Das konnte man sicher so sagen. Langweilig wurde es tatsächlich nur selten mal - wie eben zum Beispiel dann, wenn man viel vor ein und dergleichen Bar herumstehen musste, obwohl da rein gar nichts passierte. Dass Vahagn davon wusste ließ mir die rechte Augenbraue nach oben wandern und ich sah sie für ein paar Sekunden ein bisschen verwirrt an. So lange, bis mir wieder einfiel, dass sie Hunter und seine Tätigkeiten ja eine kleine Weile lang beobachtet hatte, bevor sie wirklich mit ihm gemeinsame Sache gemacht hatte. Würde der Amerikaner nicht anders machen in so einer Situation, erst einmal grob das ganze Drumherum abchecken. Ich wusste aber auch nur davon, weil er mit Ashton darüber gesprochen hatte und letzterer mich in letzter Zeit ja wirklich viel um sich herum gehabt hatte. "Und da beschattet ihr ausgerechnet mich? Kann nicht wirklich spannend gewesen sein.", stellte ich sarkastisch fest, als meine Augenbraue wieder ihre gewöhnliche Position eingenommen hatte und schüttelte ein kleines bisschen den Kopf. "Ist normalerweise nicht so. Ich... hab es mir schon ein oder zwei Mal ein bisschen mit Hunter verscherzt, aber nach der Foltergeschichte geht's jetzt wieder aufwärts.", fügte ich mit einem schwachen Schulterzucken noch ein paar Worte mehr an, um ein winziges bisschen mehr Licht und gleichzeitig wohl unzählige weitere Frage hinsichtlich der elend langen Nächte vor Cosmas Bar in die Sache einzubringen. Die Russin hatte dann eine wunderbare Überleitung parat, mit der sie kaum richtiger liegen konnte. Es war mehr als ein bisschen untypisch für den Amerikaner sich mal länger als nur eine Nacht mit irgendeiner Frau zu vergnügen. Ich kannte ihn jetzt noch nicht endlos viele Jahre, aber Hunter schien mir noch nie der Typ Mensch dafür gewesen zu sein, sich Irgendwem anzuvertrauen oder gar eine Beziehung einzugehen. Er tat sich ja schon mit simpler Freundschaft schwer. Zwar stand er da sicher ohne Punkt und Komma hinter einem, wenn es brenzlig wurde, aber ansonsten... ein Wolf mit Rudel, der mir dennoch irgendwie schon immer recht einsam gewesen zu sein schien. "Ich glaube du kennst keinen von beiden gut genug, um das wirklich beurteilen zu können. Cosma ist eigentlich ganz in Ordnung. Sie hat wohl nur leider genauso viel Temperament wie du oder Hunter und ist dementsprechend genauso leicht zum Explodieren zu kriegen wie ihr. Wie genau es jetzt dazu gekommen ist, dass ausgerechnet die beiden sich gesucht und gefunden haben, weiß glaub ich Niemand so wirklich. Genauso wenig, ob das ewig gut geht... aber es stimmt schon, dass das eigentlich nicht sein Ding ist. Hab ihn vorher noch nie mit was Anderem als einer Nutte oder einer flüchtigen Barbekanntschaft gesehen, also muss da wohl schon irgendwie... mehr sein.", versank ich ein klein wenig in die Gedanken um die ganze mysteriöse Beziehungsgeschichte der beiden, die keiner so recht zu ergründen wusste. "Ich glaube trotzdem, dass das eine relativ ausgewogene Beziehung ist und da Keiner dem Anderen in irgendwas nachsteht... sie sind nämlich beide chronisch zu stur zum Nachgeben.", fügte ich noch ein paar mehr Worte an und wurde dabei doch hörbar sarkastisch, weil die ganze Sache einfach reichlich ironisch war. "Und vermutlich kann sie dich einfach nur nicht leiden, weil du gut aussiehst und Zeit mit Hunter verbracht hast... und du ihr irgendwie ein bisschen ähnlich bist in mancher Hinsicht.", stellte ich abschließend fest und musste doch wieder ein kleines bisschen grinsen, weil ich mir das unterschwellige Kompliment schlicht nicht hatte verkneifen können. Vermutlich hörte die Brünette es zwar weniger gern, dass sie durchaus hier und da charakterlich kleinere Ähnlichkeiten mit der jungen Frau hatte, aber das entsprach wohl dennoch der Wahrheit. Vorerst blieb das Grinsen aber mal ein ganz Unschuldiges.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Spannend waren Beobachtungen in den seltensten Fällen. Ich persönlich trat die Aufgabe ja nur zu gerne an meine Männer ab, weil mir dafür schlicht die Geduld fehlte. Mehrere Stunden ein und derselben Person nachzustellen, wurde auf Dauer nämlich ziemlich langweilig. Da bevorzugte ich doch lieber Action oder eben das komplette Gegenteil in Form von vollkommener Ruhe in meinem Büro. Mit der Nase in irgendwelchen Akten steckend und einem Kaffee in der Hand... oder so. "Du warst nicht unser primäres Ziel, keine Sorge.", antwortete ich mit einer hochgezogenen Augenbraue, weiterhin relativ ernst. "Wir hatten die Bar kurzzeitig im Visier gehabt, weil es Grund zur Annahme gab, dass die Italiener sich dort aufhalten würden. Ließ sich also nicht vermeiden, dass du auf den ein oder anderem Foto zu sehen bist.", beendete ich meine Erklärung schließlich mit einem Schulterzucken. Das Ganze war ja mittlerweile - Gott sei Dank - Geschichte und bedurfte von meiner Seite aus daher keine ausführliche Analyse mehr. Die Bilder - unter anderem auch die von Tauren - lagen mittlerweile sicher verwahrt in Akten, die ich bereits bei meiner Rückreise aus Norwegen nach Italien mitgenommen hatte. Für mich war das Thema damit beendet und ich hoffte in meinem Heimatland künftig wieder auf ein bisschen mehr Ruhe und weniger geschäftsschädigenden Aktionen durch die Pastafresser. Taurens Erklärung bezüglich der Beziehung zu Hunter ließ mich um ein schwaches Grinsen dann doch nicht mehr drum herum kommen. Schlicht und ergreifend, weil mich das überhaupt nicht wunderte. Der Norweger hatte von Anfang an den Eindruck in mir erweckt, als wäre er mit dem Amerikaner bereits das ein oder andere Mal aneinander geraten und wie so oft sollte ich mit meiner Intuition Recht behalten. Statt nachzufragen, was denn vorgefallen war - es interessierte mich wie gesagt auch überhaupt nicht -, zuckte ich nur erneut ein wenig mit den Schultern. "Dafür, dass die Beziehung zwischen euch schon so angeknackst ist, nimmst du dir offensichtlich immer noch ziemlich viele Rechte raus.", stellte ich im Bezug auf die immer wiederkehrenden, unpassenden Kommentare mir gegenüber fest, wobei ich ihm damit keinesfalls auf den Schlips treten oder ihn schlecht reden wollte. Nur machte es eben den Anschein, als sammle er dadurch nicht unbedingt Sympathiepunkte bei seinem Chef, wenn er wieder und wieder ermahnt werden musste. Aber was wusste ich schon. Konnte ja sein, dass er durch die Foltergeschichte tatsächlich ausreichend Prestige gesammelt hatte, sodass ihm das negative Auftreten ausnahmsweise keinen Abbruch tat. War einfach schwer einzuschätzen, im Prinzip aber auch vollkommen egal. Viel interessanter war wohl die Erklärung zu dem rothaarigen Teufel, die mir Tauren nur wenig später lieferte und mich damit gen Ende recht unbeschwert zum Lachen brachte. Dass der junge Mann hier Vergleiche zwischen dem rothaarigen Teufel und mir zog, war erst einmal ganz schön mutig von ihm. Da konnte er von Glück reden, seinen Kopf mit dem indirekten Kompliment mein Aussehen betreffend noch einmal aus der Schlinge gezogen bekommen zu haben. "Also erstens mal... sehe ich sehr viel besser aus, als Cosma.", stellte ich deshalb mit ausreichend Nachdruck direkt zu Anfang meiner Antwort fest. Mein Ego war über die Jahre wohl über ein gesundes Maß hinaus gewachsen, aber bis jetzt war mir die Überheblichkeit noch nicht negativ vor die Füße gefallen. Ganz im Gegenteil. "Und zweitens, bin ich nicht dumm genug, mich auf eine Beziehung mit überhaupt irgendwem einzulassen. Weder verstehe ich in diesem Punkt Hunter, noch Cosma selbst. Und ihre Launen erst... der Auftritt bei meinem letzten Besuch hat mir definitiv gezeigt, dass mein Interesse, sie näher kennen zu lernen, gegen Null geht. Ich hatte mir einfach nur die Frage gestellt ... keine Ahnung, wie er sich das vorstellt. Ich versuche Dinge gerne nachzuvollziehen, aber das will mir einfach nicht einleuchten. Beziehungen bringen nichts, als Ärger.", redete ich mit dem Kopf schüttelnd und ein wenig in Gedanken abdriftend weiter. Von Hunter hatte ich irgendwie das erwartet, was Tauren mir eingangs über ihn erzählt hatte. Nutten, irgendwelche Bekanntschaften, ja... aber eine feste Beziehung? So richtig ernst gemeint, mit Zärtlichkeiten und dem ganzen Mist? Nie. Im. Leben. Hätte ich ihm das zugetraut. Aber gut, jeder war sich seines Glückes Schmied und nur weil Hunter der festen Überzeugung zu sein schien, dass sein Leben nur mit einer Frau an seiner Seite vollkommen war, gab mir das noch lange nicht das Recht, darüber zu urteilen. Tat ich allerdings trotzdem, weil mich Meinungen anderer in der Regel ja bekanntlich nicht interessierte.
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Davon war ich auch nicht ausgegangen. Hätte mich schon stark gewundert, wenn sie irgendwie der Ansicht gewesen wäre, dass ich irgendeine wichtige Rolle in dem ganzen Dilemma spielte. "Sah ich wenigstens gut darauf aus, wenn du die Bilder schon behalten musst?", stellte ich eine mehr als ironische Gegenfrage, die im Grunde rein rhetorisch war. Auf die ich gar keine Antwort brauchte, weil mir das im Grunde relativ egal war. Ich wagte nämlich stark zu bezweifeln, dass auch nur Irgendjemand sich diese Bilder je wieder ansehen würde. War demnach nicht von Bedeutung, zumal sie viel mehr als eine Unterhaltung mit Cosma oder irgendeinem Bargast, oder nur mich mit einer Kippe oder einem Bier in der Hand nicht gesehen haben dürften. Wobei es auch Sinn machen würde, das sie mich mit Richard gesehen hatten, als er einmal da war - das würde zumindest eindeutig untermauern, warum sie mich mit den Italienern in Verbindung gebracht hatten. Leider hatte sie auch mit ihren folgenden Worten Recht. "Ja, vermutlich sollte ich mich langsam am Riemen reißen... es gibt nur einfach nichts Langweiligeres als den ganzen Tag nur auf dem Sofa rumzusitzen, wenn man's gewohnt ist mindestens acht bis zwölf Stunden am Tag unterwegs zu sein. Aber keine Sorge - er hat mir schon versichert, mich eigenhändig durch die Tür nach hinten zu treten, falls ich mir hier zu viel erlaube. Du bist also auf der sicheren Seite.", seufzte ich leise und setzte mich dann ein klein wenig aufrechter hin, weil die ausgestreckten Beine so wie fast immer zur Folge hatten, dass ich tiefer in den Sitz gerutscht war. Danach galt mein Blick aber wieder ganz der Brünetten, die mir mit dem folgenden Satz absolut unmissverständlich ihr überdimensional großes Ego präsentierte. Ich senkte den Blick noch einmal ein klein wenig, als ich leise in mich hinein lachte. Es wäre eine Lüge ihr dabei nicht zuzustimmen, aber eigentlich wollte ich nicht unbedingt dazu beitragen, dass Vahagn sich selbst noch höher in den Himmel... oder eher noch tiefer in die Hölle lobte. "Ja, genau das ist mein... das Problem.", grinste ich vor mich hin und hob erst nach diesen Worten wieder den Blick zu der schlanken Brünetten an, schloss dabei sowohl Cosmas Eifersucht als auch meine eigene Redseligkeit ihr gegenüber ein. Hatte sie letztendlich doch in ihren Worten bestätigt, weil ich nun mal ein recht ehrlicher Mensch war. Wäre sie nicht schön anzusehen, dann dürfte weder die Rothaarige ein Problem mit ihr haben, noch würde ich so oft mit ihr reden wollen. Mir war klar, dass das ziemlich oberflächlich war, aber wer schaute denn nicht lieber einem Menschen ins Gesicht, den er schön fand, statt sich mit einer missratenen Visage zu unterhalten? Was die Dummheit anging wusste ich nicht recht, ob ich da zustimmen oder verneinen sollte. Es gab schlicht unfassbar viele Dinge die für oder eben auch gegen eine Beziehung bei diesen Umständen sprachen. "Ja und Nein.", erwiderte ich letztendlich ein wenig nachdenklich. Wusste nicht recht, was ich nun dazu sagen sollte oder auch nicht. "Hat aber sicher mindestens genauso viele Nachteile, wie Vorteile... ob sich das lohnt oder eher nur prädestiniert dazu ist den Bach runter zu gehen, weil früher oder später einer oder gleich beide den Löffel abgeben, ist wohl ziemlich fragwürdig. Irgendwie gut zu tun scheint's ihm trotzdem... ist vermutlich schwer zu glauben, aber er ist tatsächlich schon merklich ruhiger als vor der Beziehung. Zumindest immer dann, wenn Cosma anwesend ist. Vermutlich wäre ich schon mindestens drei Tode gestorben mit den ganzen Kommentaren aus den letzten Tage, wenn sie nicht zusammen wären.", philosophierte ich vor mich hin und kam dabei auch auf einen guten Mitgrund dafür, warum ich unterbewusst zu glauben schien mir momentan mehr Freiheiten herausnehmen zu können, als das sonst der Fall war. Natürlich war der Amerikaner nach wie vor hochgradig reizbar und der Bogen wurde leicht überspannt, aber er war dennoch ein klein wenig dehnbarer als sonst. Wenn er sein Machtwort sprach spurte ich weiter, aber vorher? War, nüchtern betrachtet, momentan Alles verhältnismäßig ungefährlich. "Rückblickend betrachtet ist das vermutlich auch einer der Gründe dafür, warum ich mich momentan ein bisschen schlechter im Griff habe als sonst... aber du machst's mir auch nicht leicht.", schloss ich die Sache noch mit ein paar letzten, nichts als ehrlichen Worten ab. Es wäre nun mal leichter, wenn Vahagn nicht so gut aussehen oder sich nicht so herrlich leicht provozieren lassen würde. Dabei schien die junge Frau offensichtlich auch anders zu können, wenn sie wollte - schließlich war nicht nur ich gerade verhältnismäßig zahm unterwegs.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ah ja, aber sicher doch. Mir hätte gleich von Anfang an klar sein müssen, dass es irgendwann - zumindest im Ansatz - wieder mit den dummen Sprüchen losgehen würde. Zwar war es noch lange nicht so schlimm, wie die Male zuvor, aber es ließ mich kurzzeitig etwas genervt mit den Augen rollen. Vermutlich war ich momentan auch einfach viel zu sensibel, hätte statt einem Gespräch doch eher etwas Ruhe gebraucht, aber gut. Ich versuchte weiterhin, mich am Riemen zu reißen, um ihm eben nicht gleich an die Kehle zu springen, weil das schlicht eine viel zu überzogene Reaktion gewesen wäre. Bezüglich der Aufnahmen ließ ich nur ein hörbar ironisches "Ja, klar doch.", verlauten, was mal mindestens genau so ernst gemeint war, wie die damit beantwortete Frage - nämlich gar nicht. Zwar war ein Großteil der Bilder mit einer vernünftigen Kamera gemacht worden, aber eben auch nicht alle. Manche Ergebnisse hatten uns umliegende Überwachungskameras geliefert, die bekanntermaßen nur wenig präzise Bilder schossen. Mich würde es ehrlich gesagt wundern, wenn man auf diesen Aufnahmen überhaupt die Umrisse eines Menschen erkennen konnte. Dass er ferner noch einmal dazu ausholte, mich hier nicht nerven zu wollen und Hunter ihm gegenüber bereits ein Machtwort gesprochen hatte, ließ mich wieder nur leise auflachen. "Und wenn Hunter sich nicht dazu erbarmt, dann übernehme ich das freiwillig. Mich muss hier an Bord ja Gott sei Dank niemand dazu legitimieren, dir in den Arsch treten zu dürfen.", untermauerte ich meine über den Wolken herrschende Autorität mit ein paar amüsierten Worten, wobei mir momentan noch lange nicht der Sinn danach stand, ihn jetzt in der nächsten Zeit ein Abteil nach hinten zu bugsieren. Ich war mir nämlich ziemlich sicher, dass er verstanden hatte, wie Ernst ich das meinte, als ich sagte, dass ich heute kurzen Prozess machen würde. Er mochte vielleicht vorlaut sein, aber für so dumm schätzte ich ihn dann ja doch wieder nicht ein. Was die Sache mit den Beziehungen anging, konnte ich über seine Meinung diesbezüglich jedoch nur mit dem Kopf schütteln und meine vorangegangene Aussage beinahe revidieren. Wie naiv von ihm, zu denken, dass Beziehungen auch nur im Ansatz irgendwelche Vorteile mit sich brachten. Gut, meine Erfahrungen bis dahin waren sowieso eher spezieller Natur und vermutlich hatte ich nie so etwas wie wahre Liebe kennen gelernt, aber das wollte ich auch überhaupt nicht. Mir reichte bereits der Punkt, dass sich das ganze Hin und Her in der Theorie schon so verdammt kompliziert und anstrengend anhörte. "Mit der Meinung bist du bei mir an der völlig falschen Adresse. Ich sehe absolut keine Vorteile, mir von einem Partner ins Leben pfuschen zu lassen.", antwortete ich deshalb ziemlich verständnislos und unterstrich das Ganze gleich noch mit einem schwachen Schulterzucken, was mir postwendend wieder einen einschneidenden, schmerzverzerrten Laut entlockte. Dass auch Hunters mittlerweile etwas stimulierter Charakter von dem Umgang mit Cosma herrühren sollte, konnte ich mir daher auch nicht wirklich vorstellen. Zwar fiel mir auf die Schnelle jetzt auch keine alternative Option dafür ein, warum der Amerikaner scheinbar ganz plötzlich ein klein wenig umgänglicher geworden war, aber was interessierte mich das auch? Immerhin trennten sich unsere Wege schon sehr bald wieder und sobald ich meine Kohle hatte, sahen wir uns vermutlich nie wieder. Da hatte ich weder die Lust, noch den Kopf dafür, mich mit so einem Mist auseinanderzusetzen, der mir am Ende überhaupt nichts brachte - ja, mir sogar noch meine kostbare Zeit unwiederbringlich raubte. "Ich finde deine Verschwörungstheorien bezüglich Hunter wirklich sehr interessant, aber es braucht schon ein bisschen mehr, mich davon zu überzeugen, dass das nur von dem Umgang mit der rothaarigen Hexe herrühren soll. Vielleicht hast du dir das aber auch einfach nur eingebildet - also, dass er ruhiger geworden ist, meine ich. Dein Hirn scheint momentan durch Medikamente und Testosteron ziemlich beeinflussbar zu sein. Schon mal darüber nachgedacht, dass Hunter sich vielleicht gar nicht verändert hat, sondern du dir einfach nur wünscht, dass es so ist?", fragte ich belustigt und drehte mich in dem Sitz noch ein Stück weiter in seine Richtung, sodass meine linke Wade ihren Platz unter dem rechten Oberschenkel fand. Gott sei Dank waren beide Beine noch intakt. Lange Zeit nur gerade zu sitzen, würde mich auf Dauer nämlich echt verrückt werden lassen. Den letzten Kommentar des jungen, mittlerweile ziemlich gut aussehenden Mannes - so ohne geschwollenes Auge und mit zum Großteil verheilten Wunden, sah er dann doch gar nicht so schlecht aus - quittierte ich erneut mit einem Augenrollen und so langsam stellte ich mir die Frage, was er damit eigentlich bezwecken wollte. "Was erhoffst du dir von den Flirts eigentlich, Tauren? Wir werden uns, nachdem ich euch in Kuba abgesetzt habe, vermutlich nie wieder sehen.", formulierte ich daher kurzerhand die Frage konkret an ihn gerichtet, weil das wiederum eine Sache war, die mich durchaus interessierte. Klar, sah ich gut aus und hatte hier und da gewisse Vorzüge, aber ich achtete ganz bewusst darauf, auf andere Leute dennoch abschreckend zu wirken. Nur scheinbar wollte das bei dem Norweger partout nicht funktionieren. Egal, wie oft ich ihm sagte, dass er aussieht wie ein Kind. Egal, ob meine Beleidigungen anderweitig gemein und verletzend waren... er wollte einfach nicht aufgeben. Und ich fragte mich wirklich, also so wirklich, wirklich, was an meiner Gunst so erstrebenswert war. Selbst das ich mich negativ über Beziehungen äußerte, schien ihn nicht zu stören und das war so ziemlich das Einzige, was mir in dem Kontext noch in den Sinn kommen wollte. Aber dann hätte er doch spätestens nach den ziemlich deutlichen Worten meinerseits den Rückzug angetreten, oder etwa nicht?
