Es war von Anfang an sonderbar gewesen, sich mit Isaac ein Bett zu teilen. Doch ich hatte mich nach und nach daran gewöhnt, einen Gast auf der Matratze zu haben. Zwar schlief ich weder unruhig, noch mimte ich oft einen Seestern als favorisierte Schlafposition nach, aber es war eben dennoch ein Unterschied, ob man allein im Bett lag oder dieses doch zur Hälfte an jemanden abgeben musste, mit dem man eigentlich so gar nichts am Hut hatte. Dass ich dies nun nicht mehr von Isaac, meinem Ehemann, behaupten konnte, war mir durchaus bewusst und deshalb war es heute erstmals eine neues Level auf der Skala. Ich fühlte mich weder unwohl, noch hoch erfreut. Aber es störte mich auch nicht, sondern war mir irgendwie – sozusagen – recht, ihn neben mir zu wissen. Gleichgültigkeit passte dabei nicht, das Wort fühlte sich allein in meinen Gedanken nicht richtig an. Und da ich am besten Weg war, in einem Irrgarten aus analytischen Überlegungen zu versinken, schloss ich einfach die Augen und versuchte damit, auch meine übertrieben motivierten Gedanken ruhig zu stellen. Die Erfolgsquote hielt sich entsprechend gering und so war ich beinahe dankbar, als ich Isaacs Stimme doch noch unverhofft vernahm und die Lider wieder aufschlug, um mich in seine Richtung zu drehen. Erst da fiel mir auf, dass der junge Mann die Augen geschlossen hielt, was mich eigentlich auch dazu einlud, entspannt in einen dösenden Zustand zu rutschen, wäre da nicht diese simple und gleichermaßen absurde Frage gekommen. „Kuscheln?“, hakte ich sichtlich irritiert nach. Manchmal stellte ich mich ja absichtlich begriffsstutzig, um mein Gegenüber (nicht immer speziell Isaac) zu provozieren, aber in diesem Fall wusste ich beim besten Willen nicht, was der Wolf von mir wollte beziehungsweise aus welchem Grund ich das Bedürfnis haben sollte, über die imaginäre Linie auf der Matratze zu rutschen und mich in seine unmittelbare Reichweite zu begeben – zum zweiten Mal an diesem Abend! Ich glaubte nicht, dass Isaac sich irgendwelche irrationalen Hoffnungen ausrechnete, nachdem das letzte abgemachte Date so gut lief und trotzdem beschlich mich kurzfristig ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Um es zu verscheuchen, versuchte ich mich an einem schmalen Lächeln, denn naja… irgendwie amüsierte mich die Frage doch auch bis zu einem gewissen Grad. Abgesehen davon, dass ich den werten Herren vorher noch nie als Teddybär gesehen hatte, bekam ich nun das Bild nicht mehr aus meinem Kopf und noch dazu wäre mir nie in den Sinn gekommen, heute noch derart von ihm überrascht zu werden. „Kannst wohl gar nicht mehr genug von mir kriegen, hm?“, scherzte ich leicht, um ihm die Chance zu geben, mit Sarkasmus wieder aus der Sache raus zu kommen – ja, so freundlich war ich meinem Mann heute gesinnt, um ihm sogar eine harte Abweisung zu ersparen. Mir war es lieber, die Sache im Raum hängen zu lassen und mit ein wenig abendlichen Humor zu umschiffen. Warum er ausgerechnet fragen musste, blieb mir aber ein Rätsel.
Hach ja, da war er. Zwar sprach Riccarda den Korb nicht wörtlich aus, aber er war dennoch deutlich heraus zu hören und ich konnte es der jungen Frau auch gar nicht übel nehmen. War immerhin nach wie vor meine Wenigkeit, die hier neben ihr im Bett lag und ich hatte dem blonden Engel schlicht zu oft gezeigt, wie sehr mein Verhalten nicht kalkulierbar war. Es war nur zu verständlich, dass sie das Risiko nach wie vor nicht eingehen wollte. "Nenn's wie du willst.", murmelte ich müde vor mich hin, öffnete die Augen nur noch für einen kurzen Moment um sie anzusehen, bevor ich sie auch schon wieder schloss. Nicht nur, weil mir in dieser Situation gerade schlichtweg wenig nach Blickkontakt war, sondern auch weil ich ganz einfach müde war. Dementsprechend folgte auch ein leichtes Gähnen, das ich gekonnt im Kissen versteckte. So mehr oder weniger halt. Hätte sie sich tatsächlich - aus mir vermutlich ebenfalls unerfindlichen Gründen - doch für mehr Körperkontakt entschieden, wäre es vermutlich kurzzeitig mit der Müdigkeit vorbei gewesen, aber so zeichnete sich doch einfach die Länge des Abends in meinem Gesicht ab. Die hörbar irritierte Frage schien aber noch nicht Alles zu sein, was Riccarda zu dem Thema zu sagen hatte und so drangen mir noch weitere Worte ihrerseits an die sensiblen Ohren. Naja, was hieß nicht genug von ihr bekommen können in meinem Fall schon? Ich wäre wohl dankbar um jede x-beliebige halbwegs attraktive Frau, die sich freiwillig zu mir legte. Stark bevorzugt natürlich inklusive mehr als ein bisschen Kuscheln, aber bis letzteres zwischen Riccarda und mir wieder denkbar wäre - falls das überhaupt irgendwann der Fall sein konnte - würden ganz sicher noch zwei Jahrtausende vergehen. Mir in dieser Richtung Hoffnungen zu machen hatte ich schon vor einer ganzen Weile aufgegeben, führte das doch schlicht nur zu weiterer Frustration meinerseits. "Ich bin gegen deinen unbändigen Charme eben auch nicht immun, Liebling.", antwortete ich doch reichlich ironisch auf ihre vorherige Frage, schnaubte ganz leicht ins Kissen. Riccarda war überwiegend genauso charmant wie ich, wenn sie sich keine Vorteile dadurch versprach. Nämlich gar nicht. Das war so eine Sache, in der wir uns uns unglücklicherweise extrem ähnelten. Es wäre sicher wesentlich einfacher mehr zueinander zu finden, wenn zumindest eine der beiden Parteien nicht ganz so egoistisch und einfach etwas netter wäre. Sollten wir uns dahingehend jemals verändern, dann müssten auch dafür ganz sicher noch einige Jahre mehr ins Land ziehen. Es blieb also weiterhin schön schwierig und bestmöglich kompliziert.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich nannte es auch, wie ich wollte – ihm zuliebe. Dass ich dafür nun keine Ausbrüche der Dankbarkeit erwarten durfte, wusste ich auch, weshalb ich von dem ebenso berechenbaren Schnauben absah, sondern nur hinter den geschlossenen Lider die Augen theatralisch rollte. Ich machte mir immerhin nichts mehr vor beziehungsweise wusste, womit ich in etwa zu rechnen hatte. Ob ich nun wollte oder nicht, aber mittlerweile durfte auch ich behaupten, mich an Isaac so halbwegs gewöhnt zu haben und demnach auch gewisse Eigenheiten richtig zu deuten, ohne mich dabei provoziert zu fühlen. Daher schrieb ich das Brummen eher einer müden Gleichgültigkeit als einem beabsichtigten Ärgern zu. Ja, das tat meinem Gemüt durchaus gut und sorgte auch dafür, dass meine Gedanken nun nicht in irgendwelchen Schimpftiraden endete; die ohnehin zu nichts führten. Eigentlich hatte ich gerade auch kein Bedürfnis danach, mich zu streiten. Ich wollte nur meine Ruhe und freute mich über das kuschelige Bett mit den fluffigen Polstern unter meinem Kopf. Trotzdem bedarf es einer ganzen Weile, in der ich mich hin und her bewegte, um die optimale Position zu finden. Da ich mich noch immer nicht ganz so wohl mit Isaac im Rücken fühlte, entschied ich mich auch heute dafür, ihm das Gesicht zuzuwenden und dafür die im Vergleich nur weniger unbehagliche Tatsache in Kauf zu nehmen, dadurch den Raum im Rücken zu haben. Beides keine schönen Optionen, aber von einem leeren Zimmer hatte ich weniger zu erwarten, als von einem launischen Wolf unter der Decke. So kam es aber auch, dass mein ach so liebenswürdiger Mann ein amüsiertes Grinsen sehen würde, hätte er noch die Augen offen. „Endlich hast du es eingesehen“, erwiderte ich nur leise, denn ich konnte so viel Sarkasmus in einem einzigen Satz leider nicht unkommentiert lassen, auch wenn ich damit womöglich einen Stein ins Rollen brachte. Weit würde er jedoch nicht mehr kullern, denn die Müdigkeit zerrte immer weiter hinab in die Dunkelheit eines friedvollen Schlafes, den ich auch herbeisehnte. Der Tag war lang gewesen und mein Unterbewusstsein hatte mehr als genug Stoff zum Aufarbeiten bekommen. Siehe da: Isaac bekam noch ein „Gute Nacht“ zu hören, ehe ich mich dann doch auf die andere Seite drehte, denn heute hätte ich sicherlich nichts mehr zu befürchten und genau aus dem Grund, schlummerte ich dann sehr schnell weg und erwachte am nächsten Morgen auch erst, als die Sonne bereits zum Fenster hereinschien, da wir so klug gewesen waren und ganz auf die Vorhänge vergessen hatte. So kitzelte mich das Licht und trieb mich schlussendlich aus dem Bett, wo ich Isaac leise schnarchend zurückließ und mir erstmal eine ausgiebige Dusche gönnte, ehe ich den Kühlschrank plünderte und meinem Verlangen nach Omelette nachgab. Ich war in guter Laune, weshalb ich sogar Speck anbriet und Paprika, sowie Tomaten klein schnitt, um sie ebenfalls dazuzugeben. Lediglich an der frischen Petersilie mangelte es, doch alles durfte man in einem Hotel auch nicht verlangen und ohnehin: der Service von Lebensmitteln war echt praktisch. Das ließ ich mir gerne gefallen. Während ich also mit dem Zubereiten, denn kochen konnte ich das schlichtweg nicht nennen, beschäftigt war, rief ich gleichzeitig beim Zimmerservice an und bestellte Gepäck, das auch keine fünf Minuten auf sich warten ließ – als würde jemand darauf lauern, um Bestellung schnellstmöglich entgegen zu nehmen und auszuführen. Mir gefiel das, weshalb meine ungetrübte Stimmung auch noch dann anhielt, als ich hörte, dass sich der Wolf nebenan aus dem Bett gehievt hatte und ins Bad getrottet war. Es war ausreichend Omelette da, weil ich die Menge immer so schlecht einschätzen konnte, weshalb sich Isaac gerne zu mir gesellen konnte, sofern er wollte. Warten tat ich nur nicht, sondern lungerte mich mit meiner Portion und einem Glas Orangensaft raus auf den relativ geräumigen Balkon, die Tür ließ ich offen - lüften schadete sicherlich nicht.
Ich beschloss schon während ich den Ansatz Riccardas letzter Worte zu dem Thema hörte, Nichts mehr dazu zu sagen. Erstens war ich ganz einfach zu müde dazu, mich jetzt noch einer Diskussion in dieser Richtung hingeben zu wollen und zweitens hatte ich auch nicht vor, den Abend auf unschöne Weise zu Ende zu bringen. Das wollte ich weder für mich selbst und meine heutige Errungenschaft, noch für den blonden Engel hier neben mir im Bett. Die zierliche junge Frau hatte sicher auch so schon genug Eindrücke zu verarbeiten. Ich tat mir da sicher weit leichter und es sei ihr vergönnt, dass sie heute das letzte Wort bei dieser Sache haben würde. Deshalb erwiderte ich lediglich noch die ins Kissen gemurmelten Worte "Schlaf gut.", bevor ich geistig abzuschalten und einzuschlafen versuchte. Der Engel schaffte es trotzdem noch vor mir wegzudämmern, bevor ich meinen Kopf leer genug geräumt hatte, um ebenfalls in einen wie immer recht tiefen Schlaf zu fallen. Der Spitzenprädator in mir, der in der Nahrungskette extrem weit oben stand, sagte meinem Unterbewusstsein nämlich immer sehr deutlich, dass ich mich vor Nichts zu fürchten brauchte und dementsprechend unbeschwert schlummerte ich auch in dieser Nacht vor mich hin. Als mein Körper dann der Meinung war, dass ich genug geschlafen hatte, öffnete ich wie so oft leise vor mich hin grummelnd die Augen. Auch heute wurde mir wieder einmal bewusst, wie sehr ich kein Morgenmensch war und ich brauchte ein paar Minuten dazu, bis ich mich dazu aufgerafft hatte mit Klamotten unter dem rechten Arm ins Badezimmer zu schlurfen. Ganz bewusst duschte ich relativ kalt, um etwas wacher zu werden. Deutlich zivilisierter aussehend verließ ich das Bad nach ein paar Minuten wieder, um mich auf den Weg in die kleine, offene Küche zu machen. Zugegeben tat sich leichte Skepsis bei mir auf, als ich den Speck roch noch bevor ich beim Essen angekommen war. Normalerweise kümmerte ich mich um den fleischigen Zusatz in den letzten Tagen selber, beziehungsweise verdonnerte das Personal dazu, wenn mich die Ex-Prinzlichen-Launen wieder trafen. Entweder hatte Riccarda heute gute Laune oder aber sie hatte nach der Bitte, sie zu ihren Verwandten zu begleiten, noch ein weiteres Attentat auf meine Person vor, für das sie bereits im Voraus eine gute Ebene schaffen wollte. Es war wohl kaum ein Geheimnis für sie, dass ich mit Fleisch zum Frühstück unweigerlich besser in den Tag startete als ohne. Ich hatte zwar nicht unbedingt den strikten Drang dazu, unbedingt mit dem Engel gemeinsam frühstücken zu müssen, aber ich war neugierig. Also schnappte ich mir einen Teller, nachdem ich die vollautomatische Kaffeemaschine bedient hatte, belud ihn mit dem gut riechenden Omelette und einem Gebäckstück und konnte mir dann auch schon den fertigen Kaffee nehmen, um nach draußen zu Riccarda zu gehen. "Morgen.", begrüßte ich das Blondchen schon während ich durch die Balkonür ging, bevor ich mich ihr gegenüber an dem nicht allzu großen Tisch niederließ. Ich nahm erst einen Schluck von dem noch ziemlich heißen Kaffee, bevor ich die schlanke Blondine für meine nächsten Worte einen Moment lang ansah. "Womit hab' ich den Speck verdient? Muss ich Angst haben?", fragte ich sie, bevor ich mir ein Stück vom Gebäck abbrach, um es mir zwischen die Kiemen zu schieben. Während Letzterem schweifte mein Blick über den Rand des Balkons, um die Aussicht einen kurzen Moment zu genießen. Penthouse hatte schon was für sich.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Manchmal genoss ich einfach nur die Stille eines neu erwachenden Tages, wobei das Schweigen im Grunde eine sehr subjektive Empfindung war. Vögel zwitscherten sich die Seele aus dem Leib, während der Wind durch die umstehenden Bäume fuhr und die Blätter zum Rascheln brachte. Meine Sinne waren gewiss nicht so fein, wie die meines Anvertrauten, doch selbst ich vermochte die freundliche Wärme der zum Zenit wandernden Sonne überaus präsent auf der Haut zu verspüren oder den Duft der Blumen des fein säuberlich angelegten Parks rund um das preiswerte Hotel zu riechen; abgesehen von dem Geruch frischen Gebäcks und Specks. Wohlgemerkt widerte mich Fleisch nicht an, ich vertrat schlichtweg eine andere Ethik, infolgedessen es für mich nicht in Frage kam, doch Isaac durfte sich gerne daran gütig tun. Verbieten konnte und wollte ich es ihm nicht. Dennoch war es meiner überaus guten Laune und dem schönen Morgen zu verdanken, dass der werte Wolf sich nicht selbst um den eisenhaltigen Zusatz im Ei kümmern musste; wahrscheinlich war es sogar nur fair, wenn ich mich ebenfalls darum kümmerte, ihm hier und da einen Schritt entgegen zu kommen. Außerdem hatte ich im Laufe der Jahre gelernt, dass man öfter mit hübschen Überraschungen konfrontiert wurde, sofern die Personen wusste, eventuell etwas im Gegenzug zu erhalten. Mal schauen, ob Isaac ebenfalls in diese Kategorie fiel. Lang ließ der Dunkelhaarige ohnehin nicht auf sich warten. Gerade, als ich beinahe mit meinem Frühstück fertig war, stieß er zu mir an auf den Balkon und nahm ebenfalls auf dem Tischlein Platz. Eine Situation, die es vor wenigen Monaten so noch nicht einmal in Gedanken möglich gewesen wäre. Ich schenkte ihm ein schmales Lächeln. „Gut geschlafen?“, erkundigte ich mich aus Gewohnheit – nicht im Bezug auf meinen Mann, sondern aus Erinnerungen an die Morgen mit meiner Familie. Die bereits angehobenen Mundwinkel verzogen sich weiter zu einem belustigten Grinsen, während ich den Kopf nachdenklich schief legte und mir mit einem Zeigefinger ans Kinn tippte. „Gute Frage, aber nein… ich denke, heute brauchst du ausnahmsweise mal keine Angst haben“, versicherte ich ihm enthusiastisch und führte das Glas Orangensaft wieder an meine Lippen, um bedächtig einen Schluck daraus zu nehmen. „Hin und wieder bin ich auch eine recht aufmerksame und freundliche Persönlichkeit“, scherzte ich achselzuckend. Zufrieden streckte ich die Beine von mir, ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen und die Seele baumeln. „Steht heute irgendeine Verpflichtung auf der Agenda?“, wollte ich von Isaac wissen. Meine Eltern quengelten immer häufiger, dass ich mich nicht einfach in ein Kabuff verziehen konnte, um dort die prekäre Lage in Ruhe abseits vom Trubel abzusitzen. Sie verstanden es schlichtweg nicht, weshalb ich mich wohl früher oder später noch darum kümmern müsste und für ein bisschen mehr Nachsicht sorgen.
Gut geschlafen hatte ich, ja. Wie fast jede Nacht so gut, dass ich mich am Morgen ungern wieder aus den Laken erhob. Das war wohl eines der Übel, die man als reiche Person mit viel zu bequemen Luxusbetten zu ertragen hatte. Ohne eine Dusche war es schwer, überhaupt erst richtig wach zu werden, wollte man sich doch am liebsten lieber wieder unter die Bettdecke verziehen. "Ja, schon... bequeme Betten haben ihre Vorteile. Und du?", stellte ich ihr anstandshalber die entsprechende Gegenfrage, kurz bevor sich mein Mund mit dem nächsten Bissen füllte. Noch während dem Kauen fing ich leicht zu grinsen an, als Riccarda kurz darauf beteuerte, dass ich heute wohl Nichts weiter zu befürchten haben würde und sie keinerlei Attentate plante. Mir dann doch tatsächlich sagte, dass sie auch Sowas wie eine aufmerksame und nette Persönlichkeit hatte. Es sollte mich wohl nicht wundern, dass sie diesen Charakterzug mir gegenüber sonst nur selten zeigte... aber ich könnte mich sicher daran gewöhnen, wenn das in Zukunft öfter vorkommen sollte. Es war nicht so, dass ich es von dem Engel erwartete oder für eine gesunde Beziehung zwischen uns beiden voraussetzte, aber es wäre sicher angenehm, wenn sie mir hin und wieder ein wenig entgegen kam. Kleine Gesten wie diese hier reichten vielleicht aus, um mich weiterhin dazu zu animieren unser verkorkstes Verhältnis zu reparieren. Dass ich allgemein nur schwer bei Laune zu halten war, war immerhin kein großes Geheimnis. Ein kleines bisschen nachzuhelfen, beispielsweise mit Speck am Morgen oder Mittag, war kein schlechter Anfang dafür. "Da kann ich mich wohl glücklich schätzen.", stellte ich nach dem Runterschlucken fest und nahm dann einen Schluck vom Kaffee, bevor ich den nächsten Worten des blonden Engels mein Gehör schenkte. Nein, wirklich richtige Pläne hatte ich für den heutigen Tag tatsächlich nicht gemacht. Einfach deshalb, weil ich ja keine Ahnung gehabt hatte, wie weit die letzte Nacht sich hinziehen und wann ich oder wir demnach aufstehen würden. Außerdem hätte es auch sein können, dass der Abend in die Hose ging und ich danach ohnehin Alles über den Haufen geworfen hätte. Also keine Pläne, bis auf eine winzige Kleinigkeit. "Ich muss wohl irgendwann im Laufe des Tages entweder nochmal selbst den Hügel rauf und das Monstrum von Sofa wegschaffen... oder zumindest einen Anruf tätigen, damit das jemand Anderes erledigt. Aber ansonsten... Nichts, nein.", stellte ich also mit einem entspannten Schulterzucken fest, bevor ich etwas von dem Omelette auf die Gabel nahm und aß. Nachdem ich auch das wieder erfolgreich in meinen Magen hatte wandern lassen, richtete ich noch ein paar letzte Worte an meine Ehefrau. "Wieso? Schwebt dir was vor?", hakte ich nach, weil es ja durchaus möglich war, dass sie mir diese Frage nicht einfach aus Neugier, sondern aus einer anderen Intention heraus stellte. Ich wusste nicht, was im Elternhaus der jungen Frau vor sich ging und war gerade auch eigentlich sehr froh darum, weil ich für den Moment mit den Gedanken an ihren Exfreund abgeschlossen hatte. In jedem Fall war ich wohl mehr oder weniger offen für Vorschläge, sofern sie letzteren nicht unbedingt mit einbezogen... nur, weil Riccarda und ich uns letzte Nacht ein wenig näher gekommen waren hieß das nicht, dass er mir nicht noch immer ein Dorn im Auge war. Er hatte schlicht eine noch viel zu deutlich erkennbare Wirkung auf sie und das stank bis zum Himmel. Ich würde ihn vermutlich aus fünf oder mehr Kilometern Entfernung riechen können, wenn ich es nur darauf anlegte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Eigentlich zählte der Smalltalk zu jenen Aspekten der gehobeneren Gesellschaft, die mich regelrecht zum Augenrollen brachte und doch genoss ich das sinnfreie Geplänkel zwischen Isaac und mir in diesem Moment; obwohl es nur darum ging, ob der jeweils andere eine angenehme Nacht erlebt hatte, war es durchaus ein weiterer Schritt zu einem halbwegs annehmbaren Miteinander für die Zukunft. Ich für meinen Teil hielt es jedenfalls so und überging deshalb auch die Eventualität, dass mein Ehemann sich lediglich dem guten Schein wegen verpflichtet fühlte, mir die Gegenfrage zu stellen, auf die ich ohnehin nur mit den Schultern zuckte. „Ich schlafe eigentlich meistens gut“, erklärte ich ihm deshalb mit einem zarten Lächeln auf den Lippen. Was ich jedoch für mich behielt: mit einer atmenden Heizung nebenan schlief es sich tatsächlich ziemlich angenehm. Isaac sorgte stets dafür, dass ich keine Frostbeulen zu erleiden hatte und zudem fühlte ich mich – wenngleich nicht sicher, wie in meinem eigenen Heim – doch mittlerweile geborgen genug, um nicht alle paar Stunden aufzuwachen und den Drang zu verspüren, meinen Körper nach Prellungen und Kratzern zu untersuchen. Diese Angst hatte ich ablegen können und konzentrierte mich stattdessen auf die Vorzuge, das Bett mit einem Raubtier zu teilen. Wahrscheinlich führten all diese kleine Zugeständnisse und Einsichten dazu, dass ich besser und vor allem ruhiger schlief, demnach erholter erwachte und einen schönen Start in den Tag erleben durfte, was mich wiederum dazu motivierte, auch die im Grunde gern von mir ausgelebte Freundlichkeit an die Oberfläche zu lassen; bisschen Frischluft schnuppern und so. Warum also nicht Isaac für seine Bemühungen belohnen und ihm ebenfalls ein Stück vom Kuchen abgeben. Beziehungen waren nun tatsächlich keine Einbahn, noch dazu frustrierte es vor allem den hitzigen Wolf sicherlich, Energie und Zeit in das Kitten des Verhältnisses zu stecken, aber nichts zurück zu bekommen. Geben und nehmen, wie es so schön hieß. Da ich auch nicht wusste, was ich seiner Glückbekundung noch hinzufügen sollte, grinste ich ihn einfach nur ein wenig über den Glasrand hinweg an, bevor ich einen Schluck von der köstlichen Flüssigkeit nahm und mich dann primär wieder meinem Frühstück widmete, dem ein Obstsalat folgte. Mein Mann bevorzugte Fleisch und Fleisch… und Fleisch, zumindest hatte ich das bisher mitbekommen und so ging ich schlichtergreifend davon aus, dass er kein Interesse an meinen Ananasstücken oder Pfirsichscheiben haben würde, die ich neben den anderen aufgeschnittenen Früchten in der kleinen Schale zurechtgeschnitten hatte und nun einzeln auf die Gabel aufspießte und hinter meinen Lippen verschwinden ließ. „Brauchst du dabei meine Hilfe?“, erkundigte ich mich, die Aufmerksamkeit in Person, auch wenn ich spontan nicht wüsste, wie ich bei dem Entfernen eines schweren Möbelstückes auch nur irgendwie als Unterstützung fungieren könnte. Wahrscheinlich würde ich sogar nur im Weg herumstehen, was ich mir eigentlich auch ersparen konnte. „Eigentlich nicht. Ich hatte nur gehofft, eine Ausrede für meine Eltern zu haben, um sie nicht besuchen kommen zu müssen“, gab ich ehrlich zu und hing ein leises Seufzen hinten dran. Obwohl meine familiäre Situation weitaus weniger prekär im Vergleich zu Isaacs war, so hieß dies leider längst nicht, dass es so viel einfacher war. Meine Bereitschaft, auf gestresste Elternteile zu treffen, hielt sich verdächtig gering und so nahm ich eigentlich jegliche Möglichkeit, den Besuch weiter hinauszögern zu können, dankend entgegen.
Tat sie das? Wenn es wirklich so war, dass Riccarda seelenruhig - oder zumindest Irgendwas in dieser Richtung - neben mir durchschlafen konnte, dann war das eindeutig etwas Gutes. Wir teilten nun zwar schon eine Weile lang wieder das gleiche Bett und vermutlich wäre ich ziemlich beleidigt, wenn sie mir dieses Recht plötzlich nicht mehr zusprechen würde, aber das hieß ja noch nicht zwangsweise, dass die Blondine sich damit auch wohlfühlte. Wenn dem aber wirklich so war, dann freute mich das. Der Engel war damit zwar nach wie vor noch ein großes Stück davon entfernt, mit freiwillig auf den Schoß zu hüpfen, aber wenigstens schon näher dran als vorher. "Das ist schön.", stellte ich also wahrheitsgemäß mit einem kaum merklichen, unbewussten Lächeln fest, kurz bevor ich einen weiteren Bissen voll speckigem Omelette genoss. Kurz darauf erläuterte Riccarda mir dann, dass sie eigentlich gar keine konkrete Absicht mit dieser Frage gehabt hatte, außer irgendwie um ein Aufeinandertreffen mit ihren Eltern herum zu kommen. Tatsächlich ließ mich das ein wenig grinsen, kaum hatte ich das letzte bisschen Frühstück meinen Rachen hinunter wandern lassen. Ich wusste eben leider zu gut wie die Situation war, in der sie sich befand. Zwar unter noch viel extremeren Umständen, wartete auf sie doch nicht wie früher auf mich eine Tracht Prügel oder hartes Training in welcher Form auch immer, aber so ansatzweise war es eben doch das Gleiche - sie wollte gerade genauso wenig nach Hause, wie ich das wollte. Also auch mal ganz davon abgesehen, dass mein Vater ganz sicher versuchen würde, mir das Licht auszuknipsen, wenn ich auch nur den Versuch wagte. Er hatte inzwischen mehr als tausend Gründe dazu. Ich sagte im Gegensatz zum Rest des Rudels - das ja gar nicht mehr auch meines war, streng genommen - eben was ich dachte und war mit seiner gesamten Existenz nicht einverstanden. Wenn er mich also nicht umbrachte, dann umgekehrt. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wenn ich die Gelegenheit dazu bekam, würde ich sie ohne zu zögern nutzen. "Ich glaubte nicht, dass du mit deinen dünnen Ärmchen eine große Hilfe bist... aber Danke.", winkte ich dahingehend also ein wenig ironisch ab. Vielleicht war Riccarda nicht so schwach wie eine gewöhnlich menschliche Frau, aber stark eben trotzdem nicht. Außerdem wusste ich selbst noch nicht einmal, ob ich Lust dazu hatte, mir das schwere Möbelstück anzutun. Nett war das vielleicht nicht, aber es gab eben immer ein paar menschliche Deppen, die liebend gerne für einen Garcia - welchen auch immer, ganz egal - im Dreieck sprangen und die Drecksarbeit erledigten. "Wir müssen ja noch nicht unbedingt zurück...", wenn sie zurück ging, tat ich das nämlich zwangsweise auch. Woanders hin konnte ich nicht und mir stand auch nicht der Sinn danach für ein paar Tage allein durch die Straßen oder den Wald zu ziehen. Ich brauchte jedoch kaum noch zu erwähnen, dass ich auf ihren Ex genauso wenig Lust hatte, die Auswahl dahingehend war also scheiße. Sie mit ihm im selben Haus allein zu lassen kam irgendwie auch gar nicht in Frage. "...wenn uns eine gute Ausrede einfällt.", meinte ich nur mit einem Schulterzucken und schob dann den leeren Teller ein Stück von mir weg, um stattdessen die Kaffeetasse in meinen beiden Händen direkt vor mir auf dem Tisch abzustellen, nachdem ich einen Schluck daraus genommen hatte. Notlügen waren ja vollkommen legitim, solange man damit Niemanden zu Schaden kommen ließ. Die Eltern des Engels würden wohl kaum daran sterben, sie noch einen Tag länger nicht zu sehen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Natürlich hatte ich mich nicht ewig vor meiner Verwandtschaft, insbesondere dem elterlichen Teil verstecken können und so sah ich mich über kurz oder lang doch gezwungen, aktiv bei der Wiedererbauung des überdimensionalen Palastes beizuwohnen. Sehr zum Missfallen Isaacs, da nun auch Jago bedeutend öfter in meiner unmittelbaren Umgebung herumwuselte – Absicht oder nicht, es versüßte meinem anscheinend doch mir gegenüber territorial gewordenen Zwangsehemann nicht unbedingt die Laune, was ich dann am Ende des Tages auszubaden hatte. Mir kam der Kurzurlaub bei meinen entfernt lebenden Verwandten gerade recht, denn so lenkte ich den aufgebrachten Wolf schon sehr bald auf die Reisevorbereitungen und überhäufte ihn mit Aufgaben, die er entweder mit murrenden Augenrollen annahm oder einen seiner kreativen Kommentare voller Spott oder Sarkasmus fallen ließ, jedoch war am Tag der Abreise jeder Punkt auf meiner imaginären Liste abgearbeitet worden, weshalb ich darauf schloss, dass der werte Herr doch sehr dankbar für mein eingefädeltes Ablenkungsprogramm war; was selbstredend nie existiert hatte, sollte sich jemand danach erkundigen! Jedenfalls entspannte sich mein Angetrauter, sobald wir im Flieger in den karibischen Sommer unterwegs waren, somit rivalisierende Familien, unfertige Gebäude und verdächtig oft auftauchende Exfreunde meilenweit weg ihr Leben fristeten und in den Tag hineinlebten. Isaac und ich würden uns bald schon die Sonne auf den Bauch scheinen lassen – also der Dunkelhaarige zumindest, ich selbst zählte mich nicht zu den Sonnenanbetern, da ich nur allzu leicht mit einem gehörigen Sonnenbrand davon kam und auf den Teint verzichtete ich nun doch lieber. Abgesehen davon haderte ich mit gemischten Gefühlen: zwar kam ich endlich aus dem Chaos daheim weg, aber mein Onkel verstand es sich wie ein Meister darauf, Unordnung in jedermanns Alltag zu bringen, sodass eine adäquate Planung vollkommen sinnlos wurde. Wahrscheinlich vertrugen Isaac und er sich prächtig – ich sah das Problem weniger in meinem Onkel, denn eine kleine Kleinigkeit gab es dann ja doch noch, die ich meinem Liebsten verschwiegen hatte. Wie versprochen holte uns mein Verwandter an und spätestens, als ich zu einem dunkelhaarigen, sonnengebräunten, mit leichtem Bierbäuchlein ausgestatteten Casanova marschierte, der mich sogleich überschwänglich zwischen seinen Armen und besagtem Bauch zerquetschen wollte, müsste es auch Isaac auffallen: Onkel Harry ist ein Mensch. Keine Fähigkeit, keine Flügel, keine blonden Locken. Stinknormal und… Harry halt. „Hey“, quetschte ich nach Atem ringend an seiner Brust hervor und drückte mich sacht weg, aber wirklich entlassen wurde ich erst, als der Mann nun über mein Mitbringsel in Form eines skeptischen Ehemannes herfiel. „Harald Lee Lloyd, aber nenn mich einfach Harry. Isaac, stimmts? Goldlöckchen Nummero Tres hat mich schon über das Dringlichste unterrichtet“, damit deutete er bei dem absolut schmeichelhaften Kosenamen auf mich und klopfte dem jüngeren Dunkelhaarigen erfreut auf die Schulter. „Aber wo lass ich meine Manieren? Meine Frau, Evangelina“, stellte er nun die blonde, zierliche Frau mit dem fein gezeichneten Gesicht vor, die mich ebenfalls sogleich in eine weitaus weniger emotionale Umarmung schloss und Isaac bevorzugt die Hand reichte – die distanzierte Höflichkeit eines Engels gegenüber Werwölfen. Aber man musste sie mögen… immerhin hatte sie Harry geheiratet und war für ihn daheim mehr oder weniger in Ungnade gefallen. "Hattet ihr einen guten Flug? Bestimmt grummelt euch der Magen", quasselte mein Onkel in einer Tour weiter, spannte Isaac dabei vollkommne für sich ein, während wir samt Gepäck den Flughafen verließen und in einen offenen Jeep stiegen, nachdem alles bestmöglich verstaut worden war. Auf gings... juhu.
Zeitweise fragte ich mich wirklich, für wen die Umstände im Schloss wirklich am schlimmsten waren. Ich hatte nämlich wirklich kaum Zweifel daran, dass die Sippschaft von Engeln richtig wenig Spaß an meiner momentan fast permanent gereizten Laune hatten. Es war vollkommen egal, ob mir innerlich vielleicht bewusst war, dass ich kaum sowas wie Anspruch darauf hatte offiziell zu wünschen, dass Riccarda sich von dem Ekelpaket von Ex-Freund fernhielt. In mancher Hinsicht war das auch einfach nicht möglich, wenn ihre Meinung gefragt war oder dergleichen. Nach ein paar Tagen ging es mir selbst sogar auch schon auf die Nerven, wie häufig ich daran dachte den unliebsamen neuen Stammgast des Hauses des Nachts einfach bis nach Timbuktu zu verschleppen und dort in einer Grube langsam aber sicher verhungern zu lassen. Favorisiert blieb aber die Version, bei der ich ihm jeden Tag noch zusätzlich eins seiner Gliedmaßen abhanden kommen ließ. Selbst die kleinen To-Do-Listen, die mir der blonde Engel von Zeit zu Zeit auferlegte, schafften es nie wirklich lange meine Aufmerksamkeit voll abzulenken und es dauerte meist nur wenige Minuten, bis ich wieder zum Ursprung allen Übels zurück kam, auch wenn ich wenigstens körperlich weiter beschäftigt blieb. Dabei war mir eigentlich schleierhaft, warum ich scheinbar ernsthaft eifersüchtig war. Er hatte doch Nichts, was ich nicht hatte... außer einer deutlich menschlicheren Seele vielleicht und ob die so gut war, wie er vorgab, da war ich mir auch nicht so sicher. Früher hatte ich selbst keinesfalls darauf geachtet, ob das weibliche Objekt meiner Begierde vielleicht einen Freund haben könnte, der über einen auswärtigen One Night Stand von ihr nicht begeistert wäre, aber es war Jago ganz dringend anzuraten, es mir dahingehend nicht gleich zu tun. Jetzt stand ich nun mal auf der anderen Seite, auch wenn wir kein richtiges Liebespaar sein mochten. Machte in diesem Fall keinen Unterschied, wenn er sein Leben behalten wollte. Er fasste sie schon jetzt eindeutig viel zu oft vermeintlich unauffällig oder flüchtig an und brauchte nicht zu glauben, dass mir das entging. Weder meinen Augen, noch meinem feinen Geruchssinn, wenn ich dabei nicht anwesend gewesen war. Der Urlaub, zu dem ich mich schon eine Weile vorher von meiner Angetrauten im Hotel hatte überreden lassen, kam dementsprechend wie gerufen. Die Luft im Palast der Engel wurde täglich dünner und ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob das noch lange gut gegangen wäre, haderte ich doch nicht selten mit meiner Beherrschung. Also hieß es ab in den Flieger und in südlichere Gefilde, was Alles absolut problemlos verließ. Auch meine sich die letzte Zeit über immer weiter angespannten Muskeln schienen langsam ein wenig Entspannung zu finden, genauso wie mein Dickschädel selbst. Die Begrüßung von einem mir bisher unbekannten Teil von Riccardas Familie fiel auf Anhieb sehr unerwartet aus. Nachdem meine Frau - ja, ganz recht, meine - erst einmal halb in einer Umarmung erstickt worden war ging der sehr entspannt und locker wirkende Kerl gleich zu mir über. Ich konnte deutlich riechen, dass er kein Engel war, auch davon abgesehen, dass er sich ganz anders als die meisten Flattermänner verhielt. Ich selbst war zwar alles in allem noch kürzer angebunden als Harry, wie er sich kurzerhand vorstellte, und erwiderte die ganze Begrüßung noch mit ein wenig Zurückhaltung, aber er war mir dennoch schon auf Anhieb sympathischer als so ziemlich jeder sonst in der Familie. "Hi... ja, Isaac.", bestätigte ich ihn noch ein wenig überrumpelt in seiner Annahme und reichte kurz darauf auch seiner Frau - eindeutig Engel durch und durch - die Hand. Schob noch ein "Freut mich euch kennen zu lernen.", hinten an, weil ich mir zwangsweise zumindest ein paar wenige Manieren angeeignet hatte, seit ich bei den Engeln hauste. Der braun gebrannte Mann redete auch ohne große Umschweife weiter und spätestens mit dem Essen hatte er mich wohl in der Tasche. "Der Flug war problemlos... und ich bin im Prinzip fast chronisch hungrig, Essen klingt super.", klinkte ich mich dahingehend nur zu gern in die Konversation ein, weil mir eben wirklich der Magen knurrte. Nachdem ich ja schon wusste, dass strenger Vegetarismus oder gar Veganismus hier nicht vorhanden war, war das gleich doppelt nach meinem Geschmack. Das tropische Klima hingegen war im ersten Moment noch ein wenig ungewohnt, aber ich genoss die Sonne schon jetzt während der Fahrt zum Ort der Bestimmung. Auch, wenn der genannte Himmelskörper streng genommen überall der gleiche war, fühlte sich die Sonne hier einfach besser an als in der Heimat.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Eigentlich stand ich vollkommen hinter meiner Entscheidung, die Flucht zu ergreifen, obwohl ich definitiv nicht zu jenem Typus Charakter zählte, der einfach so den Rückwärtsgang einlegte, um einer Auseinandersetzung zu entkommen. Ich startete da gerne mitten in eine Konfrontation hinein und weder meine Eltern noch diverse Freundschaften oder Beziehungen waren von dieser wenig lieblichen Eigenschaft verschont worden. Selbst Isaac konnte ein Lied davon singen und war nun ebenfalls Leidtragender in der erzwungenen Romanze, da er ebenso wenig Dinge auf sich sitzen lassen konnte, wie ich. Mir war zudem bewusst geworden, dass ich weitaus versöhnlicher ihm gegenüber geworden war, seitdem ich tatsächlich tief in meinem abgelegensten Bewusstsein verinnerlicht hatte, einen sturen Esel an die Seite gebunden bekommen zu haben. Irgendwer musste da manchmal einen Schritt zurücktreten und in dem Fall, um eine Eskalation im ganz großen Stil zu vermeiden, wählte ich eben als Ausweg die Vermeidungstaktik. Was auch immer meinen Ehemann an Jago so sehr auf die Palme brachte, ich konnte wirklich nur raten, immerhin hatten wir beiden eine Vergangenheit, die des Wolfes sogar noch schillernder als meine, weshalb ich lediglich auf die Territorialität seiner animalischen Seite oder purer, menschlicher Eifersucht, weil ich für Jacob tatsächlich mal reale Gefühle im Herzen getragen hatte und womöglich immer noch zu einem minimalen Anteil mit mir herumschleppte, schließlich war die Hochzeit damals das endgültige Aus für die reparaturbedürftige Langzeitbeziehung zwischen uns gewesen. Die zwei Möglichkeiten gab es und ehe ich mir dessen nicht sicherer war, mit welchen Teil Isaacs ich es zu tun hatte, hielt ich die beiden Herren auf Abstand zueinander. Das hieß dann eben auch, dass ich als Hauttyp Weizenmehl in der tropischen Hölle schmoren durfte. Die hohe Luftfeuchtigkeit außerhalb des Flughafenterminals war erschlagend und der nächste Hieb kam beim Verlassen des Autos, nachdem wir ein großzügig eingezäuntes Grundstück befahren und vor dem großen, im viktorianischen Herrenhaus-Stil erbauten Gebäude hielten. „Fühlt euch wie zuhause“, flötete meine Tante, wobei sie immer wieder ein paar unbehagliche Blicke in geglaubt unbemerkten Momenten zu Isaac wandern ließ, so verübelte ich ihr das zurückhaltende Verhalten vorerst nicht. Man musste mit der anderen Spezies erst warm werden und soweit ich das in Erinnerung trug, war Eve noch nie ein verschriebener Fan der wandelbaren Fellnasen gewesen; noch ein Grund, um ins Exil zu flüchten. Tja, niemand wurde hier verschont. „Harry zeigt euch kurz alles, während ich schon mal schaue, wie weit das Essen ist“, verabschiedete sich meine Blutverwandte daraufhin mit einem schnellen Kuss auf die Wange ihres Gatten, der sogleich in die Hände klatschte und uns eine überaus ausführliche Exkursion durch das Anwesen ermöglichte, wobei er am Ende mit einer kleinen Überraschung lockte, die er uns aber erst nach dem Essen verraten wollte. Also mich hatte er damit am Haken… und hungrig war ich ebenfalls schon. Ich kannte das Haus, den tropischen Garten und die schattige Veranda, weshalb all die Führungen wohl speziell an Isaac gerichtet waren und ich das brav mitmarschierende Anhängsel darstellte, doch irgendwann war es mir schlussendlich vergönnt, an einem reichlich gedeckten Tisch unter großen Palmenblättern und bunten Segeltüchern Platz zu nehmen. „Wir wussten nicht, was du gerne isst, weshalb wir sämtliche Nationalitäten zu Tisch gebeten haben. Fusionsküche sozusagen“, freute sich Harry sichtlich, rieb sich dabei grinsend über das Bäuchlein und wünschte sogleich einen guten Appetit. Der Mann verstand es sich darauf, eine angenehme Atmosphäre um sich herum aufzubauen, weshalb es wohl ein Leichtes für ihn war, Isaac in ein mehr oder weniger flüssiges Gespräch zu verwickeln, in das er auch Evangelina und mich immer wieder mit Seitenfragen oder Anekdote einflocht. Man musste ihn halt doch einfach irgendwie ins Herz schließen. Primär interessierte mich aber noch immer das kleine Geheimnis, dessen Inhalt mir weiterhin verborgen blieb und ich ein wenig auf das Schlimmste spekulierte. Harry war für seine exzentrischen Züge in der Familie berüchtigt.
Kaum waren wir im Haus angekommen streifte mein Blick wohl nur für den Bruchteil einer Sekunde noch den von Riccardas engelischer Verwandten, bevor eine recht ausführliche Tour durch das Anwesen der Familie folgen sollte, wogegen ich nichts einzuwenden hatte. Zwar war der Flug ein wenig nervig und anstrengend gewesen - wobei ein immer mal wieder schreiendes Kind der Hauptauslöser dafür gewesen war -, aber wenn als Belohnung für den Rundgang ein gedeckter Tisch anfiel, dann war ich gerne dazu bereit die Zeit damit zu überbrücken. Zugegeben gefiel es mir auch auf Anhieb ganz gut, so rein von der Optik her. War eben mal ein bisschen was anderes, als ich es gewohnt war und ein Tapetenwechsel schien mir gerade in meinem aktuell eher reizbaren Gemüt nicht verkehrt zu sein. Das tagtägliche ertragen müssen des unliebsamen Ex-Freundes lag inzwischen schon einige Stunden zurück, aber bis die Anspannung gänzlich verflossen war würde es sicher noch ein wenig dauern. Die Nerven waren nach wie vor etwas angekratzt und zumindest dieser Zweig der Verwandtschaft meiner Angetrauten schien mir bisher keine nennenswerten Gründe dafür zu geben, nicht ein wenig abschalten zu können. Vermutlich lag es überwiegend an dem menschlichen Onkel, dass ich mich hier etwas willkommener fühlte. Er brachte hervorragende Laune mit und sah mich im Gegensatz zu seiner Gattin auch nicht mit diesem von Vorurteilen behafteten Blick an, weshalb ich mich vorerst mal verhältnismäßig wohlfühlte. Möglicherweise würde mir diese überschwänglich glückliche Art auch früher oder später auf die Nerven gehen, aber bis jetzt empfand ich sie als herrlich erfrischend. Was ich jedoch ein bisschen weniger amüsant fand, war seine Geheimniskrämerei. Es lag mir quasi in den Genen einen hohen Grad an Neugierde mit mir herum zu schleppen, die mir zumindest als Kind und auch während der Jugend sehr häufig Ärger eingebockt hatte. Entsprechend wenig schmeckte es mir, dass Harry uns beide scheinbar mit irgendeiner Überraschung bis nach dem Essen warten lassen sollte. Unweigerlich fing ich an darüber zu sinnieren, was das wohl sein könnte, aber eine Antwort blieb mir selbstredend erspart. Deswegen ließ ich mich auch mit etwas unruhigem Geist zu den Anderen an den Esstisch sinken. Mir war schon beim Betreten des Raums ein vorzüglicher Duft in die Nase gestiegen, der großes versprochen hatte. Ich sollte auch gar nicht enttäuscht werden: die Auswahl war schier riesig und es sah auf den ersten Blick auch genauso lecker aus, wie sich meine Nase es ausmalte. Demnach dauerte es auch kaum lang, bis ich mich nach dem allgemeinen Wunsch des guten Appetits an dem Essen bediente. Zwar war mir ein wirklich ruhiges Essen dank Harrys niemals endendem Gerede nicht vergönnt, aber ich entschuldigte es vorübergehend dadurch, dass mein Gaumen sehr erfreut war. Zugegeben hatte der geräucherte Fisch es mir besonders angetan, wo ich solchen doch eher nur selten Mal auf dem Teller hatte. Dennoch nahm ich mir von fast Allem ein bisschen was, war der Hunger doch groß und die Auswahl herrlich. Vielleicht hatte ich es mit dem Essen auch ein klein wenig übertrieben, war mein Magen nach Abschluss doch recht voll. Aber das fühlte sich angesichts der Tatsache, dass ich in den letzten Tagen nur selten wegen der strapazierten Nerven mal wirklich Gefallen an den Mahlzeiten im Schloss der Engel gefunden hatte, doch irgendwie auch gut an. Nachdem ich beiläufig ein Kompliment für die Speisen an Riccardas Tante verteilt hatte - was mir ausnahmsweise recht leicht über die Lippen ging, waren Komplimente doch sonst eher weniger mein Ding - lag mein Blick aber doch wieder auf ihrem deutlich unterhaltsameren Ehemann, während ich die Ellbogen auf die Tischkante stützte und meine Hände knapp unterhalb meines Kinns ineinander legte. "Und was hat's jetzt mit der Überraschung auf sich? Ich bin neugierig.", gab ich meinen Gedanken nach all dem Smalltalk und der Fragerei Raum zum Atmen und fixierte den Hausherren ganz ungeniert mit meinem leicht stechenden Blick, kniff die Augen ein bisschen zusammen. So, wie ich es fast immer tat, wenn ich etwas unbedingt wissen wollte. Er sollte sich mit einer Antwort also lieber beeilen.
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Es überraschte mich zugegebenermaßen wie schnell Isaac einen entspannteren Eindruck vermitteln konnte, denn so ganz wollte ich seiner gelassenen Fassade nicht glauben. Zwar trug der Abstand zu unserer Heimat sicherlich einen gewaltigen Teil zu seiner merkbar besseren Laune bei, aber ich kannte den impulsiven Mann dennoch gut genug, um zu wissen, dass das Unwetter noch längst keinem Sonnenschein gewichen war – vielleicht fand man irgendwo einen schwach leuchtenden Regenbogen, aber das wäre wahrscheinlich auch schon das Höchste der Gefühle. Deshalb wunderte ich mich eben auch ganz allein für mich, aus welchem mir unbegreiflichen Grund Isaac derart ruhig und geduldig den diversen Anekdoten und ausschweifenden Erzählungen bei einzelnen Räumlichkeiten lauschte, hier und da sogar einen Dialog bekräftigte, nur um dann mit noch mehr unnötigen Informationen über Verwandte und Vasen zu erhalten. Ich traute dem Frieden nicht und war demnach auch unerwartet erleichtert, als sich eine mir bekanntere Seite an meinem Göttergatten zeigte: nämlich beim Essen. Selbstredend hatte Isaac ausreichend Manieren, um nicht wie ein Tier über die Speisen zu fallen, aber wenigstens erkannte ich seinen Appetit und den einen anderen Kommentar, weil Harry halt einfach nicht locker lassen konnte und sowohl Eve als auch mich immer wieder mit in die Unterhaltung zog, die gerade eher als überflüssig zu bezeichnen wäre. Mir knurrte ebenfalls der Magen, als ich mich über den griechischen Salat hermachte und dann selbst vor einem Kirschkuchen als Nachspeise nicht Halt machte. So reichlich hatte ich längere Zeit nun schon nicht mehr gegessen, was unterschiedliche Gründe hatte – einerseits war ich unter gewissen Umständen eine stinkfaule Köchin, da ich den Luxus kochenden Personals gewohnt war und andererseits setzten mir die heimischen Spannungen ein wenig am Magen zu. Also stellte es auch für mich eine nette Abwechslung dar, am Tisch keine finsteren Blicke aufzufangen oder das unterschwellige Grollen bei dem kleinsten Anflug eines falschen Wortes zu verspüren. Ja, man konnte ruhig sagen, es sei trotz des wasserfallartigen Redners ziemlich angenehm. Ein weiterer – beruhigender – Aspekt bildete Isaacs Neugierde, dass er einfach nichts anbrennen ließ, sondern direkt mit seiner Intension rausrückte, wobei es seiner Neugierde wohl mehr antat als mir. Unterm Strich erriet man ohnehin nie, was in Harrys Kopf so vor sich ging, geschweige denn schien es mir im Bereich des Möglichen zu liegen, seinen Plänen auf die Schliche zu kommen, weshalb ich zwar erwartungsvoll meinen Blick an ihn richtete, aber nicht davon ausging, dass der werte Herr nun direkt mit seinem Geheimnis um die Ecke bog. „Das war auch Sinn der Sache“, freute sich der einzig menschliche Anwesende am Tisch und klopfte erfreut mit beiden Handflächen auf die Tischkante, ehe er breit grinsend einmal in die Runde schaute. Eve schien eingeweiht zu sein, denn ihr Lächeln strahlte wie immer kontrollierte Ruhe aus, während Isaac merkbar die Miene verzog und ich mir deshalb ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen konnte. Der Wolf könnte sich jetzt noch auf ein Spielchen gefasst machen, zu dem Harry auch just in dem Moment ansetzte, als ein Angestellter samt klingelnden Handys anmarschiert kam und es ihm mit den Worten „Mister Crowney“ überreichte und sich wieder in das kühle Haus verzog. Nun eher nachdenklich lastete die Aufmerksamkeit weiterhin auf meinem angeheirateten Onkel, der sich für einen Moment entschuldigte und vom Tisch aufstand, um dann ein paar Meter im Garten zurückzulegen, ehe er wieder zurück auf die umzäunte Veranda kehrte, sich aber nicht wieder setzte. „Es tut mir leid für die Unterbrechung, aber bei den Überweisungen dürfte etwas schief gelaufen sein und ich muss noch einmal ins Büro“, verkündete Harry sichtbar pikiert, aber zuckte schlussendlich mit den Schultern. „Dann verschiebt sich die Enthüllung eben auf einen späteren Zeitpunkt“, stellte er überflüssigerweise fest und drückte seiner Frau einen Kuss auf die Lippen, ehe er auch an Isaac und mich Worte des Abschieds formulierte, ehe er doch eiligen Schrittes in dem Herrenhaus verschwand. „Du weißt, was er uns sagen will, stimmt’s?“ richtete ich mich grinsend an meine Tante, die verhalten nickte, aber das verstohlene Lächeln zu spät verschleierte. „Und du darfst uns aber nichts sagen, weil er sonst beleidigt ist“, schlussfolgerte ich ebenfalls, woraufhin Eve leise lachte. „Du kennst ihn doch“, war ihr eine einzige Antwort.
Tja, damit war meine verhältnismäßig entspannte Laune dann wohl dahin. Es war ja schon für Harry, dass er sich sichtlich darüber amüsierte, wie er uns mit seiner Geheimniskrämerei auf die Folter spannen konnte. Dass es ihm Spaß machte, weiter um den heißen Brei herum zu reden und meine Frage nicht ansatzweise zu beantworten. Vermutlich reizte er damit wesentlich mehr meine Nerven, als es bei Riccarda der Fall war. Dennoch provozierte er mich damit komplett unnötig, könnte er doch theoretisch einfach noch schnell den Mund mit der entsprechenden Antwort aufmachen. Stattdessen entschied sich der Onkel meiner Ehefrau lieber dazu mich ohne jegliche Andeutungen im Regen stehen zu lassen, weil er sich offenbar viel lieber noch schnell einem Geschäft widmete, als mich auch nur mit einem einzigen, kleinen Hinweis zu füttern. Schon während er noch telefonierte sackten meine bisher eher neutral bis fast freundlich gehaltenen Mundwinkel immer weiter ab und ich begann mit dem Kiefer zu mahlen, wobei ich ihn unaufhörlich mit stechendem Blick fixierte. Auch dann noch, als er sich zum Gehen abwendete. Ich ließ seinen Abschied gänzlich unkommentiert, hatte er mit dieser Aktion doch eindeutig ein paar Sympathiepunkte bei mir verloren. "Ja, lasst den sowieso schon chronisch gestressten Werwolf weiter warten... ist eine ausgezeichnete Idee, wo ich doch mit so herrlich wenig Temperament gesegnet worden bin.", knurrte ich zynisch vor mich hin, nachdem auch noch Eve mehr oder weniger zugab in die Geschichte eingeweiht zu sein, aber ebenfalls nicht den Mund aufmachen zu wollen. Zwar waren meine Worte nicht allzu laut, aber dennoch sicher für die Allgemeinheit hier hörbar, wo wir kaum weit auseinander saßen. Meine angespannten Schultern lockerten sich nur deshalb wieder ein wenig auf, weil ich mit der rechten Hand nach der bisher erst halbleeren Rotweinflasche griff und mein Glas erneut vollmachte. Nicht aber nur bis zur allgemein empfohlenen, weniger als halbhohen Füllmenge, sondern eher so bis zur imaginären Dreiviertellinie. Ich vertrug sowieso unheimlich viel Alkohol, da brauchte ich an dieser Stelle nicht unnötig zu sparen. Momentan erst recht nicht, wo ich mir doch beinahe jeden Abend frustrierte ein bis zwei Gläser Whiskey gönnte, um meine Nerven zu beruhigen und potenziell schneller einschlafen zu können. An dieser Stelle zu erwähnen, dass das mehr schlecht als recht funktioniert hatte, war vermutlich überflüssig. "Bleibt zu hoffen, dass es sich wenigstens lohnt.", murmelte ich eher beiläufig noch grummelnd ins Weinglas, den Blick dabei schon genervt auf die rote Flüssigkeit darin gerichtet, bevor ich das Getränk an meine Lippen hob und ziemlich genau den halben Glasinhalt meinen Rachen hinunter kippte. Würde mich der in die Familie eingeheiratete Kerl am Ende auch noch mit der Überraschung an sich enttäuschen, dann waren weitere unschöne Spannungen während der nächsten Tage wohl bereits vorprogrammiert. Wobei ich mich streng genommen dahingehend kein Stück von ihm unterschied. Ich war ebenso wenig in diese Familie hineingeboren worden wie er, nur mit dem Unterschied, dass ich auch absolut nicht darum gebeten hatte, Teil von ihr werden zu dürfen. Irgendwo war ich zwar froh darum nicht mehr in den vier Wänden meines Vaters zu verweilen, aber bei den aktuellen Umständen war ich mir nicht sicher damit, was eigentlich schädlicher für mein reizbares Gemüt war. An die Mordlust meines Vaters war ich schließlich seit Jahren gewöhnt, aber dieses unfassbar penetrante Gefühl von nur knapp kontrollierbarer Eifersucht war Folter. Ich zwang mich selbst dazu die Gedanken an Riccardas Ex-Freund zu verwerfen, wollte ich mir den Urlaub von ihm doch nicht auch noch versauen lassen. Außerdem übernahm Harry das vielleicht sowieso für ihn, wenn er so weitermachte.
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Natürlich reagierte Isaac unwirsch und trotzig, ähnlich einem kleinen Kind, dem man das angeblich verdiente Eis nach dem braven Verzehr des aufgetischten Brokkoli verweigerte. Ich kam nicht drum rum, mir das amüsierte Schmunzeln zur Gänze vermiesen zu lassen, obwohl ich dann doch eher zu einem neutralen Mienenspiel wechselte und leise ausatmete. Das Augenrollen hätte ebenfalls noch serviert werden können, doch ich verkniff mir die weitere Zurschaustellung meiner Gedanken mittels dieses offensichtlichen Weges, sondern versuchte ein wenig dagegen zu wirken. „Der notorisch gestresste Werwolf könnte sich aber auch ein einziges Mal nicht unnötig hineinsteigern“, schlug ich, seine Wortwahl zumindest sinngemäß vage zu wiederholen, vor und bedachte ihn damit mit einem abwartenden, vielleicht sogar minimal strengen Blick. Ich wusste ja, dass sich der junge Mann teils schrecklich wenig im Griff hatte und er an seiner Selbstbeherrschung zu feilen hatte, jedoch waren wir hier zu Gast und Isaac müsste die Schuld allein tragen, sollte es ihm hier nicht gefallen. Normalerweise würde ich bei einem erzürnten, frustrierten Mann eher vorsichtig werden, sobald dieser in seiner Laune zur Weinflasche griff und sich das Glas bis zum Anschlag füllte, doch ich kannte mittlerweile die enorme Verträglichkeit des Wolfes und machte mir zumindest diesbezüglich keine großen Sorgen. Unter Alkoholeinfluss schien er mir ebenso launisch zu sein, wie ohne – meine Erfahrungsbilanz hierbei belief sich aber auf einem so geringen Maß, dass ich dieser Eingebung nicht zu einhundert Prozent vertrauen durfte. Argwöhnisch lag mein Hauptaugenmerk ein paar Sekunden länger auf dem Trinkenden, ehe ich selbst an meinem Sekt mit Orangensaft nippte und entschied, es vorerst gut sein zu lassen. Tante Eve kannte ihren wölfischen Gast nicht und wusste es daher nicht besser, stieg also auch auf sein Gebrumme ein und versuchte es damit wohl ein wenig zu verbessern: „Deine Geduld wird es wert sein.“ Nett, wie sie von Geduld sprach, nachdem Isaac selbst zugegeben hatte, von dieser Eigenschaft kaum ein volles Quäntchen im Leib zu tragen. Wir schafften es, das Thema so wegzulenken, dass Isaac sich nicht weiter gekünstelt aufplustern konnte und vertieften das Gespräch eher in den Austausch von Neuigkeiten, obwohl Eve ohnehin hier und da von meinen Eltern mit Updates versorgt wurde. Angesicht zu Angesicht sprach es sich unterm Strich doch besser und so verloren wir uns ein bisschen, was erst durch – wem sonst? – Isaac gestört wurde, der langsam, aber sicher einem Lagerkoller erlag. „Die Pflicht ruft“, äußerte ich mich schelmisch und so verabschiedeten wir uns, ein Teil unserer interessanten Ehekonstellation eher mürrisch und bockig, von meiner Verwandten und entschieden, uns für den restlichen Tag die Gegend anzuschauen und ein bisschen am Strand zu gammeln, ehe es spät genug wurde, um den Rückweg anzutreten. Ich spürte, wie Isaacs Anspannung mit jedem Meter stieg beziehungsweise zu ihrem ursprünglichen Ausgangslevel zurückkehrte, je näher wir uns dem viktorianischen Anwesen näherten. „Versuch dich bitte zusammenzureißen, auch wenn’s dir nicht leicht fällt oder diese Überraschung nicht nach deinem Geschmack ist“, bat ich den jungen Mann eindringlich, bevor wir das Haus betraten und von einem Angestellten empfangen wurden: „Hatten Sie einen schönen Tag?“ Es blieb an mir, die Erkundigung zu beantworten, sodass der Bedienstete zu seiner eigentlichen Aufgabe übergehen konnte, nachdem die Höflichkeiten ausgetauscht worden waren. „Sicherlich möchten Sie sich kurz erfrischen gehen, Abendessen gibt es in dreißig Minuten auf der Veranda.“ Mir war vollkommen entgangen, wie schnell die Zeit dahingerast war und es schon wieder spät genug war, um sich zum Essen zu versammeln. „Danke“, rief ich dem zügig davongehenden Diener noch nach, ehe ich mich wieder an Isaac richtete: „Na dann…“ Mehr wusste ich ehrlich gesagt auch nicht dazu zu sagen und ging deshalb gemächlich die Stiege hinauf, um kurz darauf auch schon das Bad für mich zu sichern. Ich wollte das Salz schnellstmöglich aus den Haaren bekommen und den unliebsamen Sand von der Haut, wobei ich mich extra beeilte und schon bald wieder als duftende Blumenfee in unserem Zimmer stand, eingekleidet in einem hell gemusterten Sommerkleid.
Ich kam nicht umher auf Riccardas Worte hin leise zu schnauben und den Kopf ein wenig zu schütteln. Schließlich wusste der blonde Engel hier am allerbesten, wie sehr ich mich was das anging nicht unter Kontrolle hatte. Dabei war es eigentlich schon ein bisschen besser geworden, seit wir beide uns besser verstanden und öfter gemeinsam an einem Strang zogen, aber die lästige Klette in Form ihres Exfreundes hatte ziemlich viel von der minimalen Steigerung an Geduld meinerseits zunichte gemacht. Es war nach meinen eigenen, sehr zynischen Worten wohl einfach zu viel verlangt gewesen, dass sich keine der beiden Frauen weiter dazu äußerte. Mich einfach in meiner Wut und meinem Frust versinken zu lassen war zeitweise einfach wesentlich besser, als überhaupt irgendwie darauf zu reagieren. "Besser wär's.", waren die einzigen beiden sehr knappen Worte, die ich auf die Aussage von Riccardas Tante bezogen noch von mir gab, bevor ich mich einfach gänzlich ausklinkte. Schlicht deshalb, weil mir die Lust auf jegliche Art von Konversation vergangen war und meine Frau es auch sehr gut allein hinbekam ihre Verwandtschaft auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Sicher wäre eine ausgiebige Sporteinheit am besten gewesen, um meine gereizten Nerven wieder zu entspannen, aber nicht mal dazu hatte ich wirklich Lust. Entspräche sicherlich auch nicht der Etikette, auf die ich oft gar nichts gab, mich jetzt einfach vom Tisch zurückzuziehen. Also schlug ich mir die Zeit mit Wein und einem kurzen Nachrichtenwechsel mit meinem Cousin tot, zu dem ich nach wie vor zumindest halbwegs aufrechten Kontakt hatte. Er war ja auch der einzige Wolf, der mehr zu mir als zu meinem Vater stand und sich das deshalb erlaubte, während der Rest des Rudels schwieg. Aber auch er hatte Pflichten nachzukommen und dementsprechend ließ er mich letztlich wieder mit den beiden Frauen allein am Tisch zurück, was nicht gerade zur Steigerung meiner Laune beitrug. Der Alkohol half auch nicht und Riccarda schien nicht zu entgehen, dass ich zunehmend mieser gelaunt wurde, weshalb sie die Reißleine zog und uns beide damit vom Tisch wegholte. Den Ausflug zum nahegelegenen Strand hingegen tat mir gut. Da ging mir Niemand auf die Nerven und der Wolf in meinem Inneren, der sich grundsätzlich viel mehr zur Natur, als zur Zivilisation hingezogen fühlte, begrüßte die salzig erfrischende Seeluft mit offenen Armen. Außerdem tat das eher kühle Meerwasser auch wirklich gut, um meinen Hitzkopf ein klein wenig abzukühlen und durchzuatmen. Die Sonne auf der Haut wiederum vermochte mich zwar nicht abzukühlen, war aber trotzdem angenehm auf der noch feuchten Haut und dementsprechend war ich zumindest vorübergehend wieder relativ ruhig, fast sowas wie entspannt. Jedoch war es aktuell wohl eine reine Frage des Umfelds, wie meine Stimmung ausfiel. Riccarda um ich herum zu haben war ich gewohnt und sie wusste zumindest, wann eine Provokation besser bleiben gelassen werden sollte. Für den Rest der Sippschaft im Haus galt das nicht. Da war es auch kein Wunder, dass ich mich prompt wieder etwas verspannte, als wir am Abend zum Anwesen zurückkehrten und da waren auch die Worte der zierlichen Blondine neben mir nicht wirklich ausschlaggebend. "Ich geb' mir Mühe.", antwortete ich eher ein bisschen halbherzig klingend, bevor wir schon wieder von einer eher lästigen Fliege empfangen wurden. Ich ignorierte den Angestellten weitgehend und ging einfach hinter der jungen Frau nach oben, hatte auch nicht wirklich ein Problem damit ihr was das Badezimmer anbelangte den Vortritt zu geben. Insgesamt brauchte sie ja auch gar nicht allzu lang, was angesichts des dreißigminütigen Zeitlimits wohl angebracht war. Tatsächlich ertappte ich mich immer häufiger dabei, dass ich den angenehm frischen, weiblichen Duft, den der blonde Engel aus dem Badezimmer kommend immer versprühte, durchaus genoss. Woran das lag wusste ich nicht, hatte ich doch ihren engelischen Geruch früher so verabscheut, aber vielleicht war das auch einfach die Gewohnheit. Ich machte mir darüber nicht mehr Gedanken als unbedingt nötig war, bevor ich mich selbst im Bad einer kurzen, aber recht kalten Dusche unterzog, die mir zumindest ein bisschen was von der Anspannung nahm. Half auch nur mehr schlecht als recht, aber ich schloss frisch geduscht und neu eingekleidet erneut zu Riccarda auf. Ein Seitenblick auf die Uhr auf dem Nachttisch neben dem Bett verriet mir, dass die halbe Stunde jetzt auch um war, also sollten wir wohl wieder nach unten, obwohl mich die Lust dazu nach wie vor nicht packen wollte. Stattdessen einfach nur jagen zu gehen wäre für meinen Dickschädel sicher besser gewesen, aber zur Not konnte ich wohl immer noch die Flucht ergreifen, wenn es mir wirklich zu bunt werden sollte. Jedenfalls ging ich zur Zimmertür und hielt sie auf, gab dem blonden Engel den Vortritt - das war auch so eine Sache, die ich mir irgendwie einfach angewöhnt hatte - und ließ die Tür hinter uns wieder ins Schloss fallen, ehe wir uns nach unten zur Veranda aufmachten. Meine Schritte bis zum Tisch waren meiner Gemütslage entsprechend recht energisch und dort angekommen begrüßte ich den Rest wohl auch nur mit einem leichten Nicken. Zum mich zusammenreißen gehörte in der Regel nämlich vor allem nicht mehr kontroverse Worte in den Raum zu schmeißen, als unbedingt notwendig war, weshalb ich es mir innerlich weiter vor mich hin wetternd verkniff dem menschlichen Gesellen am Tisch noch einmal ein paar Worte an den Kopf zu knallen, die ihm eindeutig klar gemacht hätten, wie wenig ich von seinem Abgang vorhin begeistert gewesen war. Ein Lächeln meinerseits wäre aber trotzdem zu viel verlangt.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Für Normalsterbliche, Laien – Außenstehende oder wie auch immer man es nennen wollte – würde es keiner großen Bitte gleichkommen, die ich an meinen Ehemann richtete, schließlich war es einem grundlegenden Bedürfnis ähnlich, ein möglichst harmonisches Umfeld in den familiären Kreisen genießen zu dürfen. Blöderweise kamen weder Isaac, noch ich aus einem Milieu, das auch nur ansatzweise als den Standards eines Menschen entsprach und so wirkte diese Bitte direkt in einem anderen Licht betrachtet nicht mehr derart… überflüssig. Mir blieb es schlichtweg ein Anliegen, zumindest hier in den Tropen, einem Urlaubsparadies schlechthin, vor Familienproblemen verschont zu bleiben und trotz unserer komplizierten Beziehung und dem alles andere als märchenhaften Verhältnis zwischen Wölfen und Engel, meinte ich zu wissen, dass der Werwolf an meiner Seite ausreichend Empathie für mich entwickelt hatte, um zumindest den Versuch zu starten, mir diesen Wunsch zu erfüllen. Warum ich mittlerweile derart positiv gestimmt war? Isaac hatte bewiesen, sich Mühe geben zu können, vor allem aber auch den Willen dafür, MIR etwas Gutes zu tun, an den Tag zu legen, was sich in vereinzelten, manchmal gar nebensächlichen Kleinigkeiten offenbarte, die ich dadurch nur umso mehr genoss; falls es das richtige Wort hierfür war. Ich bemerkte die Aufmerksamkeit und wandelte sie ihn Pluspunkte um, was sich sehr auf die Sympathie und Bereitschaft, meinerseits offener beziehungsweise verständnisvoller auf die Eigenheiten meines Mannes zu reagieren, auswirkte. Wie und wann wir die Kurve zu kriegen begonnen hatten, ließ sich meines Erachtens schwer einschätzen, ich behauptete lediglich, dass wir uns langsam einer besseren Version dieses Wirs näherten. Ich lebte diese Idylle gerne aus, bangte auf der Veranda jedoch ein wenig um diesen fragilen Frieden, da es sich kurzerhand doch auch auf Isaac und mich auswirkte. Seufzend, aber deshalb nicht von dem Gespräch abgeneigt, ließ ich mich auf denselben Platz wie vorhin sinken und richtete die Serviette auf meinem Schoß zurecht – eine alte Angewohnheit, die mir meine Mutter und sämtliche Privatlehrer ans Herz gelegt, wenn nicht sogar mit Vehemenz eingetrichtert hatten. Ich bediente mich der Etikette, um zu verbergen, dass die Neugierde auch bei mir tiefere Löcher in das Gerüst aus Geduld und Objektivität fraß. Wer wusste schon, was Harry zu verbergen hatte und weshalb er so einen Wirbel darum machte. Besagter Mann und dessen Ehefrau empfingen uns bereits mit wenigen Worten, verzichteten wahrscheinlich rein Isaac wegen auf Smalltalk, sodass meinem Onkel keine Möglichkeit mehr blieb, um eventuell Zeit zu schinden und das labile Nervenkostüms meines Angetrauten weiter auszureizen. „Ich möchte mich für die Unterbrechung entschuldigen. Sofern man nicht alles selbst macht, muss man davon ausgehen, dass etwas nicht richtig abläuft“, brummelte er immer leiser werdend vor sich her, ehe der Mensch sich räusperte und die Ärgernisse seiner Firma mit einer raschen Handbewegung wegwischte, als handle es sich um eine lästige Fliege. „Da mir aufgefallen ist, dass großes Redenschwingen manchmal zu viel des Guten ist“, dabei fiel sein Blick minder-subtil auf Isaac, „will ich nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich bin längst nicht mehr der Jüngste und muss dem ins Auge sehen, weshalb es an der Zeit wurde, zu überlegen, was ich weiter vom Leben möchte und da sich dieser Wunsch nicht länger mit meinem Job übereinbringen lässt, werde ich dir, Riccarda, mein gesamtes Unternehmen vererben, sobald du mit deinem Studium abgeschlossen hast.“ Er machte eine Pause zum Durchatmen, doch mir stockte nach wie vor der Atem, weshalb ich meinen Onkel lediglich mit weit aufgerissenen Augen, sowie aufgeklappter Kinnlade anstarren konnte. „Ich weiß, dass diese Neuigkeit sacken muss und du vielleicht in Ruhe darüber mit Isaac sprechen musst, da es ihn indirekt ebenso betrifft, aber ich hatte gehofft, falls du während deines Aufenthaltes hier noch zu einer Entscheidung kommst und wir den bürokratischen Teil schnellstmöglich erledigt bekommen. Ich habe das Meiste bereits in die Wege geleitet… du musst nur noch zugreifen, Riccarda.“ Und auf einmal lasteten binnen Sekunde sämtliche Aufmerksamkeit auf mir und ich… ich bekam bis auf ein überrumpeltes Hüsteln nichts hervor. Zumindest nicht auf die Schnelle. Als hätte sich ein Schalter umgelegt, stürmten plötzlich tausende Gedanken auf meinen Kopf ein und heraus kam nur ein skeptisches: „Warum ich?“
Scheinbar war dem Menschen auf der anderen Seite des Tisches nicht entgangen, dass seine Geheimniskrämerei nicht bei jedem hier besonders gut ankam. Ich fing Harrys Blick unweigerlich auf, weil meine Augen ohnehin schon auf ihm gelegen hatten, als er während seiner Bemerkung in meine Richtung sah. Ein kleines bisschen entspannte sich mein eher angespannter Gesichtsausdruck sogar, was seiner vorherigen Entschuldigung zu Grunde lag. Schließlich konnte ich damit davon ausgehen, dass er künftig davon absehen würde Irgendwas unnötig in die Länge zu ziehen. Womöglich hatte ihm seine Frau in unserer Abwesenheit ganz einfach gesteckt, dass ich wegen seines plötzlichen Verschwindens doch ziemlich angesäuert gewesen war. Hielt ich durchaus für möglich, hatte ich daraus doch so gar kein Geheimnis gemacht. Indessen fuhr Harry fort und ich stützte Macht der Gewohnheit die Ellenbogen auf den Tisch, während ich ihm zuhörte und die Hände in der Luft oberhalb des Tellers vor mir locker ineinander legte. Wider Erwarten verzichtete er größtenteils auch tatsächlich auf überflüssige Worte, kam postwendend auf den Punkt und mir klappte zwar vielleicht nicht so wie meiner Ehefrau das Kinn nach unten, aber selbst mein Gesichtsausdruck legte einen augenblicklichen Wechsel hin. Ich hatte irgendwie mit ziemlich Vielem gerechnet, aber darauf, dass der betagte Mann Riccarda seine Geschäfte anvertrauen wollte, war ich nicht mal im Entferntesten gekommen. Dementsprechend saß auch in meinen Gesichtszügen tiefe Verwunderung und ich fragte mich augenblicklich, warum er das für eine gute Idee hielt. Damit wollte ich gar nicht mal behaupten, dass der Engel an meiner Seite grundsätzlich unfähig dazu wäre ein Geschäft welcher Art auch immer erfolgreich zu leiten, aber sie hatte darin genauso wenig Erfahrung wie ich auch. Andererseits war es aber vielleicht auch gar nicht so abwegig, dass die Wahl auf die Blondine neben mir fiel, weil ihre Brüder soweit mir bekannt war bereits in der Heimat Einiges um die Ohren hatten, was geschäftliche Dinge anbelangte. Sie saßen damit mehr oder weniger dort fest und auch, wenn man ein Geschäft heutzutage theoretisch weitgehend aus der Ferne leiten könnte, wäre es an sich dennoch sehr sinnvoll, öfter mal oder gar immer vor Ort zu sein. Ständig hin und her zu reisen bedeutete viele unnötige Kosten. Mein Blick war inzwischen auch zu der jungen Frau neben mir gewandert, obwohl Harry bereits weiterredete. Ich schenkte ihm weiter mein Gehör, während ich aus Riccardas Gesichtszügen zu lesen versuchte, was sie darüber dachte. Denn es betraf mich ebenso wie sie, wie ihr Onkel so treffend formulierte. Jedoch ließ sich außer Überraschung und kurzzeitiger Überforderung nicht besonders viel an dem Engel neben mir erkennen, während ihr Verwandter erläuterte, dass im Grunde schon alles bereit zur Übernahme war, sie nur noch hier und da eine Unterschrift setzen müsste. Ich selbst war kein Mann großer Worte und handelte oft nach Gefühl, aber das, was sich hier gerade abspielte, ging selbst mir ein wenig zu schnell. Wollte ich denn, dass Riccarda die Firma übernahm und womöglich hierher in die eigentlich ganz schönen Tropen umzog? Einerseits hatte ich nicht mehr viel, was mich in der Heimat hielt, aber andererseits war ich mir vollauf bewusst darüber, dass ich die Geschichte mit dem Rudel nicht einfach so vergessen oder meinem Vater gar vergeben könnte. Es würde mich ewig weiter verfolgen, bis ich mir sicher sein konnte, dass in meiner eigenen Familie Frieden und Ordnung eingekehrt war und das würde nicht passieren, bevor der Alpha das Zeitliche gesegnete hatte. Wenn Riccarda unsere Heimatstadt aber verließ, würde ich mitgehen. Zum einen, weil sie die einzige Person war, der ich wirklich nahe stand, die mir etwas bedeute und zum anderen, weil ihre Familie alles andere sicher nicht gutheißen würde. Ein getrennt lebendes Ehepaar? Machte sich an der Öffentlichkeit nicht gut, ganz gleich welche Gründe es dafür gab. Gerade bei uns beiden wäre es vorprogrammiert, dass sich alle das Maul darüber zerrissen. "Und woraus genau besteht das Unternehmen?", hängte ich Riccardas Frage direkt noch eine zweite an, weil ich bisher keinen Schimmer davon hatte, womit der gute Harry seine Brötchen genau verdiente und sah abwartend in seine Richtung. War in meinen Augen auch nicht so ganz irrelevant für eine endgültige Entscheidung, wobei ich für meinen Teil sowieso nicht wusste, wie ich mich in die Sache überhaupt einbringen sollte, wenn es tatsächlich dazu kam. Mein jüngerer Bruder verbrachte seinen Alltag noch immer damit sich intensiv in den finanziellen Teil der Geschäfte meines Vaters einarbeiten zu lassen und mein älterer hatte längst den kompletten Überblick über das gesamte Unternehmen, während ich das Ganze irgendwo zwischendurch mal geflissentlich abgebrochen und mich lieber wilden Partys, sowie flüchtigen Bettgeschichten gewidmet hatte. Kam mir sicher nicht zu Gute und jetzt glaubte ich zwar noch nicht daran, aber womöglich kam doch noch irgendwann der Tag, an dem ich mich dafür selbst ohrfeigen wollen würde.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Harrys Geheimnis glich tatsächlich einer enormen Überraschung. Wie eine Bombe schlug die Überforderung in mir ein, wobei es Verwunderung noch besser traf. Ich wusste beim besten Willen nicht, wie mein Onkel auf die Idee kam, ausgerechnet mir seine selbstständig aufgebaute Firma zu übertragen, da ich noch dazu das Küken der Familie darstellte und am Beginn meines Studiums stand; eine Richtung, die mir noch dazu von meinen Eltern aufgedrückt worden war und eigentlich nur praktische Gründe verfolgte, die auch bei meinen Brüdern bedacht wurden. Man konnte nur nicht alle drei Sprösslinge in dieselbe Fachrichtung stopfen, demnach musste für mich ein anderer Plan her. Unweigerlich stellte sich mir die Frage, inwiefern meine Eltern die Finger im Spiel hatten. Ein Zeichen meines Grübelns manifestierte sich in Form einer steilen Falte zwischen meinen fein gezupften Augenbrauen, während ich mir die Neuigkeit langsam durch den Kopf gehen ließ. Der Schock saß nach wie vor tief genug, um vorerst bleibend auf meinen Gesichtszügen ersichtlich gezeichnet zu sein. Was sollte ich davon halten? Mir schwirrten mehrere Fragen durch den Kopf, doch keine einzige davon verließ auch meine Lippen, weshalb ich – ohne Hoffnung auf sonderlich viel Erfolg – hilfesuchend meinen Blick an Isaac richtete, der mich aber eher abgeklärt musterte. Man sah ihm die Verblüffung in den Augen an, doch seine Körperhaltung blieb gefasst, um nicht geradezu neutral zu sagen. Immerhin fand er sich schneller in dem neuen Szenario zurecht, verlangte nach Antworten, aber die Erklärungen, die bereitwillig erfolgten, reichten mir nicht, um klarer zu sehen. „Ich habe mir damals mit meinem Bruder ein kleines Logistikunternehmen aufgebaut, nachdem wir bei einem Urlaub feststellen mussten, wie schlecht es hier um die Vernetzung essentieller Güter, sei es im Leben oder für den Tourismus, steht und wanderten daraufhin aus, um hier einen Neustart zu wagen. Klappte ganz gut und hier sind wir jetzt: marktführende Firma im Bereich Luxusgüter.“ Natürlich kam Harry nicht vollends drum herum, ein wenig ausschweifender von seinem ganzen Stolz zu berichten, ebenso hörte man es an seiner Stimme an, wie viel ihm das Unternehmen eigentlich bedeutete. Umso mehr irritierte es mich, es in die Hände einer unerfahrenen Verwandten zu legen. Es musste einen Haken geben! „Und nun, um auf deine Frage noch zurückzukommen, Riccarda“, damit wandte sich der korpulente Mann an mich und bedachte mich eindringlich. „Deine Brüder kommen zu sehr nach deinem Vater und sind es gewohnt, nach strikten Mustern zu agieren. Ich erhoffe mir von dir, frischen Wind in den Schuppen zu bringen und weiterhin für Auftrieb zu sorgen. Schließlich stünde ich dir auch weiterhin tatkräftig zur Seite, du würdest eingearbeitet werden und bloß, weil dir die meisten Anteile der Firma gehören würden, hieße dies nicht, dass ich mich vollends aus dem Business verabschiede. Ich möchte es lediglich nicht länger als zweite Ehefrau betrachten und sehe in dir eine gute Nachfolgerin.“ Immer mehr Informationen prasselten auf mich ein, was mich dazu veranlasste, das Gesicht für einen Moment in meinen Händen zu verbergen und hörbar durchzuatmen. Als ich den Moment zum Luftholen bestmöglich ausgekostet hatte, ließ ich meine Arme wieder zurück auf die Tischplatte sinken und biss mir auf die Innenseite der Wangen – eine ungern gesehene Angewohnheit daheim, aber ich bekam den Tick einfach nicht wieder los. „Ich brauche länger als ein paar Tage, um darüber nachzudenken“, entschied ich, relativ wortkarg und spürte regelrecht, wie sich ein Steinchen nach dem anderen auf meine Schultern legte, um ab nun von mir durch die Gegend geschleppt zu werden. „Außerdem müssen wir zwei“, damit deutete ich mit einer leichten Geste zwischen Isaac und mir hin und her, „darüber auch unter vier Augen sprechen.“ Am besten so bald wie möglich, um die Fronten abzustecken. Nur ungern würde ich mich hier vor meiner Tante auf eine womöglich hitzige Diskussion mit dem aufbrausenden Wolf einlassen.
Ein Logistikunternehmen für Luxusgüter. Ich wusste nicht einmal selbst, was genau ich mir eigentlich für ein Geschäft von dem in die Jahre gekommenen Mann erwartet hatte oder was ich nun von seiner Offenbarung halten sollte. Im Grunde war es für mich persönlich ja doch nicht wirklich ausschlaggebend, um was für ein Geschäft es sich genau handelte, wo ich jetzt noch ein zweites Mal darüber nachdachte. Natürlich war mir ein ein Unternehmen, dass sich mit extravaganteren Waren befasste, deutlich lieber als ein stinkendes Fischereiunternehmen. Nichts gegen Fisch an sich, ich mochte den auf dem Teller sogar sehr gern, nur wäre meine empfindliche Wolfsnase wahrscheinlich auf Dauer eher weniger begeistert von dem sehr penetranten Geruch und Luxus klang in meinen Ohren immer gut. Dennoch spielte es aus rein geschäftlicher Warte betrachtet nur wenig eine Rolle - ich hatte auf gar keinem Gebiet auch nur den Hauch einer Ahnung davon, wie ich es im Ernstfall hätte führen sollen und eigentlich stand mir wirklich gar nicht der Sinn danach jetzt wieder mit dem Studieren anzufangen. An einem Schulabschluss würde es nicht scheitern, hatte ich den doch noch ganz gut hingekriegt, aber die Motivation war dabei ein großes Problem. Theorie war einfach nicht mein Ding, ich war ein Macher. Stundenlang über Büchern oder vor dem Bildschirm zu sitzen langweilte mich zu Tode, ich brauchte Bewegung. Die ganze Sache könnte also vielleicht höchstens dann funktionieren, wenn Riccarda sich ohne mich mit dem ganzen Papierkram auseinandersetzte und ich selbst mehr nur praktische Unterfangen in die Hand nahm. Womöglich tat sich noch eine andere Möglichkeit auf, wenn wir erst einmal gemeinsam darüber redeten und abwägten, ob die Übernahme des Logistikunternehmens denn überhaupt für den blonden Engel hier neben mir in Frage kam, aber bisher sah ich noch nicht wirklich andere Optionen dafür. Ich war gerade noch dabei mit einem tiefen ein- und wieder ausatmen die Informationen und Gedanken zu verarbeiten, als Riccarda zuerst erneut das Wort ergriff. Ich raufte mir recht nachdenklich die dunklen Haare, als sie ansprach mehr Zeit zum Nachdenken zu benötigen. Sowohl was das anbelangte, als auch was den nächsten Punkt anging, den sie ansprach, war ich ohne jegliche Widerworte ganz bei ihr. Es ging hier schließlich nicht um irgendeine Lappalie, sondern um eine Sache, die unser beider Leben in ihrem Verlauf maßgeblich ändern würde. "Ja, das... braucht definitiv etwas Zeit.", stimmte ich den Worten meiner Frau mit einem schwachen Nicken auch wörtlich zu, wobei die Planlosigkeit meinerseits rauszuhören war. Harry blieb nicht viel mehr übrig, als diese Nicht-Entscheidung unsererseits hinzunehmen und die folgende Zeit während des Abendessens schwieg ich überwiegend. Dieses Mal hatte das aber keine schlechte Laune als Ursache, mein Kopf war nur einfach unfassbar voll und ich folgte den Gesprächen um mich herum auch nur mit halbem Ohr. Mit jedem neuen Gedankenzug in Richtung des Geschäfts schienen sich mehr Fragen in meinem Schädel aufzutun, die ich mir allein nicht beantworten konnte. Warum mussten schwerwiegende Entscheidungen auch immer so kompliziert sein? Ich schob die konfusen Gedanken so gut wie möglich bei Seite und das Thema am Tisch war auch auf etwas Anderes umgeschlagen, weswegen ich mich zumindest noch ein bisschen einzubringen und bestmöglich zur Ruhe zu besinnen versuchte. Trotzdem war ich froh, als wir nach gut einer Stunde vom Tisch entlassen wurden. Zwar lud uns das Ehepaar noch zu einem gemütlichen Abend ein, aber ich lehnte aus mehreren Gründen ab und bedeutete Riccarda mit einem vielsagenden Blick, es mir gleich zu tun. Ich wollte schleunigst wissen, ob sie es denn überhaupt in Erwägung zog oder ich mir vollkommen umsonst die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrach, weil sie gar keine Lust dazu hatte. Wie schon vor dem Essen geleitete ich den Engel bis in unser Zimmer - zwar war es draußen noch immer nicht kalt, aber ich hatte bei einem solchen Gespräch wirklich gern gänzlich meine Ruhe -, ließ ihr mit der Treppe erneut den Vortritt und schloss dann mit einem schweren Seufzen die Zimmertür. Lange zu fackeln war bekanntlich aber nicht meine Stärke, also ergriff ich das Wort, sobald ich mich im Anschluss gänzlich Riccarda zugewendet hatte. "Damit wir uns unter Umständen überflüssiges Gerede sparen... ziehst du überhaupt in Erwägung?", kam ich wie so oft gleich mit der wichtigsten aller Fragen auf den Punkt.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +