Das Straßenfest rutschte schon sehr bald wieder in den Hintergrund meiner Gedanken, da ich mitten im wilden Regenwald keinen Internetempfang erwartete beziehungsweise meine mobilen Daten nicht einschalten würde, um daheim von einer saftigen Handy-Rechnung in Empfang genommen zu werden, und dementsprechend wenig ausrichten konnte. Vielleicht hätte ich mich unter anderen Umständen weiter in die Eventualität einer Enttäuschung hineingesteigert, aber seitdem ich mit dem Werwolf maßgeblich zu tun hatte, verschoben sich die Prioritäten der Themen, über die ich mir den Kopf zerbrach. Kurz musterte ich den großgewachsenen Mann neben mir, wie er da vor der Tafel aufgebaut stand und unsere Route studierte. Aus seiner Laune konnte man schlichtweg nicht schlau werden! Seine Gesichtszüge meißelten sich praktisch aus einer Wand aus Eis und wurden höchstens durch sein impulsives Temperament gesprengt, das sich in letzter Zeit glücklicherweise besonnen zeigte – dass mein Begleiter keine gute Laune verströmte, lag für mich aufgrund der erfolglosen Jagd auf der Hand, dennoch erhoffte ich mir, diese spiegelglatte Miene durch eine entspanntere Version ersetzen zu können. Wölfe tobten doch gerne durch möglichst unberührtes Grün, oder nicht? Obwohl ich selbst gerne durch die Wälder und Berge streifte, galt dieser Ausflug primär Isaac. Niemals würde ich dieses Eingeständnis laut machen, aber ein primitiver Teil meiner selbst wollte ihm aus unerfindlichen Gründen beweisen, dass ich nicht nur die verhätschelte Göre der Feinde seiner Familie war, sondern durchaus eine akzeptable Partie abgab. Verdammtes Ego. Seinen Kommentar überging ich höflich. Natürlich sah die Strecke machbar für ihn aus, ich fürchtete eher um meine Kondition, da ich in den letzten Monaten mit anderen Beschäftigungen auf Trab gehalten worden war und keine Gipfel stürmen konnte. Zusätzlich zu dieser Ungewissheit kamen noch die ungewohnt hohen Temperaturen und die extreme Luftfeuchtigkeit hinzu. Trotzdem brach meine Motivation nicht ab, als Isaac mehr oder weniger zum Aufbruch drängte und zu dem breiten Weg startete, der in den duftenden Regenwald hineinführte. Erst nach wenigen Metern würden sich die einzelnen Routen, von denen beinahe alle hier ihren Ausgangspunkt hatten, in diverse Richtungen trennen und in unbekannte Abenteuer führen. Isaac Witz war furchtbar lahm, dennoch zeigte sich ein amüsiertes Grinsen auf meinen Lippen. „Für den musst du aber ganz tief in der Witz-Kiste gekramt haben“, zog ich den Dunkelhaarigen ein wenig auf, nachdem ich mit eiligen Schritten zu ihm aufgeholt hatte. Blöderweise fand ich sein schiefes Grinsen hinreißend und auf einmal bogen sich meine Mundwinkel wegen eines ganz anderen Grundes fröhlich nach oben. Geradezu ertappt floh ich aus dem kurzen Blickkontakt und richtete mein Augenmerk stur auf den Weg vor uns, der sich durch das duftende Dickicht des Urwaldes schlängelte. Vögel zwitscherten munter in den Baumkronen und verpasstem dem Ambiente einen richtig idyllischen Touch. Trotzdem wusste ich nicht so ganz, was ich mit Isaac reden könnte, um die – für mich – lauernde Stille zu durchbrechen. Vielleicht würde ich anders fühlen, wenn der Wolf eine gute Jagd hinter sich hatte und dementsprechend besser gelaunt wäre, aber nun… ich wusste nicht, wie ich seine Launen handhaben sollte, falls ich damit konfrontiert wurde. Wir hatten diese elendige Kluft zwischen uns nach wie vor nicht ausreichend überwinden können, um mich in seiner Gegenwart vollkommen entspannt und locker verhalten zu können.
Tja, wie sagte man das immer? Besondere Momente erforderten auch besondere Taten? In diesem Fall war das meinerseits eben der Griff in die Kiste mit ganz vielen stumpfen, schlechten Witzen darin. Mein Humor war oft radikal und in diesem Moment war er auch einzig dazu da, um krampfhaft zu versuchen, meine Laune wieder nach oben zu befördern. Inzwischen war ich mir auch relativ sicher damit, dass Riccarda nicht mehr ständig darum fürchtete, dass ich einen solchen Scherz tatsächlich ernst meinen könnte. Zumindest war ich eigentlich schon der Meinung, dass ich ihr nun lange genug bewiesen hatte, dass ich nicht mehr mein wölfisches Gebiss nach ihr ausstrecken würde. Ganz allgemein absolut nicht mehr danach strebte, ihr weh zu tun. Deswegen verkniff ich mir hier und da ja auch mal ein paar Worte, von denen ich wusste, dass sie ihr keinesfalls in den Kram passten. Vermeidung war langfristig zwar auch keine Lösung, aber unsere Beziehung zueinander war für dauerhafte, absolut ehrliche Offenheit noch nicht stabil genug - jedenfalls nicht an allen Tagen. Es gab gute und etwas weniger gute Tage, demnach blieb es den Umständen entsprechend abzuwägen. "Ja, ich hab wohl schon bessere Witze gemacht, da sind wir uns einig.", bestätigte ich Riccarda mit einem kurzen Schulterzucken in ihrer Feststellung, während wir dann die ersten Schritte nebeneinander hergingen. Warf ihr dabei nochmal einen kurzen Seitenblick zu, bevor ich meine Augen nach vorne richtete. Der Weg war hier noch ziemlich eben, weshalb er kaum genug Aufmerksamkeit meinerseits erforderte, um nicht unweigerlich erneut ins Grübeln zu rutschen. Deshalb bemerkte ich während der ersten zwei Minuten unseres Weges auch gar nicht, dass vorübergehende Stille eintrat. Ich empfand sie nicht als unangenehm, weil ich dafür mental viel zu abgelenkt war. Dementsprechend ausdruckslos bis nachdenklich hielt sich auch meine Mimik, bis wir schließlich an einer Art Kreuzung ankamen und unterschiedlich gefärbte Pfeile auf die jeweils abzweigenden Wege gerichtet waren. Der hellblaue war schnell gesichtet, auch wenn der Lack auf dem Holz dank der Klima-Umstände längst abzublättern begonnen hatte. Erst als wir schon ein paar Meter auf dem nun deutlich schmaleren Pfad unterwegs waren, suchte ich erneut das Gespräch mit der zierlichen Blondine. Dabei ging ich hinter ihr, weil alles andere unpraktisch wäre. Riccarda durfte ruhig ein für sie angenehmes Tempo auswählen und ich passte mich dem einfach an. Außerdem war es ihr wegen meiner folgenden Frage sicherlich auch ganz recht, wenn ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Da kam ihr der vorübergehend schmale Weg zugute. "Wie… wie muss ich das einschätzen? Den Abend gestern, meine ich…", hakte ich doch etwas zögerlich nach. Klang dabei aber trotzdem recht ruhig und neutral, obwohl mir die Antwort ganz und gar nicht egal war. "War's wieder nur der Alkohol, oder..?", drückte ich mich noch etwas spezifischer aus, damit der Engel gar nicht erst versuchte, lang um den heißen Brei herumzureden. Mir war bewusst, dass das kein besonders einfaches Gesprächsthema war oder gar eines, mit dem wir beide uns gern befassten. Aber selbst mein Sturkopf sah langsam ein, dass wir nicht wirklich drum herum kamen, ab und an mal ein paar Worte dazu auszutauschen, wenn wir voran kommen wollten. Ich hatte das Gefühl, dass wir ständig einen Schritt vor und dann wieder einen zurück machten. Dass wir nie wussten, auf welcher Ebene wir uns nun eigentlich bewegten und daraus permanente Unsicherheit resultierte - auf beiden Seiten. Ich hatte zwar irgendwann auf dem steinigen Wiedergutmachungsweg für den Engel tatsächlich Gefallen daran gefunden, um ihre Anerkennung und ihre Zuneigung kämpfen zu müssen, aber das würde nicht mehr ewig anhalten. Nicht, wenn ich damit nichts erreichen konnte. Ich hatte zwar selten ein Problem damit, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, aber in Liebes... Gefühlsangelegenheiten funktionierte das leider nicht.
◈ pain is the feeling of weakness leaving the body ◈
Bei meiner Familie standen Wanderungen nicht allzu hoch im Kurs, weshalb ich mich in der Gegend auch nicht auskannte, sondern durchaus die bunten Markierungen für die uns zugedachte Richtung in Anspruch nehmen musste. Der Pfeil mit dem blau gefärbten Punkt, sowie Kilometerangaben und eine ungefähre Einschätzung des Zeitaufwandes waren überaus schnell gefunden, sodass keine Zweifel bezüglich unserer Route herrschten. Ob es sich zufällig ergab oder Isaac mir bewusst den Vortritt gab, ich schritt den nur langsam ansteigenden Pfad als Erste entlang und nahm mir dabei unweigerlich die Freiheit heraus, hier und da nach den hübschen Vogelstimmen zu lauschen oder stehen zu bleiben und einen Blick in die dichte Baumkrone zu erhaschen, weil ein nicht der allgemeinen Geräuschkulisse entsprechend lautes Rascheln von dort oben zu vernehmen war. Gab es hier Affen oder womöglich derart riesige Reptilien, die auf den höher gelegenen Ästen ein Sonnenbad genossen? Mir fiel auf, wie schrecklich wenig ich über die tropische Insel wusste beziehungsweise, dass sich mein Wissen auf gute Restaurants und ein paar Unternehmen, die Aktivitäten planten und anboten, beschränkte. Der Weg schlängelte sich elegant um hohe, aus dem Erdreich ragende Wurzeln herum, verengte sich an manche Stellen, nur um dann wieder breiter zwischen unterschiedlich dicken Baumstämmen hindurchzuführen. Noch beklagte sich meine Beinmuskulatur über den leichten Anstieg nicht, dennoch geriet ich just in dem Augenblick ins Straucheln, als Isaacs Worte mein Bewusstsein erreichten und der Inhalt seiner Frage Wellen schlug. Ebenso schnell, wie mir die Konzentration entwischte, fasste ich mich auch wieder und warf entgegen meiner Intuition einen kurzen Blick fragend über die Schulter zu dem Dunkelhaarigen. Isaac meinte es ernst. Wie kam er denn ausgerechnet jetzt auf so ein Gesprächsthema? Der junge Mann überraschte mich mit diesem Vordrängen in intimere Gefilde – hatten wir zuvor jemals darüber gesprochen oder ging die Frage damals von ihm aus? Vor allem bot er mir dank seines Anhangs keine Chance darauf, ein bisschen auszuweichen oder mich gar dumm zu stellen. Ich schuldete ihm eine Antwort und da ich nicht irgendetwas sagen wollte, verfiel ich vorerst in nachdenkliches Schweigen. „Ich denke, dass unsere Annäherung gestern nicht allein durch den Alkohol entstanden ist, sondern viel mehr nur begünstigt wurde“, fing ich bedächtig an und nickte leicht, um den Wahrheitsgehalt noch einmal für mich zu bestätigen. Da ich nicht zur Gänze einschätzen konnte, worauf Isaac hinaus ist, verdrängte ich den Gedanken schnell wieder, ihn lediglich mit dieser knappen Antwort abzuspeisen, sondern gedachte ein wenig weiter auszuholen. „Ich verbringe mittlerweile gerne Zeit mit dir und oft beruhigt es mich auch, dich in meiner Nähe zu haben. Du gehörst also durchaus schon zu meinem Leben dazu, über den auferlegten Zwang hinaus, meine ich“, versuchte ich meine umherwirbelnden Gedanken für ihn verbal zu ordnen und verständlich aufzubereiten, dabei schlug mein Herz eindeutig ein paar Takte zu schnell in meiner Brust. Außerdem fühlte es sich falsch an, mit dem Rücken zu ihm über einen derart wichtigen Punkt zu sprechen. Abrupt blieb ich stehen und drehte mich auf der Stelle um. Obwohl sich Isaac anhand seiner Tonlage und Körperhaltung nicht anmerken ließ, bedeutete ihm meine Aussage etwas mehr als diese offen zur Schau gestellte Neutralität. Ich spürte es einfach. „Ich hoffe, du erwartest kein filmreifes Liebesgeständnis von mir, soweit bin ich dann doch noch nicht“, merkte ich mit einem zarten Lächeln zwischendurch an, „aber ich habe dich inzwischen ins Herz geschlossen und der Alkohol lässt meine Bedenken oder Zweifel in den Hintergrund rücken, sodass ich dem eher nachgeben kann.“ Ich wunderte mich zugegebenermaßen selbst ein wenig über diese mühelose Offenheit, die wohl durchaus eine bestehende Vertrauensbasis suggerierte. Trotzdem überlegte ich, wie ich den letzten Aspekt angehen sollte, ohne eine wüste Zerstörung anzuzetteln. Während ich wenige Sekunden zuvor noch Isaacs Blick standgehalten hatte, floh meine Aufmerksamkeit nun hinunter zu meinen Schuhspitzen. „Es fühlt sich manchmal noch immer falsch an, diesen Ring zu tragen“, seufzte ich leise bei dem Geständnis auf. „Wir haben gezwungenermaßen eine Abkürzung genommen und versuchen die Sache nun von der anderen Seite aufzurollen und aufzuarbeiten, aber wo stehen wir überhaupt? Was ist dein Ziel für unser Zusammensein? Warum bist du bereit, dir die Mühe zu machen?“ Tiefgreifende Gefühle bis hin zur Liebe ließen sich schlichtweg nicht erzwingen. Nun sah ich doch wieder geradezu schüchtern zu ihm auf. Wir mussten unbedingt darüber reden. Nur hatte ich nie erwartet, dass wir diese Unterhaltung mitten auf der Wanderroute eines Regenwaldes führen würden. Ich zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern. An dem Punkt wusste ich vorerst auch nichts mehr einzuwenden.
Normalerweise hätte ich wohl mindestens kurz gegrinst, als der Engel kurzzeitig ins Stolpern kam, weil es eben einfach ein bisschen witzig aussah und ich ein schadenfroher Mensch war. Allerdings war mir danach gerade ausnahmsweise überhaupt nicht. Meine Sinne waren in diesem Moment viel zu sehr darauf fixiert, jede noch so kleine Regung ihres Körpers wahrzunehmen. Da Riccarda sich eine stumme Weile Zeit dafür nahm, nach den richtigen Worten zu suchen, versuchte ich schon vorab zu eruieren, wie ihre Antwort ausfallen würde. Allerdings reichte die leise aufflatternde Nervosität, die ihr Körper unweigerlich zu versprühen begann, nicht wirklich aus, um die Antwort herauszufinden. Sie könnte schließlich auch deswegen nervös werden, weil sie dachte, dass mir die Antwort nicht gefallen würde - ich wurde also nicht wirklich schlau daraus. Umso dankbarer war ich dafür, dass der Engel schließlich das Wort ergriff und etwas Licht ins Dunkel brachte. Ich merkte gar nicht, wie meine Mundwinkel sich stückweise ein klein wenig nach oben bogen. Sich dann noch etwas weiter anhoben, als sie sagte, dass sie mittlerweile gerne Zeit mit mir verbrachte. Es war schon irgendwie sehr ironisch - und deswegen wohl umso schöner - dass sie meine Nähe zeitweise zu beruhigen schien. Schließlich redeten wir hier immer noch von mir. Dem Wolf mit dem schier unzügelbaren Temperament, der ab und zu gerne wie ein Wirbelsturm alles um sich herum zunichte machte... allerdings war letzteres schon lange nicht mehr vorgekommen, wie mir gerade noch einmal richtig bewusst wurde. Meine Mimik neutralisierte sich instinktiv, als die zierliche Blondine plötzlich stehenblieb und sich zu mir umdrehte. Ich ließ die harte Schale, die sich schon so lange um mein Herz hüllte, noch immer nicht gerne fallen. Es kam etwas überraschend, dass sie dann sogar noch weiter ausholte und noch mehr dazu sagte, aber ich war froh darüber. Ich brauchte kein Liebesgeständnis von ihr, solange sie sich nur einfach gerne in meiner Nähe aufhielt. Solange sie mich nicht wieder aus ihrem Herz ausschloss, in das ich mir tatsächlich einen Weg gebahnt zu haben schien. Ich wollte es eigentlich nicht, aber meine Mundwinkel zuckten ein weiteres Mal nach oben. Allerdings nur kurz, denn der Dämpfer wartete quasi schon an der nächsten Ecke. Autsch..? Ich war froh darüber, dass Riccarda lieber ihre Schuhe ansah, als mein Gesicht, weil sich das Lächeln unweigerlich wieder verflüchtigte. Dabei war es eigentlich nur logisch, oder? Sie hatte sich diesen Ring nie ausgesucht und lange Zeit über hatte uns dieses Metall nur Probleme eingebracht. Vielleicht trafen mich ihre Worte nur deshalb, weil ich es inzwischen tatsächlich nicht mehr so empfand. Mein Blick streifte flüchtig den Ring an meiner eigenen Hand. Früher hatte ich in ihm nur Ketten gesehen und nichts Gutes, aber das war nicht mehr so. Ich hatte nichts mehr dagegen, dass er mich gut sichtbar mit Riccarda verband, weil... weil ich das offenbar wollte? Es musste aufgrund meiner Fragen unweigerlich passieren, dass ich jetzt auch Irgendetwas dazu sagen musste und nicht weiterhin den stillen Teilhaber in dieser Angelegenheit markieren konnte. Ich schluckte tonlos, weil ich gar nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. "Ich denke, ich...", begann ich einen Satz, hielt dann aber nochmal einen Moment inne. Mir lag dieses ganze Gefühlszeug einfach nicht. Aber auch daran würde ich wohl noch arbeiten müssen, wenn das mit uns beiden irgendwie funktionieren sollte. Ich konnte nicht von Riccarda erwarten, sich mir zu öffnen und es im Gegenzug selbst aber sein lassen. Also hob ich den Blick schließlich doch in ihre Augen an, damit sie eindeutig sehen konnte, dass ich die folgenden Worte ernst meinte und mir damit keinen Scherz erlaubte. "Für mich ist es kein Zwang mehr. Ich fühl' mich wohl bei dir... und vertraue Niemandem so wie dir.", sagte ich, was für mich inzwischen offensichtlich war. Ich sagte ihr Dinge, die ich sonst Niemandem sagte. Fühlte mich so, als würde etwas fehlen, wenn sie mal nicht da war. Kuschelte offenbar ja sogar gerne mit ihr, was normalerweise gar nicht mein Ding war. Riccarda hatte den einsamen Wolf längst aus mir rausgekehrt und irgendwas Nähebedürftiges zurückgelassen. Gruselige Realität. "Ich weiß jetzt, wo mein Platz ist. Es kommt nur noch darauf an, ob du ihn mir gewährst oder nicht... langfristig gesehen.", hängte ich noch ein paar Worte mehr an und zuckte dann ebenfalls mit den Schultern. Ich hatte meine Entscheidung unterbewusst längst getroffen. Würde so ein unvernichtbares Wort wie Liebe aber nicht in den Mund nehmen, wusste auch gar nicht, wie sich dieses Gefühl definierte und wie es sich anfühlte. Ob ich diese Schwelle womöglich schon übertreten hatte? Bisher war das noch nicht so relevant für mich. "Wenn er sich nicht richtig anfühlt, dann nimm ihn ab, bis er's tut... und wenn das nicht passiert, sollten wir's sowieso sein lassen.", murmelte ich zum Ende hin etwas undeutlich und sah auf den Ring an ihrer Hand hinab. Mir gefiel der Gedanke nicht, dass Riccarda sich durchaus dafür entscheiden könnte, den Ring dann nie wieder zu tragen. Wenn sie jedoch so fühlte, dann konnte ich es mir sparen, weiterhin um ihre Gunst zu kämpfen. Mir war auch - wie so oft - egal, was andere davon halten könnten. Wie sich die Presse in unserer Heimat das Maul zerreißen würde, wenn sie den Engel irgendwo ohne den Ring herumlaufen sah. Hier auf der Insel juckte das aber Niemanden und mir war ohnehin völlig egal, was Außenstehende dachten. Die wussten sowieso immer alles besser - sollten sie also ruhig glauben, dass es bei uns beiden kriselte und die Scheidung vor der Tür stand. Es gab für mich nichts Unwichtigeres.
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Wir bewegten uns auf so verdammt dünnen Eis, das ich es förmlich unter jedem metaphorischen Schritt – gleichbedeutend mit jedem weiteren ausgesprochenen Wort – knirschen hörte. Und trotzdem tat es gleichzeitig gut, mir diese bisher lautlosen Gedanken von der Seele zu reden. Nüchtern hatten wir noch kein vergleichbares Gespräch miteinander geführt, dabei verlangt es die Dauer unserer gemeinsam verbrachten Zeit inzwischen dringend. Hier standen wir. Ich würde mich selbst anlügen, würde ich behaupten, keine Angst vor seiner Reaktion in meinem Innersten zu verspüren. Wir tasteten uns sehr rasch an ein heikles Thema heran und hatten bisher nur sehr wenig Erfahrung mit gefühlsbetonten Umgang untereinander sammeln können. In meinen Erinnerungen lasteten die Diskussionen und Auseinandersetzungen noch immer schwer, da mir anhand von der einen oder anderen Selbstreflexion aufgefallen war, wie unfair ich mich zum Teil Isaac gegenüber verhalten hatte, nur um einen weiteren Grund für meine Ablehnung zu finden. Irgendwann müsste ich mich noch dafür entschuldigen, aber noch befand ich den Zeitpunkt für falsch – ein Problem nach dem anderen. Zudem hielt ich an dem schwach auflodernden Lächeln in seiner markanten Mundpartie fest, das leider nur zu schnell wieder erlosch. Ich durfte im Prinzip nichts anderes erwarten, immerhin handelte es sich hierbei lediglich um meine Perspektive und vielleicht fühlte Isaac bereits ganz anders. Antworten darauf erhoffte ich mir durch meine Gegenfragen zu bekommen. Zumindest war ich der Ansicht, dass ich mir einen Einblick in seine Gefühlswelt nun ebenfalls verdient hätte. Unruhig drehte ich den zarten Ring um meinen Finger, betrachtete das Schmuckstück in seiner zeitlosen Eleganz und Schönheit. Mir gefiel dieses kleine Ding durchaus, aber wäre es auch der Ring gewesen, den mir Isaac an den Finger gesteckt hätte, wären wir den üblichen Weg einer Beziehung mit anschließender Verlobung und Hochzeit durchlaufen? Dieses glänzende Symbol unserer Ehe besaß für mich keinerlei Bezug hinsichtlich unserer Beziehung, die tendenziell alles andere als im strahlenden Glanz aufleuchtete. Trotzdem gab es auch gute Tage, anderenfalls würde ich seine Nähe nicht wollen, manchmal sogar suchen; ich würde nicht derart offen über meine verletzliche Seite sprechen. Ich kämpfte ein wenig mit diesen Offenbarungen, wobei es für mich eine Erleichterung zu sehen war, wie Isaac ganz offensichtlich mit derselben Hürde zu schaffen hatte. Allein deshalb räumte ich dem Dunkelhaarigen die Zeit ein, um seine Gedanken noch einmal zu sammeln und anschließend in Worte zu fassen. Abwartend blickte ich zu ihm hinauf, schenkte ihm ein schwaches, aber hoffentlich gleichermaßen ermutigendes Lächeln. Unweigerlich flatterte mein Herz bei seiner Ausführung wie ein junger Vogel in einem Käfig. Er vertraute mir?! Auf einmal beherrschte mich das drängende Gefühl, ihm näher zu sein, weshalb ich instinktiv nach seiner Hand tastete und meine Finger gegen seine schob. „Du hast dir aber nie aussuchen dürfen, welchen Platz du womöglich besetzen möchtest“, erwiderte ich sanft, legte dabei den Kopf leicht schief. Ich wollte nicht, dass er sich damit arrangierte, weil er keine andere Wahl zu haben glaubte. „Du könntest dir eine glückliche Zukunft mit mir vorstellen?“ Ich musste auf seinen Beisatz leider mit einer Gegenfrage reagieren anstatt ihm klar zu antworten. Es überraschte mich, wie entschieden er auftrat. Für einen egoistischen, promiskuitiven Junggesellen sprach das längst nicht mehr. Vor allem jener Egoismus, der einer der ersten Charaktereigenschaften meines Angetrauten war, schien eine Auslandsreise ins dunkle Unterbewusstsein seines Seins unternommen zu haben, als er mir die Entscheidung überließ, ob ich den Ring tragen wollte oder nicht. Isaac mied meinen Blick, sodass ich den Ausdruck in seinen Augen nicht erkennen konnte, aber ich ahnte, welche Verletzlichkeit hinter diesem Angebot steckte. Allein die Art, wie er gegen Ende des Satzes immer mehr in ein leises Murmeln verfallen war, verriet mir über die Bedeutung meines diesbezüglichen Handelns. Ein Gedanke formte sich dabei bereits in meinem Kopf, aber dem würde ich zu einem späteren Augenblick nachgehen. Jetzt stand eine wichtigere Aufgabe bevor. Vorsichtig hob ich meine freie Hand, an deren Ringfinger auch der hübsche Ring steckte, und hob sie bis unter Isaacs Kinn. Die Bartstoppeln kitzelten sich leicht auf der Haut, doch mein Ziel blieb, ihn mit sachtem Druck dazu zu zwingen, mich anzusehen und meinem Blick nicht auszuweichen. Immerhin vertraute er mir doch, oder? „Danke, dass du mir damit so entgegenkommst. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.“ Ich brauchte eine kurze Pause, in der ich doch glatt dabei war, in Isaacs klaren Augen zu versinken, gäbe es nicht noch etwas, das ich loswerden musste: „Ich möchte es nur richtig machen. Ich möchte das Gefühl einer arrangierten Beziehung verlieren und deinen Platz an meiner Seite mit schönen Erlebnissen und Erinnerungen festigen, für die wir uns gemeinsam entschieden haben. Um eine Basis für das Langfristig-gesehen zu schaffen.“ Ich griff absichtlich seine Worte mit Nachdruck auf. Hoffentlich verstand Isaac, aus welch unterschiedlichen Lagern wir kamen: ich hatte schon so viel Liebe empfinden dürfen und im Gegenzug geschenkt bekommen, dass ich wusste, was ich von meinem Partner wollte. Vielleicht täuschte ich mich, aber ich bezweifelte, dass er über einen vergleichbaren Erfahrungswert profitierte und nun zum ersten Mal das Gefühl bekam, sich niederlassen zu können. Natürlich sah ich ein, dass sich unsere Ansichten auf dieses Verhältnis dementsprechend unterschieden.
Ich mahlte kurz mit dem Kiefer, als Riccardas Finger zu meinen fanden und ein schwaches Kribbeln über meinen Handrücken bis über den Unterarm nach oben wanderte. Das war sicherlich der emotionslastigen Situation geschuldet war, die auch noch nicht vor ihrem Ende stand. Denn die nächsten Worte des Engels regten mich noch einmal kurz zum Nachdenken an. Nein, ich hatte mir nicht ausgesucht, diesen Ring ausgerechnet von Riccarda an den Finger zu kriegen. Inzwischen sah ich das aber nicht mehr so schwarz wie früher. "Ich weiß... und ich glaube, dass das gut so ist. Von selbst wäre ich im Leben nicht drauf gekommen, dass du durchaus mehr zu bieten hast als einen leichten Streit.", folgte ich meinen Gedanken mit Worten. Es war uns beiden nicht neu, dass ich sie früher maximal mit dem Arsch angeschaut hatte und sie mit Vorliebe auf Familienfesten herausgefordert hatte, weil sie sich jedes Mal darauf eingelassen und mitgemacht hatte. Damals war es undenkbar gewesen, dass wir beide mal irgendwann so miteinander umgehen würden, wie wir es jetzt gerade taten. Aber wer könnte schon besser für mich sein, als Riccarda? Menschliche Frauen verloren für mich schneller an Reiz, als sie meinen vollen Namen aussprechen konnten. Außerdem waren sie zerbrechlich - ich konnte Niemanden an meiner Seite brauchen, der lieber den Kopf einzog, um dem Wolf in mir auch ja nicht auf die Pfoten zu treten. Dieses Phänomen war nämlich wunderbar in meiner ganzen Familie zu beobachten und es war ganz gewiss nichts, wonach ich strebte. Die Suche nach einem weiblichen Werwolf würde in etwa der Suche einer Nadel im Heuhaufen gleichen, also fiel das auch weg. Vielleicht war der zierliche Engel nicht unbedingt das, wonach ich bei Frauen früher gesucht hatte, aber das war ja auch der springende Punkt - offensichtlich hatte es schließlich keine meiner früheren Bettgeschichten geschafft, mich zum treuen Ehemann zu bekehren. Manchmal musste ein starrsinniger Wolf scheinbar zu seinem Glück gezwungen werden. Die Frage danach, ob ich mir eine Zukunft mit ihr vorstellen konnte, war wiederum so direkt, dass ich mir schwer damit tat, wirklich darauf zu antworten. Dabei lag die Antwort eigentlich klar auf der Hand. "Ich... ja... sieht wohl so aus.", gestand ich nach ein paar perplexen Sekunden stockend und hob die rechte Hand, um mir damit einmal den allmählich immer angespannteren Nacken zu reiben. Es war einer der sehr rar gesäten Momente, in denen mir quer übers Gesicht geschrieben stand, dass selbst ich sowas wie Unsicherheit verspüren konnte. Es brauchte nur so besondere Umstände wie diese hier, um das auch aus mir rauszulocken. Es war eben alles andere als alltäglich für mich, sowas wie langfristige Zukunftspläne zu schmieden - mit einer Frau, nicht alleine. Mit einem Engel noch dazu. Würde es nicht grade wirklich passieren, würde ich wohl selbst kaum dran glauben. Ich hob den Blick erst wieder zu Riccardas Augen an, als sie mich bewusst dazu bewegte. Spürte auch jetzt wieder das flüchtige Kribbeln am Kinn, ausgelöst durch ihre Berührung. Es war eigentlich auch grundsätzlich untypisch für mich Blicke zu meiden, weil das immer Verletzlichkeit suggerierte. Es bot eine Angriffsfläche, aber ich schien mir unbewusst sicher damit zu sein, dass der Engel sie ungenutzt lassen würde. Sie bestätigte mich mit ihren Gesten und Worten auch darin, damit nicht falsch zu liegen. Ich traute mich also schließlich wieder ein schwaches, noch etwas instabil wirkendes Lächeln zuzulassen, als sie weitersprach. Natürlich war es auch in meinem eigenen Interesse, dass sie sich wohl damit fühlte bei mir zu sein und es nicht mehr mit der Zwangsheirat von damals verknüpfte. Deshalb nickte ich langsam, verständnisvoll. "Dafür ist der Urlaub hier wahrscheinlich eine ganz gute Gelegenheit.", wurde ich auch dazu ein paar Worte los. Das hieß natürlich nicht, dass ich uns jetzt mit dem Ablauf der Tage hier in den Tropen eine Frist setzen wollte, nach deren Ablauf das mit uns beiden funktionieren musste, aber hier funkte uns eben Niemand dazwischen. Meine Familie nicht, ihre Familie nicht und auch Jago nicht. Ich zögerte erneut etwas, hob dann aber doch meine rechte Hand an, um mit dem Daumen sanft Riccardas Wangenpartei entlang zu streichen. "Ich will ja auch gar nichts überstürzen, nur... musste ich jetzt wissen, ob du überhaupt irgendwas in Alldem siehst, oder ob ich damit allein dastehe.", erklärte ich, sprach dabei wieder etwas leiser. Mir war wichtig, dass sie wusste, dass ich sie das alles nicht einfach nur fragte, um zu eruieren, ob sie mich jemals wieder ranließ. Dass durchaus mehr dahinter steckte, weil sie mir wichtig war und dabei irgendeine schräge Art von Gefühlen mit von der Partie war, die ich mich noch nicht genauer zu definieren traute. War leider Neuland für mich.
◈ pain is the feeling of weakness leaving the body ◈
Im ersten Moment wusste ich beim besten Willen nicht, was er mir mit dieser Aussage begreiflich machen wollte. Trotzdem befand ich es als gutes Zeichen, dass er diesen Zwang mittlerweile auch Gutes abgewinnen konnte und nicht nur nach Ausflüchten suchte, um sich die gemeinsam gefristete Zeit irgendwie erträglicher zu machen. „Manche müssen wohl oder übel zu ihrem Glück gezwungen werden“, gab ich auf seine Worte zurück und lächelte leicht. Mich hatte es damals auch hart getroffen und nun? Hatte ich mich schon damit abgefunden, dass über meinen Kopf hinweg entschieden worden war, mit wem ich den Rest meines Lebens verbringen soll? Nein. Ich hasste derartigen Kontrollentzug, vor allem aber, wenn ich die Protagonistin in dem Szenario darstellte. Dennoch hatte sich meine Einstellung zu dem Ganzen schleichend verändert: ich hatte die Chance erhalten, Isaac näher kennen zu lernen und mir sein Vertrauen zu verdienen. Oftmals prallte ich noch immer an seinen aneckenden Eigenheiten ab, aber unsere Fortschritte waren allesamt hart erarbeitet worden und ich verspürte sogar einen Anflug von Stolz, wenn ich an diesen gemeinsam bestrittenen Weg dachte. Und plötzlich sah dieses elterlich festgelegte Friedensabkommen längst nicht mehr so weltbewegend tragisch für mich aus. Ich ging gewissermaßen auch als Siegerin aus dieser Fehde heraus; obwohl ich selbst nicht die Wahl dazu getroffen hatte. Mir stellten sich noch unglaublich viele andere Fragen, aber die dringendste schwebte gerade förmlich zwischen uns. So ehrlich verunsichert – gar erschrocken oder überrumpelt – hatte ich Isaac zuvor noch nie bewusst erlebt und diese Erkenntnis hatte unweigerlich eine ähnliche Wirkung auf mich: ich fühlte mich befangen. Meine direkte Herangehensweise fand oftmals keinen sonderlich großen Zuspruch, aber gerade half es nichts, um den heißen Brei herum zu reden. Wer wusste schon, wann wir jemals wieder den Mut und die Courage aufbrachten, um dieses Thema rechtzeitig anzuschneiden und nicht erst, wenn das Schiff bereits im Begriff zu sinken war oder Zweifel tiefe Wurzeln geschlagen hatten. Erst als meine Lungenflügel mitteilungsbedürftig zu brennen begannen, fiel mir auf, dass ich als Folge meines angespannten Wartens die Luft angehalten hatte. Ich versuchte möglichst ruhig auszuatmen, aber das wirklich befreiende Seufzen – Aufatmen – kam erst zustande, als Isaac, wenngleich zögerlich, die Bestätigung auf meine gewagte Frage aussprach. Sieht wohl so aus galt nicht als sonderlich schmeichelhaft, aber ich verstand, wie Isaac es meinte und deshalb zählte der Inhalt der Message mehr als die Verpackung drumherum. Es machte mich beinahe nervös, ihn derart hibbelig und nervlich aufgekratzt vor mir stehen zu haben. Zuerst wie er sich fahrig durch das dunkle Haar strich, anschließend das vorsichtige Anheben der Mundwinkel als stelle ich hier das launische Raubtier dar. „Eine Gelegenheit, die ich nicht ungenutzt verstreichen lassen möchte“, pflichtete ich dem großgewachsenen Mann bei. Der Besuch bei meinen Verwandten galt eigentlich als Anstandsurlaub, den einer von uns Engeln immer wieder antreten musste und normalerweise auf zurückhaltende Begeisterung traf, da Onkel Harry eine exzentrische Persönlichkeit besaß, aber dieses Mal schien mir kaum etwas Besseres hätte passieren können. Abseits von den heimischen Tragödien könnten wir ein solides Fundament errichten. Noch während seiner zärtlichen Berührung seitlich meines Gesichts fragte ich mich intuitiv, ob diese Basis nicht ohnehin schon bestand. Anderenfalls sähe die Situation gerade wahrscheinlich anders aus. Kurz flackerte Skepsis in meinen Augen auf, nachdem Isaac das Wort überstürzen in den Mund nahm, denn in diesem Kontext konnte man schnell das Gefühl bekommen, zu einer Geste oder Aussage gedrängt zu werden, für die man noch nicht bereit war. Mein Argwohn erlosch sogleich wieder, nachdem Isaac seine Erklärung beendet hatte und ich automatisch eine entspanntere Haltung einnahm. Infolgedessen lehnte ich meine Wange gegen seine warme Handinnenfläche und entließ sein Gesicht wieder aus meinem bestimmten Griff. „Diese Klärung war ohnehin schon längst einmal fällig, obwohl ich nicht damit gerechnet habe, dass sie beim Wandern zustande kommt“, gab ich mit einem angedeuteten schiefen Grinsen zu. Lieber würde ich mein pochendes Herz auf den Adrenalinspiegel in meinem Blut schieben, der mir beim Gesprächsanfang eingeschossen war, aber ich fürchtete eher, dass es an diesem subtilen Zugeständnis lag. Was auch immer Isaac mit dem angedeuteten ‚Damit‘ gemeint hatte, mir war eine Versicherung gegeben worden, dass ich mir die langsam wachsende Zuneigung nicht aus Gründen des Selbstschutzes verbieten musste. Es existierte eine reale Chance, potentielle Gefühle erwidert zu bekommen, sollten sich diese vollständig herauskristallisieren.
Wir beide waren uns manchmal ähnlicher, als uns bewusst war. Natürlich würden wir in einigen Dingen immer grundlegend verschieden bleiben, weil das aufgrund unserer stark voneinander abweichenden Genetik gar nicht anders möglich war. Ein Engel wurde nicht plötzlich blutdurstig und ein Wolf wie ich würde wahrscheinlich niemals einen extremen Sinn für Harmonie oder Gerechtigkeit empfinden. Allerdings schienen wir beide trotzdem schon so weit zu sein, dass wir ab und zu denselben Gedanken hegten. Deshalb wanderte meine rechte Augenbraue auch etwas nach oben, als Riccarda auf die Glückssache zu sprechen kam. "Hör mal lieber auf das Gleiche zu denken wie ich, das macht mir noch Angst.", wurde ich einen sarkastischen Kommentar zu diesem Zufall los. Es war extrem formuliert, es als Angst zu betiteln, brauchte es doch weit mehr als ein paar Worte, um mich das Fürchten zu lehren, aber es war irgendwie etwas merkwürdig. Eben sehr ungewohnt, aber wahrscheinlich normal..? Wenn man viel Zeit miteinander verbrachte, lernte man den Anderen zwangsweise immer besser kennen. Dass man dann irgendwann bis zu einem gewissen Grad dieselben Gedanken hegte, war sicher nicht ungewöhnlich. Das Lächeln auf meinen Lippen wurde noch etwas breiter, als Riccarda bestätigte, unsere gemeinsamen Tage hier auf der Insel ebenso wenig ungenutzt lassen zu wollen, wie ich selbst. Eine solche Gelegenheit würden wir so schnell nicht wieder kriegen, also war es gut, dass wir uns darin einig waren. Dass dieses Gespräch eigentlich schon früher mal hätte abgehakt werden sollen, ließ sich nicht leugnen. Es hätte uns bestimmt auch hier und da mal eine unangenehme Situation erspart, in der wir nur unbeholfen umeinander herumgetänzelt waren, statt dem Bedürfnis nach Nähe nachzugeben. Dass der Engel nicht unbedingt damit gerechnet hatte, das Ganze auf einer Wanderroute zu besprechen, ließ mich die Mundwinkel zu einem dezenten Grinsen anheben. Vielleicht war Riccardas' auch einfach ein bisschen ansteckend. "Bei mir muss man immer mit Allem rechnen, fürchte ich.", stellte ich fest, was der Engel ohnehin schon längst wusste. Ich konnte gutes Timing, wenn es wie bei einem meiner vorbereiteten Dates quasi schon vorgeplant war, aber ohne festen Zeitplan handelte ich grundsätzlich intuitiv. Dachte selten lange nach, bevor ich Irgendwas zur Sprache brachte. "Ich wollte schon viel früher darüber reden, aber Worte sind leider nicht unbedingt meine Stärke, wie du weißt." Das war der jungen Frau mit Sicherheit schon des Öfteren aufgefallen. Ich ließ mal ganz gekonnt außen vor, dass ich nicht nur wegen meiner Unfähigkeit Gefühle und Ähnliches wörtlich auszudrücken so lange mit diesem klärenden Gespräch gewartet hatte. Die unterschwellige Angst vor der Zurückweisung der zierlichen Blondine war der triftigere Grund gewesen, es immer weiter aufzuschieben. "Nach dem Abend gestern konnte ich jetzt nicht mehr länger warten.", gestand ich, wobei sich das Grinsen auf meinen Lippen wieder zu einem ehrlichen Lächeln schmälerte. Mich hatte nicht nur deswegen die Ungeduld gepackt, weil es mich mental sonst noch ewig weiter kirre gemacht hätte, nicht zu wissen, wie es mit uns beiden denn nun eigentlich aussah. Ich hatte mir jetzt auch deutlich bessere Chancen auf einen positiven Ausgang des Gesprächs ausgerechnet, nachdem Riccarda die ganze Nacht über so nah bei mir gelegen hatte. Wenn sie mir inzwischen selbst im wehrlosen Schlaf über den Weg traute, war das schließlich ein sehr gutes Zeichen. Kurz nach der Vollendung meiner Worte begann ich mich langsam ihrem Gesicht mit meinem zu nähern. Sah ihr noch für einen Moment lang in die braunen Augen und strich dabei mit dem Daumen an der der dünnen Haut direkt vor ihrem Ohr hinab. Während meine anderen Finger in einer sanften Berührung an ihrem schmalen Hals lagen, wanderte mein Daumen an ihrem schmalen Kiefer nach vorne und schob sich letztendlich behutsam unter ihr Kinn, als ich die verbliebene Distanz zwischen uns überbrückte. Meine Lider senkten sich und ich legte meine Lippen für einen zarten Kuss auf ihre. Befriedigte damit das dringende Bedürfnis Riccarda nach alle diesen klärenden Worten auch noch einmal zu zeigen, dass ich es eben nicht bloß so daher sagte, sondern es ernst meinte. Dennoch hielt der Kuss nicht lange an - aufgrund des Wissens, dass ihr das sonst wieder das Gefühl geben könnte, ich würde zu schnell zu viel von ihr verlangen.
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„Falls du mich vorher noch nicht zum Gruseln gefunden hast, solltest du vielleicht spätestens jetzt damit anfangen“, schlug ich schelmisch vor, meinte es aber nur bis zu einem gewissen, sehr minimal ausfallenden Grad so. Wir verbrachten durchaus sehr viel Zeit miteinander, sodass gewisse Denkweisen oder Verhaltensangewohnheiten abfärbten, obwohl mir bisher Letzteres noch nicht konkret aufgefallen wäre. Ähnliche Gedanken kamen und gingen da sehr viel schneller, sobald man ein bisschen Einsicht in die Welt des Gegenüber genossen hatte und dementsprechend Verständnis aufbauen konnte. Da Isaac sich seines Sarkasmus wieder bewusst war, sah ich ebenfalls kein Problem darin, ein wenig lockerer im Umgang zu werden – der verletzliche, ernsthafte Part war somit hoffentlich weitestgehend überstanden und für mich galt die Tatsache, nun mehr Gewissheit über dieses wankende Konstrukt – per Definition vielleicht sogar schon eine Beziehung – erlangt zu haben. Ein Pluspunkt für den weiteren Aufenthalt hier auf der Insel. Außerdem genoss ich es, wie wir hier mitten im Nirgendwo standen und uns dumm anlächelten. Was für ein Bild wir auf Fremde abgeben mochten? Keine Ahnung, wahrscheinlich wollte ich es gar nicht so genau wissen. Beinahe lachte ich amüsiert über seine verspätete Warnung auf, grinste aber stattdessen nur ironisch und deutete ein vages Nicken an. „Ja, zu dem Verdacht bin ich inzwischen auch gekommen“, pflichtete ich ihm bei, ganz so als ob ich nicht durch die Date-Überraschungen und impulsive Auseinandersetzungen – es gab in unserer Vergangenheit eben immer gute und schlechte Aspekte, die sich aber mittlerweile die Waage hielten – nicht schon längst wusste, wie um seine Spontanität bestellt war. Zwar behauptete ich von mir, ebenfalls recht flexibel zu sein, aber Isaac toppte mich da auf voller Länge. „Und ich denke nicht, dass wir zuhause die Ruhe bekommen hätten, um richtig darüber reden zu können“, fügte ich meinen Gedanken ungefragt hinzu. Als ob wir unter all den anderen Engeln jemals zu einer vergleichbaren Offenheit gekommen wären; ich hielt das für unwahrscheinlich. Außerdem brauchte der werte Herr oftmals einen ordentlichen Grund, um seine harte Schale aufzuknacken und hinter der robusten Abwehrmauer hervorzuschauen. Zwar unbewusst, aber immerhin hatte ich dazu beigetragen, dass es nun endlich an der Zeit geworden war. Mir war nur nicht bewusst gewesen, dass dieses gestrige Aufeinandertreffen, im körperlichen Sinne, den Ausschlag für seine Unsicherheit oder eher dem Bedürfnis, die Sache anzureißen, gegeben hatte. Trotzdem war ich froh darum. Während mein Kopf sicherlich noch ein bisschen mit dem Gespräch zu arbeiten hatte, hatte mein Körper schon wieder die Kontrolle bezüglich meiner physiologischen Reaktionen auf diese neue Gewissheit gewonnen und strebte nun einer Besiegelung entgegen, deren Wunschform sich noch gar nicht richtig in meinem Bewusstsein manifestiert hatte. Willkürlich biss ich mir kurz auf die Unterlippe, als Isaacs Daumen seitlich über mein Gesicht strich und dabei einen besonders kitzligen Punkt erwischte. Gleichzeitig genoss ich aber die Wärme seiner Berührung, schloss bei dem wohligen Gefühl intuitiv die Augen. Als seine weichen Lippen auf meine trafen, durchzuckte mich ein Glücksimpuls, den zu beschreiben mir schwerfiel. Ich kannte dieses feurige Prickeln unter der Haut, es erweckte Vertrautheit in mir und doch schlich sich im ersten Augenblick die ernüchternde Angst vor einer Enttäuschung in meine Wahrnehmung. Erst einen Sekundenbruchteil später erinnerte sich mein vernebelter Kopf daran, was wir eben erst besprochen hatten. Ich ließ mich in den Kuss fallen, erwiderte die zärtliche Berührung, während meine Hand auf seiner Brust lag und ich den Takt seines Herzens spürte. Der kostbare Augenblick dauerte nicht lang, reichte mir aber aus, um schwindlig zu werden. Ich zog mich nur langsam zurück, das grazile Lächeln direkt wieder auf den Lippen, ehe ich die Augen aufschlug. Kurz stand ich ihm noch nah gegenüber, unsicher, wie ich mich nun am besten verhielt. Das eben war kein beiläufiger Kuss eines Paares, es war sehr viel bedeutungsvoller und da drehte man sich eigentlich nicht weg und marschierte weiter den Berg hinauf. „Wenn die Gespräche weitestgehend so verlaufen, können wir von mir aus auch öfter über sowas reden“, erklärte ich ihm verschmitzt, meinte es aber ebenso ehrlich. Nun fühlte es sich auch nicht mehr so an, als würde ich Isaac einfach stehen lassen, als ich auch meine Hand zurücknahm und mich anschickte, unserem eigentlichen Plan erneut nachzugehen: wir hatten noch ein Schlauchboot, das auf uns wartete. Trotzdem wartete ich noch einen Moment ab, ob sich der Dunkelhaarige ebenfalls schon aus der Situation gelöst hatte und wir weitergehen konnten.
Zum Gruseln? Ich sah Riccarda wohl gleichermaßen fragend wie ungläubig an. Ich glaubte nicht, dass ich mich inzwischen überhaupt noch vor Irgendetwas gruseln konnte, das mit dem Engel zu tun hatte. Das einzige, was mich gruselte, war die Möglichkeit darauf, dass sie mir weh tat. Ich selbst merkte schließlich am besten, wie der Platz innerhalb der dicken Schutzschicht, die sich um mein Herz hüllte, immer enger wurde. Es ließ oft ein unstetiges Gefühl der Beklemmung zurück, wenn ich merkte, dass mein ach so kaltes Herz ab und zu eigentlich schon ganz gerne mal den eisigen Panzer ablegen würde. Es war mein Kopf, der es am Ende dann meistens zurück in die Schale schubste und sorgfältig das entstandene Loch zu flicken versuchte, bevor die Wärme von außen die Schale ganz Schmelzen brachte. Ein so vehement über Jahre hinweg antrainiertes, schützendes Verhalten abzulegen, würde wohl noch viel Geduld brauchen. "Das einzige, was mich an dir noch gruseln kann, sind deine prickelnden Finger.", sagte ich dazu am Ende etwas ganz anderes, als ich gedacht hatte. Die schmerzhaften Lichtimpulse aus ihren zierlichen Fingern hatten sich damals sehr in mein Gedächtnis - und mein Gesicht - eingebrannt. Allerdings fiel mir erst nach meinen Worten auf, dass es inzwischen durchaus mehr Effekte haben würde als vorher, sollte sie diese Fähigkeit gegen mich einsetzen. Es würde mich nicht nur auf rein körperlicher Ebene treffen, wenn sie je wieder das Gefühl haben würde, sich anders nicht gegen mich wehren zu können. Blieb zu hoffen, dass es nie wieder nötig sein würde. Es stimmte, dass wir Zuhause kaum zur Ruhe gekommen wären. Zumindest nicht so, wie das hier und jetzt der Fall war und wie es für ein solches Gespräch nötig war. Ich wohnte inzwischen zwar deutlich lieber bei den Engeln als in meinem Heimatschloss, aber das war eben doch auch mit einigen Abstrichen und vielen nervtötenden Verpflichtungen verbunden. Außerdem würde es noch eine Weile dauern, bis sich der reizende Ex-Freund endlich verdünnisierte, weil sich das vom Brand geschädigte Engelsschloss nicht innerhalb von zwei Tagen neu aufbauen ließ. Bis er endlich das Weite suchte, würde ich dort permanent weiter unter Strom stehen - absolut keine gute Voraussetzung, um mit mir über Gefühle reden zu wollen. "Wahrscheinlich nicht.", bestätigte ich Riccarda in ihren Worten, auch wenn das ziemlich überflüssig war. Uns beiden war schließlich bestens bewusst, dass Zuhause eben nicht immer alles so entspannt ablief, wie es das hier im Urlaub gerade tat. Achja - das Rafting. Das mit einem Quad durch wüstenartige Umgebung brettern. Jetzt wo die junge Frau sich langsam wieder von mir zu lösen begann und meine Finger von ihr abfielen, klingelte es wieder. Wir waren nicht unbedingt in den Dschungel gefahren, um dann nach ein paar Metern stehen zu bleiben und den Rest der Tour zu streichen. "Ich... werd's versuchen.", meinte ich und ließ dann erneut das leicht schiefe Grinsen aufblitzen. Viel mehr konnte ich was solche Gespräche anging zum jetzigen Zeitpunkt nicht versprechen. Wenn mir der Moment richtig erschien - völlig egal ob es dann genauso aus der Luft gegriffen wirkte wie gerade eben - würde ich vielleicht wirklich wieder von selbst darauf zu sprechen kommen. Es musste dann aber wahrscheinlich entweder dem dringenden Bedürfnis entspringen, Klarheit zu gewinnen, oder wir müssten schon sehr vertraut miteinander umgehen. Ein bisschen so wie gestern Abend im Meer zum Beispiel. Auch wenn ich daran jetzt besser nicht zurückdachte, aufgrund der vielen nackten Haut. Dass wir uns wieder in Bewegung setzten, um unseren eigentlichen Plänen nachzukommen, bot gute Ablenkung. Es erforderte zwar nicht übermäßig viel Geschick die immer wieder quer über den Weg wachsenden Wurzeln zu überqueren, aber würde man sie ganz aus den Augen lassen, stolperte man sicher bald. Es war eher die warme, sehr feuchte Luft, die den Anstieg nach einigen Minuten etwas anstrengend machte. Hydriert zu bleiben war wichtig, weshalb ich nach etwa einer halben Stunde dann doch kurz stehen blieb, um einen Arm aus der Schlaufe des Rucksacks zu ziehen und ihn nach vorne zu holen. Ich nahm die Wasserflaschen heraus und und reichte Riccarda die Zweite. Gefragt hatte sie zwar nicht, aber ich wollte mir ja im Nachhinein auch nicht anhören müssen, ich hätte ihr nichts angeboten. Es war nicht nur der herrlichen Natur um uns herum zu verdanken, dass von der schlechten Laune, die ich heute Morgen von der Jagd mitgebracht hatte, nichts mehr übrig war. Die körperliche Betätigung trug zu meiner Ausgeglichenheit bei, aber auch die war eher nicht der Ursprung dafür. Es war einfach ein gutes Gefühl, das Gespräch vorhin abgehakt zu haben - mit eindeutig positivem Ausgang. "Wie steht's um deine Kondition, Liebste?", fragte ich die Blondine grinsend, als ich mit dem Trinken fertig war und die Flasche wieder zuschraubte. Sie war von uns beiden die Verkaterte und trieb weniger Sport als ich, was sie ohnehin auch gar nicht nötig hatte. Ich hörte ihre inzwischen etwas beschleunigte Atmung mit meinem sensiblen Gehör überdeutlich, das Vogelgezwitscher konnte nicht gänzlich davon ablenken. Trotzdem entsprang die Frage natürlich ein bisschen verspielter, keineswegs bösartiger Provokation.
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Isaacs verblüffte Reaktion teilte mir mit, dass mein Sarkasmus eventuell nicht vollständig bei ihm angekommen war, ließ sich aber nun auch nicht mehr ändern. Er schien es dennoch schnell wieder mit Fassung zu nehmen und berichtigte mich in weitere Folge auch schon – weil ich das ja tendenziell so toll fand. Ausnahmen bestätigten die Regel, wie man doch so schön sagte, weshalb ich keine Miene verzog, sondern nun meinerseits überrascht die dünnen Augenbrauen anhob. An meine Gabe hatte ich schon sehr lang nicht mehr bewusst gedacht; dementsprechend war auch deren Einsatz stark in den Hintergrund gerückt. Eine vielsagende Veränderung, immerhin hatte meine Vergangenheit mit Isaac bereits andere Geschichten über unsere Fähigkeiten erzählen müssen und ich wusste nun auch aus entsprechenden Erfahrungen, wie schlimm ich mit meinen Lichtimpulsen – wahrscheinlich eine sehr pure Form von Elektrizität, die bekanntlich ja einen funktionellen Teil des physiologischen Nervensystems innehatte – zu verletzen in der Lage war. Für einen friedliebenden Engel wie aus dem Märchenbuch konnte man sich kaum eine unpassendere Fähigkeit vorstellen, aber ich kannte nichts anderes und sah auch deshalb in diesem Moment mit gemischten Gefühlen auf die zartgliedrigen Finger meiner Hände. Unter der hellen Haut schlummerte eine verheerende Kraft… vielleicht war es gar nicht unklug, nach wie vor einen gesunden Respekt vor diesem Extra an mir zu haben, obwohl ich längst von der Denkweise abgekommen war, dass der Einsatz dieser Lichtblitze eine Option im Umgang mit Isaac darstellte. „Die stimmen mit dem Klischee eines Engels wohl nicht gut überein“, stimmte ich zerknirscht zu, senkte meine betrachtete Hand dann aber wieder hinab. Eigentlich bedarf es der Bestätigung durch den Dunkelhaarigen nicht, aber es rundete das Thema ab und konnte von mir deshalb weitestgehend ignoriert werden. Wir befanden uns nicht daheim, um beim Wiederaufbau und den Sanierungsarbeiten am Schloss zu helfen, sondern waren aus dem Szenario geflohen – dabei bezweifelte ich, dass die aufgescheuchten Engel Isaacs primäres Problem wiedergaben. Ohne konkretere Gedanken an meinen Exfreund zu verschwenden, wischte ich die Überlegung hastig wieder aus meinem Bewusstsein. Ohnehin befand sich mein Fokus nach wie vor bei meinem Gegenüber, der ebenfalls einen Moment Zeit für sich in Anspruch nahm, bevor er sich meiner Anmerkung zuwandte. Es handelte sich dabei nicht unbedingt um einen richtigen Wunsch, aber ich würde mich definitiv freuen, bezöge mich der verschlossene Teil in ihm mehr in seine Überlegungen und Grübeleien ein. „Das zu wissen, reicht mir schon“, versicherte ich Isaac fröhlich, da er mit diesem schiefen Grinsen in dem Kontext herrlich verlegen wirkte und dass ein Herr Garcia sowas wie Verlegenheit empfinden konnte, förderte durchaus seine Sympathie. Mit geradezu beschwingten Tempo bildete ich erneut die Vorhut und hielt den Blick dabei hauptsächlich am unebenen, steinigen Boden vor meinen Füßen. Ich besaß keine hammermäßigen Raubtierinstinkte, um mich sonderlich viel auf die grüne Umgebung konzentrieren zu dürfen und bemerkte es deshalb auch erst ein paar Meter weiter, dass das Knirschen von Isaacs Schritten verstummt war. Fragend blieb ich stehen, drehte mich um und bekam dann bereits eine der beiden Wasserflaschen entgegengereicht, sodass ich die kurze Distanz wieder zurückging und dankend nach der Flüssigkeit griff. In kleinen Schlucken genoss ich das halbwegs kühle Nass, bevor ich den Verschluss zuschraubte und die Flasche Isaac zurückgab. Himmel, war ich froh um die kurze Pause! Mein Schnaufen war schon längst als Bestandteil der Geräuschkulisse hingenommen worden, weshalb ich mich nicht der Illusion hingab, dass Isaac über meine konditionelle Verfassung nicht bereits bestens Bescheid wusste. „Hervorragend, danke der Nachfrage, Schatz“, gab ich trocken zurück, nutzte bei dem Kosewort dieselbe neckend-provokante Tonlage. Die Kopfwehtablette versagte langsam in ihrem Dienst, was ich auf die körperliche Anstrengung schob und die hohe Luftfeuchtigkeit machte es einem im Grunde untrainierten Faulpelz zusätzlich schwer. „Grins‘ nicht so blöd“, giftete ich ihn dezent an, zog dabei aber eine schmollende Schnute. Ich nahm ihm seine Schadensfreude nicht übel, immerhin hatte ich mir den Salat selbst zuzuschreiben. Wer trank auch am Vorabend über den Durst hinaus und plante gleichzeitig für den folgenden Tag einen Fitness-Parkour als Einstieg ins Abenteuerprogramm? Mein Vorsatz, Isaac den Rucksack zwischenzeitlich abzunehmen, hatte ich längst in den Wind geschossen, damit brauchte er nicht mehr zu rechnen. „Wessen glorreiche Idee war diese Wandereinheit noch mal?“, fragte ich seufzend, während ich mir eine klebrige Strähne seitlich aus dem Gesicht strich. Meine Ernüchterung half leider nichts, mein Ego stand mir ebenfalls im Weg, sodass ich mich meinem Schicksal ergeben musste und schon bald wieder durch den Wald trottete. Wir machten noch eine weitere kleine Pause – für mich – und kamen danach wieder gut voran, als sich ein neues Geräusch in das muntere Zwitschern und Rufen der Waldbewohner mischte. Das Dröhnen eines Wasserfalles erweckte meine Aufmerksamkeit und schenkte mir neue Energie. Unbewusst zog ich das Tempo wieder ein bisschen an: ich wollte das Naturschauspiel auf jeden Fall besuchen und wenn es hieß, dabei ein wenig vom Weg abzukommen. Schließlich befand sich Isaac an meiner Seite, der schon sehr bald mit einer Richtungskorrektur eingreifen musste, anderenfalls hätte ich mich eventuell – und ich behaupte nicht, dass es tatsächlich so gekommen wäre! – im Dickicht des Regenwaldes auf der Suche nach dem Wasserfall verlaufen.
Das Grinsen hielt sich wacker in meinen Gesichtszügen, als ich Riccarda die Flasche wieder abnahm und sie zurück in den Rucksack schob. Früher wäre aus solchen Wortwechseln sicherlich schnell ein Streit geworden, wohingegen mein Grinsen über ihr Eingeständnis jetzt nur in einem leisen Lachen endete. Ich konnte eben leider nicht anders, als blöd zu grinsen. Ihre Worte diesbezüglich waren auch nicht unbedingt förderlich, um es einzudämmen. Eigentlich hätte die Idee für diesen sportlich ambitionierten Ausflugstag auch mindestens genauso gut von mir kommen können, wenn man bedachte, wie sich der Engel jetzt damit abmühen musste. Ich müsste lügen, um zu behaupten, dass es mir nicht immer wieder gefiel, dass ich der zierlichen jungen Frau körperlich überlegen war. Auch wenn das nach wie vor nur bis zu dem Punkt galt, an dem sie ihre Glühfinger auspackte. Da trat ich dann zügig freiwillig den Rückwärtsgang an. Es war also ganz gut, dass sie diese wenig klischeehafte Engelsgabe inne hatte. Irgendeine Art Kräfteausgleich musste sie zu bieten haben, um in unserer Beziehung zueinander das Gleichgewicht zu wahren. Das Wissen darüber war sicherlich ein Grund dafür, warum ich vor langer Zeit damit angefangen hatte, mich ihr gegenüber mehr wie ein Mensch und weniger wie ein Monster zu verhalten. "Deine. Hätte aber auch von mir kommen können, so angesichts der Umstände.", flötete ich förmlich beschwingt vor mich hin, als ich den Reißverschluss des Rucksacks gerade wieder zuzog. Ich für meinen Teil fühlte mich bisher bestens von diesem Ausflug unterhalten und der Tag könnte jetzt kaum besser laufen, wenn man die frustrierende Jagd mal außen vor ließ. "Ich könnte dich auch tragen, weißt du... vier Pfoten sind genug für uns zwei.", schlug ich etwas ironisch vor, ohne darüber nachzudenken, als ich den Rucksack auf meinen Rücken drehte und dabei den Arm wieder durch die Schlaufe steckte. Erst danach fiel mir auf, was das für eine groteske Aussage war. Ich war kein Pferd, auf das man mal schnell einen Sattel warf, sondern ein Werwolf - ein ganz besonders stolzer und eingebildeter noch dazu. Es gäbe also ein schräges Bild ab, wenn ich jetzt plötzlich einen Engel auf dem pelzigen Rücken umher trug und ich wusste nicht, was ich davon nun eigentlich halten sollte. Es schien mich nicht zu stören, sonst hätte ich es nicht einfach so gesagt, ohne vorher darüber nachzudenken. Die Frage war nur, ob mir das gefallen sollte. Das Thema wurde ohnehin erstmal begraben, als wir den Weg durch den Wald weiter jeder für sich zu Fuß bestritten. Zwischen die vielseitigen Gerüche und Geräusche des Waldes mischte sich irgendwann noch eine zusätzliche Geräuschquelle - schon lange bevor Riccarda sich dazu entschied den Weg zu verlassen, um ihr nachzugehen. Ich hatte nichts gegen diesen spontanen Routenwechsel - ganz im Gegenteil - und so folgte ich dem Engel durch den stellenweise sehr dicht bewachsenen Dschungel. Streckte nach ein paar Metern dann aber doch lieber die Hand nach ihrer schmalen Schulter aus, um sie damit sanft, aber bestimmt in die richtige Richtung zu lotsen. Natürlich begleitet von einem seichten Grinsen. Der Weg war für sie sowieso schon weit genug, da brauchte sie keine unnötigen Meter zusätzlich zurückzulegen. Außerdem hatten wir meines Wissens nach ein Zeitfenster zu erfüllen. Schließlich kam die Klippe in Sicht, von der sich das Wasser stürzte. Meine Augen begannen neugierig zu funkeln, als wir uns dem Ufer näherten und ich schließlich stehenblieb. Einen Moment lang genoss ich es das kleine Wasserwunder zu beobachten, bevor ich den Kopf schließlich zu Riccarda drehte und beide Hände an die Rucksackträger legte. "Gut, dass wir da nicht runterfahren müssen.", merkte ich sarkastisch an, weil der Wasserfall geschätzte zwanzig Meter hoch sein dürfte. Um da mit einem Schlauchboot runterzufahren, müsste man schon dezent lebensmüde sein. "Und ich bereu's gerade wirklich, keine Wechselklamotten dabei zu haben.", seufzte ich bedauernd und mein Blick fiel auf das kühle, im Sonnenlicht glitzernde Nass unweit meiner Füße. Das Wasser unterhalb der Klippe lag verhältnismäßig ruhig dar und musste im Vergleich zur Luft angenehm kalt sein. Ich hätte normalerweise erdenklich wenige Probleme damit mich einfach nackt ins Wasser zu stürzen, aber es war wohl überflüssig zu erwähnen, dass das aus diversen Gründen gerade schwierig und keine so gute Idee war. Ein bisschen nass zu werden beim Raften störte mich nicht, aber schon von vornherein von oben bis unten komplett durchnässt im Boot zu sitzen, war selbst mir unangenehm.
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Natürlich ließ es sich Isaac nicht nehmen, auf meine rhetorische Frage eine Antwort abzuliefern. Das absichtlich deutlich vernehmbare Seufzen drang bereits während seiner Worte über meine Lippen. Danke für die Erinnerung an meinen Geniestreich. Insgeheim nahm ich mir vor, das nächste Mal ein Tagesprogramm zu wählen, bei dem ich nicht den Kürzeren zog, sondern meinem liebevollen Gefährten das schadenfrohe Grinsen austrieb. Als ob… in meinen Gedanken heckte ich tollkühne Pläne aus, aber die Realität blieb in einem etwas anderen Szenario hängen: eigentlich freute es mich sogar ein bisschen, wie unproblematisch dieser leichte Schlagabtausch zwischen uns funktionierte. Außerdem sah ich mich durchaus auch in der Lage einzustecken, aber diese Fähigkeit zur Toleranz stand vollständig in Abhängig zu der Person, mit der ich am Scherzen war. Isaac zählte nun scheinbar ebenfalls zu dem engen Kreis an Glücklichen. „Was für Umstände denn bitte?“, hakte ich empört lachend nach, glaubte aber zu wissen, dass ich die Erklärung bereits kannte. Trotzdem machte ich mir einen Spaß daraus und stemmte beide Hände abwartend in die Hüften, hielt an meinem herausfordernd funkelnden Blick fest. „Morgen gehen wir Körbchen flechten oder so“, murrte ich leise, wohlbewusst dass Isaacs Wolfsohren den kleinsten Mucks noch ausgezeichnet verstanden. Jedoch verflog meine Motivation für das Schauspiel der schmollenden Gesellschaft bei dem dargebotenen Vorschlag. Meinte er es ernst? Skepsis spiegelte sich in meinen Augen wider als ich den jungen Mann vor mir eingehend musterte. Ich kam schnell zu dem Beschluss, dass es ein halbherziger Scherz mit einem Fünkchen Wahrheit im Kern sein musste – allein von seiner überraschten Miene abgeleitet. Stellte er sich eine filmreife Szene vor, wie wir anschließend gemeinsam in den Sonnenuntergang am Strand galoppierten? Ich sprach die Vorstellung lieber nicht laut aus, gönnte mir aber doch ein amüsiertes Grinsen, das womöglich einen Bruchteil meines Kopfkinos verraten würde. „So schlimm steht es auch wieder nicht um meine Kondition“, verteidigte ich meinen körperlichen Zustand nachdrücklich. Mein Stolz wäre mindestens noch ein paar Tage nach diesem Ausflug wegen meiner Schwäche gekränkt, also kam Getragen-werden nicht ansatzweise in Frage. Wahrscheinlich auch sehr zur Erleichterung Isaacs. Dank des feinen Wolfgehörs fanden wir sehr schnell zu dem imposanten Wasserfall, der von einer Klippe hoch über uns hinabstürzte und sich in einem großen Teichbecken sammelte. Beeindruckt nahm ich das Spektakel in mich auf, obwohl mir schon bald die Ohren von den niederschmetternden Wassermassen dröhnten. Die kühle Gischt auf der Haut sorgte für eine angenehme Abwechslung zu den hitzigen Temperaturen, die auch von der dicht geschlossenen Baumkronenschicht nicht gänzlich ausgesperrt werden konnte. Automatisch, weil ich nicht anders konnte, trat ich bis an das von saftig grünem Gras bewachsene Ufer, ging in die Knie und streckte meine Hand in das verlockende Nass. Mein aufgeheizter Organismus sprach sich lautstark für einen Sprung in den Teich aus, aber die Vernunft obsiegte diesem kindlichen Drang. Bei Isaacs Anmerkung sah ich über die Schulter zu ihm zurück, eine Augenbraue süffisant angehoben: „Sag bloß.“ Als ob ich mich jemals gut zwanzig Meter einen tosenden Wasserfall in einem süßen, kleinen Schlauchboot hinunterstürzen würde. Da waren wir immerhin einer Meinung. Ebenso bezüglich der Kleidung zum Wechseln. „Ich schau auch nicht, versprochen“, neckte ich ihn, da seine Gedanken momentan doch recht einfach zu erraten waren. Alle Schichten an Stoff würden sicherlich nicht bis zur Ankunft am Rafting-Treffpunkt trocknen, aber wenn nur die Unterwäsche nass war? Aufgrund der körperlichen Anstrengung schwitzte ich meine Sportsachen ohnehin bis spätestens dahin durch. Die Versuchung spielte mit mir.
Sie wollte es wirklich nochmal hören? Konnte sie gerne haben! "Dass mir dein Gekeuche in den Ohren liegt - diese Umstände.", lachte ich. Es war allerdings auch nicht schwer, bei dieser Tour etwas ins Schnaufen zu kommen, wenn man nicht wirklich fit war. Ich selbst nahm ab und zu ebenfalls etwas tiefere Atemzüge, je nach Steigung des Weges. Mein Puls hatte sich inzwischen auch längst an die körperliche Aktivität angepasst und das Blut rauschte mir deutlich schneller durch die Adern als gewöhnlich. Trotzdem ging dieser Ausflug deutlich spurenloser an mir vorbei, als an dem Engel. Körbe zu flechten würde mich hingegen wahrscheinlich schnell aus der Fassung bringen. Für so eine Arbeit besaß ich schlichtweg nicht die notwendige Geduld, da brauchte ich Niemandem etwas vorzumachen. "Ich glaube nicht, dass das gut endet.", kommentierte ich Riccardas nur leisen Vorschlag ironisch. Ich würde zwar kaum ein Blutbad wegen ein bisschen Flechten anzetteln, aber ich hielt es für durchaus möglich, dass der unfertige Korb einmal quer durch den Raum oder über den Platz flog, wenn mich die Geduld verließ. Etwaige Personenschäden inbegriffen, wenn Jemand dabei zur falschen Zeit am falschen Ort stand. Ich war froh darum, dass der blonde Engel den Gedanken daran durch die Gegend getragen zu werden ebenso schnell abtat, wie das bei mir gedanklich auch der Fall war. "Na dann hab ich ja nochmal Glück gehabt.", schloss ich das Thema für mich ab. Tat dabei so, als hätte ich im allerersten Moment nicht wirklich darüber nachgedacht, ihr den weiteren Weg unserer heutigen Tour tatsächlich abzunehmen. Ich hoffte einfach mal darauf, dass sie sich nicht in naher Zukunft noch einmal an diese Worte meinerseits erinnern würde, damit es vorerst nicht dazu kam. Der heutige Stand war, dass ich sonst nämlich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Mir reichte schon das Grinsen, das Riccarda deswegen gerade deswegen im Gesicht hatte. Am Ende bejahte ich sonst noch widerwillig und sie zupfte mir dann aus Langeweile an den empfindlichen Ohren oder an den Nackenhaaren herum, wenn sie erstmal oben saß. Darauf sollten wir besser beide verzichten. Sie würde nicht schauen? Jetzt war ich damit an der Reihe, die rechte Augenbraue nach oben zu ziehen und ungläubig zu ihr runter zu schauen. Erstens ging es darum natürlich gar nicht und zweitens würde sie sehr wohl schauen. Vielleicht fielen ihre Blicke nüchtern etwas zurückhaltender aus, aber am gestrigen Abend hatte sie auch kein Problem damit gehabt zu schauen. "Fällt mir schwer zu glauben, um ehrlich zu sein... also auch davon abgesehen, dass ich gar nichts dagegen hätte.", prustete ich amüsiert. Von mir aus durfte Riccarda so oft und so lange meinen entblößten Körper anstarren, wie sie wollte. Mein Ego war mehr als groß genug dafür, um mich damit gut zu fühlen. Ich genoss visuelle Aufmerksamkeit. Es kribbelte mir schon in den Fingern, die zierliche junge Frau vom Gegenteil ihrer Worte zu überzeugen und den Rucksack einfach nach hinten auf den Boden fallen zu lassen, um mir das Shirt über den Kopf ziehen zu können, aber ich hielt mich ausnahmsweise damit zurück. Allein deshalb, weil ich gespannt darauf war, wohin eine solche Konversation führen konnte, wenn ich nicht so wie sonst immer das Ruder der Taten an mich riss. Deshalb lag mein Blick auch gespannt funkelnd strikt auf Riccarda.
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Was für einen wohlwollenden Partner ich doch erwischt hatte! Natürlich nahm Isaac meinen Sarkasmus für bare Münze und ging noch einmal im Detail auf meine ungünstigen Umstände ein. Obwohl ich stark dazu Lust verspürte, mich deswegen künstlich aufzuspielen, unterdrückte ich dieses kurz aufblühende Verlangen in meinem Herzen und schüttelte stattdessen nur grinsend den Kopf. „Deine armen Ohren“, stellte ich mit schauspielerischer Bestürztheit fest. Wolfohren machte man eben nicht so schnell etwas vor und ich tat mir wirklich schwer, sobald die Ansteigung einen gewissen Grad erreichte. Die Gründe meiner Probleme hatte ich ja bereits auf einer Liste vermerkt, meinte ich im Nachhinein zu wissen und ging deshalb nicht lautstark in eine Verteidigungshaltung über. Ja, ich hatte zu viel getrunken. Ja, ich sollte mich vielleicht ein bisschen intensiver mit meiner körperlichen Fitness beschäftigen und an meiner Kondition arbeiten. Ich wusste es, bekam derzeit den Beweis für die Notwendigkeit geliefert und würde wahrscheinlich trotzdem mindestens einen hervorragenden Grund finden, um dies leidliche Thema hinauszuzögern. Glücklicherweise fanden meine Gedanken wie aufs Stichwort eine neue Ablenkung: Isaac konzentriert beim Flechten eines kleinen Weidenkörbchens und wie er mit seiner Fassung rang. Ein diabolisches Schmunzeln zierte meine Lippen bei seiner mürrischen Prophezeiung. „Sei nicht so pessimistisch, am Ende macht es dir noch richtig Spaß und ich werde mich irgendwann nicht mehr vor deinen selbstgebastelten Körben retten können.“ Als ob. Wenn eines nicht passieren würde, dann wohl, dass sich der Dunkelhaarige in seiner Begeisterung für volkstümliche Flecht-Techniken von Zweigen verlor. Trotzdem zog ich ihn gerne mit diesem unterstellten Faible auf. Seine offensichtliche Empörung entlockte mir jedoch so schnell ein helles Lachen, dass ich vollständig von der weiteren Aktivitätenplanung abließ und mich stattdessen kichernd ans Ufer setzte, sodass ich meine leicht brennenden Beine parallel zum Wasser ausstrecken konnte und dennoch mit einer Hand die nasse Oberfläche in Bewegung bringen konnte. Worte brauchte es eigentlich gar nicht, trotzdem echauffierte sich Isaac direkt und brachte seine Ungläubigkeit über den Wahrheitsgehalt meiner Behauptung zum Ausdruck. „Du darfst mir ruhig glauben“, versicherte ich ihm engelsgleich grinsend, denn ich hatte noch etwas hinzuzufügen, was mich etwas weniger unschuldig dastehen ließe, „außer natürlich, du willst mich vom Gegenteil überzeugen.“ Zwar klang es primär nach einem ach so selbstlosen Angebot meinerseits, aber im Grunde handelte es sich um eine süffisante Herausforderung, die ihn hoffentlich in Zugzwang versetzte. Ich wollte herausfinden, wie weit er gehen würde, um recht zu behalten oder ob er mich noch weiter aufstachelte, um mich einknicken zu lassen. „Dass du nichts dagegen hättest, wundert mich überhaupt nicht“, bemerkte ich zusätzlich, wusste ich doch um das großgewachsene Pflänzchen alias Isaacs Ego bestens Bescheid. Und Grünzeug musste man hegen und pflegen, damit es nicht verwelkte, was die Richtigkeit dieses metaphorischen Vergleichs zwischen dem männlichen Ego und einer hübschen Zimmerpflanze um einen weiteren Faktor bestärkte. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sich der Dunkelhaarige aus Prinzip das T-Shirt vom Leib riss, um mir seinen durchtrainierten Oberkörper unter die Nase reiben, aber er verhielt sich standhaft. Anscheinend bevorzugte er es, mich herausfordernd mit seinem Blick zu durchbohren. Ein aufregendes Kribbeln schoss mir über die Kopfhaut bis in den Nacken. Ich wusste nicht, wohin diese Unterhaltung hinging und ob wir eventuell eine zu gewagte Richtung einschlugen, schließlich lag das Gespräch über den Stand der Dinge noch keinen ganzen Tag zurück – eigentlich nicht einmal einen halben Tag! – und schon testeten wir die Grenzen neu aus. Dabei durfte ich Isaac nicht allein der Unvernunft beschuldigen, direkt den Rahmen an tolerierbarem Umgang miteinander neu loten zu wollen, da ich voll einstieg und meiner Neugierde ebenso nachgab; nachgegeben hatte ohne für einen Wimpernschlag über die Klugheit dieses Unternehmens nachzudenken. Aufregung spülte, auf gänzlich andere Art als zuvor noch, durch meinen Körper hindurch und riss einmal mehr - ohne dem Einfluss von Alkohol - das eine oder andere Warnschild mit sich. Noch war ja nichts dabei, oder?
"Schön, dass dir auch mal auffällt, was ich jeden Tag aufs Neue ertragen muss.", seufzte ich gespielt leidend. Als würde mich auch nur Irgendetwas an Riccardas Existenz inzwischen noch stören. Natürlich schmeckte es mir nicht immer, wenn ich Gegenwind von ihr bekam und sie nicht zu Allem nur Ja sagte, aber es war längst nicht mehr so, dass ich mich tagelang im Stillen weiter darüber aufregte. Schließlich war es irgendwann mal an der Zeit gewesen zu merken, dass sie mich und meine störrische Meinung ebenso ertragen musste, wie es umgekehrt der Fall war. Wir hielten uns diesbezüglich ziemlich die Waage und hatten uns inzwischen beide damit arrangiert. Andernfalls würden sicher noch immer regelmäßig die Fetzen fliegen. Was das Körbe flechten anging, musste ich die junge Frau aber weiterhin enttäuschen. Das passte in etwa so gut zu mir, wie mich an Hausarbeit zu erfreuen. Dementsprechend erntete die Blondine für ihre wenig ernst gemeinte Aussage auch ein flüchtiges Augenrollen und ein Kopfschütteln. "Ich kann mir absolut nichts schöneres vorstellen, als meine Zeit mit Flechten zu verschwenden. Klingt genau nach mir, jetzt wo du's sagst fällt's mir auch auf.", erwiderte ich, die Worte förmlich triefend vor Ironie und Sarkasmus. Untermauert mit entsprechend belustigtem Blick, weil die Vorstellung davon eben einfach absolut dämlich war - wie ich irgendwann mit Riccarda an einem Marktstand die überflüssigen Körbe an die Inselbewohner und Touristen verkaufte, weil wir uns Zuhause sonst nicht mehr vor ihnen retten konnten und sie sich schon in der Abstellkammer stapelten. Ja, würde ganz bestimmt exakt so eintreffen. Allerdings war nichts davon ansatzweise so interessant für mich, wie die indirekte Konversation über nackte Haut. Keiner von uns beiden nahm es wortwörtlich aka 'Wie wärs, wenn du dich einfach ausziehst?' in den Mund, aber es war trotzdem ganz genau das, worum es sich hier gerade drehte. Riccarda war auch allzu geschickt damit die normalerweise absolut richtigen Knöpfe mit ihren Worten zu drücken. Für gewöhnlich hätte ich längst zur Schau gestellt, was ich zu bieten hatte. Das war, was ich sonst immer tat - bei jeder Gelegenheit damit prahlen, dass mir kaum eine Frau abgeneigt war. Wenn ich mir hier und jetzt aber die zwei Sekunden Zeit nahm, um mir selbst bewusst zu machen, dass ich das bei dem blonden Engel längst wusste und ich diese Genugtuung gar nicht mehr brauchte, dann konnte ich meine weitere Handlung näher überdenken ohne sofort zum Stoff an meinem Körper zu greifen. Stattdessen formten sich meine Lippen zu einem wissenden, überlegenen Lächeln und ich gab ein etwas längeres "Hmmm.." von mir, als ich in aller Seelenruhe aus den Trägern des Rucksacks schlüpfte. Ich ließ das handliche Gepäckstück auf einen etwas größeren, flachen Stein sinken, bevor ich mich Riccarda zuwendete. Das neugierige Funkeln spiegelte sich nach wie vor in meinen Augen, als ich die wenigen Schritte zu ihr aufschloss. Fast schon unschuldig ließ ich mich neben ihr auf den Boden sinken, kesselte sie damit zwischen mir und dem Wasser ein und stützte mich im ersten Moment noch leicht nach hinten gelehnt auf den Händen ab. "Weißt du, Engelchen...", setzte ich erst nach ein paar stillen Sekunden zum Reden an und wandte den Blick vom Wasser ab, um ihr stattdessen in die Augen zu sehen. Ich benutzte absolut absichtlich den neckischen Spitznamen, den sie nicht so gern mochte und der durch seine himmlisch brave Bedeutung meinen Worten zusätzliche Würze verlieh. "...es gibt eigentlich keinen einzigen wirklich guten Grund dafür, dass du mich so unterschwellig darum bittest, mich auszuziehen.", stellte ich mit ruhiger, bewusst tiefer Stimmlage fest. Drehte mich daraufhin mit dem Oberkörper zu ihr und streckte meinen Arm aus, um über sie hinweg zu greifen. Meine Hand kam nahe am Ufer auf, als ich mich über Riccarda beugte und mit dem Gesicht ganz dicht vor ihrem innehielt. "Sag's doch gleich grade heraus oder nimm dir einfach, was du haben willst. Niemand wird dich daran hindern." Erst mit diesen geraunten Worten kehrte das dezente, aber eindeutig schelmische Grinsen in meine Gesichtszüge zurück. Wenn die Prinzessin spielen wollte, dann konnten wir das gerne machen. Ich genoss dieses unstetige Hin und Her, von dem ich nicht wusste, wie es enden würde. Das war es, was es so interessant machte und selbst mir als einstigem ewigen Junggesellen noch Nervenkitzel bereiten konnte. Sie hatte sich schon gestern geziert mir das Hemd auszuziehen, obwohl ihr Körper da schon längst gewusst hatte, dass sie das schon irgendwie ganz gerne wollte. Das einzige, was wirklich noch zwischen uns stand, war ihre Angst vor mir. Oder genauer gesagt davor, dass ich den Kopf nochmal verlieren würde... aber ich hatte ihn selbst gestern noch bewahren können, obwohl Alkohol durch meinen Körper geflossen war. Ich hegte also eigentlich nicht mehr wirklich Zweifel daran, dass wir beide uns keine Sorgen mehr um einen Kontrollverlust machen mussten. Zumindest nicht unter normalen Umständen in einer entspannten Atmosphäre. War allerdings gut möglich, dass ich der jungen Frau jetzt etwas zu direkt geworden war und sie sich deshalb ins Schneckenhaus zurückziehen würde. War da schon die Grenze oder waren wir ein weiteres Mal dabei, sie ein bisschen auszuweiten?
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Ich rechnete erst gar nicht mit einer anderen Antwort als jenen, die ich auch bekam. Nach wie vor fröhlich grinsend hob ich eine schmale Augenbraue an, was meinen ausgelebten Sarkasmus nachdrücklicher signalisierte. „Da wundert es mich, dass die Menschenrechtler oder der Tierschutzverband noch nicht an meine Haustür geklopft hat.“ Isaac durfte sich aussuchen, von welchem Samariter-Orden er gerettet werden wollte – so nachsichtig war ich mittlerweile mit dem eigensinnigen Kerlchen! Wir waren in Sachen Kommunikation und Umgang sogar schon an dem Level angelangt, bei dem wir uns selbst nicht zu ernst nahmen und dem Gegenüber ein bisschen Fläche für ironische Bemerkungen freiräumten. Obwohl ich wusste, wie gut wir uns derzeit zwischenmenschlich – also abseits der risikohaften Themen wie Gefühle plus das damit einhergehende Drumherum – verstanden, freute es mich innerlich zu hören, wie er mir, zwar lediglich rhetorisch, die Zustimmung gab, eine seiner geheimen Hobbies entlarvt zu haben. „Dachte ich mir schon, mir bleibt eben kaum etwas verborgen“, lehnte ich mich weiter beim Gebrauch von Sarkasmus aus dem Fenster hinaus. Dabei musste ich ehrlich gesagt zugeben, dass ich keinen Schimmer über Isaacs bevorzugte Freizeitaktivitäten besaß. Ich wusste um seine wölfischen Vorlieben Bescheid, immerhin gab es da naheliegende Beschäftigungen, aber als Mensch… vielleicht die Schürzenjagd in Clubs und Bars, aber dank des Rings an seinem Finger hatte diese Leidenschaft ein jähes Ende gefunden. Wir klebten so viel zusammen, da wären mir zeitintensivere Hobbies doch sicherlich aufgefallen. Oder? Und mich aus den Reserven zu locken galt nicht als Hobby! Dabei schaffte er gerade das mit müheloser Leichtigkeit, wie ich einmal mehr herausfinden durfte. Als hätte man einen Schalter in seinem Kopf umgelegt, versprühte Isaac plötzlich seinen raubtierhaften Charme und lockte meine Neugierde weiter aus ihrem Versteck hervor. Argwöhnisch und dennoch verflucht interessiert beobachtete ich den großgewachsenen Mann dabei, wie er mir ruhig und geradezu vor Selbstbewusstsein strotzend auf mich zuschritt und keinen halben Meter von mir entfernt ebenfalls im Grün Platz nahm. Mir war die Situation zugegebenermaßen ein wenig suspekt, weshalb ich mich gerne ein bisschen zurückgezogen hätte, aber mein zuvor gewählter Platz direkt am Wasserrand machte eine größere Distanz unmöglich. Ich wusste instinktiv, dass sich Isaac meiner Ausweglosigkeit vollkommen bewusst war. Engelchen…, mein Blick verfinsterte sich in der Sekunde als Isaac diesen verhassten Kosenamen fertig ausgesprochen hatte. Der werte Herr wollte es tatsächlich wissen und meinte mit mir spielen zu können, wie eine Katze sich mit der kleinen Maus die trägen Nachmittagsstunden ein wenig versüßte. Den Spaß würde ich ihm nicht verweigern, obwohl meine Nervenbahnen vor Aufregung vibrierten als er sich mir weiter entgegenlehnte. Herausfordernd erwiderte ich das stumme Blickduell zwischen uns und behielt es mir vor, auf seine Provokation nicht mit einer laschen Gegenfrage einzugehen. Mir fiel dummerweise nichts Schlagfertiges auf seine Feststellung ein. Dafür rasten meine Gedanken aber umso schneller, während Isaac vehement gegen meine Abwehrmauern klopfte, um die undichte Stelle ausfindig zu machen. Ich reagierte noch bevor die Idee richtig Gestalt vor meinem geistigen Augen angenommen hatte. Eher unbewusst war ich bei seinem aufdringlichen Näherrücken ein wenig in mich zusammengesunken, um möglichst wenig Angriffsfläche anzubieten. Diese Position gab ich nun sehr entschieden wieder auf, wodurch ich Isaacs Gesicht verdächtig nahekam und damit andeutete, seinen verführerischen Lockungen direkt nachzugeben. Doch so einfach würde ich es ihm nicht machen, obwohl ein leises Stimmchen in meinem Hinterkopf genau danach bettelte. Seine Aufmerksamkeit brannte sich geradezu unter meine Haut, aber ich behielt einen halbwegs kühlen Kopf, löste meinen Blick ruhig von seinen strahlenden Augen und schickte ihn weiter zu seinen in einem verheißungsvollen Grinsen geschwungenen Lippen. Absichtlich langsam, ein Zögern vortäuschend, näherte ich mich weiter, bis ich seinen warmen Atem auf der Haut kitzeln spürte. Uns trennte höchstens noch ein Lufthauch. Ich hielt einen kurzen Moment inne, ehe meine Lippen federleicht über seine strichen ohne ihn richtig zu küssen. Stattdessen beugte ich mich weiter zu seinem Ohr hinüber und raunte leise: „Natürlich würdest du mich nicht daran hindern, aber ob du auch schon bereit dafür wärst, dass ich mir einfach nehme, wonach es mich verlangt?“ Ein freches Lächeln bog meine Mundwinkel nach oben, bevor ich einen verheißungsvollen Kuss auf die dünne Haut direkt unter dem Ohrläppchen setzte. Vielleicht verbrannte ich mich bei dem Spiel mit dem Feuer, wenn ich Isaac unanständige Bilder in den Kopf pflanzte, aber andererseits brauchte er womöglich einen kleinen Ansporn, um am Ball zu bleiben.
Auch wenn die Vorstellung darüber, wie der Tierschutz versuchte einen Werwolf mit zwei Metern Schulterhöhe in einen Sprinter zu quetschen, bis zu einem gewissen Grad amüsant war, drang diese Angelegenheit nicht mehr wirklich zu meinen Ohren vor. Ebenso wenig die Sache mit den supertollen Flechtkörben, weil es in diesem Augenblick sehr viel wichtigere Dinge gab: Eine nicht ansatzweise beschwipste, vollkommen nüchtern und ziemlich offensiv mit mir flirtende Riccarda. Das war mir so noch ziemlich neu und dementsprechend war die zierliche Blondine sehr schnell das Einzige, was mir noch durch den Kopf schwirrte. Welche gemeinnützige Organisation mich nun aus ihren Fingern rettete, konnten wir auch später noch ausdiskutieren. Denn obwohl Riccarda im ersten Moment noch ein klein wenig den Rückzug antrat, als ich mich ihr so unverblümt näherte, ließ sich schon zu diesem Zeitpunkt deutlich in ihren Augen lesen, dass es diesmal nicht dabei bleiben würde. Dass sie noch nicht bemüht unauffällig den Rückwärtsgang einlegen würde, möglichst ohne selbst an ihrem Image zu kratzen. Es dauerte nicht lange, da kam sie mir wieder ein ganzes Stück entgegen und ich rechnete unweigerlich mit einem Kuss, den ich nicht bekommen sollte. Zumindest nicht da, wo ich ihn erwartet hatte. Ich würde mich wahrscheinlich noch zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich sagen würde, dass unsere Lippen schon absolut gewohntes Terrain waren, weil innige Küsse bisher ja nun auch noch nicht grade oft vorgekommen waren. Trotzdem war es das naheliegendste für mich einen solchen Kuss zu erwarten, der letztendlich aber kaum als mehr ein flüchtiger Hauch war. Das leichte Kribbeln breitete sich von meinen Lippen ausgehend bis in meinen Nacken aus, wo sich blitzschnell die feinen Härchen aufstellten, noch bevor Riccarda ihre nächste Attacke mit Worten formte... und die saß. Es gab so gut wie nichts, das ich mehr liebte, als Herausforderungen. Erst recht, wenn sie das mit einem vermeintlich harmlosen Küsschen an meinem Hals unterstrich und sich ihr Lächeln dabei förmlich heraushören ließ. Mein Körper reagierte sofort mit einer leichten Gänsehaut darauf und ich unterdrückte das Knurren, das sich gerne den Weg über meine Lippen gebahnt hätte, mit einem nicht ganz stummen Schlucken, bei dem mir die Lippen offen stehen blieben. Ich versuchte noch für den Bruchteil einer Sekunde abzuwägen, wie ich nun am besten darauf reagieren sollte, um hier nicht sofort alles mit Vollgas an die Wand zu fahren, aber Hopfen und Malz waren längst verloren. Nachdem ich eine Ewigkeit darauf hatte warten müssen, dass die junge Frau überhaupt einen Schritt auf mich zuging und sie das jetzt ohne allzu viel Zurückhaltung tat, hatte mein verflucht unausgeglichener Hormonhaushalt längst das Ruder an sich genommen. Ich wartete schließlich auf nichts sehnlicher, als dass aus Momenten wie diesem hier endlich mal mehr wurde. Zwar beruhte das schon länger nicht mehr nur auf rein körperlicher Begierde, aber es blieb unweigerlich ein großer Bestandteil davon. Ich löste meine Hand wieder vom Boden, um sie stattdessen langsam in Riccardas Nacken zu schieben. Sanft aber bestimmt zog ich sie etwas zurück, damit ihr Gesicht nicht mit meinem Hals kollidierte, als ich mich wieder regte. Nach außen hin bisher relativ ruhig wirkend beugte ich mich noch etwas mehr über die hübsche junge Frau und schob dabei mein linkes Bein zwischen ihre Schenkel - in keusch bleibendem Ausmaß, ohne ihre Körpermitte zu berühren. Die Gänsehaut in meinem Nacken hatte sich noch immer nicht gelegt und ich sah ihr tief in die Augen, versuchte daraus zu lesen. "Ich hatte mehr als genug Zeit, mich darauf vorzubereiten.", gab ich mich mit angeregt rauem Ton weiterhin entschlossen. Nur mein Blick veränderte sich, mischte sich die Neugier darin nun unweigerlich mit Begierde. Dass es auf meiner Seite kaum daran scheitern würde, den einen oder anderen Schritt weiterzugehen, war im Grunde sowieso überflüssig zu erwähnen. "Ich warte nur darauf, dass du dich endlich traust." Mit diesen Worten schob ich meinen Daumen unter ihr Kinn, damit sie den Kopf etwas mehr in den Nacken legte, als sie das ohnehin schon tun musste aufgrund meiner dominanteren Position. Ich ließ meine Lippen in einer hauchzarten Berührung an leicht seitlich an ihrem Hals hinabwandern. "Nur ein Wort und du kriegst alles, was du willst.", hauchte ich an ihre Haut, ohne innezuhalten und schloss schließlich mit einem Kuss nahe ihrer Kehle ab. Oberflächlich betrachtet schien der auch nichts besonderes für mich zu sein, was aber ein Trugschluss war. Natürlich setzte ich einer Frau nicht zum ersten Mal meine Lippen an den Hals, aber normalerweise hielt ich mich dabei unbewusst von der Kehle fern. Für mich hatte diese empfindsame Körperstelle eine weitgehendere Bedeutung. Es war die offensichtlichste Form einer weißen Flagge, die man von einem Wolf bekommen konnte. Schließlich bevorzugte ich normalerweise genau diese Stelle, um dem Feind oder der Beute den Garaus zu machen. Es war also nicht ausschließlich nur ein eindeutiges Friedenszeichen, sondern auch eine ganz besondere Form der Zuneigung.
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Meine Wahrnehmungsfähigkeit beschränkte sich zwar auf die eines durchschnittlichen Menschen, aber aufgrund der unmittelbaren Nähe zu Isaac entging mir trotz dem Fehlen von Raubtiersinnen keine seiner Reaktionen. Vielleicht hörte ich nicht den Herzschlag in seiner Brust, dafür aber sein beinahe tonloses, hartes Schlucken und spürte seinen warmen Atem ein wenig schneller über meine Haut streichen. Mir gefiel die Erkenntnis, dass nicht nur mein Körper auf seine Avancen reagierte, sondern der Spieß auch von mir umgedreht werden konnte und nicht nur ich Opfer meiner durchaus vorhandenen Gelüste wurde. Das Verlangen steckte in mir, jedoch reichte die Vertrauensbasis bis dato nicht, um mich aus dem Schneckenhaus zu locken – ich schob es auf unser vorheriges Gespräch, einen anderen Grund für meine spontane Offensive fand ich auf die Schnelle nicht. Es musste reichen, anderenfalls käme ich ins Grübeln und dahin wäre die knisternde Stimmung; wäre doch eine Schande, nun wo ich das Gefühl bekam, endlich einmal Herrin der Lage einer derartigen Annäherung zu sein und nicht immer von Isaac betrunken überrumpelt wurde. Trotz meiner leisen Bedenken wagte ich das Spiel mit dem Feuer, immerhin hatte mir der Dunkelhaarige nun schon in verschiedenen Situationen bewiesen, dass er sich auch in Zurückhaltung üben konnte. Eine eventuell naive Einstellung, ganz offensichtlich sogar, denn Isaac ließ sich niemals zweimal bitten, wenn es darum ging, Nähe zuzulassen. Zwar lag seine Hand schon schwer in meinem Nacken und dirigierte mir den Weg, aber ich verspürte keine Angst vor dieser herrischen Berührung, viel mehr schürte sie meine Neugierde. Isaac wirkte ruhig auf mich, doch er konnte diese spezielle Form des Hungers nicht gänzlich aus seinen Augen verbannen, als er näher auf mich zukam, immer mehr Platz in meinem persönlichen Wohlfühlraum beanspruchte. Gebannt sah ich zu ihm auf. Meine Haut prickelte vielsagen, als würde sie bereits mehr wissen als mein Verstand momentan verarbeitete. Blöderweise brauchte ich genau jene Funktionalität meines Gehirns: das logische Verarbeiten von Informationen, um möglichst geistreich auf die Situation zu reagieren und eine gute Antwort abzuliefern. Leichter gesagt als getan, wo sich mittlerweile sämtliche Teile meines Bewusstseins verkrochen hatten, um den Dingen ihren Lauf zu lassen und sich bebend vor Angst angesichts der Konsequenzen die imaginären Hände vor die ebenso imaginären Augen zu schlagen. Von Vorbereitungszeit konnte man an meiner Stelle also nicht unbedingt sprechen, aber schön, wenn Isaac sich mit dem einen oder anderen Kopfkino die abendlichen Stunden versüßt hatte – zu gern würde ich nun in seinem Kopf Mäuschen spielen. Dabei bräuchte ich das doch gar nicht, musste ich nur den Mund aufmachen und lieb fragen; ihm die Erlaubnis erteilen. Oh ja, ich wartete auch darauf, dass ich mich traute und mein Herz nicht davongaloppierte! Gleichzeitig war der kecke Ausdruck noch nicht gänzlich aus meinem Gesicht erloschen, so übereilig würde ich meine herausfordernde Haltung nicht aufgeben, obwohl Isaac mich ordentlich in die Enge trieb. Mir entging dabei jedoch nicht, wie der Dunkelhaarige trotzdem betonte, auf meine Zustimmung zu warten – es lag in meinen Händen und allein dieses Wissen machte es mir einfacher, die knisternde Anspannung zu einem gewissen Anteil zu genießen. Niemand konnte mir einreden, dass Isaacs Fänge sich zum ersten Mal derartig um die Willenskraft einer Frau schlossen… dafür erzählte sein Körper eine ganz andere Geschichte. Geradezu geschickt legte er mir die Entscheidungskraft zu Füßen, dominierte aber gleichzeitig die Situation. Willig ließ ich mein Kinn weiter anheben, entblößte dabei die helle, weiche Haut am Hals. Ich spürte seine Lippen seitlich am Hals auf Wanderschaft gehen, wie er eine brennende, unsichtbare Linie auf seinem Weg zurückließ und erschauderte unter der Berührung an meiner Kehle. Meine Atmung ging automatisch flacher, ich schluckte schwer. „Nur ein Wort?“, raunte ich, froh darüber, dass meine Stimme halbwegs fest klang und nicht kickste wie die eines Teenie-Girls bei ihrem ersten intimeren Aufeinandertreffen mit dem Typen, den sie mochte. Woher meine Unsicherheit genau stammte, müsste ich später eruieren, gerade brauchte ich aber die Bestätigung, um mir über die Fassung des begehrenden Wolfes klarer zu werden. Ich wollte nicht, dass er hier mitten im Regenwald über mich herfiel beziehungsweise mir die Kleider vom Leib riss, da ich nach langem Warten endlich einen kleinen Schritt auf ihn zugegangen war. Aber was wollte ich? Ich wusste nur, was ich nicht wollte. Nein okay, eine Halbwahrheit. Ich wollte Isaac nahe sein, aber eben nicht zu nah… ob er das verstehen würde?
Da war sie, oder? Die Grenze, die ich lieber nicht übergehen sollte. Ich wollte eigentlich nicht, dass dieses kleine Spiel hier schon zu Ende war, weil es mir unheimlich Spaß machte. Deshalb dachte ich noch einen Augenblick lang darüber nach, ob ich die Grenzen nicht wider besseren Wissens provozieren wollte. Doch ich besann mich der Vernunft, obwohl der Jäger in mir noch lange nicht genug von diesem Spielchen hatte. Es waren die Signale, die von Riccarda ausgingen, die stärkeren Einfluss auf mich ausübten. Für mich mochte dieser Anflug von Nervosität und fast stummer Angst unterhaltsam sein, aber das galt eben nur bedingt für Riccarda. Erregende Nervosität war gut, aber nicht, wenn sich dabei zu viel tatsächliche Unsicherheit einmischte. Sie tarnte es vermeintlich gut mit ihrer Stimme, aber meine Sinne verrieten mir sehr deutlich, dass die Wohlfühlgrenze des Engels ziemlich genau da lag, wo wir jetzt gerade waren. Oder zumindest gingen sie nicht weit darüber hinaus. Ihre Atmung veränderte sich, ihr Herz sprang mir in der Zwischenzeit fast an die Brust und ihre Stimme bebte unterschwellig. Selbst wenn ich mir jetzt gefahrlos noch ein paar Küsse abholen könnte, stand mir danach wenig der Sinn. Es würde mit jedem einzelnen schwerer werden, sich sorglos wieder der Wanderung zu widmen, die wir ursprünglich geplant hatten, bevor wir beschlossen hatten uns hier kurz über den Waldboden zu rollen. Ich lächelte versonnen, als ich meine Hand vom Hals des Engels nahm und mit meinem Gesicht wieder vor ihrem auftauchte. Für einen Moment lang sah ich auf ihre Lippen hinab. "Nur ein einziges.", bestätigte ich ihr noch ein weiteres Mal, was ich schon zuvor gesagt hatte. Schließlich hatten wir uns erst gestern darauf geeinigt, dass sie es mir einfach sagen oder eindeutig zeigen würde, wenn sie irgendwann so weit war. Ich meinte das ernst. Wenn mir nicht aus welchen Gründen auch immer die Sicherungen durchbrannten, würde ich auch alle Grenzen wahren, die ich noch vor dem finalen Schritt finden würde - nicht aber ohne sie beständig auszureizen. Ich schloss die Angelegenheit hier und jetzt ab, indem ich mich für einen Kuss zu Riccarda hinab beugte. Es war lediglich ein kurzes Aufeinandertreffen unserer Lippen, das allein in seiner Form schon eindeutig zeigte, dass der Nervenkitzel erstmal vorüber war. Ich verfiel nicht in Hast, als ich mich gleich nach dem Kuss von Riccarda distanzierte, ging aber zugleich nicht langsam vor. "Außer natürlich du lässt dir damit zu viel Zeit, wenn wir eigentlich keine Zeit haben.", tat ich die kurze, aber umso intensivere Annäherung mit einem milden Grinsen und einem Zwinkern ab, als ich wieder auf den Füßen stand. Ich würde mir sicherlich nur selbst schaden, wenn ich ihr die offenbar noch vorhandene Unsicherheit unnötig unter die Nase rieb, also beließ ich es bei dem kleinen Witz. Allerdings zog ich mir gleich danach dann trotzdem das Shirt über den Kopf, um eine kurze Runde schwimmen zu gehen. Ganz bewusst drehte ich mich aber noch dabei von Riccarda weg, damit sie kaum mehr als meinen Rücken zu sehen bekam. Wer mir den Stoff nicht eigenhändig ausziehen wollte, bekam eben nur die Rückansicht. Schuhe, Socken und Shorts folgten ohne Umschweife, weil ich mir das kühle Nass jetzt nicht mehr nehmen lassen wollte. Außerdem brauchte ich es vielleicht auch ein bisschen, um wieder vollständig abzukühlen und die hitzigen Gedanken zu verbannen. Die Zeit hatte ich durchaus im Hinterkopf, als ich mich ohne viel Anlauf mit einem Köpfer ins Wasser verabschiedete.
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