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Ach, war das so? Sie wusste aber schon, dass Hunter das nicht ungesühnt lassen würde, wenn sie mich hier abknallte oder anderweitig umlegte? Ihre Worte ließen mich lediglich leise auflachen und den Kopf schütteln, aber ich sagte nichts mehr dazu. Sie war sicher auch so schon wieder angepisst genug von meiner Reaktion auf ihre offensichtliche Drohung, die ich schlicht nicht ernst nehmen konnte, weil das nicht passieren würde. Vahagn schien doch ziemlich viel an sich selbst zu liegen und da wäre es außerordentlich dumm, mich nur wegen ein paar Worten dem Erdboden gleich zu machen und dafür dann mitsamt der ganzen Mannschaft hier unterzugehen. Ich meine, klar, wenn sie gerne einen Tod durch Flugzeugabsturz erleiden wollte, dann konnte sie das schon so machen... aber es blieb dabei, dass das mehr als leichtsinnig und in jedem Fall absolut tödlich wäre. Also ließ ich das einfach mal so stehen. Die noch folgenden Worte der Russin waren in meinen Augen ziemlich vielsagend. Ich selbst hatte zwar noch keine wirklich lange Beziehung geführt, die mehr als nur ein paar Monate gehalten hatte und auch das war schon lange her, aber verliebt gewesen war ich schon. Mir war es daher kein Geheimnis, dass man sich in der Gegenwart eines Menschen, für den man viel empfand - ob das bei Cosma und Hunter schon richtige Liebe war sei mal dahingestellt, das konnte ich schlicht nicht wissen -, durchaus ein Stück weit änderte. Sich ihm anpasste und in vielen Fällen dann zuerst an den Anderen, statt an sich selbst dachte. Ganz automatisch, ohne viel darüber nachzudenken. Natürlich radierte einem das die eigenen Charakterzüge nicht aus, aber man wurde kompromissbereiter und ein bisschen weniger egoistisch. Man wollte sich lieber gemeinsam eine schöne Zeit machen, anstatt nur an sich selbst zu denken. Natürlich war das gerade bei den beiden jungen Menschen auf den Sitzen weiter vorne durch Hunters Stellung auch eine gefährliche Sache, aber wenn man sich dadurch erfüllter und weniger einsam fühlte... dann konnte es das wert sein, fand ich. Wobei das viel mehr in Cosmas Ermessen lag - schließlich war der Amerikaner im Gegensatz zu ihr schon lange im Fadenkreuz und die Rothaarige musste sich eben darüber bewusst sein, was sie mit der Beziehung zu ihm riskierte. Vahagn hingegen schien nicht einmal zu wissen, was das für ein Gefühl war. Was es einem geben konnte, wenn man Jemanden fand, mit dem absolut Alles teilen konnte. "Nein, braucht es nicht... was du wüsstest, wenn du schon mal wirklich verliebt gewesen wärst. Hunter hat nämlich genau das gleiche gepredigt, bevor... es ihm passiert ist. Die Parallelen sind da sehr eindeutig.", stellte ich daher mit einem recht neutralen Gesichtsausdruck eine in meinen Augen sehr simple Tatsache fest und sah die Brünette inzwischen wieder an, wo ich den Blick für das kurze Lachen eingangs doch nach unten abgewandt hatte. Drehte mich der jungen Frau mit dem gesamten Oberkörper ein wenig mehr zu und musterte ihre Gesichtszüge interessiert, wo ich ihre Reaktion darauf doch ganz gerne perfekt sehen können wollte. Das wäre in meinen Augen zumindest nur ein weiterer Grund dafür, warum die Russin gefühlt gar kein Herz besaß. Warum sie so kalt und abweisend war, partout Niemanden an sich heranlassen wollte. Da war sie Hunter für meine Begriffe sehr ähnlich, jetzt wo ich darüber nachdachte. Ihre letzte Frage hingegen war ein wenig schwieriger zu beantworten und ich dachte erst kurz darüber nach, wobei ich die Hände ineinanderlegte und sie weiterhin in aller Seelenruhe anblickte. "Wie sagt man so schön - man sieht sich immer zwei Mal im Leben. Vielleicht merkst du bis wir uns das nächste Mal sehen ja, dass ich im Vergleich zu wahrscheinlich jeder anderen Person in deinem ziemlich sicher sehr toxischen Umfeld eine richtige Goldgrube bin. Charakterlich, wie... optisch. Und wenn nicht, dann halt nicht. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.", gab ich ihr letztlich auch darauf eine Antwort. Behielt den ruhigen, fast schon sachlichen Tonfall währenddessen bei. War, wenn man mich fragte, einfach nur eine weitere glasklare Tatsache - sie war nicht weniger von kriminellen Menschen umgeben als ich, zumindest hielt ich das für sehr unwahrscheinlich. Ich unterschied mich allein schon dadurch vom gewöhnlichen Verbrecher, dass ich nicht damit aufhörte Alles, was ich tat, in Frage zu stellen. Die Stimme meines Gewissens war über die letzten beiden Jahre bei Hunter zwar wirklich viel leiser geworden, funktionierte ich was den Job anging doch überwiegend nur noch wie eine Maschine, aber wenn ich alleine war kamen all die Gewissensbisse früher oder später zurück. Ließen mich zwei oder gleich drei Zigaretten, manchmal auch eine halbe Schachtel auf einmal rauchen, nur um mich irgendwie abzulenken. Ich hatte ein gutes Herz, wodurch ich mich von so ziemlich Jedem in diesem Flugzeug abkapselte. Von meinem guten Aussehen musste ich gar nicht erst anfangen - aber das war leichter zu zeigen, als zu beschreiben.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Man wollte eigentlich meinen, dass Tauren aus meiner Reaktion bezüglich des ersten Vergleichs zwischen Cosma und mir gelernt hätte, dass er sich mit dem Ziehen von Parallelen doch besser zurück hielt. Mochte sein, dass ich ihm nicht direkt an die Kehle gesprungen war, weil mir dafür schlicht und ergreifend die Kraft und auch die Lust fehlte, aber man hatte meinen Gesichtszügen doch eindeutig entnehmen können, wie wenig Begeisterung ich für diesen Mist aufbringen konnte. Prinzipiell war es ja nichts Schlechtes, in mancherlei Hinsicht durch einen Vergleich von guten Charaktereigenschaften indirekt gelobt zu werden, aber faktisch gesehen wollte ich nicht mit Jedermann in eine Schublade gesteckt werden. Ja, Hunter und ich mochten uns hier und da gewisse Ansichten teilen, aber bei Gott nicht so viele, wie der Norweger mir hier gerade weiß machen wollte. An dem Punkt stellte ich wieder einmal fest, dass selbst ein anfangs recht entspanntes Gespräch mit Tauren einen irgendwann vor die Frage stellte, ob es nicht sinnvoller wäre, einfach in eine Tischkante zu beißen. Man ärgerte sich auf kurz oder lang ja doch nur über ihn und seine Aussagen, weil er in mancherlei Hinsicht natürlich irgendwo auch Recht hatte. Nur schmeckte mir genau das einfach überhaupt nicht, so wie auch jetzt. Vor dem Hintergrund seines dämlichen Gelächters im Bezug auf meine Androhung, war seine darauffolgende Anmaßung, über mein Leben Bescheid zu wissen gleich ein Stück frecher und in meinen Augen einfach nur respektlos. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich bis hierhin alles erlebt hatte. Was ich je gefühlt hatte und was nicht. Entsprechend verfinsterte sich mein Gesichtsausdruck ziemlich rasant und auch meine Stimme war nicht mehr ganz so ruhig, wie zuvor. "Weißt du, welche Art von Mensch ich überhaupt nicht leiden kann?", stellte ich eine rhetorische Frage. "Menschen, die der Meinung sind, sie wüssten bestens über mein Leben bescheid und könnten sich deshalb ein Urteil darüber bilden, warum ich heute bin, wer ich bin. Warum ich so denke und mich so verhalte, wie es jetzt der Fall ist. Du hast absolut keine Ahnung, was ich in der Vergangenheit jemals gefühlt habe oder was ich aktuell fühle. Also wag es ja nicht, dich mir derart anzumaßen.", beantwortete ich die vorangegangene Frage einfach selber, weil ein Ratespiel gerade ganz bestimmt nicht das war, wonach mir der Sinn stand. Eigentlich stand mir der Sinn jetzt ohnehin nach nicht viel mehr, als meiner Ruhe, aber ich hatte es ja für eine gute Idee gehalten, ihm noch eine Frage zu stellen, die er mir selbstverständlich auch prompt beantwortete und tja, was sollte ich sagen. Dass meine Laune mittlerweile wieder an ihrem Tiefpunkt angekommen zu sein schien, machte es mir unfassbar schwer, sachlich zu bleiben. Man sah sich also immer zwei Mal im Leben? Ja, ne, der Auffassung war ich jetzt nicht unbedingt. Schlicht weil ein Teil der mir begegneten Personen manchmal schon nach dem ersten Treffen unter der Erde lagen und na ja, der andere Teil ... dem ging ich meistens aus dem Weg, soweit das eben möglich war. Ich bevorzugte das Leben als Einzelgänger, knüpfte Kontakte nur, wenn ich mich geschäftlich daran bereichern konnte, aber ansonsten? War ich lieber mein eigener Herr und ließ mir deshalb auch ungerne von irgendwelchen dahergelaufenen Norwegern sagen, wie toxisch mein Umfeld doch war und was ich alles wüsste, wenn ich mit dies und jenem Erfahrung gesammelt hätte. Bullshit. "Ich glaube nicht, dass dein Aussehen jemals kompensieren könnte, was für einen verweichlichten Charakter du hast. Alleine deshalb wärst du niemals eine Option für mich, also schlag dir das Ganze besser gleich aus dem Kopf.", war dann also alles, was ich dazu noch zu sagen hatte, ehe ich mich wieder nach vorne drehte und mich meinen Akten widmete. Für mich war das Gespräch an dieser Stelle beendet, weil ich der festen Überzeugung war, dass Tauren mich nicht von seiner Meinung überzeugen können würde, es aber andersrum auch relativ aussichtslos aussah. Also versuchte ich stattdessen lieber, mich wieder meiner Arbeit zu widmen, wobei der junge Mann mit der ein oder anderen Aussage einen wirklich empfindlichen Nerv getroffen hatte. Dadurch blätterte ich nur ziemlich geistesabwesend durch die Papiere, konzentrieren konnte ich mich ja aber doch nicht richtig.
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Autsch, hatte ich da einen empfindlichen Nerv getroffen? Viel anders konnte ich für meinen Teil es mir irgendwie nicht erklären, warum Vahagn gleich wieder so ausschweifen musste. Ich sagte doch nicht mal, dass ich mich irgendwie darüber lustig machen wollte. Schließlich hatte auch schlicht nicht jeder das Glück früh im Leben auf den oder die eine zu treffen oder tat sich - wie unsere Spezialistin hier offensichtlich auch - schlichtweg schwer damit, Jemandem zu vertrauen. Dann brauchte das Ganze eben Zeit und bis dahin wusste man nicht, was Liebe eigentlich war und welche Auswirkungen sie haben konnte. Die Brünette schien das Ganze nur gleich wieder vollkommen zu Unrecht als einen Angriff an ihre Person aufzufassen, obwohl das gar nicht meine Intention gewesen war. Meine Worte waren vielleicht so ehrlich direkt wie sonst auch, aber einfach nicht böse gemeint. Vielleicht war ihre augenscheinlich chronische Gereiztheit - vermutlich auch einfach nur ausgelöst durch zu viel Stress, Druck oder etwaige traumatische Ereignisse - ein wesentlicher Mitgrund dafür, dass sie so schnell in die Luft ging, aber ich verstand schlichtweg nicht, warum sie immer Alles so tiefschwarz ankreiden musste. Als hätte sie gar keine andere Wahl, als ständig mit Worten und Drohungen um sich zu schießen. Ich konnte auf ihre Unterstellung demnach nur mit einem leisen Seufzen den Kopf schütteln, den Blick wieder nach unten abwendend. Dann schwieg ich noch einige Sekunden, bis ich mich aber doch entschied noch etwas dazu zu sagen, weil ich es schlicht nicht einsah mir Dinge unterstellen zu lassen, die nicht der Wahrheit entsprachen. "Hab ich an irgendeinem Punkt behauptet, dass ich wüsste wer du bist? Oder dass ich dir deinen Lebenslauf auslegen kann? Ich sitze einfach nur hier, weil ich eben gern wissen würde, wer du eigentlich bist. Hinter diesem ganzen Gefluche und deiner großkotzigen Art.", redete ich nach wie vor relativ ruhig, aber doch mit gereiztem Unterton weiter. Ich war schlicht nicht Hunter, der sich bei Vahagns Ankunft in Oslo ganz sicher eine riesige Menge an Infos über sie zusammen gekratzt hatte. Würde ich gewaltsam wissen wollen, wer sich hinter der Maske der Russin eigentlich verbarg, dann hätte den Amerikaner längst gefragt, aber das war weder meine Art, noch befand ich sowas für gut. Ich schien irgendwie einer der wenigen Menschen zu sein, die es tatsächlich noch bevorzugten, sich von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen - wobei ich die Vorsichtsmaßnahmen hinter Hunters Informationssuche natürlich verstand, aber das tat hier und jetzt nichts zur Sache. Vahagn war scheinbar auch noch gar nicht fertig. Schien der Meinung zu sein, mir auch noch eine weitere Sache reindrücken zu müssen, die mich hörbar schnauben ließ. Bitte? Auf dieses Niveau wollte sie sich hier also runterlassen? Mich wieder beleidigen, obwohl ich ihr in keinster Weise Unrecht getan hatte? Sie konnte mich echt mal. Hätte sie sich das gespart, dann hätte ich mich womöglich sogar noch dafür entschuldigt, dass ich ihr zu nahe getreten war, aber so? "Ah, charmant...", setzte ich erst einmal nur an, wobei mein Gesichtsausdruck dann doch ziemlich angepisst wurde, als ich noch ein letztes Mal zu der Brünetten rüber sah. "Weißt du was? Lieber lass' ich noch sowas wie Gefühle zu, als so vermeintlich stark wie du zu sein und nicht mal dem kleinsten sarkastischen Konter oder die harmloseste Frage hinnehmen zu können, ohne Alles komplett in den falschen Hals zu kriegen und grundlos auszurasten. Du wirst damit noch irgendwann ganz böse auf die Schnauze fliegen, das kann ich dir versprechen.", schloss ich die Geschichte hier für mich persönlich ab, weil selbst mir - zumindest hier und jetzt - redlich die Lust an einer Unterhaltung mit dem Biest vergangen war. Da bezeichnete Cosma noch als solches und war selbst noch wesentlich schlimmer. Ich wartete also keine Sekunde länger mehr damit aufzustehen und mich nach wie vor leicht humpelnd zurück zu meinem eigentlichen Sitzplatz zu begeben. Ich vertrug ja wirklich viel, nahm Beleidigungen selten mal ernst und dachte mir für gewöhnlich nichts dabei... aber irgendwann reichte es einfach. Es gab viele Leute, die mich für meine Art zu schätzen wussten und das würde ich mir von Vahagn ganz sicher nicht kaputt reden lassen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Nein, nein, okay, danke, alles klar, du tust es schon wieder, in Ordnung, tschüss - das war wohl zusammengefasst alles, was mir bezüglich Taurens Worten jetzt gerade noch einfallen wollte. Mein Kopf war nämlich plötzlich wie leer gefegt und ich fragte mich kurzzeitig, wie das mit den einsetzenden Kopfschmerzen und dem Gefühl von flüssigen Beton in meinem Schädel überhaupt zusammen passen konnte. Faktisch gesehen fühlte es sich an, wie der Schlag ins Gesicht von vor einigen Tagen im Hotel, als wir den Italienern Feuer unter ihren südländischen Hintern gemacht hatten. Alles drehte sich, nichts wollte mehr so richtig zueinander passen und eine leichte Übelkeit machte sich bemerkbar. Dass der Geschmack von Blut in meinem Mund fehlte, rief mir nach einer langen Zeit der Überlegung schließlich wieder ins Gedächtnis, dass die Sache schon längst Geschichte war und ich mich aus anderen Gründen gerade so benommen fühlte. Vermutlich, weil Taurens Worte schon eine Art geballte Faust darstellten, die mich eben an Stellen trafen, die durch Haut und Muskeln eben nicht geschützt werden konnte. Es vergingen sicherlich an die fünfzehn Minuten, in denen ich das, was er mir an den Kopf geworfen hatte, bevor er aufgestanden und an seinen ursprünglichen Platz zurück gekehrt war, sacken ließ. Dabei hatte ich wortlos auf irgendwelche Zahlen gestarrt, die sich auf einem Papier stehend vor meiner Nase befunden hatten und für mich momentan absolut keinen näheren Sinn ergeben wollten. Mir war von vornherein klar gewesen, dass das Gespräch auf kurz oder lang in eine vollkommen falsche Richtung abgedriftet wäre, aber meine Vermutung war gewesen, dass wir einander nur wieder dumme Kommentare an Kopf des jeweils anderen werfen würden und nicht... na ja, das hier. Eigentlich hatte ich wirklich kein Interesse daran, das Ganze jetzt noch einmal Revue passieren zu lassen und mich näher damit zu beschäftigen, aber das war angesichts des ziemlich prekären Themas leichter gesagt, als getan und so endete ich doch in einer endlos langen Spirale voller Gedankengängen und Überlegungen. Ja, ich wusste, dass ich mich dem Norweger gegenüber falsch verhalten hatte und meine Reaktionen einfach vollkommen überzogen gewesen waren, nichtsdestotrotz würde ich mich dafür nicht entschuldigen. Selbst wenn er nicht wissen konnte, dass das Thema Gefühle und Beziehungen im Allgemeinen einfach nichts war, worüber ich gerne sprach, hätte er sich mit seinen Anmaßungen einfach zurückhalten sollen. Er mochte vielleicht nicht direkt erwähnt haben, dass er wusste, wer ich war und wie mein Lebenslauf aussah, aber Aussagen á la '[...] was du wüsstest, wenn du schon mal wirklich verliebt gewesen wärst' oder '[...] im Vergleich zu wahrscheinlich jeder anderen Person in deinem ziemlich sicher sehr toxischen Umfeld', kamen dem schon sehr nahe. Den Schuh, dass ich ihn in der Hinsicht also zu Unrecht angefahren hatte, würde ich mir demnach nicht anziehen, denn ganz offensichtlich bildete er sich ja bereits ein Urteil, mutmaßte, ohne die Fakten dahinter wirklich zu kennen. Zum Einen war ich bereits verliebt gewesen und wusste daher, wie wenig einem dieser ganze Scheiß rund ums Thema Liebe gab und zum Anderen waren nicht alle Leute in meinem Umfeld zwangsweise... ein schlechter Einfluss. Aber gut, darüber konnte ich vielleicht noch hinweg sehen, wenn ich mir eingestand, dass ich gerade aufgrund von Stress und der Schmerzen sehr viel sensibler war als sonst, aber was danach folgte, ließ mich bittere Magensäure aufstoßen. Seinen Wunsch, mich näher kennen lernen zu wollen, löste auch jetzt beim wiederholten darüber nachdenken nur ein leichtes Kopfschütteln aus, schlicht weil es da nichts Erstrebenswertes zu erkunden gab. Mein Inneres war mindestens genau so kalt, wie das äußerliche Auftreten erahnen ließ und die Gründe dafür waren jetzt nicht unbedingt das, was man Kindern gerne zum Einschlafen vorlesen wollte. Kurz gesagt war es für alle Beteiligten besser, wenn ich meine dunklen Geheimnisse dahingehend für mich behalten würde, denn ich war der festen Überzeugung, dass selbst der renommierteste Therapeut bei der Instandsetzung meiner Psyche zugrunde gegangen wäre. Es gab einfach viel zu viele Baustellen, die ineinander übergingen oder miteinander verzweigt waren. Da erst mal durchzusteigen würde schon Ewigkeiten dauern, die wohl niemand mal so eben für mich übrig hatte. Aber gut, dann würde ich damit irgendwann eben auf die Schnauze fallen, was in Anbetracht der Tatsache, dass unter meinen Launen schon viele Menschen hatten leiden müssen, sicher nur fair war, aber auch das sollte er mal ganz alleine meine Sorge sein lassen. Musste ihn doch nicht interessieren, wenn das Karma mich irgendwann einholte, warum echauffierte er sich also so darüber? Sollte er halt abwarten und sich mit einer Tasse Kaffee darüber lustig machen, wenn es dann mal so weit war. Damit war das Thema für mich dann auch geklärt, aber selbst nachdem ich das Ganze jetzt noch einmal ausführlich und step by step durchgekaut hatte, wollte ich mich partout nicht besser fühlen, weshalb ich leise und hörbar resigniert seufzte. Ich hasste es, wenn mir klar wurde, dass ich eine Sache nicht einfach so im Raum stehen lassen konnte, weil ich Menschen - Menschen, die es von Anfang an nicht böse gemeint hatten - vollkommen zu Unrecht angefahren hatte, weil daraus resultierend eine Entschuldigung nur angebracht gewesen wäre. Nur tat ich mir damit immer unglaublich schwer, weil ich selbst ja bis zu einem gewissen Punkt meistens überhaupt nicht reflektierte, was ich falsch gemacht hatte. Für gewöhnlich war ich im Nachhinein dann immer auf Achse und lange genug abgelenkt, um die Sache gedanklich unter den Teppich kehren zu können, aber das war in einem Flugzeug, mehrere Kilometer über dem Festland, auf dem ich normalerweise vor meinen moralischen Verpflichtungen davon lief, irgendwie nicht realisierbar. Auch das der Norweger noch immer so verhältnismäßig nah bei mir saß, machte es irgendwie nicht gerade leicht, diese Diskussion hier wie die vielen anderen davor einfach aus meinem Oberstübchen zu verbannen. Also überlegte ich die darauffolgenden Minuten fieberhaft, wie ich das drückende Gefühl in meinem Inneren loswerden konnte und kam letzten Endes zu der Einsicht, dass das ohne ein paar klärende Worte wohl kaum machbar war. Ich drehte mich also circa zwanzig Minuten, nachdem Tauren und ich uns derart angegangen waren, in seine Richtung. Weit weg saß er ja jetzt nicht, was mir bei meinem Vorhaben dann doch noch in die Karten spielen sollte. So musste ich immerhin nicht sehr viel lauter reden, als ich es normalerweise tat und damit blieb die Sache auch weitestgehend unter uns. "Ich kann dir aus erster Hand sagen, dass es an mir nichts gibt, was man unbedingt kennen lernen muss oder möchte.", war schließlich das erste, womit ich bezüglich meines Fehlverhaltens von gerade eben einlenken wollte. Dann folgte eine kurze Stille, weil ich mir nicht sicher war, ob der junge Mann mir jetzt überhaupt noch zuhören wollte, aber nun hatte ich angefangen, jetzt würde ich das Ganze auch zu Ende bringen. Was er letzen Endes damit anfing, oblag dann ganz seinem persönlichen Ermessen. "Alles, was essentiell ist, weißt du bereits über mich und was soll ich sagen... Ich scheine damit, bis aufs Optische vielleicht, nicht der Typ Frau zu sein, mit der man sich länger unterhalten möchte. Und daran wird sich bis zu dem vermeintlichen nächsten Treffen, das du erwähnt hattest, auch nichts ändern.", redete ich also etwas nachdenklich weiter, wobei ich wieder etwas entspannter auf meinem Sitz in die Ecke gerutscht war, um zumindest das rechte Bein an meinen Oberkörper zu ziehen. Mit dem linken sah es da eher schlecht aus, war doch der in einer Schlinge gehüllte Arm nach wie vor im Weg.
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Und jetzt? Irgendwie hatte ich nicht wirklich was zu tun. Womöglich hätte ich mir ein paar Folgen einer Serie im Voraus herunterladen sollen, um mir die etlichen Stunden im Flugzeug ansatzweise unterhaltsam zu gestalten. Zeit dazu gehabt hätte ich schließlich genug und Ashtons Internetverbindung war nicht gerade schlecht gewesen. Die ersten zwei oder drei Minuten, nachdem ich mich wieder zurück auf meinen eigentlichen Platz gesetzt hatte, sah ich wohl noch reichlich genervt am Gesicht von Hunters rechter Hand vorbei aus dem Fenster, wobei es da auch nichts sonderlich Interessantes zu sehen gab. Wolken und mehr Wolken, die mich bei Weitem nicht genug von dem Gespräch gerade eben ablenken konnten, um es damit gut sein zu lassen. Ich hatte gesagt, was ich hatte sagen wollen und eigentlich müsste ich damit jetzt zufrieden sein, hatte die Russin doch nicht einmal mehr noch etwas dazu gesagt. Für ein einziges Mal schien ich das letzte Wort gehabt zu haben und war aber trotzdem nicht zufrieden mit dem Ausgang der Geschichte. Ich ließ mich mit gemischten Gefühlen etwas tiefer ins Sitzpolster sinken, um schließlich ziemlich ziellos an meinem Handy herumzuspielen. Sämtliche Apps durchsuchte in dem Glauben, dass ich vielleicht einfach mal wieder aufräumen konnte. Tat ich dann auch, bis ich zum Schluss dann an einer App für digitale Bücher hängen blieb. Ich hatte früher viel gelesen, als ich Zuhause noch tagein, tagaus die Streits meiner Eltern mit hatte anhören müssen. Die Bücher hatte ich mir damals in den meisten Fällen einfach irgendwo geklaut, ebenso wie die eine oder andere Süßigkeit. Ziemlich witzig, jetzt wo ich darüber nachdachte - zwar war mein Leben damals schon nur krumm gelaufen, aber die dämlichen Schokoriegel waren trotzdem irgendwie mit am wichtigsten gewesen. Rückblickend betrachtet hatte ich sicher auch nicht alle Bücher, die ich gelesen hatte, bis ins Detail verstanden, war das doch von irgendwelchen Sachbüchern bis zu Krimis fast Alles gewesen. Mit 13 oder 14 stieg man noch nicht unbedingt überall durch, aber gut, ungefähr in dem Alter war es mit der Leserei dann auch vorbei gewesen. Die Straße hatte mir mit meinen Freunden mehr gegeben und mich nicht wie die geschriebenen Wörter nur in eine Parallelwelt versetzt, sondern wirklich aus dem Streitradius herausgeholt. Jedenfalls hatte ich vor geschätzt einem halben Jahr wieder mit dem Lesen anfangen wollen und deshalb schlummerte die App auf meinem Handy vor sich hin, weil ich natürlich nie wirklich dazu gekommen war. So widmete ich mich gerade erst gut fünf Minuten dem einen, futuristischen Roman, den ich zum damaligen Zeitpunkt heruntergeladen hatte, als Vahagns Stimme plötzlich wieder die eingekehrte Stille durchbrach. Wollte ich ihr überhaupt zuhören? Wirklich eine Wahl hatte ich wohl auf diese Distanz nicht und mir kindisch stattdessen meine Kopfhörer auf die Ohren zu setzen hielt ich auch nicht für sinnvoll, also lauschte ich stillschweigend den wenigen Sätzen, die sie mir doch noch zu sagen hatte. Ich wusste nicht, ob die junge Frau es nur nicht leiden konnte, dass sie nicht das letzte Wort gehabt hatte, oder ob ernsthaft noch Klärungsbedarf von ihrer Seite bestand, aber ich ließ den Blick stur auf das Display in meiner Hand gerichtet, obwohl ich mich natürlich nicht mehr wirklich aufs Lesen konzentrieren konnte. Ein wenig tiefer durchatmend schloss ich letztlich für ein paarSekunden die Augen, bevor ich den Kopf in Richtung der Brünetten drehte und ihren Blick mit meinem eigenen suchte. "Ja, das mag deine Meinung zu dir sein... aber denkst du nicht, dass ich in der Lage dazu bin das auch selbst zu beurteilen, wenn du mich lässt? Ich bevorzuge es ganz einfach mir mein Urteil selbst zu bilden und mich nicht von irgendwelchen... Vorurteilen beeinflussen zu lassen. Ich glaube jeder in diesem Flugzeug ist eben auf seine eigene Art und Weise kaputt, das ist für mich also nichts Neues und auch kein Problem.", äußerte ich mich doch nach einigen schweigsamen Sekunden noch einmal zu der ganzen Sache und zuckte gegen Ende hin kaum sichtbar mit den Schultern, weil das nun mal einfach meine Ansicht der Dinge war. Ich wollte schließlich auch nicht, dass man mir mit Vorurteilen oder einem aus Gerüchten zusammen gesponnenen Bild entgegen trat. Würde ich jedem, den ich zum ersten Mal sah, gleich ins Gesicht sagen, dass ich mein Geld durchweg kriminell verdiente und obendrein noch ein Mörder war, würde mich ja Niemand mehr auch nur mit dem Arsch anschauen. Stattdessen mit einem durchweg negativen Bild von mir noch zu den Bullen rennen, obwohl die das Alles natürlich schon wussten. Genauso wie ich von Anderen wollte, dass sie mir eine Chance dazu gaben meine eigentliche Persönlichkeit zu offenbaren, tat ich das auch für mein Gegenüber. Keine Vorurteile, keine vorschnelle Beurteilung. "Es ist ja okay, wenn du das so gar nicht willst... aber dann rede entweder nicht mit mir oder sag's mir wenigstens direkt ins Gesicht. Mit Ehrlichkeit kann ich umgehen, aber nur dieses durch Gemeinheit auf Distanz halten... das schürt bei einem Teilzeit-Optimisten wie mir zu viel Hoffnung.", stellte ich abschließend fest. Konnte mir die letzten paar reichlich ironischen und mehr oder weniger zu einem Witz formulierten, aber durchaus wahrheitsgemäßen Worte dabei nicht verkneifen. Seufzte auch noch einmal recht leise und senkte den Blick erneut aufs Display ohne wirklich gezielt wieder mit dem Lesen anzufangen, wusste ich doch einfach so gar nicht mehr, was ich von Alledem noch halten sollte. Vielleicht war ich auch einfach ausgerechnet an diesem Punkt viel zu positiv eingestellt. Vielleicht spielte die Russin weit außerhalb meiner eigenen Liga und es war deshalb nur ein Wink mit dem Zaunpfahl vom Universum, dass sie so fies zu mir war. Aber ich probierte Dinge eben lieber aus und fiel dann damit auf die Schnauze, als es gar nicht zu versuchen. Womöglich in manchen Lebensbereichen keine schlaue Eigenschaft, aber was das anging würde ich mich wohl zu Lebzeiten nicht mehr ändern.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Tauren schien einer erneuten Konversation also nicht abgeneigt, das war schon mal gut zu wissen. Zwar brauchte es ein paar Sekunden, bis sich seine aufs Display gehefteten Augen in meine Richtung bewegten, aber es war ja jetzt nicht so, als hätte ich es besonders eilig - ha ha. Maximal zur Beruhigung meiner Nerven wäre eine zeitnahe Antwort wünschenswert gewesen, but whatever. Was seine ersten Worte anging, hätte ich am liebsten direkt kopfschüttelnd mit den Augen gerollt. Dafür, dass er sich laut eigener Aussage lieber ein eigenes Urteil bildete, hatte er im vorangegangenen Gespräch nämlich hier und da schon ein paar ziemlich verallgemeinerte Aussagen getroffen - sei ihm dieses eine Mal verziehen. Auch wenn mir das selten zugetraut wurde, aber besonders lange war ich normalerweise nicht nachtragend - Ausnahmen bestätigten hier natürlich die Regel - und zudem wusste ich, dass uns dieser Punkt in der aktuellen Aussprache keinen Meter weiter bringen würde. Wir würden uns einander nur wieder in den Haaren liegen, wenn ich das Thema von Neuem aufrollte und deshalb ließ ich das einfach auf sich beruhen. Ich wusste ja im Prinzip, worauf er hinaus wollte und traute ihm bei seiner Art auch zu, dass er erwachsen genug war, sich seine eigene Meinung über meine Art zu bilden. Also lenkte ich auch an dieser Stelle mit einem kurzen, aber deutlich sichtbaren Nicken ein, um ihn in seinen Worten zu bestätigen. Nur stellte sich mir an diesem Punkt eben die Frage, ob ich das denn überhaupt wollte? Wie bereits erwähnt, war ich eher der Typ Einzelgänger, der unabhängig von anderen Menschen sein eigenes Leben lebte, aber was sprach denn eigentlich dagegen, zumindest den Flug über das Kriegsbeil zwischen uns zu begraben und einfach ein Stück weit... humaner miteinander umzugehen. Aller Voraussicht nach, würde ich Tauren, nachdem ich die Gruppe auf Kuba abgesetzt hatte, ohnehin nicht wieder sehen, lief somit auch keine Gefahr, dass irgendetwas, das ich ihm hier über den Wolken anvertraute, negativ auf mich zurückfallen würde. Klar, es bestand immer noch die Möglichkeit, dass er die Inhalte unserer Gespräche an seinen Chef weiter trug, aber auch das bereitete mir verhältnismäßig wenig Sorgen. Es war schließlich nicht so, als würde ich dem Norweger jetzt meine gesamte Lebensgeschichte auftischen. Aber darum ging es im Prinzip ja auch überhaupt nicht. Nur worum ging es denn dann überhaupt? Verdammt gute Frage eigentlich, die ich mir selbst aufgrund meines präkomatösen Zustandes gerade nicht beantworten konnte. Ich brauchte ganz dringend eine Mütze voll Schlaf. "Was ich will oder was ich nicht will, spielt in dem Fall überhaupt keine Rolle. Ich weiß ja nicht mal, was ich heute Abend essen möchte...", ich hatte mich inzwischen auf dem Platz direkt rechts von mir, wo Tauren bis vor Kurzem gesessen hatte, platziert, um mich von da aus über die Lehne ein Stück weit in den Gang zu beugen, damit ich noch ein wenig leiser reden konnte. "Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass wir uns nach der Reise hier eh nicht mehr wiedersehen werden. Deswegen würde ich gerne von dir wissen, was du dir dadurch erhoffst. Ich könnte dir jetzt meine Lebensgeschichte erzählen, mich an deiner Schulter ausheulen, wie schlecht meine Vergangenheit war, aber es würde dir maximal für die Zeit des Fluges etwas bringen und in zwei Wochen bin ich längst wieder Geschichte. Also warum möchtest du dir das antun und warum sollte ich mir antun wollen?", formulierte ich eine durchaus ernst gemeinte Frage, wobei auch meine Stimme mittlerweile wieder relativ neutral klang. Ein wenig angeschlagen vielleicht, weil die frisch genähte Wunde unter dem Verband ein wenig zu zwicken anfing und mir das Nachdenken und weise Wählen meiner Worte nur noch schwerer machte und zusätzlich an den letzten Reserven meiner ohnehin schon ausgeschöpften Energie zehrten. "Ich bin ehrlich zu dir...", ja, das konnte ich im Übrigen auch, ohne jemanden dabei ein Messer an die Kehle zu halten, der nach einem Hauch von Wahrheit über mein Leben schließlich mit seinem kürzlich erlangtem Wissen ins Gras beißen würde. "Aber es gibt wenige Themen, über die ich mich unterhalten kann, ohne das ich im Verlauf des Gesprächs einen Ausraster an den Tag lege. Und das kann ich leider nicht so einfach ändern und möchte das auch gar nicht. Ich bin nämlich der Meinung, dass ich durch diese Art nicht nur mich, sondern auch andere schütze, so blöd sich das auch anhören mag.", beendete ich die relativ ausführliche Erklärung zu meiner Verhaltensweise ihm gegenüber, auch wenn das noch lange nicht entschuldigte, warum ich ihn so angegangen hatte. Aber wie ich bereits mehrfach erwähnt hatte, stand es mir auch nicht im Sinn, mich hier bei Irgendwem für irgendetwas zu entschuldigen. Entweder er nahm die Information an und wusste daraufhin irgendwas Sinnvolles damit anzustellen oder aber er ließ es bleiben und das Thema hatte sich erledigt.
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Die Russin schien mir irgendwie keine besonders entscheidungsfreudige Frau zu sein. Was irgendwie kontraproduktiv war, weil mir das schon wieder viel zu viel Spielraum zum Interpretieren ließ. Das hieß ja weder, dass sie nicht mit mir reden wollte, noch dass sie es wollte. Außerdem war es irgendwie faszinierend wie sicher sich Vahagn damit war, dass wir uns nie wieder über den Weg laufen würden. Natürlich war das prinzipiell möglich, konnte aber genauso gut anders eintreffen - die Chance stand da etwa Fünfzig zu Fünfzig, jetzt wo sie einmal mit Hunter Geschäfte gemacht hatte. Natürlich oblag es gänzlich dem Amerikaner und war von seinen Geschäften abhängig, war so gar nicht voraussehbar, aber ich hielt das nicht für vollkommen unwahrscheinlich. Ich hatte schon ganz andere Leute nochmal wiedersehen müssen, von denen ich gedacht hatte, dass sie entweder längst ins Gras gebissen hatten oder im Knast saßen. "Woher willst du das wissen? Klar ist es möglich, dass sich unsere Wege in der nächsten Zeit nicht oder auch nie wieder kreuzen... aber früher oder später werden Sabin und Hunter sicher Export-Wege brauchen. Außerdem hat er noch einen Haufen Kohle in Norwegen rumliegen, den er da sicher nicht für immer lassen will. Natürlich braucht er für beides nicht zwangsläufig ausgerechnet dich, aber... in den meisten Fällen bevorzugt er die Mittel von Leuten, mit denen er schon Geschäfte gemacht hat.", redete ich mit meiner zuvor bereits erwähnten optimistischen Ader weiter vor mich hin. Womöglich verrannte ich mich hier nur krampfhaft in eine Möglichkeit, die nicht so groß war, wie ich es gerne gehabt hätte. Zumal es vermutlich wirklich noch eine ganze Weile lang dauern würde, bis die beiden Männer mit ihren Geschäften wieder so weit Fuß gefasst hatten, dass sie über regelmäßigen Export nachdenken konnten - aber das wäre dann trotzdem nicht nie wieder. "Und selbst wenn wir uns nie wieder sehen, dann kann es auch einfach nur mal angenehm sein mit Jemandem zu reden. Vielleicht ist dir das nur noch nicht so bewusst, weil du's gar nicht oder nur selten versuchst.", hängte ich neutral noch ein paar mehr Worte an, wobei meine Augen weiterhin in ihren lagen. Blickkontakt zu scheuen hatte ich mir unter Hunters Fittichen schnell abgewöhnt, weshalb mir selbst stechende Blicke nur selten etwas ausmachten. Die noch folgenden Worte der jungen Frau ließen mich unweigerlich ein klein wenig lächeln. Nicht, weil ich mich über das Ausgesprochene lustig machen wollte, sondern weil sie einfach eine ganz offensichtliche Sache zu übersehen schien. "Ja, ist mir schon aufgefallen... immerhin hast du mich jetzt schon X mal angefaucht. Wie du siehst hält mich das aber trotzdem nicht davon ab dir weiter zuzuhören, also...", legte ich der Brünette indirekt die Tatsache aus, dass ich es im Grunde schon ganz gut abkonnte, dass sie immer so launisch war und leicht austickte. Unterstrich das Ganze noch mit einem leichten hin und her wiegen meines Kopfes, sowie mit einer unterstreichenden Geste des Arms mit dem Handy in der Hand, das sich inzwischen von selbst gesperrt hatte. Natürlich war das nicht immer angenehm, aber mein Fell war über die letzten beiden Jahre einfach wahnsinnig dick geworden. Vieles ging zum einen Ohr rein und zum anderen gleich wieder raus, während mein Kopf nur die wichtigen Informationen zwischen fluchenden Ausdrücken und Co. herausfilterte. Im Grunde wusste ich ganz gut mit leicht reizbaren Leuten umzugehen, schließlich waren der Amerikaner und auch einige seiner Unterstellten sehr gute Lehrmeister darin gewesen. "An sich kann das schon Sinn machen... ist sicher nicht jeder dazu in der Lage zusätzlich zu seinen eigenen Päckchen auch noch fremde zu tragen. Ich kenne meine eigene Grenze da aber ziemlich gut und wenn's mir zu viel wird kann ich dir ja immer noch sagen, dass ich ein paar Minuten zum Verarbeiten brauche... und dann kann's wieder weitergehen.", gab ich auch zu Vahagns letzten Worten noch meine persönliche Einschätzung ab. Es brauchte vermutlich schon sehr viel und sehr harten Tobak, damit mir da Irgendwas zu viel werden würde. Ich war ein guter und ausdauernder Zuhörer, wenn von Nöten auch Tröster. Da machte mir von den hier im Flugzeug anwesenden Leuten vermutlich so schnell Niemand was vor. "Und sollten wir uns wirklich nicht wieder sehen, gibt's ungefähr noch hundert andere Möglichkeiten, sich zu verständigen... für Gespräche braucht man nicht zwangsweise den Anderen vor sich auf 'nem Stuhl sitzend. Noch weniger sowas wie Liebe, irgendeine Art von fester Beziehung oder Sex. Ein Handy oder Laptop, sowie Augen und Ohren reichen da normalerweise.", fügte ich schulterzuckend noch ein paar letzte Worte an, die ich mir vermutlich auch hätte sparen können, weil die Brünette mir wahrscheinlich weder ihre Nummer, noch ihre Mail-Adresse oder sonst irgendwas Brauchbares in dieser Richtung geben würde. Womöglich setzte ich da mit meinem Optimismus nur wieder an der falschen Stelle an und sollte ihn lieber für andere, wichtigere Lebensbereiche opfern, aber es war einfach merkwürdig - unabhängig von ihrem hübschen Aussehen hatte Vahagn noch irgendwas Anderes an sich, das mein Interesse weckte. Um zu ergründen was das genau war müsste ich mich vermutlich erst ein paar Stunden damit auseinandersetzen, war es doch eher schwierig zwischen all ihren forschen Worten ihre guten Aspekte herauszusuchen. Mal abgesehen von ihrer Ehrlichkeit, die ich ja durchaus zu schätzen wusste.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mhm, augenscheinlich war es ihm vollkommen egal, wie lang und breit ich ihm zu erklären versuchte, dass es absolut keine positiven Aspekte barg, mich näher kennen lernen zu wollen. Tauren schien sich von seinem Vorhaben trotzdem nicht abbringen lassen zu wollen, was mich ihn zwischenzeitlich etwas verwirrt, vielleicht sogar ein kleines bisschen überfordert ansehen ließ. Ich wusste nämlich ehrlich gesagt nicht, wie ich mit dieser Art von Aufmerksamkeit umgehen sollte, hatte ich es in den letzten Jahren doch tunlichst vermieden, mich mehr als unbedingt notwendig war auf soziale Kontakte einzulassen. Aber ganz offensichtlich schien dem Norweger wirklich etwas daran zu liegen, meine Gunst für sich zu gewinnen, denn anders konnte ich mir nicht erklären, warum er so hartnäckig blieb, obwohl von meiner Seite aus schon ein paar ziemlich schroffe und beleidigende Worte in seine Richtung geflogen waren. Dies bestätigte er mir kurzerhand auch noch einmal mit ein paar relativ neutralen Worten, was mir unweigerlich ein schwaches Grinsen auf die Lippen zauberte. Ja, auch wenn ich es nicht gerade darauf anlegte, konnte ich schon ein ganz schönes Biest sein, daran bestand absolut kein Zweifel. Was die Sache eines möglichen Wiedersehens anging, mochte er mit seinen folgenden Worten dann gar nicht mal so Unrecht haben. Es war schon irgendwo wahrscheinlich, dass Hunter sich womöglich noch das ein oder andere Mal an mich wenden würde, aber das implizierte ja nicht zwingend meine Anwesenheit, wie der junge Mann schon richtig festgestellt hatte. Gerade wenn es darum ging, lediglich Sachen wie Waffen, Munition oder Fahrzeuge von A nach B zu transportieren, lag die Verantwortung meistens gänzlich in den Händen meiner Jungs. Einzig und alleine, wenn es um die Beförderung von Menschen ging, war ich ganz gerne persönlich dabei. Nicht zuletzt aus dem Grund, um mögliche Übergriffe auf meinen Piloten, meinen Kapitän oder das jeweilige Fortbewegungsmittel vorzubeugen. Nicht selten hatte ich davon Kenntnis erlangt, dass es bei der Konkurrenz Todesfälle gegeben hatte, weil deren Maschinen gekapert oder schlicht und ergreifend entführt worden waren. Dieses Risiko ging ich dann lieber nicht ein und begleitete die Kundschaft daher gerne bis zu ihrem Ziel. War jetzt auch nicht so, als sprang für mich nichts so gar nicht dabei rum. Immerhin kam ich ein bisschen raus und konnte etwas von der Welt sehen - von der Stande Geld, die man mir zahlte mal ganz abgesehen. Aber gut, das war jetzt ja überhaupt nicht das Thema. "Klar, ich meine, die Wahrscheinlichkeit ist zwar gering, aber nicht gleich null, hast schon Recht.", antwortete ich mit mittlerweile fast schon wieder guter Laune. Wobei... das war vielleicht noch zu viel des Guten, aber sie befand sich auf jeden Fall auf dem richtigen Weg dahin, wieder etwas besser zu werden. Auch was die Sache mit dem Reden anging, konnte ich ihm prinzipiell nur zustimmen, aber ich war der Meinung, dass ich sein Ego für heute genug gestreichelt hatte. Er wusste vermutlich selber ganz genau, dass er gerade derjenige war, der in Hinsicht auf die Wahrheit am längeren Hebel saß. Das musste ich ihm also nicht noch weiter unter die Nase reiben. "Okay, okay. Mag ja sein, dass ich mich ungerne mit Menschen unterhalte, aber... ich weiß auch überhaupt nicht mehr, wie sowas geht. Soziale Interaktion, verstehst du? Ich kann dir sagen wie ich heiße, wie alt ich bin und woher ich komme, aber danach wüsste ich schon nicht mehr weiter.", gestand ich ehrlich, dass ich absolut keine Ahnung davon hatte, wie so ein klassischer Smalltalk eigentlich aufgebaut war. In Russland gab es sowas schließlich nicht. Zumindest eben nicht da, von wo ich herkam und als ich nach Italien gereist war, hatte keinerlei Interesse mehr daran bestanden, soziale Kompetenzen wieder aufleben zu lassen und diese gegebenenfalls auszubauen. Zugegeben hatte mich das Leben im Osten Europas wohl fürs Leben geprägt und es war schwierig - würde wohl auch nicht leichter werden -, antrainierte Gewohnheiten abzulegen. Gerade dann, wenn man in ihnen ein Vorteil sah, der auf die meisten Umstehenden allerdings eher abschreckend wirkte. Na ja. Tauren schien ganz offensichtlich voll in seinem Element zu sein, wenn es darum ging, mich davon überzeugen zu wollen, dass Gespräche hier und da - eventuell auch über die Grenze des Geschäftlichen hinaus - durchaus einen Sinn hatten und einen gewissen Zweck erfüllte, aber so richtig bereit, mich ihm dahingehend zu öffnen war ich halt trotzdem nicht. "Hör zu, wir können uns hier gerne noch ein bisschen unterhalten, solange es nicht um das Thema Beziehungen oder Gefühle geht, davon halte ich, wie du sicher gemerkt hast, nicht sonderlich viel, okay? Ich weiß, ich hab das Thema selber angesprochen und definitiv zu spät gemerkt, dass sich das in eine vollkommen falsche Richtung entwickelt hat. Jedenfalls können wir gerne über Gott und die Welt reden, aber ich werde sowas wie meine Vergangenheit nicht mit einem mir bis dato vollkommen Fremden besprechen. Dafür vertraue ich weder dir, noch irgendwem anderes hier an Bord gut genug und das ist zum jetzigen Zeitpunkt auch definitiv besser so. Wenn es deinem Teilzeit-Optimisten damit besser geht, kannst du mir gerne deine Nummer geben und wenn ich es mir in geistiger Umnachtung anders überlegen sollte und irgendwann mal jemanden brauche, der sich meinen ganzen seelischen Schrott anhören möchte, komme ich auf dein Angebot zurück." So. Und noch sehr viel ehrlicher hätten meine Worte wohl kaum sein können. Das war es doch, was er von mir erwartet hatte, oder? Eine ehrliche Aussage, damit er wusste, woran er war und deutlicher hätte ich es ja wohl nicht formulieren können. Im war sicher klar, dass so Jemand wie ich nicht mal eben so auspackte, durch wie viel Scheiße er in seinem Leben bereits gewatet war, aber ich fand es wichtig, dass trotzdem noch einmal anzusprechen. Hinterher hieß es wieder, ich hätte ihm dahingehend Hoffnung gemacht oder so etwas...
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Na also, es ging doch. Musste man sich denn wirklich zuerst wieder in die Haare kriegen, um ein paar klärende Worte in den Raum schmeißen und sich wieder auf ein gesundes Level bewegen konnte? Wenn es nach Vahagn ging wohl schon, aber das sollte mich vermutlich nicht wundern. In jedem Fall machten wir hier ganz unerwartete, durchweg positive Fortschritte, die ich mehr als willkommen hieß. War nämlich gleich wesentlich angenehmer, wenn man zumindest mehr oder weniger mit den Gedanken in die selbe Richtung unterwegs war und nicht nur dem Anderen gekonnt die Worte im Mund herumdrehte - eine weitere Eigenschaft der Russin, an der sie sicher ein bisschen arbeiten sollte, aber das war wohl nicht Problem dieser Stufe. Wenn überhaupt, dann erst irgendwo in wahrscheinlich sehr ferner Zukunft. "Darf ich vorstellen: Mr. Davenport, Kapitän der MS Empathie & Smalltalk.", verlieh ich mir sehr ironisch und mit leicht verneigender Geste - was mich mein zerstochener, noch durchweg geschundener Oberarm gleich spüren ließ - einen Amtstitel und benannte mein imaginäres Boot noch entsprechend. "Ich bin mir sicher wir finden was, worüber wir fast ohne Zwischenfälle reden können... machst du denn außer kriminell sein noch was anderes? So freizeitmäßig, meine ich... Skifahren, Dobermänner Gassi führen, andere Leute in Bars vom Tresen wegscheuchen?", nannte ich der attraktiven jungen Frau mit einem leichten Grinsen ein paar sehr sarkastische Beispiele, um das Gespräch einfach irgendwie locker zu halten. Die meisten Leute wurden schlicht leichter mit Jemandem warm, wenn sie das Gefühl hatten nicht ganz so sehr darauf achten zu müssen, was sie sagten, weil sich das Gegenüber selbst nicht besonders ernst nahm. Falls Vahagn tatsächlich gar nicht sowas wie einen Freizeitausgleich zu ihrer Arbeit hatte, dann wurde es höchste Eisenbahn. Konnte ihr beim entspannter werden schließlich nur helfen. In keinem Fall würde ich wohl ihre Vergangenheit zeitnah noch einmal ansprechen, wo das gerade eben bei bloßer Andeutung geendet hatte war schließlich offensichtlich. Sollte Vahagn doch noch darüber reden und den Kontakt eben auch wirklich halten wollen, dann würde sie das sicher irgendwann von sich ansprechen. Vermutlich lediglich immer mal wieder unauffällig einfach so nebenbei mit kleinen Fetzen im Verlauf eines Gesprächs, aber das war ja auch vollkommen in Ordnung. Sie musste mir nicht an einem einzigen Tag sämtliche Geschehnisse ihres bisherigen Lebens auflisten, nur weil ich - leider - eine ziemlich neugierige Persönlichkeit hatte. Wenn das ihre Grenze war, dann würde ich jene wahren, bis sie mir eindeutige Zeichen für die Versetzung jener Grenze gab. Simple Geschichte. "Wenn das deine Grenze ist, dann halt' ich mich auch daran. Entweder du redest von selbst drüber, oder gar nicht - ist geistig notiert.", ließ ich die Brünette an meinen Gedanken teilhaben und verdeutlichte ihr damit unmissverständlich, dass ich kein Problem damit hatte, dass sie sich mir nicht von jetzt auf gleich vollkommen öffnen konnte. Ich selbst haderte zwar irgendwie ein bisschen weniger damit Leuten von mir zu erzählen, aber es gab auch in meiner eigenen Vergangenheit ebenfalls ein paar Dinge, die ich nicht von jetzt auf gleich auspacken wollte. Nicht, weil ich mich dafür schämte, sondern weil sie mich schlicht in jene unschöne Situationen zurückwarfen. Mich die einstigen Momente von neuem vor meinem inneren Auge erleben ließen. Deshalb konnte ich mir schon gut vorstellen, wie es der Russin mit ihrem eigenen Vergangenheits-Dilemma ging. Da ich Gedanken in diese Richtung aber gerne unterbrechen wollte, bevor ich geistig darüber zu fachsimpeln begann, was es denn womöglich alles an traumatischen Erlebnissen auf Vahagns Seite gab, lenkte ich mich gekonnt selbst davon ab indem ich mein Handy entsperrte und meine Nummer aufrief, um sie der jungen Frau kurzerhand vor die Nase zu halten. Ob sie die Zahlenreihe nur auf dem Papier auf dem Tisch oder in ihrem eigenen Telefon abspeicherte, war mir dabei prinzipiell vollkommen egal - es ging einzig um die Geste, dass sie zumindest kurzzeitig darüber nachdachte irgendwann vielleicht doch mal aus eigenen Schritten mit mir reden und sich diese Option offen halten zu wollen. Mehr wollte ich gar nicht - und wenn wir damit hier nicht gerade einen maßgeblichen Fortschritt gemacht haben, dann wusste ich auch nicht. Zwar war mir noch schleierhaft, wohin diese Bekanntschaft genau führen sollte, aber das Ganze versprach doch potenziell aufregend zu werden... und ich war vielleicht ein bisschen abenteuerlustiger, als gesund war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Säßen wir jetzt nicht in einem Flugzeug, wo sich die um uns herum befindlichen Personen unweigerlich die Frage stellen würde, was denn mit mir nicht stimmte –am Rande bemerkt wüsste ich wohl nicht mal, wo ich dahingehend mit Aufzählen anfangen sollte – dann hätte ich jetzt wohl lauthals losgelacht. Neben dem gewissen Ehrgeiz schien mir Tauren auch eine gesunde Portion Humor zu besitzen, was mich in diesem Fall mit einem doch eher verhaltenen und relativ leisen Lachen den Blick auf den Flugzeugboden senken ließ. „Alles klar, Mr. Davenport, Kapitän der MS Empathie & Smalltalk, leider habe ich keine gute Nachrichten für Sie…“, setzte ich mit einem belustigten Grinsen zu einer Antwort an und betonte dabei seinen Titel als Kapitän seines imaginären Schiffes ganz bewusst nicht weniger ironisch. „Ich bin Vollzeit-Kriminelle. So etwas wie Freizeit gibt es bei mir eigentlich nicht und wenn ich zwischen den ganzen Terminen doch mal Luft zum Atmen habe, dann tue ich ganz viel nichts. Bleib in meinem Bett und trink Tee oder so. Das, was normale Menschen für gewöhnlich eben so tun.