Ah, stimmt. Mir war zugegeben gar nicht erst in den Sinn gekommen, dass der Bursche im Sessel womöglich gar kein Englisch verstand und sich noch weniger in jener Sprache selbst ausdrücken konnte. Glücklicherweise war die Brünette in meinem Schoß aber so frei die ganze Sache für beide Seiten zu übersetzen und damit die Sprachbarriere aufzuheben. Normalerweise brauchte Dmytro sicher keine englischen Worte, war also nur verständlich. Englisch war zwar eine Allerweltssprache, aber wenn man sie für gewöhnlich nicht benötigte schien das Lernen jener überflüssig. Französisch war schließlich ebenso weit verbreitet und dennoch sprach ich davon kein einziges Wort. War für mich nutzlos, kam ich mit Norwegisch und Englisch hier oben im Norden doch bestens zurecht. Allerdings sanken auch meine Mundwinkel wieder in ziemlich neutrale Position ab, weil ein paar Stunden irgendwie doch ziemlich unbequem klangen. Ich hatte im Allgemeinen - welch Wunder! - nicht wirklich etwas gegen Vahagns Nähe einzuwenden, genoss sie trotz ihrer kaltherzigen Art vielleicht sogar ein bisschen. Sollte ich nicht, das wusste ich selbst, aber ich müsste wohl ganz gewaltig lügen um zu behaupten, dass ich in den letzten Wochen, in denen ich gefühlt Tag und Nacht vor der Bar gestanden hatte, mal irgendwann zu Sex oder zumindest zu irgendeiner keuscheren Art von körperlicher Nähe zu einer Frau gekommen war. Dabei war ich eigentlich ein relativ harmoniebedürftiger Mensch, was ironischer bei meiner Tätigkeit als Hunters Schläger kaum sein konnte. Dabei wurde ja nie etwas anderes als rohe Gewalt und ein harter, kühler Blick von mir verlangt. Dazu war ich zweifelsfrei eben genauso fähig, wie zu Empathie und Zärtlichkeiten... nur war ich damit bei der Brünetten hier wohl an der falschesten Adresse überhaupt, weswegen ich mir Sämtliches in dieser Richtung vermutlich jetzt im Voraus schon abschminken konnte. "Das nenn' ich Instant-Karma... mir wird mindestens ein Oberschenkel einschlafen.", stellte ich leise seufzend fest, den Blick noch ein paar Sekunden lang auf den Handlanger der Russin gelegt, obwohl der wiederholt kein Wort verstehen würde. Aber meine Augen waren für den Moment recht nachdenklich und dahingehend dann leer, weshalb er sich vermutlich trotzdem nicht direkt angesprochen fühlen würde. Ich konnte wohl von Glück reden, dass die junge Frau hauptsächlich auf dem nicht-zerstochenen Bein lag, falls sie wirklich noch eine ganze Weile lang hier bei mir liegen sollte. Irgendwann wäre das sonst vielleicht doch schmerzhaft geworden, ich hatte ja keine Ahnung davon wann die Schmerzmittel wirklich zu wirken aufhören würden.
Tatsächlich war ich momentan so weit zu sagen, dass mir das Leben unter Umständen jetzt wirklich wieder Spaß machen könnte. Es war zwar wenig prickelnd, dass ich zwangsweise schon wieder in eine neues Land umsiedeln musste, weil das einfach immer mit nervigem Aufwand verbunden war, aber ich hatte hier wohl mit am wenigsten Arbeit von allen Beteiligten. Natürlich musste ich den ganzen Kram im Drogenkeller Stück für Stück wieder auseinander nehmen und das zusätzlich allein, weil es Richard nach wie vor nicht besonders gut ging, aber das war halb so wild. Ich war ganz froh darüber, dass ich mal ein wenig Zeit so richtig allein und außerhalb irgendwelcher Hausmauern verbringen konnte. Die körperliche Betätigung an sich tat mir wirklich gut, auch wenn ich zwischendurch immer mal hier und da ein Workout mittels eigenem Körpergewicht gestemmt hatte, solange ich mich hatte verschanzen müssen. Das reichte jedoch keinesfalls aus, um einen jahrelang unter starkem Strom gestandenen Mafioso auszupowern, da brauchte es schon mehr - zu allererst einmal frische Luft und die hatte ich mehr als genug, während ich aus dem eher kühl gehaltenen Keller sämtliche Utensilien zum Kochen nach oben zum Lieferwagen brachte, in dem das Ganze noch bis zum Abflug lagern würde. Dass wir die italienische Mafia vorerst los geworden waren war jetzt etwas mehr als zwei Tage her und ich hatte die letzten paar Behälter vor etwa einer Stunde in den Transporter geladen. Ihn danach zu einer von Hunters Lagerhallen gebracht, hinter der er ungesehen ganz unproblematisch einige Tage lang stehen konnte. Bisher hatten wir noch kein festes Datum für das Verlassen Norwegens, weil Vahagn nach wie vor ein wenig lädiert war und sie wohl erst noch einmal selbst zurück in die Heimat wollte, um dort vor Ort Alles für unseren Überflug vorzubereiten. Verstand ich, weil ich früher auch partout immer alles selbst in die Hand hatte nehmen wollen. Außerdem schien die Zeit bisher nicht zu drängen. Meine ehemalige Gefolgschaft musste sich für einen erneuten Anschlag auf meine Person erst neu aufstellen und koordinieren. Bis sie dann mal hier oben waren, waren wir ziemlich sicher schon weg. Die ganze Geschichte barg aktuell natürlich leider noch einen ziemlich hohen Schuldenberg für mich selbst, weil Hunter einfach ein profitgieriger Mensch war und er sich das zugegeben auch zum größten Teil einfach verdient hatte. Es hatte ihn einige Männer und haufenweise Ressourcen gekostet, dass ich ihm das irgendwie zurückzahlen musste war demnach nur logisch - trotzdem unangenehm. Nicht so ungünstig wie stattdessen unter der Erde zu liegen, aber es würde wohl eine Weile dauern, bis meine Schuld beglichen war. Erst recht deshalb, weil ich jetzt ja schon wieder von vorne mit dem aufbauen dieses Geschäftszweiges anfangen musste. Wie auch immer. Ich war mit Tauren und Sydney wieder bei Ashton einquartiert worden, was mir ganz gelegen kam, weil es sich da einfach gut leben ließ. Der Kühlschrank war in der Regel relativ voll, Ashton lebte nicht nur von Chips und Cola. Dafür, dass er sich freiwillig der Arbeit als rechte Hand Hunters nachkam, schien er was seine Lebensweise anging relativ vernünftig zu sein. Ich war gegen 20 Uhr auf den letzten Metern zu seinem Bungalow unterwegs, hörte recht entspannt ein wenig Musik in seinem Wagen - er machte noch Pause wegen seinem Arm, hatte ihn mir geliehen - und parkte ihn letztlich in der kurzen Einfahrt. Machte mich ohne große Umschweife auf den Weg zur Haustür und betrat den Flur mit einem mehr oder weniger lauten "Bin wieder da.", des Anstandes wegen, bevor ich mich ziemlich entspannt den Schuhen und der Jacke entledigte. Ich warf Tauren am Wohnzimmertürrahmen noch einen kurzen Blick zu und er hob die Hand beiläufig zur Begrüßung, während er sich neben Ashton sitzend vom Fernseher berieseln ließ. Dann ging ich aber auch schon weiter im Flur nach hinten zu meinem momentanen Privatbereich, auch wenn ich mir jenen nach wie vor mit Sydney teilte. Ich schob die Tür auf und begrüßte sie noch eher beiläufig ohne sie anzusehen mit einem "Hey.", als ich schon wieder im Begriff war die Tür zu schließen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie froh ich eigentlich war, dass die ganze Sache hier endlich ihr Ende gefunden hatte. Ich war mir nämlich nicht wirklich sicher, wie lange ich es noch ausgehalten hätte, nichts tuend vor der Glotze zu hängen und mich maximal für den Gang zur Toilette oder zum Kühlschrank zu bewegen. Zwar hatte ich mich zwischendrin Sabins Workouts angeschlossen und darin tatsächlich eine Art Ausgleich gesehen, aber auf Dauer war das eben auch nicht so das Wahre. Auch das man sich ständig auf der Pelle hockte und einander die Luft weg atmete, führte auf lange Sicht immer mal wieder zu kleineren Zankereien. Sabin und ich waren jedoch so erwachsen und reif genug, uns einfach aus dem Weg zu gehen, sobald die Luft unangenehm dick wurde. Das war in der vorherigen Wohnung, aus der wir aufgrund von ... Gründen ausziehen mussten nicht immer einfach gewesen, weil um einen herum dann meistens trotzdem noch etliche Leute herumgeschwirrt waren, aber irgendwie hatten wir das hingekriegt. Man gewöhnte sich von Zeit zu Zeit auch einfach aneinander und wusste irgendwann, wie man Konflikte provozieren oder aber umgehen konnte. Also ja, der Italiener war jetzt nicht grundlegend mein Problem. Nur eben dieses ganze Drumherum. Das eingesperrt sein, keine frische Luft atmen dürfen... der ganze Mist eben. War einfach scheiße und fühlte sich an wie Knast. Einzig und alleine der Drogentrip hatte zwischendrin für ein bisschen Abwechslung gesorgt, nicht zuletzt aber auch für eine Menge Ärger, was mir wirklich, wirklich Leid getan hatte. Okay, auf der anderen Seite hatten wir natürlich Tauren noch rechtzeitig gefunden, aber ob es das letzten Endes Wert gewesen war, wagte ich dann doch zu bezweifeln. Gut, long story short, waren seit der Sache einige Tage vergangen, in denen viel zu viel passierte, wenn man mich fragte. Neben den etlichen Umzügen in ein neues Heim, kam noch die Sache mit dem zu stürmenden Hotel hinzu, was mir die Knie hatte weich werden lassen. Zwar hatten Sabin und ich mit der Geschichte grundlegend so gar nichts am Hut, aber wenn der Amerikaner bei dieser Geschichte drauf gegangen wäre, hätten wir wohl ziemlich alt ausgesehen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich Hunter den Sieg über die Italiener wirklich gönnte, nachdem er etliche Ressourcen in die Bekämpfung dieser Plage gesteckt hatte. Ebenso gönnte ich dem Ex-Mafiosi und mir aber auch die zurückgewonnene Freiheit, welche ich am liebsten mit einer Feier