Dann waren wir uns wohl auch an dieser Stelle einig und sie würde sicher noch hin und wieder auf dieses Angebot zurückkommen. Damit war ich mir inzwischen eigentlich sehr sicher, weil Vahagn sich immer weiter zu öffnen schien. Natürlich war sie noch weit davon entfernt mir einfach ihre halbe Lebensgeschichte aufzutischen, aber wir machten dennoch langsam kleinere Fortschritte. Viel Zeit für Gespräche hatten wir zwar irgendwo nicht mehr, aber ich würde die Russin dennoch zu rein gar nichts drängen. Hoffte lieber weiterhin darauf, dass wir uns nach diesem Flug nach Kuba noch einmal wiedersahen. Schließlich klang die Brünette da inzwischen auch gar nicht mehr so abgeneigt und womöglich würde sie sich sogar hier und da mal mittels einer Textnachricht übers Handy bei mir melden - ich blieb gerne optimistisch. Die nächste Frage der jungen Frau kam allerdings doch irgendwie unerwartet. Schlichtweg deshalb, weil sie sich vorher nie wirklich interessiert an mir gezeigt hatte, was auch relativ nachvollziehbar war, weil wir uns nicht mit einhundertprozentiger Sicherheit nochmal wiedersehen würden. Aber wenn sie mir Fragen stellte, mit denen ich so erst einmal kein Problem hatte, dann würde ich ihr die gerne beantworten. Über meine kriminelle Laufbahn zu reden fiel mir gegenüber Jemandem, der selber sehr viel Dreck am Stecken hatte, nicht gerade schwer. Da brauchte ich mich ja für Nichts wirklich zu schämen und einem normalen Zivilisten würde ich meine Machenschaften sowieso niemals auf die Nase binden. Wäre ja sinnfrei. "Naja, mit 16 hab ich langsam mit dem Ticken angefangen... mit 17 war ich dann endgültig von Zuhause weg, wobei man alle paar Wochen wechselnde, besetzte Wohnungen eh nicht wirklich so bezeichnen kann. Jedenfalls kam dann noch das Knacken und Schieben von Autos dazu. Ich hab Stück für Stück immer mehr Drogen vertickt, hab das aber immer zusammen mit ein paar meiner damaligen Freunde gemacht... gab da vor ungefähr dreieinhalb Jahren dann massiv Probleme und ich hab aus reiner Notwehr 'nen Geschäftspartner gekillt - mein erster Mord übrigens. Danach wurde es dann immer schlimmer, bis mein bester Freund auch noch dran geglaubt hat und dann hab ich Hunter gebraucht, um meinen eigenen Kopf noch irgendwie aus der Schlinge zu ziehen... und jetzt sitz' ich hier.", erklärte ich Vahagn ganz grob, wie ich in diese Geschichte hier reingerutscht war und ließ den Blick dabei aber aufs Meer gerichtet, weil sich unweigerlich vor meinem inneren Auge die eine oder andere Sache von damals abspielte. "Ich bin da irgendwie einfach reingeboren worden, würde ich sagen. Hab durch meine Eltern von einem Ghetto zum nächsten gewechselt, schon seit ich denken kann. Klar hätte ich theoretisch eine andere Wahl gehabt, hätte mich mit 15 oder 16 an Jugendamt und Co. wenden können... aber ich wollte meine Freunde nicht mit der ganzen Scheiße im Stich lassen, denen ging es teilweise noch schlechter als mir selbst. Rückblickend betrachtet war das leider sehr kurzsichtig gedacht, aber jetzt gibt's kein Zurück mehr.", fügte ich dem Ganzen noch ein paar wenige Details mehr an und rutschte dabei mit dem Blick auf die Mauer neben mir ab, wo ich etwas abwesend mit den Fingern einen kleineren, schon recht lockeren Stein aus der Fuge zwischen den eigentlichen Bausteinen nahm. Nur um ihn dann wenig später, nachdem ich ihn einen Moment lang in meiner Hand betrachtet hatte, ins Meer zu schmeißen. Erst danach sah ich langsam wieder zu Vahagn, was mir kurzzeitig unangenehm war. Ich schämte mich für Nichts, was ich getan hatte nur um selbst zu überleben, aber ich redete trotzdem einfach verhältnismäßig selten über das Drama. Erst recht nicht mit einer Frau, weil mir sonst schlicht keine im selben Arbeitsumfeld bekannt war, die mir irgendwie sympathisch war. Waren eher alle recht merkwürdige Mannsweiber, auf die ich verzichten konnte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Es sollte dann auch gar nicht lange dauern, bis Tauren mir eine ziemlich umfangreiche Antwort auf meine Frage geben sollte, die mich zwischendrin immer mal wieder abwesend mit dem Kopf nicken ließ. Zwar wusste ich, dass auch der Blick des jungen Mannes die meiste Zeit über aufs Meer gerichtet war, aber sollte er mich hier und da doch mal angesehen haben, konnte er sehen, dass ich ihm gespannt zuhörte und verstand, was er sagte. Alles in allem rechnete ich schon überhaupt nicht mit irgendeiner... guten Vergangenheit, hatten wir es doch erst im Flieger darüber, dass niemand, der im Flugzeug gesessen hatte, es jemals leicht gehabt hatte, aber irgendwie traf mich das persönlich immer gleich ein Stück weit härter, wenn jemand noch ziemlich jung gewesen war, als er in die Sache hinein gerutscht war. So wie es bei dem Norweger der Fall gewesen war. Zwar schien mir 16 Jahre ein Alter zu sein, in denen die meisten von uns angefangen hatten, irgendeinen Mist zu bauen, aber nichtsdestotrotz empfand ich das immer noch als... jung, formbar und man hätte einer solch hilflosen Seele aus dem Schlamassel helfen sollen, bevor es zu spät gewesen war. Nur wenn die Eltern das maßgebende Problem waren, dann gestaltete sich das natürlich schwierig. Klar hätte sich Tauren irgendwann von selbst Hilfe suchen können, aber er erwähnte ja bereits, was der Grund dafür gewesen war, dass er es nicht getan hatte. Ob der jetzt wirklich nachvollziehbar war, sei mal dahin gestellt, aber infrage stellen wollte ich das Ganze jetzt natürlich auch nicht. Er sprach schon so offen, da wollte ich ihn nicht unbedingt vor den Kopf stoßen, wusste ich von mir selbst doch ganz gut, dass einen das dann eher wieder dazu trieb, sich zu verschließen. Also nahm ich das einfach so hin, seufzte leise. "Irgendwie trifft es immer die falschen. Und die, die dem Ganzen kaum was entgegen zu setzen haben.", stellte ich mit dem Blick aufs Meer gerichtet fest. Von diesem Anblick löste ich mich gen Ende seiner Erläuterung bezüglich seiner Wohnsituation aber wieder, um ihn direkt anzusehen. War aus der Position gar nicht mal so einfach, aber für den Moment sollte es wohl gehen. "Immerhin scheint aus dir wenigstens ein nicht ganz so verkorkster Krimineller geworden zu sein. So jemanden wie dich habe ich echt noch nicht gesehen.", ergänzte ich meine vorangegangene Äußerung noch um ein paar letzte Worte und es bildete sich wieder ein schmales Lächeln auf meinen Lippen. Mir stand hier jetzt weiß Gott nicht der Sinn danach, mit ihm zu flirten oder dergleichen, ich stellte einfach nur eine komplett offensichtliche Tatsache in den Raum. Jemand, der problemlos Leute umbringen und danach noch ruhig schlafen konnte, zusätzlich ein sehr empathisches, angenehmes Wesen hatte und nicht zuletzt noch so unglaublich gut aussah... nein, war mir bis dato wirklich noch nicht unter gekommen. War für mich in dem Sinne also eine ganz neue Erfahrung, mit der ich auch erst einmal umzugehen lernen musste. Aber so, wie sich das Ganze hier entwickelte, schien das nicht allzu schwer zu sein, fiel es mir doch von Minute zu Minute etwas leichter, ein Stück mehr meiner harten Schale Tauren gegenüber abzulegen. "Schon komisch, dass es die meisten von uns in ihrer Kindheit getroffen hat. Kenne wohl kaum jemanden, der sich mit 30 Jahren oder älter dazu entschieden hat, sein normales, geregeltes Leben aufzugeben und Menschen morden zu gehen.", redete ich etwas nachdenklich weiter und verfolgte das kleine Steinchen, welches der Norweger im leise rauschenden Gewässer versenkt hatte, mit meinem Blick, wobei ich selbst auch wieder ein wenig in Gedanken versank. Erwachsende, die die prägende Phase ihres Lebens bereits hinter sich gelassen hatten, würden sich wohl kaum freiwillig dazu entscheiden, Freunde und Familie aufzugeben, um stattdessen unter den Fittichen eines Mafiabosses zu arbeiten. Zumindest konnte ich mir das nicht vorstellen. Kinder und Teenager hingegen... sie waren noch so naiv. Leicht zu beeinflussen und für jene war schon ein fünfziger mehr Taschengeld im Monat durch irgendwelche krummen Dinger Lockmittel genug, um sich so tief in die Scheiße ziehen zu lassen, bis sie nicht mehr von alleine aus dem Teufelskreis raus kamen. Traurig, wenn man mich fragte, aber leider die Realität. Wenn man dann noch Eltern hatte, die nicht weniger kriminell waren, standen die Chancen auf ein normales Leben eher schlecht und man war auf ewig verloren. Tauren hatte nämlich Recht... an ein Zurück war wohl für niemanden von uns mehr zu denken.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Da hatte Vahagn wohl oder übel Recht. Es waren nun mal meistens die Leute, die ohnehin schon ziemlich mies dran waren, die sich dann im kriminellen Metier verloren. Es war schlicht die einfachste Methode an Geld zu kommen, häufig jedoch im gleichen Atemzug auch die gefährlichste. Merkte man am Anfang nicht so stark, wenn man nur kleinere Mengen an irgendwelche Junkies vertickte, aber je mehr man vertickte, desto mehr Probleme bekam man damit. Traf vermutlich auch auf so ziemlich alle anderen Bereiche im illegalen Bereich zu. Solange man sich im unerheblichen Segment mit kleinen Aktionen bewegte war man relativ sicher, aber sobald man einen Fuß hinter das sichere Gatter setzte... "Ja, stimmt leider.", konnte ich der Brünetten damit also nichts als zustimmen, nickte ein klein wenig. Bei ihrem nächsten Kommentar zu meiner eigenen Person lachte ich ziemlich ironisch ein kleines bisschen in mich hinein. Schlicht deshalb, weil das genau der Punkt war, warum mich viele andere Kriminelle im ersten Augenblick nicht allzu ernst nahmen. Das konnte für mich zwar auch ein Vorteil sein, weil der eine oder andere dadurch wirklich unvorsichtig wurde, aber es nervte. Das war vermutlich in etwa mit Vahagn und der Sache mit ihrer körperlichen Schwäche zu vergleichen. Ich fand zwar eigentlich, dass das eine durchweg positive Sache war, aber auf der anderen Seite war es einfach nicht fair. Nur, weil ich anders aussah und nicht gleich Jedem grundlos an die Kehle sprang hieß das schlichtweg nicht, dass ich nicht genauso tödlich wie sämtliche andere von Hunters Schergen sein konnte. Ich hatte die gleiche Ausbildung zu Beginn von ihm kassiert wie jeder andere auch, stand Niemandem in Irgendwas nach. "Ja und ich bin eigentlich froh darüber. Aber es nervt, wenn dich deswegen kaum einer auf Anhieb ernst nimmt. Du hast ja keine Ahnung wie krass die anderen auf mir rumgehackt haben, als ich zu Hunter gewechselt habe... und zu dem Zeitpunkt war ich sowieso schon am Arsch von der ganzen Scheiße, die davor gewesen ist. Ich hab auch wirklich keine Ahnung davon, was Hunter damals in mir gesehen hat, dass er mich aufgenommen hat.", seufzte ich leise und ich wusste wirklich nicht, woher der ganze Redeschwall jetzt kam. Es war als hätte Jemand einen Kippschalter in meinem Hirn betätigt, der verursachte, dass ich mich über die Sache einfach ein wenig auskotzen musste, weil ich das sonst so selten tat. Sie hatten es mir damals einfach unnötig schwer gemacht, auch wenn mich das im Endeffekt sicher nur stärker gemacht hatte. War trotzdem ein wirklich beschissen schwerer Lebensabschnitt gewesen. "Hmm... ich glaube von normal auf kriminell umzusteigen wird auch einfach mental schwieriger, je länger man damit wartet. Die meisten Spätzünder machen's auf der Straße nicht lang.", stellte ich ein bisschen nachdenklich fest. War nur plausibel in meinen Augen. Mit 30 erst die im Untergrund geltenden Regeln zu erlernen war nicht einfach und man konnte denke ich viele Handlungen einfach nicht mehr nachvollziehen, wenn man so ganz anders aufgewachsen war. Apropos Gewohnheiten - ich hatte seit dem Abflug in Oslo keine Kippe mehr geraucht und durch das recht ernste Thema bekam ich jetzt wieder den zwanghaften Drang dazu, die Hand in meine Jackentasche zu schieben und mir kurz darauf einen Glimmstängel anzuzünden. Ich wollte die Schachtel erst gleich wieder in die Tasche zurückwandern lassen, bevor ich doch nochmal innehielt und zu der Russin sah. "Rauchst du?", stellte ich ihr die durch das Stocken meinerseits recht offensichtlich gewordene Frage, die leicht genuschelt war, weil ich die angezündete Kippe wegen mangelnder zweiter Hand lediglich mit den Lippen festhielt.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich konnte förmlich spüren, dass Tauren und ich momentan auf gleicher Wellenlänge waren. So oft wie wir einander innerhalb der letzten zwei Minuten zugestimmt hatten, war mein Budget dahingehend für den Rest des Jahres aufgebraucht, aber ehrlich gesagt... nahm ich das gar nicht so richtig wahr. Irgendwie passierte das fast schon automatisch - dieses zustimmende Nicken, durch ein paar passende Worte untermauert. Ging runter, wie Öl und das, obwohl ich sowas für gewöhnlich eher nicht von mir kannte. Normalerweise war ich doch recht distanziert von alledem und stimmte höchstens mal Geschäftspartnern beim Verhandeln von Verträgen zu, wenn es mir in diesem Moment zugute kam. Aber ansonsten drückte ich mich eigentlich immer davor, anderen Menschen in meinem Umfeld recht zu geben. Viele bildeten sich darauf dann etwas vollkommen Verkorkstes ein und auf ein darauffolgenden Ärger konnte ich wirklich gut verzichten. Nur heute war das alles ein bisschen anders. Gott allein wusste, warum das so war. Bevor ich zu einer Antwort ansetzte, griff ich mir vorerst wortlos einen der Glimmstängel aus der Packung und besah sie mir einen kurzen Augenblick. "Bis jetzt noch nicht, aber ich wollt's schon immer mal ausprobieren. Vielleicht hilft es ja, mich auf Dauer ein wenig ruhiger werden zu lassen.", stellte ich nachdenklich fest und schob mir den Filter kurz darauf auch schon zwischen die Lippen. Anders, als so ziemlich jeder andere in meinem Umfeld, rauchte und kiffte ich nicht. Wenn ich mal auf Drogen zurück griff, dann in der Regel auf den guten, alten Alkohol oder eben ein paar Tabletten. In den seltensten Fällen zog ich mal eine Nase, aber das war für gewöhnlich mit einer Reise nach Kolumbien verbunden und da ich bis heute nur relativ wenige Kunden kannte, die es dorthin verschlagen hatte, konnte ich an einer Hand abzählen, wie oft ich bis jetzt schon gekokst hatte. Auf das gestreckte Zeug in Italien hatte ich nämlich verzichtet, stand mir nicht unbedingt der Sinn danach, geschredderte DVDs oder Mehl zu schnupfen. Aber na ja. Jedenfalls hatte ich jetzt schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht, mit dem Rauchen anzufangen, weil es schlichtweg jeder tat und allesamt davon schwärmten, wie sehr es einen doch runter kommen ließ, wenn das beruhigende Nikotin seine Wirkung entfaltete. Irgendwie hatte ich das nie nachvollziehen können, aber gute Gründe, die gegen einen Versuch sprachen, gab es nun mal auch nicht. Wenn es mir nicht schmeckte, konnte ich es ja immer noch sein lassen, aber fürs erste knöpfte ich Tauren sein Feuerzeug ab, um den Tabak anzuzünden und vorsichtig einen ersten Zug von der Zigarette zu nehmen. Dass ich wie ein pubertierender Teenager, der noch überhaupt keine Erfahrungen mit der legalen Droge gemacht hatte, erst einmal zu Husten anfing, hätte mir von vornherein klar sein müssen. Nichtsdestotrotz blieb ich dran, während ich mich wieder aktiv an der Konversation beteiligte. "Ja... da kann ich dich gut verstanden.", setzte ich an, ihn darin zu bestätigen, dass ich durchaus nachvollziehen konnte, wie er sich gefühlt haben musste, als er von seinen Mitstreitern für seinen Charakter drangsaliert wurde. Es folgte ein weiterer, unbeholfener Zug an der Kippe, aber auch der ließ mich nur wieder husten. Schmecken tat das Ganze so lala, würde ich sagen. Angesichts der horrenden Preise, würde ich mir wohl noch mal überlegen, ob mir das Preis-Leistungsverhältnis zusagte, aber einem geschenkten Gaul schaute man bekanntlich nicht ins Maul... "Na ja, und was Hunters Entscheidung angeht. Entweder ist er schwul und hat dich nur wegen deinem Aussehen genommen oder, was ich sehr viel eher vermute, er hat in dir so etwas wie einen... keine Ahnung, Rohdiamanten gesehen. Jemanden, den man mit so einem unberührten Charakter noch ein bisschen zurecht feilen kann, aber scheinbar beißt er da bei dir eher auf Granit. Muss ihn sicher ärgern, dass er bei dir mit roher Gewalt nicht weiter kommt.", stellte ich mit hörbar ironischem Unterton fest, schüttelte grinsend den Kopf. Vor allem auch deswegen, weil ich mir selbst gerade die Frage stellte, wie ich auf die Vermutung kam, Hunter wäre vom anderen Ufer. Ganz offensichtlich hatte er ja eine Freundin - wobei das nichts heißen musste -, aber er machte auch so eigentlich nicht den Anschein, als würde er sich das Bett gerne mit einem anderen Mann teilen wollen. Ich schüttelte den absurden Gedanken also schnell wieder ab, richtete den Blick zurück aufs Meer, während ich die Asche der Zigarette ihren Weg im Wind gehen ließ. "Ich könnte es jetzt nicht beschwören, aber wärst du mir statt Hunter damals über den Weg gelaufen, hätte ich dich vermutlich auch von der Straße gefischt... nachdem ich dich flach gelegt hätte, natürlich. Aber zu dem Zeitpunkt hab ich noch ein beinahe wohl behütetes Leben in Russland geführt.", ließ ich meinen Gedanken mit durchaus wahren Worten freien Lauf, ohne dabei den Blick von dem Wellen schlagenden Wasser abzuwenden. Dass sich gerade grundlegend das Blatt wendete und ich mittlerweile diejenige war, die teils unpassende Sprüche an den Tag legte, fiel mir überhaupt nicht so bewusst auf. Klar, hörte ich mich selbst reden, aber ich hatte momentan das Gefühl, mit einem Freund zu reden. Und nicht mit Jemanden, den ich so bald voraussichtlich nicht noch einmal wiedersehen würde. Aber das, was ich sagte, war nichts als die Wahrheit. Sollte sich Tauren jemals einen richtigen Bart stehen lassen, würde ich ihn wohl nicht von der Bettkante stoßen, aber man musste dahingehend ja auch meinen etwas verkorksten Geschmack von vor einigen Jahren bedenken. Damals wäre der ein Jahr ältere Mann zu meiner Rechten wohl genau mein Typ gewesen. Und was den viel wichtigeren Part meiner Aussage anging: Ich hatte schon immer ein Auge für... Arbeitstiere gehabt und ich war mir sicher, dass Tauren sich unter meiner Führung sehr viel besser entwickelt hätte, als unter den Fittichen des Amerikaners. Aber das Rekrutieren von neuen Mitgliedern orientierte sich wohl ziemlich streng an dem Prinzip, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und Handlanger der Konkurrenz abzuwerben war in den wenigstens Fällen erfolgreich.
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Ich zog unweigerlich mit einem leichten Grinsen die rechte Augenbraue nach oben, als Vahagn verneinte bis dato schon geraucht zu haben, jedoch im gleichen Atemzug nach der Schachtel griff. "Shit, normalerweise bin ich eigentlich der gute Einfluss.", erwiderte ich dahingehend reichlich sarkastisch, kurz bevor ich die Schachtel zurück in meine Jackentasche packte. Das erste Husten der jungen Frau ließ dann auch gar nicht mehr lange auf sich warten und ich musste gleich noch ein bisschen breiter grinsen, weil es mir damals bei meinen ersten Zigaretten nicht anders gegangen war. Inzwischen wünschte ich mir doch wirklich nie damit angefangen zu haben, aber andererseits wäre ich psychisch womöglich endgültig den Bach runtergegangen, wenn mich die Glimmstängel nicht beruhigt hätten. Schwierige Angelegenheit, aber ich sollte den Genuss von Zigaretten trotzdem langsam ein bisschen einschränken, wenn ich nicht mit 30 an Lungenkrebs verrecken wollte. Als Vahagn ihre nächste Aussage machte nahm ich gerade selbst einen Zug von der Kippe und atmete im Anschluss erst ganz gemütlich aus, bevor ich zu einer Antwort ansetzte. "Das mit dem schwul sein kann ich ziemlich sicher verneinen.", meinte ich ironisch und hatte postwendend das Bild von einer der unzähligen, dezent eskalierten Stripclub-Eskapaden vor Augen. Ich selbst hatte mich in diesen Schuppen nur selten an mehr als dem Alkohol bedient, während die Anderen sich dort ausgetobt hatten. Für mich war das irgendwie einfach Nichts. Ich hatte es lieber, wenn eine Frau aus freien Stücken ein bisschen für mich privat tanzte und nicht, weil es nur ihr Job war. Von Nutten ließ ich sowieso grundsätzlich die Finger. Ich fand absolut nichts anziehendes daran eine Frau, die das auch noch mehrmals täglich machte, für Sex zu bezahlen - außerdem konnte ich mir das Geld auch schlichtweg sparen. "Tja, da kann er sich wohl bei meinem Vater bedanken gehen.", stellte ich mit einem leichten Schulterzucken fest, kurz bevor ich ein weiteres Mal an der Zigarette zog. "Keine Ahnung, warum das bei den Anderen funktioniert... aber bei mir ist zuschlagen in jedem Fall einfach nur extrem kontraproduktiv.", fügte ich noch ein paar mehr Worte hinzu, schnippte die Asche dabei ab. Ich konnte mit wörtlichem Druck gut umgehen, aber sobald eine Faust in meine Richtung flog sah ich ein Stück weit rot. Nicht so, dass ich austickte, aber es weckte einfach alles Andere als Vertrauen bei mir. Erinnerte mich einfach zu stark an meine Kindheit... von der Hunter eigentlich wusste, weil er mich ausgefragt hatte, als ich in sein Quartier gewechselt hatte. Womöglich sollten wir beide da einfach einmal richtig Klartext reden. Schlimmer werden konnte es ja eigentlich nicht, schließlich hatte er mich den Italienern auch schon zum Fraß vorgeworfen. Das, was Vahagn dann als nächstes sagte, löste wiederum bei mir ein perplexes Husten aus, weil ich gerade an der Kippe gezogen hatte. Hatte ich irgendwas verpasst? Was hatte sie denn jetzt mit der Eiskönigin gemacht? In den Schrank gestellt und einen Riegel vorgeschoben? Sie hatte gerade eine durchweg anzügliche Bemerkung in meine Richtung gemacht und noch im selben Atemzug etwas aus ihrer Vergangenheit erwähnt... hatte ich jetzt Halluzinogene in meinen Kippen? Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich mein kratziger Hals wieder beruhigt hatte und ich wirklich zu einer verständlichen Antwort ansetzen konnte. "Ich glaub damals hättest du mich erst einsammeln und duschen müssen, bevor du mit mir geschlafen hättest...", meinte ich mit noch leicht kratziger Stimme, aber durchweg humorvoll. Zwar war mein Style damals schon ähnlich gut gewesen, aber gerade in dieser sehr heiklen Phase meines Lebens war das Duschen hier und da mal ein bisschen zu kurz gekommen. War halt nicht so einfach dem nachzukommen, wenn man permanent Irgendwen an den Hacken hatte, der einen abmurksen wollte und man ständig woanders untertauchte. "Aber ist ja nicht so, als könnte man das nicht noch nachholen.", verkniff ich mir den einen Kommentar dann doch ganz bewusst nicht, weil ich wissen wollte, wie sie darauf jetzt reagierte. Ob ich wieder nur einen richtig miesen Dämpfer zurückbekam oder die Brünette sich inzwischen wirklich so weit fallen ließ, mich nicht mehr nur kalt abzublocken. "Wohnst du jetzt nur noch in Italien? Oder switcht du?", hakte ich der Neugier wegen einige Sekunden später erst nach und verband mit dieser Frage an sich auch erstmal nicht viel mehr Details dazu. Eine schlichte Antwort reichte mir da im Grunde auch, wenn Vahagn dazu sonst nicht viel sagen wollte. Ich wollte unsere langsamen, kleinen Fortschritte jetzt schließlich nicht komplett über den Haufen werfen und wieder von vorne anfangen zu müssen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Tauren bestätigte mir mit seinen nächsten Worten, was ich eigentlich schon erwartet hatte - nämlich, dass Hunter ganz bestimmt nicht schwul war. Woher er das so genau wusste, wollte ich in dem Augenblick dann allerdings weniger wissen, weshalb ich nur breit grinsend mit dem Kopf schüttelte. Jenes Grinsen verflog jedoch recht schnell wieder, als das Thema gleich ein Stück weit ernster wurde, und mir Tauren damit indirekt offenbarte, dass es in seiner Familie wohl des öfteren zu Handgreiflichkeiten gekommen war. Nicht, dass mich das jetzt gewundert hätte, aber es schien mir trotzdem unpassend, weiterhin das belustigte Grinsen auf den Lippen zu tragen, wenn es um ein solch sensibles Thema ging. "Ich bin auch kein großer Freund von Gewalt. War ich noch nie.", ließ ich ein paar durchweg ernst gemeinte Worte verlauten. Mochte man mir vielleicht nicht glauben, weil ich mir doch eben erst durch diese meinen Respekt verschafft hatte. Aber... "Klar, manchmal ist es der einzige, gangbare Weg, aber Spaß definiere ich persönlich ja anders. Meiner Meinung nach sollte man es auch bei seinen Handlangern, die einem anfangs vielleicht vollkommen wertlos erscheinen, erstmal mit einer verhältnismäßig ruhigen Art versuchen. Zuschlagen kann man dann immer noch. Aber ich glaube, wenn du einmal die Hand gegen ein sensibles Wesen erhoben hast, bevor man miteinander geredet hat, dann war's das. Irreparabler Dauerschaden, was das Vertrauensverhältnis angeht." Erwartete ja auch niemand von einem, dass man seinen Rekruten das Ego streichelte oder ihn mit Samthandschuhen anpackte, aber bevor ich auf körperliche Gewalt zurück griff, versuchte ich es erst einmal mit ein paar bestimmten, herrischen Worten. Ließ sich eine nicht ganz so naive Seele dadurch kaum beeinflussen, wurden eben härtere Geschütze aufgefahren. Es folgte wieder ein nachdenklich Zug an der Zigarette, der mich leise husten ließ. Wurde mittlerweile zwar deutlich weniger, setzte aber leider noch nicht gänzlich aus. Außerdem blieb das unangenehme Kratzen im Hals weiterhin bestehen. Der einzige durchaus positive Aspekt war wohl tatsächlich die einsetzende Wirkung des Nikotins, ließ mich der Mist doch gleich noch ein bisschen ruhiger und auch vom Kopf her etwas entspannter werden. Die Schreie, mich dem Norweger nicht mehr, als absolut nötig war, anzuvertrauen, wurden allmählich leiser und rückten mehr und mehr in den Hintergrund, sodass ich das Gespräch beinahe unbeschwert fortsetzen konnte. Der spontane Hustenanfall des jungen Mannes ließ mich den Blick doch noch einmal vom Meer losreißen, nur um ihn fast schon besorgt anzustarren. Nur so lange, bis er sich wieder beruhigt hatte und ich verstand, dass das Röcheln nicht daher rührte, dass er sich verschluckt hatte oder dergleichen, sondern er ganz einfach nicht mit einer Aussage dieser Art von mir gerechnet hatte. Das wiederum ließ mich leise lachen, während ich den Arm, dessen Hand die Kippe zwischen Daumen und Zeigefingern hielt, wieder auf dem Knie positionierte. Zwischenzeitlich hatte ich diesen nämlich locker neben mir auf der Mauer aufgesetzt, um mich darauf abstützen zu können. "Hab kurzzeitig meinen Vater pflegen müssen, da wäre dich zu duschen wohl das kleinere Übel gewesen.", kommentierte ich also erst einmal den ersten Teil seiner Aussage, wobei das eher unschöne Erinnerung an die Zeit erweckte, als mein Vater volltrunken nicht einmal mehr in der Lage dazu gewesen war, eigenständig auf die Toilette zu gehen. Der Tod meiner Mutter hatte ihm schwer zugesetzt und er hatte lange um ihren Verlust getrauert, bis es nach einiger Zeit endlich wieder bergauf ging. Der relativ trübe Blick lag noch eine ganze Weile auf Taurens Gesicht, ehe sich passend zu meinen weiteren Antworten ein leichtes Lächeln auf die Lippen legte und ich meinen Kopf wieder in Richtung ungezähmter Natur drehte. Obwohl es die ganze Zeit über sehr warm gewesen war - und da merkte man hier schon einen stattlichen Unterschied, im Gegensatz zu Norwegen -, fegte plötzlich eine verhältnismäßig kalte Brise über uns hinweg, die auch das Wasser zu unseren Füßen aufwirbelte. "Stimmt wohl.", sparte ich an einer umfassenden Antwort auf seinen Wunsch, das Ganze doch einfach nachzuholen. Dabei achtete ich ganz bewusst auf eine Formulierung, die alles, aber auch gleichzeitig nichts bedeuten konnte. Auf der einen Seite hätte es ein Ja klar, am besten gleich sofort-Stimmt wohl sein können, auf der anderen Seite konnte man damit auch einfach seine Zustimmung darüber, dass es in der Regel nie zu spät war, noch etwas Verpasstes aufzuholen, äußern, was wiederum nicht zwangsläufig etwas damit zutun haben musste, dass ich Interesse daran hegte. Sicher war ich mir in keinem Fall, aber eine schroffe Abfuhr stand mir aktuell auch nicht im Sinn. Die alles, aber zeitgleich auch gar nichts sagenden Worte schienen mir da als Antwort perfekt. Bezüglich seiner letzten Frage, vermied ich es ganz bewusst, ihn doch noch einmal anzusehen. Schlicht, weil ich die letzten paar Minuten, bevor die dreiviertel Stunde rum war, noch auskosten wollte. "Ich wohne in Italien. Ab und an fliege ich mal nach Russland, um Iljah unter die Nase zu reiben, dass er immer noch in der trostlosen, kalten Einöde lebt. Er leitet dort unseren Mutterkonzern, wenn man das so sagen kann.", informierte ich den jungen Mann darüber, dass lediglich mein Bruder der Grund dafür war, weshalb ich manchmal nach Russland flog. Andernfalls hätte ich das Land wohl gemieden, wo es nur ging - ebenfalls der Vergangenheit wegen -, aber irgendwer musste dem hitzköpfigen Russen ja unter die Nase reiben, dass er beim Münzwurf um die Firma in Italien kläglich verloren hatte und wie schön es doch war, sich im warmen Sizilien am Strand goldbraun rösten zu lassen.
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Da waren wir uns wohl zum wiederholten Mal einig und irgendwie schien das ganze Gespräch hier immer mehr wie von selbst zu laufen. War nicht mehr so krampfhaft, wie das sonst oft der Fall gewesen war und ich genoss es unheimlich. War schlicht heilfroh darüber, dass ich seit einer gefühlten Ewigkeit mal wieder mit Jemandem sprechen konnte, der komplett außerhalb der ganzen Sache stand. Der Hunter nicht wirklich gut kannte und auch nicht für ihn arbeitete, sich also kaum bei der ganzen Sache auf seine Seite schlagen würde. Würde ich mich bei einem meiner Freunde dazu äußern wäre vermutlich Alles, was ich zurückbekam, ein stumpfes 'Na dann mach halt was er sagt, dann gibt's auch keine Probleme', weil alle davon ebenso für den Amerikaner arbeiteten, wie ich das tat. Bei der Brünetten hier war das ganz anders und gerade wirklich Balsam für meine Seele. Nach einem leichten Nicken meinerseits und einem letzten Zug von der Zigarette kam dann auch meine Antwort dazu, während ich den Glimmstängel auf der Mauer neben mir ausdrückte. "Ich meine, einerseits versteh ich's ja - es gibt wirklich viele bei seinen Männern, die echt übel drauf sind und anders gar nicht spuren. Die einmal wirklich aufs Maul gekriegt haben und sich seitdem aber halt auch nichts mehr zu Schulden lassen kommen. Bevor ich Mist bei ihm gebaut habe hat er auch nie zugeschlagen, aber seitdem... keine Ahnung, er vertraut mir nicht mehr und ich ihm genauso wenig. Um's Reden kommen wir da wohl nicht rum, aber wie du weißt ist er kein besonders einfacher oder angenehmer Gesprächspartner.", stellte ich abschließend fest und ließ die ausgedrückte Kippe dann unweit von mir auf der Mauer liegen, als ich den Kopf wieder zu Vahagn auf der anderen Seite drehte, um ihren folgenden Worten zu lauschen. Ja, im Gegensatz zu einem alten Knacker - unabhängig davon, ob jener nun der Vater war oder nicht - war ich wohl ein deutlich schönerer Anblick. Aber auch ungeachtet dessen freute es mich im Moment ihrer Aussage einfach, dass sie mir hier und da immer mehr kleine Fitzelchen über ihre eigene Person und ihre Vergangenheit offenbarte. "Zweifelsohne.", konnte ich sie darin nur bestätigen, weil ich nun einmal wusste, wie ich nackt aussah und dass ich mich mit keinem Teil meines Körpers zu verstecken brauchte. Zwar müsste ich hier und da mal wieder die jüngsten Narben mit neuer Tinte unkenntlich machen, aber sonst war mein Körper doch wirklich verhältnismäßig makellos. Gerade im Vergleich mit anderen Kriminellen und damals hatte ich noch weit weniger Narben mit mir herum getragen, als es jetzt der Fall war. Tatsächlich sollte die Russin auch meinen durchweg als Anmachspruch zu wertenden Kommentar nicht giftig beantworten. Bejahen tat sie auch nicht, sondern wählte einen ziemlich viel Nichts aussagenden Mittelweg, aber auch das war ein nicht zu verachtender Fortschritt für mich. Vielleicht gab mir jener auch gleich ein bisschen zu viel neue Hoffnung, aber was das anging war ich auch schlichtweg unverbesserlich. "Nehme ich als halbes Ja.", ließ ich sie mit einem unbeschwerten Grinsen wissen, dass der Optimist in mir nach wie vor nicht recht verschwinden wollte und alles an positiven Einflüssen zu sich nahm, was er kriegen konnte. Selbst dann, wenn das nur ein Nicht-Nein und kein wirkliches Ja von ihr war. Auch mit der nächsten Antwort auf meine Frage hinsichtlich ihres Wohnorts ließ Vahagn mich nicht im Regen stehen, sondern offenbarte mir, dass sie ihren ansehnlichen Hintern fast ausschließlich in Italien parkte. Konnte ich durchweg nachvollziehen, reizte mich Russland doch nur wenig bis gar nicht. Hätte ich die Wahl und keine einschneidende Vergangenheit mit dem italienischen Volk hätte ich mich wohl auch für das eindeutig wärmere Land entschieden. "Ein bisschen neidisch bin ich ja irgendwie schon... Familie zu haben kann sicher schön sein.", stellte ich leicht gemurmelt fest, den Blick wieder geradeaus gerichtet. Natürlich brachte es hier und da auch Nachteile, wenn man seine Blutsverwandten in etwaige Fehden mit Anderen unweigerlich hinein zog. Dennoch glaubte ich zu wissen, dass es schön war wenn man zumindest ein oder zwei Verwandte hatte, die einem bei Bedarf Rückhalt geben oder mal ein Ohr schenken konnten. An der Aussage, dass Blut dicker als Wasser war, hegte ich für meinen Teil nämlich keine Zweifel.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Es würde wohl immer mal wieder Jemanden geben, der keine andere Sprache als die von Gewalt verstand, was in meinen Augen auch vollkommen normal war. Nicht jeder war mit der Gabe gesegnet, über absolut alles reden zu können und das auch zu wollen. Klar, wäre es auf so vielen Ebenen der einfachere und weniger schmerzhafte Weg, aber wo würden wir denn hinkommen, wenn plötzlich alle Menschen gleich tickten? Wollte ich mir gar nicht ausmalen, so surreal hörte sich das alleine in meinen Gedanken schon an. "Für mich hat der Typ sowieso nicht mehr alle Latten am Zaun. Wundern tut mich bei dem gar nichts mehr.", stellte ich relativ nüchtern fest und nahm dabei ebenfalls den letzten Zug der Zigarette, um den Filter anschließend in einer der Fugen zwischen den Mauersteinen auszudrücken. Dass Hunter mir grundlegend nicht wirklich sympathisch war, schien dabei ziemlich offensichtlich zu werden, was nicht hieß, dass ich die geschäftliche Seite an ihm nicht zu schätzen wusste. Aber es war nun mal auch ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob ich jemanden beruflich in Ordnung fand oder... privat. "Ich schätze Hunter als einen guten Geschäftspartner, aber ich glaube, unsere Ansichten und Methoden sind einfach derart unterschiedlich, dass ich ihn als Mensch im Umgang mit anderen absolut nicht ausstehen kann. Aber ich gehe davon aus, dass das auf Gegenseitigkeit beruht und er meinen Erziehungsstil, den ich gegenüber meinen Leuten anwende, ebenso wenig nachvollziehen kann, wie ich seinen, was für mich dann auch wieder okay ist.", hängte ich noch ein paar nachdenkliche Worte hinten dran und zuckte schwach mit den Schultern, was mir auf der linken Seite postwendend mit einem unangenehmen Zwicken quittiert wurde. Zwar mochten der Amerikaner und ich uns in vielerlei Hinsicht ähneln, aber auch das war nicht zuletzt ein guter Grund dafür, warum wir uns vermutlich nicht länger, als unbedingt nötig war in einem Raum aufhalten sollten. Es würde auf kurz oder lang sicher Mord und Totschlag geben, wenn wir zu lange mit unseren unterschiedlichen Meinungen und Auffassungen alleine gelassen wurden. Da konnte ich mir zweifelsfrei vorstellen, dass er, wie Tauren es so schön formuliert hatte, kein angenehmer Gesprächspartner war. Ich aber eben genau so wenig, also hielten wir uns in dem Punkt wohl die Waage. Aber gut, ich hoffte jetzt einfach mal, dass wir nicht irgendwann dazu gezwungen waren, in einem engen Raum miteinander zu reden, bis einer blutete und wir weiterhin lediglich auf geschäftlicher Basis miteinander zutun hatten. Weil der Gedanke an ein solches Szenario mich innerlich unruhig ließ, widmete ich mich lieber dem sehr viel unterhaltsameren Thema, welches mich bei Taurens Aussagen gleich wieder eine ganze Ecke breiter grinsen ließ. Ein halbes Ja also. Na, von mir aus. Damit war ich fürs erste einverstanden, aber auch nur, weil damit noch rein gar nichts in Stein gemeißelt war und ich mich im Zweifel immer noch darauf berufen konnte, dass ich niemals zu einhundert Prozent zugestimmt hatte. "Wenn man das so sehen will... ein halbes Ja.", wiederholte ich noch einmal belustigt die Worte des Norwegers, nur um kurz darauf leise lachend den Kopf zu schütteln. Ja, Iljah konnte einem da drüben in Russland schon Leid tun, erreichte es da doch in den seltensten Fällen mal angenehme Temperaturen, bei denen man im T-Shirt vor die Tür gehen konnte. Aber was den Punkt mit der Familie anging... na ja, da hielt ich mich lieber ein wenig bedeckt. "Er ist das letzte Bisschen Familie, was ich noch habe und manchmal wünschte ich mir, dass auch er von einer Lawine erfasst oder durch einen Schneesturm davon gefegt werden würde. Aber ja, die meiste Zeit über ist es mit ihm eigentlich ganz schön. Er ist halt nicht weniger speziell als ich und kommt daher bei nicht jedem sonderlich gut an. Ich würde es in jedem Fall vermeiden, dass Hunter und er jemals aufeinander treffen. Und sollte es doch irgendwann in den nächsten hundert Jahren passieren, bin ich die erste, die freiwillig bis ans andere Ende der Welt zieht. Den Knall möchte ich nämlich nicht miterleben.", klärte ich den jungen Mann darüber auf, dass meine andere Hälfte nicht weniger komisch war, als ich selbst, aber ein Zusammentreffen mit Iljah und dem Amerikaner sehr viel schlimmere Ausmaße annehmen können würde, als es bis jetzt mit mir der Fall gewesen war. Ich wusste nicht, warum und von wem er das hatte, aber Iljah war unglaublich gut darin, Leute mit einer ganz bestimmten Art und Weise auf die Palme zu bringen. Er brachte Provokation förmlich auf ein ganz neues Level, vor dem selbst ich verfickt noch mal Respekt hatte. "Wie sieht es bei dir aus? Hast du eigentlich Geschwister?", richtete ich gen Ende noch eine knappe Gegenfrage an meinen Gesprächspartner. Dass er keine Familie in dem Sinne mehr hatte - tot, wie lebendig - ließ sich aus seinen Worten gut entnehmen, aber vielleicht hatte er ja noch Kontakt zu eventuell existierenden Geschwistern. War ja oft so, dass diese Geschwisterliebe durch ein solch einschneidendes Erlebnis gleich sehr viel stärker wurde.
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Hunters eigener Dachschaden war wohl unumstritten. Es würde auch schlicht Niemand, der ganz normal im Kopf war, derartiges Aggressionspotenzial und absolute Intoleranz gegenüber kleineren, absolut nicht maßgeblichen Fehlern entwickeln. Vielleicht würde es uns beiden helfen, wenn er mir einfach erzählen würde, warum er so dermaßen kaputt war. Ich wusste nicht mehr, als dass seine Familie nicht weniger am Arsch gewesen war als meine eigene, kannte da aber keinerlei Details. Dann wusste ich noch, dass er ein paar Jahre im Knast verbracht hatte und das war's. Womöglich könnte ich einige Triggerpunkte komplett umgehen, wenn er sich einfach nur ein bisschen... naja, öffnen würde. Aber dass das nicht jedem so leicht fiel wie mir selbst, das demonstrierte schon Vahagn sehr anschaulich. Dahingehend brauchte ich mir vermutlich also absolut Nichts erhoffen. Es sei denn ich versuchte das Ganze über Cosma zu deichseln. "Er ist halt kaputt. Klar, das sind wir alle, aber... er wird's nicht anders zu kompensieren wissen, vermute ich. Die klassische, sehr harte Schale um den eigentlich weichen Kern.", äußerte ich meine Vermutung mit einem leichten Schulterzucken. Natürlich konnte ich damit auch falsch liegen. Vielleicht war er einfach nur nicht mehr als ein beschissen egoistisches Arschloch und es steckte sonst nichts mehr dahinter... aber das glaubte ich einfach nicht. Es gab eigentlich immer Gründe. Unverarbeitete Geschehnisse aus der Vergangenheit und Anderes in dieser Richtung. Ich widmete mich aber doch wesentlich lieber dem Gedanken an das halbe Ja, das Vahagn mir im Folgenden noch einmal bestätigte. Das ließ unweigerlich das Grinsen wieder ein ganzes Stück breiter werden und es setzte kurzzeitig ein kleines bisschen Kopfkino ein, das hier und jetzt leider gar nicht förderlich war. Deshalb schüttelte ich auch kurzzeitig den Kopf, um jene Gedanken ganz schnell wieder loszuwerden. War hier und jetzt schlicht nicht von Vorteil. Stattdessen widmete ich mich wieder dem Thema hinsichtlich ihres Bruders. Manchmal ging er ihr scheinbar auch gehörig auf den Zeiger - wie zum Beispiel mit dem Aufhalsen ihrer jetzigen rechten Hand -, aber im Endeffekt schien sie doch ganz froh über seine Existenz zu sein. "Ich schätze es gibt wohl zwischen allen Geschwistern hier und da mal Unstimmigkeiten... aber falls er und Hunter jemals aufeinandertreffen, dann nehm mich bitte mit. Nach sinnlos sterben steht mir nicht so der Sinn.", äußerte ich mich dahingehend noch und steuerte gegen Ende wieder einen eher sarkastischen Tonfall an. Natürlich würde ich nie einfach so abhauen, weil Hunter mich dann sehr sicher irgendwann aufspüren und dafür zur Rechenschaft ziehen würde. Außerdem war ich ganz einfach nicht der Typ Mensch dafür Andere im Stich zu lassen, wenn sie auf meiner Hilfe stützten. Auch dann nicht, wenn es nur ein gewalttätiger Ex-Knacki war, um den sich das Ganze drehte. Bei der Gegenfrage der Brünetten schüttelte ich ziemlich zeitnah den Kopf und sah wieder in ihre Richtung. "Nein... und ich glaube, dass das auch besser so ist. Ich hätte es nicht ertragen, wenn sie auch noch unter den Umständen gelitten hätten...", murmelte ich so vor mich hin. War zwar schwer zu sagen, wie das Ganze wirklich ausgesehen hätte, aber wenn ich mir zusätzlich noch um Geschwister hätte Sorgen machen müssen, wäre das für meinen eigenen Kopf sicher nicht gut gewesen. Andererseits hätte ich dann aber Jemanden zum Reden gehabt... war wirklich nicht leicht einzuschätzen. Vielleicht wäre ich irgendwann dann auch noch meinem Vater gegenüber aggressiv geworden, um die Schläge für meine Geschwister abzufangen. Nein, lieber nicht. War zwar schade, hätte ich zum jetzigen Zeitpunkt eben schon gern welche, aber das Leben war kein Wunschkonzert. Das Eine ging nicht ohne das Andere.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Na ja, dass Hunter ganz offensichtlich kaputt war, kam für mich jetzt nicht überraschend. Hinter so einem verkorksten Charakter stand in der Regel keine tolle Vergangenheit, wie wir ja jetzt schon des öfteren festgestellt hatten. Grundlegend hätte es mir wohl sehr viel eher Sorgen bereitet, wenn es so gewesen wäre. Denn dann handelte es sich bei dem Typen zweifelsohne um angeborene Psychopathie. Anders könnte ich mir nämlich nicht erklären, wie man aus geregelten Verhältnissen kommend, mit Eltern, die Alles für einen taten, trotzdem das Leben auf der Straße bevorzugte. Sich lieber im Untergrund bewegte und die tolle, erfolgversprechende Vergangenheit einfach wegwarf. Aber gut, man konnte den Menschen bekanntlich nur vor den Kopf gucken. Wer wusste schon, was sich letztlich in den Köpfen der meisten Leute abspielte. Wohl nur sie selbst und der liebe Gott natürlich. Für mich war das Thema hier dann allerdings auch schon wieder erledigt, weil ich keinen Sinn darin sah, mir jetzt noch weiter meinen Kopf über den Amerikaner zu zerbrechen. Zudem wusste ich nicht, wie viel durch Tauren letztlich an ihn weiter getragen werden würde und dahingehend wollte ich mich lieber nicht weiter auf noch dünneres Eis begeben. Er konnte noch so oft sagen, dass das, was wir hier besprachen, unter uns blieb. Was er letzten Endes mit den ganzen Informationen anstellte, war dann aber eben noch einmal ein anderes paar Schuhe. "Da hast du wohl Recht.", stimmte ich dem jungen Mann also lediglich noch zu, womit die Akte für mich schließlich geschlossen war. Stattdessen widmete ich mich lieber der Geschichte rund um Taurens und meinen Familienverhältnissen, wobei ich auf seine erste Aussage hin nur belustigt schnaubte. "Unstimmigkeiten? Ich würde eher vom dritten Weltkrieg sprechen, wenn wir tatsächlich mal streiten. Aber das kommt Gott sei Dank selten vor.", stellte ich mit hörbar ironischem Unterton fest. Gut, das war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber wenn Iljah und ich uns stritten, dann fiel das in der Regel doch ein bisschen heftiger aus. Zwar sprangen wir einander nicht an die Kehle und verließen lebend den Raum, aber es wurde doch schon ziemlich laut und manchmal, wenn es richtig scheiße lief, dann blutete vielleicht auch mal jemand. Das kam aber noch seltener vor, als wir uns ohnehin zum Streiten aufraffen konnten. Das lag nicht zuletzt daran, dass wir zwar grundlegend verschiedene Charaktereigenschaften besaßen, aber dafür überdurchschnittlich oft einer Meinung waren. Konnte auch nicht jeder von sich behaupten, waren doch gerade Geschwister dafür bekannt, meistens absolut gegenteilige Ansichten zu haben. Hinsichtlich der etwas gemurmelten Worte des Norwegers, wischte ich mir das stetig breiter werdende Grinsen wieder von den Lippen. "Okay, das ist nachvollziehbar. Hat wohl aber alles seine Vor- und Nachteile.", antwortete ich leise und wollte gerade noch ergänzen, dass einem Geschwister aber auch durch eine solch schwere Zeit helfen konnten, als ich beinahe vor Schreck nach vorne ins Wasser gefallen wäre. Holovanov, der nach Ablauf der fünfundvierzig Minuten nach uns suchen gekommen war, hatte mir seine Hand auf die Schulter gelegt, während die andere auf Taurens Schulter lag. "Mein Gott.", zischte ich leise, unzufrieden, weil ich eigentlich noch nicht bereit war, das Gespräch an dieser Stelle zu beenden. Es war gerade so schön ungezwungen und locker geworden, ich hätte gerne noch etwas mehr über den netten Typen hier zu meiner Rechten heraus gefunden. War es denn wirklich schon Zeit, zu gehen? "Wie lange stehst du schon hier?", hängte ich ein paar fragende Worte an meinen Handlanger gerichtet hinten dran, der sichtlich unbeeindruckt von meiner Reaktion und auch der prompt wieder ziemlich gereizten Stimmlage zu sein schien. Zehn Minuten vielleicht, war seine Antwort gewesen, was mich nur ungläubig mit dem Kopf schütteln ließ. Er hatte zwar nicht unmittelbar hinter uns gestanden, weil sowohl Tauren, als auch ich ihn sehr viel eher ausfindig gemacht hätten, aber das Rauschen des Wassers war nicht so laut, als dass es sämtliche Worte auf eine Distanz von ein paar Metern verschluckte. Das stieß mir persönlich ziemlich sauer auf, weil ich es zum einen überhaupt nicht ausstehen konnte, beobachtet zu werden und zum anderen hatte ich hier gerade Tauren gegenüber mein Herz geöffnet und er mir zum Teil auch seines. Da hatte einfach niemand um uns herum sein Ohr unter dem Tisch liegen zu haben, verdammt noch mal.
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Dann wollte ich auch davon absolut kein Teil sein. Ich konnte Streit wie gesagt nicht leiden und war dementsprechend froh, dass ich die beiden Geschwister nicht dabei beobachten musste, wie sie sich gegenseitig unschöne Dinge an den Kopf schmissen. Nein, konnte ich gut drauf verzichten und äußerte mich auch dementsprechend. "Dann verzichtet bitte auch auf Streit, wenn du mich mit nach Moskau nimmst.", erwiderte ich recht ironisch, weil ich ohnehin nicht glaubte, dass wir wirklich viel mit ihrem Bruder zusammen rumhängen würden, wenn es wirklich irgendwann dazu kommen sollte. Zwar malte ich mir inzwischen auch da immer bessere Chancen aus, aber ich würde es trotzdem nicht als beschlossene Sache hinstellen, dass die Russin mich tatsächlich mal mit in ihr Geburtsland nahm. Hoffen war ja Gott sei Dank nicht verboten und wenn ich permanent im heißen Kuba hauste, dann war so eine Abkühlung in Russland zwischendurch vielleicht wirklich wieder eine ganz nette Abwechslung. Vor allem dann, wenn Hunter mir wieder wesentlich mehr aktive Arbeit aufhalste, was in jedem Fall passieren würde, sobald ich körperlich wieder fit war. Da klang ein Wechsel von in der Hitze durch die Gegend hetzen zu kalten Temperaturen ohne Arbeit sicher früher oder später sehr verlockend. Ich zuckte unweigerlich zusammen, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte und reflexartig die Luft scharf einzog, während ich den Kopf hastig zu jener Person umdrehte. Mir huschte zum Glück ein bekanntes Gesicht ins Blickfeld und ich atmete erleichtert wieder aus. Was musste er sich so anschleichen? War echt nicht nett, er hätte sich ja vorher mal mit Worten bemerkbar machen können, statt uns einfach aus dem Nichts heraus anzufassen. Außerdem schien er nicht gerade eben erst hier aufgetaucht zu sein, sondern sich einen Spaß daraus zu machen, uns auch noch zu beobachten. Machte ihn zumindest bei mir ein wenig unsympathisch. Offenbar war es jetzt dann auch Zeit zu gehen, was ich mit einem hörbaren Seufzen kommentierte, als ich mich langsam umzudrehen begann, um wieder Boden unter die Füße zu kriegen. Das Ganze stellte sich als nicht weniger kompliziert heraus als vorhin, nur hob ich dieses Mal zuerst das verletzte Bein über die Mauer, was die eindeutig schlauere Version war. Dieses Mal kam ich nämlich nicht ins Wanken, sondern meisterte das Ganze sehr souverän und ließ auch beiden der Anwesenden entsprechende Blicke zukommen. Wollte nicht, dass mich wieder Jemand festhielt, wo das offenbar gar nicht unbedingt notwendig war. "Kann ich irgendwo Beschwerde einreichen?", grummelte ich hörbar ironisch, aber eher leise vor mich hin, als ich nach meiner Krücke griff und gab damit meine offensichtliche Unzufriedenheit darüber preis, dass unsere gemeinsame Ruhe so fies zerstört worden war. Es war einfach irgendwie schön gewesen - sowohl das Reden an sich, als auch die Kulisse im Hintergrund. So warf ich noch einen letzten, etwas sehnsüchtigen Blick über meine rechte Schulter hinweg hinaus aufs Wasser und stand im Anschluss daran dann endgültig auf, weil wohl zwangsweise der Rückweg anstand, wenn ich nicht allein in Portugal sitzen bleiben wollte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Tja, dann war es wohl bedauerlicherweise an der Zeit, den eisigen Mantel wieder anzuziehen, um den Rückweg anzutreten. Ich schnaubte hörbar unzufrieden und zog die Augenbrauen grimmig ins Gesicht, als ich mich schweren Herzens von der Mauer erhob, nachdem Holovanov seine Griffel endlich wieder zu sich genommen hatte. Meine Laune war plötzlich derart schlecht, dass es mich fast schon ein wenig überraschte, war doch bis vor wenige Minuten noch alles in bester Ordnung gewesen und mir hätte es besser nicht gehen können. Deshalb war es schon merkwürdig, dass ich auf Taurens weniger ernst gemeinten Worte nur ein bissiges "Nein.", erwiderte, ehe ich mich schließlich sofort in Bewegung setzte, um dieses Mal mit weitaus zügigeren Schritten in Richtung des Flugplatzes zu stiefeln. Dabei zog ich geradewegs an meinem Handlanger vorbei, der von mir einen ebenso kalten, wie entnervten Blick erntete, den er aber, genau so wie meine vorangegangenen Worte an der Mauer, gekonnt ignorierte. Er schüttelte lediglich mit dem Kopf und wischte sich ein wenig angestrengt über das Gesicht, bevor ich aus dem Augenwinkel vernahm, wie er sich zu dem Verletzten umdrehte, um nach dem Rechten zu sehen. Ihm seine Hilfe anzubieten, sollte diese benötigt werden. Man sah ihm zwar deutlich an, dass er sich sträubte, dem Norweger dieses Angebot zu unterbreiten, aber... Moment mal. Was passierte hier gerade eigentlich? Warum fühlte ich mich denn jetzt auf einmal schlecht, dass das Angebot nicht von mir kam, sondern von demjenigen, der dem eigentlich norwegischen Staatsbürger vor einer dreiviertel Stunde noch beinahe den Kopf abgerissen hatte. Und, und... warum drehte ich mich dann nicht einfach wieder zu den beiden um, wenn es mich so störte? Das war doch alles nicht normal und zu sagen, dass ich gerade etwas überfragt war, sowohl was die aktuelle Situation, als auch meine zerstreuten Gedanken anging, wäre wohl eine maßlose Untertreibung gewesen. Es erschien mir nur sinnvoll, mich jetzt einfach noch sehr viel weiter von meiner rechten Hand und dem Therapeuten in spe zu entfernen, um mich bestenfalls irgendwo in eine Ecke, alleine und ohne jeglichen Kontakt zu Außenwelt zu hocken, um mir selber erst mal wieder darüber im Klaren werden zu können, was mich hier momentan eigentlich störte. Was mich so aufbrausend werden ließ, obwohl Holovanov nur seiner ihm aufgetragenen Arbeit - und darüber hinaus jetzt auch ein bisschen mehr - nachgegangen war. Wäre es mir in dem Punkt vielleicht lieber gewesen, er hätte sich meinen Anweisungen widersetzt und uns noch weitere fünfzehn Minuten eingeräumt? Vielleicht. Hätte ich daraufhin anders reagiert, wenn mein Handlanger uns dann abgeholt hätte? Vermutlich nicht. Und dieses resignierende Ergebnis meiner Überlegungen ließ mich auf halbem Weg zum Flugzeug kurzzeitig inne halten. Mich etwas verloren inmitten der sonst so leeren, ausrangierten Landebahn stehen. Fakt war nämlich augenscheinlich, dass ich heute überhaupt gar keine Lust mehr dazu gehabt hatte, das Gespräch mit Tauren unterbrechen zu müssen. Zwar konnten wir uns auf der Weiterreise durchaus noch weiterhin unterhalten, aber das war einfach nicht das selbe. Es saßen viel zu viele, teils fremde Menschen um uns herum und auch die Aussicht war bei Weitem nicht so schön, wie der Blick aufs Meer es gewesen war. Die Stimmung im Allgemeinen war einfach eine ganz andere und ich befürchtete fast, dass meine Laune daher rührte, dass ich mir eingestehen musste, dass das wohl das letzte bisschen Zeit war, in der ich so offen mit dem jungen Mann hatte reden können, wo ich mir eigentlich wünsche, dass es das nicht war. Waren wir erst einmal auf Kuba angekommen, würden sich unsere Wege höchstwahrscheinlich für eine ziemlich lange Zeit trennen und das Arbeitspensum, welches in Italien auf mich wartete, ließ es wirklich nicht zu, die vorhin bereits abgelehnte Idee, ihn einfach mal so besuchen zu kommen, vielleicht doch noch einmal zu realisieren. Denn Tauren schien mir wirklich Jemand zu sein, mit dem man hier und da mal locker und ganz ohne darauf aufpassen zu müssen, was man sagte, quatschen konnte und ich glaubte zu wissen, dass das in meine sonst so trostlosen Einöde namens Seele ein wenig Licht bringen konnte. Vielleicht hatte er ja Recht und ich brauchte einfach nur einen Zuhörer, der mit mir gemeinsam die Probleme aufarbeitete, die ich jetzt schon mehrere Jahre mit mir herum schleppte. Prinzipiell hätte ich mir mit dem Wissen auch einfach einen renommierten Psychiater in Italien suchen können, wo mir klar wurde, dass Reden durchaus Balsam für die Seele sein konnte, aber eigentlich wollte ich mit niemand anderem darüber reden, als... na ja, mit dem Norweger eben.
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Okay, alles klar. Scheinbar war dem Konto mit netten Worten jetzt wieder ein unerbittlicher Riegel vorgeschoben worden und ich würde dahingehend keine mehr zu hören bekommen. Ich hasste das. Der jungen Frau unterstellen, dass sie mir damit absichtlich eins reinwürgte, wollte ich dabei gar nicht mal. Ich hatte diese Art von plötzlich wieder einkehrender Abweisung ja vorhin schon mal in etwas milderer Form mitgeschnitten und es schien mir einfach nur ein reflexartiger Schutzmechanismus zu sein, den sie mit ihrer forschen Abweisung nutzte. Das änderte aber leider nichts daran, dass das irgendwie... naja, einfach ziemlich gemein war. Vahagn konnte von mir aus Anderen gegenüber behaupten, was sie wollte, aber mir konnte sie nicht weiß machen, dass sie nicht genauso gern wie ich noch ein paar Minuten länger da gesessen hätte. Ich schluckte aus blanker Ernüchterung leise, richtete den Blick wohl fast den ganzen Weg über nur noch auf den Boden vor meinen Füßen. Wenigstens machte ihr Handlanger seinen vorherigen Vaux Pas damit wieder gut, dass er mir mit ein paar gebrochenen Worten Englisch seine Hilfe anbot. Ich schüttelte nur leicht den Kopf und ließ ihn wissen, dass ich den Hinweg ja auch auf eigenen Beinen geschafft hatte, ich das Angebot aber durchaus zu schätzen wusste. So bewegten wir uns schweigend einige Meter zusammen fort, weil Vahagn sich wohl schnellstmöglich aus meinem Radius hatte herausbewegen wollen, bis wir die Brünette irgendwann unerwartet wieder einholten. Sie war stehen geblieben, was ich erst wahrnahm, als wir schon bei ihr waren, weil der Blick ja überwiegend auf dem Beton zu meinen Füßen geklebt hatte. Zum ersten Mal in der kurzen Zeit, die wir uns jetzt kannten, wollte ich den Grund dafür gerade aber gar nicht wissen. Einfach weil das Wissen darüber gerade Nichts daran geändert hätte, dass sie mir mit der kalten Abweisung ein bisschen weh getan hatte. Vermutlich nur, weil es im Gegensatz zu sonst so unerwartet und absolut aus dem Nichts gekommen war. Wir hatten uns noch eine Minute davor ganz entspannt unterhalten und dann klatschte sie mir trotzdem wieder so harte Worte ins Gesicht. Einfach so, nur weil Holovanov aufgetaucht war. Weil sie augenscheinlich nicht wollte, dass er merkte, dass sie sich bei mir offensichtlich doch ein bisschen wohlfühlte, wenn wir erstmal unter uns waren. War schlichtweg nicht fair von ihr und ich war schon Hunters Fußabtreter. Auf einen Zweitjob in der Richtung hatte ich wirklich keine Lust. Dementsprechend meldete ich mich jetzt ganz gekonnt auch weiterhin nicht zu Wort. Schnaubte nur leise, würdigte Vahagn auch keines weiteren Blickes und setzte meinen Weg allein die letzten Meter bis zu Ashton fort. Er schien mehr oder weniger auf mich zu warten, hielt seinen Blick auch bis ich letztlich bei ihm ankam noch auf mich gerichtet, während er mit der Hüfte an der Rückenlehne der Bank lehnte, auf der ich vorhin noch gesessen hatte. Entweder nur, weil er sicher gehen wollte, dass sein Sitznachbar nicht verschollen und noch am Leben war, oder weil er suspekt fand, was sich hier gerade abspielte. Im Endeffekt war mir der Grund dafür aber auch egal und mein Gesichtsausdruck sprach wohl Bände hinsichtlich meiner momentan doch recht miesen Laune, weshalb er nachfragte, ob Alles okay war. Mehr als ein Schulterzucken bekam er aber nicht, weil mir absolut nicht der Sinn danach stand mit Irgendjemandem darüber zu reden. Nur noch ab ins Flugzeug und das Buch weiterlesen, ja. Ich wagte zwar zu bezweifeln, dass die geschriebenen Zeilen meinen Kopf wirklich erfolgreich von den Geschehnissen ablenken konnten, aber einen Versuch war es sicher wert. Hatte ja gerade auch nicht wirklich eine andere Wahl.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Nein, am heutigen Tag würde ich wohl nicht mehr dahinter steigen, woran es jetzt genau lag, dass meine Laune plötzlich ins Bodenlose abgerutscht war. Weshalb meine Gedanken angefangen hatten, sich immer und immer schneller im Kreis zu drehen, sodass mir beinahe schwindelig davon wurde. Erst, als Tauren in Begleitung meines Schergen an mir vorbei zog, setzte auch ich mich langsam wieder in Bewegung, wobei ich dann doch irgendwie erst relativ spät wieder am Flugzeug angekommen war. Auf den letzten paar Metern war ich immer langsamer geworden, so als würde ich mich dagegen sträuben, in die Maschine steigen zu wollen. Und irgendwie... war das streng genommen auch so, wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst sein sollte. Ich wollte nicht einsteigen. Wollte nicht die nächsten Stunden schweigend neben Tauren sitzen und mir vor Augen halten, dass ich ihm gerade wohl mehr als nur etwas auf den Schlips getreten war. Zwar hatte ich gerade alle Hände voll zutun, meine Gedanken zu sortieren, aber man musste schon beidseitig blind sein, um nicht zu sehen, dass der junge Mann meine harschen Worte ausnahmsweise mal nicht so gut wegsteckte, wie er es sonst tat. Und ich konnte es verstehen - wirklich. Ich merkte ja selbst, dass meine Reaktion ihm gegenüber nicht fair gewesen war, aber was sollte ich denn bitte machen? Ich konnte nicht von jetzt auf gleich sämtliche Hüllen fallen lassen, wenn meine Handlanger in der Nähe waren, aber... aber ich hätte ihn trotzdem nicht so schroff angehen müssen. Okay, okay. Ich sah ja ein, dass ich einen Fehler gemacht hatte und jetzt? Noch ein weiteres Mal würde ich mich ganz bestimmt nicht entschuldigen können, was aber aktuell wohl daran lag, dass ich nicht wirklich wusste, wie ich das verpacken sollte. Vorhin hatte ich das Ganze noch ein bisschen auf meinen verkorksten Charakter schieben können, aber dieser Ausrede würde Tauren sicher kein zweites Mal sein Gehör schenken. Ich seufzte also resigniert, erschöpft, als ich mit meinem Fuß die erste Treppenstufe zurück in den Flieger betrat. Im Inneren des Passagierflugzeuges angekommen, erinnerte mich einer meiner Mitarbeiter prompt daran, dass ich noch etwas zu erledigen hätte, was mich genervt mit den Augen rollen, mich ihm letztlich aber ein weiteres Mal ins Cockpit folgen ließ. Stimmt, da war ja noch dieser dumme Funkspruch gewesen, den ich auswerten musste. Mehr schlecht als recht konnte ich mich die darauffolgenden fünfzehn Minuten konzentrieren, als eine mir vollkommen fremde Stimme ein paar Koordinaten aufzählte, die in den kommenden Stunden ganz besonders überwacht werden würden. Ich nickte zwischendrin abwesend, notierte mir Wichtiges und glich die Ergebnisse später mit einer Karte ab, die ich mit kreuzen und kringeln präpariert meinem Piloten schließlich in die Hand drückte. Mit ein paar knappen, hörbar erschöpften und forschen Worten gab ich die Anweisung, dann doch lieber den Weg entlang der amerikanischen Küstenregion zu fliegen, als sich nahe Afrikas ins Gefahr zu begeben. Es folgten daraufhin ein paar knappe Rückfragen, aber alles in allem schienen sich sowohl Pilot, als auch Co-Pilot kurz zu halten, war doch mehr als offensichtlich, dass ich jetzt gerne meine Ruhe haben wollte. Es vergingen weitere Minuten, in denen ich jene Fragen beantwortete, bevor ich mich schließlich zurück in die First Class und damit auf meinen Platz begab. Tauren saß bereits wieder mit Kopfhörern auf den Ohren und ein digitales Buch lesend auf seiner Ausgangsposition, würdigte mich vorerst - verständlicherweise - keines Blickes, als ich mich ins Eck fallen ließ und unzufrieden den Gurt anlegte. Nur wenige Augenblicke später hörte ich, wie sich die Türen der Maschine schlossen und darauffolgend der Lärm von startenden Triebwerken einsetzte. Weil ich zu dem Zeitpunkt absolut nicht wusste, wo mir der Kopf stand, entschied ich mich schon relativ bald, nachdem sich das Flugzeug in die Lüfte erhoben hatte, dazu, mir gleich ein paar weitere Schmerzmittel einzuwerfen, die mich nach dem Essen des von Holovanov organisierten Apfels und einer Banane in einen traumlosen Schlaf schickten. Und dieser hielt, Gott sei Dank, eine ganze Weile an. Fast die gesamte Flugzeit über, was mich beim Aufwachen und Checken der voraussichtlichen Ankunftszeit positiv überraschte. So hatte ich nur noch knappe zwei Stunden vor mir, in denen ich mit meinen Gedanken alleine war, weil sich niemand, aber auch wirklich überhaupt gar keiner dazu überreden konnte, sich zu mir - der mies gelaunten Russin - zu gesellen, um mich ein wenig abzulenken. Aber das war okay. Ich kam irgendwann, als der Pilot durch die Lautsprecher bekannt gab, dass wir ziemlich bald kubanischen Boden unter den Füßen haben würden, zu der Erkenntnis, dass es wohl besser war, wenn der Norweger und ich getrennte Wege gingen. Vielleicht hatte ich mir einfach ein bisschen zu viel auf dieser netten Unterhaltung eingebildet, gab es doch eigentlich keinen triftigen Grund, warum ich mich schlecht fühlen musste, ihn so behandelt zu haben, wie ich es in Lissabon getan hatte. Schließlich lief da nichts zwischen uns, würde es wohl auch nie und von so etwas wie einer Freundschaft waren wir auch noch meilenweit entfernt, also warum hing ich mich so sehr daran auf? Es gab nichts, aber auch gar nicht, wofür ich mich ihm gegenüber rechtfertigen oder entschuldigen musste. Er wusste, worauf er sich eingelassen hatte, als er das Gespräch mit mir gesucht hatte, also nein. Die Schuld lag definitiv nicht bei mir, dass er sich jetzt so hundeelend fühlte. Zumindest... redete ich mir das momentan noch relativ erfolgreich ein. Es war etwa 12 Uhr am Mittag Ortszeit, als die Räder der Maschine die kubanische Landebahn berührten und binnen einer weiteren viertel Stunde stand der Flieger schließlich still. Die Türen öffneten sich und schon zu dieser Uhrzeit empfing einen die Wärme mit geballter Kraft. Cosma, die ich im Augenwinkel ihren Mantel hatte anziehen sehen, kurz bevor sie ausgestiegen war, japste unter der enormen Temperaturveränderung und schien alles andere, als begeistert zu sein. Richard, der in Begleitung zweier meiner Männer die Treppen nach unten bewältigte, war hingegen ganz begeistert und zum ersten Mal seit dem gesamten Flug schien wieder so etwas wie Leben in den jungen Mann zu fahren. Ich selbst war... keine Ahnung. Gemischter Gefühle. Mir war es eigentlich egal. Ja, irgendwie war es warm, aber die Kälte meines Herzens leistete gute Arbeit, mich nicht direkt schmelzen zu lassen, als ich den kleinen Suicide Squad in ihrer vollen Besetzung am Fuß der Maschine empfing. "Tada... da wären wir. Vielen Dank, dass sie mit Gniwek Airlines geflogen sind. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt hier auf Kuba.", begrüßte ich die Gruppe hier auf der Insel und mühte mir dabei ein schmales Lächeln ab, nachdem mir gerade so überhaupt nicht der Sinn stand. Irgendwie war trotz dass ich mir eingeredet hatte, es sei alles in Ordnung, irgendwie... gar nichts in Ordnung eben. Aber das würde sich ja hoffentlich bald ändern, sobald ich nach einer kurzen Pause hier im Land der Zigarren wieder im Flieger Richtung Italien saß. Wo mir kein bildhübscher, absolut liebenswerter Tauren mehr in den Ohren lag und mich mit seiner Art verwirren konnte. Ne ne. Zuhause wartete wieder das gewohnt störrische Pack Russen. Und eventuell sogar Iljah, der wusste, wie man mich auf andere Gedanken brachte.
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Ich war einerseits doch ganz froh darum, das die letzten Tage vor dem Abflug reichlich anstrengend für mich gewesen waren. Dadurch war ich immerhin müde genug gewesen, um einen Großteil der aktiven Flugstunden in aller Seelenruhe zu verpennen. Die Pause hatte ich wie so viele Andere mit Essen und Beine vertreten verbracht, wobei ich mich jedoch nie weit von der zierlichen Rothaarigen an meiner Seite entfernte. Auch beim Schlafen hielt ich wohl die meiste Zeit über noch ihre Hand, hatte meine Finger zuvor mit ihren verschränkt und sie wohl instinktiv nie losgelassen. In jedem Fall verlief der Flug für meine Wenigkeit absolut ohne Probleme, aber ich war zugegeben doch recht skeptisch, als ich im Augenwinkel Tauren mit der Russin hatte vom Flugplatz verschwinden sehen. Einen kurzen Moment lang war ich auch versucht ihm Jemanden hinterher zu schicken, ließ es dann aber doch bleiben. Ich glaubte zwar nicht daran, dass der junge Mann immer wusste, was er tat, aber wenn ich wollte, dass die Beziehung zwischen uns beiden irgendwann wieder etwas besser funktionierte, sollte ich ihm womöglich einfach etwas mehr Vertrauen entgegen bringen. Tatsächlich wurde ich damit auch nicht enttäuscht, denn er kam auf dem Rückweg doch recht zielstrebig zurück, was ich für mich selbst stillschweigend gedanklich abnickte. Egal, was er mit dem Ausflug für ein Ziel verbunden hatte, es war ihm offenbar nicht geglückt und ich müsste sicher lügen, um zu sagen, dass mich das nicht freute. Die Russin machte schlicht nur Ärger mit ihrem sturen Charakter und da konnte es im Endeffekt nichts als gut sein, dass er dahingehend in einen sauren Apfel gebissen zu haben schien. Schließlich kamen wir etliche Stunden später in dem wunderbar sonnigen Land an, das wir uns zum Ziel gemacht hatten und es fühlte sich wirklich gut an, endgültig wieder den Boden unter den Füßen zu haben. Zwar war die Hitze im ersten Moment noch wirklich anstrengend, aber nicht einmal die konnte mir das leichte, gut gelaunte Grinsen aus dem Gesicht wischen. Nach der offiziellen Begrüßung Vahagns auf kubanischem Untergrund widmete ich für meinen Teil mich erst noch einmal dem geschäftlichen Aspekt. Das Frachtflugzeug war schon vor uns hier angekommen und wie vereinbart war der Krempel bereits in LKWs umgeladen worden, was ich trotzdem noch einmal mit meinen Augen überprüfte. Aber es schien Alles da zu sein und so überwachte ich im nächsten Schritt, wie meine Kohle nach dem einfachen Gepäck aus dem Passagierflugzeug geholt wurde. Ließ sie dort an meine eigene Gefolgschaft übergeben und noch kurz innehalten, weil ich mich auch an dieser Stelle noch einmal vergewissern wollte, dass Nichts fehlte. Schien Alles in bester Ordnung, also ging es weiter in einen Lieferwagen damit. Ich ließ fast allen meiner Männer den Vortritt, was die Bezahlung des Fluges bei Vahagn anging, weil ich ja eine größere Summe zahlte. Schließlich wollte das zweite Flugzeug bezahlt werden und außerdem zahlte ich für Sydney und Sabin mit. Letzterer sollte das bisschen Kohle, das ich ihm trotz der Schulden noch gelassen hatte, lieber dazu verwenden seinen Arsch hier in Kuba möglichst schnell wieder hochzukriegen und die Drogen an den Mann zu bringen. Trotzdem drängte ich mich bei den letzten zehn Mann mal dazwischen, um die Sporttasche voll Geld bei der Brünetten, beziehungsweise ihrem Handlanger abzugeben. Es zählte einer separat jene Tasche, während der eigentliche Zähler sich weiter der Schlange widmete. Ich blieb unweit Stehen, bis hier Alles unter Dach und Fach war, lehnte mich dabei an die noch herunter gelassene Einstiegstreppe des Fliegers hinter mir und verschränkte die Arme vor der Brust.
Wie erwartet war der Rest des Fluges dann entsprechend ätzend für mich. Ich vermied es kontinuierlich zu der jungen Frau rüber zu sehen, die mein Innerstes vor ein paar Minuten so unschön aufgewühlt hatte und trotzdem ging mir die Sache nie vollends aus dem Kopf. Da half auch alles lesen und Musik hören im Endeffekt nur wenig. Für wenige Minuten am Stück schaffte ich es mich auf etwas Anderes als die Auseinandersetzung zu konzentrieren und dann kamen die Gedanken aber doch immer wieder zurück. Deshalb versuchte ich nach etwa zwei Stunden auch selbst ein bisschen zu schlafen, während die Brünette - Shit, ich hatte wohl doch einen einzigen, ganz unauffälligen Blick nach drüben geworfen - längst vor sich hin schlummerte. Auch darum beneidete ich sie. Gerade hätte mich wohl Nichts außer mindestens einer halben Flasche Whiskey oder Vodka in den Schlaf befördert. Ich bekam es ganz einfach nicht hin, dass mein Kopf Ruhe gab und so setzte ich mich nach einer Stunde, in der ich verzweifel versucht hatte einzuschlafen, mit einem hörbaren, hochgradig genervten Seufzen wieder gerade hin. Legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke des Flugzeugs. Es sollte mir egal sein. Weder kannte ich Vahagn besonders gut, noch besonders lange und trotzdem nervte mich die ganze Sache so schrecklich, dass ich nicht zur Ruhe kam. Dabei war ich jetzt schon etliche Stunden wach und sollte eigentlich langsam mal müde werden. Ashton neben mir musterte mich mit hochgezogener Augenbraue und mein Blick traf letztlich den seinen. "Verkneif's dir.", ließ ich ihn grummelig wissen, dass ich jetzt keinen belehrenden Kommentar von ihm brauchte, nur weil er älter und ach so weise war. "Es wundert mich nur, dass sogar du dieses riesige, in Neonfarben leuchtende Warnsignal übersiehst... du weißt schon, ihren extrem ekligen Charakter, den sie bei ungefähr jeder Gelegenheit zeigt.", wurde Hunters rechte Hand trotzdem ein paar höhnische Worte los und ich legte mir die Hand aufs Gesicht. Ließ sie erst über meinen geschlossenen Augen liegen, bevor ich quälend langsam an meinem Gesicht hinunter strich. "Erstens hab ich dich nicht nach deiner Meinung gefragt und zweitens kennst du sie nicht.", war Alles, was ich mit einem Kopfschütteln dazu loswurde, bevor ich mir dann erneut die Kopfhörer aufsetzte, damit ich dieses unsinnige Gerede nicht mehr hören musste. Die Brünette war ja nicht immer so gemein. Nur dann, wenn wir eben nicht allein waren und das war ungefähr fast immer der Fall. Womöglich hatte ich mich auch nur wie so oft gekonnt in eine Sache verrennen wollen, die von Vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen war. Das erledigte sich aber mehr oder weniger zeitnah von selbst, weil wir nach gefühlt unendlich vielen, langen Stunden endlich am Zielort ankamen. Einer nach dem Anderen verließ den Flieger und ich hatte meine Jacke in weiser Voraussicht schon mit den Ärmeln an den Rucksack gebunden, der auf meinen Rücken wanderte, weil ich sie ganz sicher nicht brauchen würde. Als ich schließlich mit als einer der Letzten aus der First Class ausstieg schlug mir die Hitze von draußen förmlich ins Gesicht und ich brauchte ein paar Sekunden, in denen ich gegen die Mittagssonne anblinzelte, um mich an das ungewohnte Klima zu gewöhnen. Die ersten paar Atemzüge in der warmen Luft waren noch sehr gewöhnungsbedürftig, aber ich genoss die Sonne schon jetzt. Zwar musste ich mein Gepäck ganz dringend um Sonnencreme erweitern, aber noch lange den direkten Sonnenstrahlen ausgesetzt sein würde ich wohl kaum. Denn die Anderen waren bereits dabei das Gepäck aus dem Flieger zu laden, während mir Vahagns Stimme an die Ohren drang und damit unweigerlich meinen Blick auf die Brünette lenkte. Noch immer mit eher negativen Gefühlen behaftet, weshalb ich ein weiteres Mal kaum hörbar seufzte und den Blick wieder nach unten abwandte. Björn ließ mich zwischendurch wissen, dass er meine Tasche in den Wagen brachte, aber mein Fokus lag gerade auf etwas ganz Anderem. Auf der anstehenden Bezahlung, vor der es mir gerade wirklich graute. Genau deswegen ließ ich wohl auch absolut allen Anderen dabei den Vortritt, während ich das dicke Bündel voll Geldscheinen aus meinem Rucksack fischte und anschließend in meiner Hand viel zu genau musterte. Selbst das lenkte mich nicht ab und es brachte mich vor Allem leider auch nicht auf andere Gedanken, bis ich schließlich nach einer halben Ewigkeit als Schlusslicht damit an der Reihe war, meine Kosten für den Flug an die Russin abzutreten. Also suchte mein Blick fast ein wenig unsicher den ihren, als ich auf einem Bein innehielt, um den unverletzten Arm mit dem Geld in Richtung ihres Schoßhundes ausstrecken zu können, während die Krücke an meinem Körper lehnte. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich noch Irgendwas zu ihr sagen sollte, oder doch lieber nicht - gerade deshalb, weil Hunter nicht wirklich weit weg stand und es womöglich hören konnte. Im ersten Moment ließ ich es bleiben, solange der russische Handlanger neben der Brünetten das Geld zählte und hielt schweigend inne, ehe ich durch ein Nicken seinerseits das Go dafür hatte, mich endgültig vom Acker zu machen. Also stützte ich den Arm wieder in die Krücke und wendete mich schon ab, als ich doch noch mal innehielt und es mir anders überlegte. "Ich hoffe du... du findest irgendwann, was du suchst.", waren meine letzten, leicht gemurmelten Worte an die attraktive junge Frau, wonach mein Blick nur noch einen kleinen Moment lang den ihren streifte. Dann setzte ich mich doch endgültig in Bewegung, um hinkend zu den Anderen aufzuschließen. Ich wollte Vahagn wirklich nichts Schlechtes. Wollte für sie, dass sie irgendwann mal aufrichtig glücklich war und nicht mehr derartig verbittert, nur schien ihr Irgendwas oder Irgendjemand dafür zu fehlen. Es war bei aktuellen Gegebenheiten vermutlich gesünder, wenn ich mir selbst klar machte, dass ich ihr bei der Suche danach vielleicht einfach nicht helfen konnte. Ganz gleich, wie gut ich es damit meinte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich stellte einfach immer wieder fest, dass ich kein besonders großer Freund des Fliegens war, aber bei einer Reise quer über den atlantischen Ozean hätte uns die Fahrt mit einem Schiff wohl mehrere Tage, wenn nicht sogar Wochen gekostet, was mir wiederum auch nicht wirklich im Sinn stand. Mir war es schlichtweg am liebsten, wenn ich festen Boden unter den Füßen hatte, aber das Leben war in vielerlei Hinsicht kein Wunschkonzert und man musste nehmen, was man kriegen konnte. Wenn das wie in diesem Fall ein Flug in der First Class eines ziemlich modernen Passagierflugzeuges war, dann wollte ich mich auch eigentlich gar nicht beschweren. Es hatte mich nur prompt an meinen ersten Flug von Frankreich nach Norwegen erinnert, den ich um mein Leben fürchtend in der ziemlich beengenden Economy Class verbracht hatte. Zwar dauerte der Flug insgesamt nicht ansatzweise so lange, wie die Reise von Norwegen bis nach Kuba, aber die Start- und Landeanflüge waren gleichermaßen unangenehm gewesen. Schlimm war ja, dass es heute nicht bei nur einem Start und einer Landung bleiben sollte, sondern Vahagn es wohl ganz besonders lustig fand, noch für eine Stunde in Lissabon zu halten. Mir war klar, dass das notwendig war, um die Maschine in den darauffolgenden Stunden sicher über den Ozean zu kriegen, passen tat mir das Ganze aber trotzdem nicht. Deswegen hatte ich wohl auch dauerhaft die Hand des Amerikaners festgehalten, der im Verlauf des Fluges auch keinerlei Anstalten machte, sie wieder loslassen zu wollen. Das quittierte ich einerseits mit einer hochgezogenen Augenbraue und andererseits mit einem zufriedenen Lächeln. Die ersten paar Stunden, nachdem wir Norwegen offiziell verlassen hatten, war ich noch hellwach gewesen, konnte einfach nicht zur Ruhe kommen, weshalb ich eine schier endlos lange Zeit mit nur einer Hand auf meinem Handy herum gespielt hatte. Zwischenzeitlich war ich dann doch kurz weggenickt und mit der Landung in Lissabon wieder wach geworden. Bei dem Zwischenstopp hatten Hunter und ich uns ein wenig die Beine vertreten und etwas gegessen, bevor es dann auf die Zielgerade Richtung kubanischer Insel ging. Der Flug war dann allerdings so lang, dass ich irgendwann tatsächlich eingeschlafen war und mich so schnell auch nichts mehr wach gekriegt hatte. Als sich die Hand des jungen Mannes neben mir der meinen entzog, hatte ich müde gegen das Licht angeblinzelt, was einem schon durch die kleinen Bullaugen erahnen ließ, wie warm es draußen war und... wie hell vor allem. Wie spät war es denn überhaupt und wie lange hatte ich bitte geschlafen? Müde und ganz offensichtlich ein wenig verpeilt rieb ich mir über das Gesicht, als sich unweit von uns die Türen des Superjets öffneten und die Treppe zum Aussteigen herunter gelassen wurde. Mit noch etwas trägem Gemüt erhob ich mich von meinem Platz, um wie selbstverständlich den dicken Mantel über meine Arme zu ziehen, der in Norwegen für gewöhnlich meine Übergangsjacke darstellte. Dass das für Kuba eine absolut Schnapsidee gewesen war, sich so warm anzuziehen, hätte mir wohl von Anfang an klar sein sollen, aber so richtig bewusst wurde mir das eigentlich erst, als mich gefühlt an die 40° Grad heiße Luft empfing, als ich samt meines kleinen Rucksackes, den ich mir noch vor der Abreise für das Allernötigste, wie beispielsweise die Unterlagen von Vahagn, besorgt hatte, hinter Hunter das kubanische Festland betrat. Ich ächzte unter dem enormen Temperaturwechsel, war es im Flugzeug doch angenehm temperiert gewesen. Nicht zu warm, aber auch nicht zu kalt eben. Aber hier und jetzt musste ich auf der Stelle diesen Mantel loswerden. Ich stand nicht sehr weit weg von unserem amerikanischen Hitzkopf, als ich beim Ausziehen der Jacke ein Szenario beobachtete, was mich die Augenbrauen fragend zusammenziehen ließ. "Was soll denn das werden?", fragte ich misstrauisch und deutete recht unauffällig und mit der Hand unter meinem Mantel in die Richtung, aus der Hunter gerade selbst noch gekommen war, um das Geld bei dem Handlanger der Russin abzuliefern. Ich hatte indessen beobachtet, wie geistig abwesend unserer norwegische Schönling nach seinem Geld gegraben und dieses auffällig lange angestarrt hatte, bis er letztlich ziemlich bedrückt wirkend vor Vahagn zum Stehen gekommen war. Wenn man keinen Kontext zu der ganzen Geschichte hatte, sah es glatt danach aus, als schien zwischen den beiden irgendetwas vorgefallen zu sein. Den Zwischenfall in Lissabon hatte ich anders als Hunter nicht einmal in seinen Anfängen mitbekommen, da stellte mich das Verhalten der beiden Idioten ein paar Meter weiter weg schon vor ein Rätsel. Vor allem schien es ja nicht nur Tauren zu sein, der sich irgendwie... merkwürdig verhielt. Hatte ich vielleicht irgendwas verschlafen?
So gefiel mir das am Besten. Hunter schien Gott sei Dank kein Interesse daran zu haben, noch einmal Lob und Kritik bezüglich des Fluges abzugeben, sondern kam direkt auf den geschäftlichen Aspekt zu sprechen. Umso besser, denn je schneller ich meine Kohle hatte, desto früher würde ich mich wieder auf dem Weg zu meinem schönen Italien befinden, wo die Strände Palermos und verdammt gutes Eis auf mich warten würden. Als ich die ganzen Jungs vor mir eine Schlange bilden sah, formten meine Lippen dann doch noch mal ein ernst gemeintes Grinsen, weil Geld einfach immer schön war. Mir immer gute Laune machte, egal, wie mies gelaunt ich an die Sache herangegangen war. Nur blieb der eigentliche Spaß an der ganzen Sache für mich heute leider aus. Die Scheine wurden von Holovanov und Dmytro gezählt, weil man dafür schlichtweg zwei Hände bräuchte, aber ich vertraute meinen Handlangern in der Hinsicht ausnahmsweise genug, als das ich mich dagegen sträubte. Stattdessen lehnte ich mich metaphorisch gegen eine unsichtbare Wand in meinem Rücken und zählte stillschweigend mit den Augen die ganzen Bündel, welche nach und nach in der großen Sporttasche verschwanden. Nicht zuletzt warf ich natürlich auch einen Blick aufs Hunters Anteil, überschlug grob, ob die Summe in etwa stimmte, während meine rechte, wie linke Hand der Sache genauer nachgingen. Ich hatte also etwas Zeit, meinen Blick über die kubanische Landschaft streifen zu lassen, wobei es hier auf dem Flugplatz - als einen Flughafen würde ich das Ganze jetzt noch nicht titulieren - nicht sonderlich viel zu sehen gab. Das Meer befand sich unweit von unserem Standort in Sichtweite, ich konnte die Wellen bis hierher hören und das Wetter war einfach Klasse. Fast schon ein bisschen besser, als es in Italien der Fall war, aber nach der ganzen Geschichte hier, würde ich es vermutlich meiden, jemals wieder einen Fuß auf diese Insel zu setzen. Irgendwie sträubte sich mein Bauchgefühl zwar dagegen, gleich wieder in die Maschine zu steigen, aber das Hirn war der felsenfesten Überzeugung, dass es das Richtige war. Die Konversation einfach auf sich beruhen zu lassen, Tauren und seine nett gemeinten Worte, samt der mir von ihm aufgeschriebenen Telefonnummer aus meinem Kopf zu streichen. Eben einfach so zu tun, als hätte unsere Begegnung nie stattgefunden. Tja und plötzlich stand er dann da - direkt vor mir. Dabei hatte ich bis eben noch gedacht, Hunter hatte für ihn gleich mit bezahlt. Gut, mir wurde ziemlich schnell klar, dass das vermutlich niemals passieren würde, aber irgendwie suchte ich ja gerade auch nur nach Ausreden. Ausreden, die den plötzlichen Meinungsumschwung bei seinem Anblickt rechtfertigen konnten, denn jetzt wollte ich dann doch irgendwie nicht mehr weg. Als er Holovanov das Geld in die Hand drückte, spürte ich nichts, als einen unangenehmen, unumgänglichen Kloß in meinem Hals, der sich bis zu seinen Worten nicht runter schlucken lassen wollte. Dabei hätte ich so gerne noch etwas gesagt. Erst, als mich seine Worte an Stellen trafen, wo kein Tageslicht dieser Welt jemals Wärme spenden konnte, streckte ich den Arm nach dem lädierten jungen Mann aus, um ihm am die Krücke führenden Oberarm festzuhalten. Nicht besonders grob, dafür fehlte mir schlicht die Kraft zu, aber doch bestimmt genug, als dass es ihn zum Stehenbleiben zwang. "Warte...", bat ich leise darum, dass er sich nicht sofort los riss und zu den Anderen aufschloss, sondern mir noch für den Bruchteil einer Minute seine Aufmerksamkeit schenkte. Dann wandte ich mich kurz von ihm ab und bat meinen bereits misstrauisch dreinblickenden Gehilfen darum, mir das Bündel zu geben, welches er gerade von Tauren kassiert hatte, nur um besagtem jungen Mann dieses daraufhin in die Hand zu drücken. "Danke. Aber das Geld zu behalten wird mir dabei nicht helfen.", antwortete ich ruhig, während mein Blick erst den seinen suchte, dann auf die unzähligen Scheine und schließlich auf den Boden abrutschte. Gut, die Geste war jetzt... na ja, so lala, würde ich sagen. Immerhin hatte ich auch minus seines Anteils noch einen Arsch voll Asche, die ich mit nach Italien nehmen würde, aber es ging mir einfach ums Prinzip. Ich wollte sein Geld nicht. Von jedem anderen der beschissenen Mannschaft, ja, aber ich hatte mich schon angefangen, schlecht zu fühlen, als Vova die Scheine auf Vollständigkeit geprüft hatte. Und es erschien mir in dem Moment einfach die einzige Möglichkeit, ihm zu zeigen, dass ich mich entgegen all der negativen Gedanken in meinem Kopf doch lieber auf mein Bauchgefühl verlassen wollte - auch, wenn ich das so direkt nicht aussprechen konnte. Egal, wie laut in meinem Oberstübchen geschrien wurde, das wollte ich hier und jetzt einfach nicht hören. Lieber genoss ich noch die paar wenigen Minuten in seiner Gegenwart, bis er schließlich zum Rest der Gruppe aufschließen würde.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Nach dem kalten Wortfetzen von vorhin hatte ich eigentlich nicht im Ansatz so weit kalkuliert, dass die Brünette sich noch einmal zu Wort melden würde. Eigentlich hatte ich diese Worte nur so hinstellen, ihr alles Gute für die Zukunft wünschen und wieder gehen wollen. So leicht wollte Vahagn es mir jetzt aber nicht machen und ich war mir wirklich nicht sicher, warum das so war. Sie löste damit ein durchweg undefinierbares Gefühl in meiner Brust aus und ich wusste nicht, ob ich lieber so schnell wie möglich davonhinken oder mich ihr zuwenden wollte. Irgendwie beides gleichzeitig, was aber nicht machbar war, also hielt ich mit einem unhörbaren, höchstens an meinem Adamsapfel sichtbaren Schlucken kurz inne, als ich ihre Hand an meinem Arm spürte. Schloss einen kurzen Moment lang die Augen, ehe ich mich so halb wieder zu Vahagn umdrehte, um sie anzusehen. Allerdings nicht lange, weil meine Augen stattdessen auf das Bündel voll Geldscheine fiel, das wieder zurück in meine Hand gewandert war. Es verging auch sicher eine halbe Minute, in der ich das Geld einfach nur anstarrte und nicht wusste, was ich jetzt machen sollte. Im Gegensatz zu sehr vielen anderen Leute in unserem Metier war ich einfach nicht in die Kategorie einzuordnen, in der die Sympathie eines Menschen sich durch Geld erkauft werden konnte. Das sprach gegen ungefähr alle meiner Prinzipien und außerdem spürte ich förmlich, wie sich Hunters Blick in meine Seite bohrte. Ihm würde das Ganze nämlich sicher auch nicht schmecken, weil ich hier durch Connections die eigentlich für Alle geltende Klausel des Überflugs umging und mein Geld theoretisch behalten konnte. Umsonst geflogen war. Als einziger. Aber im gleichen Moment wusste ich eben auch, dass das ziemlich sicher Vahagns recht verzweifelter Versuch dazu war, sich mittels einer Geste irgendwie bei mir zu entschuldigen, ohne das wortwörtlich aussprechen zu müssen. Die Brünette wollte die unfreundliche Abfuhr von vorhin damit wieder gerade biegen und ich wusste diese Handlung an sich auch zu schätzen... nur wusste ich nicht, ob mich das jetzt nur wieder bei Hunter in Schwierigkeiten brachte. Als ich meine Wahl gedanklich schließlich doch getroffen hatte, senkte ich für einen kurzen Moment lang mit einem tiefen Seufzen den Kopf. "Du bist echt schrecklich kompliziert, weißt du das?", stellte ich der Russin eine absolut rhetorische, ironische Frage, als ich den Kopf und die Augen erstmals wieder zu ihrem Gesicht anhob. Mein Blick war dabei wohl trotzdem noch ein bisschen unruhig, aber ich war ihr nicht mehr wirklich böse. Konnte ich einfach nicht, weil mir das nicht im Blut lag und ich mir eigentlich auch sicher war, dass sie die unschöne Situation von vor ein paar Stunden bereute. Sonst würde sie diesen Aufstand gerade schließlich nicht betreiben. "Aber ich hab's wohl nötiger als du, also...", gab ich mit einem schwachen Schulterzucken und einem Seitenblick auf das sich stapelnde Geld mein Urteil bekannt. "Danke.", schloss ich das Ganze noch ab, als meine Augen wieder die der jungen Frau fanden. Es drängte sich mir noch einer weiterer Gedanke auf, von dem ich mir nicht sicher war, ob ich ihn nun noch aussprechen sollte oder doch lieber nicht. Aber weil der Amerikaner mich sowieso schon immer weiter mit seinem Blick zu zerfleischen schien, was mir im Augenwinkel durchaus bewusst war, beschloss ich sowieso schon nicht mehr viel zu verlieren zu haben. "Aber bitte mach das jetzt nicht nur, damit du dich weniger schlecht fühlst, wenn du dich nicht mehr meldest. Das wär echt... mies.", ließ ich sie noch ein paar weitere, gemurmelte Worte wissen, um die eine, kleine, mir sehr unliebsame Eventualität abzudecken, dass sie mit dieser Aktion nur ihr Gewissen beruhigen wollte. Denn wenn das der Fall war, konnte sie das Geld wieder haben. Es musste ja nicht morgen oder übermorgen sein. Sie musste sich nicht zeitnah dazu überwinden, den Kontakt aufrecht zu erhalten, aber ich wollte jetzt nicht durch diese eine Geste wieder Hoffnung schöpfen, wo sowieso keine war. Ich hatte wirklich schon genug andere Sorgen.
Ich beobachtete das Ganze schon mit skeptischem Blick, als Cosma mich darauf aufmerksam machte. Ihre folgende Frage war ziemlich genau das, was mir im Schädel herum geisterte und mir die gute Laune in Windeseile wieder auf dem Gesicht wischte. Mich die Augen leicht zusammenkneifen und die muskulösen Schultern anspannen ließ, während ich beobachtete, wie die beiden sich vollkommen wieder Erwarten noch einmal miteinander unterhielten. Ich hatte wirklich gedacht, dass es das vorhin endgültig gewesen war und Tauren verstanden hatte, dass es nichts als Ärger brachte, sich irgendwie an der Russin zu interessieren. Trotzdem redeten sie jetzt wieder miteinander. "Wüsste ich auch gern.", ließ ich Cosma mit einem kurzen Blick in ihre Richtung und relativ knurrigem Tonfall wissen, dass ich das Ganze nicht weniger misstrauisch als sie selbst beobachtete. Dass Vahagn dem Norweger dann allerdings sein Geld wieder in die Hand drückte, kaum hatte ich den Blick wieder auf die beiden gerichtet, ließ mich die Augenbrauen tief ins Gesicht ziehen. So weit hatte er sie also schon, ja? Natürlich war die Summe, die sie ihm da gerade zurückerstatten zu wollen schien, nur ein Bruchteil der Gesamtbeute. Es würde ihr kaum weh tun ihm das Geld wieder in die Hand zu drücken, aber da ging es ums Prinzip. Schlimm genug, dass der junge Mann die 'Keine Beziehungen zu Geschäftspartnerinnen'-Regel schon mit Füßen getreten hatte, als er - in milderer Form - damals unter Cosmas Dach gekrochen war, nur um nicht zu frieren. Es gab so verdammt viele Frauen auf dem Planeten, warum musste er also ausgerechnet dazu einen Hang haben und mir damit schon wieder auf der Nase herumtanzen? Ich beschloss nur deshalb nicht dazwischen zu gehen, Tauren das Geld abzunehmen und es Vahagn zurück ins Gesicht zu klatschen, weil die Kohle damit auf meiner Seite blieb. Auch, weil ich wusste, dass der Norweger die paar Tausender sehr gut gebrauchen konnte, um seine Krankheitstage noch weiter zu überbrücken. Zwar war er auch ohne Dank der Foltergeschichte fein raus, aber es half ihm. Trotzdem würde diese Sache ganz eindeutig als ein wichtiger Punkt in das Gespräch mit einfließen, das für uns beide noch anstand. Denn Cosma hatte schon Recht - ohne Reden kamen wir beide schlicht nicht weiter. Eigentlich hatte ich das noch aufschieben wollen, solange Tauren ohnehin weiter ausfiel, aber ich beschloss hier und jetzt das doch vorzuziehen. Irgendwann in den kommenden Tagen abzuhaken, damit es endlich vom Tisch war - hoffentlich ohne, dass sein Kopf im Anschluss lose über den Boden rollte, aber das lag wohl bei ihm. Ich hasste es, dass ich nur einzelne Worte von dem verstehen konnte, worüber die beiden sich unterhielten und es so nur wenig Sinn ergab. "Das hat sie auf jeden Fall nur einmal gemacht.", grummelte ich noch kaum hörbar vor mich hin. Sollte sie sich nicht postwendend zurück in den Flieger verkriechen, sobald sie aus Taurens Arsch wieder rausgekrochen war, würde ich sie das auch gleich noch wissen lassen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mein Blick lag, anders als der des Amerikaners, relativ ruhig auf den beiden Turteltäubchen, als diese sich unweit von uns noch über irgendetwas zu unterhalten schienen. Ich konnte von hier aus nicht hören, worum es genau ging, aber alles in allem war mir das auch ziemlich egal. Solange die Russin Hunter mied, sollte sie sich in meinen Augen ruhig unterhalten, mit wem sie wollte - das ging mich dann nämlich ausnahmsweise einmal nichts an. Jedoch wanderten auch meine Augenbrauen sichtlich verwundert in die Höhe, als nach ein paar Minuten Bewegung in die ganze Sache kam und ich musste zugeben, dass ich mit so ziemlich allem gerechnet hatte, was diese herzlose, kalte und verbitterte Bitch anging, aber das? Nein, das hätte ich ihr definitiv nicht zugetraut. Was das Thema Geld anging, war sie vermutlich genau so knauserig, wie es Hunter war und dazu kam noch, dass ich mir absolut nicht ausmalen konnte, nicht ausmalen wollte, warum sie das jetzt getan hatte. Scheinbar hatte ich wirklich irgendein wichtiges Detail verschlafen, aber noch bevor ich dahinter steigen konnte, welches das gewesen sein konnte, zog der Amerikaner meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Ich wandte mich also von Tauren und seiner neuen Busenfreundin ab, um mich stattdessen in Hunters Richtung zu drehen und leise zu seufzen. Während ich in der ganzen Sache zum Teil etwas Gutes sah, schien er nur wieder negative Gedanken zu hegen, war von dem gerade eben noch gut gelauntem Gesicht rein gar nichts mehr übrig. Konnte ich persönlich ja absolut nicht nachvollziehen, war ich doch einfach nur froh, dass die Augen der hübschen Brünette mittlerweile auf dem Norweger klebten und nicht auf meinem Freund. "Wir sind gerade erst auf Kuba angekommen. Willst du nicht erst einmal ein bisschen die Sonne genießen, bevor du hier das erste Mal jemanden verletzt?", fragte ich gen Ende hörbar ironisch, weil für mich momentan alles absolut super und besser nicht sein könnte. Jetzt, wo der Mantel nur lose über meinem Arm hing war mir nicht mehr so unerträglich heiß, die Sonne wärmte angenehm mein Gesicht und die leicht salzige, aber ebenfalls warme Meeresbrise lud zum am Strand liegen und sich in der Sonne goldbraun rösten lassen ein. Wieso ließ Hunter sich denn schon so kurz nach Ankunft direkt die Laune verderben? Ich meine, ja, ich konnte die Beweggründe bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, immerhin hatten wir da jetzt schon das ein oder andere Mal drüber geredet, aber er brauchte sich doch eigentlich keine großen Sorgen machen, oder? Vahagn würde nämlich ziemlich bald im Flieger sitzen und zurück ins Land der Pastafresser abrauschen, uns damit - hoffentlich - für immer in Ruhe lassen. Geschäftliche Korrespondenzen mal außen vor gelassen. Klar, dass der Jüngling ein weiteres Mal der Auffassung war, es sei eine gute Idee, mit seinem Testosteron gesteuertem Hirn denken zu wollen, machte ihn bei Hunter natürlich nicht gerade beliebter, wo die Beziehung zwischen den beiden doch ohnehin schon Einiges abbekommen hatte, aber in meinen Augen gab es deutlich Schlimmeres. Wenn er beispielsweise mit ihr abgehauen wäre oder Vahagn dazu überredet hätte, mit ihm hier auf Kuba zu bleiben. Dann, aber auch nur dann hätte ich vermutlich ebenso grimmig geschaut. Hätte mir meine Laune verderben lassen und den Tag fürs erste in die Tonne getreten, aber so? Wo ich doch gerade aus dem Augenwinkel vernahm, dass ihre zwei Schoßhunde die Sporttaschen bereits ins Flugzeug schleppten - nein, absolut nicht nachvollziehbar, wie man sich da jetzt die gute Laune hatte verderben lassen können.
Es verging in meinen Augen viel zu viel Zeit, bis Tauren endlich eine Reaktion zeigte, aus der ich herauslesen konnte, ob mein Versuch, mich sehr indirekt bei ihm zu entschuldigen nun geglückt war oder ob ich stattdessen auch das letzte Fünkchen Hoffnung auf eine halbwegs harmonische Verabschiedung im Keim erstickt hatte. Ich konnte förmlich spüren, wie der Norweger mit sich haderte, aber letzten Endes fiel mir doch beinahe erleichtert ein ziemlich großer Stein vom Herzen, von dem ich nicht mal wusste, dass er existierte. Taurens absolut rhetorische Frage, begleitet von dem so angenehm ironischen Unterton zauberte mir sofort ein schwaches Lächeln auf die Lippen, als ich meinen Blick wieder anhob und den seinen suchte. "Ja, das weiß ich. Aber ich denke, dass ich auf einem guten Weg bin, mich selbst zu verstehen.", äußerte ich wenige, dafür absolut ernst gemeinte Worte als eine Art Antwort, auch wenn er auf diese Frage sicher keine hätte haben wollen. Aber ich wollte, dass er wusste, wie sehr er mir in der kurzen Zeit bereits geholfen hatte, mich auf den rechten Weg zu lenken, damit ich lernte, mich selbst ein bisschen besser zu verstehen. Vermutlich stand ich mir mit meinen unzähligen Gedanken einfach viel zu oft selbst im Weg und fand deshalb nicht, wonach ich laut Aussage des Norwegers zu suchen schien. War jetzt zumindest meine erste Vermutung, weil mir etwas Besseres in diesem, für mich ziemlich emotionalen Augenblick, nicht einfallen wollte. Ich war zwar noch kilometerweit entfernt davon, hier jetzt Rotz und Wasser zu heulen, aber für mich war das Ganze hier schon etwas... speziell. Zum einen verzichtete ich - trotz das ich in etwa das 59-fache davon in den Sporttaschen hatte - auf eine ganze Stange Geld und zum anderen war mir nicht wirklich klar, warum mir das so leicht viel. Schließlich war mir die Kohle bis dato immer deutlich mehr wert gewesen, als irgendeine Beziehung... eine Freundschaft oder so etwas in der Art und trotzdem schien das für mich absolut in Ordnung zu gehen. Die letzten Worten, kurz vor seinem Abschied, ließen mich leicht mit den Schultern zucken. Die Medikamente hatten mittlerweile gänzlich an Wirkung verloren und somit strafte mich die Wunde postwendend mit einer unangenehmen Welle an Schmerz, die meinen Körper flutete und mich reflexartig die rechte Hand an meine Schulter führen ließ, so als könnte ihre Positionierung etwas an den Umständen ändern. "Auf mich wartet Zuhause noch ein Haufen Arbeit. Ich schätze mal, die Woche wirst du nichts von mir hören... und denk an die Zeitverschiebung.", ließ ich ihn wieder einmal eine alles, aber auch gleichzeitig gar nichts bedeutende Aussage zukommen. Würde ich mich melden oder war ich froh, ihn los zu sein? Theoretisch war beides möglich, aber genauer dazu äußern wollte ich mich jetzt ehrlich gesagt auch nicht weiter dazu. Dafür war ich mir noch viel zu unsicher, was ich eigentlich wollte und käme so ad hoc zu keiner zufriedenstellenden Aussage. Weder für Tauren, noch für mich. Wobei... eigentlich schon von Anfang an fest stand, dass mein Bauch sich zielstrebig dafür einsetzen würde, dass ich mein Handy zwischendrin mal kurz in die Hand nahm, um ihm zu schreiben, aber... da war eben auch noch dieses unleidliche Hirn, welches ständig irgendwelche Glocken läutete, die ich absolut nicht zuzuordnen wusste. Vielleicht wollten sie mich ja auch nur vor dem Amerikaner warnen, der im Hintergrund schon wieder einen Gang höher geschalten hatte und sie hatten mit dem Invaliden an sich überhaupt nichts zutun? War mir bis hierhin aber gar nicht aufgefallen, dass sein Chef uns aus sicherer Entfernung beobachtete, weil mein Blick einzig und alleine dem gut aussehenden Mann mit Krücke vor mir gegolten hatte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das hoffte ich schwer. Ich war zwar kein Psychologe oder Psychotherapeut, aber dass Vahagn so einige Probleme mit sich selbst hatte, die sie nur schwer bewältigen zu können schien, war relativ offensichtlich. Dafür brauchte ich weder ihre komplette Vergangenheit, noch ihre eventuell aktuell bestehenden Konflikte zu kennen. Zwar hatte ich eigentlich keine Antwort auf die paar Worte gewollt, aber diese hörte ich dann doch ziemlich gern. Sie führten dazu, dass auch meine Mundwinkel kurzzeitig ein klein wenig nach oben zuckten. Nur kurz, aber doch sichtbar. "Das is schön.", ließ ich die Brünette mit ein paar wenigen Worten noch wissen, dass ich mich schon ein bisschen darüber freute, dass sie mir indirekt mitteilte, ein bisschen an sich arbeiten zu wollen. Vielleicht geriet das unter der Arbeit, die sie kurz darauf noch erwähnte, zwar schnell wieder von ihr in Vergessenheit, aber... sollte sie sich noch einmal bei mir melden, was ich ehrlich gesagt inständig hoffte, dann erinnerte ich sie gerne wieder daran. Natürlich nicht wortwörtlich, sondern mehr nur so ganz unterschwellig nebenbei durch sehr indirekte Worte, aber ich half ihr gerne dabei. Auch dann, wenn sonst Nichts weiter dabei herausspringen würde. Bevor ich jedoch zu einer Antwort ansetzte hob ich den Arm mit der Krücke einmal für zwei oder drei Sekunden vom Boden an, um ihn kurzzeitig zu entlasten. Stehen war und blieb eben doch die unangenehmste Position mit zerstochenem Arm und vor allem Bein. "Muss ja auch nicht sofort sein...", setzte ich erst einmal zu einem Satz an, den ich erst einige Sekunden später mit einem leichten Lächeln beendete. "...und von mir aus kann's auch mitten in der Nacht sein. Muss mich sicher noch ein paar Wochen erholen und solange ist mir wohl jedes Mittel für Ablenkung recht.", informierte ich Vahagn ganz unschuldig und langsam aber sicher schwach grinsend darüber, dass sie mich von mir aus auch mit einem Anruf oder zahlreichen einzelnen, aber direkt hintereinander geschickten Nachrichten aus dem Bett schmeißen konnte, wenn ihr das so am besten passte. Schlafen konnte ich schließlich auch tagsüber wieder, sollte sich meine Nacht deshalb also ruhig in die Länge ziehen. Ich sah die Brünette noch ein paar Sekunden lang an, bevor ich meine Augen von ihr abwendete und stattdessen das erste Mal, seit ich ihrem Handlanger das Geld in die Hand gedrückt hatte, zu Hunter sah, weil jener sich in meinem Augenwinkel zu bewegen begann. Ich sah das Unwetter schon kommen, als er sich von der Einstiegstreppe abstieß und Anstalten machte in unsere Richtung zu kommen. "Komm gut Zuhause an.", waren also meine letzten, verabschiedenden Worte, begleitet von einem wieder durch und durch angetanen Lächeln, bevor ich mich mit dem Geld in der Hand in Bewegung setzte, um möglichst schnell aus dem akuten Gefahrenradius rauszukommen.
Nein, wollte ich nicht. Jedenfalls nicht, solange die beiden sich in meinen Augen so absolut respektlos verhielten. Hätte Tauren die Stange Geld einfach ausgeschlagen und ihr zurückgegeben, wäre Alles in bester Ordnung gewesen und ich hätte - nachdem das Arschloch von Makler meinen Ausweis noch gesehen und mir die Schlüssel für unser zukünftiges Heim zugeschoben hatte - mich entweder auf der Terrasse am Pool, oder aber am Strand ein paar Meter weiter sonnen können. Gut, okay, der Garten brauchte wohl ein Update, weil sich darum etwa ein Jahr lang seit dem Auszug des letzten Besitzers nichts mehr getan hatte, aber ansonsten hätte ich wohl herrlich entspannen und die Ruhe genießen können. Halt leider nur theoretisch. "Erstens will ich ihr nicht weh tun... noch nicht... und zweitens erwarte ich gar nicht, dass du das irgendwie verstehst.", ließ ich die Rothaarige trocken wissen, drehte meinen Kopf dabei in ihre Richtung und hielt den Blickkontakt für einige der folgenden Sekunden aufrecht. Cosma war noch nie wirklich durch meine Regeln oder meine Grundsätze gestiegen und ich verlangte auch nicht, dass sich das hier und heute änderte, aber da ließ ich mir schlicht und ergreifend nicht rein reden. Weder von ihr, noch von sonst Irgendwem. Also drehte mein Blick sich erst einmal wieder unverändert zu den beiden sich viel zu gut verstehenden Leuten, die momentan mein Ärgernis erregten. Hatten sie es dann jetzt bald mal? Was gab es da noch zu bereden? Tauren hatte sein Geld wieder und was auch immer vorhin zwischen ihnen passiert war, war damit augenscheinlich geklärt. Dann gab es doch keinen verfickten Grund mehr dafür, sich jetzt noch weiter in den Ohren zu liegen. Hier ein Lächeln, da ein Grinsen... das war genug. Wir hatten hier jetzt Alle verstanden, dass sie sich ganz offiziell wegen was auch immer wieder vertragen hatten und das bedurfte in meinen Augen auch keiner längeren Ausführung mehr. Deswegen setzte ich mich auch schnaubend in Bewegung und zumindest der Norweger schien diese eindeutige Geste sofort richtig zu deuten, indem er sich von der Brünetten entfernte. Er kam mir quasi auf etwas mehr als halbem Weg entgegen und ich rempelte ihn ganz bewusst an der Schulter des unverletzten, stützenden Armes an, damit er innehielt. "Verzieh' dich sofort zu Richard in den Wagen.", knurrte ich ihm noch ein paar Worte entgegen, nachdem sein schmerzerfülltes Aufstöhnen verklungen war. Sobald ich sein schwaches Nicken vernommen hatte setzte ich meinen Weg auch ganz unbeirrt zu der Russin fort, der Blick dabei weiterhin eisig. "Spring ihm von mir aus so oft an die Kehle oder auf den Schoß wie du willst... aber mach nie wieder einen Unterschied mit ihm oder irgendeinem anderen meiner Männer, wenn's ums Geschäft geht, falls wir uns je wiedersehen sollten. Das eine wird mit dem anderen zukünftig absolut Nichts mehr zu tun haben.", knallte ich ihr gewohnt herrisch die paar Worte ins Gesicht, die mir auf der Zunge lagen. Natürlich meinte ich den ersten Part eher sarkastisch - zum Einen war es aktuell wirklich allein Taurens Problem, wenn er sich mit ihr anlegen sollte. Zum Anderen glaubte ich zumindest jetzt aber noch nicht daran, dass zwischen den beiden jemals wirklich was laufen würde, das über ein paar Gespräche hinaus ging. Dafür war die Russin doch viel zu sehr Elefant im Porzellanladen und der Norweger viel zu sensibel. Auch verzichtete ich tatsächlich bewusst auf eine Drohung. Blieb zwar nicht wirklich ruhig im Tonfall selbst, schrie sie aber auch nicht an. Ich wollte lediglich, dass sie das verstand. Außerdem war sie ziemlich sicher schlau genug, um zu wissen, dass ich mehr als eine zweite Chance in keinerlei Hinsicht vergab. Mit Verabschiedungen hatte ich es nicht so, endeten die meisten meiner Bekanntschaften, wenn es endgültig war, doch sowieso mit dem Tod. Deswegen ließ ich ihr auch nur noch einen einzigen, durchdringenden Blick zukommen, bevor ich mich wieder umdrehte. Ich hatte gesagt, was ich hatte sagen wollen - entweder sie nahm es so wie es gerade von mir gegeben hatte ernst, oder sie verlor eben bei noch so einer Aktion einen Finger. Oder fünf. Oder die ganze Hand. Vielleicht auch den Arm, je nach Gefühlslage. Nur, weil sie eine Frau war, machte ich vor härteren Mitteln nicht Halt.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ah, sehr schön. Dann wollte er die schlechte Laune nicht einmal für sich behalten, sondern schien es ganz besonders wichtig zu finden, mir meine gleich mit wegnehmen zu müssen. Mein Blick verfinsterte sich bei seinen Worten augenblicklich, wobei Hunter mir wie so oft überhaupt keine Möglichkeit einräumte, darauf auch nur irgendetwas zu erwidern. Vermutlich weil er wusste, dass das hier zu nicht viel mehr, als einer haltlosen Diskussion ausarten würde. Denn Recht hatte er allemal. Verstehen würde ich seine Beweggründe in diesem Leben wohl nicht mehr, weil sie sich mir einfach jeder Logik entzogen und ich mit so schwammigen Möchtegern-Regelverstößen einfach überhaupt nichts anfangen konnte. Das war einer der wenigen Augenblicke, wo sich meine Meinung, dass Hunter ganz bedeutend einen an der Waffel hatte, auch niemals ändern würde - da konnten wir noch die nächsten zehn, zwanzig Jahre miteinander leben, aber der Quatsch wollte mir einfach nicht einleuchten. Noch bevor ich zu einem gewohnt bissigen Kommentar ansetzen konnte, hatte sich der Amerikaner natürlich bereits in Bewegung gesetzt, um den beiden sich lediglich unterhaltenden Erwachsenden ins Gespräch zu funken, was in mir zum einen wieder diese ekelhafte Eifersucht aufschäumen ließ - auch wenn das Kernproblem in seinen Augen jetzt vielleicht nicht unbedingt Vahagn war - und zum anderen hing mir sein vorangegangener, relativ trockener Kommentar noch derart in den Knochen, dass auch ein Stück weit die Wut in mir hoch kroch. Nein, ich würde seine Beweggründe wohl nie verstehen. Genau so wenig den Grund dafür, warum er mir gegenüber immer so ätzend wurde, wenn sein Problem eigentlich ganz woanders lag. Ich meine, ich hatte ja jetzt nun wirklich nicht versucht, ihn auf irgendeine Art und Weise negativ zu beeinflussen, oder? Hatte ihn weder beleidigt, noch seine Arbeit in Frage gestellt, sondern hatte einfach nur wissen wollen, ob er nicht erst einmal ein bisschen das schöne neue Leben genießen wollte. Zeit, sich um seine missratenen Handlanger zu kümmern hatte er dann immer noch, aber ich war der festen Überzeugung, dass jetzt erst einmal ich dran sein sollte. Ich wollte gerne seine Aufmerksamkeit haben, weil er es mir versprochen hatte. Und ich hatte mich den ganzen Flug über schon darauf gefreut, die Lage auszuchecken, ausnahmsweise mal ein bisschen aus mir heraus zu kommen, weil ich gerne versuchen wollte, mein Leben seit langer Zeit einfach mal wieder ohne größere Sorgen zu haben zu genießen. Aber daraus wurde scheinbar nichts. Ich kam gar nicht so schnell hinterher, wie der Amerikaner zu der Brünetten aufgeschlossen war und auf halben Weg mit ein paar schroffen Worten und einer mehr als übertrieben deutlichen Geste unseren norwegischen Schönling dazu aufforderte, sich zu Richard ins Auto zu verkriechen, was ich mit einem genervten Augenrollen abtat. "Hey. Alles in Ordnung?", hielt ich auf Höhe Taurens angekommen kurz inne, um mich nach seinem Wohlergehen zu erkundigen. Hunter war ja mal wieder alles andere als zimperlich gewesen und das schmerzerfüllte Aufstöhnen war selbst drei, vier Schritte hinter ihm noch zu hören gewesen. Also wollte ich mich erst einmal vergewissern, dass es dem Norweger zu ging, bevor ich mich um den anderen Pappenheimer kümmern würde... wobei sich die Sache noch während ich ein paar Worte an Tauren verlor in Wohlgefallen aufzulösen schien.
Boo-hoo, fühlte sich da wieder einmal jemand hintergangen? Ich hatte die Worte meines etwas lädierten Gegenübers mit einem schwachen Lächeln abgenickt, um ihm zu signalisieren, dass ich es durchaus zu schätzen wusste, mit was für einer Rufbereitschaft er auf irgendeine Art von Lebenszeichen meinerseits warten würde. Dann hatte ich gerade noch ein "Danke und du pass gut auf dich auf.", erwidern können und plötzlich war Tauren weg. Stattdessen sah ich einen augenscheinlich unzufriedenen Hunter auf mich zustiefeln, was mir bis zu seiner Ankunft, etwa ein bis anderthalb Schritte Abstand vor mir, ein belustigtes Grinsen auf die Lippen zauberte. Ich wusste ja auch nicht, woran das lag, aber ich konnte Hunter ja keinen Meter ernst nehmen, wenn ich wusste, dass er vor wenigen Augenblicken noch Händchen haltend mit seiner Perle ein Mittagsschläfchen gehalten hatte. Und jetzt kam er wieder ganz gewohnt protzig auf mich zu, um mir genau was zu unterstellen? Ich brauchte zugegebenermaßen einen Augenblick, bis ich das Gespräch mit dem jungen Mann vor ihm hatte sacken lassen, weshalb eine Resonanz erst dann folgte, als es augenscheinlich schon zu spät war und sich der Amerikaner bereits wieder zum Gehen abgewandt hatte. "Na, dir scheint die Sonne ja richtig gut zu bekommen.", äußerte ich einen gewohnt trockenen, hörbar sarkastischen Kommentar, was meinerseits zu dem Thema auch schon alles gewesen sein sollte. Wie gesagt stand mir nicht der Sinn danach, mir meine mittlerweile wieder ein bisschen bessere Laune jetzt durch so eine Kleinigkeit wieder zunichte machen zu lassen und außerdem sah ich keinen Grund, gerade auf den ersten und auch den letzten Teil seiner Anmerkung nur irgendwas, halbwegs ernst gemeintes zu antworten. Am Ende standen wir hier noch etliche Stunden und stritten, bis schließlich irgendwer - oder auch wir beide - im Leichensack abtransportiert werden mussten und darauf konnte ich noch sehr viel eher verzichten, als das ich das Bedürfnis stillen musste, meine momentanen Gedanken laut auszusprechen. Holovanov steckte just in dem Moment seinen Kopf durch die Tür, was mich den unversehrten Arm kurz heben ließ, um ihm zu signalisieren, dass ich sofort bei ihm sein würde, ehe ich noch ein paar letzte Worte an den hitzköpfigen jungen Mann richtete. "Ich wünsche euch allen dann mal ganz viel Spaß. Auf die nächsten, sehr lukrativen Geschäfte mit dir, Hunter." Und ja, hätte ich jetzt ein Glas Sekt gehabt, hätte ich der Meute wohl zugeprostet, wo sich der erste Satz doch etwas lauter an die Allgemeinheit gerichtet hatte, während der letzte Teil nur für Hunters Ohren bestimmt war. So neu, wie er auf Kuba war, konnte er wohl kaum anders, als mich zwecks Im- und Exportgeschäfte ein weiteres Mal zu involvieren, es sei denn, er legte es darauf an, dass die Italiener ihn über irgendwelche Kontaktaufnahmen zu seinen alten Connections in Norwegen ausfindig machen würden. Aber auch wenn Hunter nicht der Typ Mensch war, mit dem ich gerne viel Zeit verbrachte, von dem meine allgemeine Ansicht eher angekratzt war, hielt ich ihn noch lange nicht für dumm. Gut, klar, hier und da vielleicht ein bisschen, aber grundsätzlich würde ich behaupten, dass er sein altes Leben bis auf die Kohle und seiner Freundin konsequent hinter sich lassen würde. Ansonsten hätte er diesen riesigen Berg an Geld, welcher gerade als Handgepäck im Flieger verstaut worden war, wohl genauso gut rauchen können und hätte effektiv das gleiche Ergebnis erzielt, nämlich, dass die Italiener ihn irgendwann ausfindig gemacht, gehäutet und in Blausäure eingelegt hätten, bevor der Kopf letztlich rollte. Also nein, Sorgen machte ich mir keine. Er würde schon noch das ein oder andere Mal auf mich zurückkommen, denn Kuba machte mir nicht unbedingt den Eindruck, als würden hier an jeder Ecke Migranten oder Schmuggelwaren ins Land geschleust werden. Und beim örtlichen Hafen nachfragen, ob man mal eben ganz illegal irgendwas verschiffen konnte machte auch bei der ortsansässigen, quasi nicht existenten Polizei keinen guten Eindruck.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #