Hm. Die Zahnrädchen in meinem Kopf drehten sich lediglich langsam mit, während Isaac seine Vermutung zu Sylvans Verhalten aussprach. Gerade klang die ganze Sache nach einer hinterhältigen Manipulation, womit ich mich wenig anfreunden konnte oder auch wollte. Mir missfiel es, dass der Alpha unseren ersten Durchbruch hinsichtlich des Springens über den eigenen Schatten und um Hilfe bitten beeinflusst, wenn nicht sogar überhaupt erst in Gang gesetzt hatte. Eigentlich störte es mich ganz allgemein, als Spielfigur auf dem Schachbrett eines mir prinzipiell Fremden zu stehen und demzufolge reduzierte sich auch mein schlechtes Gewissen bezüglich der zugefügten Schmerzen rasant. „Er hat es also darauf angelegt, mich ebenfalls herzulocken und uns beide dann vor einem Teil des Rudels auszutesten?“, fasste ich mit säuerlich belegter Stimme zusammen. Wie hinterhältig. Es erinnerte mich beinahe an die sorgfältig gesponnenen Intrigen im Engelspalast, was mich insofern nicht überraschen dürfte, immerhin ging es in meinem Familienclan ebenso wie in dem Rudel um das Halten von Machtpositionen, Einschätzen von potenziellen Bedrohungen und im Fall der Fälle um die Eliminierung der Gefahrenquelle. Hervorragend. Musste ich nun mit einem Attentat rechnen, weil wir ein Risiko für die derzeitige Hierarchie darstellten, oder hatte die Machtdemonstration gereicht, um uns in besagte Reihung einzugliedern? Sämtliches Wohlwollen gegenüber dem Alpha minimierte sich für den Augenblick zu einem kläglichen Rest, erst recht, als mir Isaac vor Augen führte, wie gern er ebenfalls mehr Antworten bekommen würde. „Dann spielen wir dieses Spiel ab jetzt eben auch so. Er erfährt etwas Relevantes von uns, wenn wir eine akzeptable Antwort von ihm erhalten“, schlug ich vor, um einen Ansatz zum Glätten der Wogen anzubieten. Sylvan schien die Angelegenheit des Informationsgewinns weitaus taktischer und weniger impulsiv anzugehen und damit befanden wir uns in mir vertrauten Gefilden. Jedoch schien mir inzwischen die Chance, dass Sylvan uns tatsächlich mit seiner Präsenz am Esstisch ehren würde, ziemlich gering, sodass wir seinerseits von einem weiteren Verhör verschont bleiben würden und deshalb keine Gegenmaßnahmen notwendig wären. Isaac hatte recht: zum zivilisierten Fleischessen brauchte man tendenziell beide Hände, um Messer und Gabel bedienen zu können und wahrscheinlich bäte er Charlotte nicht darum, ihm sein Essen kleinzuschneiden. Dass er die Selbstbeherrschung besäße, besagtes Training mit ohnehin aufmüpfigen Jungwölfen durchzuführen, hielt ich für ebenso bezweifelbar. „Er wird früh genug erkennen, dass seine Neugier ihn für die kommenden Tage weitestgehend außer Gefecht gesetzt hat“, warf ich als Erwiderung auf die Erwähnung der Hoffnung, sehr bald schon wieder unbekümmert von Schmerzen durch die Gegend zu marschieren, ein und schaffte es dabei nicht rechtzeitig, das schmale Lächeln zu unterdrücken. Geschah Sylvan schon recht. Ja, ich hatte mich dazu entschiede, ihm diese eingefädelte Action samt Konsequenzen nachzutragen und dadurch fiel es mir weit weniger schwer, ein bisschen Genugtuung zu empfinden. Bei Sylvan zumindest, Charlotte tat mir weiterhin leid, denn sie konnte absolut nichts für den gesamten Schlamassel, sondern musste nun die Nachwirkungen ausbaden. Charly besaß gewiss den einen oder anderen Trick im Ärmel, um Sylvan aus seiner Laune zu befreien, was mir Isaacs Gegenfrage auch vor Augen führte. Stimmt. In Zukunft zeigten sich sicherlich noch weitere Möglichkeiten, um meinen Gefährten aus seiner persönlichen Gewitterwolke zu befreien, aber für den Moment kannte ich bereits ein paar funktionierende Gegenmaßnahmen. Damals hätten sie bei Isaacs Verletzung wohl trotzdem nicht geholfen, denn da steckte der junge Mann noch ganz am Anfang seiner charakterlichen Entwicklung und unsere Beziehung zueinander war zum Scheitern verurteilt. Meine Mundwinkel zuckten amüsiert nach oben, nachdem ich sozusagen in meiner Bemerkung bestätigt wurde. Außerdem beruhigte es mich auf eine mir höchst unangenehme Weise, dass Isaac damals nicht trostsuchend zu einer x-beliebigen Frau gegangen war. Ein fürchterlich dummer Anflug von verspäteter Eifersucht, der hier absolut nichts zu suchen hatte und definitiv in keiner Relation stand. Um mich abzulenken, hob ich die rechte Hand und zeichnete mit sanften Fingerspitzen vage die Stelle in seinem Gesicht nach, die ich damals so verheerend erwischt hatte. Mein Blick lag dabei auf der langsamen Bewegung, als ich mit einem leisen Lachen sagte: „Natürlich war der Schaden an deiner Attraktivität das schlimmste in der Situation.“ Reiner Sarkasmus. Isaacs Einschätzung über Sylvan ließ mich ahnen, dass er selbst wenig Bock auf Besuch empfunden hatte – Reizüberflutung, Demonstration von Schmerz und dergleichen. Nachdem meine Fingerkuppen den markanten Kieferknochen erreicht hatten, senkte ich meine Hand wieder hinab und schaute ihn stattdessen etwas erstaunt an. Gar nichts? Die Frage stand mir ins Gesicht geschrieben. Isaacs Erklärung führte mir einmal mehr vor Augen, wie wenig ich das Leben im Rudel verstand und zusätzlich, wie stark ich von den Machenschaften meiner eigenen Sippe geprägt war. In Engelsaugen müsste ich so schnell wie möglich aus dem Weg geräumt werden, weshalb ich automatisch davon ausging, dass es hier im nördlichen Rudel ebenfalls so ablief. Blödsinn. Schon klar, wie mir jetzt auch auffiel. Zusätzlich existierte da ja noch die Absicherung durch Isaac. Wir hatten gemeinsam nicht nur Sylvan in die Knie gezwungen, sondern auch seiner Tochter sichtbare Spuren der Auseinandersetzung auferlegt. Für das Rudel schien das zu reichen. In mir sträubte sich dennoch alles, mich darauf zu verlassen, da es dem krassen Gegenteil zu meinen bisherigen Erfahrungen gleichkam. Austickende Jungwölfe klangen verständlicher für mich, auch wenn Isaac gegen Ende geradezu enthusiastisch klang. Ranghöchstes Paar… daran hatte ich gar nicht gedacht. Damit identifizierte ich mich auch nicht. So funktionierte das nicht in meiner Welt! „Die Umstellung von Engeldenken auf Werwolfdenken klappt irgendwie noch nicht so gut“, murmelte ich erklärend. Die Euphorie Isaacs erreichte mich leider nicht richtig. Dafür steckte zu viel Gegensätzliches in meinem Kopf fest. Aber wenn er sich zuversichtlich zeigte, dann wollte ich darauf vertrauen und ebenfalls versuchen, einen hoffentlich unkomplizierten Abend zu genießen. Wein als Themenwechsel zu verwenden, war abrupt, aber effektiv. Lachend ließ ich mich darauf ein: „Gibt es hier etwa einen alten Weinkeller versteckt, der sämtliche Weinkenner und -liebhaber in die Knie zwingen würde?“ Zwar hatte ich bereits eine Tour durchs Haus bekommen, aber wer wusste schon, was für geheime Kammern wohlwissend im Verborgenen blieben? Jedenfalls packte mich eine neugewonnene Neugierde, als wir zum zweiten Mal an diesem turbulenten Tag die Stiegen hinabgingen und uns ins bereits halb gefüllte Esszimmer begaben. Beinahe sekundenschnell wurde es leise, sämtliche Blicke richteten sich erneut auf uns. Ich durchlebte ein kleines Déjà-vu, wie ich aufrecht mit gehobenem Kinn dastand und meine Aufmerksamkeit über die versammelten Wölfe gleiten ließ. Von Sylvan keine Spur, kein Hinweis auf Salacia und Charlottes Stimme war ebenso nicht zu vernehmen. Ich schaute auf die Uhr – sie hätten auch noch ganze drei Minuten Zeit, um aufzutauchen.
Isaac Ich nickte, wenn auch mit einem kurzen Zögern. “Sieht für mich so aus, ja.”, bestätigte ich Riccardas Frage langsam. Sylvan hatte das so nie gesagt, aber ich war mir dessen trotzdem sicher. Es ergab etwas zu viel Sinn, um es zu ignorieren. Dass das Riccarda ein wenig gegen in aufbrachte, ihrer Stimme nach zu urteilen, war auf eine gewisse Weise gut – die offene, charmante Freundlichkeit meines Vaters und Alphas war in Wolfskreisen etwas außergewöhnlich und es war gefährlich, dem einfach zu vertrauen. Man stellte lieber zu viele, als zu wenige Fragen. Bestenfalls auf eine Art, die einem auch Antworten garantierte. “Daran hab ich noch gar nicht gedacht.”, dachte ich laut nach und senkte für einen Moment nachdenklich den Blick. Es stand mir eigentlich nicht unbedingt frei, dem Alpha die Antworten auf seine Fragen zu verwehren – ich mochte ebenfalls Alpha-Gene tragen, war auch hier aber lediglich ein ranghoher Beta. Dem Alpha etwas zu verwehren, barg in dieser Position grundsätzlich die Risiken eines ordentlichen Dämpfers. “Könnte einen Versuch wert sein.”, meinte ich dennoch und untermauerte den Gedanken mit einem kaum sichtbaren Nicken. Sylvan befolgte zwar große Teile des ursprünglichen, sehr traditionellen Kodex, aber sein Gemüt war wesentlich ausgeglichener als das meines Vaters. Solange klar war, dass das nichts damit zu tun hatte, seinen Rang in Frage stellen zu wollen, könnten wir damit durchkommen. Zuerst würde mein Vater jedoch seine Schmerzen auskurieren müssen. Inzwischen schien sogar Riccarda ihm den vorübergehenden Ausfall zu gönnen, was vielleicht nicht die feine englische Art war, aber es fühlte sich gut an. Gut für mich, gut für uns als Paar. So auch die zarte Berührung ihrer weichen Fingerspitzen in meinem Gesicht, die früher hingegen absolut undenkbar war. Ich blieb hinsichtlich meiner damaligen Verletzung durch Riccardas Hand bei beschwingtem Sarkasmus: “Nicht schmerzfrei essen zu können war schon auch ziemlich mies.” Hunger leiden musste Sylvan im Gegensatz zu mir schon mal nicht. Es dauerte einen Moment, bis die attraktive Blondine so richtig zu begreifen verstand, in welcher Position wir uns hier im hohen Norden jetzt befanden. Kein Wunder, hier lief schließlich beinahe alles anders als bei ihr Zuhause. “Nun, dafür hast du ja mich.”, nahm ich ihre Unfähigkeit des Verstehens von Wolfsthematiken locker mit einem entspannten Lächeln hin. Es ging mir umgekehrt manchmal nicht anders. Zwar hatte ich, dank meiner Unterkunft im Engelsschloss, schon so einige Gepflogenheiten erkannt und durchschaut, aber das änderte nichts daran, dass die Welt für mich eine andere war, als für einen Engel – und umgekehrt. Vollständig ändern würde sich das wohl nie, aber das war für mich kein Problem. Riccarda sprang auf den Wein an und entlockte mir damit das nächste breite Grinsen. “Ich hab mich bisher nicht auf die Suche gemacht, weil das für mich alleine wenig Sinn gemacht hätte.” Bekanntlich fiel es einem Werwolf schwer, sich zu betrinken und ich war hier ohnehin stark auf der Hut gewesen, da wäre ein Rausch dumm gewesen. Wäre er auch jetzt noch, ganz streng genommen. “Aber irgendwo müssen sie den ganzen Whiskey und Wein ja unterbringen.” Dafür bot sich der Keller sicherlich am besten an. Bis ich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen konnte, wie die Lage im Esszimmer aussah, galt es noch Haltung zu wahren, was ich meiner Frau gar nicht erst sagen musste. Schon wie zuvor erwarteten uns im Speisesaal einige Blicke, die ich nicht weniger kühn als das letzte Mal erwiderte. Während wir uns auf den Weg zu unseren Plätzen machten, bedachte ich jedoch vor allem Jaxson und Axton – die Jungwölfe, 12 und 14 – mit eingehenderen Blicken. Sie richteten sich beide in ihren Stühlen auf, statt nur mehr schief drauf zu hängen und waren offensichtlich neugierig bis angespannt. Keiner von beiden rührte sich jedoch von der Stelle und ihr Vater Nixon saß in weiser Voraussicht zwischen ihnen. Er war so ziemlich das beste Beispiel, wie man’s nicht machen sollte – versehentlich zwei Wolfssöhne zu zeugen, die man dann zwangsläufig zu sich nehmen und alleine großziehen musste, wenn die Mutter nicht mitzog, war alles andere als ideal. Beim Gedanken daran, ich hätte in meiner früheren Leichtsinnigkeit so enden können wie er, war ich jedes Mal dankbar für meine unsagbare Glückssträhne. Als wir dieselben gepolsterten Stühle einnahmen wie schon am Nachmittag, begannen die ersten Anwesenden ihre vorherigen Gespräche langsam, mit leicht gesenkter Stimme wieder aufzunehmen. Aiden neben Riccarda warf ein kurzes, aber ehrliches Lächeln in unsere Richtung, kurz bevor seine Frau Claire mit Theo an der Hand zu ihm aufschloss. Auch der Rest der Familie trudelte noch auf den letzten Drücker ein, bis auf ein paar Ausnahmen, während die Bediensteten den Anwesenden nach und nach Getränke anboten, nachdem ich meinen Whiskey bekommen hatte. Die Stimmung war anfangs so zurückhaltend, dass es fast unangenehm war. Ein Dienstmädchen, das mit dem Küchenpersonal nichts zu tun hatte, kam gezielt zu Riccarda und mir und beugte sich leicht zu uns hinunter um leiser sprechen zu können: “Sylvan und Charlotte lassen sich entschuldigen, sie schließt aber möglicherweise später noch zu euch auf.”, lächelte sie höflich. Ich nickte mit den Worten “In Ordnung.” und unterdrückte dabei das Grinsen, das sich allzu gern auf meine Lippen schleichen wollte. Damit warteten wir im Grunde nur noch auf meine Schwester. Als sie etwa fünf Minuten zu spät in den Saal kam, saß ich mit auf der Tischkante aufgestützten Ellbogen und vor mir ineinander gelegten Händen da und musterte über die innenliegende Faust hinweg ihre Körperhaltung: Salacia ging nicht ganz so aufrecht wie sonst, ihr Unterarm war in einen dünnen Verband gehüllt und in ihrem Nacken klebte ein übergroßes Pflaster unter den zu einem hohen Dutt gebündelten Haaren. Die Bissspur in ihrem Gesicht war jedoch der ungünstigen Lage wegen nicht verdeckt. Es blutete nicht, aber die Wundränder leuchteten fröhlich rot vor sich hin. Typisch, für die Verletzungen durch einen anderen Alpha. Abwartend sah ich ihr ins Gesicht, als sie sich mit einem beinahe stummen Räuspern auf ihren Platz drei Stühle weiter setzte. Sie fühlt sich offensichtlich unwohl, auf mehr als einer Ebene. Erst sah sie mich an, dann kurze Zeit hilfesuchend in den Rest der Runde. Aber die waren auch nicht gut auf Sally zu sprechen – nur wegen ihr wurde noch aufs Essen gewartet. “Kommt… kommt nicht wieder vor.”, sagte sie schließlich mit gedrückter Stimme und sah mich an. Ich deutete jedoch an, dass mir das nicht reichte, mit einem kurzen Seitenblick auf meine bessere Hälfte. Salacia seufzte leise, kurz darauf gab sie sich einen Ruck: “Tut mir leid, Riccarda.” Wie meine Schwester sah daraufhin auch ich den blonden Engel an. Wenn die Sache für alle Beteiligten abgehakt war, konnte ich nämlich das Essen einläuten. Der Alpha – oder in dessen Abwesenheit der entsprechende Vertreter – bekam sein Essen nämlich immer zuerst, mitsamt Partnerin. Bevor unsere Teller voll waren und wir beide zum Besteck griffen, sollte es hier niemand wagen, sich eine der Schüsseln oder Platten zu greifen, von denen die Bediensteten nun allmählich die Hauben nahmen.
Abgesehen davon, dass ich ohnehin mit einer angemessen misstrauischen Einstellung in die Höhle des Wolfes marschiert war, machte es mich trotzdem zumindest minimal sauer, damit genau den Absichten des Alphas entsprochen zu haben. Zwar gab es keine Alternative, denn Isaac nach der offensichtlichen Bitte um Beistand allein zu lassen, kam nicht in Frage, aber gerade missfiel es mir, dieser Manipulation widerstandslos zum Opfer gefallen zu sein. Ich sah mich nicht gerne in dieser Rolle, weshalb ich das Geschehen als Warnung verbuchte – ob ich eine Wiederholung aufgrund dieser Erkenntnis verhindern konnte, blieb abzuwarten. Was auch immer der Alpha im Schilde führte und ob er weitere persönliche Ziele in Hinblick auf uns verfolgte, würde sich im Laufe der nächsten Tage herausstellen; allzu viel Zeit blieb ihm schließlich nicht mehr, um etwas ins Rollen zu bringen. Tja, daraufhin tat mir die Anwendung meiner Fähigkeit gleich noch ein Stück weniger leid. Dennoch verließ ich mich nicht darauf, dass Sylvan die Füße ruhig hielt und sich wehleidig in den privaten Räumlichkeiten zurückzog, also schadete es sicherlich nicht, seiner mangelhaften Bereitschaft, Informationen zu teilen, ebenso entgegenzuwirken. Dass Isaac diese Option nie in Betracht gezogen hatte, wies mich daraufhin, dass es wahrscheinlich irgendeinen wolfs-internen Haken geben musste, den ich wohl oder übel berücksichtigen musste. Nicht-wissen schützte nicht vor Konsequenzen. „Wir würden es vorsichtig angehen und nicht mit der Tür ins Haus fallen“, erwiderte ich schmunzelnd, da Isaac sein Temperament im Gespräch erst bestens unter Beweis gestellt hatte und dieser impulsive, direkte Weg sicherlich nicht der richtige in Anbetracht der Umstände wäre. Die lockere Stimmung zwischen uns ließ sich von meinem dezenten Missfallen nicht trüben und so stahl sich auch schnell ein kleines Grinsen auf meine Lippen. „Dir blieb nichts anderes übrig, im Mitleid zu versinken und um dein hübsches Gesicht zu bangen… herzzerreißend“, zog ich ihn mit einem liebevollen Ausdruck in den Augen auf, vor allem mein ach so mitfühlendes Abschlusswort triefte vor fröhlichem Humor. Immerhin stand ich weiterhin für die Meinung ein, dass Isaac damals den Absturz auf den Boden der Tatsachen durchaus vertragen hatte und es ein wichtiger Meilenstein in Sachen gegenseitigem Respekt darstellte; sich hinsichtlich des todbringenden Potenzials ebenbürtig zu sein, schien vor allem bei einem Raubtier als Partner von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit zu sein. Ebenfalls ein Punkt, den ich lernen und mir weiter verinnerlichen musste. Ebenso wie die Tatsache des hohen Ranges, den ich automatisch durch Isaac bekleidete – von dessen Vorteil ich nach wie vor nicht gänzlich überzeugt war. Aber wie Isaac richtig bekundete: dafür hatte ich ja ihn an meiner Seite. „Ich Glückspilz“, erklärte ich mit einem durchscheinenden Strahlen in den Augen. Ganz im Gegensatz zu meiner vorherigen Aussage schwang nun nicht der kleinste Funken Sarkasmus in meiner Stimme mit. Ich meinte es, wie ich es sagte und schätzte mich froh, Isaac bei mir haben zu dürfen. „Ich schätze, du hättest auch einfach einen der Angestellten um Alkohol bitten können und müsstest nicht selbst den Vorrat im Keller suchen gehen“, überlegte ich laut, immerhin wuselten auch hier genug Bedienstete herum, um sie immer wieder mal flüchtig ihren Tätigkeiten nachkommend zu begegnen. Jedenfalls ging ich schwer davon aus, dass man hier nur selbst einen Finger krümmen machen musste, wenn man entweder das Privileg durch eine Verletzung der Rangordnung verloren hatte oder sich die Mühe machen wollte. Vielleicht sprach hierbei aber auch wieder die eigene Erfahrung aus der Heimat aus mir. Wie auch immer, der Service im Esszimmer ließ – wie Kaffee und Kuchen bezeugt hatten – jedenfalls nicht zu wünschen übrig. Aber das wäre ohnehin mein kleinstes Problem gewesen. Gerade fühlte ich mich bei all den verstummten Wölfen wie ein unerwünschter Eindringling und weniger als ein respektierter Gast. Zumindest bis zu dem Moment, an dem die Unterhaltungen erneut mit gesenkten Stimmen aufgenommen wurden. Ich spürte trotzdem die prickelnden Blicke auf meiner Haut, als würden sie dort durch die Kleidung hindurch tatsächlich Spuren hinterlassen können. Meine verschlossene Miene lockerte sich erst minimal auf, als Aiden ein Lächeln zeigte und damit die vollkommene Ruhe ausstrahlte. Seine Frau mit Theo an der Hand wirkte ein wenig gestresster, aber vielleicht lag es an dem hyperaktiven Sohn, den es zu bändigen galt. Der Whisky vor Isaac schien den Startschuss für zwei uniformierte Angestellte zu bedeuten, die damit begonnen hatten, um den gewaltigen Tisch zu wuseln und weitere Getränke zu kredenzen. Dass mir ebenfalls sehr zügig das gewünschte Wasser samt Zitronenscheibe vor die Nase gestellt wurde, nahm ich eher am Rande wahr. Das Dienstmädchen neben meinem Partner genoss den Großteil meiner Aufmerksamkeit oder zumindest ihre Stimme, denn ich musste mich im Gegensatz zu den Gestaltwandlern anstrengen, um die geflüsterten Worte akustisch gut zu verstehen. Mein Blick wanderte suchend nach der Antwort auf meine Vermutung zu Isaacs Gesicht, wo mir auch schon zuckende Mundwinkel die Bestätigung präsentierten. Ranghöchstes Paar geisterte es erneut durch meinen Kopf. Die Dynamik änderte sich kaum merklich, eigentlich erkannte ich den Umschwung nur, weil ich extra auf Anzeichen geachtet hatte: abwägende Blicke zu dem leeren Platz am Tischende, die schleichende Erkenntnis in jungen Augenpaaren, die sich rückversichernd zu den dazugehörigen Eltern richteten. Mir blieb nicht genug Zeit, um alle Anwesenden eingehend zu mustern, aber das Gesehene reichte, um mich minimal zu entspannen. Obwohl mir zuerst verborgen blieb, weshalb alle erwartungsvoll abwechselnd zwischen Isaac und der Tür hin und her schauten, reimte ich mir bald zusammen, dass der ranghöchste Gestaltwandler das Essen einläutete und der junge Mann neben mir auf Vollzähligkeit – exklusive der entschuldigten Personen – wartete. Nur ein Stuhl stand noch an den Tisch gerückt. Ich verbarg sämtliche Empfindungen beim Anblick der jungen Frau hinter einer kühlen Maske, während ich Salacia bei ihrem Weg rund um den Tisch mit den Augen folgte. Ihre selbstbewusste Haltung hatte unter der Niederlage mit ihrem Halbbruder gebüßt, ebenso ihre Makellosigkeit. Meine Musterung stoppte lediglich ein paar Sekunden länger an den gut sichtbaren Zahnabdrücken mitten in ihrem Gesicht, deren sanfte Röte im Kontrast zu ihrer hellen Haut stand. Zwar kannte ich sie nicht, aber um die greifbare Unruhe zu erkennen bedarf es keiner großartigen Menschenkenntnis. Ihre auf Isaac gerichteten Augen erzählten von einem inneren Zwiespalt, einem Kampf zwischen Trotz und Vernunft, den ganz zu meiner Erleichterung ihr Intellekt – oder das Vermögen, Situationen richtig einzuschätzen – gewann. Isaac erhob nicht einmal die Stimme, um ihr ein paar zögerliche Worte an ihn zu entlocken und es brauchte augenscheinlich nur eines weiteren Blickes, um ihre Aufmerksamkeit auf mich umzulenken. Ich verengte die Augen leicht, als Salacias Entschuldigung durch den Raum klang. Ich zweifelte ihre Aufrichtigkeit an, aber als sie für den Bruchteil einer Sekunde ihren festen Blick abwandte, auf ihren bandagierten Unterarm blickte, den sie auf ihren Schoß zog und damit vor neugierigen Beobachtern verbarg und nicht wieder aufschaute, nickte ich leicht. „In Ordnung“, löste ich die lauernde Spannung mit zwei simplen Worten, die keine weiteren Rückschlüsse auf meine Gedanken zuließen. Zwar verstand ich die Feinheiten des Rudelverhaltens nicht gänzlich, aber ich kannte meine zu spielende Rolle und die besagte nun mal, dass ich die Nase nach Isaac für die Dauer des Essens am höchsten tragen durfte. Auch wenn ich mich nicht danach fühlte. Es handelte sich lediglich um eine weitere Rolle, in die ich temporär schlüpfen würde. Selbst die Jüngsten am Tisch schielten mit hoffnungsvollen Mienen von den dampfenden Essensplatten weiter zu Isaac, dem das Recht des Ersten oblag. Dass ich erneut in diesem Tischgebot inkludiert war, wurde überdeutlich, als ein paar Jungwölfe ungeduldig auf ihren Plätzen zu rutschen begannen und niemand einen Finger rührte, ehe eine der Bediensteten mir ebenso einen eigenen Teller samt vegetarischer Kost, die einen herrlichen Duft verströmte, vor die Nase stellte. Ich dankte der Frau mit einem angedeuteten Lächeln, die sich daraufhin wieder in einer fließenden Bewegung zurückzog. Isaac wartete meine kleine Extra-Behandlung ebenfalls schweigend ab, bevor mir sein Blick auf das bereits haltende Besteck den entscheidenden Hinweis gab: es reichte anscheinend nicht, dass das Essen schon direkt vor mir stand, um die stillschweigende Erlaubnis für die anderen zu erteilen. Da ich niemanden nach Salacias Verzögerung weiter auf die Folter spannen wollte, griff ich auch zu Messer und Gabel. Als hätte diese einfache Geste wie ein Startschuss geknallt, kam Leben ins das Rudel. Ich kämpfte stark darum, mir die Irritation nicht ansehen zu lassen. Was hier Normalität bedeutete, kam für mich absolutem Neuland gleich.
Nicht mit der Tür ins Haus fallen war zweifelsohne nicht meine Stärke. Was das anging musste ich darauf vertrauen, dass der Engel mich an die Hand nahm und rechtzeitig ausbremste, um dumme Taten oder Worte zu vermeiden. Auf die Sache mit dem Mitleid gabs nur noch Augenrollen, ohne dass mir das Grinsen dabei aus dem Gesicht fiel. Ich nahm die Neckerei auf die leichte Schulter und freute mich anschließend lieber darüber, dass Riccarda betonte, mich gerne an ihrer Seite zu haben. So als wollte sie das, was im Laufe der hässlichen Diskussion vor etwas über einer Stunde rausgekommen war, gleich ein bisschen umsetzen. Ich setzte ihr jedoch erst einen Kuss an die Stirn, als sie schon auf den potenziellen Weinkeller zurückkam. “Ja, das hab ich gelegentlich auch gemacht… ist aber weniger lustig, als zusammen einen fremden Keller umzukrempeln.”, nuschelte ich grinsend an ihre Haut, bevor ich mich wieder zurückzog. Mit einem leicht ironischen Tonfall, weil sie mich so gut doch inzwischen kennen müsste – wenn es einen Weg mit mehr Spaßfaktor gab, dann nahm’ ich gerne den, selbst wenn es Konsequenzen hatte. Alleine wäre es nicht besonders unterhaltsam gewesen, den Keller zu durchforsten. Ich bräuchte ja nicht mal das Licht anzumachen, sah auch im Dunkeln hervorragend und müsste nur noch meiner Nase zu folgen, wenn ich nah genug dran war. Die Vorstellung, wie Riccarda stattdessen ein um die andere Tür vorsichtig aufschob und verstohlen ins Innere sah, war viel besser. Wesentlich ernster war vorübergehend noch die Situation am Esstisch. Ich beobachtete akribisch, wie Riccarda auf Sallys Entschuldigung reagierte. Neben der allgemeinen, leichten Unruhe, die durch ihren Körper vibrierte. Ganz zufrieden wirkte der Engel, verständlicherweise, nicht mit dem Auftreten meiner Halbschwester – aber die sehr oberflächliche Entschuldigung war ihr schlussendlich dennoch genug, um eine Fortsetzung dieser Unterhaltung zu umgehen. Ich nickte ebenfalls leicht, was aber mehr für mich selbst war. Schon darauf vorbereitet, dass Riccarda die eine oder andere Hilfestellung nötig haben würde, lieferte ich ihr auch mit dem Besteck noch einen letzten Hinweis. Ich schob mir selbst erst einen Bissen des zarten Fleischs von meinem Teller zwischen die Kiemen, bis ich erneut zu der schlanken Blondine sah und ihren Gesichtsausdruck bemerkte. Sie versuchte es wirklich, das konnte ich sehen – ihr stand trotzdem ziemlich breit auf der Stirn, wie merkwürdig sie den Hergang empfand. Das nächste Schmunzeln schlich sich noch während des Kauens in meine Züge. “Fast alle gucken so, die ersten paar Mal…”, ließ ich Riccarda wissen, kaum hatte ich runtergeschluckt. Sie brauchte sich nicht wirklich darum zu scheren, was die anderen in dieser Hinsicht von ihr dachten, auch wenn ich ihren Versuch des Scheinwahrens durchaus zu schätzen wusste. Ich hatte nicht leise gesprochen, weshalb Claire neben Aiden sich mit einer hochgezogenen Augenbraue einmischte. “Ich schau euch auch heute noch manchmal so an.”, meldete sie sich amüsiert mit trockenem Ton zu Wort und sah in unsere Richtung, bevor sie die Augen wieder auf ihren Sohn konzentrieren musste, damit er keinen Saustall auf der hellen Tischdecke hinterließ. Aiden lachte leise in sich hinein, während er sich etwas Beilage auf den Teller lud. “Tja, eben doch bloß ein Haufen Tiere… und du hast so eins ganz freiwillig geheiratet.”, meinte er leichthin und zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung, was mich da geritten hat.”, erwiderte sie übertrieben blinzelnd, lieblich grinsend, offensichtlich ironisch. Ihr Mann lachte bloß und fing an zu essen, weil sein Wolfsmagen ebenso ungeduldig war wie jeder andere. Kaum hatten alle ihre Mahlzeit auf dem Teller, trat gefräßiges Schweigen ein. Zwischenzeitlich erkundigte ich mich – an Charlys Stelle – danach, ob Riccarda das Essen schmeckte oder ob es irgendetwas zu beanstanden gab. Überwiegend Besteck und kürzere Konversationen regierten die Geräuschkulisse, bis ich nach einer Weile im Augenwinkel sah, dass Axton sich ziemlich flink eine Flasche Wein aus einem der Servierwagen schnappte und sie unauffällig am Tischbein zu bunkern versuchte. Anschließend sah er in meine Richtung, wohl um abzuchecken, ob er damit durchkam – ich brauchte bloß die Augenbraue hochzuziehen und nach meinem eigenen Glas voll Alkohol zu greifen, damit er die Botschaft verstand. Murrend hob er die Flasche wieder hoch und stellte sie stattdessen auf den Tisch. “Ich dachte echt, du wärst cooler als dein Dad.” Ganz gemütlich nahm ich einen Schluck aus meinem Glas, bevor ich es wieder abstellte. Mein Teller war beinahe leer und ich hob die Gabel nochmal an. “Ich setze seine Regeln nur durch, ich stelle keine neuen auf, Kleiner.”, wies ich den jungen Wolf auf seinen Denkfehler hin. Keine Frage, natürlich war ich noch deutlich jünger als Sylvan und ich verstand sehr gut, was das Wölfchen hier vor hatte. Das änderte nur nichts an meiner Position. “Ich bin 14.”, erwiderte er genervt, so als wüsste ich das nicht. “Oh, na dann ist das natürlich was ganz anderes.”, sagte ich völlig neutral. Ein kurzer Hoffnungsschimmer in seinem bockigen Blick. “Also darf ich?”, hakte er wörtlich nach und streckte die Hand schon wieder nach der Flasche aus. Sein Vater fasste sich an die Stirn, bevor ich mit einem belustigten “Nein.” antwortete und das eine oder andere Kichern durch die Reihen ging. Axton stöhnte genervt. “Klau’ dir deinen Alkohol auswärts, so wie jeder andere.”, klinkte Logan sich frohen Mutes ein. Aidens Bruder war ein bisschen wie ich – nur hielt er das Junggesellen-Ding länger durch, weil ihn keiner verzwangsheiratete. “Hm, apropos…”, setzte ich an, als ich den letzten Bissen runtergeschluckt hatte.Mit dem Glas lehnte ich mich zurück und drehte es langsam in der linken Hand, streckte gleichzeitig die rechte Hand nach Riccardas Oberschenkel aus. Nur um sie wissen zu lassen, dass ihr trotz anderweitiger Konversation mindestens 50% meiner Aufmerksamkeit gehörten. Grundsätzlich immer. “...wer hat hier wann zum ersten Mal festgestellt, dass jeder Barbesuch für den Rest seines Lebens viel zu teuer wird?” Und dann gings los: Logan war bereitwillig der Erste mit der Story aus seiner früheren Jugend, es folgten aber noch viele andere und es wurde immer wieder gemeinschaftlich herzhaft gelacht. Ich grinste gerade breit vor mich hin, während ich mir entspannt von einem der Dienstmädchen nachschenken ließ und Charlotte tatsächlich noch durch den breiten Türbogen in den Speisesaal schritt. “Na da komm’ ich ja grade richtig.”, prustete sie, als sie neben mir ankam und sich auf den leeren Stuhl setzte. Sie war angespannt und klang tatsächlich erfreut über eine ungezwungene Unterhaltung mit allerlei Schabernack und nicht wirklich ernst gemeintem aufs Korn nehmen. Letzteres konnte Sylvans Frau gut, wenn sie in der Stimmung dazu war. Eine der Bediensteten brachte ihr einen Teller mit derselben vegetarischen Kost, die schon Riccarda bekommen hatte. Deshalb warf die Hausherrin auch noch einen fragenden Blick in die Richtung meines Engels. Nur etwa zehn Sekunden später meldete Sally sich plötzlich zu Wort, die mit diesem Thema dank ihrer anhaltenden Geheimhaltung natürlich nicht viel anfangen konnte und den Fokus deshalb für alle hörbar auf die zierliche Blondine an meiner Seite legte. “Und wie ist das bei euch Engeln? Lasst ihr auch mal Flaschen aus Schnapsläden mitgehen oder ist euch das zu viel Nervenkitzel?” Sie sagte das nicht nur, weil ihr offensichtlich langweilig war. Ich konnte die Provokation aus ihren hellen Augen lesen, obwohl ihre Worte selbst sehr neutral klangen. Vielleicht wollte sie nur testen, wie Riccarda reagierte... oder sie war genervt, weil sie diese Erfahrungen selbst noch nicht machen durfte und hier eingesperrt war.
Oftmals reichte die Aussicht auf etwas Schönes, um die derzeit unangenehme Situation leichter zu ertragen und in meinem Fall bedeutete dies, an der Vorstellung festzuhalten, wie Isaac und ich spät abends den Weinkeller auf Herz und Nieren überprüften. Diese jugendhafte Rebellion würde keinerlei nennenswerter Auswirkungen bekommen, da ich nicht gedachte, mich auf die Kosten des nördlichen Rudels zu betrinken oder die vorgefundenen Räumlichkeiten großflächig umzudekorieren. Es kam mir überwiegend wie eine kleine Flucht in die Sorglosigkeit vor, falls wir tatsächlich zu dem Entschluss kamen, dem ominösen Rätsel eines versteckten Weinkellers auf die Spur zu gehen. Allein die Vorstellung reichte aus, um mich dem Abendessen mit einer gehobenen Laune zu stellen, obwohl mein Unwohlsein dennoch wie ein unruhiges Tier im Käfig auf und ab marschierte. Salacias Entschuldigung besaß einiges an Verbesserungspotenzial, aber um den sensiblen Frieden zu wahren, begnügte ich mich mit den wenigen Worten und würde die Situation nicht unnötig verkomplizieren. Mir reichte es ohnehin an neuen Erkenntnissen und irritierenden Gepflogenheiten, um noch eine zusätzliche Feindin ins Boot zu holen, die ganz gezielt etwas gegen mich persönlich einzuwenden hätte – die Abneigung gegen mein Naturell reichte für den Anfang. Zudem Isaac es scheinbar für unproblematisch hielt, mein Unbehagen zum neuen Tischthema zu machen. Beinahe strafend traf mein Blick auf ihn, hatte ich mich doch so vehement an meine starre, aber offensichtlich lückenhafte Miene geklammert. Sein lockerer Umgang damit – oder vielleicht das amüsierte Schmunzeln, das mir so sehr an ihm gefiel – animierte mich dazu, es ebenfalls entspannter anzugehen. Ich versuchte es zumindest hinzunehmen, die Neue mit den Eingliederungsschwierigkeiten zu sein. Dabei rechnete ich nicht mit dem moralischen Beistand durch Theos Mutter, die sich fröhlich einmischte und den Fokus des Gesprächs dadurch von mir weg auf die allgemeine Gewöhnungsbedürftigkeit umlenkte. Dankbarkeit huschte über meine Züge, während ich dem kurzen, herzlichen Schlagabtausch zwischen den Eheleuten lauschte. Es wirkte so alltäglich, als würde ich den immer gleichen Debatten meiner Verwandten am Tisch zuhören. Auf einmal verschwammen die Grenzen zwischen Wölfen und Engeln für einen herrlichen Augenblick. Das zugegebenermaßen köstliche Essen – ich schloss von der Vorzüglichkeit meines Gerichts darauf, dass das Rudel hier regelmäßig auf hohem Standard speiste – reichte offenbar aus, um sich nicht länger an meiner (oder auch Isaacs) Anwesenheit zu stören. Besteck klirrte, hier und da vernahm ich ein leises Schmatzen aus Theos Richtung und sonst ertönten nur gemurmelte Gespräche in dem Speisezimmer. Isaac wandte sich auch einmal an mich, um sich nach meiner Zufriedenheit zu erkundigen. Lächelnd lobte ich die Köchin für ihr kulinarisches Kunstwerk, bei dem mir spontan kein Mangel auffiel und der wahrscheinlich auch bis zum Ende des Abendessens nicht auftreten würde. Der Genuss lenkte mich dennoch nicht ausreichend ab, um das Geschehen um mich herum auszublenden – natürlich freute ich mich über das harmonische Beisammensein, aber ich wusste aus belehrender Erfahrung, wie schnell die Stimmung bei Werwölfen umschwenken konnte. Vielleicht hätte der harmlose Diebstahl einer Flasche Wein in dem Rudel zuhause ein Drama losgelöst, aber hier reagierte Isaac geradezu belustigt von dem Versuch und stieg auch nicht auf die leise Provokation des Jungwolfes ein. Der Junge tappte auch geradewegs in die Falle, schien er seine Fähigkeit, Sarkasmus als solchen zu erkennen, noch nicht ausreichend gefördert zu haben und schnappte dementsprechend empört nach Luft, sammelte diese in aufgeblasenen Bäckchen und lehnte sich beleidigt mit vor der schmalen Brust verschränkten Armen nach hinten gegen die Stuhllehne. Ich verkniff mir ein entzücktes Grinsen, denn der schmollende Kleine war herzallerliebst anzusehen. Erst recht, als er japsend die Luft ausstieß und sich an den nun sprechenden Gestaltwandler mit großen, leuchtenden Augen wandte. „Gute Idee, danke“, freute er sich und schon schien der Unmut vergessen zu sein, während sein Vater direkt neben ihm finstere Blicke verteilte. „Herzlichen Dank, perfekt“, murrte der Mann und richtete sich im Anschluss sogleich an den immer noch strahlenden Sohn. In der Zwischenzeit startete Isaac mit einer neuen Frage die Unterhaltung mit allen, was bereitwillig von dem Rudel angenommen wurde. Die Hand meines Partners lag währenddessen ruhig auf meinem Oberschenkel, was sich mittlerweile als Symbol für Sicherheit in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Ich entspannte mich zunehmend mit den zum Besten gegebenen Geschichten, lachte hier und da leise mit und bewunderte das rhetorische Geschick Logans, der mit seinen ausschweifenden Anekdoten die Menge unterhielt, aber auch durch die Art der Erzählung den Eindruck verlieh, die Erinnerung selbst mitzuerleben. Charlottes Auftreten änderte entgegen meiner Annahme nichts an dem Rudelverhalten, stattdessen lachte die bunt gekleidete Frau direkt mit und stimmte zu, sich an den Schlamassel gut erinnern zu können. Währenddessen servierte eines der Dienstmädchen ebenfalls einen dampfenden Teller mit vegetarischem Essen, woraufhin ich einen fragenden Blick zugeworfen bekam. Erneut wiederholte ich meine volle Zufriedenheit und fügte mit einem ehrlichen Lächeln ein dickes Lob an ihre Köchin hinzu. Charly schien es wirklich zu freuen, obwohl ich mir kaum Gedanken über meine Wortwahl gemacht hatte, aber manchmal durfte die spontane Eingebung auch reichen; angenehm, nicht jede Formulierung in die Waagschale werfen zu müssen. Leider dauerte diese unproblematische Erkenntnis nicht lange an, denn keine fünf Atemzüge danach erhob Salacia die Stimme und richtete mit ihrer stichelnden Frage ganz gezielt auf mich. Ruhig löste ich mich mit Charlotte, konzentrierte mich stattdessen auf deren eigenwillige Tochter, bevor der Anflug eines entspannten Lächelns an meinen Mundwinkeln zupfte. „Ich kann nicht für alle Engel sprechen, denn mir ist durchaus bewusst, dass manche einfach umfallen würden, wenn man ihnen den Stock aus dem Hintern ziehen würde,“ die Erwähnung meiner teils sehr steifen Verwandtschaft trug mir von einem argwöhnischen Blinzeln bis hin zu amüsierten Glucksen diverse Regungen ein, „aber wir sind auch irgendwann in einer rebellischen Phase festgesteckt, dachten es sei klug, das Auto vom Nachbar für eine Spritztour zu klauen und haben Grenzen ausgetestet. Irgendwer im Freundeskreis hatte eine dumme Idee und die anderen sind begeistert mitgezogen. So läuft das halt“, bei der Erinnerung glitzerten meine Augen freudig als mein Blick mit einer stummen Herausforderung auf Salacia lag. Ihre Seltenheit zwang sie dazu, im Verborgenen zu leben und auf derartige Eskapaden im Schutz der Jugend verzichten zu müssen. Wahrscheinlich war das Rudel ihr soziales Umfeld; es gab keine Freunde, die sie auf irrwitzige Aktionen mitnehmen konnten. Ich wusste es und verpackte den Seitenhieb lediglich etwas diskreter. Sie verstand den hübsch verpackten Hieb scheinbar, denn ihre Miene verdunkelte sich merklich und sie zog die Nase etwas kraus. Bevor sie jedoch eine Erwiderung geben konnte, drängte sich Logan dazwischen: „Das mit dem gestohlenen Auto müsstest du bitte aufgrund von Lernzwecken genauer ausführen.“ Dabei zwinkerte er mir schelmisch zu, während Axtons Vater regelrecht in sich zusammenfiel und gar nicht wusste, welchem seiner Söhne er die Ohren vorzugsweise zuhalten sollte. Kurz überlegte ich mich dagegen zu entscheiden, aber mich drängte das Bedürfnis, zumindest ein kleiner Teil auf absehbare Zeit sein zu dürfen und deshalb öffnete ich den Mund wieder: „Ich müsste fünfzehn gewesen sein und hatte natürlich keinen Führerschein, als mich mein damaliger Freund fragte, ob ich schon mal wilde Manatis gesehen hätte. Keine Ahnung, wie er da draufkam, aber ich verneinte natürlich und damit war es wohl entschieden. Er schloss das neue Cabrio meines Nachbarn kurz und wir machten uns auf den Weg. Wir wussten beide nicht, wo wir diese verdammten Manatis überhaupt finden würden, aber fühlten uns schrecklich erwachsen und es machte einfach Spaß, nur an der Küste entlangzufahren. Zumindest so lang, bis uns die Polizei eingesammelt und wieder heimgebracht hat. Das war übrigens auch meine erste Erfahrung als Autolenkerin“, beendete ich meine Erzählung kurzerhand mit einem Grinsen.
Ich behielt meine Schwester genau im Auge, bis Riccarda ihre Sippe mit einer sehr allgemeinen, meiner Meinung nach aber sehr zutreffenden Aussage beschrieb. Vielen ihrer Verwandten war der besagte Stock merklich zum täglichen Begleiter geworden und ich war sehr froh darüber, dass Riccarda sich dahingehend von ihnen unterschied – in meinem Beisein zumindest. Das wissende Grinsen schmückte meine Lippen weiterhin und ich war zufrieden mit dem kleinen Dämpfer für Sally. Nebenbei war ich allerdings auch nicht weniger neugierig als Logan, der scheinbar nach wie vor nicht genug von alten Jugendsünden bekommen hatte und direkt weiter nachfragte. Abwartend sah ich den blonden Engel neben mir an und freute mich umso mehr, dass Riccarda sich den nötigen kleinen Ruck gab. Sich sicher genug zu fühlen schien, ein bis zwei Steine aus der Fassade zu nehmen und ein bisschen was von sich zu zeigen. Das war für mich nicht selbstverständlich und zugleich brachte es mich dazu, selbst noch einen Gang runterzuschalten, nach diesem durch und durch turbulenten Tag. Einem meiner hässlichen Charakterzüge treu bleibend – der gelegentlich sehr obsessiven Eifersucht – ärgerte ich mich trotzdem ein paar Sekunden lang mit der Frage herum, ob es nun ein Freund oder ein Freund-Freund war, von dem die blonde Schönheit sprach. Fünfzehn war, je nach geistiger und körperlicher Reife, nicht zwangsläufig zu früh für eine feste Beziehung, auch wenn die anders aussähe als die zweier Erwachsener… und Jago konnte es nicht sein, den hatte sie an der Uni kennengelernt. Mein innerer Wolf schüttelte den Pelz und so wurde ich die unnötigen Gedanken los, griff Riccardas Schenkel unbewusst jedoch kurzzeitig etwas fester. Nixon zog mit einem halb fragenden, leisen “Isaac..?” meinen Blick in seine Richtung. Er wollte seine rauflustigen Söhne wohl aus dem Saal haben, bevor sie noch mehr eigene Schlüsse aus alten Geschichten zogen. Ich nickte bloß, bevor ich wieder ganz Ohr für Riccarda war. Axton und Jaxson wurden indes von ihrem Vater aufgefordert, auf ihre Zimmer zu gehen. Wieder genervte Seufzer, aber sie spurten und standen auf. “Was ist ein Masasi?”, fragte Theo und hatte damit mehr von der Konversation aufgeschnappt, als mir bewusst war. Mit fünf Jahren vergaß er so einiges wieder… hoffentlich. “Manatis sind See…kühe, denke ich?”, äußerte Claire ihr eigenes Unwissen und warf ein schiefes Grinsen in Riccardas Richtung. Wahrscheinlich hing auch noch ein paar anderen Anwesenden dasselbe Fragezeichen über dem Kopf, weil sich Werwölfe gewöhnlich eher nur mit Tierpopulationen auf festem Untergrund beschäftigten. Ich war dahingehend nur gebildet, weil wir bei unserer Reise in die Karibik mal an einem Plakat vorbeigekommen waren, das explizite Ausflüge zur Besichtigung solcher angeboten hatte… ein weiteres Tier, das ganz ohne Kostprobe nie auf meiner wölfischen Speisekarte gelandet war. So oder so waren die Seekühe wahrscheinlich sowieso nicht das, was an der Story am interessantesten war. “Du bist ja sogar sowas wie vorbestraft, Engel… sollte man gar nicht denken.”, setzte Logan amüsiert die Konversation fort und blitzte Riccarda schelmisch an. Mit Vorstrafen und blauem Blut war das so eine Sache, wie ich selbst bestens wusste – ich war mir also auch ziemlich sicher, dass Riccarda dafür bloß Zuhause Ärger bekommen hatte und ihre Weste beim Staat noch immer strahlend weiß war. Ganz im Gegensatz zu meiner eigenen. “Falls Isaac dir zu sehr auf der Nase rumtanzt, mach das einfach mal mit seinem Auto. Ich bin sicher, er krepiert fast vor Angst.”, stichelte er breit grinsend mit wackelnden Augenbrauen. Ich zog die Stirn in Falten, sah ihn doch etwas entsetzt an und verfluchte mich gleichzeitig dafür, mit dem Sportwagen geprahlt zu haben. Logan ließ ganz bewusst offen, ob ich wegen des Autos oder wegen meiner besseren Hälfte einen Herzinfarkt kriegen würde, wenn die Garage plötzlich nur noch gähnende Leere aufwies und mein Engelchen nirgends aufzufinden wäre. Tatsächlich ein kleines Horrorszenario, weshalb ich stumm darauf hoffte, dass sie heute keine Ahnung mehr davon hatte, wie ihr Freund den Kurzschluss damals angestellt hatte. “Würdest du Riccarda bitte nicht ans Herz legen, spontan aus Ärger heraus einen 600-PS-Wagen zu entführen und sich damit an die nächstbeste Wand zu tackern?”, erwiderte ich mit einem leichten Räuspern. Das klang für mich ganz schrecklich nach Krankenhausaufenthalt. Vielleicht musste ich sie doch mal damit fahren lassen, damit im Worst-Case-Szenario nicht genau sowas passierte. “Ach, das glaub’ ich nicht… sie kommt 24/7 mit einem überdimensionalen Werwolf klar, da muss das Auto ein richtiges Kinderspiel für sie sein.” Ich ließ mit einem entrüsteten Stöhnen den Kopf in den Nacken kippen und machte für einen Moment die Augen zu. Logan war jedenfalls nicht der einzige, der es unterhaltsam fand, mich auflaufen zu lassen – es ging das eine oder andere Lachen anderswo um den Tisch, inklusive Charlys’ direkt neben mir. Auch Claire kicherte leise, obwohl sie sich allmählich dazu bereit machte, den jüngsten Wolf im Bunde ins Bett zu bringen. Ich nahm mir jedenfalls schon mal vor, Logans nächste Jagd gezielt zu sabotieren... oder auch nicht, wie mir zwei Sekunden später schlagartig dämmerte: Ich konnte Riccarda hier trotzdem nicht alleine lassen, um einen wölfischen Ausflug in den Wald zu machen. Viel zu riskant. Ich hob den Kopf wieder an und schüttelte den Kopf. "Such du dir mal lieber dein eigenes 24/7... würde dir echt gut tun, du Idiot.", entschied ich, die verbale Niederlage in der brüderlichen Atmosphäre einfach hinzunehmen, weil Logan als Junggeselle ohnehin keine ähnliche Schwachstelle aufwies. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er das absolut nicht persönlich meinte und auch nie auf die dumme Idee käme, mich ernsthaft herauszufordern. Er genoss das Leben zu sehr, als dass er freiwillig draufgehen würde.
Noch während ich munter erzählte, in Erinnerungen schwelte, spürte ich den minimal fester werdenden Druck auf meinem Oberschenkel und schloss instinktiv daraus, dass irgendetwas nicht stimmte. Ohne mir etwas ansehen zu lassen, schwenkte mein Blick im Laufe der kleinen Anekdote zu Salacia und weiter zu Isaac neben mir, doch dessen Aufmerksamkeit lag auf dem zweifachen Vater, der sich darum bemühte, seine Jungs unter Kontrolle zu halten, die ganz wissbegierig sämtliche Erzählungen am Tisch geschluckt hatten. Es waren höchstwahrscheinlich nicht die besten Gute-Nacht-Geschichten, die man sich als Verantwortlicher für zwei teils pubertierende Jungwölfe vorstellte. Hätte ich mein Erlebnis vorsichtiger formulieren müssen oder sollte ich Salacia nicht zu viel reizen, deren Stimmung überwiegend gedrückt wirkte, weshalb mich Isaac vorsichtshalber non-verbal um Rücksicht bat? Oder gab es einen anderen Grund, der sich mir aus der derzeitigen Situation und mangelnder Werwolf-Kenntnis nicht erschloss, weshalb sich seine Hand auf meinem Oberschenkel kurzfristig verkrampft hatte? Keiner der anwesenden Wölfe zeigte Anzeichen, demnächst aus der Haut zu fahren – eigentlich wirkte die Stimmung regelrecht gemütlich – und ich entschied, dass der Punkt auf der Liste meiner Jugendsünden keine Bedrohung für den Tischfrieden darstellte. Logan schien ohnehin regelrecht begeistert davon sein, einen indirekt vorbestraften Engel vorzufinden. Natürlich hatten meine Eltern sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um meinen Nachbarn zu besänftigen und die polizeiliche Akte weiterhin einwandfrei zu halten, deswegen galt ich nach wie vor als vorbildliche Bürgerin ohne Hinweis auf die kleinste Verfehlung. Glücklicherweise hatten die Beamten mich hinterm Steuer aufgelesen, anderenfalls hätte mein Vater keine Sekunde gezögert, um meinem Freund die gesamte Schuld in die Schuhe zu schieben und mich als naives, verknalltes Mädchen hinzustellen, das es schlichtweg nicht besser wusste. Tja, dass man mir anschließend den Kontakt zu dem Jungen verbot, war zwar prinzipiell nachvollziehbar, hielt uns damals aber nicht davon, ab, weiterhin gemeinsam durch die Gegend zu ziehen, schließlich teilten wir uns auch den Freundeskreis. „Ich hänge meine Skandale nur nicht an die große Glocke, wie manch anderer“, entgegnete ich mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen, während ich mit einer leichten Kopfneigung in Isaacs Richtung nickte. Außerdem hätte ich es niemals geschafft, derart viel öffentlichen Trubel um meine Person zu veranstalten, wie es meinem Partner gelungen war. Die Presse hatte ihn samt seiner Fehltritte geradezu verehrt, schließlich musste man nur ausreichend Geduld beweisen und irgendwann belohnte Isaac Garcia das Warten schon mit einer Titelseiten-verdächtigen Story. So gesehen hatten seine Chancen geradewegs gegen Null gestanden, diverse Vorfälle unbemerkt unter den Teppich zu kehren. Die unerwartete Hochzeit hatte noch einmal für einen Aufschwung aufdringlicher Presse-Leute gesorgt, aber seitdem musste sich die Redaktion andere Protagonisten für ihre Klatschblätter suchen, denn um den verrufenen Junggesellen herum war es ruhig geworden; sehr zu meiner Erleichterung. Außerdem fanden die Journalisten ohnehin schnell neue Opfer für ihre reißerischen Artikel, schließlich rückten genug junge Erben mit zu viel Geld und Langeweile nach, um für weiteres Futter zu sorgen. Eben der Kreislauf der Zeit. Auch Theo würde irgendwann in dieses Alter kommen, doch vorerst interessierte ihn viel mehr, was diese komischen Masasis wären, was von seiner Mutter bereits richtig erklärt wurde und von mir nur mehr ein bestätigendes Nicken erhielt. Zwar waren meine Gedanken dezent in andere Gefilde abgewandert, kehrten aber schnell zurück an den Tisch, als Logan mir vorschlug, Isaacs Auto kurzzuschließen, sollte er mir auf die Nerven gehen, und einen kleinen Ausflug zu unternehmen. Belustigung umspielte meine Gesichtszüge, während der Mann neben mir genau das Gegenteil in seiner Mimik präsentierte. „Wieso gehst du davon aus, dass ich direkt einen Unfall bauen würde? Vielleicht würde ich mir nur die Sehkühe anschauen fahren, ein Eis essen und danach tiefenentspannt zurückkommen“, hakte ich interessiert mit angehobener Augenbraue an, aber das unterschwellige Lächeln verriet mich. Prinzipiell würde das Potenzial für meine Kränkung fix und fertig serviert vor mir liegen, ich bräuchte nur mehr zuzugreifen, aber da ich längst über diesen Punkt hinausgewachsen war, machte ich mir lediglich einen Spaß daraus, Isaac ganz kurz schwitzen zu lassen. „Danke, Logan“, warf ich ein, nachdem mir der Werwolf indirekt den Rücken stärkte. Isaacs stöhnende Reaktion sorgte für heiteres Lachen am Tisch, weswegen ich mich kurzerhand zu ihm lehnte, einen sanften Kuss auf seine Wange legte und ihm leise versicherte, dass sein Auto schon vor mir sicher wäre. Der Gedanke, dass es trotz gesenkter Stimme alle Beteiligten hörten, fühlte sich nach wie vor sehr falsch an, aber ich arrangierte mich bestmöglich mit dieser übernatürlichen Form der mangelnden Privatsphäre. Hoffentlich wusste er, dass ich wusste, dass es ihm nicht hauptsächlich um einen potenziellen Schaden an dem teuren Sportwagen ging, aber das sprach ich nun wirklich nicht für alle hörbar aus. Theo schaltete sich erneut ein: „Bin ich denn auch ein 24/7?“ Neugierig richtete er seinen kindlich-offenen Blick zuerst an Isaac, danach direkt an seine lachende Mutter, die ihm liebevoll das Haar hinters Ohr strich. „Allerdings, Liebling. Du bis unser 24/7, das jetzt aber dringend in die Badewanne und danach ins Bett muss.“ Zuerst kicherte der Kleine noch, dann erstarb der fröhliche Laut und stattdessen setzte das Jammern ein: „Aber ich war doch erst gestern baden. Warum muss ich heute schon wieder?“ „Weil du ein kleiner Schmutzfink bist, deshalb“, erwiderte Aiden anstelle seiner Frau und hob nach einem knappen Seitenblick zu Isaac den Knirps problemlos hoch, warf ihn sich locker über die Schulter und brachte seinen Sohn damit zu lautem Gelächter – der Albtraum eines bevorstehenden Bades schien kurzfristig in den Hintergrund zu rücken –, um ihn so aus dem Raum zu tragen. Claire rückte die drei Stühle zurecht, ehe sie dem immer noch hörbaren Duo aus dem Speisezimmer folgte. Der Abgang der drei schien ein allgemeines Aufbrechen losgelöst zu haben, wobei Salacia als eine der Ersten zügig aus dem Raum stolzierte. Logan hingegen blieb noch so lange sitzen, bis sein Whisky-Glas vollends geleert war und verabschiedete sich erst danach von den Übriggebliebenen.
Da war man schon tausende Meilen gen Norden abseits seiner Heimat unterwegs und trotzdem hing einem der eigene, eigentlich schon eineinhalb Jahre zurückliegende Ruf noch immer meilenweit voraus. Es war selbst hier ein offenes Geheimnis, weil ich in den Klatschblättern so ziemlich das bekannteste Gesicht der Familie war. Es war also grundsätzlich schwer, nichts davon zu wissen, wenn man derselben Blutlinie entsprang. “Mein Ruf wird mir noch ewig vorauseilen, schon klar Leute.”, meinte ich nur augenrollend mit einem schiefen Lächeln, hängte mich aber nicht wirklich daran auf. Ich hatte mir dieses Grab selbst geschaufelt und musste jetzt eben warten, bis so viel Gras drüber gewachsen war, dass es keinem mehr auffiel. “Zu unserem Glück redet Sylvan wahnsinnig gerne mit den Medien… weil es bei ihm immer gute Presse ist. Das lenkt den Familienruf stetig weiter von deinen Missetaten weg.”, meinte Logan schulterzuckend. Womit wir wieder beim gezielten, zuweilen manipulativen Charme meines leiblichen Vaters waren. Den kombinierte er wunderbar mit seinem offensichtlich vorhandenen Geschäftssinn und et voilà: Jedermanns – gutaussehender und reicher – Liebling. Ich wollte nicht wie ein elender Aasfresser klingen, aber sollte ich in beruflicher Hinsicht auch mit vorhandenen Engagement, Riccardas gutmütiger Ausdauer und Unterstützung, sowie Harrys Erbe absolut nichts auf die Reihe kriegen, dann konnte ich mich zur Not sicherlich immer noch hier im Norden einklinken. Als arme Kirchenmaus zu sterben, war für mich beinahe unmöglich. Etwa genauso sicher war ich mir damit, dass der blonde Engel neben mir noch nie für länger als eine kurze Ausfahrt ein Steuer wie das meines Aston Martins in den zierlichen Fingern gehalten hatte. Sie brauchte nie selbst zu fahren, dafür gab es Chauffeure in unseren Kreisen. Für mich war das Auto schließlich auch nur ein unnötig teures Hobby mit dem gewissen Adrenalinkick. Eine kleine Geldanlage war es noch dazu, jetzt wo ich nur noch das bereits zugesprochene Erbe meines Stiefvaters zur Verfügung hatte. Aber… so konnte ich das jetzt nicht sagen, oder? “Ich gehe grundsätzlich vom schlimmsten Fall aus, wenn es darum geht, dass ich irgendwas verbockt habe.”, erwiderte ich also lediglich mit einem Seufzen. Das entsprach genauso der Wahrheit und reichte für die familiäre Öffentlichkeit völlig aus. Riccardas kleines zärtliches Zugeständnis machte mir die Situation jedoch sofort erträglicher. Es fiel eine kleine Last von meinen Schultern, als sie versicherte, ohnehin nicht mit dem Wagen ausbüchsen zu wollen. Meine Mundwinkel bogen sich ein wenig nach oben und ich streichelte sanft über den Stoff an ihrem Oberschenkel. Es reichte mir, wenn ich mich vor ihr nicht weiter rechtfertigen musste – was Logan am Ende des Tages dachte, konnte mir eigentlich am Allerwertesten vorbeigehen. Ich blickte Riccarda für einen kurzen Moment dankbar in die Augen. Dann zog Theo meine Aufmerksamkeit auf sich. Er schien noch nicht so müde zu sein, wie seine Eltern ihn gerne hätten und man konnte ihnen nur die Daumen drücken, dass das Bad dabei helfen würde. Eine banale Sorge, verglichen mit den Problemen, die sich in mein eigenes Leben mit Riccarda schlichen. Mit der bisher nicht relevanten Kinderfrage war nur ein weiteres obendrauf gekommen, das wir nicht gebraucht hätten. Vielleicht hing mein Blick mitsamt nachdenklichem Lächeln etwas zu lang auf der jungen Familie, denn Charlotte fühlte sich berufen, nachzubohren: “Na, schon Kinderpläne?”, riss sie mich aus meiner eigenen kleinen Blase und wirkte von dem Enkelkinder-Gedanken für meinen Geschmack schon viel zu angetan. Ich zögerte jedoch nicht mit einer ehrlichen Antwort. “Nichts in Stein gemeißelt.”, war eine sehr oberflächliche, für meine Stiefmutter aber absolut ausreichende Antwort zu diesem Thema. Die Frage war für mich – und Riccarda – aus diversen Gründen viel schwerer als für den ganzen Rest der Familie und das würde sich nicht zeitnah ändern. Meine Halbschwester war nicht die einzige, die den Raum verließ. Das Essen war längst vorüber und so gingen allmählich fast alle wieder ihrer eigenen Wege. In dem Ausmaß, dass das Leben unter demselben Dach zuließ. Meine Gedanken hingen jedoch noch an der sturköpfigen Wölfin mit dem weißen Fell. “Nichts für ungut, aber wie machst du das? Meine Schwester ist der bockigste Wolf, der mir je untergekommen ist.”, fragte ich gerade heraus. Vielleicht etwas zu direkt, wie mir klar wurde, als Charlotte leise seufzte und sich mit einem Ellbogen auf den Tisch stützte, um mich und Riccarda besser ansehen zu können. “Sie ist schon immer sehr eigenwillig, da gebe ich dir im Grunde recht… aber sie ist nicht immer so. Es fällt ihr nur wirklich nicht leicht, dass du hier bist.”, lächelte sie. Diesmal zögerte ich kurz, aber die Vorlage war gut. Viel zu gut, um sie einfach zu ignorieren. “Und dir?” Charly war überschwänglich und meinte es ständig etwas zu gut mit einem, als müsste sie etwas beweisen. Sie kümmerte sich mit 101% Einsatz um ihre Pflichten, sie liebte und lebte das Leben in diesem Rudel gerne und wollte, dass es Alle gut hatten. Wie passte da ein unehelicher Sohn ihres Mannes ins Bild? Ich verstand nicht, wie sie so gelassen bleiben konnte. “Überrascht waren wir alle… als du gesagt hast, uns besuchen zu wollen, meine ich. Aber dein Vater war immer ehrlich zu mir, was dich betrifft, Isaac… und ich bin erst in diese Familie gerutscht, als deine Mutter schon hinter ihm lag. Ich wüsste nicht, wieso ich dich oder Sylvan dafür strafen sollte. Das ist… das Leben.” Sie zuckte mit den Schultern. Nicht vollkommen gelassen, aber ich konnte hören, dass sie das ernst meinte. Allerdings machte sie sehr deutlich, dass sie dieses Gespräch nicht vertiefen wollte, als sie den letzten kleinen Schluck aus ihrem Weinglas nahm und im direkten Anschluss aufstand. Als sie hinter meinem Stuhl vorbeiging, spürte ich jedoch kurz ihre Hand auf meiner Schulter. “Man sucht sich nicht aus, in wen man sich verliebt, hm?” Ich konnte es nicht sehen, war mir bei ihrem Tonfall jedoch sicher, dass sie mindestens schmunzelte, als ihre Finger von meiner Schulter rutschten. Ich drehte den Kopf leicht und konnte im Augenwinkel noch sehen, wie sie Riccarda mit einem Lächeln bedachte. “Schlaft gut, ihr beiden.”, verabschiedete auch Charlotte sich für den heutigen Tag. Ich kniff die Augen kurz zusammen und presste nebenbei ein “Du auch.” zwischen den Lippen hervor. Meinem Vater hatte ich das L-Wort noch telepathisch ausreden können, bei seiner Frau ging das nicht. Damit es jetzt nicht sofort wieder superkomisch zwischen Riccarda und mir werden konnte, ließ ich das letzte bisschen Alkohol einfach in meinem Glas verrotten und schob mich ebenfalls vom Tisch weg. Langer Tag, Zeit fürs Bett… oder zumindest zweisame Ruhe ohne familiären Anhang. Es hämmerten schon wieder neue Fragen in meinem Kopf und das wollte ich nicht dem kläglichen Rest der noch Anwesenden weiter unter die Nase reiben.
Isaac selbstzerstörerisches und leichtlebiges Image brandmarkte ihn selbst nach über einem Jahr weiterhin, was sich wahrscheinlich auch in den kommenden Monaten ohne aktives Gegensteuern nicht ändern würde – trotzdem störte mich der vorläufige Rückzug und die Stille rund um meinen Partner nicht. Manchmal gab es keine Möglichkeit zur Schadensbegrenzung, solang die Erinnerungen an gewisse Ausrutscher zu frisch waren und ich verlangte keine altruistischen Aktionen, nur um gute Publicity zu erhalten. Isaac investierte seine Zeit ohnehin in sich, eben unter Ausschluss der Öffentlichkeit und im produktiven Sinne für eine gemeinsame, erfolggekrönte Zukunft. Sylvan behandelte ich in der Hinsicht wie eine unbekannte Variable, die uns hoffentlich keine Schwierigkeiten einbrachte, sondern den Prozess des Vergessens mittels charmanter Worte verbesserte. Und von meiner Seite benötigte es wohl weiterhin positives Einwirken, um Isaacs ewig pessimistische Einstellung zu sich selbst in mancherlei Hinsicht abzulegen – zumindest sah ich keinen Grund dafür, tendenziell vom Schlimmsten auszugehen. Damit beschwor man doch erst recht Negatives hervor, oder verhielt ich mich da zu abergläubisch? Keine Ahnung, aber wir mussten es ja im Anblick der dutzenden Herausforderungen und Probleme, die in unterschiedlicher Geschwindigkeit auf uns zukamen, nicht riskieren. Unter anderem zählte ich dazu den potenziell unerfüllbaren Kinderwunsch, der wie ein äußerst scharfes Damokles-Schwert über unseren Köpfen schwebte und auf den wir von Charlotte unwissentlich sehr unsanft angesprochen wurde. Mir verrutschte für ein oder zwei Atemzüge das lockere Lächeln, aber Isaac managte die Situation hervorragend mit seiner ausweichenden Erwiderung. Was sollte er auch anderes sagen, ohne sich zu weit mit Halbwahrheiten aus dem Fenster zu lehnen? [i]Wir müssen vorher noch das Für und Wider meines Todes abschätzen, bevor wir weitere Entscheidungen trafen[i], käme meines Erachtens nicht zu unserem Gunsten rüber und hätte einen ganzen Rattenschwanz an Folgefragen im Schlepptau, auf die ich gut und gerne vorerst verzichtete. Trotzdem wollten ein paar unangenehme Details ausgesprochen werden, denn sobald Salacia den Raum gefolgt von ein paar weiteren Rudelmitgliedern verlassen hatte, platzte die wenig schmeichelhafte Feststellung aus Isaac heraus. Beinahe hätte ich ihm unbemerkt unter dem Tisch mit dem Fuß einen leichten Schubs verpasst, aber Charlotte reagierte glücklicherweise überwiegend erschöpft-resigniert auf seine Anmerkung. Ihre Erklärung klang ein wenig lahm – Isaac hatte schon recht, aber sie wäre ja nicht immer derart eigensinnig. War man als Mutter verpflichtet, Kritik an den eigenen Kindern abzumildern? Galt das auch für uneheliche Söhne? Während Charly auf mich eben noch unbekümmert gewirkt hatte, schien sie schlagartig vorsichtiger mit ihrer Wortwahl zu werden, fand aber eine diplomatische Entgegnung und beendete damit den spontanen Vorstoß Isaacs. Ich folgte der bunt gekleideten Frau mit meinem Blick, als sie sich mit auf der Tischplatte abgestützten Handflächen aufstemmte, und bereitete mich sozusagen auf den obligatorischen Wunsch der guten Nacht vor, als Charlotte stattdessen noch eine kleine Anmerkung fallen ließ, die prinzipiell als Kleinigkeit abzutun wäre, aber in unserer komplexen Beziehung mit bombenverdächtigen Potenzial einschlug. Schnell huschten meine Aufmerksamkeit eruierend zu Isaac, wie er diese Unterstellung auffasste, immerhin konnte man anscheinend doch das Lieben lernen, wenn einem jegliche Alternativen versagt wurden. Richtig romantisch. „Gute Nacht“, wünschte ich der davongehenden Hausherrin dennoch mit bemüht unbeschwerter Stimme, aber das leise Seufzen drang anschließend ungefiltert über meine Lippen. Isaacs schlagartige Aufbruchstimmung war wohl auf die rhetorische Frage zurückzuvollziehen, wieso sonst sollte er den letzten Schluck seines Getränks unbeachtet stehen lassen? Ich hatte mein Weinglas bereits vor ein paar Minuten geleert und musste zugeben, dass mir bezüglich der gebunkerten, edlen Tropfen nicht zu viel versprochen worden war. Wir verabschiedeten uns von den vereinzelt am Tisch sitzenden, sich ruhig unterhaltenden Gestaltwandlern und ließen damit das Speisezimmer für diesen Tag endgültig hinter uns. Auf halbem Weg auf der Treppe merkte ich, dass es in Isaac rumorte und schob meine Hand vorsichtig zwischen seine Finger. „Was geht dir im Kopf um?“, erkundigte ich mich erst, als wir quasi vor unserer Tür standen und in die ungestörte Zweisamkeit traten. Meines Ermessens nach lief das Abendessen so unkompliziert wie irgendwie möglich, was definitiv als Erfolg zu verbuchen war.
Als letzter den Tisch zu verlassen, hatte ich von vornherein nicht geplant. Manche der Männer saßen oft viel zu lang, weil sie am nächsten Tag keinen Kater fürchten mussten. Der Familienzusammenhalt war ein gutes Beispiel dafür, dass es auch zwischen temperamentvollen Werwölfen nicht zwangsläufig so zu laufen brauchte, wie das in meiner ursprünglich angedachten Familie der Fall war. Ich hatte mich trotzdem bis jetzt nicht vollständig daran gewöhnt und so hinterfragte ich noch immer Vieles, was gesagt wurde… so auch Charlottes Worte, obwohl jene mit der Familie selbst wenig zu tun hatten. Ich fand die Aussage schwierig und so lag meine Stirn noch den ganzen Weg bis zum Gästezimmer mitsamt angespannter Brauen in leichten Falten. Charly mochte im übertragenen Sinne schon Recht damit haben, dass Gefühle sich oftmals auf eigene Faust entwickelten und man manchen davon nur bedingt entgegenwirken konnte, falls man es denn überhaupt wollte. Dennoch hatte ich viele Entscheidungen im Hinblick auf Riccarda ganz bewusst gefällt und der hübsche Engel klebte nun schon lange genug an meiner Seite, dass ich nichts davon mehr bereute. Wieso ließ diese blöde Zwangsheirat immer alle denken, ich hätte mir das, was ich heute mit Riccarda hatte, nicht aus freien Stücken ausgesucht? Die schmalen Finger, die beiläufig nach meinen angelten, unterbrachen den Gedankenstrudel mit einer sanften Berührung. Für einen Moment sah ich auf unsere Hände runter und passte meine Schritte ihren ganz bewusst an, weil im Gehen Händchen zu halten wegen unseres Größenunterschieds ein bisschen schwieriger war. Ich war ihr dankbar für diese Entschleunigung und den stillen Beistand… auch wenn er letztendlich nicht stumm blieb. Zwar war kein anderer Wolf in unmittelbarer Nähe, aber ich antwortete trotzdem nicht, bis ich die Tür hinter uns geschlossen hatte. Ich startete mit einem etwas tieferen Atemzug, weil ich eigentlich wusste, dass mein Kopf manche seiner Runde gerade wirklich unnötig drehte. “Ich stell’ mir unsinnige Fragen zu meiner Herkunft, die ich mir sowieso nicht beantworten kann.”, murmelte ich grummelig, weil es mich ungemein nervte. Ich sollte es wirklich ausnutzen, dass mein Vater ein Handicap mit sich herumschleppte. Er würde es tunlichst vermeiden, mir davonlaufen zu wollen – das war unnötige körperliche Anstrengung. Gesteigerte Durchblutung, die seinen Arm erst recht pochen lassen würde. Er käme nicht weit und ich brauchte Antworten. Morgen vielleicht. “Außerdem frage ich mich, warum eigentlich ständig Jemand über unsere Beziehung urteilt… wir müssen wirklich wahnsinnig interessant sein.” Ich blickte Riccarda etwas missmutig an, aber das galt nicht ihr, sondern den Umständen. Nach einem kurzen Kopfschütteln löste sich der Druck meiner Finger und ich ließ die Hand des Engels los, um zu einem der Fenster zu gehen und es zu öffnen. Es war relativ warm im Raum – für meine Verhältnisse – und ich brauchte etwas frische Luft. Es hatte wieder angefangen zu schneien. Das Vordach verhinderte glücklicherweise das Eindringen der Schneeflocken ins Innere. Eine kleine Weile beobachtete ich stumm die dicken Flocken, die dafür sorgen würden, dass morgen wieder fleißig Schnee geschoben wurden musste. “Und vielleicht seh’ ich das auch einfach anders als Charlotte.”, stellte ich für mich selbst fest. Himmel nochmal, ich war Meister im vor Gefühlen davonrennen. Es hatte wirklich lange gedauert, bis ich mir den nötigen Ruck geben konnte, Riccarda überhaupt erst einmal richtig kennen zu lernen, bevor ich sie weiter für den Rest meines Lebens verteufelte. Doch das hatte ich nicht gemacht, weil ich keine andere Wahl gehabt hatte. Mein sturer Dickschädel hätte es sicherlich früher oder später genauso geschafft, den blonden Engel auf ewig in den Wahnsinn zu treiben oder irgendwann aufs Amt zu marschieren, um den Ehering loszuwerden. Unsere Ehe war genauso aufzulösen wie jede andere. Stattdessen hatte ich einen winzigen Backstein aus dem bombenfesten Wall rund um mein Herz geschoben, um mal ganz vorsichtig auf die andere Seite zu gucken. Ein paar lose Brocken der Mauer umklammerte ich bis heute noch, obwohl sie ohnehin kein einziges Schwert mehr abhalten konnten. Zumindest keines, das in den Händen des Engels lag. Liebe war schön, wenn sie erwidert wurde, konnte aber genauso gut alles zunichte machen, was ich in den letzten Monaten (zu lieben) gelernt hatte. Wahrscheinlich tänzelte ich deswegen so unbeholfen um das Loch in dem Eiswasser herum, obwohl ich im Grunde schon seit Monaten über das dünne Eis drumherum wanderte.
Das uns zugedachte Zimmer hatte sich innerhalb eines Tages zu meinem persönlichen Hafen der Sicherheit innerhalb des wölfischen Herrenhauses entwickelt, weshalb ich es nachvollziehen konnte, weswegen Isaac erst mit seinen Gedanken herausrückte, als die Tür ins Schloss fiel und unsere Unterhaltung vor ungewünschten Zuhörern sicher war. Obwohl ich nicht einschätzen konnte, womit Isaac mich gleich konfrontieren würde, wappnete ich mich mental und ging zu einer abwartenden Haltung über – mit anderen Worten: ich stand ziemlich unschlüssig vor dem großgewachsenen Mann und übte mich in Geduld. Wann immer der Dunkelhaarige bereit wäre, mir seine Gedanken mitzuteilen, ich stünde im übertragenen Sinne zur Stelle. Es dauerte zu meiner Erleichterung nicht lange, damit Isaac die Stimme erhob. Er bot mir eine erfahrungsgemäß stark gekürzte Version des Knotens in seinem Kopf an, was ich mit einem nachdenklichen Nicken quittierte. Die spärliche Auskunft sorgte zudem für eine Gegenfrage meinerseits: „Was sind das für Fragen?“ Die Erkenntnis, das seine gesamte Kindheit und Jugend auf einer Lüge hinsichtlich seines leiblichen Vaters aufbaute, musste einer Sinneskrise epischen Ausmaßes gleichkommen. Ich an Isaacs Stelle würde wahrscheinlich mein ganzes Leben hinterfragen und ebenfalls nach Antworten lechzen. Antworten, die Sylvan eventuell geben könnte, aber scheinbar hinderte die beiden Männer etwas an diesem klärenden Gespräch. Stolz, Hintergedanken, weitere Unklarheiten… die Liste ließe sich bestimmt weiter ausführen, aber ehe ich mich in möglichen Ausreden für das hartnäckige Schweigen verlieren konnte, schloss Isaac an jenen Gedanken an, die ihn derzeit so offensichtlich beschäftigten. Unsere Beziehung oder viel mehr deren Einzigartigkeit schlug hohe Wellen innerhalb des Rudels. Wir alle wuchsen mit unterschiedlichen anerzogenen Überzeugungen auf, die gewisse Denkmuster begünstigten und unsere Vorstellungen von richtig und falsch prägten – in unserem Fall: Engel und Wölfe galten als natürliche Feinde. Punkt. Isaac und ich sprengten diese tiefgreifende Einstellung mit unserer Verbindung, weshalb ich die Skepsis und Neugierde bis zu einem bestimmten Grad nachvollziehen beziehungsweise tolerieren konnte. „Hier oben passiert scheinbar nicht sonderlich viel, weshalb sie sich auf jede Neuigkeit wie die Geier stürzen. Ich will niemanden in Schutz nehmen, schließlich kenne ich niemanden dieses Rudels nah genug, aber ich denke, dass sich der Wirbel bald gelegt hat und dementsprechend auch das Interesse an unserer atypischen Beziehung abflaut.“ Trotzdem stellte sich mir die Frage, weshalb ein Urteil des Rudels über uns dermaßen an Isaacs Substanz kratzt, wo er doch selten etwas auf die Meinung anderer – mit Ausnahmen – gab. Der finstere Blick aus seinen schönen Augen machte mir deutlich, wie schwer es ihm gegen den Strich ging, dass unsere Beziehung dermaßen unter die Lupe genommen wurde, während mich dieses mögliche Urteil relativ kalt ließ. Mich verband jedoch auch kein familiärer Bezug, ich bekam hier keine Möglichkeit auf eine zweite, deutlich gesittetere Familie – womöglich sehnte sich Isaac nach dieser unerwarteten Chance und beschäftigte sich deshalb vermehrt mit deren Meinung über ihn oder eher uns. Schweigend sah ich ihm nach, als er zu dem großen Fenster traf und es öffnete, während ich mich langsam auf die einsinkende Matratze des Bettes setzte und so weit nach hinten rutschte, dass meine, in dem Fall sorgten meine zu kurzen Beine dafür, Füße ein paar Zentimeter über den Holzboden baumelten. Die frische Brise kitzelte meine Nase, stahl sich in die wohlige Wärme des Raumes und doch hieß ich die eindringende Kälte willkommen. Eventuell erhob ich, die im Gegensatz zu Isaac bei schwindend geringen Außentemperaturen zum Eiszapfen mutierte, keinen Einwand, weil es mir nicht gefiel, wie verbissen er aus dem Fenster starrte, die Hand um den Fenstergriff geklammert. Als bräuchte er diese Kälte gerade. Ich hielt mich zurück, bot ihm den Raum zum Atmen und um seine Emotionen zu sortieren. Außerdem hütete ich mich, das nächste Donnerwetter mit einem falschen Wort zur falschen Zeit auszulösen. Unter anderen Umständen schreckte ich nicht davor zurück, geradewegs auf den Punkt zu kommen, aber der heutige Tag hatte genug Auf und Abs geboten, sodass mir nun mehr der Sinn nach Einheit und Frieden stand. Da aber selbst nach einer kurzen Pause, die wir beide schweigend oder eher in Gedanken versunken zubrachten, keine weitere Ergänzung seitens Isaac kam, übernahm ich die Weiterführung der stockenden Unterhaltung: „Und wie siehst du’s?“ Eine relativ simpel auszusprechende Frage, aber die Antwort würde wohl mehr Überwindung kosten. Daher fügte ich leise hinzu: „Ich sehe es nämlich auch etwas anders als Charlotte.“ Vielleicht half es Isaac, wenn er wusste, dass ich diesem Dogma ebenfalls nicht zustimmte; immerhin hatte ich mich sehr bewusst dazu entschiede, Isaac die Chance auf Wiedergutmachung zu ermöglichen und mich tatsächlich darauf einzulassen. „Eine Beziehung lebt nicht nur von Zuneigung“, damit umschiffte ich das bisher streng gemiedene L-Wort eher ungeschickt, „sondern bedeutet auch Arbeit… und Arbeit passiert nicht einfach so. Wir investieren Zeit und finden Kompromisse. Wir räumen uns gegenseitig Chancen zur Besserung ein, entwickeln uns weiter, weil ein Zusammen funktionieren soll. Wir entscheiden uns bewusst dafür. Ich hab mir das also unterm Strich durchaus selbst ausgesucht.“ Das Ende meiner sanften Ansprache schlüpfte nur mehr leise, beinahe verletzlich über meine Lippen, während ich meine Finger träge knetete. Im Hinblick auf Charlottes Aussage kam dies einer zweiten indirekten Liebeserklärung innerhalb weniger Stunden gleich und ich wusste nicht, wie ich mit dieser Schutzlosigkeit gerade in diesem Augenblick umgehen sollte. Zwar würde mich Isaac niemals absichtlich verletzten, aber in Punkto Gefühlen stand er teilweise immer noch am Anfang und mein Herz fühlte sich gerade besonders ausgeliefert an. Ich stand zu meinen Worten, deshalb blickte ich Isaac tapfer entgegen, jedoch hielt ich den Blickkontakt nur kurz, bevor ich den Fokus wieder zurück auf meine Hände legte.
Wo sollte ich da anfangen? Ich seufzte leise. „Allem voran… warum meine Mutter offenbar mit beiden meiner Väter eine Verbindung hatte. Sie muss ja beide irgendwie sehr… gemocht haben, wenn sie willentlich zwei Werwölfe gegeneinander aufhetzt.“, dachte ich laut ein hundertstes Mal darüber nach, sprach dabei jedoch etwas undeutlich. Es war gar nicht so, als würde sich dadurch das Bild, das ich von meiner Mutter hatte, stark verändern. Sie würde für mich immer auf einem kleinen aber feinen Thron sitzen, von dem sie Niemand je runterstoßen konnte. Deswegen wollte ich eigentlich auch lieber nicht über diese Konstellation aus zwei Wolfsbrüdern und einer zerstreuten Normal-Sterblichen nachdenken. Trotzdem blieb es komisch und ich verstand es einfach nicht. “Vielleicht hatte sie da auch auch noch gar keine Ahnung von der Werwolfsache… oder sie hatte, so wie ich, damals noch einen leichten Hang zur Selbstzerstörung.”, meinte ich gleichermaßen trocken wie ironisch. Ich atmete tief durch, im verzweifelten Versuch, all diese Gedanken gehen zu lassen. Mir ohne Aussicht auf Antworten das Hirn zu zermartern, half mir nicht und es fiel außerdem Riccarda zur Last. Ich wünschte nur, ich könnte dieses Gespräch mit meiner Mutter führen, statt mit einem Vater, den ich erst seit wenigen Tagen kannte. Ihre Seite der Geschichte würde mir so viel mehr bedeuten, auch wenn das Sylvan gegenüber vielleicht nicht ganz fair war. Er war schließlich nicht der Grund dafür, warum sie heute unter der Erde lag… was mich beinahe weiter zu der Frage brachte, ob sie heute noch leben würde, wenn sie sich anders entschieden hätte. ”Ist auch egal, ich werde mit Sylvan darüber reden müssen.” Ich kappte den Gedanken, denn es gab viel akutere Angelegenheiten, die meine Aufmerksamkeit brauchten. Mitunter die Tatsache, dass auch Riccarda die Ansicht der Hausherrin nicht so unterstreichen würde. Ich wusste noch nicht, wie ich meine Antwort auf ihre Frage bestmöglich in Worte fassen sollte. Im Stillen war ich ihr dankbar dafür, dass sie – vermutlich der zu langen Pause meinerseits wegen – dazu ansetzte, ihre eigene Sicht der Dinge zu schildern… und es überraschte mich doch, wie einig wir uns in diesem Punkt scheinbar waren. Vielleicht lag das daran, dass wir die einzigen waren, die wirklich wussten, was tatsächlich zwischen uns vorfiel und wie wir miteinander lebten. Doch besonders der letzte Satz, der über ihre weichen Lippen kam, rüttelte erneut an dem verkrüppelten Herzen in meiner Brust. Sie meinte das genau so, wie sie es sagte, oder? Das war kein Versehen, richtig? Meine verkrampften Finger lösten sich langsam und ich schloss das Fenster, bevor ich mich zu der jungen Frau umdrehte, um neben der Unsicherheit in ihrer Stimme auch aus ihrem Gesicht lesen zu können. Ich brauchte diese Gewissheit. Sie hatte mit ihren Worten eine weitere kleine Last von meinen Schultern geschoben und das war ihr nicht bewusst – das konnte ich ihr ansehen, so wie sie da saß und nur einen kurzen Blick nach oben in mein Gesicht warf, bevor sie zurück in ihren Schoß starrte. Riccarda mochte bewanderter auf den Abwegen dieser Gefühlsebenen sein, aber das rettete sie in diesem Moment dennoch nicht davor, sich zu fürchten. Dabei musste sie das gar nicht... und ich offenbar auch nicht. Trotzdem brauchte ich noch einen kurzen Moment, um mir den nötigen Ruck zu geben. Ich schluckte tonlos, als ich mich in Bewegung setzte und direkt auf den Engel zuging. Zuerst griff ich behutsam nach ihren Händen, weil es mir nicht gefiel, wie verbissen sie sich damit ablenken wollte. “Ich glaube, deswegen hab’ ich dich ausgesucht…”, setzte ich an und streichelte über ihre Handrücken. “...du lässt dich nicht so leicht von deinem Weg abbringen. Wir sind uns vielleicht nicht immer einig… aber in den wichtigen Dingen schon.”, ließ ich sie zwischen den Zeilen wissen, dass ich ihre Meinung voll und ganz teilte. So ganz Unrecht hatte Charlotte jedoch nicht, in einem einzigen, gewissen Punkt, bei dem ihr zwei andere Menschen schon zuvor gekommen waren: Die Einschätzung meiner Gefühle für den kleinen blonden Engel. Nur wie sagte ich das jetzt? In diesem Moment, der auf andere gute Gelegenheiten folgte, in denen ich es ihr längst hätte sagen können… es würde mit jeder weiteren verstrichenen Chance immer unangenehmer und schwieriger für mich werden, es überhaupt auszuspucken. Was es in diesem Augenblick leider trotzdem nicht einfacher machte. “In einer Sache hat sie trotzdem Recht.” Es fühlte sich nicht richtig an, von oben auf Riccarda hinab zu blicken, aber ich fühlte mich auch nicht danach, mich stumpf neben ihr auf die Bettkante zu setzen. Deshalb ging ich vor ihr auf die Knie – ihren romantischen Heiratsantrag mitsamt perfekter Hochzeit hatte sie nie bekommen und doch saß sie hier mit meinem Ring am Finger, obwohl sie ihn längst hätte ablegen können. Ich war es ihr schuldig, zumindest zu versuchen, das hier ansatzweise richtig zu machen. “Es hat lang gedauert, bis ichs selber gemerkt habe… und ich will ehrlich sein: Manchmal machen mir diese intensiven Gefühle immer noch riesige Angst.”, murmelte ich und sah auf unsere Hände hinab, während Adrenalin sich in meiner Blutbahn ausdehnte. Zur Beschwichtigung und Ablenkung meiner eigenen inneren Aufregung löste ich meine Finger von Riccardas, um meine Hände stattdessen in einer fließenden Bewegung außen an ihre Oberschenkel zu legen. “Zum Beispiel dann, wenn wir beide uns wieder einer dummen, leichtsinnigen Situation aussetzen.” Ich lächelte beinahe versonnen, obwohl sie mir heute erst einen Riesenschrecken eingejagt hatte, weil wir damit ein bisschen zu gut in das Bild zweier rosaroter Brillenträger passten. Heute verstand auch ich, was es mit dieser dämlichen Redewendung auf sich hatte. “...aber das ist es wert. Heute Mittag am Flughafen, da hab ich mich wahnsinnig gefreut, dich zu sehen… und das ist eigentlich jeden Tag so. Wenn du den Wecker verfluchst und dich nochmal im Laken einbuddelst… wenn du dir die Haare über die Schultern wirfst, weil du ganz genau weißt, wie du dann wirkst… oder auch, wenn du ein Kissen in meine Richtung schmeißt, weil ich wieder eine Spur zu frech werde und du's noch immer nicht leiden kannst, wenn du wegen mir rot wirst.” Je mehr ich mich in Gedanken an all die Kleinigkeiten des Alltags verlor, die ich so genoss, desto leichter wurde es plötzlich, ehrlich über das zu sprechen, was mein Herz eigentlich schon eine ganze Weile lang ganz dringend mal loswerden wollte. Das Lächeln in meinem Gesicht wurde immer lockerer und ehrlicher. Nochmal brauchte es einen kleinen inneren Ruck, damit ich den Blick anheben und direkt in Riccardas dunkle Augen sehen konnte. “Ich liebe alles davon… ich liebe dich.” Mein Herz machte einen spürbaren kleinen Satz, obwohl sich jetzt eigentlich nichts ändern würde. Auch dann nicht, wenn der blonde Engel diese ach so verhängnisvollen Worte nicht erwidern konnte. Trotzdem würde ich ihr weiter folgen wie ein hoffnungslos verirrter Wolf, was im Grunde ein Widerspruch in sich war. Sie war längst zum Mittelpunkt meines Lebens geworden und die einzige Richtung, die ich hatte. Der einzige Weg in ein besseres Leben, den ich verfolgen wollte. Ich war nicht bekannt dafür, halbe Sachen zu machen oder allzu leicht aufzugeben, und gerade in dieser Sache käme mir das erst recht niemals in den Sinn. Das machte einen möglichen weiteren Dämpfer an der Schnauze zwar nicht weniger schmerzhaft, aber ich sollte und wollte das letzte bisschen klägliche Schutzmauer endlich loslassen. Ich konnte nicht nach etwas Neuem greifen, wenn ich Altes umklammerte.
Wie anfangs befürchtet, wusste ich ebenfalls keine zufriedenstellende Antwort auf Isaacs ruhelose Gedanken und im Falle der Beweggründe seiner Mutter würde er keine Erklärung aus erster Hand erhalten. Bedauern überschattete meine Gesichtszüge. „Es gab sicherlich einen Grund“, stimmte ich Isaac zugegebenermaßen lasch zu, aber meine Möglichkeiten blieben eben auch sehr begrenzt. Ich kannte seine Mutter kaum – eigentlich gar nicht – und wusste deshalb auch nicht, ob sie aus jugendlichem Leichtsinn mit beiden Gestaltwandlern geschlafen hatte oder es einen weitgreifenden Hintergedanken gegeben hatte. „Vielleicht versuchst du noch einmal mit Sylvan darüber zu sprechen?“, schlug ich behutsam vor, erhoffte mir aber kein allzu positives Feedback auf die Idee. Eine klärende Unterhaltung mit seinem betrogenen Ziehvater stellte ich mir im Vergleich zu der unangenehmen Konversation mit dem hiesigen Alpha weitaus komplizierter und riskanter vor. Isaac stand also unter einem gewissen Zeitdruck, diese gewichtige Entscheidung zu treffen. Etwas, das ich ihm nicht abnehmen würde, aber Isaac jederzeit Beistand; sofern er mich dabeihaben wollte. Meine Ansprache schien die Überlegungen hinsichtlich der mütterlichen Motive zu dem Seitensprung vorerst zu verdrängen, immerhin schafften es die ausgesprochenen Worte, Isaac vom Fenster zu lösen und mir seine volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ein Teil von mir verzichtete gerne auf diesen Fokus, solang ich mich so verwundbar fühlte, aber glücklicherweise hielt meine Vernunft dagegen an. Ich brauchte mich nicht zu fürchten, obwohl mir die Unsicherheit leserlich ins Gesicht geschrieben stand. Ich hasste das, weil ich mich nicht so fühlen wollte. Schließlich stimmte jede einzelne Silbe, daran durfte es keine Zweifel geben und es schien mir unpassend, mich deswegen so anzustellen. Ehrlichkeit sollte nicht zu dem leisesten Anflug von Unbehagen führen; zumindest in meiner Wunschvorstellung. Die Realität sah stets anders aus. Allerdings, denn mein Herz schlug spürbar schneller, als Isaac genau vor mich trat und ich unter dem dunkelgefärbten Wimpernkranz zu ihm aufblickte. Seine Miene gab mir Rätsel auf, als er nach meinen klammen Fingern griff und diese mit seinen warmen Händen umschloss. Ich bemühte mich, aus seiner Mimik eine Reaktion auf meinen emotionalen Vorstoß herauszulesen. Fehlanzeige. Mir blieb nichts anderes übrig, als seiner Meinung entgegenzublicken… und irgendwie auf das Beste zu hoffen. Isaac gab meinen Blick ohnehin nicht mehr frei, sobald ich mich in dem eisig klaren Blau verloren hatte. Ausgesucht zu werden, seine Wahl zu sein, obwohl wir ursprünglich zu dieser Verbindung gezwungen worden waren, bedeutete mir mehr zu hören, als ich gedacht hätte. Dennoch trauten sich meine Muskeln noch nicht zu entspannen, obwohl die streichelnden Bewegungen auf meinem Handrücken sehr dazu einluden. Außerdem schloss er sich meiner Meinung an, was ich als gutes Zeichen wertete. Obwohl dieser Teil der Aussage mein Herzklopfen nicht verschuldete. Gewissermaßen hatte ich mit seiner Zustimmung gerechnet, anderenfalls würde Isaac sich nicht derart über Charlottes Formulierung brüskieren. Das war sicheres Terrain, welches wir in dem Augenblick verließen, als Isaac hinzufügte, dass Charly jedoch in einem Aspekt Recht behalten sollte. Für den Bruchteil einer Sekunde fackelte Irritation in meinen Augen auf, als Isaac in aller Ruhe vor mir niederkniete, bevor Neugierde die Verwirrung ablöste. Womöglich täuschte ich mich, aber lägen Isaacs Nerven blank, würde er eher wie ein eingesperrtes Tier durch den Raum tigern und nicht an Ort und Stelle verharren. Dennoch nahm ich eine dezente Anspannung in seiner Haltung wahr – nicht nur mein Nervenkostüm schien auf die Probe gestellt zu werden. Isaac gestand mir sogar die Angst vor diesen intensiven Gefühlen, woraufhin nicht anders konnte, als unsere verknoteten Hände leicht zu drücken. Naja, vielleicht war das eine falsche Eingebung, denn kurz darauf entzog er mir seine Finger sanft und mir rutschte mein Herz kurzfristig bis in die Knie hinunter, bevor ich seine Körperwärme seitlich an den Oberschenkeln spürte. Ohne Beschäftigung fingen meine Finger automatisch wieder damit an, an dem glänzenden Ehering zu drehen – ein bisschen hielt ich mich an dem Symbol fest, ein bisschen versuchte ich ein Ventil für meine Unruhe zu schaffen und ein bisschen half mir die motorische Ablenkung, um mich nicht in Isaacs Unterarme zu krallen. Erst Isaacs Lächeln erlöste mich von der irrational übermächtigen Sorge, dass ihn mein verborgenes Geständnis abschreckte und er sich emotional entfernte. Es dauerte ein oder zwei Atemzüge, bis auch meine Lippen ein zaghaftes Lächeln zierte. Allein die Tatsache, diesen Mann innerhalb weniger Tage zu vermissen oder mich immer wieder auf den gemeinsamen Tagesausklang zu freuen, sprach für sich. Im Prinzip konnte ich seine Ausführung mit Beispielen, die auf ihn zutrafen, ebenso unterschreiben. Außerdem wärmte es mein in Aufruhr geratenes Herzchen, zusehen zu dürfen, wie Isaacs Lächeln breiter und strahlender wurde. Erst recht, als er meine roten Wangen erwähnten, die sich selbstverständlich sofort dazu berufen fühlten, seine Worte physisch zu untermauern. Ich spürte regelrecht, wie mir die Hitze auf Kommando ins Gesicht kroch. Gerne hätte ich dem jungen Mann einen mahnenden Blick zugeworfen, aber er wirkte in diesem Augenblick so überzeugt und entspannt, dass der Ausdruck überwiegend bewundernd ausfiel. Nicht ganz meine Intuition, aber das stand kurze Zeit später ohnehin nicht mehr zur Debatte, denn mein Hirn leerte sich blitzschnell und mein Mund öffnete sich leicht vor Erstaunen. Hatte er gerade…? Ja. Ich hatte mich nicht verhört. Die Worte samt inhaltlicher Information brauchte ein paar Abbiegungen, bis sie im richtigen Areal meines Hirns ankamen und die Erkenntnis einsickern konnte. Würden meine Wangen nicht bereits glühen, wäre es spätestens jetzt so weit. Gemeinsam mit dem verräterisch dümmlichen Grinsen und den verdächtig glänzenden Augen legte ich sicherlich eine ästhetische Glanzleistung hin. Perfekt – nur eine eitle Bemerkung am Rande meiner Wahrnehmung, die in den überschäumenden Endorphinen ertrank, bevor sie irgendeinen Schaden anstellte. „Isaac…“, hauchte ich brüchig, nicht fähig, den Satz zu vollenden, anderenfalls würde ich hier wirklich noch vor Rührung und Freude zu heulen beginnen. Bevor der Damm meiner Beherrschung brechen konnte, schlang ich meine Arme um seinen Nacken, warf mich Isaac dabei geradewegs entgegen und küsste ihn – fest, intensiv und gleichzeitig hingebungsvoll. Es war meine Art der Erwiderung, solang mir die Stimme voraussichtlich versagen würde und der unerwartete Schwall unbändigen Glücks durch mich hindurchwütete. Die leidenschaftlichen Berührungen wurden langsam zu liebevolleren Bekenntnissen, bevor ich mich schweratmend von seinen Lippen trennte. Mir war nicht aufgefallen, dass ich bei meinem Überfall irgendwie auf Isaacs Schoß gelandet war – gezogen wurde, wie auch immer –, aber es fügte sich ausgezeichnet, da wir uns dadurch fast auf gleicher Augenhöhe befanden. Meine Lippen fühlten sich etwas geschwollen an, aber es handelte sich um ein gutes Gefühl, ebenso wie sich die anbahnenden Worte auf meiner Zunge richtig anfühlten. „Ich liebe dich, Isaac.“ Dieses Mal funktionierte es mit solider Stimme. Ohne dem Risiko einer Tränenflut, nur ein strahlendes Lächeln und erhitzte Wangen.
Meistens war es Riccarda, die von uns beiden in beinahe allen Dingen sicherer wirkte. Doch in dem Moment, in dem die gewichtigen Worte meine Lippen verließen, guckten wir für einen kurzen Moment lang ähnlich dumm aus der Wäsche. Ich war mir meiner Worte und Gefühle zwar absolut sicher, fürchtete aber dennoch darum, einen Schritt zu weit nach vorn gemacht zu haben und jeden Moment im Eiswasser baden zu gehen. Gleichzeitig blickte mir der kleine blonde Engel mit geröteten Wangen und Erstaunen entgegen, so als wäre sie sich im ersten Moment nicht sicher, ob das gerade wirklich passiert war. Für diesen Bruchteil eines Augenblicks flammte die Angst vor Zurückweisung in meinem Inneren nochmal auf. Doch ebenso schnell verflog sie, als die Überraschung aus Riccardas Gesicht wich und einem Ausdruck Platz machte, den ich bei ihr zweifelsohne noch nie gesehen hatte. So oder so – ihr Grinsen war ansteckend, schon in dem Moment, als sich ihre Mundwinkel langsam nach oben bogen. Sie brauchte ab da eigentlich gar nichts mehr zu sagen. Dank meines feinen Gespürs war ich mir sicher, dass sie mich gleich vom Eis ziehen würde. Der Klang ihrer Stimme verriet sie und ich freute mich heimlich darüber, es ein weiteres Mal geschafft zu haben, sie schwungvoll aus ihrer Selbstbeherrschung geschubst zu haben -- im guten Sinne. Riccarda sagte zuerst bloß meinen Namen, überrumpelte mich gleich darauf jedoch mit einem stürmischen Kuss und erstickte so das Grinsen auf beiden Seiten. Ich hatte nicht mit ganz so viel Gegenwind gerechnet – trotz meines beachtlichen Gleichgewichtssinns und meines eigenen Gewichts hatte ich Mühe damit, nicht nach hinten zu kippen. Es fiel mir hingegen allzu leicht, in dem leidenschaftlichen Kuss zu versinken, ihn genauso hingebungsvoll zu erwidern und in den Glücksgefühlen zu baden, als gäbe es kein Morgen mehr. Deshalb passierte es zwischenzeitlich von ganz allein, dass wir auf dem Boden landeten. Riccarda kippte immer mehr in meine Richtung und ich gab irgendwann nach. Meine Hände lösten sich von ihren Oberschenkel, kaum war der Engel auf meinem Schoß gelandet. Ich schob die Finger über ihre Hüfte weiter nach oben und schlang meine Arme um ihre Taille, hielt sie eng bei mir. Versank ganz und gar im Moment der Vereinigung, als wäre nichts anderes je wieder wirklich wichtig. Bis uns der Sauerstoff ausging zumindest. Mein Herz raste noch immer, als ich die Augen wieder aufschlug und sich sofort der Ansatz eines glücklichen Grinsens zurück auf meine Lippen legte. Angetan stellte ich fest, dass die Wangen des Engels noch immer rötlich schimmerten. Nur die Worte, die über ihre ebenso roten Lippen beinahe direkt auf meine rollten, machten den Moment noch perfekter. Schon bevor sich die volle Tragweite davon in meinem Kopf hätte ausbreiten können, holte ich mir intuitiv den nächsten innigen Kuss von Riccarda. Er fiel jedoch bedeutend kürzer aus, weil ich danach sofort einige kleine Küsse an ihre linke Wange, ihren Kiefer und ihren Hals setzte. Ich wusste gar nicht recht wohin mit der ganzen Energie, die von jetzt auf gleich wie ein Bumerang durch meinen Körper flitzte. Deshalb biss ich ihr wohl auch in den Hals – neckisch liebevoll, nur hauchzart. Um sie zu kitzeln, nicht um sie tatsächlich zu beißen. Ich hätte mein Engelchen glatt auffressen können… nur im übertragenen Sinne, natürlich. Schließlich blickte ich aber doch wieder mit euphorisch funkelndem Blick geradewegs in Riccardas dunkle Augen. “Das fühlt sich noch besser an, als ich dachte.”, murmelte ich glücklich. Ein weiterer kurzer Kuss, zur Besiegelung meiner Worte. Liebe hatte in meinem Leben nie eine große Rolle gespielt und die aufrichtige Hingabe eines Menschen, der nicht aufgrund eines engen Verwandtschaftsgrades irgendwie dazu gezwungen war, war nochmal etwas ganz anderes. Ein bisschen surreal war das für mich gerade schon. “Normalerweise würde ich dich jetzt wohl fragen, ob du meine Freundin sein willst, aber…” Ich grinste schief. Sie hatte vorhin erst wieder an dem Ring an ihrer Hand gedreht. In einer kurzen Pause hob ich die rechte Hand und legte sie sanft an Riccardas Hals, um mit dem Daum über ihre Wange und ihren Kiefer zu streicheln. “...wenn wir so weitermachen”, wovon ich bester Dinge jetzt einfach mal ausgehen wollte, weil mein Leben keine Tiefschläge mehr gebrauchen konnte, “dann bekommst du ihn trotzdem noch irgendwann… einen richtigen Heiratsantrag und eine richtige Hochzeit, mit allem drum und dran.” Mir selbst mochte dieses menschengemachte Symbol für Liebe und Treue nicht wirklich etwas bedeuten, aber ich wusste ganz genau, wie wichtig Riccarda das war – das hatte sie einmal gesagt und ich hatte das nie wieder vergessen. Es war ein Wunsch, den ich ihr eigentlich leicht erfüllen konnte. Nur weil wir die Ehe schon vollzogen hatten, bedeutete das nicht, dass wir das nicht trotzdem nachholen und nochmal eine richtige Hochzeit – bei der wir es auch ernst meinten – feiern konnten. Eine Erneuerung des einst lasch dahergesagten Ehegelübdes, ein ernstes Versprechen aus Liebe und eine anschließende Feier, die sie nie wieder vergessen würde. Unsere Beziehung zueinander lief ohnehin schon vorwärts-rückwärts-schräg-aufwärts, die konventionelle Reihenfolge brauchte uns jetzt wirklich nicht mehr zu interessieren.
Ein beschämtes Hallo aus der Versenkung. Die letzten zwei Monate waren permanent irgendwelche Kleinigkeiten bzw. meine Projektabgabe hat sich bis Mitte September gezogen, obwohls hieß, es wäre mit 15. August erledigt... und dann hat die Uni auch schon wieder begonnen - ich kann aber voll naiver Hoffnung verkünden, dass ich mich bestenfalls im vorletzten Lernsemester befinde und bald den Wisch in der Hand haben sollt. Irgendwann dann halt. ^^ Kaum dass ich dachte, ich hätte mich an den neuen Semesterrhythmus mit Arbeit, Lehrveranstaltungen und Alltag gewöhnt, haben wir letzten Sonntag einen kleinen Kater mitten in der Nacht auf der Straße beim Heimgehen von einer Bar gefunden, der uns bis in die Wohnung gefolgt ist und vorerst bei uns wohnt; bis sich halt die rechtmäßigen Besitzer melden und ihn wieder abholen. Joah... Leben mit einem kaum 1-jährigen Kater stellt mich vor neue, längst vergessene Herausforderungen im Zeitmanagement und dem Arbeitsaufwand daheim. >-> Jedenfalls leide ich drunter, aber das Schreiben kommt gezwungenermaßen zu kurz. </3 Wie erging es dir die letzte Zeit? Kam etwas beim Tierarztbesuch bezüglich deiner Katze raus? Wie gehts dem Pony, nun, wo's wieder kälter wird? ________
Mein Hirn oder viel mehr die Verarbeitung der unerwartet verkündeten Information hinkte minimal hinterher, während mein Körper die Kontrolle gewissermaßen übernommen und auf Autopilot gewechselt hatte. Obwohl ich mich in überzeugter Sicherheit wiegte, keinem Missverständnis zum Opfer zu fallen und in der nächsten Sekunde hart auf dem Boden der Tatsachen aufzuschlagen, zerpflückte mein Verstand die wenigen, aber doch so schwerwiegenden Worte in meinem Kopf. Das Ziel dieser sekundenschnellen Analyse blieb mir unbekannt beziehungsweise kam ich zu keinem abschließenden Resultat, da mein Bewusstsein regelrecht in Endorphinen ertrank, sobald meine Lippen überschwänglich auf Isaacs trafen. Die Berührung bewirkte ein allgemeines Herunterfahren meiner wirbelnden Gedanken und sorgte dafür, dass sämtliche emotionale Laster des Tages federleicht von meinen Schultern glitten; zumindest existierte für den Moment kein Platz dafür in mir. Wie auch? Ich fühlte – metaphorisch gesprochen – jede einzelne Zelle meines Körpers vor Freude knistern und die ausgeschütteten Glücksgefühle drückten sich strahlend aus jeder einzelnen Pore. Es handelte sich um eine angenehme Form der Überforderung: als wäre ich in der Lage, mit all der positiven Energie in mir die Welt umarmen zu können. Trotz dieser überschäumenden Kraft – oder eben der Illusion davon – lag es an Isaac, der mir bereitwillig Platz machte, dass ich schlussendlich auf seinen Schoß rutschte und mich fest an ihn schmiegte. Der enge Griff um meine Taille lud geradewegs dazu ein. Wahrscheinlich hätte ich noch eine undefinierbare Ewigkeit in dieser glückseligen Berührung schwelgen können, aber irgendwann lechzte meine Lunge erneut nach bitter nötigem Sauerstoff und zudem lag es noch an mir, diese bereits lauernden Worte auf meiner Zunge endlich laut auszusprechen. Ich kostete jede Silbe aus, genoss es, diese Intimität mit Isaac teilen zu dürfen und ließ mich anschließend direkt zu dem nächsten innigen Kuss verleiten. Zu einem späteren Zeitpunkt würde ich diesen Augenblick revue-passieren lassen und diesen Abschluss an unvorhersehbaren Neuigkeiten in angemessenem Tempo verarbeiten, wofür momentan keine Zeit blieb. All die hauchzarten Berührungen auf meiner Haut führten zu einem hellen Kichern meinerseits, weil die schnelle Abfolge der Küsse ein angenehmes Kitzeln bei mir auslöste. Zumindest bis ich seine Zähne sanft an meinem Hals spürte. Isaac tat mir nicht weh; eigentlich fühlte es sich sogar irgendwie gut an. Trotzdem löste sich ein amüsiertes „Hey“ begleitet durch den Ausklang des verhaltenen Lachens von meinen Lippen, weniger als Tadel, sondern mehr als indirekte Frage ausgesprochen. Ich freute mich gerade zu viel, um jegliche Form der Negativität empfinden zu können und außerdem schien ich eine Schwäche für Isaacs verspielte Seite zu besitzen. Wobei mir dieser glückliche Glanz in seinen schönen Augen ebenso zusprach, mein Herz verräterisch hüpfen ließ. Seine gemurmelten Worte erinnerten mich ganz neu daran, wie oberflächlich Isaac seine vergangenen Liebschaften geführt hatte und ein sehr primitiver Teil in mir freute sich insgeheim darüber, diese besondere Einzigartigkeit der ersten ernsthaften Liebesbekundung von ihm sein zu dürfen. Dem dezenten besitzergreifenden Teil in mir gefiel diese Erkenntnis, wobei ich mich nicht allzu lang an dieser Sonderstellung verbeißen konnte, da der junge Mann mich mit seiner Anmerkung kurz aus dem Konzept brachte, ehe ein freudiges Lachen aus meiner Kehle drang und ich den Kopf leicht schüttelte. „Über den Punkt sind wir wohl hinaus.“ Ob ich seine Freundin sein wollte? Ja. Zwar hatte ich nicht gewusst, dass ich diese im Scherz formulierte Feststellung hatte hören müssen, aber die darin verpackte Bedeutung legte sich wie Balsam auf meine mitgenommene Seele. Instinktiv legte ich meinen Kopf in seine streichelnde Berührung und sog die Zärtlichkeit in mich auf, während ich seinem gedehnten Gedankengang neugierig folgte. Wen bekam ich irgendwann? Ich schob es definitiv auf mein verklärtes Hirn, getränkt von Glückshormonen und dementsprechend zu keinem rationalen Gedanken fähig, dass ich Isaac nicht folgen konnte. Dafür hellte sich meine Miene augenblicklich auf: eine Hochzeit mit allem Drum und Dran. Sofort blitzte die Erinnerung an ein kleines, blond gelocktes Mädchen in mir auf, dass sich seine traumhafte Märchenhochzeit ausmalte und mithilfe kindlicher Fantasie die unvorstellbarsten Pläne schmiedete. „Das würde mich sehr glücklich machen“, gestand ich leise. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Gestaltwandler überhaupt nichts aus diesen überaus menschlichen Symbol der Ehe machte. Seine Reaktion auf meine damalige Ehrlichkeit haftete nach wie vor gut abrufbar in meinem Gedächtnis – umso mehr freute ich mich deshalb über dieses Zugeständnis. Meine Finger hatten zwischenzeitlich mit dem Spielen der kurzen, dunklen Haarsträhnen an Isaacs Hinterkopf begonnen, weil es mir scheinbar immer noch schwerfiel, die Hände ruhig zu halten, wenn ich aufgeregt war. „Ich hoffe nur, dass wir bald mal die Angewohnheit ablegen, Nahtoderfahrungen vor jedem Schritt des Näherkommens durchleben zu müssen“, erklärte ich schwach lächelnd, dachte dabei an den Grizzly und das Dinner mit Isaacs Halbbruder, die die Vorreiter für körperliche Intimität darstellten. Die heutige Konfrontation mit einem zu neugierigen Alpha und einer angriffslustigen Werwölfin durfte ruhig das letzte Sprungbrett bleiben, um uns der Wichtigkeit des jeweils anderen im eigenen Leben wahrlich bewusst zu werden. Ich benötigte keine weiteren Denkanstöße mehr. „Mir gefällt es aber, wenn wir einen so turbulenten Tag mit etwas Schönem abschließen.“ Um nicht zu sagen, dass all das Drama des Tages mehr oder weniger durch dieses Liebesgeständnis aufgewogen wurde.
Wüsste ichs nicht besser, würde ich glatt behaupten, man könnte von Endorphinen genauso betrunken werden, wie von Alkohol. Ich fühlte mich wie vollgetankt, frisch von der Zapfsäule gelassen und bereit, mit der neuen Energie die ganze Welt für uns zu erobern – jetzt, wo ich noch mehr Gewissheit hatte, das nicht mehr allein tun zu müssen. Ein Höhenflug, der sich auch in meinem Verhalten deutlich widerspiegelte, aber Riccarda arrangierte sich gut mit meinem aufgekratzten Ich… und den damit einhergehenden Zähnen an ihrer empfindlichen Haut. “Gewöhn dich dran.”, nuschelte ich verschmitzt an ihre Haut, bevor ich mich zurückzog. Eine winzige kleine Warnung für die Zukunft, weil der Wolf sich durchaus immer wieder in mein menschliches Auftreten einmischte. Einen Biss musste der Engel gewiss nicht mehr fürchten, aber ich konnte – offensichtlich – auch in anderen Belangen ausschweifen. Ich verkroch mich inzwischen auf vielerlei Arten gerne an ihrem Hals. War sicher nicht das letzte Mal, dass sie meine Zähne auf diese Weise zu spüren bekam. Es war schön, dass Riccarda sich inzwischen darüber amüsieren konnte, dass wir den konventionellen Beziehungsablauf völlig durcheinander gebracht hatten. Noch schöner aber war das Lachen, das ich ihr mit der indirekten Frage entlockt hatte. Ich hörte sie gerne lachen. Meine Finger lagen weiter auf der weichen Haut an ihrem Hals, als es allmählich klick im Köpfchen der zierlichen Blondine machte und sie sich darüber klar wurde, wovon ich sprach – dass die Chance auf ihre Traumhochzeit noch nicht mit dem Ring an ihrem Finger verstrichen war. Ihre Antwort darauf ließ mich mit glänzenden Augen lächeln und ich strich ein weiteres Mal über ihre Wange. “Ich weiß… und das ist ein verdammt guter Grund dafür.”, lächelte ich leise an ihre Lippen, als ich mich vorbeugte, und küsste sie sanft. Es fühlte sich einfach richtig an, dem Engel diese – in ihrer Vorstellung wahrscheinlich extrem kitschige – Erfahrung doch noch möglich zu machen. Ob ich meine Familie dann dazu einladen würde… hm, mal noch dahingestellt. Wahrscheinlich eher den Familienanteil hier oben im Norden, als den anderen. War jetzt aber auch noch überhaupt nicht relevant. Riccarda war gerade erst meine Freundin geworden, da konnte die Hochzeit mit all ihren zu planenden Detail noch ein Weilchen auf sich warten lassen. Ich genoss die zarten Berührungen ihrer schmalen Finger oberhalb meines Nackens. Eine unscheinbare Geste, die mir jetzt mehr denn je das Gefühl gab, ein Stück weit angekommen zu sein. Während mein eigener Herzschlag nur noch der Freude wegen leicht beschleunigt pulsierte, konnte ich Riccardas Herz noch immer ziemlich aufgeregt pochen hören. Deshalb ließ ich die Hand von ihrem Hals rutschen und legte sie stattdessen an ihre Taille. Gleichzeitig wurde mein Lächeln zu einem kleinen Grinsen, was einzig an Riccardas Worten lag. Eigentlich wars nicht lustig, dass wir ständig in solch üblen Situationen feststeckten und dann erst im Anschluss aus uns heraus gingen, weil uns urplötzlich unsere Prioritäten klar wurden. Mein Kopf hängte sich allerdings sofort an einer ganz anderen Sache auf, die damit im Zusammenhang stand. “Das kriegen wir auch noch hin…”, setzte ich an, woraufhin ich den Blick langsam auf ihre Lippen senkte. “...Sex zu haben schaffen wir schon ohne Todesboten, der Rest wird folgen.” Ich zuckte kaum merklich mit den breiten Schultern und meine Hand wanderte von ihrer Taille an ihren Rücken, wo ich die Finger verschränkte. Fortan hielt ich sie wieder mit beiden Händen fest und das Grinsen klebte noch immer auf meinen Lippen fest. Ich hatte mir selbst die perfekte Überleitung zurecht gelegt. “Also, was das Schöne angeht…”, begann ich einen Satz mit spezifischer Betonung, ließ ihn offen stehen und legte den Kopf minimal schief. Mein Blick rutschte zurück in ihren und ich verstärkte den Druck meiner Hände an ihrem Rücken ein wenig. Doch tatsächlich war mein einziges Ziel dabei, den blonden Engel mit all den Anspielungen zu necken und in Verlegenheit schlittern zu lassen, weil mir das ganz einfach Spaß machte. Es war nicht so, als würden wir, was die Häufigkeit anging, an mein früheres Sexleben mit anderen Frauen anknüpfen. Riccarda hatte heute schon mit mir geschlafen, ich rechnete beim besten Willen nicht mit einer zweiten Runde… aber ein bisschen Spaß musste trotzdem sein.
Gewöhn dich dran. Einerseits warnten mich diese drei einfachen Wörtchen daran, mit einem Werwolf zugange zu sein und mich auch bewusst für dieses Miteinander und die damit einhergehenden Verhaltensmuster entschieden zu haben, andererseits erkannte ein kleiner, verruchter Teil in mir darin ein aufregendes Versprechen, bei dem es mir heiß den Rücken runterlief. Anscheinend tanzten meine Hormone gerade in jeglicher Hinsicht aus der Reihe, aber ich gönnte diesem Mix aus Endorphinen und dergleichen diese Ausgelassenheit und profitierte von dem unbeschreiblichen Energieschub. Ein vielsagendes Funkeln trat in meine Augen, als ich zu einer knappen Erwiderung ansetzte: „Das schaffe ich.“ Überhaupt konnte ich mich an dieses Zusammensein mit Isaac gewöhnen – keine Gewitterwolken, keine tausend Interpretationsmöglichkeiten aufgrund kryptischer Aussagen, sondern peinlich mädchenhaftes Kichern meinerseits und der unvergleichbar attraktive Ausdruck von ehrlicher Freude in Isaacs markanten Gesichtszügen. So ungern ich es mir eingestand, aber inzwischen wusste der junge Mann durchaus, welche Knöpfe er drücken musste, um die Saiten in meinem Inneren schwingen zu lassen. Allein die Aussicht darauf, irgendwann den ursprünglich abgeschriebenen Traum einer Hochzeit nach meinen Vorstellungen ausleben zu dürfen, beschleunigte meinen Herzschlag, aber Isaacs Kommentar dazu ließ einen ganzen Schwarm an Schmetterlingen in meiner Magengegend zum Leben erwachen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Isaac Garcia mir jemals dieses ganz eigene Bauchkribbeln bescheren würde? Und doch saß ich hier rittlings auf seinem Schoß, suchte den Körperkontakt und konnte meine Finger nicht von ihm lassen. Der Wechsel von einem sanften Lächeln zu dem spitzbübischen Grinsen seitens Isaac machte mich aufmerksam. Auf keine wachsame, kontrollieren Art… eher neugierig. Der werte Herr zeigte sich immer für eine kleine Überraschung gut – manchmal öfter, manchmal seltener – und entlockte mir dabei ein amüsiertes Grinsen, dass ich schnell hinter einem vorwurfsvollen Blick zu verbergen versuchte. „Darauf wollte ich nicht hinaus und das weißt du genau“, entgegnete ich ihm gespielt mahnend und lehnte mich dabei ein wenig zurück, damit er das Rollen meiner Augen begleitet von dem dezenten Schmunzeln gut mitbekam. Aber der Dunkelhaarige ließ nicht locker, sondern setzte dem Ganzen noch eines drauf und sorgte damit gleichzeitig dafür, dass mir diese dumme Röte erneut in die Wangen schoss. „Man, Isaac… romantischer wird’s heute wohl nicht mehr“, schnaubte ich mit einer Mischung aus Entrüstung und Belustigung und verpasste ihm einen leichten Klaps gegen die Schulter. Aber die Stelle, die von seinen warmen Händen an meinem Rücken bedeckt wurde, kribbelte bereits verräterisch und ich betete zum Universum, dass Isaacs wölfischen Sinne von meinem nach wie vor schnell hüpfenden Herzen und dem nicht ernst gemeinten Tadel abgelenkt wären. Mein Körper entschied sich nämlich spontan dazu, ein mieser Verräter zu sein. Bei Isaacs angedeuteten Worten und dem spielerisch schiefgelegten Kopf wanderten meine eigenen Gedanken in eine gänzlich neue Richtung, für die er die Weichen gelegt hatte. Mein Inneres zog sich in ungeduldiger Erwartung zusammen und ich spürte förmlich, wie sich der Ausdruck in meinen Augen kurzfristig vor Sehnsucht verdunkelte. Schluckend bemühte ich mich um eine gelassene Mimik, obwohl der Wirbelsturm an unbändiger Freude, einem absoluten Hochgefühl, wärmender Zuneigung und hinzukommendem zehrendem Verlangen in mir randalierte.
Mehr brauchte ich gar nicht zu hören. Im Grunde war sogar die wortwörtliche Bestätigung selbst überflüssig – wäre Riccarda unter ihrer eher zerbrechlichen Hülle nicht ziemlich hart im Nehmen, wäre sie schon lange über alle Berge. Ihre Art, bereitwillig immer und immer wieder meinen Sturkopf auszubremsen oder gerade zu rücken, wenn es nötig war, reichten mir vollkommen aus. Der in mir schlummernde Wolf war für sie zwar schon immer ein guter Grund, stets achtsam zu bleiben, aber Angst machte er ihr schon lange nicht mehr. Was war da also schon ein leichtes Knabbern am Hals..? Offensichtlich kein Grund zur Flucht. Ganz im Gegenteil. Der kleine blonde Engel verkörperte wieder die gut gelehrte Prinzessin, wenn es um das Verschleiern ihrer Gedanken und Gefühle ging. Sie spielte diese Rolle schließlich schon ihr ganzes Leben… und trotzdem hatte ich es geschafft, diesen Automatismus ein Stück weit nichtig zu machen. Ich konnte sehen, wie sie es versuchte. Das ach so perfekte Augenrollen, der sachte Schlag an die Schulter, die gespielte Empörung über meine schon wieder in unsittliche Bereiche schweifenden Gedanken – eine bröckelnde Scharade, die sie selbst sabotierte. Mit der Art, wie sie mich ansah und dem auffälligen Schlucken, gepaart mit den glühenden Wangen. Das Geständnis meiner Gefühle schien sich wirklich auf allen erdenklichen Ebenen positiv ausgewirkt und ihren Hormonhaushalt schwungvoll mitgerissen zu haben. Es dauerte also nicht lange, bis sich ein selbstsicheres Lächeln auf meinen Lippen manifestierte. Mein Blick schwankte nochmal zu ihren Lippen und ich schob meine Hände an ihrem Rücken abwärts. Nur bis zum Saum ihres Oberteils, über dem ich meine Finger langsam voneinander löste. “So ganz versteh’ ichs nicht…”, setzte ich an und mahlte dabei kurz mit dem Kiefer. Ich hatte die Glut gezielt in unsere Mitte geschoben und Riccarda hatte, vielleicht ohne sich darüber bewusst zu sein, ein brennendes Streichholz drauf geworfen. Spätestens beim Rollen in ihrer Kehle, im verzweifelten Versuch, sich zusammen zu reißen. Vergeudete Liebesmüh. “...warum du immer noch versuchst, dein Verlangen vor mir zu verstecken. Wenn du dich nicht gerade hinter Badezusätzen versteckst, kann ich es wortwörtlich riechen.”, ließ ich sie mit rauer werdender Stimme auflaufen und griff mit beiden Händen seitlich an ihrem Körper nach dem Saum. Der Stoff spannte sich an ihrem Rücken und dadurch zog ich Riccardas Körper näher an meinen, als sich auch die Hitze in meinem Inneren spürbar aufzustauen begann. Angst war nicht das einzige Gefühl, dass ich grundsätzlich zu riechen imstande war. Es war nur am einfachsten zu wittern, weil sie sich fluchtartig schnell im Körper ausbreitete. Andere Hormone brauchten länger, um sich auf den Geruch auszuwirken… aber auch nicht lang genug, um mich für länger als maximal zwei Minuten an der Nase herumzuführen, wenn der Engel mir dermaßen nahe war. “Das ist ein Kampf, den ich dich niemals freiwillig gewinnen lassen werde.” Ich kam ihren Lippen mit meinen ganz nahe. “Kein einziges Mal.” Keine Drohung. Nur ein aufrichtiges Versprechen, bevor ich meine Lippen auf ihre senkte und sie mit voller Überzeugung in einen leidenschaftlichen Kuss zog. Ich hatte heute absolut gar nicht mehr damit gerechnet… aber wenn ich sie haben konnte, dann nahm ich sie mir. Bei jeder Gelegenheit. Ich hatte viel zu lange darauf warten müssen, um je wieder auch nur eine einzige Chance verstreichen zu lassen.
Ich hatte verloren. Wem machte ich etwas vor? Spätestens das selbstsichere Lächeln auf den schön geschwungenen Lippen mir gegenüber zeigte ganz deutlich, wie schlecht meine Vertuschungsversuche kaschierten. Mich überkam eine gewisse Machtlosigkeit, denn bisher hatte mich mein Körper noch nie derart im Stich gelassen und trotzdem erinnerte mich mit minimal zeitlicher Verzögerung ein kleines Stimmchen in meinem Kopf, dass weiterhin alles in Ordnung war. Obwohl meine Wangen glühten, obwohl das Verlangen in meinem Blick geschrieben stand und trotz der offensichtlichen Zurschaustellung von Gefühlen. Es gab keinen Grund, um alte Schutzschilde direkt wieder aufzufahren und eigentlich wollte ich das doch gar nicht. Diese alten Verhaltensmuster klebten nur förmlich in meinem Denken und Handeln, weshalb die Abwärtsbewegung seiner Hände ganz gelegen kam, um die Anspannung in meiner Rückenmuskulatur durch ein angenehm warmes Prickeln zu ersetzen und die Verkrampfung damit nach und nach wieder lösten. Meine Aufmerksamkeit haftete an der Berührung seiner Finger, wie das leichte Kribbeln an meiner Wirbelsäule hinabglitt und ich ganz erpicht darauf wartete, wohin es sich weiter ausbreiten würde. Ein hoffnungsloser Fall und unter anderen Umständen hätte ich vielleicht einen Moment die Augen geschlossen, um mich wieder zu sammeln. Aber Isaacs Blick hielt mich fest, zudem lockte er meine Neugier mit der Andeutung einer Frage, die ich höchstwahrscheinlich nicht beantworten wollen würde. Abgesehen von dem Glühwürmchen-Alarm in meinem Magen, verspürte ich die leise Vorahnung, dass ich in Erklärungsnot geraten könnte. Trotzdem lauschte ich ihm abwartend. Als würden gerötete Wangen nicht reichen, schoss mir die Hitze einem Blitzschlag ähnlich in den Kopf, als Isaac seinen Gedankengang vor mir offenbarte. Ich spürte regelrecht, wie sich die hektischen kleinen Fleckchen auf meiner Haut am Hals und im Dekolleté bildeten. „Ich verstecke doch…“, begehrte ich bereits instinktiv auf, noch bevor mein Verstand gänzlich mitschaltete und diese lächerliche Verleugnung endlich wieder stoppen konnte. Stattdessen biss ich mir auf die Unterlippe, bevor ich dazu ansetzte, diese hinterhältige Frage, die prinzipiell mehr einer Feststellung glich, zu beantworten. Diese elende Wolfsnase. „Keine Ahnung“, kam es schlussendlich wenig geistreich über meine Lippen. Mein hormongeschwängertes Hirn schien der Logik momentan keine realistischen Chancen zur Verteidigung einräumen zu wollen. Als müsste diese Vermutung untermauert werden, reagierte ich ganz von allein, als Isaac mich näher zog und ich dem Druck bereitwillig nachgab und zurück an seinen Oberkörper kippte. Ich konnte seinen übernatürlichen Wolfs-Sinnen nichts vormachen, was sich gleichzeitig wie ein Stückweit Kontrollverlust anfühlte. Nur dass ich in seinem klaren Blick nichts Bedrohliches erkennen konnte; nicht einmal den Anflug von süffisanter Überlegenheit oder einer Art von Machtdemonstration. Ich durfte mich wirklich fallen lassen. Natürlich sprang ich sowohl auf die Intensivierung der körperlichen Nähe ebenso wie auf die raue Stimmlage und die vielversprechenden Worte an. Mein ganzer Körper wurde weich und ein sanftes Beben überkam mich, mit dem ich mich instinktiv näher an Isaac presste. Sein Beteuerung hallte noch für ein paar Sekunden in meinem Kopf nach, obwohl ich mir zu dem Zeitpunkt keine Gedanken über deren tieferen Sinn machte; machen konnte. Vielleicht könnte ich dem Versprechen später etwas ansatzweise Romantisches abgewinnen, doch gerade klang es lediglich furchtbar verrucht und dennoch so aufregend, dass ein ganzes Feuerwerk losging, als Isaac mich derart nachdrücklich küsste. Ich schlang meine Arme fest um ihn, sodass kein Blatt mehr zwischen unsere Oberkörper passte und erwiderte den Kuss stürmisch. Dabei könnte es durchaus vorkommen, dass ich mit meinen Becken etwas weiter nach vorne gerutscht war und ich mich nachdrücklich an Isaac drückte. Mir entglitt ein leises Seufzen, ehe ich zart an seiner Unterlippe knabberte und diese erst wieder durch das Verbiegen zu einem wissenden Grinsen von meinen Zähnen befreite. Irgendwann während des leidenschaftlichen Kusses hatten sich meine Lider geschlossen, denn nun öffnete ich sie so weit, um mein eigenes Begehren in dem kristallklaren Blau direkt vor mir widergespiegelt vorzufinden. Die Pause dauerte nicht lange an, gerade so lange, um ein bisschen Sauerstoff in die Lunge zu pumpen, bevor ich Isaac hingebungsvoll weiterküsste. Jup, ich hatte sowas von verloren. Aber es störte mich nicht.
Es gab keine vergleichbare Situation zu dem gefühlsmäßigen Höhenflug, den Riccarda und ich seit meinem Liebesbekenntnis erlebt hatten. Das Leben fühlte sich seitdem irgendwie leichter für mich an, obwohl es weiterhin Tücken bereit hielt. Als es Sylvan zwei Tage später endlich etwas besser ging, hakten wir am Abend das noch ausstehende Gespräch ab. Es verlief holprig, weil es ihm offensichtlich hochgradig unangenehm war, darüber zu sprechen… und mir in etwa genauso unangenehm, das alles zu hören. Sylvan hatte damals, genau wie sein Bruder, noch in der Stadt gelebt, in der ich bis heute feststeckte. Sie waren zusammen aufgewachsen, hatten dieselbe Privatschule besucht und oft auch dieselben Leute getroffen, obwohl Sylvan fast 5 Jahre jünger war. Jung und dumm, wenn man so wollte, verguckte er sich in meine ältere Mutter. Es war nicht so, als mochte sie ihn nicht, aber er war zu diesem Zeitpunkt schlicht noch viel zu grün hinter den Ohren. George hingegen machte sich einen Spaß daraus, sie ihm vor der Nase wegzuschnappen. Ursprünglich wohl ohne Intention echter Gefühle, aber es wurde schnell mehr daraus. Sylvan wollte sich das irgendwann nicht mehr länger ansehen und verschwand mit 18 schließlich langfristig in den Norden, nur um zwei Jahre später zu einer familieninternen Feier zurückzukommen. Kurz gefasst hatte er George bis dahin nicht verziehen und sich an ihm gerächt, mit einem leichtsinnigen, wahrscheinlich charmant manipulierten One-Night-Stand. Nach genaueren Umständen fragte ich nicht, weil ich es wirklich nicht wissen wollte. Danach hatte er sich so schlecht gefühlt, dass er auf keinen einzigen Kontaktversuch meiner Mom reagierte und sie schwanger im Regen stehen ließ. Dass mein älterer Bruder schon existierte, hatte die Sache nicht einfacher oder besser gemacht. Sylvan blieb im Norden und es hatte wohl eine ganze Weile gedauert, bis mein Ziehvater es herausgefunden hatte. Ab da war mein Leben dann zur Hölle geworden. Ich wollte meinen leiblichen Vater eigentlich nicht verurteilen, weil ich selbst am besten wusste, wie hartnäckig sich Rachegelüste im eigenen Kopf festsetzen konnten, aber ich konnte trotzdem nicht anders, als es ihm nachzutragen. Es würde Zeit brauchen, das alles zu verarbeiten. Zwei weitere Tage später buchten Riccarda und ich die Rückflüge. Sie hatte mein Gejammer ein zweites Mal hingebungsvoll über sich ergehen lassen, wir hatten bezüglich der Werwolf-Engel-Konstellation nochmal gemeinsam in den Büchern der hauseigenen Bibliothek gewühlt und nutzten die freie Zeit am letzten Tag dann sogar für einen ausgedehnten Schneespaziergang rund ums Anwesen. Der allerdings endete in einer weiteren Überraschung, die ich nicht hatte kommen sehen. Meine Halbschwester passte uns etwa zweihundert Meter vor dem Haus ab, nur um mich – nach kurzem Zögern, mit Seitenblick auf den Engel an meiner Hand – darum zu bitten, sie aus Sylvans Kontrollzwang rauszuholen. Mir fielen schon nach dem ersten Schockmoment mindestens vier sehr gute Gründe ein, warum das nicht ging. Erstens würde George sicherlich versuchen, sie zu eliminieren oder einzusperren. Zweitens hatte ich weder Nerven noch Zeit dafür, mich um einen übellaunigen Wolfsteenager zu kümmern. Drittens hatte sie keinen Ausweis, den sie fürs Flugzeug leider zwangsläufig brauchte und viertens würde Sylvan sie sowieso sofort zurück nach Hause holen, wenn er es herausfand. Ich wollte da beim besten Willen nicht mit reingezogen werden. Salacia verwandelte sich also und verschwand mit einem beleidigten Jauchzen im Unterholz. Ich konnte sie verstehen, aber da musste sie alleine rauskommen. Mich hatte auch keiner an der Hand genommen und außerdem war ich eigentlich ziemlich froh darüber, momentan keine Zielscheibe mehr auf dem Rücken zu tragen. Es war deutlich ruhiger in den Wäldern Zuhause, seit ich Chad in die Schranken gewiesen hatte.
Der turbulente Ausflug in den Norden ging zu Ende und Zuhause angekommen dauerte es nicht wirklich lange, bis der Alltag mich einholte. Trotzdem hatte sich seit meiner Abreise etwas im Engelsschloss getan. Die Renovierung nach dem Brand war endlich durch und ich hatte in meiner Abwesenheit sogar Jagos letzten Auftritt in diesen vier Wänden verpasst. So dachte ich jedenfalls und freute mich nicht gerade heimlich darüber. Ich kam nicht umhin, auch dieses Jahr über den riesigen Weihnachtsbaum in der Eingangshalle den Kopf zu schütteln, der schon stand, als wir im Schloss eintrafen. Ich konnte Familienfesten – und damit auch Weihnachten – vergangenheitsbedingt nicht besonders viel abgewinnen, musste mich aber natürlich zwangsläufig an Riccardas Seite auf dem Ball blicken lassen, also würde ich mich wie schon so oft einfach da durchmogeln und überdurchschnittlich viele Abstecher an die Bar machen. Alkohol war keine Lösung, aber eine super Ablenkung. Erst als ich die Gästeliste vorgestern von oben bis unten durchging, um abzuchecken, welche Prominenten sich denn sonst noch auf dem Ball tummeln würden – in der leisen Hoffnung, bekannte Gesichter zu finden – fand ich das erste Mal seit zwei Wochen wieder einen richtig guten Grund, mich aufzuregen. Gottverdammter O’Brien. Riccardas Verwandte hatten ihm schon an die tausend Mal die Hände für seine ach so tolle Arbeit geschüttelt, warum zur Hölle bekam er schon wieder eine Einladung ins Schloss? Es kam mir langsam wirklich vor wie gezielte Schikane… was, rational betrachtet, nicht wirklich Sinn ergab, weil Riccarda ihrer Familie noch nicht gebeichtet hatte, dass das zwischen uns tatsächlich etwas so richtig Ernstes war. Sie blockte mich vor ihren Verwandten nicht mehr so kalt ab wie sonst, seit wir zurück waren, aber sie musste sich da langsam rantasten und ich glaubte nicht, dass die anderen Engel das schon geschnallt hatten. Sie hielten es wahrscheinlich für genauso unmöglich wie zum Zeitpunkt der Zwangsheirat. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich hatte wie immer auf einen schwarzen Anzug bestanden, hatte mich allerdings bezüglich einer Fliege am Hemd breitschlagen lassen und heftete mich schon den ganzen Abend des 23. Dezembers lang sehr vehement an Riccardas Seite. Einfach nur, um Jago von ihr fernzuhalten, während ich ständig das Gefühl hatte, dass mir der geschlossene Hemdkragen am Hals kratzte. Die weihnachtliche Musik im Hintergrund ging mir schon nach ein paar Minuten auf die Nerven und der Alkohol wirkte weniger gut, als ich mir wünschen würde. Immerhin, und das wertete ich als etwas sehr Positives: Der Rest meiner Familie war nicht eingeladen, das erste Mal überhaupt. Die Etikette hatte es all die letzten Jahre über nicht anders erlaubt, als dass sich die beiden Adelsfamilien gegenseitig öffentlichen Respekt zollten, aber seit dem Eskalieren der Fehde war das komplett eingeschlafen. Kein Wunder also, dass die Presse diesbezüglich gelegentlich von Neuem spekulierte. Sicher auch nach dem Ball wieder. Am problematischsten war jedoch, dass ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass Riccardas Ex-Freund zu nahe war. Trotz zahlreicher Parfüms in der Luft wusste ich durch seinen monatelangen Aufenthalt im Schloss zu gut um seinen Eigengeruch, um ihn nicht wahrzunehmen und mein Gehör filterte hochfokussiert beinahe ununterbrochen seine Stimme aus der wirren Geräuschkulisse, sobald er dafür nahe genug war… und das war eindeutig zu oft. Nach einer Weile war es für mich spürbar, wie er immer wieder in unsere Richtung sah. Ich bekam nicht wirklich mit, worüber Riccarda sich mit ihren Freundinnen nach der Verkündung der alljährlichen wohltätigen Spenden der Keerlows unterhielt. Klinkte mich nur dann ein, wenn einer der anderen zur Begleitung mitgeschleiften Männer offensichtlich meine Meinung oder einen Kommentar wollte, während ich gleichzeitig eigentlich einer ganz anderen Unterhaltung lauschte. Jago hatte offenbar – leicht angeheitert, seiner Stimme nach zu urteilen – Gefallen daran gefunden, sich mit Riccardas Brüdern nahe des Ausschanks darüber zu unterhalten, wann es wohl soweit sein würde, dass sie mir final den Laufpass gab. Er pflegte zu den beiden offensichtlich ein sehr viel besseres Verhältnis als ich. Immobilienmakler und Architekten mussten sich auch beinahe zwangsläufig gegenseitig mit ihren Errungenschaften in den Ohren liegen, oder? Mein Kopf drehte sich mit blitzenden Augen in Richtung der Dreiergruppe und meine zuvor nur locker um Riccardas Taille liegende Hand grub sich ungewollt in den Stoff ihres Kleides. Kurz darauf beugte ich mich näher an ihr Ohr runter und lockerte die Finger wieder, obwohl sich mein Puls spürbar beschleunigt hatte. “Ich hol’ mir noch einen Drink.” Whiskey. Wahrscheinlich wieder nichts als puren Whiskey. “Möchtest du was?”, mimte ich leicht grummelnd mit zuckendem Kiefermuskel den Gentleman.