zelebriert hätte. Aber zu Party wäre wohl kaum einer gekommen, denn ein Großteil der Mannschaft war während der Operation tatsächlich schwer verletzt worden und daher brauchte aktuell jeder von ihnen die Zeit, sich ihre Wunden in aller Ruhe lecken zu können - ohne das böse zu meinen, versteht sich. Indessen fielen der Italiener und ich als kläglicher Rest beinahe in alte Muster zurück, als wir bis zur Abreise in ein neues Land wieder in Ashtons Bungalow geparkt wurden und so saß ich am heutigen Abend wie schon etliche Male davor auf dem Bett und daddelte an meinem Smartphone. Das, was sich die Jungs im Wohnzimmer zu Gemüte führten, entsprach nicht wirklich meinem Geschmack an Unterhaltung, aber Sabin beim Abbau seiner Drogenküche zu unterstützen wollte ich dann irgendwie auch nicht. Ich beschäftigte mich stattdessen also mit absolut sinnlosen Videos und Handygames, bis mir das aufleuchtende LED Lämpchen kurz vor Sabins Wiederkehr eine eingegangenen Nachricht signalisierte. Schon als ich den Namen des Absenders las, wurde mir ganz anders. Erst hatte ich überlegt, ob ich die SMS einfach ignorieren sollte, entschied mich dann jedoch dagegen und wünschte mir im nächsten Augenblick, es doch getan zu haben. Der Inhalt der Nachricht ließ mich nämlich prompt aus der liegenden Position in eine sitzende schießen, weil ich mir einbildete, dass sich der Text auf dem Display dann änderte. Tat er aber nicht somit blieb die Information, dass mein Sohn sich derzeit im Krankenhaus aufhielt weiterhin bestehen. Mit einem leisen Seufzen raufte ich mir die Haare, als mein derzeitiger Lebenspartner plötzlich das Zimmer betrat. Huch, war er nicht gerade erst aufgebrochen? Wie lange hatte ich denn da gelegen und absolut nichts Sinnvolles getan? Sicherlich ein paar Stunden, oder? "Eh... hey.", grüßte ich abwesend, ein wenig nachdenklich, weil meine Augen sich nach wie vor nicht von den Buchstaben lösen konnten und es ehrlich gesagt auch nicht wollten. Stattdessen fing mein Gehirn im Hintergrund das Rotieren an, denn eigentlich war es meine Pflicht, meinem Kind in einer solch schwierigen Situation beizustehen. Aber ... aber ich konnte nicht. Sobald ich auch nur einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hatte, wäre ich doch bereits in Handschellen abgeführt worden.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Im ersten Moment fiel mir zugegeben gar nicht bewusst auf, wie abwesend Sydney im Verhältnis zu sonst auf meine Begrüßung antwortet. Natürlich war es jetzt nicht so, als würde die Brünette sich mir im Regelfall freudig an den Hals schmeißen - was ich nebenbei bemerkt sehr begrüßte, war unser Verhältnis zueinander so innig doch nun auch wieder nicht - und mich nicht mehr loslassen, aber sie war doch ein wenig verhaltener als sonst. Weniger aufmerksam, was kaum ihrem Charakter entsprach. Sie war ja bei den Bullen förmlich darauf gedrillt worden immer und überall die Augen und Ohren offen zu halten, da war das inzwischen wohl einfach zu einem ihrer Charakterzüge geworden. War an sich bestimmt auch nicht verkehrt, wenn man in unserer Lage lieber zwei Mal nachsah, wer da gerade durch die Tür spaziert kam. Auch, wenn jetzt erst einmal eine allgemeine Entwarnung ausgesprochen werden konnte, würde ich für meinen Teil wohl nie wieder diese gewisse grundlegende, immer vorhandene Skepsis loswerden. Als mein Blick dann aber erstmals aktiv auf Sydney zum erliegen kam und ich sie einen Moment lang musterte, wurde mir doch relativ schnell klar, dass Irgendwas war. Man brauchte vermutlich auch kein besonders intelligentes Genie zu sein um zu erkennen, dass die junge Frau den Bildschirm ihres Handy förmlich mit ihren Augen festhielt und durchlöcherte. Was auch immer sie da gerade las oder sah, es schien sie in irgendeiner Hinsicht zu beunruhigen. An sich war ich außerhalb meiner Geschäfte ein relativ empathischer Mensch und so hatte ich doch das Bedürfnis mal nachzuhaken, obwohl ich eigentlich gleich hatte duschen gehen wollen. Die sanitäre Anlage würde mir jedoch nicht weglaufen und es war jetzt auch nicht so, als hätte ich besonders viel bei beim Auseinanderbauen und Tragen geschwitzt. Es war hier oben in Norwegen ja nach wie vor recht eisig und mein Körper schien sich auch weiterhin strikt dagegen weigern zu wollen, sich mit dieser Kälte mal abzufinden, weshalb ich immer noch häufig fror, wenn ich draußen war. Auch dann, wenn ich eigentlich genug an hatte und nicht frieren sollte - der Italiener in mir wollte was die notwendigen, täglichen Sonnenstunden anging um keinen Preis verschwinden. Die Dusche sollte demnach mehr nur dem angenehmen Gefühl dienen, das ich immer bekam, wenn ich mich frisch geduscht ins Bett werfen und für den Rest des Tages oder Abends einfach Nichts machen konnte. Vielleicht vorher noch eine Kleinigkeit essen, wobei mir bis dato noch nicht der Magen knurrte. Jedenfalls ging ich aufs Bett zu und setzte mich mit ein wenig Abstand zu Sydney auf die Bettkante, drehte dann den Kopf in ihre Richtung und suchte für meine Worte ihren Blick mit meinem. "Ist Alles okay? Du wirkst ein bisschen... abwesend.", fragte ich also in vollkommen ruhigem, entspanntem Tonfall danach, ob sie Irgendwas loswerden wollte oder gar Hilfe bei was auch immer brauchte. Während ich auf eine Antwort wartete wendete ich die dunkelbraunen Augen aber doch noch einmal von ihr ab, weil ich mich darum kümmerte die Jeans loszuwerden. Wenn doch Nichts war und ich mich irrte, dann würde ich immerhin gleich duschen gehen und sollte Irgendwas sein, dann hatte ich es für ein ernstes Gespräch ganz gerne etwas bequemer.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Egal, wie ich es drehte oder wendete, mir wollte partout keine praktikable Lösung einfallen, wie ich in die Staaten einreisen konnte, ohne das ich nicht gleich nach meiner Ankunft dem höchsten Gericht zugeführt wurde. Das, was ich getan hatte, war kein Bagatelldelikt gewesen und es würden wohl verdammt hohe Strafen auf mich warten, sollte ich mich jemals dazu entscheiden, auch nur einen großen Zeh auf amerikanischen Boden setzen zu wollen. Im aktuellen Augenblick wägte ich aber tatsächlich die Vor- und Nachteile ab, inwieweit sich mehrere Jahre im Staatsgefängnis lohnen würden, nur um meinem Sohn für ein paar Minuten beistehen zu können. Ich brauchte sicher nicht erwähnen, dass es lediglich einen Vorteil und ungefähr das Zehnfache an Nachteilen gab, die mich zu dieser Erkenntnis kommend leise seufzen ließ. In ungefähr demselben Augenblick, als ich mich endlich vom Display lösen konnte, hatte sich Sabin neben mir aufs Bett fallen lassen und sich nach meinem momentanen Gemütszustand erkundigt, was ich erst einmal nur mit einem schwachen Schulterzucken beantworten konnte. Bevor ich auch noch zu einer wörtlichen Antwort auf seine Frage ansetzte, vergingen aber noch ein paar Sekunden, in denen ich gedanklich Revue passieren ließ, in was für eine bescheuerte Situation ich mich eigentlich gebracht hatte. Hätte ich meinen Job einfach ein Stück weit ernster genommen und nicht versucht, in einem Ex-Anhänger der weltweit stärksten Bewegung von organisierter Kriminalität, noch das Gute sehen zu wollen, dann wäre es jetzt sicher kein Problem gewesen, einen Schichtwechsel vorzunehmen, damit ich Noah sehen konnte. Aber ich hatte mich mehr oder weniger vollkommen freiwillig gegen das Leben als stolze, gesetzestreue Amerikanerin entschieden und musste dadurch jetzt auch die Konsequenzen tragen. Natürlich machte mich das fertig, keine Frage, aber solange wir keine Zeitmaschine im Keller stehen hatten, ließ sich an meinen Fehltritten wohl nichts mehr rütteln. Also seufzte ich erneut, legte das Handy beiseite und wandte mich dem jungen Mann neben mir zu, der gerade im Begriff war, sich seiner Hose zu entledigen, was für mich schon beinahe eine traurige traurige Normalität geworden war. Seitdem wir nicht mehr in dem kleinen Apartment wohnten, in dem wir einen meiner Kollegen abgemurkst hatten, teilten wir uns durchgehend ein Bett, man sah sich also gegenseitig des Öfteren mal halb nackt und auch wenn es anfangs etwas ungewöhnlich war, hatte ich mich schnell daran gewöhnt. Nicht zuletzt, weil die Sache zwischen Kilian und mir ihr Ende gefunden hatte und mir deshalb niemand mehr einen Vorwurf machen konnte, wenn ich mir mit einem anderen Mann das Bett teilte. "Ja.. sorry, Noah ... mein Sohn liegt im Krankenhaus.", äußerte ich weiterhin relativ nachdenklich und hängte direkt noch eine Entschuldigung für mein abwesendes Verhalten hinten dran. "Ich weiß nicht genau, was er hat, aber er scheint operiert werden zu müssen und ich wäre jetzt eigentlich sehr gerne bei ihm. Deswegen weiß ich gerade nicht genau, wo mir der Kopf steht.", redete ich weiter, weil ich nicht wusste, was dagegen sprach, mit Jemanden über dieses Problem zu sprechen. Lösen ließ es sich vermutlich eh nicht und es hatte mir persönlich noch nie geschadet, über Dinge, die mich bedrückten, zu reden. Zwar tat ich das in der Regel mit meinem getöteten Arbeitskollegen oder meinem Ex-Mann, aber beide hatten entweder nicht die Möglichkeit dazu oder kein Interesse mehr daran, mir zuzuhören. Also musste an dem Punkt wohl Sabin her halten, der mir allerdings nicht den Anschein machte, als würde ihn das jetzt groß stören.
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Es dauerte wieder ein klein wenig bis ich dann schließlich eine Antwort auf meine Frage erhalten sollte. War aber auch gar nicht weiter schlimm, ich hatte ja Zeit. Außerdem unterhielt ich mich ab und an ganz gern mit Sydney, weil sie eben nicht so wie gefühlt der gesamte Rest der Mannschaft tickte. Sie war nicht so hitzköpfig und stur, konnte sich hier und da durchaus auf Kompromisse einlassen und das machte das zwangsweise entstandene Zusammenleben mit der jungen Frau meistens relativ unkompliziert. Klar hatten wir auch mal unsere schlechten Tage, wo wir uns soweit es möglich war mal aus dem Weg gingen, aber das war normal. Früher oder später ging man sich einfach auch mal auf die Nerven, wenn man viel Zeit miteinander verbrachte. Also lauschte ich den Worten der Amerikanerin recht aufmerksam, als meine Jeans schon ihren vorübergehenden Platz über dem Fußende des Bettgestells fand. Was die junge Frau dann von sich gab musste ich zugegeben erst einmal kurz auf mich wirken und sacken lassen, weil es zwangsläufig ein paar Erinnerung an meine eigene Tochter zurückbrachte. Die ersten paar Mal, als sie sich aus kindlicher Ungeschicklichkeit hier oder da mal ein paar Kratzer geholt hatte, hatten mir einen halben Herzinfarkt verpasst. Irgendwann hatte ich mich aber daran gewöhnt, dass sowas nun mal zum Aufwachsen dazu gehörte - verbrannte man sich nirgends, dann lernte man eben auch nicht, dass Feuer heiß war. Mit richtigem Feuer war meine damals dreijährige Tochter natürlich nie in Berührung gekommen, aber Schürfwunden am Kopf waren doch immer wieder ein Abenteuer für meine Frau und mich gewesen. Ins Krankenhaus hatten wir jedoch seit der Geburt nicht mehr gemusst, worüber ich heilfroh war. Wegen meinen eigenen Erfahrungen als - ehemaliger - Vater konnte ich mir in etwa vorstellen, wie Sydney sich in diesem Augenblick fühlen musste. Es war auch einfach nicht fair, dass sie ihren Sohn so gar nicht mehr sehen konnte. Nicht mehr mitbekam, wie er Tag für Tag weiter aufwuchs. Nicht sehen konnte, wie es ihm gerade wirklich ging und wie schlimm die Situation eigentlich war oder eben nicht war, wobei eine Operation wohl nichts allzu Gutes verriet. Denn es gab wohl nichts schlimmeres als diese dumme Ungewissheit. Sie war in Hinsicht auf geliebte Menschen immer furchtbar, aber bei dem eigenen Kind wohl ganz besonders. Ich schüttelte die Gedanken ab, merkte ich doch, wie sehr er mich in meine eigene Vergangenheit als Vater zurücktrieb und dass das nicht unbedingt meine Stimmung anhob, die bis eben noch sehr unbeschwert gewesen war. Es war wohl einfach eine Sache, die mich immer verfolgen würde. "Das... tut mir wirklich leid.", bekundete ich Sydney leicht gemurmelt, aber dennoch aufrichtig mein Mitgefühl, als mein Blick letztlich wieder auf ihr lag. "Ich weiß wie du dich fühlst, also... falls du noch Irgendwas loswerden willst, hör ich dir gern zu.", wollte ich ihr noch versichern, dass es mich keineswegs stören würde, wenn sie weiter darüber reden wollte. Drehte mich der Brünetten noch während ich sprach etwas mehr zu und legte ihr dann kurze Zeit die Hand auf die Schulter, strich dort ein klein wenig mit dem Daumen über ihr Shirt. Kurze Zeit später wendete ich mich nur noch einmal von ihr ab, um einen kurzen Abstecher zum Kleiderschrank zu machen und eine einfarbig schwarze Jogginghose herauszuziehen. Es war hier drin jetzt nicht kalt, aber wenn das Gespräch womöglich doch ein wenig länger dauerte, dann war es mit Hose schlicht gemütlicher. Außerdem lag meine persönliche Wohlfühltemperatur eher bei 25 und nicht bei 20 Grad.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Sabin bestätigte mir mit seinen darauffolgenden Worten nur noch einmal, was ich mir bereits gedacht hatte. Es schien ihm absolut nichts auszumachen, wenn ich mich in seiner Gegenwart über meine Probleme beschwerte, was ich mir heute wohl kaum zwei Mal sagen lassen würde. Es war zwar etwas schwierig, in dieser Situation nicht noch einmal darauf zurück zu kommen, dass der Italiener durchaus eine Teilschuld an meinem mittlerweile ziemlich verkorksten Leben trug, aber den Großteil hatte ich meiner eigenen Dummheit zuzuschreiben. Anders als es Cosma beispielsweise tat, fing ich nach Konfliktsituationen an, das Geschehene zu reflektieren und stellte überdurchschnittlich oft fest, dass sich gewisse Dinge einfach nicht in die jeweilige Richtung entwickelt hätten, wenn ich selbst vorher ein bisschen besser darüber nachgedacht hätte, bevor ich zum Sprechen oder Handeln ansetzte. Aber gut, im Nachhinein war man ja bekanntlich schlauer und wie es Dinge gab, über die man im Nachhinein reden konnte, um den Konflikt aus der Welt zu schaffen, gab es natürlich auch Situationen in denen das nicht so einfach war. Wie beispielsweise in meinem Fall. Zwar hätte ich mich mit Kilian durchaus aussprechen können, aber eine halbwegs stabile Freundschaft zu meinem Ex-Mann brachte mir hinsichtlich der amerikanischen Behörden, die sicherlich immer noch auf der Suche nach mir waren, rein gar nichts. Genau so wenig, wie Sabins Mitleid mir etwas brachte, aber ich schätze sein empathisches Wesen trotzdem. Es war einfach schön, sich zwischendrin auch mit einem weniger hitzköpfigen Menschen unterhalten zu können, während um uns herum doch eher ein schroffer Umgangston herrschte. Das alleine mochte schon einer der Gründe sein, weshalb ich es in der Zeit, in der wir förmlich eingesperrt worden waren, bevorzugte, dann auch das Zimmer nicht weiter zu verlassen. Egal, wo man sich aufhielt, irgendwie schienen Hunters Leute grundlegend angespannt zu sein. Mal ganz abgesehen von Tauren, der meiner Meinung nach hier auch überhaupt nichts verloren hatte, aber das war nicht meine Baustelle. Von letzterem hatte ich gewiss genug, auch ohne mir die der anderen aufzubürden. Aber genug davon, irgendwie würde sich dieses Kuddelmuddel in meinem Kopf ganz sicher sortieren lassen und auch wenn sich keine Lösung fand, kam ich früher oder später über diesen Verlust hinweg. Es würde zwar verdammt schwer werden, aber in tiefer Trauer zu versinken, brachte mir nichts als Unheil, wie mir die Trennung von Kilian bewiesen hatte. Ich schüttelte die negativen Gedanken also vorerst ab, als ich den Blick, der während dem Reden wieder ziemlich leer auf den Boden gewandert war, in Richtung Sabin zurück lenkte, weil er sich kontinuierlich weiter durch das Zimmer bewegte. "Danke.", murmelte ich auf seine ersten Worte bezogen, dass ich sein Mitgefühl - auch wenn ich damit nichts anfangen konnte - zu schätzen wusste. Ich wusste ja, dass Sabin ebenfalls Kinder gehabt hatte, er verstand also sicher mit am besten, wie ich mich im Augenblick fühlte, wenn mir die Hände gebunden waren. Hinsichtlich dem Angebot, mit ihm noch bisschen länger zu sprechen, zuckte ich wieder einmal mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Schätze, ich könnte dir jetzt die ganze Nacht in den Ohren liegen, aber bringen tut es ja doch nicht viel. Ist einfach eine beschissene Situation, die ich mir größtenteils selbst zuzuschreiben habe.", stellte ich nüchtern fest, was Fakt war. Mit dem Umzug in ein neues Land bekam ich zwar durchaus die Chance, noch einmal irgendwie von vorne anzufangen, aber die Vergangenheit würde einen immer und immer wieder einholen. In der Hinsicht hatte es Sabin wohl etwas einfacher. Immerhin waren diejenigen, die er liebte, bereits verstorben. Das mochte sich sehr hart anhören, aber somit konnte er mit dem Kapitel immerhin abschließen, denn es war sehr unwahrscheinlich, dass seine Frau und seine Tochter von den Toten auferstehen würden. Ich hingegen musste mit der Tatsache leben, dass mich mein Ex-Mann oder mein Sohn jederzeit anrufen konnte und somit alte Narben aufgerissen wurden. Und das war wirklich kein schöner Gedanke.
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Ja, da hatte sie vermutlich recht. War sicher ein Thema, das Sydney bis zum heutigen Tage noch nicht wirklich weit oder gut verarbeitet haben konnte und das sicher so einiges zu Tage befördern würde, was noch in ihrem Kopf vor sich hin brodelte. Sie war ganz gut darin die meisten ihrer Gefühle oder Gedanken für sich zu behalten, wenn es besser für alle Anwesenden war. Nur war das in diesem Fall hier eigentlich nicht zwingend notwendig und vielleicht sehnte ich mich selbst mal nach irgendeinem anderen, nicht alltäglichen Gesprächsthema. Natürlich war dieses hier irgendwie ein bisschen heikel und womöglich trug die Brünette dabei einen Teil der Schuld nach wie vor auf mich über, aber das war nun mal auch einfach die Wahrheit. Ich war kein bisschen stolz darauf, sie in dieses Sumpf von kriminellen Einflüssen mit rein gezogen zu haben, aber es war jetzt nun mal, wie es war und auf der anderen Seite hatte sie sich selbst auch dazu entschieden. Sie musste schließlich nicht hier sein, wenn sie das nicht wollte. Auch wenn Hunter sie nur ungern gehen lassen würde, weil sie inzwischen ein paar seiner Standorte kannte und sie sich damit als Ratte bei den Polizisten eine unter Umständen mildere Haftstrafe kaufen konnte... was ihr im Umkehrschluss aber nichts bringen würde, weil ich mir eigentlich sicher war, dass der Amerikaner bei ihrer Flucht einfach Irgendwen in den Knast einschleusen und sie umlegen lassen würde. Klang zumindest nach ihm. Nichtsdestotrotz wäre es einfach angenehm mal über etwas anderes als Geschäfte zu reden. Ich schätzte den Amerikaner nach wie vor sehr für seinen Einsatz und seinen Schutz, aber mich immer nur über irgendwelche anstehenden Missionen oder so wie momentan über die Vorbereitungen für den Abflug zu unterhalten... naja, es war inzwischen einfach ein bisschen langweilig. Vielleicht wühlte das ganze Kinder-Thema bei mir ebenfalls ein wenig die Gedanken auf, aber das war nicht schlimm. Sydney hatte indirekt angedeutet, dass sie potenziell sehr wohl über die ganze Sache reden wollte, mir wohl nur nicht unnötig die Ohren vollheulen wollte, sofern ich das nicht wollte. Also trat ich den Rückweg zum Bett an und schob mich letztlich auf der Matratze neben sie. Weiterhin mit ein bisschen Abstand, aber doch schon näher als vor zwei Minuten. "Wie alt ist er denn?", hakte ich also einfach mal weiter nach, um damit unterschwellig zu verdeutlichen, dass sie ruhig reden sollte. Mein Blick ruhte dabei ruhige auf ihrem Gesicht. "Vielleicht kann er uns irgendwann in der neuen Heimat mal besuchen... unter Urlaubstarnung. Ich hab' mich gestern kurz mit Hunter unterhalten und so wie ich das verstanden habe will er irgendwohin, wo es wärmer ist... bevorzugt auf eine Insel, wobei er da wohl noch nicht fündig geworden ist.", redete ich so vor mich hin, zuckte ein klein wenig mit den Schultern. Natürlich meinte ich mit uns eher nur Noahs Mutter, weil ich mal nicht glaubte, dass sie ihren Sohn freiwillig mit in diese Kreise ziehen wollte. Andererseits würde es bis zu seiner Volljährigkeit sicher noch eine ganze Weile dauern, Sydney war ja sogar jünger als ich. Dass sie schon im Teenageralter schwanger geworden war hielt ich mal für grundlegend unwahrscheinlich, weil sie auf mich immer so bodenständig und eben vernünftig wirkte. Zumindest dann, wenn sie nicht gerade im Drogenrausch auf italienische Mafiosi schoss. Natürlich war es mit einem Besuch alles in allem auch schwierig, weil er dabei sicher noch ein paar Jahre lang einen Erwachsenen an seiner Seite haben musste. Vielleicht hatte die Ex-Agentin ja aber eine Schwester oder einen Bruder, oder... keine Ahnung, irgendjemanden halt. Ihren Ex-Mann würde wohl keiner mit offenen Armen empfangen, das war auch einfach viel zu gefährlich. Aber einen Besuch in unsere Richtung war wohl wesentlich einfacher, als mit einem riesigen Knall in die Staaten einzufliegen und dabei zwangsweise noch mehr Leichen auf unseren Konten anzuhäufen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Na gut, wenn dem so war und Sabin es tatsächlich mehr oder weniger drauf anlegte, dass ich seine kostbare Zeit - die er mittlerweile deutlich weniger mit mir verbringe musste, wenn er das nicht wollte - in Anspruch nahm, dann wollte ich mich nicht beschweren. Der Höflichkeit halber hielt ich mich dahingehend normalerweise zurück und sah zu, meine Probleme alleine gelöst zu bekommen, aber gegen eine tröstende Schulter in schwierigen Zeiten hatte ich nicht wirklich etwas einzuwenden. Anders als die meisten, die noch eine Weile darauf bestanden, Niemanden mit ihrem Gerede behelligen zu wollen, bis der Gegenüber dann doch noch genervt den Rückzug antrat, fragte ich nicht weiter nach, ob das wirklich so in Ordnung ging, sondern setzte beinahe direkt zu einer Antwort an. "Er ist vor Kurzem acht geworden und es war echt nicht immer einfach mit ihm.", stellte ich grundlegend erst einmal fest, als ich die in einen Schneidersitz gezogenen Beine entwirrte, um meine Füße über die Bettkante hinweg auf dem Boden abzusetzen. Auf der Matratze rutschte ich ein Stück weit nach vorn und stützte nachdenklich die Ellenbogen auf den Knien ab. "Als ich erfahren hab, dass ich schwanger bin, brach erst einmal eine Welt für mich zusammen. Ich meine, ich hatte gerade mein Praktikum im örtlichen Policedepartment beendet und eine Zusage für eine Ausbildung bekommen, da hat Noah so überhaupt nicht in meine Zukunftsplanung gepasst.", gestand ich ehrlich, woraufhin ein leises Schnauben folgte. Damals hatte ich auch noch nicht mit der Unterstützung gerechnet, die mir durch meine und auch Kilians Eltern entgegen gebracht wurde. "Ich dachte, dass mich meine Mutter umbringen würde, wenn ich ihr erzählte, dass ich mit 19 Jahren immer noch zu dumm war, um aufzupassen. Aber sie war es schließlich, die mir die Angst vor einer so frühen Schwangerschaft genommen hat. Für die ersten zwei oder drei Jahre, also dem Zeitraum meiner Ausbildung, stand sie immer auf Abruf. Sie hat Berge versetzt, damit ich die Erziehung von Noah und meine Arbeit unter einen Hut bekam.", offenbarte ich Sabin gegenüber, was bis dahin eigentlich nur Kilian und meine alten Freunde aus den Staaten wussten, die mich zu der Zeit begleitet hatten. Schlimm fand ich es jetzt aber nicht, mich ihm zu öffnen, denn grundlegend war das ja Alles erst einmal nichts Schlechtes. Es gab nur selten den Anlass, so detailliert darüber zu reden. Vermutlich hätte es auch jetzt nicht zur Sache getan, wäre die Nennung von Noahs Alter doch vollkommen ausreichend gewesen. Aber er hatte mir angeboten, darüber zu reden und wenn ich mich schon darauf einließ, musste er auch damit rechnen, dass ich in der Kiste meiner Vergangenheit tiefer grub und in meinen Erzählungen weiter ausholte. Was die Sache mit dem Besuch anging ... ja, da hatte ich auch schon drüber nachgedacht, aber in Anbetracht der Tatsache, dass vermutlich Niemand, mit dem wir in ein neues Leben starten würden, auf legalem Wege seine Brötchen verdienen würde - mich eingeschlossen -, wusste ich nicht so recht, ob ich das denn wirklich wollte. Da spielte der Aspekt, wann, wie und mit wem uns der Kleine besuchen kam noch nicht einmal eine große Rolle. Aber ja, auch das galt es selbstverständlich zu beachten, falls ich mich dazu entschied, dass das Umfeld nicht allzu negative Auswirkungen auf ihn haben würde. Und spätestens dann konnte man Sabins lieb gemeinten Vorschlag geradewegs in die Tonne stecken. Ich glaubte nämlich nicht, dass Kilian sich jemals wieder auf eine Kontaktaufnahme einlassen würde und selbst wenn, tat er einen Teufel, mit Noah in einen Flieger Richtung Wohin-auch-immer-Island zu steigen. Aus diesem Grund schüttelte ich recht entschlossen, wenn auch sichtlich deprimiert darüber mit dem Kopf. "Was die Sache mit dem Besuchen angeht... weiß ich erstens nicht, ob ich das wirklich will. Kommt wohl ganz darauf an, wie der Neustart im Niemandsland verläuft und wen ich von euch dann noch um mich herum habe" - eine kurze Unterbrechung, weil ich mir kurzzeitig Gedanken darüber machte, wie ein Neustart so ohne eigenes Geld eigentlich aussehen würde, dann seufzte ich wieder und fuhr fort - "aber selbst wenn ihr euer eigenes Ding durchzieht und ich irgendwo ab vom Schuss in 'ne einsame Hütte ziehe, gehe ich davon aus, dass mein Ex alles daran setzen wird, ein absolutes Kontaktverbot durchzukriegen.", beendete ich meinen Gedankengang wahrheitsgemäß, denn ich kannte Kilian. Wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war er auch dahinter, sein Ziel zu erreichen. Und als Mörderin, die sich ins Ausland abgesetzt hatte, standen meine Chancen eher schlecht, Noah jemals wieder zu sehen.
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Da hatte ich mich wohl doch geirrt. Natürlich war das Kind zu dem Alter nicht geplant und gewollt gewesen, aber trotzdem hatte es da wohl seitens Sydney und ihrem Ex-Mann einen kleinen Unfall gegeben. Konnte passieren und dann war das eben so, wenn man sich nicht für eine Abtreibung entschied, was hierbei offenbar nicht in Frage gekommen war - obwohl sicher vorher klar gewesen war, dass es nicht einfach werden würde. Auch nicht einfach geworden war, wie Sydney mir hier jetzt erzählte. Aber wenn man eine Familie und vor allem Eltern hatte, die wirklich hinter einem standen, dann konnte das wahnsinnig viel ausmachen. Nicht nur was den Zusammenhalt und das gemeinsame Bewältigen von Problemen anging, sondern auch insgesamt auf die eigene Lebensqualität bezogen. Es gab einem einfach ein gutes Gefühl mit auf jeden Weg im Leben wenn man wusste, dass man Jemanden hatte, der einem auch dann noch den Rücken freihielt, wenn etwas schief ging. Meine eigenen Eltern hatten lange Zeit mit allem, was sie hatten, hinter mir gestanden. Selbst dann noch, als sie herausgefunden hatten, mit welchen Leuten zusammen ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Jedoch hatten wir uns doch irgendwann ein bisschen voneinander entfernt und letztlich ganz getrennt, was gänzlich meine Schuld war - nach der Ermordung meiner eigenen, kleinen Familie hatte ich den Kontakt zu ihnen gekappt, um sie nicht auch noch aktiv in Gefahr zu bringen. Es war besser so, auch wenn ich mindestens meiner Mutter ganz sicher das Herz damit gebrochen hatte. In diesem Metier war keine Familie einfach die bessere Variante, wie ich schmerzhaft hatte lernen müssen. "Es ist immer viel wert, wenn man eine Familie hat, die hinter einem steht.", äußerte ich erst einmal zu der Sache mit der schwierigen Organisation von Noahs frühen Kinderjahren, nickte dabei ein klein wenig. War nun mal so, daran gab es nichts zu rütteln. Was die ganze Geschichte mit dem Besuch anging konnte ich Sydney wohl ebenfalls nur zustimmen. Ihren Ex-Mann kannte ich nicht - und war froh darüber, weil er in meinen Augen hochgradig unsympathisch klang -, aber zumindest das Umfeld sprach relativ sicher dagegen. Wenn man das eben noch in Kombination mit Kilian nahm konnte man die ganze Geschichte eigentlich gleich im voraus knicken. "Da hat er wohl leider gute Chancen.", sagte ich seufzend und blieb damit bei der kalten Realität. Die Brünette war nicht dumm und wusste ohnehin, dass es an der Sache mit dem Sorgerecht nichts schön zu reden gab. "Habt ihr euch überhaupt mal irgendwie... ausgesprochen?", hängte ich eine Frage hinten ran, die mir kurzum auf der Zunge gebrannt hatte. Ich war nicht ständig bei der jungen Frau gewesen, nachdem sie die Papiere mit der Scheidung und der Sorgerechtsklage auf den Tisch gekriegt hatte. Es war also durchaus möglich, dass sowas mal passiert war, aber mir war es eben nicht aufgefallen. Zwar hatte Hunter anfangs als Syd die Seiten gewechselt hatte natürlich ihr Handy einkassiert, aber das hatte sie schon lange wieder. Die Sache zu verschlüsseln, damit sie nicht prompt geortet oder zurück verfolgt werden konnte, war auch nicht besonders schwer.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Das war wohl ein weiterer Punkt, der Sabin über die Zeit in meinen Augen immer sympathischer hatte werden lassen: seine Ehrlichkeit. Natürlich konnte ich abschließend nie genau sagen, ob das, was er geäußert hatte auch tatsächlich der Wahrheit entsprach, aber er machte mir als gestandener Mann nicht unbedingt den Eindruck, als hätte er es nötig, irgendwem das Blaue vom Himmel zu lügen. Allgemein war die Meinung, welche ich anfangs von ihm gehabt hatte inzwischen vollkommen überholt und ich konnte mir eine gute Freundschaft, die ich eingangs total abgelehnt hatte, mittlerweile gut vorstellen. Man konnte von seinem Strafregister halten, was man wollte, aber menschlich war der Italiener einer der umgänglichsten, die ich bis jetzt kennen gelernt hatte. Klar, wenn es die Situation erforderte, konnte er natürlich auch anders, aber das war in der letzten Zeit doch seltener der Fall gewesen. Stattdessen spielte er hier und da den Therapeuten oder Streitschlichter, wie er es nicht zuletzt auch jetzt wieder tat. "Stimmt wohl. Ich glaube, dass ich ohne meine Eltern nicht wirklich in der Lage gewesen wäre, Noah zu lieben. Keine Ahnung, ich war jung, mir war die Karriere um ein Vielfaches wichtiger gewesen und anfangs habe ich den Kleinen trotz der vielen Unterstützung als eine richtige Belastung gesehen. Hat sich aber Gott sei Dank irgendwann gelegt, als ich älter geworden bin und das hat sich dann bis heute auch nicht wieder geändert. Mittlerweile möchte ich mir ungern eine Welt ohne ihn vorstellen.", erwiderte ich geknickt, wobei ich gen Ende noch ein Stück leiser geworden war, weil ich wusste, dass es wohl oder übel darauf hinaus laufen würde. Plötzlich kam mir jedoch noch etwas ganz anderes in den Sinn, was mich kurzzeitig nachdenklich inne halten ließ. Dann drehte ich mich Sabin noch ein Stück weiter entgegen und sah ihn entschuldigend an. Mir war gerade aufgefallen, dass es vermutlich keine so gute Idee war, wenn ich mich mit meinen Problem im Bezug auf Noah an ihn wandte, weckte es doch ganz bestimmt unliebsame Erinnerungen an seine eigene kleine Familie. "Warte mal... das... ich möchte dich damit ehrlich gesagt nicht weiter belasten. Ich meine... du weißt schon, wegen deiner Tochter.", sprach ich meinen Gedanken laut aus und senkte noch beim Reden den Blick auf meine Hände, die mittlerweile locker auf meinem Oberschenkel lagen. Was die Sache mit dem Aussprechen anging, war ich mir aktuell noch nicht ganz im Klaren darüber, ob ich das wirklich wollte und wenn ja, wie ich es am besten anging, aber für den Moment konnte ich daraufhin wohl nur mit dem Kopf schütteln. "Nein, ausgesprochen haben wir uns noch nicht. Ich hab die Papiere wortlos zurück geschickt und bis zu der SMS von ihm heute nichts mehr von Kilian gehört. Weiß auch nicht, ob das wirklich was bringen. Wir haben uns in den letzten Monaten vor meinem Einsatz hier in Norwegen ziemlich auseinander gelebt. Ich habe echt das Gefühl, ihn kaum noch zu kennen. Das, was er momentan abzieht, ist normalerweise so gar nicht seine Art." Zumindest hatte ich ihn so nicht kennen und lieben gelernt. Damals war er sehr viel umgänglicher und verständnisvoller gewesen, hatte versucht, mögliche Konflikte bereits im Voraus zu umgehen und wenn man doch einmal stritt, dann war er ein stets fairer Gesprächspartner gewesen. Ging nicht unter die Gürtellinie und war in der Regel der Erste, der die bedrückende Stille im Anschluss einer Diskussion mit einer Entschuldigung aus dem Weg räumte. Aber mittlerweile ... erkannte ich ihn gar nicht wieder.
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Tatsächlich verstand ich auch das ziemlich gut. Immerhin lag meine kriminelle Laufbahn absolut meinem eigenen Ehrgeiz zu Grunde. Zwar hatte ich mich damals eindeutig für den falschen Weg entschieden und das auch schon an dem Punkt gemerkt, als ich aus der Mafia schon längst nicht mehr heraus konnte, aber danach hatte ich ohnehin keine Wahl mehr gehabt. Deswegen hatte sich der Ehrgeiz weiter durch meine Blutbahnen gezwängt und eigentlich war das auch eine gute Eigenschaft - sofern das eigene Kind nicht darunter litt, aber das schien Sydney nach und nach immer besser in den Griff bekommen zu haben. "Ich glaube so geht's aber vielen jungen Eltern... gerade dann, wenn's ungeplant ist. Das hinzukriegen war sicher nicht einfach.", redete ich ein bisschen nachdenklich vor mich hin, den Blick dabei geradeaus gerichtet. Ich für meinen Teil war auch wirklich froh, nicht selbst schon so früh mit einem Kind gesegnet worden zu sein. Als 19jähriger hatte mir der Sinn nach vielem gestanden, aber sicher nicht nach einem Balg, das mir jegliche Freiheiten nahm. Ich hing meinen Gedanken noch nach bis die junge Frau neben mir sich erneut regte und dem Monolog in meinem Schädel damit einen Cut setzte. Sydney wendete sich mir mehr zu und sprach ein paar Worte aus, die eigentlich nicht notwendig waren, mir aber kurzzeitig ein kaum sichtbares, sehr schwaches Lächeln auf die Lippen legten. Ich hatte eigentlich nicht mal wirklich erwartet, dass sie sich das überhaupt gemerkt hatte. Für sie selbst war es ja nicht wirklich relevant warum ich die Mafia verlassen hatte, als sie mit mir in das kleine Haus verdonnert worden war. Nur, dass es so war und sie mich deshalb an der Backe hatte. Was hätte sie sich auch für irgendwelche irrelevanten Details im Hintergrund interessieren müssen? Offenbar war dennoch die eine oder andere Kleinigkeit auf dem Papier auch in ihrem Kopf hängen geblieben. "Wär's für mich nicht okay hätte ich's dir nicht angeboten, Syd. Ich bin...", drüber weg. Ich brach den Satz ab, weil er schlicht nicht der Wahrheit entsprochen hätte und es unnötig wäre ihr dahingehend irgendeine Lüge aufzutischen. Knappe zwei Jahre waren nicht annähernd genug Zeit um den Verlust von zwei Menschen zu ertragen, für die du jederzeit dein Leben gegeben hättest. "Ich komm' klar.", änderte ich den Satz dann um und warf der Brünetten einen flüchtigen Blick zu, die Mundwinkel hatten längst wieder in ihre vollkommen neutrale Position zurück gefunden. Ich widmete mich gedanklich lieber wieder ihren folgenden Worten, weil die weniger anstrengend waren als das ewige, gedankliche Nachtrauern hinsichtlich meiner Familie. Offenbar schien eine Aussprache doch ziemlich unnötig zu sein, weil ihr Ex-Ehemann dabei wahrscheinlich wenig kooperativ wäre. Vielleicht auch gar nichts mehr von ihr hören wollte. Naja, immerhin war der Bruch der Beziehung aber augenscheinlich nicht ganz allein meine Schuld. Wenn sie vorher schon sehr am Straucheln gewesen waren, dann war Sydneys Abflug aus der Heimat eher nur die letzten paar Tropfen gewesen, die das Fass endgültig hatten überlaufen lassen. "Vermutlich sollte ich darüber nicht urteilen, weil ich ihn nicht gut genug kenne, aber... zumindest jetzt gerade klingt er wie ein Arschloch.", stellte ich also mehr für mich selbst mit leicht sarkastischem Tonfall fest, welche Schlüsse ich aus meinen paar wenigen Informationen zog und zuckte im direkten Anschluss ein klein wenig mit den Schultern. Womöglich ließ ich dabei ein bisschen außen vor, dass er sein Kind eventuell nur schützen wollte, weil dessen Mutter auf die falsche Seite gewechselt hatte. Lag wohl einfach daran, dass ich an dieses Umfeld schon so stark gewöhnt war und von mir selbst wusste, dass man sowohl ein Mörder, als auch gleichzeitig ein aufopferungsvoller, liebender Familienvater sein konnte. Das eine schloss das andere nicht zwangsläufig aus. In Fällen wie Hunters würde ich zwar schon dringend von der Familienplanung abraten, aber ich war mir eigentlich auch sehr sicher, dass die beiden nichts dergleichen in naher Zukunft vor hatten. Wenn doch, dann wäre es eindeutig Zeit für die nächste Therapiestunde.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mhm, ich glaubte ihm sofort, dass er damit klar kam, war aber gleichzeitig der Auffassung, dass es dennoch nicht sein musste, dieses Thema weiter zu vertiefen. Grundlegend waren wir nun beide zu der Erkenntnis gekommen, dass ich mir die Sache mit Noah fürs Erste abschminken und lediglich darauf hoffen konnte, dass er, sobald er älter wurde, sich nach seiner Mutter erkundigte. Schlau genug war, Kilian nicht abzukaufen, dass ich verstorben war oder dergleichen. Ich ging zum jetzigen Zeitpunkt nämlich fest davon aus, dass mein Ex-Mann irgendetwas in diese Richtung erwähnen würde, weil mein Sohn ganz sicher fragen stellen würde, warum Mama zum geplanten Schichtwechsel nicht nach Hause kam. Zwar war er noch viel zu jung, um zu verstehen, was ich tat oder wie meine Arbeit funktionierte, aber Noah hatte schnell begriffen, in welchen Abständen ich nach Hause kam und oft wurde wurde mir berichtet, wie er schon Stunden im Voraus angefangen hatte, sein Kinderzimmer aufzuräumen und alles für einen gemütlichen Abend auf der Couch vorzubereiten. Gut, mehr als seine Schmusedecke und ein paar Kuscheltiere hatten es meistens nicht bis zum Sofa geschafft, aber um das Popcorn und die Getränke hatte sich dann Kilian gekümmert. War im Prinzip auch egal, mich hatte es einfach gefreut, meine wenige freie Zeit mit meinem Ehemann und unserem gemeinsamen Kind zu verbringen. Und so wie es aussah, war diese Zeit jetzt nun mal vorbei. Ich hatte zwar gehofft, dass diese schmerzhafte Trennung erst dann stattfinden würde, wenn mein Sohn mit 18 oder 19 Jahren gemeinsam mit seiner Freundin - oder seinem Freund - ihre erste gemeinsame Wohnung bezogen, aber das Schicksal hatte augenscheinlich andere Pläne gehabt. Na ja. Jedenfalls war ich ganz dankbar dafür, dass Sabin das Thema von selbst in eine zumindest für ihn etwas angenehmere Richtung lenkte, indem er Noah außen vor ließ und sich stattdessen Kilian annahm. Und das, was er über ihn sagte, konnte ich wohl nichts weiter, als blind zu unterschreiben. "Da hast du wohl Recht.", stellte ich nüchtern fest und zuckte schnaubend mit den schmalen Schultern. Jetzt, wo es nicht mehr konkret um meinen Sohn ging, sondern um seinen Erzeuger, kroch mir auch gleich wieder ein Stück weit die Wut in mir hoch. "Ich kann dir allerdings nicht sagen, seit wann er sich so verhält. Wir hatten immer mal wieder unsere Differenzen und ich denke, dass das auch vollkommen normal ist in einer Beziehung, aber in der letzten Zeit war er einfach wirklich seltsam drauf. Keine Ahnung, ob er in der Zwischenzeit irgendeine Andere kennengelernt hat, aber eigentlich ist mir das grundlegend auch egal. Selbst wenn es irgendwann zu einer Aussprache kommen sollte, der Zug zwischen ihm und mir ist sowas von abgefahren.", redete ich mehr oder weniger in Rage, wobei meine Stimmlage immer noch relativ gemäßigt war. Man hörte nur eben ganz deutlich den angesäuerten Unterton, als ich auf das Fremdgehen Thema zu sprechen kam. Bis dato hatte ich nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass mein Ex-Mann in unserer jahrelangen Beziehung fremd gegangen war, denn er hatte mein uneingeschränktes Vertrauen genossen, aber mittlerweile konnte ich mir einfach nicht anders erklären, wer ihm einen solchen Floh ins Ohr gesetzt haben konnte.
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Womöglich lag ich mit meiner Annahme darin, dass Kilian die Art Mensch war, die ich nicht zu kennen brauchte, gar nicht so falsch. Denn das, was Sydney im Folgenden noch so vor sich hin redete, bestätigte mich nur weiter darin. Natürlich war Streit in so ziemlich jeder Beziehung oder Ehe vorprogrammiert. Es gab einfach Dinge bei denen man sich nicht sofort einig wurde und dann konnte es schon mal passieren. dass eine Diskussion ungemütlich wurde. Solange man dann nach einer kurzen Pause wieder durchatmen und normal miteinander weitermachen konnte, war das nicht schlimm. Aber wenn das irgendwann nicht mehr ging hatte das in der Regel Gründe. Entweder man lebte sich einfach nur komplett auseinander und setzte sich zu unterschiedliche Ziele und Hoffnungen, um noch weiter zusammen in die gleiche Richtung zu schippern... oder es kamen äußere Einflüsse dazu. In der heutigen Zeit war es ehrlich gesagt auch kaum mehr ungewöhnlich, dass sich Irgendjemand eine Affäre an Land zog und die dann so nebenher laufen ließ. Selbst, wenn man das erste Mal womöglich nur wegen eines schlimmen Streits aus Trotz oder Wut fremdging, dann beendeten es danach tatsächlich dennoch die wenigsten gleich wieder nach dem One Night Stand. Bei meiner Frau hatte ich da nie irgendwelche Bedenken gehabt, weil sie schlicht eine unheimlich treue Seele gewesen war. Es waren aber bei weitem nicht alle Leute so, weshalb ich mir zugegeben auch nicht sicher war, ob es für mich überhaupt noch einmal Irgendwen geben würde, dem ich ernsthaft vertrauen konnte. Im Grunde war ich sowieso auch gar nicht auf der Suche - einmal eine tote Frau mit Kind in meinem Haus vorgefunden zu haben reichte bei Weitem und die kriminellen Geschäfte abzulegen kam bei dem riesigen Schuldenberg absolut nicht in Frage. "Dann sei froh, dass du ihn los bist. Natürlich ist das mit Noah ein sehr unangenehmer Beigeschmack, aber... Jemanden wie ihn hast du nicht verdient.", stellte ich leicht gemurmelt mit einem sehr indirekten Kompliment fest, dass Sydney sicher in jedem Fall besser ohne ihn dran war. Immerhin hatte er schon lange vorher gewusst, dass die Brünette eine zielstrebige, berufsorientierte Frau war. Dass sie dahingehend dann mal weniger Zuhause war, war entsprechend vorprogrammiert gewesen und er hätte sich deshalb nicht beschweren dürfen, wenn man mich fragte. Sich schon gar keine andere Frau anlachen müssen, falls das wirklich so sein sollte, aber dahingehend konnten wir hier wohl nur mutmaßen und kein sicheres Ergebnis stellen. "Weißt du denn, was du machen willst, wenn wir hier weg sind? Ganz normal arbeiten, oder...?", schnitt ich nebenher noch ein anderes Thema an, das wir kurzzeitig schon vorher gehabt hatten und richtete meine dunklen Augen wieder in Sydneys'. Womöglich würde die Amerikanerin sich nur irgendeinen normalen Job unter neuem Namen mit neuem Ausweis in der Tasche suchen, wenn sie wieder so weit es ging zur Normalität zurück wollte. Wäre vielleicht ein bisschen schade, weil sich unsere Wege dann über kurz oder lang sicher trennen würden, aber verständlich wäre es dennoch. Nur, weil sie sich nicht gegen mich hatte stellen wollen, hieß das eben nicht, dass sie gleich gänzlich kriminellen Machenschaften verfallen wollte. Wir redeten sonst nie darüber, was sie überhaupt noch vom Leben wollte, also konnte ich dahingehend nicht einmal ansatzweise eine Vermutung aufstellen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Das sagte sich so einfach, aber selbst wenn ich mir einredete, was für ein Arschloch Kilian doch war, machte das die unzähligen schönen Erinnerungen aus unserer Beziehung nicht ungeschehen. Uns hatte einmal wirklich viel verbunden, nicht zuletzt natürlich unser gemeinsames Kind, da konnte ich nicht von jetzt auf gleich ein ganz neues Leben anfangen und alles restlos hinter mir lassen. Ich wünschte mir zwar, dass ich es könnte, aber in der Realität lief es selten so, wie man es sich vorstellte. Na ja, aber die Zeit heilte ja bekanntlich Wunden und so hoffte ich einfach, dass Sabin mit seiner Aussage Recht behalten und sich meine Schmerzen bald in Luft auflösen würden. Bis dahin musste ich aber wohl oder übel noch mit den Zähnen knirschend durch die Scheiße waten und zusehen, wie ich mein Leben wieder in geregelte Bahnen bekam. Ich hatte nach dem indirekten Kompliment seitens des Italieners ein schwaches Lächeln auf den Lippen, welches sich bei seiner nächsten Frage aber von selbst neutralisierte. Nein, so wirklich wissen, wonach mir der Sinn stand, wusste ich bis jetzt noch nicht. Zwar wäre es so langsam aber sicher an der Zeit, sich in dieser Richtung bald auf etwas festzulegen, denn wirklich lange würden wir wohl nicht mehr in Norwegen bleiben, nur konnte ich mich dazu bis jetzt noch nicht aufraffen. Es gab so unzählig viele Optionen, dass mich das fast ein wenig überfragte. Auf der anderen Seite hatte ich in einem neuen Land keinerlei Qualifikationen vorzuweisen, was das Berufsfeld deutlich einschränkte. Hach ja, war schon alles nicht so einfach. "Danke, ich weiß deine netten Worte wirklich zu schätzen.", ließ ich Sabin erst einmal noch wissen, dass mir dieses Gespräch gerade unglaublich gut tat, bis ich mich seiner nächsten Frage annahm. "Und nein, ich weiß ehrlich gesagt noch überhaupt nicht, was ich machen möchte. Hab mich auch noch nicht entschieden, ob ich es tatsächlich noch einmal mit ehrlicher Arbeit versuche oder es direkt sein lasse.", murmelte ich dann vor mich hin und ließ mich schließlich nachdenklich auf den Rücken fallen. Meine Beine baumelten weiterhin über der Bettkante, während ich mein Blick inzwischen an die Decke geheftet hatte. "Ein Vorteil an der Arbeit beim FBI ist wohl, dass du einiges zu sehen kriegst und weißt, wie die Polizei im Hintergrund arbeitet und wie systematisch die Spuren verfolgt werden. Vielleicht kann ich mir das Wissen zunutze machen und deine Drogen verticken gehen oder so.", setzte ich Sabin mit hörbar ironischem Unterton darüber in Kenntnis, dass mich der illegale Lebensweg momentan tatsächlich mehr reizte, als brav einen Job als Verkäuferin oder dergleichen anzunehmen. Aber sicher war ich mir eben noch nicht, weshalb ich meine Aussage noch sehr vorsichtig traf. Eins war jedenfalls sicher: Ich sollte mich bald entschieden haben, denn bis dato hatte mir noch keiner mitgeteilt, wie es nach der Ausreise aus Norwegen weiter gehen sollte. War für eine vorübergehende Wohnung gesorgt? Wie sah es mit der Versorgung in Hinsicht auf Lebensmittel aus? Alles unbeantwortete, offene Fragen, die ich beizeiten eventuell ansprechen sollte, denn auf eine temporäre Obdachlosigkeit konnte ich getrost verzichten. "Und du? Bleibst du mit Richard beim Kochen von Drogen?", stellte ich eine durchaus ernst gemeinte Gegenfrage, bei der ich meinen Kopf auf der Matratze in seine Richtung drehte, um mit meinem Blick den seinen zu suchen. Vielleicht war er ja wirklich auf der Suche nach Jemanden, der seine Ware an den Mann brachte. Ob er es mich mal versuchen lassen würde? Angst hatte ich aufgrund meiner Ausbildung beim FBI keinesfalls, nicht einmal vor Schränken, die zwei Meter hoch wie breit waren, in diese Richtung brauchte er sich also überhaupt keine Sorgen zu machen.
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Sydneys folgende Worte nickte ich nur noch leicht ab, ließ den linken Mundwinkel dabei kurz nach oben zucken. War einfach angenehm zu wissen, dass ich irgendwie doch noch für diese normale Art von Gesprächen taugte, wo sowas doch nur selten mal vorkam. Außerdem war es meistens noch mal etwas anderes mit einer Frau als mit einem Kerl zu reden. Zumindest die meisten davon waren weit empathischer und ich musste mich hier zwar nicht wegen Irgendwas ausheulen, aber ernstere Gespräche waren auf diese Weise einfach sinnvoller. Es brachte einem schließlich herzlich wenig, wenn der Gesprächspartner Alles nur ins Lächerliche zog oder Witze riss, wenn man eher auf der Suche nach ein paar aufrichtigen, ehrlichen Worten oder gar Hilfe war. Da zog ich die Brünette hier doch irgendwie so ziemlich jedem anderen Menschen in meinem derzeitigen Umfeld vor... zumal die einzigen beiden Frauen, die sonst noch hier und da mal vor meine Augen traten, sowieso Cosma und Vahagn waren und beide kläglich ausschieden. Sollte lieber Hunter mit dem rothaarigen Temperamentsbündel auseinandersetzen und Tauren weiter bei der Russin auf Granit beißen, wenn ihm das Spaß machte. Ich fragte mich ja wirklich, was er eigentlich an ihr fand. Viel mehr als die Optik konnte das nicht sein. Back to topic. Sydney schien sich noch so gar nicht sicher damit zu sein, was sie denn eigentlich in Zukunft vor hatte und ließ sich nebenher einfach nach hinten aufs Bett kippen. War zugegeben auch gar keine so schlechte Idee für mich selbst, weil ich über kurz oder lang in dieser sitzenden Position ohne Rückenlehne sehr sicher wieder ein unangenehmes Zwicken im unteren Rücken kriegen würde. Was die immer mal wieder einkehrenden Rückenschmerzen anging fühlte ich mich häufig eher wie mindestens schon 40, aber man wurde im Verbrecherbusiness eben einfach schneller älter als normalerweise. Ich saß noch immer mehr oder weniger aufrecht, als die Brünette mir schließlich eröffnete, das sie ja für mich Drogen verticken könnte. Auch ohne den ironischen Unterton hätte mir das ein leises Lachen entlockt, bei dem ich es ihr gleich tat und mich nach hinten auf die Matratze fallen ließ. Ich hätte sonst nur unnötig weiter den Kopf verdrehen müssen, um die junge Frau ansehen zu können. "Also... deinen verdammt gut gezielten Reflexschuss auf Agnolo in allen Ehren... aber bist du sicher, dass du das kannst? Junkies sind echt nervtötend.", fragte ich noch immer leicht grinsend und drehte den Kopf in ihre Richtung. Dabei meinte ich das gar nicht böse - Drogenabhängige konnten nur einfach verflucht nervig und anstrengend sein. Potenziell gefährlich auch. Als Syd ihre Gegenfrage an mich stellte zuckte ich dann aber leicht mit den Schultern, sofern das im Liegen eben ging. "Naja, kommt wohl ein bisschen drauf an, in welchem Land wir dann hängen bleiben und wie weit der Markt da schon erschlossen ist. Wenn's zu wenig Kunden gibt werde ich ziemlich sicher noch irgendwas anderes nebenbei machen... oder einen Teil der Konkurrenz zwangsweise erledigen. Ich will nicht noch 10 Jahre auf den Schulden sitzen bleiben.", meinte ich wahrheitsgemäß, ohne den Blick dabei von Sydney abzuwenden. Ich wollte irgendwann wieder Luft zum atmen haben und nicht weiter auf ewig in Hunters Schuld stehen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Hätte man mir vor ein paar Monaten gesagt, dass ich bald mit einem Schwerverbrecher auf einem Bett liegend über meine Probleme sprechen würde, hätte ich die Nummer zu meinem Kontakt in der geschlossenen Anstalt schneller gewählt, als derjenige bis drei zählen konnte. Vor nicht allzu langer Zeit war das nämlich absolut abwegig gewesen, dass es jemals so weit kommen würde, aber wenn ich jetzt ein Blick auf mein Leben warf, dann hatte sich da schon ordentlich was getan. So ganz abgeschlossen schien die Wandlung meiner Lebensumstände zwar noch nicht zu sein - und ich war mir auch noch nicht ganz sicher, ob ich die Entwicklung nun gut heißen sollte oder eher nicht -, aber von meinen alten Tagen war ja mittlerweile kaum mehr was übrig. Die Prinzipien, welche ich bis vor Kurzem noch so strikt verfolgt hatte, waren mittlerweile zum Großteil über Bord geworfen und somit schwimmen gegangen, was mich auf der einen Seite unglaublich erleichterte, weil es mir die Augen für viel Neues öffnete, auf der anderen Seite machte mir genau das auch ein bisschen Angst. Nun quasi derjenige zu sein, der den Bullen in den Lauf schaute, war mindestens genau so interessant, wie es unangenehm war und ich würde wohl trotz des aktuellen ausschließlich kriminellen Umfeldes noch eine Weile brauchen, mich daran zu gewöhnen. Aus diesem Grund blieb mir wohl vorerst nichts anderes übrig, als auf Sabins Gegenfrage entschlossen mit dem Kopf zu schütteln. Ich drehte mich auf die Seite, winkelte meinen Arm an und stützte meinen Kopf darauf, als ich die Geste noch mit einem wörtlichen "Im Moment noch nicht, nein." unterstrich. Das hieß allerdings nicht, dass sich das in der Zukunft nicht ändern würde. Momentan blieb mir nämlich leider nicht viel übrig, als offen für Neues zu sein und wie gesagt: Rein körperlich packte ich das vermutlich schon, mich mit dem ein oder anderen Junkie auseinander zu setzen, aber aktuell würde es mich wohl noch immer in den Fingern kribbeln, die Waffe aus dem Holster ziehen und sie zeitgleich mit meiner Dienstmarke in die Höhe halten zu wollen. "Keine Ahnung. In mir steckt wohl einfach noch ein bisschen zu viel Bulle. Deshalb werde ich vermutlich erst mal mit irgendwas kleinerem anfangen - also sollte ich mich für den illegalen Weg entscheiden, versteht sich -, bis ich nicht mehr das Bedürfnis habe, einen nach dem anderen einknasten zu wollen.", sprach ich meinen Gedanken laut aus und konnte ein ehrliches, dennoch ziemlich leises Lachen dabei nicht zurück halten. Mir lag das vorangegangene Thema zwar noch quer im Magen, aber wir befanden uns mit dem Gespräch hier gerade ja bereits auf dem besten Wege, die Zukunft neu zu schreiben - grinsen und ein kurzes, ungezwungenes Lachen waren also drin. Auf Sabins Erklärung hinsichtlich seiner Berufspläne nickte ich als Zeichen des Verständnis, so gut es aus meiner Position heraus eben ging, ehe ich mich auch diesbezüglich zu Wort meldete. Dabei lag mein Blick fortlaufend auf seinem Gesicht, musterten die markanten Züge seiner Wangenpartie unter den Bartstoppeln und kamen nicht zuletzt auf den kleinen Tattoos unterhalb seiner Augen zum Erliegen. Mir war bis dato gar nicht so bewusst aufgefallen, was für ein hübsches Gesicht Sabin eigentlich hatte. Wir sahen uns zwar tagtäglich, aber starrten uns jetzt nicht unbedingt die ganze Zeit über an, so wie es jetzt eben der Fall war. "Ist irgendwie schon schwierig, zu planen, wenn man noch überhaupt nicht weiß, wo es hingeht.", stellte ich murmelnd fest und fuhr mir mit der freien Hand durch die braune Mähne. Sowohl für Sabin, als auch für mich wäre es von Vorteil gewesen, schon einmal vorab darüber informiert zu werden, wohin es denn jetzt eigentlich gehen sollte. Mit einer solchen Information hätte ich mich beispielsweise schon einmal nach freien Stellen im legalen Gewerbe erkundigen und Sabin die Marktlage abchecken können. "Weißt du schon, wann Hunter darüber sprechen wollte? Können wir uns überhaupt ein Land aussuchen oder spielen wir russisch Roulette?" Gut, vielleicht nicht die klassische Variante, aber vom Prinzip her eigentlich gleich. "Also ich meine, denkst du, Vahagn setzt uns einfach in einen Flieger und der nächste Flughafen mit freier Landbahn, der wird es dann?", hängte ich deshalb noch einmal eine flüchtige Erklärung hinten dran. Ich ging zwar davon aus, dass Sabin verstanden hatte, dass ich hier nicht von Roulette mit einem Revolver redete, aber sicher war sicher.
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Sydney ließ mich unweigerlich gleich wieder ein bisschen lachen. Wenn man sich nicht sicher war, ob man wirklich an irgendwelchen kriminellen Geschäften beteiligt sein wollte, dann sollte man am besten einfach erstmal noch sehr gründlich darüber nachdenken. Bevor man etwas darüber sagte, meine ich. Geriet man damit an die falschen Leute konnte aus einem Vielleicht ganz schnell eine Pflicht werden, wenn dem Gegenüber der Sinn danach stand. Man kam sehr schnell gar nicht mehr aus der Sache raus, von der man sich noch nicht einmal sicher gewesen war, ob man denn überhaupt beteiligt sein wollte. "Keine Sorge, Syd. Ich bin mir sicher, dass wir den Cop noch aus dir rauskriegen.", erwiderte ich erst einmal nur recht amüsiert, fand die Situation einfach wizig. Eine Marke hatte sie ja schon mal nicht mehr und ohne würde man sie auf der Straße noch viel weniger ernst nehmen, als mit. Nichts für ungut, aber weibliche Polizisten versprühten eben einfach wegen in der Regel kleinerer und schmalerer Statur von vornherein weniger Respekt. Sollte wiederum aber nicht heißen, dass die Brünette Respekt nicht verdient hatte - ich wusste ja, dass sie durchaus auch recht herrisch sein konnte, wenn sie ihren Willen durchkriegen musste. "Ich meine, hey... du pennst schon die ganze Zeit mit mir in einem Bett und hast weder versucht mich umzubringen, noch umgekehrt. Eingebuchtet bin ich auch nicht, also...", grinste ich ein bisschen provokant weiter vor mich hin und zu der Brünetten hoch, war tatsächlich ganz guter Laune. Wobei ich ja eigentlich schon recht entspannt zurück ins Haus gekommen war, da war nur eben die kurzzeitige Einbuße wegen der Kindersache gewesen. Wenn ich daran zurückdachte, wie die ehemalige Agentin sich früher am liebsten nicht mal den selben Raum mit mir hatte teilen wollen, war die ganze Geschichte schon sehr ironisch. Aber manchmal spielte das Leben einem eben anders in die Karten, als man das ursprünglich geplant hatte. Vielleicht könnte sie Richard erst einmal im Labor selbst unter die Arme greifen, da hatte sie keinen Kontakt zur kriminellen Außenwelt, sondern eben nur zu ihr bekannten Leuten. Wenn man erstmal Crystal kochte, dann war auch das Ticken gar nicht mehr so weit, aber da würde ich wohl erst mit meinem Kumpanen Rücksprache halten müssen. Mit ihren noch folgenden Worten hatte die junge Frau ebenfalls Recht. War ein bisschen ungünstig, dass wir bisher nicht wussten wohin und wann überhaupt. "Falls sich nichts mehr dran ändert morgen Abend... hier bei Ashton, weil Hunter vorher wohl sowieso unterwegs ist und dann hierher kommt.", ließ ich Sydney wissen, für wann eine Aussprache dahingehend geplant war. "Soweit ich weiß hat er dafür gesorgt, dass er den Zielort bestimmen kann, wie es ihm passt. Gegen Geld sollte das kein Problem sein, Vahagn hat ja auch was davon.", fügte ich dann noch ein paar weitere Worte hinten an, um auch ihre zweite Frage noch zu beantworten. Ein bisschen komisch war es zugegeben schon, dass wir beide uns jetzt seit einer ganzen Weile ziemlich direkt ansahen, ohne den Blickkontakt mal wirklich zu unterbrechen. Kam so sonst nicht vor, aber unangenehm war das nicht. Blicken zu weichen hatte ich mir im Mafia-Business schnell abgewöhnt und Sydney hatte schon länger nicht mehr diese abfällige Art von Blick auf mich gerichtet, weshalb mir das im Moment so ganz recht war. War eine willkommene Abwechslung.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Der Ansicht war ich auch. Wenn man erst einmal lange genug einem gewissen Umfeld beigewohnt hatte, dann adaptierte man schneller Verhaltensweisen, als einem das manchmal lieb war. Bei mir würde das eventuell aufgrund der vorherigen Berufswahl etwas länger dauern, aber wenn sich die Wege des Suicide Squads in Wo-auch-immer-City nicht trennten, war ich dahingehend guter Dinge. Und wie Sabin schon richtig erkannt hatte, machte ich bereits einige Fortschritte. Es hatten sich mir bis dato schon etliche Möglichkeiten ergeben, ihm den Garaus zu machen, aber ich hatte ganz bewusst darauf verzichtet. Vermutlich, weil er in dem ganzen Chaos momentan so etwas wie mein Fels in der Brandung war. Eben der Einzige, zu dem ich mehr oder weniger Vertrauen gefasst hatte, seitdem wir aus unserem ehemaligen Häuschen geflohen waren. Außerdem war er, wie bereits des Öfteren erwähnt, einfach ein angenehmer Zeitgenosse. Das Äquivalent zu Hunter, wenn man so wollte. Letzteren hatte ich zwar ganz anders kennen gelernt, aber von meinem ehemaligen Schulfreund war nicht mehr wirklich etwas übrig geblieben, also ja... "Ich wäre ja schön blöd, meinen persönlichen Therapeuten abzumurksen. Vor ein paar Wochen hätte ich mich dazu durchaus überreden lassen, aber seitdem ich hier irgendwie tiefer in der Scheiße mit drin stecke, als mir eigentlich lieb war, bin ich ganz dankbar dafür, noch jemanden zu haben, der nicht ganz so hitzköpfig und allgemein recht anstrengend im Umgang ist.", gestand ich ehrlich die Beweggründe dafür, warum Sabin sich bis jetzt noch an bester Gesundheit erfreute. Auch wenn man es mir nicht zutrauen mochte, aber ich hatte in meinem Leben schon einigen Menschen das Leben aus dem Körper gepustet. Dabei hatte es zwar überwiegend die bösen Buben erwischt, aber das tat ja nichts zur Sache. Fakt war einfach, dass ich mit einer Waffe durchaus umzugehen wusste und mir grundlegende Techniken für einen möglichen Nahkampf ebenfalls bekannt waren. Hätte ich es also darauf angelegt, dann würde Sabin hier jetzt nicht so entspannt herum liegen und Witze reißen. Na ja. Was dann die Sache mit der Ausreise anging, rollte ich mich erst einmal wieder auf den Rücken, sodass ich erneut die Decke anstarrte. Dann stieß ich ein hörbar unzufriedenes Seufzen aus, wobei ich nicht mal genau wusste, was mich daran jetzt so genau störte. War immerhin gar nicht so schlecht, wenn wir gemeinsam entscheiden konnten, wo es hingehen sollte. Allerdings barg eine demokratische Abstimmung eben immer das Risiko, dass sich gegen den eigenen Vorschlag entschieden wurde und dann musste man sich eben mit der getroffenen Wahl arrangieren. Im Prinzip war es also egal, ob wir darüber redeten oder nicht. Bis zu einer finalen Entscheidung basierte das Ziel unserer Reise weiterhin auf dem Konzept von russisch Roulette. "Okay. Auf der einen Seite finde ich das echt gut, auf der anderen Seite warne ich dich jetzt schon mal vor: Solltest du ein Land wie Norwegen vorschlagen, wo es über das gesamte Jahr hinweg einfach arschkalt ist, kette ich dich eigenhändig ans Bett und lass' dich hier verrotten.", drohte ich dem Italiener wenig ernst gemeint, wobei das anhand meiner Stimmlage schon mehr als offensichtlich war. Sabin kam aus Italien und ich erinnerte mich noch gut an unsere ersten Tage hier oben, wie er geschimpft und sich echauffiert hatte über diese Kälte. Er war sicher nicht dumm genug, ein Land wie Sibirien oder Kanada vorzuschlagen, wobei letzteres alleine schon wegen seiner Nähe zu den Staaten wegfallen würden. Immerhin war das FBI weder auf Hunter, noch auf mich gut zu sprechen. Sich ihnen also mehr oder weniger auf einem Silbertablett zu präsentieren war sicher weniger in unserem Interesse.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das beruhte wohl mehr oder weniger auf Gegenseitigkeit. Eine Therapeutin in dem Sinne brauchte ich zwar nicht, aber eben hin und wieder mal Jemanden, mit dem man sich normal unterhalten konnte. Wo man nicht bei jedem Wort zweimal nachdenken musste, ob man es so in jener Reihenfolge auch wirklich verwenden konnte, damit einem im Nachhinein nichts angekreidet oder ein Strick daraus gedreht wurde. Natürlich konnte auch Sydney mal was in den falschen Hals kriegen, aber dann korrigierte ich eben meine vorherigen Worte und die Sache war erledigt. Bei fast allen anderen folgte dann erstmal ein tosender, gefühlt niemals endender Sturm, bevor man dann wieder aufs Wesentliche zurückkommen konnte. "Ich war früher schon auch ein bisschen anders... nicht so abgeklärt, wie ich's jetzt bin. Aber so leicht reizbar wie der Rest unseres Vereins war ich nie... vielleicht werd' ich auch langsam einfach alt.", erwiderte ich im Abgang ein paar recht sarkastische Worte auf ihre Aussage. Eigentlich waren die anderen überwiegend gar nicht so maßgeblich viel jünger als ich. Hier und da mal zwei oder drei Jahre, aber das war kein immenser Unterschied. Es war wohl viel eher so, dass ich einfach grundlegend von ruhigerer Natur war als die meisten Anderen in diesem Metier. Vielleicht lag das auch mitunter an der Vaterschaft damals, hatte mich jene doch recht schnell sehr erwachsen werden lassen. 28 war jetzt trotzdem noch nicht unbedingt ein hohes Alter, wobei die 29 doch langsam verdächtig näher rückte und dann war die 30 auch nicht mehr weit. Was die Wahl unseres zukünftigen Heimatlandes anging konnte ich die Brünette aber sehr sicher beruhigen. Ich war nach wie vor Italiener und mir fror hier oben der Arsch gefühlt sekündlich weiter weg, sobald ich an der frischen Luft angekommen war. Man erreichte hier oben ja selbst im Sommer keine 30 Grad, was wirklich erbärmlich war. Es würde mir wohl weiterhin ein Rätsel bleiben, wie man sich freiwillig in einem Land wie diesem parken konnte. Dennoch trieben mir ihre Worte wieder die Mundwinkel in die Höhe, weil der Gedanke an ihren Versuch mich zu fesseln wirklich amüsant war. "Ich sag's dir ja ungern, aber ich glaube nicht, dass du das hinkriegst. Zumindest nicht, wenn wir von Chancengleichheit ausgehen.", musste ich die junge Frau neben mir dahingehend wohl leider enttäuschen. Natürlich wäre sie im Vorteil, falls sie eine Waffe zur Hand hätte und ich selbst nicht, aber wenn man von absolut gleichen Mitteln ausging... nein, keine Chance. Meine Reflexe waren ausgezeichnet und ich war schlichtweg stärker, da müsste sie schon sehr früh aufstehen. "Außerdem ist mir das andersrum eigentlich lieber, ich bin nicht so der Typ Masochist.", hängte ich grinsend ein paar weitere, vor Ironie nur so triefende Worte hinten dran, kurz bevor ein bisschen Bewegung in mich kam. Irgendwie nervte es mich einfach ein bisschen, dass meine Beine noch so permanent über der Bettkante hingen und ich dadurch gezwungen war auf dem Rücken zu liegen. Deshalb schob ich mich kurzerhand ein Stück weiter nach hinten auf dem Bett, um eine seitliche Liegeposition einnehmen zu können. So musste ich den Kopf auch nicht mehr in Sydneys Richtung drehen, um sie ansehen zu können, sondern musste ihr lediglich mit den Augen folgen. "Du müsstest eigentlich auch wissen, dass mir der Sinn eher nach sommerlichen Temperaturen steht. Der Teint kommt nicht von ungefähr.", konnte ich der Brünetten versichern, dass sie von mir keinen Vorschlag mit kalten Ländereien kommen würde. Ich hatte es früher wirklich geliebt mich aus dem Bett zu rollen, nur noch kurz in der Küche einen Kaffee mitnehmen zu müssen und mich dann einfach mit nicht mehr als Boxershorts bekleidet auf die Veranda im Garten stellen zu können, ohne dabei zu frieren.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ja, das Älterwerden veränderte einen wohl stetig. Trotzdem konnte ich mir selbst vor diesem Hintergrund nicht vorstellen, dass Sabin einmal weitaus weniger umgänglich gewesen sein sollte, als er es jetzt eben war. Natürlich konnte ich mir gut vorstellen, dass ihm sein Rang damals in der Mafia nicht geschenkt worden war und man sich entsprechend ein paar – unter anderem extrem negative – Gewohnheiten aneignete, die einfach von Nöten waren, um sich in diesem Metier durchzusetzen, aber ob sich dieser Aufwand für ihn wirklich gelohnt hatte? In Anbetracht dessen, dass er alles verloren hatte, was ihm lieb und teuer war, ging ich jetzt einfach mal nicht davon aus. Das war aber auch nur meine Meinung, vielleicht bereute Sabin hingegen ja absolut gar nichts. Vorstellen konnte ich mir das zwar nicht, denn sonst hätte er sich wohl kaum Hilfe suchend an das FBI gewendet, aber man konnte den Leuten ja bekanntlich nur vor den Kopf gucken. Ich wollte mir jedoch nicht anmaßen, mir darüber ein Urteil zu bilden, denn dazu fehlten mir trotz umfangreicher Einsicht seiner Strafakten noch viel zu viele – persönlichere – Informationen. Stattdessen war ich einfach froh, dass der junge Mann sich entsprechend zum Guten gewandelt hatte, welche Beweggründe das letzten Endes hatte, brauchte mich auch eigentlich nicht zu interessieren. Und so beließ ich es einfach dabei, ihm zuzustimmen, dass es wohl an seinem Alter liegen musste. „Du bist ja auch schon steinalt. Wundert mich, dass du überhaupt noch eigenständig laufen und atmen kannst.“, antwortete ich gen Decke grinsend und drehte den Kopf erst wieder in seine Richtung, als Sabin anfing, sich neben mir wieder zu bewegen. Die Aussage war zwar nicht ganz richtig und im Grunde genommen titulierte ich mich selbst damit ebenfalls als Scheintot – maßgeblich jünger war ich immerhin nicht – aber es war ja auch absolut offensichtlich, dass ich das nicht ernst gemeint hatte. Hinsichtlich meiner kleinen Androhung schien Sabin nicht allzu besorgt zu sein, wobei er mit seiner Aussage bezüglich der Chancengleichheit wohl Recht behalten würde. Ich mochte zwar den ein oder anderen Griff beherrschen, mit der man auch als Frau einen Nahkampf für sich entscheiden konnte, aber meine Hand dafür ins Feuer legen, dass das alles immer so gut klappte, wie man sich das vorstellte oder wünschte, würde ich dann allerdings auch nicht. Deswegen konnte ich in der Hinsicht nichts weiter tun, als gespielt geknickt wirkend mit dem Kopf zu nicken und ihn in seiner Aussage zu bestätigen. Dann wollte ich eigentlich zum Reden ansetzen, um auch noch wörtlich zu unterstreichen, dass ich gegen ihn vermutlich wirklich alt aussehen würde, da hing Sabin noch ein mehr als nur doppeldeutigen Kommentar hinten dran. Ich brauchte einen Moment, um jenen sacken zu lassen, weil ich damit überhaupt nicht gerechnet hatte, brach im Anschluss dann in schallendes Gelächter aus. So unbeschwert und beherzt, dass man meinen konnte, ein Gespräch über Noah hätte niemals stattgefunden. Und erst, als auch das letzte Bisschen Luft meinen Lungen entwichen war und ich japsend nach Sauerstoff schnappte, wurde es wieder ruhiger. Zudem rollte ich mich erneut auf die Seite, zog meine von der Bettkante weg und winkelte sie an meinem Oberkörper an, einen Arm schob ich als Stütze unter meinen Kopf, als ich Sabin schließlich wieder direkt ansah. „Gut, dass ich das jetzt weiß. Sollte ich mich in Acht nehmen?“, stellte ich dann eine ziemlich ironische Frage, wobei mir die Antwort darauf eigentlich schon fast klar war. Prinzipiell hielt sich meine Angst vor dem jungen Mann in Grenzen, außerdem wirkte er jetzt nicht so, als würde er mich bei der nächsten Gelegenheit irgendwo anketten wollen. Nicht zuletzt bezog sich seine Aussage auf etwas ganz Anderes und dahingehend … war ich auch nicht unbedingt beunruhigt. Ich war experimentierfreudig was das anging. Nicht, dass ich mir da groß Gedanken drüber machte, aber sollte es jemals so weit kommen, dass … Moment mal – Stopp! Nein, hier würde nichts weiter in diese Richtung passieren, so wahr mir Gott helfe. Die Beziehung zwischen uns war zwar gut, aber eben nur auf freundschaftlicher Basis - nichts weiter. Also verwarf ich das Gedachte recht schnell mit einem entschlossenen Kopfschütteln, was wohl irgendwie deplatziert wirkte, weil Sabin zum Nachvollziehen einfach der Kontext fehlte. Jedoch hatte ich nicht vor, ihn jetzt über meine abschweifenden Gedanken in Kenntnis zu setzen, weil es schlicht und ergreifend einfach nicht angebracht war. Nichtsdestotrotz musste ich doch noch einmal kurz auflachen, weil es absurder nicht sein konnte. Sabin und ich. Ja, aber klar doch. Gemeinsam am Strand einer uns noch unbekannten neuen Welt. Ganz bestimmt … nicht.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #