Sicherlich eine recht kindische Eigenschaft, doch ich konnte nicht abstreiten, dass die bunten Lichter am Himmel ihre ganz eigene Faszination auf mich ausübten und eine Welle der Begeisterung in mir entfachten. Zurückversetzt in unbeschwertere Tage der Kindheit, als man mit den Brüdern im Baum um den höchsten Aussichtspunkt gestritten hatte, nur um besonders gut auf das ferne Gewitter aus Farben und Lichtern blicken zu können. Diese Nächte waren sicher in meinen Erinnerungen verwahrt und stahlen sich nur selten an die Oberfläche; lediglich zu Momenten, die der Fröhlichkeit und Sorgenlosigkeit von damals gleichkamen. Anscheinend befand ich mich momentan entspannt genug, um meinen Gedanken die Reise in die Vergangenheit zu genehmigen, während sich ein Spiel aus diversen Farben auf meinem Gesicht abbildete, die Szene des erhellten Nachthimmels reflektierend. Eine kleine versteckte Freude, die mir hier gemacht wurde, obwohl es schwer zu verbergen war, wie großen Gefallen ich an der Vorstellung fand. Ob es irgendwelche Feierlichkeiten gab, ein runder Geburtstag gefeiert wurde? Egal welchen Anlass das Feuerwerk zugrunde lag, ich genoss schlichtweg den Anblick. Ein klein wenig verträumter, ein klein wenig gelassener, ein klein wenig jünger. Und ein klein wenig gedankenverlorener. Anders ließ es sich für mich nicht erklären, immerhin nahm ich es kommentarlos – sowohl hörbar, als auch geistig – hin, wie Isaac seinen Arm um mich lehnte und dabei leichten Druck ausübte, sodass es meinem Körper wie von allein einfiel, sich gegen die starke Schulter sinken zu lassen. Meiner Seele tat es unheimlich gut; dieses stille Zugeständnis von Wärme und womöglich sogar einem Funken Zuneigung. Trotzdem blieb die Überraschung nicht lange fern, nachdem die Frage zwischen all den knallenden Lauten und zischend explodierenden Lichtern bis an mein Bewusstsein vorgedrungen war. „Wie?“, hakte ich etwas irritiert nach, klang es beinahe so, als gäbe es dieses farbenprächtige Schauspiel gerade nur für mich… als wäre es nicht einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass wir zum richtigen Augenblick hier oben saßen. „Natürlich mag ich es“, setzte ich hinten nach und grinste breit bei einem Seitenblick – wer mochte schillernde, bunte Lichter am Nachthimmel nicht? „Hab ich das etwa auch dir zu verdanken?“, machte ich meiner Unklarheit ein Ende, denn nun, wo ich ein bisschen mehr bei Sinnen war und mir dieses perfekte Timing durch den Kopf gehen lassen konnte, erweckte es doch den Eindruck, als wäre da eine Menge Planung von einem gewissen Jemand im Hintergrund mitgelaufen.
Sehr zu meiner Freude versicherte mir der Engel auch noch einmal wörtlich, dass ich mit den bunten Lichtern am Himmel richtig gelegen hatte, sie ihr gefielen. Dass sie sich beinahe entspannt einfach gegen meine Schulter sinken ließ, sich wohl auch nicht viel dabei dachte, versüßte mir den Moment noch ein wenig mehr. Es schien mir die zierliche Blondine noch etwas näher zu bringen, was nach der nie wirklich verflogenen Anspannung in ihrem Körper wirklich angenehm war. Es war gut, dass ich die Genehmigung gar nicht wirklich dem "Bürgermeister" - falls man den überhaupt so nennen konnte, denn dank der beiden mächtigen, übernatürlichen Familien in der Stadt hatte er bei wichtigen Angelegenheiten nicht immer wirklich Mitspracherecht - hatte vorlegen lassen müssen, denn rund um die Uhr erlaubt waren Feuerwerke ja nicht. Aber die Unterschrift war schnell eingeholt gewesen und wenn wir ehrlich waren, konnte auch kaum jemand meinem Charme widerstehen, wenn ich ihn bewusst einsetzte, um meinen Willen durchzusetzen. So war es eben auch leicht für mich gewesen, ein paar Freiwillige zu finden, die mir beim Anzünden und in die Luft jagen helfen wollten. Und siehe da, das Ganze trug wie von mir geplant Früchte. "Ja, hast du wohl.. mir und ein paar Freiwilligen, die sich da unten gerade die Mühe machen, die Dinger anzuzünden." antwortete ich Riccarda ruhig, inzwischen ebenfalls leicht grinsend. Das unangenehme Gefühl, dass die ersten paar Raketen bei mir ausgelöst hatten, schwand auch langsam ein bisschen, weil sich meine Sinne daran gewöhnten, extrem gereizt zu werden. Natürlich war es weiterhin nicht besonders angenehm für mich, aber länger als eine halbe Stunde würde das Alles ohnehin nicht dauern. Die paar Minuten hielt ich es sicher aus, auch wenn mir später beim Schlafen gehen im Bett sicher noch die Ohren dröhnen würden. Wenn ich den Engel so näher an mich heran brachte und langsam ihr Vertrauen zurück gewinnen konnte, dann war es das wert. "Ich dachte ganz einfach, dass das ein schöner Abschluss wäre... oder eben auch nicht, wenn du danach noch bleiben möchtest. Ich richte mich ganz nach dir." gab ich noch ein paar Worte mehr von mir, weiterhin mit entspannter Stimmlage. Mir persönlich würde es auch Nichts ausmachen, wenn wir danach noch eine Weile hier blieben, aber das wäre ganz allein die Entscheidung der jungen Frau neben mir. Alles sollte zu ihrer absoluten Zufriedenheit sein, das hatte höchste Priorität.
Freiwillige hatten sich also ebenfalls gemeldet, um bei dieser Überraschung mitwirken zu dürfen? Gleichzeitig fragte ich mich unweigerlich, welche Versprechungen oder Gefallen dafür ausgesprochen werden mussten oder ob Geld das Mittel zum Zweck war. Dabei durfte man auch nicht die Komponente des Einflusses eines Nachnamens vergessen, der vor allem Isaacs und meiner Familie sehr oft zur Hilfe eilte, sofern sich die wenigen Politiker dieser Stadt nicht doch alle paar Monate erneut dazu entschieden, uns einen Strich durch die Rechnung machen zu wollen. Nicht, das es jemals erfolgreich gewesen wäre, aber diese – primär – Männer hielten weiterhin hartnäckig an ihren Positionen und den angeblichen, damit einhergehenden Privilegien fest. Demnach ging ich von gewissen Geldsummen aus, die ebenfalls Besitzer gewechselt hatten, blieb aber so taktvoll, um nicht darauf zu sprechen zu kommen. Das gehörte hier gewiss nicht her und so hielt ich mein Schweigen weiterhin als sinnvoller, genoss stattdessen das bunt schillernde Farbenspektakel vor meinen Augen am dunklen Nachthimmel. Das schrille Emporzischen gefiel meinen Ohren zwar nicht, aber umso mehr jubilierten meine restlichen Sinnesorgane bei jedem einzelnen Knall, der einen Sprühregen aus glitzernden Farbkristallen resultierte. „Richte ihnen meinen Dank aus“, erklärte ich dann doch noch mit einem sachten Grinsen auf den Lippen, da es nun wirklich keine Notwendigkeit oder gar ein riesiges Anliegen meinerseits war. Die Menschlein da unten wurden sicherlich entsprechend entlohnt für ihre Arbeit. Eine Beschäftigung, um die ich die Helfer nicht unbedingt beneidete, aber gleichzeitig wünschte ich mir auch, dass es niemals enden würde, obwohl dieser Gedanke natürlich kindisch und unrealistisch war. Dennoch geisterte er mir in dem Moment verstohlen durch den Kopf, als die letzten fünf Raketen das Firmament erhellten und lediglich zarte Rauschschlieren in der Luft hingen; ein letztes Indiz auf das fulminante Schauspiel. Aber ich wollte noch nicht gehen, richtete mich dennoch ein wenig auf, um mich wieder ordentlich Isaac gegenüber hinsetzen zu können. „Ich habe nichts dagegen, wenn wir noch hier bleiben. In letzter Zeit zieht mich sehr wenig in den Kreis der Familie…“, gab ich langsam von mir, nachdenklich, ob es gut überlegt war, derartiges von mir zu geben. Mein Angetrauter wusste besser als jeder andere, wie beschissen die Verhältnisse innerhalb eines Familienverbandes herrschen konnten, weshalb ich nicht den Anschein erwecken würde, dass meine Auseinandersetzungen auch nur ansatzweise an die Tragik des Rudels herankam, vor dem Isaac die Flucht ergriffen hatte. „… oder an Orte, die mich an sie erinnern.“ Den Zusatz musste ich noch anschließen, immerhin residierten wir momentan eh in einem schicken Hotelzimmer, gut abgeschottet und isoliert. Trotzdem für meinen Geschmack fast zu nah am Geschehen. Umso mehr genoss ich die etwas wankelmütige, aber dennoch spürbare Idylle hier oben auf der Anhöhe.
Könnte ich wohl machen, ja - den kleinen Heinzelmännchen da unten ihren Dank ausrichten, so ganz höflich und vornehm. Sollte sich das irgendwie ergeben, dann würde ich das auch, aber ich persönlich hielt es nicht für nötig, sie bewusst noch einmal aufzusuchen. Sie machten das Ganze ja nicht umsonst, also reichte das förmliche "Danke", das ich ihnen bereits hatte zukommen lassen, in meinen Augen vollkommen aus. Dass ich nicht unbedingt die Güte und Herzlichkeit in Person war, war hier in der Stadt ja alles Andere als ein Geheimnis, es war ganz einfach... nicht mein Ding, lag mir auch schlichtweg so gar nicht in den Genen. Aber ich glaubte auch kaum, dass dem blonden Engel hier allzu viel daran lag, dass ich es in die Tat umsetzte, weshalb ich ihr diesbezüglich auch nur ein leichtes Nicken zukommen ließ. Es würde hier Niemanden den Ruf - meiner war ja sowieso ziemlich verbesserungswürdig, von daher war das gleich doppelt unwichtig - kosten, wenn ich es nicht tat. Ich für meinen Teil war doch ziemlich froh, als endlich wieder Ruhe einkehrte. Kein schrilles Zischen und auch kein lautes Knallen mehr. Ich hatte noch ein leichtes Piepen in den Ohren, aber das wurde auch fortwährend etwas weniger, weshalb mich das jetzt einfach gar nicht weiter kümmerte. Was daran ändern konnte ich sowieso nicht, war eben ordentlich laut gewesen und das gefiel meinen sensiblen Lauschern so gar nicht. Trotz des unangenehmen Geräuschs in meinen Ohren hörte ich Riccardas folgenden Worten aufmerksam zu, waren sie doch nicht gerade irrelevant, entschieden über den weiteren Verlauf des Abends. Es kam mir auch ganz gelegen, dass der Engel gerne noch hier bleiben wollte. Mich zog es auch nicht wirklich zurück in den Ernst des Lebens. Es war nicht nur die Tatsache, dass Riccardas Ex bei ihren Eltern herum spukte, sondern auch das ganze Drumherum. Das Feuer, das mehr oder minder auch auf meine Kappe ging, nagte doch fast ein klein wenig an meinem Gewissen und dessen Ausmaße brauchte ich nicht unbedingt vor Augen haben. Zwar würde wohl so gut wie Alles wieder renoviert worden sein, wenn wir zurück kehrten, aber dennoch wars nicht angenehm. Ich schien nicht mehr vollkommen unerwünscht in den Reihen Riccardas' Familie zu sein, weil sie wohl langsam einfach merkten, dass ich nicht auf Krieg mit ihnen aus war - nicht mehr, huuust -, aber dennoch fühlte ich mich nicht so, als würde ich dazu gehören. Auf dem Papier tat ich das, ja, aber das war auch schon Alles. Im Grunde war ich weiterhin ziemlich einsam, hatte kein mir wirklich zugehöriges Rudel. Stattdessen saß mir meine Familie jetzt wieder zunehmend im Nacken und das nagte an meinen Nerven. Aber nevermind - wir würden noch hier bleiben, Punkt. "Wem sagst du das.." erwiderte ich mit einem kurzen Blick in den wieder dunklen Nachthimmel, wobei doch ein leises Seufzen über meine Lippen kam. Ich hätte selbst nie gedacht, dass es so sehr an meiner Psyche nagen würde, wenn ich zum Einzelgänger wurde - umso mehr nervte es mich jetzt, dass mich das so verletzlich machte. Ich wendete den Blick wieder vom Himmel ab, distanzierte mich kurz etwas von der jungen Frau mir gegenüber, um nach der noch immer halb vollen Weinflasche zu greifen. Vielleicht konnte der meine gerade leicht angespitzten Nerven zusätzlich beruhigen. So schenkte ich mir nochmal was ein - betrunken werden würde ich von dem bisschen Wein ja nicht, aber er wirkte mit Glück etwas entspannend. "Willst du auch noch was? Wär sonst fast schade drum." bot ich Riccarda leicht sarkastisch mit schiefem Grinsen ebenfalls noch etwas zu trinken an, wobei ich sie nicht nötigen wollte oder so. Sie durfte auch weiterhin fast nüchtern bei mir sitzen, wenn ihr das lieber war.
Sehr angenehm, auch weiterhin der gleichen Meinung zu sein. Das kam mir wirklich sehr gelegen, entspannte ich doch gerade ausreichend, um behaupten zu können, schon lange nicht mehr so gelassen gewesen zu sein. Daran könnte ich mich direkt gewöhnen. Demnach machte ein weiteres Glas Wein auch keinen Unterschied mehr, weshalb ich ihm meine mit einem letzten Schluck zügig gelernte Weinflöte erneut hinhielt. „Wäre wirklich viel zu schade“, stimmte ich Isaac lächelnd zu, während ich dabei zusah, wie sich das Achtel erneut mit dem guten Tropfen füllte. Zwar musste ich mich einen Kommentar bezüglich des Abfüllens verkneifen, da ich wusste, wie es das letzte Mal zwischen uns abgelaufen war, als ich ein wenig zu viel Sekt intus gehabt hatte, aber allzu schwer fiel es mir auch wieder nicht. Stattdessen fiel mir etwas ein, was ich ohnehin schon längst wieder verdrängt hatte, da mir nie der optimale Moment unter die Nase gerutscht war, um meinen Mann den Vorschlag zu unterbreiten. Entweder würde er es komplett beschissen finden oder dem Ganzen eine Chance geben. Wer wusste das schon? Ich konnte im Vorfeld auch nie sagen, ob es ein Reinfall wurde oder doch ganz nett – ja, nett, das sollte im Grunde schon so Einiges verraten. Aber Augen zu und durch. „Ich würde dir gerne ein Angebot unterbreiten, auf das du nicht sofort antworten musst. Überleg es dir einfach und gib mir Bescheid“, griff ich bereits einmal voraus, nachdem ich darauf gewartet hatte, dass auch Isaacs Weinglas wieder aufgefüllt war. „Also es ist so, dass wir natürlich nicht nur Verwandtschaft hier in der Stadt haben, sondern auch verstreut auf die restliche Welt. Unter anderem gibt es selbstverständlich immer ein paar seltsamere Tanten, Onkel, wie auch immer“, plapperte ich drum herum und fuchtelte auch mit den Händen ein wenig theatralisch durch die Gegend. „Jedenfalls“, setzte ich fort, „hat besagter verrückter Onkel demnächst Geburtstag und meine überaus raffinierte Familie hat die Tradition eingebürgert, dass jedes Jahr ein anderes Familienmitglied dort hin muss, um ein paar Tage im Kreise der Durchgeknallten zu verbringen.“ Dabei zog ich kurz eine Schnute. „Dreimal darfst du raten, wer dieses Jahr die Glückliche ist und naja… ich dachte mir… eventuell willst du vielleicht mitkommen?“ Kurz erschien ein hoffnungsvolles Lächeln auf meinen vollen Lippen. „Fühl dich bitte nicht gezwungen oder so, es erwartet echt keiner von dir und niemand, ich, würde es dir echt nicht übel nehmen“, setzte ich noch hinten nach und fuhr mir nun über mich selbst grinsend durch die blonden Locken. Der Versuch war es mir wirklich wert – ich wollte da nicht allein hin!
Sehr schön, dass die junge Dame hier neben mir einen weiteren guten Tropfen ebenfalls nicht verschmähen wollte. Wie gesagt, ich hatte nicht im Kopf sie abfüllen zu wollen oder dergleichen, hatte ich heute doch ohnehin vermutlich schon mehr erreicht, als ich mir vorher überhaupt erhofft hatte. Dass wir uns geküsst hatten war ein ziemlich wichtiger, guter Meilenstein. Es veränderte natürlich nicht die ganze Welt um uns herum, aber es brachte die verkorkste Beziehung zwischen uns weiter voran. Langsam, aber stetig. Eine Sache, an die ich mich inzwischen gewöhnt hatte. Der gute Wein würde uns nach der Anspannung, die der Kuss mit sich gebracht hatte - auch, wenn diese durch das Feuerwerk wohl schon weitgehend wieder beruhigt worden war -, sicher nochmal ein bisschen mehr an gänzliche Entspannung heranführen. So füllte ich ihr nur zu gern wieder etwas von dem edlen Getränk in das Weinglas, als sie es mir bereitwillig hinhielt. Als ich die Flasche gerade wieder bei Seite stellte, fing Riccarda dann auf eine sofort Skepsis in mir hervorrufende Art und Weise an, mir einen Vorschlag zu machen. Wenn sie schon mit solchen Worten begann, konnte das Ganze ja eigentlich nur irgendwo seine Tücken haben. Aber ich nickte dennoch leicht, bevor die blonde junge Frau auch schon fortfuhr. Ich schenkte ihr aufmerksam mein Gehör, wobei ich nach und nach wirklich immer weniger wusste, was ich jetzt davon halten oder was ich dazu sagen sollte. Es hatte auf jeden Fall seine Nachteile. Immerhin war allseits bekannt, dass fremde Engel einen Wolf nicht unbedingt gerne mit offenen Armen empfingen und wie einen König behandelten, viel mehr das genaue Gegenteil. Ich wusste ehrlich nicht, ob ich mir das ganze Prozedere erneut antun wollte, weil es doch mit dem Teil von Riccardas Familie, der direkt hier wohnte, echt schon anstrengend und langwierig genug gewesen war. Allerdings erwähnte sie auch, dass besagter Onkel - oder auch deren ganze Familie - allgemein ein bisschen ein Rad ab zu haben schien. Das könnte das Ganze entweder noch weiter ins Negativ stürzen, oder aber ihn die Sache mit dem Wolf an Riccardas Seite etwas lockerer sehen lassen. Das Alles war aber nur Spekulation. Was mir die Sache aber tatsächlich fast schon schmackhaft machte, war die Tatsache, dass ich nicht wusste wie lange der nervige Ex-Freund des Engels noch hier bei ihrer Familie im Schloss sein würde und das eine willkommene Möglichkeit war, ihn von ihr fernzuhalten und es gleichzeitig nicht selbst mit ihm aushalten zu müssen. Dass ich ihn nicht mal ein bisschen leiden konnte, war wohl alles Andere als ein Geheimnis. Je mehr Abstand zwischen ihm und mir - und MEINEM Anhängsel - war, desto besser, oder? Das machte mir die Sachen dann trotz der 'Wenn und Abers' ziemlich schmackhaft. Mir fiel erst jetzt auf, dass ich eine Weile geschwiegen und die junge Frau bei mir stumm auf eine Antwort hatte warten lassen, dabei unterbewusst das Weinglas in meiner Hand vor sich hin gedreht hatte. Ich räusperte mich leicht, ehe ich dann zu der Antwort ansetzte. "Ich komm mit, denke ich... sind ja nicht die ersten Engel, mit denen ich mich auseinandersetzen muss. Wird schon schiefgehen." sagte ich schief grinsend und zuckte kurz darauf mit den breiten Schultern, bevor ich einen Schluck aus dem Weinglas nahm, es anschließend wieder sinken ließ. "Und hey, wenn er nur halb so durchgeknallt ist wie ich, hab' ich vielleicht einen neuen besten Freund." fügte ich sehr sarkastisch noch hinzu, prustete leicht, ehe ich Riccarda wieder direkt ansah, hatte ich bis dato doch überwiegend in mein Glas gestarrt.
Natürlich ließ sich eine gewisse Anspannung meinerseits nicht vollkommen verhindert, nun, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich bewusst etwas von dem Wolf wollte. Bis vor Kurzem war unser Miteinander stets auf einer sehr erzwungenen Ebene anzusiedeln gewesen und nun bat ich ihn regelrecht darum, Zeit mit mir – und exzentrischer Verwandtschaft – auf einer einsamen Insel zu verbringen. Da war es nur logisch, wenn sich eine gewisse Unruhe, wobei dies ein zu starkes Wort für meinen momentanen Gefühlszustand darstellte, in mir breit machte. Ich war weder nervös, noch rutschte ich auf meinem Platz unausgeglichen herum. Ich fühlte mich schlichtweg nicht sonderlich wohl in meiner Haut, während ich die Zeit des Schweigens mit meinen eigenen Gedanken überbrückte. Im Grunde war es wohl nicht Isaac, den ich explizit mitnehmen und vorstellen wollte, sondern viel mehr ein beliebiges Individuum, auf das ich die Aufmerksamkeit abwenden konnte. Die blonden Flattermänner waren mir schon länger nicht mehr unter die Augen gekommen, da sie zu so gut wie keiner einzigen Familienfeier eingeladen wurden, was selbstredend immer offiziell bedauert wurde, aber im Grunde scherte sich niemand darum, ob der Anreiseweg tatsächlich zu weit wäre, um ihn für ein Wochenende auf sich zu nehmen. Naja. Andersherum war es schlicht unhöflich, eine nur einmal im Jahr vorkommende Einladung dann auch noch dreist auszuschlagen – außerdem hatte ich meinen Onkel nun schon mindestens drei Jahre nicht mehr gesehen und da schickte sich ein kleines Update meines derzeitigen Lebens wohl einfach an. Was ich ihm und seiner Familie erzählen sollte, wusste ich noch nicht im Detail, immerhin waren sie so fernab vom Schlag, dass ich nicht überall von Anfang an beginnen müssen wollte. Eine minimale Zwickmühle, um die ich mich zu einem späteren Moment kümmern musste, da wieder Regung in Isaac kam, den ich recht unverblümt mit teils geistesabwesenden Blick im Fokus behalten hatte. Wie bereits gesagt, und ich stand zu diesem Wort, würde ich es ihm nicht übel nehmen, sollte er auf die Farce keine Lust haben und sich lieber eine Auszeit weiterhin im Hotel genehmigen, doch als mein Angetrauter schlussendlich doch meinte, mich begleiten zu wollen, überrollte mich eine unerwartete Welle der Erleichterung. „Wirklich?“, hakte ich zwar nach, aber die Sache war schon längst geritzt. Mit der Frage wollte ich dem jungen Mann eine letzte Chance geben, den Hals noch mal aus der Schlinge zu nehmen, wobei ich vielleicht einen Tick erfreuter klang, als es gut wäre, um weiterhin neutral zu wirken. Isaac tat diesen Schritt sicherlich nicht für mich, dazu kannte ich seine eigennützige Ader doch schon zu gut, aber unterm Strich tangierte mich sein Beweggrund wenig, denn es hieß so oder so, dass ich nicht alleine los musste. Erst recht, als sich der Dunkelhaarige sogar zum Scherzen aufgelegt fühlte, konnte ich nicht anders, als ebenfalls zu grinsen. „Glaub mir, von dem bunten Vogel kannst auch du noch etwas lernen“, versicherte ich ihm. Extravaganz bekam bei dem Teil des Stammbaumes ein ganz neues Extremum. „Jetzt wo du’s sagst… ich könnte mir vorstellen, dass ihr euch sogar verstehen könntet“, bemerkte ich amüsiert und zuckte mit den Schultern. „Ich freue mich jedenfalls und eigentlich ist es auch wirklich schön dort… sehr warm, tropisch eben.“ Keine Ahnung, ob es mein Gegenüber tatsächlich interessierte, weshalb ich mich mit den Hinweisen eher zurückhielt, ehe ich andere Signale seitens Isaac erhielt.
Ja, wirklich. Zwar konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, ob ich diese Entscheidung irgendwann zukünftig noch bereuen würde, aber bis jetzt schien mir das die bessere Option zu sein. Vielleicht machte mir der Ausflug am Ende sogar noch Spaß. Denn Riccarda schien der Ansicht zu sein, dass ich mich mit ihrer schrägen Verwandtschaft womöglich ganz gut verstehen würde. Ob das mehr ein Scherz oder tatsächlich ernst gemeint war, ließ sich nicht ganz aus ihrem Tonfall und ihrer Mimik schließen, aber ich hätte auf jeden Fall Nichts dagegen, wenn es so wäre. War dann schließlich der erste Anteil von dem Engelsvolk, der mich auf Anhieb oder zumindest nicht erst nach monatelangem, striktem Benehmen heraus akzeptierte. Ob vielleicht eine Abneigung meinerseits vorhanden sein würde, nachdem sie ihre ersten paar Wörter losgeworden waren, das schloss ich jetzt erst einmal aus. Ich mochte Leute, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hatten und der sehr wagen Beschreibung nach schienen sie auf jeden Fall lange nicht so todernst wie die hier ansässige Familie meiner Ehefrau sein. Das konnte nur gut sein, oder zumindest redete ich mir das gerade ganz vorbildlich ein, um mir den Trip schmackhafter zu machen. Außerdem war es sicher angenehm, wenn ich für ein paar Tage gänzlich vom Radar des Rudels verschwand. Die durften sich dann ruhig wundern, warum ich im Wald keine Spuren und Gerüche mehr hinterließ, warum ich dort nicht jagen ging. Der letzte Gedanke brachte mich unumstößlich zu meiner nächsten Frage. "... die essen da drüben aber vermutlich trotzdem kein Fleisch, oder?" hakte ich nach, ob ich mich dann wirklich nur von Gemüse ernähren musste, sofern sie sich nicht zu einer Umplanung bezüglich des Speiseplans überreden ließen. Überleben würde ich das schon, aber toll wär's nicht. Ob mir das mit dem tropischen Klima allerdings so gut gefiel, da war ich mir nicht sicher. Dass ich mich das letzte Mal in einer deutlich schwüleren, heißeren Umgebung aufgehalten hatte, war eine halbe Ewigkeit her. Da musste ich irgendwas zwischen 8 und 9 Jahren alt gewesen sein. Das war der letzte, halbwegs friedliche Familienurlaub in wärmeren Gefilden gewesen. Danach waren wir zum einen nur noch selten weggefahren oder -geflogen und zum Anderen hatte sich dann zunehmend Alles ins Negative gewandelt. Ich hatte angefangen, eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln und wie das Ganze weiterging, letztlich geendet war, das konnten wir alle hier sehen - statt bei meiner Familie, meinem Rudel zu sein, lag ich hier mit einem zwangsverheirateten Engel an meiner Seite herum. "Ehrlich gesagt kann ich dir nicht mal sagen, ob ich das warme Klima gut oder schlecht finde... das letzte Mal, dass ich im Urlaub war, ist gefühlt Jahrhunderte her. Wir werdens also erst noch rausfinden." sagte ich diesbezüglich leicht ironisch, kurz bevor ich noch ein, zwei Schlucke aus dem Weinglas nahm. Wenn ich mich recht erinnerte, dann passte sich meine Körpertemperatur zwar ganz gut von selbst an die Witterungsverhältnisse an, eben auch bei Hitze, aber das sagte mir ja noch lange nicht, ob ich auch gerne in der Sonne baden würde. Zwar hatte ich von Natur aus keinen bleichen Teint, aber ein oder zwei Sonnenstunden würden meiner Haut sicher zu Gute kommen. "Aber ein bisschen Sonne kann wohl nicht schaden." fügte ich mit einem Zucken der breiten Schultern noch hinzu, ehe ich meinen Blick wieder in ihre Augen richtete, sie ein wenig musterte. Einfach nur, weil das immernoch eine Sache war, die ich sehr gerne tat. Nicht nur bei Riccarda, sondern so ganz allgemein.
Zufrieden und für meine aktuellen Umstände sogar beinahe als glücklich zu bezeichnen, war der schwierige Teil nun ebenfalls erledigt und so konnte ich mich weitaus entspannter dem weiteren Verlauf der Unterhaltung hingeben. Ich grinste sogar ein wenig auf die Frage hin und schüttelte den Kopf: „Du musst dir da keine Ration an totem Reh oder sowas heimlich in die Taschen packen. Die Frau meines Onkels ist strikter Carnivor. Mehr als ein Salat an den heiligsten Feiertagen kann man von ihr nicht erwarten, was wohl unter anderem ein Grund ist, weshalb speziell meine Mutter ihre liebe Not mit der werten Dame hat.“ Isaac durfte ruhig auch ein bisschen was von den internen Unstimmigkeiten der Familie Keerlow erfahren, da es sich ohnehin meistens nicht verheimlich ließ und die Angst, dass er direkt alles brühwarm seinem Vater erzählen würde, hatte ich längst abgelegt. Dafür war zu viel im Rudel passiert, um nach wie vor von unzerstörbarer Loyalität zum Alpha zu sprechen. Der Zug war abgefahren… und stärkte meine Familie natürlich auch dementsprechend. Um mir meine gute Laune aber nicht von politischen Streitigkeiten oder Machtverhältnissen vermiesen zu lassen, lenkte ich meine Konzentration ganz schnell wieder in die Gegenwart; ins Hier und Jetzt. Um zu beweisen, dass meine Stimmung auch für Scherze passend war, sah ich Isaac empört an und schupste ihn mit meiner freien Hand leicht weg. „Sag bloß, du nennst unsere traumhaften Flitterwochen nicht Urlaub“, echauffierte ich mich künstlich und schob die Unterlippe zu einem gekonnten Schmollen nach vorne. Er brauchte aber nicht die Sorge tragen, dass ich hier wirklich der Meinung war, unsere gemeinsame Zeit direkt nach der Hochzeit wäre für mich so prickelnd gewesen. Es war herrlich unangenehm gewesen… eigentlich verschwendete ich keinen einzigen Gedanken mehr daran, hätte er mich mit dem Gerede über seinen letzten Urlaub nicht ebenfalls zum Überlegen gebracht. „Es lässt sich sicher jemand finden, der deine empfindliche Pfirsichhaut ausreichend mit Sonnenschutz eincremt“, neckte ich meinen Mann und grinste frech. Als mir sein anhaftender Blick dann jedoch auffiel, verrutschte das Grinsen langsam zu einem eher zögerlichen Lächeln und ich legte den Kopf instinktiv ein bisschen in die Schräglage. „Erkennst du endlich meinen Heiligenschein?“, hakte ich dann aber doch herausfordernd nach, als mir seine Musterung etwas so viel wurde. Da ich wusste, wie schnell scheinbar unschuldige Situation zwischen uns entgleisen konnte, behielt ich den lockeren Unterton bei, sprach es aber dennoch an, sodass Isaac sich hoffentlich dazu gezwungen sah, es zu beenden oder im besten Fall zu erklären.
Oh, ich hatte tatsächlich mal Glück? Es gab scheinbar wirklich noch vernünftige Menschen im Hause Keerlow, die sich nicht nur von Hasenfutter ernährten. Es würde wohl nie so weit kommen, dass ich die Beweggründe zum Vegetarismus oder gar Veganismus verstand, das lag so ganz einfach nicht in meiner Natur. Für mich gab es kein Leben ohne Fleisch. Nicht nur, weil ich hauptsächlich daraus die Energie für meine übernatürliche Hälfte bezog, sondern auch, weil ich den Geschmack niemals missen wollen würde. Es ging Nichts über das saftige, noch blutig warme Fleisch. War bisher genau ein einziges Mal vorgekommen, dass ich einfach spaßeshalber mit meinem Cousin bei einem großen Buffet zu einer Art veganem Fleischersatz gegriffen hatte. Ich hatte mich zwar dazu bewegen können, den Mist tatsächlich auch noch runterzuschlucken, aber gut war echt was Anderes. Und hey, wenigstens jagte ich mir mein Fleisch überwiegend selbst, brauchte absolut nicht auf billige Discounterprodukte zurückgreifen. Tat es im Notfall zwar auch, war aber absolut kein Gaumenschmaus und qualitativer Mist. "Es gibt also doch noch vernünftige Leute in deiner Familie... sehr schön." sagte ich etwas übertrieben, woraus wohl deutlich hervorging, dass ich das nicht so ganz ernst meinte. Ich respektierte deren Ernährungshaltung inzwischen, verstehen musste ich sie dazu ja nicht. Leben und Leben lassen. Bei Riccardas folgenden Worten schnaubte ich leicht, drehte die Augen für den Bruchteil einer Sekunde etwas nach oben. Den Angriff eines Grizzlys betrachtete ich tatsächlich nicht unbedingt als meinen persönlichen Traumurlaub, nein. Wie gut, dass wir beide wussten, wie sehr wir diese Art von Urlaub ganz bestimmt zukünftig nicht wiederholen wollten. "Das nächste Mal kannst du ja den Bären abwimmeln, während ich mich an die Hütte lehne und zusehe." sagte ich ironisch, wobei ich mir dieses Schauspiel doch recht unterhaltsam vorstellte. Ob der Bär sich von ihren Kribbelfingern beeindrucken lassen würde? Doch, vermutlich schon. Immerhin wusste ich selbst sehr gut, wie sehr der Mist einem das Fell und auch die Haut verbrennen konnte, wenn der Engel hier es wirklich darauf anlegte. Aber bei einmal kurz anfassen wäre es bei dem Waldbewohner vermutlich trotzdem nicht geblieben, waren die Viecher doch wirklich furchtlos. Reines Feuer schien weiter das Einzige zu bleiben, was sie freiwillig die Flucht ergreifen ließ, wenn man sich in deren Revier befand. "Schlimmer als deine Finger kann ein Sonnenbrand nicht sein, ich würds' überleben... wenns sein muss zumindest." meinte ich schief grinsend. Ja, wir wussten halt beide, wie eitel ich mit meinem Aussehen war und das würde auch die Tatsache, dass ich bereits in festen Händen war, niemals ändern. Der scherzende Tonfall blieb bestehen, wobei ich darin doch bald etwas gebremst wurde. Ich vergaß sehr gerne, wie unangenehm mein meistens sehr stechender Blick für mein Gegenüber werden konnte, realisierte erst wie lange ich die junge Frau so direkt angesehen hatte, als es ihr wirklich unangenehm zu werden schien. Ich wendete den Blick zuerst wieder nach unten auf mein Glas, bevor ich antwortete. "Sorry... lass' dich davon nicht irritieren... das ist so eine meiner wölfischen Macken, hat in der Regel keine besondere Bedeutung. Ist einfach nur eine blöde Angewohnheit." sagte ich doch etwas entschuldigend aber nicht angespannt, weil ich eigentlich wirklich nicht wollte, dass Riccarda sich deshalb jetzt unwohl fühlte. War nicht meine Absicht gewesen, immerhin wollte ich ja, dass der Abend hier zu ihrer Zufriedenheit verlief. Jetzt erstmal nahm ich noch die letzten zwei, drei Schlücke aus dem Weinglas, bevor ich es bei Seite stellte.
Was anderes als einen anklagenden Blick konnte sich Isaac nun hoffentlich nicht erwarten und natürlich erfüllte ich diese Anforderung nur zu gerne. Streng genommen schürzte ich auch die Lippe, aber irgendwie war ich gerade wirklich nicht in der Stimmung, ihm diesen Seitenhieb übel zu nehmen. Aus diesem Stadium des hasserfüllten Verhaltens war ich wohl mittlerweile entwachsen, was doch durchaus für uns sprach, wie ich fand. Ja, damit konnte ich leben… also mit dieser gerade eingetroffenen Erkenntnis. Stattdessen grinste ich sogar ein wenig. Sollte mein ach so ambitionierter Ehemann mich wirklich verletzen oder provozieren wollte, dann wusste er ohnehin, wie er das tat und dies hier war gewiss nicht der beste Weg dafür. Gut so. Zudem schenkten wir uns in dieser Hinsicht nicht viel und hielten dadurch das sensibel Gleichgewicht unserer verkorksen Beziehung… wobei man es wohl einer ein wankelmütiges Miteinander nennen sollte. Das klang eindeutig besser. „Dann kannst du immerhin noch was lernen“, feuerte ich mindestens ebenso süffisant mit erhobenem Kinn zurück, wobei ich mir das übertriebene Grinsen bei dem vorlauten Kommentar auch nicht verkneifen konnte. Ich wusste zwar nicht, ob ich es tatsächlich mit einem ausgewachsenen Bären aufnehmen konnte, jedoch würde ich mich gewiss nicht kampflos geschlagen geben. Dazu besaß ich einerseits zu viel Stolz und andererseits musste ich meine für einen Engel doch recht ungewöhnlichen Fähigkeiten schon nutzen, wenn man sie mir schon zur Verfügung stellte. Ich sah das recht pragmatisch und gab mich deshalb von der selbstsicheren Seite. Bei seinem weiteren Kommentar musste ich nun doch ein bisschen lachen, nur ganz leise und wenig selbstverständlich. Oder so. Naja, ein bisschen Zurückhaltung durfte der Dunkelhaarige schon erfahren, aber ich blickte doch mit einem gewissen Amüsement auf meine blassen Finger hinab, in denen bedeutend mehr Kraft steckte, als man meinem zierlichen Auftreten allgemein zutraute. „Ich weiß grade nicht, ob ich das wirklich als Kompliment verbuchen kann oder es lieber lassen sollte“, scherzte ich leicht und wandte den Blick zurück zu ihm. Nun, zum derzeitigen Stand der Dinge, würde ich meine physischen Fähigkeiten nicht gegen Isaac einsetzen, sofern er mich nicht aus einer spontanen Laune heraus erneut zerfleischen wollte – anscheinend waren wir auch aus diesem Stadium draußen. Vorerst würde ihn also sicherlich nur die Sonne brutzeln. „Sonst noch irgendwelche wölfischen Macken, vor denen ich noch nicht gewarnt wurde und die mir erst auffallen werden, wenn ich nicht ausschließend damit beschäftigt bin, dich anzuschreien oder zu beschimpfen?“ erkundigte ich mich mit einem zarten Lächeln auf den Lippen. Es war das Angebot, einfach ein bisschen was zu erzählen, womit ich rechnen durfte und naja, dadurch, dass ich auch laut angesprochen hatte, dass wir über die unnötigen Auseinandersetzungen wegen Atemgeräusche des anderen und diversen Kleinigkeiten hinweg waren, erhoffte ich mir, dass Isaac vielleicht langsam auf die Idee kam, dass man mit mir tatsächlich auch normale Unterhaltungen führen konnte, bei denen weder etwas gerechtfertigt, noch bewiesen werden musste. Einfach normales Reden; ob wir das jemals hinbekommen würden?
Ja, na klar... ich und was den rohen Kampf anging noch was lernen. Das auch noch von dem unschuldigen blonden Engelchen. Uuunwahrscheinlich. Zumal ich damit in meinem Leben auch schon so unendlich viel mehr Erfahrung gesammelt hatte, als es bei Riccarda der Fall war. Ich hatte keine Ahnung davon inwiefern sie - außer mit mir natürlich - diesbezüglich schon Erlebnisse hatte sammeln müssen, aber an mein ellenlanges Repertoire an blutrünstigen Wolfskämpfen konnte es schlicht nicht herankommen. Gerade in den letzten Jahren war es sehr viel mehr geworden, hatte mein Vater mich doch wiederholt immer wieder in die Schranken weisen müssen, um mir klar zu machen, dass ich zu folgen hatte. Wie erfolgreich er damit gewesen war konnte man hier ja bestens sehen - gar nicht, lag ich hier doch ganz entspannt vom Rudel abgekappt herum. Jahrelang war ich ihm körperlich weit unterlegen gewesen, bezog er doch gleichzeitig auch massig Energie aus dem Rudel, das ihm den Rücken stärkte, hatte mich ihm zwangsweise unterordnen müssen. Aber er wurde älter und schwächer, was ihn früher oder später den Kopf kosten würde. In dieser Angelegenheit war ich nur allzu gerne Karmas rechte Hand. Andererseits konnte ich auch wirklich froh sein, dass er hier in der Stadt und ihrer direkten Umgebung Niemanden auf mich hetzen würde, weil es zu riskant war dabei in Irgendjemandes Blickfeld zu rutschen. Ich war mir fast sicher, dass er andernfalls schon längst seine treuesten Handlanger nach mir geschickt hätte, weil er schlichtweg inzwischen genauso wenig Lust auf die ewige Auseinandersetzung hatte wie ich selbst und mich einfach loshaben wollte. Ich begann diesem Gedanken viel zu intensiv nachzugehen, weshalb ich einmal kurz die Augen schloss und sie beim Öffnen wieder direkt auf Riccarda richtete. "Lassen wir lieber mal so stehen, hm?", erwiderte ich diesbezüglich nur mit einem kaum sichtlichen Augenrollen, wobei die Mundwinkel aber noch immer leicht angehoben waren, würde da jetzt besser nicht zu diskutieren anfangen, obwohl mir Worte diesbezüglich auf der Zunge lagen. War ganz einfach nicht angebracht, da weiter drauf einzugehen. Naja, indirekt war es irgendwo schon ein Kompliment. Ich sah ja nicht pauschal jeden so an, der mir irgendwann mal über den Weg lief. Mein Blick an sich war immer stechend, das an sich nichts Außergewöhnliches, aber man musste schon interessant sein, um ihn dauerhaft auf sich zu behalten. Der Engel war in vielerlei Hinsicht ein Stück weit besonders - nicht ausschließlich in positiver Hinsicht, aber doch überwiegend, wie ich mit der Zeit wohl zu begreifen begann. Sie mochte mir schon unzählige Male auf die Nerven gegangen sein und wir hatten unsere Differenzen, das war offensichtlich, aber charakterlich konnte ich dennoch nicht viel an ihr aussetzen - ihre ewige Sturheit mal außen vor gelassen, weil die sich so gar nicht mit meiner vertrug. Aber Riccarda sagte was sie dachte, war gerade heraus und sagte nicht zu Allem 'Ja' und 'Amen'. Sie hatte ihren eigenen Kopf, was man in der heutigen Zeit leider nur sehr selten antraf. Dass sie Dank ihrer Gene dazu noch gut aussah brauchte ich wohl nicht zu erwähnen. "Jetzt wo du's sagst... doch, kannst du schon. Ich mach' das für gewöhnlich nur unbewusst." Es sei denn natürlich ich wollte mein Gegenüber gerne zerfleischen, dann war der anhaftende, raubtierartige Blick sogar sehr bewusst. "Heißt also man muss schon was an sich haben.", schloss ich meinen Gedanken wörtlich ab, ließ die Augenbrauen nach oben Zucken und grinste wieder ein klein wenig. War ja nur die Wahrheit. Bei der noch folgenden Frage der blonden jungen Frau trat anschließend doch erstmal ein kurzes Schweigen meinerseits ein. An sich hatte ich ja viele Macken, aber nicht alle davon waren genetischen Ursprungs, weshalb ich da dann doch sorgfältig selektieren musste. "Die meisten kennst du glaub' ich tatsächlich schon...", setzte ich etwas nachdenklicher erneut zum Reden an, leicht gemurmelt. Sie kannte die extreme Reizbarkeit und Aggression, das Angestarre hatte sie gerade eben auch miterlebt. Dominantes Verhalten war sie von mir auch schon gewohnt, wobei das normalerweise eher nur Alpha-typisch war. Wir wussten aber wohl beide, dass ich mit dem 0815-Werwolf nicht sehr viel zu tun hatte, was wohl mitunter meiner Abstammung entsprang und den Rest hatten die gescheiterte Erziehung und die kaputte Familie übernommen. Auch das ich besitzergreifend wurde, schützen wollte, was mir lieb und teuer war, hatte sie in einer sehr schwachen Form schon bei dem Zusammenstoß mit Jago (der hieß irgendwie so, oder? Ich weiß nicht mehr genau XD) mitbekommen. Das wiederum führte mich zu der Erkenntnis, dass Riccarda mir vielleicht schon ein bisschen wichtiger war, als ich es eigentlich wollte. Als in meinen Augen gesund für mich war. "Das Einzige, was du wohl den Umständen entsprechend bisher nicht erlebt hast, ist die Sache mit dem leiiicht übertriebenen Beschützerinstinkt... was das angeht schlagen Wölfe ganz gern über die Stränge.", redete ich weiterhin meinen Gedanken nachhängend vor mich her, wobei mein Blick wieder nach unten gerutscht und inzwischen auf irgendeinem Kissen der Lounge hängen geblieben war. Doch, wenn wir beide weiterhin der Meinung waren, dass das Kriegsbeil begraben bleiben sollte, könnte das irgendwann in Zukunft relevant werden. Bis jetzt öffnete ich mich Riccarda gegenüber nicht gänzlich, sondern nur so weit, wie ich es eben für angebracht hielt. Aber sollte es irgendwann tatsächlich so weit sein, dass ich ihr gänzliches Vertrauen schenkte und wir auf einer damit sehr gut ausgebauten Basis miteinander umgingen... dann konnte es wohl doch so weit kommen. Das hatte dann nicht mal unbedingt was mit Eifersucht oder dergleichen zu tun, war in den Augen des Wolfs dann nur notwendiger, angebrachter Schutz für beide Seiten. War aus rein menschlicher Sicht aber ein in vielen Situationen übertrieben wirkendes Verhalten. Tote gab es dabei zwar normalerweise nicht, sondern nur in heftigeren Situationen.. aber auszuschließen war wohl auch das nicht. Man stellte sich mit gesundem Verstand aber auch schlicht nicht zwischen einen Wolf und seine Vertrauten.
Niemals würde ich es wagen, von mir zu behaupten, eine sonderlich diplomatische Persönlichkeit zu besitzen, lag dieser Mangel an Rhetorik doch als Fundament meiner erzwungenen Ehe zugrunde. Zumindest ging ich stark davon aus, hätte ich mich einen Funken mehr unter Kontrolle gehabt und wäre meinem hitzigen Gemüt nicht nachgekommen, würde ich nun nicht an einen Werwolf gekettet dem Sternenhimmel entgegenblicken. In der Hinsicht mochte es eher zynisch und trocken klingen, was zu einem gewissen Funken auch nach wie vor zutraf, aber mittlerweile hatte ich mich ja damit abgefunden und konnte darüber hinwegsehen, dass meine eigene Klappe mich in den Schlamassel manövriert hatte; die Hälfte der Schuld nahm ich stillschweigend auf mich, ohne dass Isaac es jemals offiziell erfahren würde. Nun denn: zwar hatte ich mich mit der arrangierten Ehe abgefunden, doch das unbedachte Gerede blieb wohl ein Teil meiner selbst, sodass ich mir auch in diesem Fall – metaphorisch gesprochen – am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen hätte. Es handelte sich stets um ein Glücksspiel, wie mein wankelmütiger Gesprächspartner meine Worte aufnahm und in dem Fall fielen sie eher gediegen aus. Irgendwo hatte ich mit einer sarkastischen Retourkutsche gerechnet, diese vielleicht erhofft, aber seine passive Zurückhaltung ließ auch mich binnen Sekunden die Lust an einem minimalen Wortgefecht verlieren; war sicherlich besser so. Speziell bei diesem klug ausgewählten Thema meinerseits. Da besann ich mich sogar zu der einzig korrekten Antwort: lächelnde Akzeptanz. Die ebenfalls mäßig angehobenen Mundwinkel spiegelten Isaacs abgekühlte Fröhlichkeit – falls man den jungen Mann jemals mit diesem Eigenschaftswort beschreiben sollte – nicht in demselben Ausmaß, jedoch ausreichend, um das Thema tatsächlich auf eine möglichst angenehme Art fallen zu lassen. Das Lächeln meinerseits wurde dafür wieder wärmer, obwohl ich nach wie vor den Funken von Skepsis nicht aus meinem Blick heraushalten konnte, während Isaac mir erörterte, wieso ich seinen Beobachtungen vielleicht doch als Kompliment ansehen durfte. Als Frau hörte man nette Worte immer gerne, doch hierbei wusste ich nicht, wie viel Wert ich diesen zurechnen durfte, ohne unrealistisch zu werden. Ich hatte also etwas an mir. Es gab viele Wege, diese Anmerkung auszulegen und zu interpretieren, aber ich entschied mich schlussendlich dazu, geschmeichelt zu sein und zwinkerte deshalb nur vergnügt. Wir beide waren ganz bestimmt noch nicht – und würden es wahrscheinlich auch niemals sein – in dem Stadium des Gesülzes angekommen beziehungsweise bereit, Süßholz zu raspeln. Meines Erachtens nach war dies auch überhaupt nicht nötig, schwang mein Interesse ohnehin sehr bald auf etwas anderes um: bisher hatte ich es selten bis gar nie von meinem überaus selbstüberzeugten Mann vernommen, Macken zu besitzen. Selbstverständlich wurde ich da hellhörig! Mit einigen… Schattenseiten, um es freundlich auszudrücken, hatte ich durchaus schon die Bekanntschaft machen dürfen und doch schien er tatsächlich zu überlegen, ob es weiteres zu berichten gab. In Gedanken erstellte sich wie von allein eine mehr oder weniger ausführliche Liste an persönlichen Nuancen, sodass ich gespannt blieb, was wohl noch folgen würde. Ich rechnete instinktiv mit vielem, aber ausgerechnet einem übereifernden Beschützerinstinkt hatte ich eher nicht erwartet, weshalb ich kurz meinerseits nachdenklich dreinblickte. „Kann ich es mit der Verschlossenheit eines Rudels vergleichen? Immerhin ist deine Familie ziemlich lang als geschlossene Einheit aufgetreten und wehe jemand hat zu lange eines der Rudelmitglieder angesehen“, überlegte ich laut und sah Isaac fragend an. Mir war durchaus bewusst, dass es nicht sein liebstes Thema sein würde, doch ich hätte gerne ein Gefühl dafür beziehungsweise ein Bild, was ich mir unter dem Beschützerinstinkt eines übernatürlichen Wolfes vorstellen durfte.
Puh, gute Frage. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, wie es sich in Hinsicht auf Riccarda auswirken konnte und würde, weil ich schlicht in dieser Richtung keinerlei Erfahrungen gesammelt hatte. Es waren keine Vergleichswerte vorhanden. Nicht einmal auf freundschaftlicher Basis mit einer anderen Frau, sondern einfach gar nicht. Wie sollte ich also darauf antworten können? Sicher würde es ähnlich wie mit dem Rudel sein, das schon, aber ob es da irgendwelche Abweichungen geben konnte, das konnte ich ihr nicht beantworten. Vielleicht würde es sowieso niemals eintreten und meine Antwort war dann sowieso nicht von Bedeutung, denn bisher war das ja nicht so. Zwar würde ich vermutlich durchaus einschreiten, wenn Jemand dem blonden Engel - egal ob mit oder ohne ihrem Einverständnis - zu nahe kam, aber das war nicht vergleichbar mit dem wölfischen Instinkt, den ich eben angesprochen hatte. Das war eine ganz andere Geschichte. "Ich denke schon... aber ich hab keinen Vergleich, außerhalb des Rudels keine Erfahrung damit... kann's dir also nicht mit Sicherheit beantworten.", fing ich wieder an zu reden und löste den bis jetzt ziemlich leeren, nachdenklichen Blick erstmal wieder von dem Kissen, auf dem er wohl eine oder zwei Minuten lang förmlich geklebt hatte. Richtete meine Augen in Riccardas, wobei mein Gesichtsausdruck relativ neutral war. Weder irgendwie negativ von dem Thema verstimmt, noch besonders glücklich. Ich hatte bisher nur einen dieser Fälle mit angesehen - also einen, der nicht aufs Rudel, sondern auf den Partner bezogen war. Zwar hatte mein Vater bekanntlich nicht mehr alle Tassen im Schrank, aber nachdem ich das gesteigerte Aggressionspotenzial definitiv von ihm geerbt - und wohl auch antrainiert - bekommen hatte, war ich von seinem Verhalten in dieser Hinsicht vielleicht gar nicht allzu weit entfernt, obwohl ich gerade eine charakterliche Veränderung durchlief. Es gab doch Vieles, was ich vermutlich in meinem gesamten, langen Wolfsleben nicht mehr ablegen würde. Ich erinnerte mich an die blutige Szene vor fünf oder sechs Jahren zurück, weshalb mein Blick sich ein zweites Mal absenkte und auf dem Unterarm der Blondine hängen blieb. Es hatte einen Geschäftspartner - rein menschlichen Ursprungs - gegeben, der immer wieder abfällige Bemerkungen in Richtung meiner Mutter gemacht hatte. Eine Woche lang, während der Geschäftsentwicklung und den zahlreichen Meetings. Ich war nur dabei gewesen, um für mein zukünftiges Amt als Vize-Alpha zu lernen, sollte mein Bruder mal verhindert sein. Der Typ hatte noch die Papiere unterzeichnet und der fast ausschließlich in weiß gehaltene Raum war ein paar Minuten später reichlich rot geworden - natürlich erst, nachdem die Klarsichthülle über das wertvollen Stück Papier geschoben worden war. Zugegeben war das ein für mich als Wolf schöner Anblick gewesen, all die kleinen Blutspritzer, die auf dem glänzend weißen, leicht spiegelnden Boden verteilt waren... natürlich kam das wie so viele andere Vergehen meines Vaters nie ans Licht der Öffentlichkeit. Aber obwohl schon zu diesem Zeitpunkt die Beziehung meiner Eltern sehr brüchig gewesen war, er eigentlich nicht mehr wirklich viel Wert auf die Nähe meiner Mutter gelegt hatte, hatte das Nichts an besagtem Beschützerinstinkt geändert. Dass er die Bedrohung - die lediglich aus einigen unangebrachten Sprüchen bestanden hatte - ohne Wenn und Aber eliminiert hatte. Auch, wenn meine Mutter davon natürlich wenig begeistert war und nur das nächste Trauma davongetragen hatte. Beim Gedanken an sie fing ich unweigerlich damit an sie zu vermissen. "Aber sollte es dazu kommen werd' ich versuchen, dir vorher Bescheid zu sagen, damit du nichts Dummes tust.", fügte ich mit wieder angehobenem Blick und einem schiefen Grinsen, leicht nach links geneigtem Kopf noch ein paar Worte hinzu. Damit wollte ich nicht sagen, dass Riccarda dumm war. Nur, dass sie keine Ahnung davon hatte, wie gefährlich das andernfalls unter gewissen Umständen für ihr Umfeld werden könnte. Ich wusste auch ehrlich nicht, ob ich ihr das wirklich verraten wollte... würde mich wahrscheinlich nur wieder von meiner aktuellen Position auf ihrer Sympathie-Skala abrutschen lassen, weil es mich zurück in das Image des großen, bösen, blutrünstigen Wolfes warf. Darauf hatte ich nicht im geringsten auch nur ein kleines bisschen Lust, hatte ich hierfür doch schon so lange ackern müssen.
Dass Isaac mir im Grunde keine handfesten Beweise für oder gegen einen ähnlichen Sachverhalt wie mit dem Rudel geben konnte, nahm ich ihm nicht weiter übel, hatte ich es irgendwie schon erwartet. Sonderlich viel emotionale Verbundenheit hatte es in dem Rudel schon lange nicht mehr gegeben, zumindest, was man nach außen hin über die Zeitspannen von mehreren Jahrzehnten hinweg innerhalb meiner eigenen Familie verfolgt hatte. Sämtliche Bindung entsprang der Loyalität des Rudels und so war dies auch der einzige Anhaltspunkt, den ich in dieser Beziehung hatte. Ob es aber deshalb vergleichbar war… gerade wegen der geringen emotionalen Komponente. Ich wusste es nicht und wollte eigentlich nicht weiter spekulieren, da am Ende nur irgendwelche Vermutungen zusammengedichtet wurden, die mir ebenso wenig weiterhalfen. Es blieb lieber darauf beruhen, weshalb ich akzeptierend nickte. „Egal, war nur eine Überlegung“, versicherte ich ihm und damit war es für mich schon wieder gegessen. Mein Gegenüber zog den Schlussstrich nicht so einfach, was ich ihm ansehen konnte. Natürlich blieb sein Blick weiterhin gleich, auch seine Mimik verzog sich nicht sonderlich auffällig. Es waren eher leichte Veränderungen in der Haltung seiner Mundwinkel beziehungsweise der Ernsthaftigkeit in dem umso starreren Blick, desto intensiver er sich mit einem Gedanken auseinandersetzte. Verdammt, ich hatte schon so unheimlich viel Zeit gehabt, dieses markante Gesicht zu mustern, dass mir eindeutig zu viele Details auffielen, die ich am besten ignorieren sollte und so suchte ich mir einen anderen gedanklichen Fixpunkt, der glücklicherweise gar nicht so lange auf sich warten ließ. Meine Suche endete bei den eigenen erblichen Mängeln, die ich in diese chaotische Beziehung einbrachte und mit denen Isaac sich weiterhin herumschlagen, im besten Falle akzeptieren würde. Da Engel ein gesondertes Bild bei den Menschen genossen, sozusagen die Boten des Herren und damit in einem Glauben verankert waren, der vor allem in früheren menschheitsgeschichtlichen Epochen niemals angefochten werden durfte, hatten sich kaum schlechte Eigenschaft in Form von Vorurteilen manifestieren können. Leider bedeutete dies noch lange nicht, dass Derartiges deshalb nicht existierte. Vor allem die Menschen wussten es nicht, doch Engel hatten seit jeher einen sehr rachsüchtigen Sinn, der nach Vergeltung verlangt, sollte unrecht geschehen. Der Glaube legte es als Rechtschaffenheit aus, doch im Grunde waren sämtliche Feldzüge, wenn man es so nennen wollte, pure Racheaktionen. Es ist unheimlich schwer und zeitaufwendig, Vergeltung bei einem Engel auszuüben, weshalb es umso beeindruckender war, dass ausgerechnet Isaac sich auf diesen herausfordernden Weg geschlagen hatte. Von den kriegerischen Tendenzen wurde nie etwas detailliert genug überliefert, aber es gab heutzutage schlichtweg so verhältnismäßig wenige meiner Sippschaft, da wir uns gegenseitig in der Vergangenheit so gut wie ausgerottet hatten, ehe das Kriegsbeil begraben wurde – es war zirka mit dem Zeitraum der Wolfsrudel zu datieren, an dem sich meine Vorfahren zusammengerissen und einen neuen, gemeinsamen Feind entdeckt hatten, gegen den es sich mindestens genauso ausgiebig zu bekämpfen gab. Alles keine Eigenschaften, die man in der Bibel oder anderen Inschriften der Kirche oder anderen Religionen finden würde; zumindest ging ich davon aus, hielt ich persönlich von dem Glauben eher weniger. Jedem das Seine. Wahrscheinlich ließe sich meine Liste weiter ausführen, sofer ich weiter intensiver darüber nachdachte, doch Isaac belebte seinen starren Blick wieder und auch ansonsten schien sein Überlegen abgeschlossen zu sein, weshalb auch ich mich darum bemühte, wieder in der Gegenwart anzukommen. „Als würde ich jemals eine Dummheit begehen“, amüsierte ich mich sarkastisch, da mir da auf den Anhieb mindestens ein paar Aspekte meiner Vergangenheit allein mit Isaac in den Sinn kamen, die ich eventuell unter dumm verbuchen sollte. Ich nahm es eher locker, aber wusste um die versteckte Warnung Bescheid. Nicht, dass ich mich nun sonderlich ängstigte oder Befürchtungen anstellen musste, doch mir ging die verschworene Treue des Rudelwolfes nicht aus dem Kopf, weshalb ich den Hinweis lieber in Erinnerung behielt… womöglich wurde es irgendwann ja in naher oder ferner Zukunft von Bedeutung für mich. „Aber es ists schon spät, findest du nicht?“, erkundigte ich mich nun bei ihm, um vielleicht langsam den Anstoß zu geben, zurück ins Hotel zu fahren; den Abend oder besser die Nacht ausklingen zu lassen. Es war allein in der kurzen Zeitspanne so viel passiert, was ich eigentlich noch in Ruhe Revue passieren lassen wollte.
Haha, ja... Riccarda und nicht durchdachte Handlungen. Wie kam es bloß, dass ich das miteinander assoziierte? Sehr mysteriös, wo wir beide doch mit am besten wussten, wie sehr wir - alle beide in etwa auf gleichem Level - dazu neigten, unüberlegte Dummheiten zu machen. Bevorzugt auch noch beide in der gleichen Situation, damit es auch ja eskalieren konnte und im Idealfall auch noch die Mitmenschen drunter leiden durften. Ja, das klang nach uns. Ich konnte darüber also nur mit einem leichten Grinsen den Kopf schütteln, bevor die junge Frau noch ein paar Worte hinterher schob. Eine indirekte Frage, um genau zu sein. Aber sie hatte Recht - es war schon spät und es wurde auch zunehmend kühler, was mich persönlich zwar nicht störte und der Engel hatte sicher ein gutes Immunsystem, aber dennoch musste ich sie hier ja nicht unbedingt frieren lassen. Zumal jetzt noch ein bisschen Ruhe in dem schon gewohnten Hotelzimmer sicher gut war, um von dem doch recht aufreibenden Trip des Abends vor dem Schlafengehen noch runter zu kommen. Wir hatten auf den morgigen Vormittag ja keine festen Termine gelegt, ausschlafen war also drin und wir hatten uns nicht hetzen müssen, aber ich hatte dem Engel alles gezeigt und gesagt, was ich hatte zum Ausdruck bringen wollen. Also ab nach Hause. Ich nickte und willigte danach auch noch mit den hörbaren Worten "Ja, machen wir uns langsam auf den Rückweg..", ein, bevor ich mich langsam zum Sitzen aufrichtete. Ich ließ meinen Blick kurz über die Lounge schweifen und war froh, das Ding in dieser Nacht nicht mehr wegräumen zu müssen. Zwar ließ ich einem der geplanten Handlanger noch eine kurze Nachricht zukommen - das Zeitalter der Mobiltelefone war ja schon sehr praktisch -, dass wir jetzt gingen und er den Kram hier grob schon aufräumen konnte, bis wir uns morgen Nachmittag wieder hier treffen würden, um das Riesensofa selbst von hier weg zu schaffen, aber selbst würde ich in dieser Nacht keinen Finger mehr rühren. Und ja, dazu brauchte man einen Wolf, der die eine Seite fast alleine hoch hielt, während vier oder fünf normale Menschen die andere Seite hielten, wenn man nicht unzählige Leute mehr anheuern wollte. Aber wie auch immer. Ich stand langsam auf und hielt Riccarda dann meine Hand hin, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Eben der Höflichkeit wegen. "Um's Aufräumen müssen wir uns zum Glück nicht kümmern.", merkte ich danach mit einem schiefen Grinsen an, weil sie nicht denken sollte, dass ich einfach Alles hier stehen und liegen lassen würde. Also doch, tat ich schon, aber es blieb ja nicht so, also war alles in Butter. Wie auch auf dem Hinweg zur Lounge, hielt ich ihr jetzt den Arm zum Einhaken hin, als wir uns auf den Rückweg zum Auto machten. Ich ging dabei nicht besonders schnell, doch eher sehr gemütlich, bis meine freie Hand in meine Hosentasche wanderte und den Autoschlüssel hervor zog, um mittels Knopfdruck die Türen zu öffnen. Auch hier markierte ich zu dem freudigen Anlass, dass ich mir doch immerhin ein paar Küsse von ihr hatte stehlen können, noch einmal den Gentleman und hielt ihr die Beifahrertür auf, bevor ich um den schicken Wagen herumging und mich selbst hinters Lenkrad warf.
Isaac widersprach mir nicht, stimmte aber auch nicht richtig zu, also nahm ich seine Mimik als amüsiertes Schmunzeln hin und ließ es dabei bleiben. Immerhin waren wir über die Phase hinweg, bei dem jedes einzelne Wort in die Waagschale geworfen wurde und man selbstständig eruieren musste, wie hochgradig falsch es der jeweils andere interpretieren konnte. Es war wirklich anstrengend gewesen, weshalb mir diese Entwicklung durchaus gefiel, wenn nicht sogar entgegen kam; es handelte sich schließlich um kein Geheimnis, was mein vorlautes Mundwerk betraf. In dem Fall profitierten nicht nur wir beide, sondern auch sämtliche Mitglieder unserer sozialen Verflechtungen davon, sich nicht permanent auf einer dünnen Eisplatte befinden zu müssen. Jedoch bezweifelte ich, dass unsere Väter vom Besten – diesem Szenario – ausgegangen waren, sondern nicht auch bis zu einem gewissen Prozentsatz den Tod ihrer Kinder einkalkuliert hatten. Wie auch immer. Ich vertiefte den Gedanken nicht weiter, sondern wandte mich noch einmal der schönen Aussicht zu. Vereinzelte Lichter erhellten die ansonsten dunklen Grundstücke und nur die Werbeanzeigen und Straßenbeleuchtungen gaben den Standort der Stadt Preis. Mir gefiel der Anblick, aber wie hieß es so treffend: man solle aufhören, wenn’s am schönsten war. Meine Begleitung schien ähnlich zu denken, schickte sich dann auch noch dazu an, mir beim Aufstehen zu helfen, obwohl ich allein mindestens genauso gut dazu imstande wäre, doch wollte ich die freundliche Geste nicht mit Undankbarkeit strafen, weshalb ich die dargereichte Pfote entgegennahm – meine sehr viel kleinere Hand in seine legte und mich sanft auf die Beine befördern ließ. So einen Service genoss ich gewiss nicht alle Tage und so kostete ich den idyllischen Moment in allen Zügen gehörig aus. Eventuell hätte ich mich doch zu bisschen einem Meckern hinreißen lassen können, als Isaac nicht einmal Anstalten machte, die Gläser oder dergleichen zusammenzustellen, eben irgendetwas dafür zu tun, dass es zusammengeräumter ausschaute. Bevor ich jedoch dazu ansetzen konnte, nahm er mir schon den Wind aus den Segeln und da blieb mir auch nichts anderes mehr übrig, als leicht zu grinsen. „Welch ein Luxus“, kommentierte ich den glücklichen Umstand und nahm erneut den angebotenen Arm zum Einhaken an. Wir verstanden uns normalerweise selten bis kaum so ausgezeichnet, um körperliche Nähe tatsächlich zuzulassen. Da nutzte ich auch diese Gelegenheit aus, um an ein wenig Körperkontakt zu gelangen – nein, ich war eben auch nicht aus Eis und Schnee geformt. „Vielen Dank“, zwitscherte ich vergnügt beim Einsteigen in das schnittige Auto und sah dabei zu, wie Isaac in wenigen großen Schritten um den Wagen herumgegangen war, ehe er sich neben mir hinters Lenkrad sinken ließ. Wie immer verging der Rückweg bedeutend schneller, nun, wo ich die Überraschung auch schon kannte und weder Anspannung, noch Nervosität an meinem Nervenkostüm klammerte. Es herrschte eine geradezu friedliche Stille zwischen uns, die erst wieder durch das Zuschlagen der Türen richtig durchbrochen wurde, denn das leise spielende Radio zählte für mich mehr zu ignorierbaren Hintergrundgeräuschen.
Auch, wenn wir das Date mit einem etwas tiefsinnigeren Gespräch beendet hatten, ließ ich es auf dem Rückweg zum Hotel gedanklich noch einmal Revue passieren. Viel besser hätte es im Grunde gar nicht laufen können, oder? Zwar war die ganze Geschichte mit dem Küssen nicht fest von mir eingeplant gewesen, aber ich hatte mir doch im Geiste schon vorher ein oder zwei Mal gesagt, dass ich es auf jeden Fall ausnutzen sollte, sollte sich auch nur der Hauch einer Chance auftun. Wobei ausnutzen irgendwie das falsche Wort dafür war. Es ging mir schon sehr lange nicht mehr darum, den blonden Engel nur irgendwann vielleicht wieder ins Bett zu kriegen und meinen Spaß damit zu haben. Das hieß natürlich nicht, dass das kein sehr angenehmer Nebeneffekt wäre, aber mir lag mittlerweile wohl wirklich Etwas daran, in den Augen der jungen Frau gut da zu stehen.. falls man das bis jetzt schon so nennen konnte. Was sie nun genau von Alledem, was heute Nacht passiert war, dachte, konnte ich schließlich nicht wissen, aber sie machte doch einen recht glücklichen Eindruck. Auch jetzt, wo wir wieder aus dem Wagen stiegen, der uns so förmlich wie sonst auch wieder von dem jungen Bediensteten des Hotels abgenommen wurde, der am Eingang wartete. Er lächelte mir nur kurz dankbar nickend zu, als ich ihm den Schlüssel und ein wenig Trinkgeld in die Hand gedrückt hatte, bevor ich mich mit Riccarda am Arm - ja, die Sache mit dem Einhaken war für den Rest des Weges jetzt einfach mal Pflicht für sie, wie ich beschloss - zu den Aufzügen ging. Einer davon beförderte uns dann zügig nach oben zu unserem luxuriösen Hotelzimmer, wo ich dann zum ersten Mal wieder beide Arme für mich selbst hatte. Mit einem leichten Gähnen dehnte ich mir den Nacken, streckte mich ein wenig und fing dann beim Gehen in Richtung des Küchenbereich schon an, mir die oberen Knöpfe des Hemds aufzumachen. Ich konnte zwar auch so gut in dem Kragen atmen, aber es war zweifelsfrei dennoch angenehmer, meinem Hals wieder etwas mehr Raum zu geben. Ich griff nur noch einmal in den Kühlschrank, der während unseres Ausflugs scheinbar erfolgreich aufgefüllt wurde, um mir eine der Wasserflaschen heraus zu nehmen und nach ein, zwei Schlucken auch schon in Richtung des abgetrennten Schlafzimmers zu gehen. Mitsamt der Flasche, die zuerst ihren Platz auf dem kleinen Nachttisch finden sollte, bevor ich mich weiter dem Hemd widmete. Es war ein langer Tag gewesen und mir persönlich war in diesem Moment so ziemlich nur noch nach Schlafen, war die Heimfahrt auch ein bisschen rädernd gewesen. Wenigstens war aber das leichte Dröhnen in meinen Ohren, das vom Feuerwerk verursacht worden war, mit der Zeit wieder gänzlich verschwunden und würde mich kaum mehr am Einschlafen hindern.
Ich hing meinen Gedanken nach, ehrlich gesagt sah ich dadurch nicht einmal, wie die Straßenlaternen an beiden Seiten der breiten Straße schnell vorbeizogen oder hier und da noch ein einsames Licht im ansonsten dunklen Anwesen leuchtete. Ich genoss den inneren Frieden beziehungsweise die angenehme Stille in meinem ansonsten auf Hochtouren laufenden Kopf. Es gab immer etwas, über das ich mir Gedanken machen musste oder sollte, jemand, der mir keine Ruhe ließ und ich kaum zum Entspannen kam, weshalb ich es nun umso entspannender fand, mich einfach in das weiche Leder des Sitzes sinken zu lassen und aus dem Fenster zu starren, ohne direkt etwas zu sehen. Zwischen Isaac und mir schien es so gut wie schon lange (noch nie) zu laufen, was mir wirklich einen erheblichen Teil des von mir benötigten Gleichgewichts zurückgab. Nicht, dass meine Streitlust es nicht ebenso genossen hatte, einen ebenbürtigen Kontrahenten vorgesetzt zu bekommen, doch mit der Zeit ging diese ewige Auseinandersetzung doch an die Substanz und beschäftigte mich selbst unterbewusst. Kein Wunder, dass ich mich nun, in einer friedvollen Phase unserer verkorksten Beziehung zueinander, so seltsam erschöpft und ausgelaugt fühlte. Ob es zu viel Hoffnung war, wenn ich mir wünschte, dass es ab nun glimpflicher zwischen uns herging? Der nächste Morgen würde es zeigen, doch nun ging es vorerst darum, zurück in das Hotelzimmer zu kommen, welches, wie nicht anders zu erwarten, in einem tadellosen Zustand auf uns wartete. Erneut hatte ich den Weg bei Isaac untergehakt zurückgelegt, doch sobald sich die Appartementtür hinter uns schloss und ich aus meinem Mantel geschlüpft war, der seinen Platz an der ansonsten recht leeren Garderobe fand, war ich wieder das große Mädchen, das auch ganz gut alleine seinen Weg durch die Wohnung bestreiten konnte. Mich plagte weder Hunger, noch Durst und doch schenkte ich mir ein Glas mit gekühltem Orangensaft ein, welches ich auch in wenigen, dafür bedächtigen Schlucken leerte und auf dem Tresen stehen ließ. Obwohl es nur wenig Wein war, den ich getrunken hatte, sollte dies nicht die letzte Flüssigkeit vor dem Schlafen gewesen sein, die meine Kehle hinuntergelaufen war. Abgesehen davon, zog es mich ohnehin noch ins Bad, wo ich das dezente Make-up von meiner Haut und den Augen entfernte, ehe ich wie gewohnt in mein Schlafoutfit schlüpfte, bestehend aus einem Top und einer kurzen Stoffshorts. Es war schlichtweg gemütlicher und da Isaac mich bereist vollkommen nackt ebenfalls zu Gesicht bekommen hatte, war es mir auch ziemlich gleichgültig, als ich derart gekleidet aus dem Bad gestiefelt kam, mir das stehen gelassene Glas noch einmal mit dem Saft füllte, ehe ich ebenfalls in das Schlafzimmer zurückkehrte, wo sich auch der junge Mann anschickte, schlafen zu gehen. Sollten wir vielleicht noch über irgendetwas reden? Und wenn ja, was wäre es? Und wie fing man dieses Gespräch aus dem Nichts heraus an, denn eines musste ich weiterhin gestehen: obwohl ich mich selbst als recht kommunikativ ansah, fiel es mir teils noch immer verdammt schwer, einfach eine Unterhaltung mit Isaac zu beginnen.
Das Hemd war nicht allzu viel später schon auf dem Boden gelandet, der durch die Fußbodenheizung so angenehm warm war. Nicht, als würde ich jene Wärme brauchen, aber es war da eben doch angenehmer an den Füßen, wenn man nicht auf kühlem Boden stand, obgleich noch Socken dran waren oder nicht. Wenn es solche Art von Luxus gab, dann nahm ich das sehr gerne mit. Wie auch das seidige Hemd fand zeitnah die Hose den Weg zum Fußboden, weil ich schlicht so gar nicht die ordentliche Sorte Mann war, und kurz darauf kam auch Riccarda ins Schlafzimmer. Ich streifte ihren Blick nur flüchtig mit meinem, bevor ich ebenfalls einen kurzen Gang ins Badezimmer erledigte. Zähneputzen musste schon noch drin sein und mit mehr oder weniger voller Blase schlafen zu gehen war auch nicht das Wahre. Mitten in der Nacht aufstehen zu müssen, weil der Bauch drückte, war einfach nur ärgerlich und man konnte dem ja sehr leicht vorbeugen. Mit frischem Atem für den Schlaf gewappnet - ich ging nämlich nicht davon aus, dass Riccarda noch einen Anflug von Liebesbedürftigkeit in der heutigen Nacht entwickeln würde - ging ich ein paar Minuten später mir die Haare raufend zurück in den Raum mit dem herrlich großen, sehr bequemen Bett, das ich mir wie die Nächte zuvor auch schon mit dem Engel teilen würde. Apropos: Als ich mich auf die Matratze sinken ließ und die Decke langsam bis über den Bauch zog, fragte ich mich dann doch, ob ich noch Irgendwas sagen sollte. Wäre es komisch der jungen Frau einfach nur eine Gute Nacht zu wünschen, so wie sonst auch? Ich hatte mir über Sowas vorher nie Gedanken machen müssen, war noch nie wirklich in einer solchen Situation gewesen. Ich fühlte mich tatsächlich ein bisschen wie ein hilfloser 15jähriger, der mit seinem ersten Date am Verzweifeln war. Nur mit dem gravierenden Unterschied, dass ich ganz andere Probleme mit dem Engel hier hatte als ein 0815-Teenieschwarm. Würde es meine eigene Hilflosigkeit nach außen hin nicht so deutlich machen, hätte ich vermutlich ein resginiertes Seufzen von mir gegeben. Ich verkniff es mir in diesem Fall aber lieber, drehte mich dann auf die rechte Seite, um die blonde junge Frau, die trotz des an sich großen Betts nicht allzu weit weg lag, besser ansehen zu können. Ich versuchte den Drang sie etwas genauer zu mustern und ihre aktuelle Gefühlslage dadurch vielleicht ein wenig besser einschätzen zu können, ebenfalls zu unterdrücken. Fand Riccarda sicher auch in dem nur noch eher schwachen, warmen Licht der Bettbeleuchtung nicht so angenehm. Deswegen zog ich es vor die Augen stattdessen zu schließen, um dem unbewussten Starren gleich einen Riegel vorzuschieben. "Du wirst nicht herkommen, oder?", stellte ich dem Engel gemurmelt eine Frage, über die ich vorher gar nicht wirklich nachgedacht hatte. Die ich jetzt im Nachhinein womöglich doch lieber für mich behalten hätte. Nicht nur, weil Kuscheln eigentlich gar nicht so mein Ding war, sondern auch, weil ich darauf im Grunde nur unwahrscheinlich ein Ja zu erwarten hatte. Es war die eine Sache mich vollen Bewusstseins zu küssen, aber eine ganz andere sich schlafend in meiner unmittelbaren Nähe aufzuhalten, inklusive Körperkontakt. Dass ich so wie sonst auch immer nur Boxershorts trug, wenn ich mich im Bett aufhielt, begünstigte den Ausgang der Frage sicher nicht. Zwar lag sie schon länger nachts neben mir, aber eben mit gewisser Distanz. Würde keinen großen Unterschied machen, wenn ich ihr wirklich Etwas antun wollen würde, aber darum ging es dabei wohl auch gar nicht. Schien auf jeden Fall so, als würde mein Verstand heute doch noch einen Korb wollen. Grenzen zu erkennen war ja bekanntlich noch nie mein Ding gewesen und wir konnten alle beide froh darüber sein, dass ich es in diesem seltenen Fall vorgezogen hatte zu fragen, statt einfach zu handeln, wie es eher meinem Muster entspräche. Meine zwangsweise angeheiratete Frau hatte inzwischen wohl doch eine Art Einfluss auf mich, von dem ich nicht recht wusste, ob ich ihn gut heißen konnte. Einerseits war es schon gut, dass Riccarda den einen oder anderen positiven Charakterzug aus mir herauszukitzeln vermochte, aber das machte mich so... weich.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +