebenso wusste, wie es um meine Empfindungen stand. Diese Klarstellung stand vielleicht später noch zur Debatte, aber vorerst konzentrierte ich mich auf seine Ansprache, die mich auf einer tiefgreifender Ebene berührte – zusätzlich lieferte sie mir eine indirekt ausstehende Antwort. Isaac verwechselte meine Ängste mit Zweifeln. Dabei hatte ich bereits die Erfahrung im Leben gemacht, dass man etwas wollen konnte und dennoch ängstigte man sich davor. Als Isaac sich abwandte, verstand ich im ersten Moment die Welt nicht mehr, aber nachdem ich wieder freier atmen konnte, erkannte ich seine Rücksicht auf meine Perspektive: in die Ecke getrieben – und sei es verbal – von einem Raubtier. Ich fürchtete mich nicht vor einem physischen Angriff, weswegen mir mit steigender Hitzigkeit der Diskussion nicht bewusst aufgefallen war, wie demonstrativ sich der junge Mann vor mir aufgebaut hatte; wahrscheinlich ein Instinkt des Wolfes in ihm. Trotzdem gefiel mir die neue Distanz nicht, sondern folgte ihm mit zeitlichem Abstand, aber zu meinen Bedingungen, hinüber zum Bett, wo ich mich neben ihm auf die Matratze sinken ließ. Ich wählte meinen Platz nicht zu nah, um nun die Aufdringliche zu sein, jedoch nah genug, um keine Grenze zwischen uns zu signalisieren. Lange – zumindest fühlte es sich für die Situation nicht nur nach ein paar Sekunden der Stille an – bedachte ich den Dunkelhaarigen ruhig mit meinem Blick, suchte nach Formulierungen, um das Chaos in meinem Kopf begreiflich zu machen. „Ich möchte dir dieses Gefühl nicht abstreiten, deshalb erkläre mir bitte, wie es dazu kam? Ich kann es nicht nachvollziehen. Ich vertraue dir mein Leben an, weil ich weiß, dass du auf mich Acht gibst. Welchen Vertrauensbeweis möchtest du noch von mir haben?“ Ich sprach nun ebenfalls mit gesenkter Stimme. „Ja, ich gebe zu, dass deine extreme Aufopferungsbereitschaft gewöhnungsbedürftig für mich ist, aber für mich war diese Offenbarung kein Schritt auf mich zu, sondern eine Unterstellung, fahrlässig mit deinem Leben umzugehen. Als du mich damals mühevoll um Verzeihung gebeten hast, das war ein Schritt auf mich zu, bei dem ich nicht davongelaufen bin. Du hast mir auch den Gefallen getan und bist mit mir zu meiner Verwandtschaft geflogen, was ich jetzt ebenso bereit war für dich zu tun.“ Für eine kurze Atempause hielt ich inne, spielte dabei mit meinen kühlen Fingern, um eine Beschäftigung zu haben und nicht permanent an meinen Haaren zu nesteln. Ich erkannte mein Fehlverhalten leider wirklich nicht, schließlich spiegelten wir unsere emotionale Verschlossenheit geradezu perfekt. Hoffentlich meinte Isaac nicht, dass ein brechender Staudamm, der den Pool an Gefühlen bisher brav weggesperrt hatte, automatisch einen Schritt in meine Richtung bedeutete – noch dazu in Kombination seiner wütenden Tonlage und der aufgebrachten Ausstrahlung.
-
-
Meine Körperhaltung entsprach womöglich einer selbstbewussten und standhaften Version von mir, aber eigentlich fühlte ich mich überwiegend verunsichert. Hinzu kam eine emotionale Erschöpfung, als hätte mir jemand sämtliche Energie für das Führen einer vernünftigen Konversation geraubt. Zu gern hätte ich meinen Standpunkt verlautbart und dann die Schotten dicht gemacht, um mich nicht weiter mit diesem sensiblen Thema auseinandersetzen zu müssen. Unsere Unterhaltungen mit erhitzten Gemütern galten selten – eher nie – als erfolgsversprechend und allein der Ausdruck in Isaacs funkelnden Augen kündigte unangenehme Worte an, mit denen ich mich natürlich auseinandersetzen sollte, aber in diesem Moment wirklich nicht konfrontieren wollte. Ich hatte über die gemeinsame Zeit hinweg Erfahrungen mit seinem Temperament sammeln dürfen und wenn sich diese Launen gegen mich richteten, wusste ich inzwischen nicht mehr, wie ich darauf richtig reagieren sollte. Mittlerweile ließen mich seine ausgesprochenen Worte nicht mehr kalt, Andeutungen beschäftigten mich und ich achtete vermehrt auf versteckte Hinweise in seiner Körpersprache. Meistens gelang mit sogar eine halbwegs adäquate Einschätzung seiner Mimik und Gestik, aber in diesem Fall kam ich zu keiner zufriedenstellenden Interpretation seines Verhaltens. Oder vielleicht weigerte ich mich auch unbewusst dagegen, weil mir sein vorangegangenes Schnauben in Kombination zu dem Kopfschütteln einen spitzen Stich in der Brust verpasste. Glaubte mir Isaac nicht? Dieses gequälte Lächeln verstand ich sogar noch weniger. Und nein, ich wusste derzeit gar nichts so richtig. Zwar sagte er eben noch, dass er meine wenngleich unvernünftige Entscheidung irgendwie schätzte, gleichzeitig aber hatte er mir nur kurz davor seinen Frust über eben diese Sache unter die Nase gebunden. Was sollte ich also für bare Münze nehmen? Indirekt erhielt ich die Antwort, irgendwie aber auch nicht. Am liebsten hätte ich ihn unterbrochen und gefragt, was er denn dann von mir wollte, aber glücklicherweise hielt ich an mir. Wer wusste schon, ob Isaac auch mit Unterbrechung so viele seiner Gedanken mit mir geteilt hätte. Er sah also keine Zukunft hier im Norden, worüber ich ehrlich erleichtert war, sprach diesen Umstand aber seiner non-existenten Bereitschaft zum Unterordnen zu. Das war für mich prinzipiell kein Problem. Zum Problem wurde erst sein intensiver Blick, der mich nun förmlich an Ort und Stelle festnagelte. Obwohl seine Anspielung kaum Raum für falsche Auslegungen ließ, untersagte ich mir dennoch vehement eine emotionale Reaktion, wie Freude oder Hoffnung oder etwas gleichermaßen Fragiles. Schließlich wusste ich noch immer nicht, welches Ziel Isaac mit seiner Ansprache verfolgte und all die hässlichen Diskussionen hatten mich gelehrt, dass seine Worte mindestens genauso scharf wie seine Klauen waren. Ich dachte nicht, dass er mich absichtlich verletzen wollte oder es darauf anlegte, aber gefühlstechnisch sah ich mich bereits zu weit hineingezogen, um in erster Linie nicht auf emotionaler Ebene zu agieren und reagieren. Da kamen gekränkte Gefühle schneller vor als mir lieb wäre. Normalerweise gehörte Isaac nicht zur dramatischen Sorte, aber diese Ankündigung tendierte schon in eine stark theatralische Richtung, die ich so mit ihm nicht assoziiert hätte. Trotzdem glaubte ich es ihm aus einem Bauchgefühl heraus sofort – abgesehen von der vollen Überzeugung in seinen ernsten Augen, hatte er diese Bereitschaft nun zum zweiten Mal bewiesen. Dabei wollte ich gar nicht, dass er sich für mich beim Anzeichen von Gefahr bereitwillig in den Tod stürzte. Hatte ich bei dieser – definitiv wölfisch-übergriffigen – Hingabe nicht auch ein Wörtchen mitzusprechen? Immerhin müsste ich am Ende mit der ewigen Schuld leben. Nicht Isaac. Einmal mehr wurde mir so richtig bewusst, was es bedeutete, aus derart unterschiedlichen, eher gegensätzlichen Welten zu kommen. Zwar vergas ich nie, dass Isaac kein normaler Mann war, dennoch setzte ich die Maßstäbe beziehungsweise meine Vorstellungen oft noch in speziellen Punkten an einer herrlich durchschnittlichen Beziehung an; eindeutig der falsche Weg. Er ließ mir keine Wahl, weil er die selbst nicht besaß. Dabei handelte es sich wohl um keinen bahnbrechenden Gedankengang, aber trotzdem brachte diese längst in mir geschlummerte Erkenntnis an der Oberfläche meines Bewusstseins eine neue Perspektive mit ins Spiel. Ich zwang ihn regelrecht zu diesem Verhalten, ob er es nun auskostete oder lieber vermieden hätte, bedeutete keinen Unterschied für den Wolf in ihm. Isaac durfte sich gratulieren. Ohne seiner Absicht – zumindest ging ich von keiner bewussten Manipulation aus – vervielfältigte sich mein ohnehin schlechtes Gewissen und meine Schultern sanken bekümmert herab. Gerne würde ich die kleine Distanz zwischen uns überbrücken und ihm durch meine Nähe vergewissern, dass Isaac mich nicht so bald verlor. Aber er fühlte sich so unheimlich weit entfernt an, obwohl ich eigentlich nur meinen Arm ausstrecken müsste, um ihn zu berühren. Etwas hielt mich ab. Meine eigene Unsicherheit, seine Welle an schwer zu verdauenden Worten und das Bedürfnis, jetzt nichts falsch machen zu wollen. Bei Isaacs Erwähnung des Rings zuckte mein Blick zu dem angesprochenen Objekt hinunter. Froh darüber, seiner Beobachtung für einen kleinen Augenblick zu bekommen und damit hoffentlich auch den Schmerz in meinen Augen wieder ordentlich zu verstecken. Ja, es war ein bedeutungsloses Edelmetall, dabei wünschte ich mir einen persönlichen Wert für dieses eigentlich so aussagekräftige Schmuckstück. Aber Isaac hatte bereits einmal verdeutlicht, dass er diesen menschlichen Zusatz nicht bräuchte und auch jetzt wiederholte er die Bedeutungslosigkeit des Rings für ihn. Egal wie wenig ich es mir eingestehen wollte, aber dieses Wissen tat weh. Weil es für mich und meine heimlich-romantische Anwandlung eben doch Gewicht besäße. Eine Aussprache diesbezüglich schadete sicherlich nicht, aber ich hielt mich damit zurück. Jetzt und wahrscheinlich auch in Zukunft, denn Isaac würde für mich eine zweite Runde drehen, das Zeremoniell wiederholen und doch würde es ihm nie dasselbe bedeuten wie mir. Ich hatte Angst vor der Frustration, die dieses Ungleichgewicht nach und nach in mir schüren könnte und deshalb verzichtete ich lieber ganz. Obwohl diese Feststellung manchmal schmerzte, war sie in Ordnung. Ich schützte damit nicht nur mich, sondern auch alles, was aus uns noch werden würde. Alles, was mir Isaac mit seiner leidenschaftlichen Aussage in Aussicht stellte. Mein Blick kletterte wieder zurück in seine Augen empor und verhakte sich dort mit seinem. „Ich werde ihn nicht abnehmen und ich werde dich auch nicht wegschicken“, fing ich an und hörte ebenso unkreativ wieder auf, weil der Knoten in meinem Magen nun hinauf in meine Stimmbänder gewandert war. Ein Anzeichen für die um sich greifende Nervosität in meinem Inneren. Irgendwann hätte uns all das Schweigen und Zurückhalten bestimmt eingeholt, aber warum ausgerechnet jetzt? Jetzt, wo Isaacs Wut in meinem Kopf nachhalte und mich meine eigene Angst vor dem Ungewissen beinahe erstickte. Ich wusste, dass ich Expertin darin war, meine Gefühle zu verstecken und trotz des beißenden Drangs in meiner Brust, in eben jenes Verhaltensmuster zu fallen, verzichtete ich auf den antrainierten Schutzmechanismus. Wir glänzten beide nicht hinsichtlich klärender Gespräche, aber ich schätzte Isaac für seinen Mut, nun den Anfang zu machen. „Und was willst du von mir hören, das du selbst aber nicht bereit bist ohne Umschreibungen zu sagen?“ Er hatte mir gerade sehr viel gesagt. Mehr als ich eigentlich auf einmal verarbeiten konnte, und all das bekräftigte mich durchaus in der Richtigkeit meiner Entscheidung, dass ich in Isaac die beste Wahl getroffen hatte. Er ging aus sich heraus und nun war ich an der Reihe. „Ich habe immer noch Angst davor, dass es nicht funktioniert. Dass ich mich in dich verliebt habe und wir trotzdem keine Chance haben, weil es einfach nicht sein soll. Weil ich dich womöglich zu einem Leben als Einzelgänger verbanne, weil ich einen potenziellen Kinderwunsch nicht überlegen könnte. Weil ich weiterhin miese Entscheidungen in guter Absicht treffen werde. Weil dich dein Instinkt, dich vor jede mögliche Gefahr zu werfen, Kopf und Kragen kosten könnte.“ Weil es mir wahrscheinlich das Herz brechen würde, ihn aufgrund unserer gegensätzlichen Natur irgendwann unglücklich zu machen. Dieses Gespräch kostete mich jede Reserve von sozialer Batterie, die ich vorzuweisen hatte. Als wäre dieser Anreisetag nicht ohnehin ausreichend strapaziös gewesen. Ich klammerte mich weiterhin an mich selbst, weil gerade beschlich mich die Ahnung, dass ich ohne dieser selbstinduzierten Unterstützung einfach auseinanderfallen könnte. Langsam wurde es zu viel. Mein Geständnis setzte der emotionalen Ausgelaugtheit lediglich die Kirsche oben auf.
|