“, beendete ich die eingangs reichlich ironische Erklärung zum Ende hin dann doch wieder etwas ernster, aber nicht weniger wahrheitsgemäß. Hunter konnte davon sicher auch ein Lied singen, wie schwierig es war, zwischen der Ablauforganisation und Koordinierung seiner Männer noch so etwas wie Zeit zum Verschwenden übrig zu haben. Ich müsste wohl lange überlegen, um den Norweger sagen zu können, wann ich mich das letzte Mal so richtig entspannt hatte. War sicher auch schon wieder etliche Jahre her, noch bevor das Unternehmen meines Vaters in Italien herangewachsen war. Damals… ja, da hatte ich viel Freizeit gehabt, die ich beinahe freiwillig ins Kochen und Putzen investiert hatte. Irgendwann war es in der Villa, die ich damals mein Zuhause nannte, einfach nur noch langweilig geworden, da beschäftigte man sich lieber mit irgendetwas, was einem vielleicht nicht sonderlich viel Spaß bereitete, als nur auf dem Sofa vor sich hin zu vegetieren. Mal ganz abgesehen davon, dass letzteres nicht besonders gern gesehen wurde, aber gut. Ich schweifte ab. Dass der junge Mann meine Grenzen akzeptieren würde und das sogleich mit ein paar bestätigenden Worten untermauerte, ließ mich noch einmal kurz nicken, ehe ich mich daran machte, meinen Ursprungsplatz am Fenster einzunehmen, weil das Hinüberbeugen mittlerweile nichts als anstrengend war und weitere Schmerzen förmlich provozierte. Ich nutzte hierbei die Möglichkeit, das mir entgegengehaltene Telefon an mich zu nehmen, um die Zahlen an meinem Platz angekommen auf einem Schmierzettel zu notieren. Im Anschluss daran hielt ich Tauren sein Mobiltelefon entgegen, machte aber keine Anstalten, ihm entgegen zu kommen, sondern wartete einfach ab, bis er aufstehen und es sich holen kam. Es war wohl für beide Parteien deutlich angenehmer, nebeneinander zu sitzen, anstatt von einem Zwischengang getrennt zu sein. Zum Einen entlastete das meinen angeschlagenen Arm, der im Übrigen wieder ziemlich laut nach schmerzstillenden Medikamenten rief und zum Anderen konnte auch Tauren sein verletztes Bein ein bisschen besser in den Gang hinaus strecken. Wobei es dahingehend eigentlich auch so keine Probleme geben sollte, hatte man in der First-Class des Mittelklassenflugzeugs doch ausreichend Beinfreiheit. Selbst wenn ihn das noch nicht überzeugte, dann konnten ihn vielleicht die Pillen locken, welche ich kurzerhand aus meiner Hosentasche zauberte, weil ich weiteren Schmerzen jetzt gerne präventiv entgegenwirken wollte. In den letzten Tagen hatte ich immer ganz brav abgewartet, bis sich die Wirkung der Ibuprofen verflüchtigt hatte, nur um dann an die dreißig Minuten lang die volle Dröhnung an Schmerzen zu ertragen, bis schließlich die nächste Tablette wirkte, aber heute… Hier und jetzt stand mir danach überhaupt nicht der Sinn und auch die Bedenken, auf härtere Drogen zurück zu greifen hatten sich inzwischen vollkommen in Luft aufgelöst. Bis wir in Lissabon landen würden, war ich sicher wieder klar im Kopf, also entschied ich mich zwischen den zwei zum Vorschein gekommenen Blistern schließlich für die deutlich stärkere Variante und bot davon auch dem Norweger eine an. Ich wusste zwar nicht, ob er sich weiterhin auf dem durch Hunter angeordnetem Entzug befand, aber es oblag ja ganz seinem eignen Ermessen, ob er mein Angebot annahm oder nicht. Schließlich hatte ich ihm das ja schon vor einer ganzen Weile angeboten, wo sich unsere Wege dann doch tatsächlich auf dem Sofa noch einmal gekreuzt hatten, aber damals war ich ja schon entsprechend sediert gewesen, da hätte mir eine weitere Tablette tendenziell eher das Licht ausgeknipst, als mich auf positive Art und Weise zu beflügeln.
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Das war jetzt leider keine besonders zufriedenstellende Antwort gewesen. Vermutlich war es naheliegend, dass Vahagn nur selten sowas wie richtige Freizeit genießen konnte. Als Kopf einer größeren Organisation hatte man eben alle Hände voll zu tun und war dann - wie sie indirekt schon sagte - wohl einfach nur froh darüber, wenn man mal so absolut gar nichts tun konnte. Nur rum lag und für ein paar Stunden mal nicht komplett unter Strom stand. Trotzdem lösten die Worte der Russin ein leises, ernüchtertes Seufzen in mir aus, weil sich mit diesem Material natürlich schlecht weiter darüber reden ließ. "Dann solltest du dir vielleicht einfach einen Dobermann zulegen.", erwiderte ich erst einmal sarkastisch, meinte das natürlich nicht wirklich ernst. Wenn man keine Zeit für einen Hund hatte - gerade für ein solches Kaliber -, dann sollte man sich selbstverständlich keinen zulegen. Vielleicht eher eine Katze, die kamen doch deutlich besser allein zurecht. "Wenn du doch nochmal irgendwann nach Kuba kommst und ein paar Stunden für mich entbehren kannst, dann bring ich dir Skateboarden bei.", schlug ich kurzerhand vor und gab damit eine der wenigen meiner eigenen Freizeitbeschäftigungen preis. Nach der Leserei war ich irgendwann auf etwas wesentlich praktischeres umgestiegen, das mich in der Stadt von A nach B bringen konnte. Natürlich wäre ein Fahrrad da vielleicht trotzdem sinnvoller gewesen, hatte das Geld für ein Auto doch noch nicht ansatzweise gereicht, als ich dann volljährig gewesen war. Das Autofahren hatte ich mir dann später irgendwann selber zusammen mit ein paar Freunden an irgendeiner Schrottkarre beigebracht, weil Fahrstunden auch schrecklich teuer gewesen wären, von den Prüfungskosten mal ganz zu schweigen. Weil Fahrradfahren aber schlichtweg langweiliger war als zu skateboarden, war meine Wahl auf letzteres gefallen und ich hatte mir etliche Stunden neben dem Drogen verticken und Autos klauen im Skatepark vertrieben. Aufgegeben hatte ich mein Hobby nie und war auch in der letzten Zeit noch immer - sofern es die Zeit erlaubte - damit unterwegs gewesen. Wenn ich dazu ein bisschen Musik hörte gab mir das zumindest für ein paar Minuten mal sowas wie ein Freiheitsgefühl. Ich ließ mir das Telefon bereitwillig abnehmen und war selbstverständlich auch gerne dazu bereit, mich wieder zu der hübschen Brünetten zu setzen, damit wir nicht über den Gang hinweg miteinander reden mussten. Mein Arm und auch mein Bein waren zwar wenig bis gar nicht begeistert von dem ständigen Umsetzen, aber ich ging eigentlich nicht davon aus, dass ich mich in den nächsten Minuten noch einmal zurück auf den anderen Sitz begeben würde. Also nahm ich das mit kurzzeitig verzogenem Gesicht einfach mal in Kauf, dämpfte das rezeptfrei in der Apotheke erhältliche Schmerzmittel doch leider nicht Alles. Ein zusätzlicher Grund zu der lästigen Distanz bei war wohl auch, dass die junge Frau selbst wieder Schmerzen zu bekommen schien und gerne bequemer sitzen wollte. Viel anders konnte ich es mir zumindest nicht erklären, dass sie kurz darauf ein paar Tabletten hervorholte... und mir jene auch noch anbot. Achja, da war noch dieses eine, sehr verlockende Angebot gewesen. Ein bisschen vermisste ich das Hochgefühl der Opiate zugegeben schon, gerade wo die letzten Tage für mich doch so schrecklich langweilig gewesen waren, aber ich konnte diesen ganzen Drogenscheiß normalerweise so gar nicht leiden. Aus mehr als genug Gründen blieb ich hier und da mal bei einem Bier - noch so eine Sache, mit der ich mich vom Großteil aller Schwerkriminellen unterschied. Nachdem ich mein Handy wieder in der Hosentasche der schwarzen Jeans verstaut hatte, streckte ich zuerst die unverletzte Hand doch tatsächlich nach den Tabletten aus, grummelte dann aber leise vor mich hin und hob sie stattdessen an, um mir langsam übers Gesicht nach unten zu streichen. "Ich würde so gern... aber Hunter bringt mich um. Dass ich mich mit so'm Zeug nicht unter Kontrolle habe, hab ich schon oft genug bewiesen...", seufzte ich vor mich hin und stützte dann den Kopf auf meine Hand, deren Arm ich neben mir auf der Lehne abstützte. Der Vahagn zugewandten Armlehne natürlich. Naja, vielleicht holten wir das auch nochmal irgendwann nach... und wenn nicht, dann halt nicht. Letzteres wäre sicher vernünftiger.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Wie ich es bereits erwartet hatte, erhob sich Tauren wenig später tatsächlich von seinem Platz, um mit leicht schmerzverzerrter Miene zu mir aufzuschließen. Ich hatte mir die Tablette zu dem Zeitpunkt bereits eingeworfen und dabei ein wenig das Gesicht verzogen, weil das Runterschlucken so ganz ohne Flüssigkeit einfach unangenehm war. Glücklicherweise waren die Teile dragiert und blieben somit wenigstens nicht im Hals stecken, aber schön war halt dennoch anders. Na ja. Ich hatte schon sehr viel Schlimmeres überlebt, da würde ich ja jetzt wohl nicht an so einer Kleinigkeit zugrunde gehen. Es brauchte mich zwar noch ein paar Sekunden, bis sich die Gesichtszüge wieder normalisiert hatten, aber dann ruhte mein Blick wieder vollkommen neutral und ziemlich ruhig in Taurens, der offensichtlich versucht war, ebenfalls auf das Schmerzmittel zurückzugreifen, sich letztlich aber doch dagegen entschied. Seine Rechtfertigung - die eigentlich überhaupt nicht nötig gewesen wäre, denn immerhin war er ein erwachsender Mann, der auch einfach unbegründet Nein sagen konnte -, hatte ich jedenfalls genau so kommen gesehen, wie das Aufstehen und Umsetzen kurz zuvor. "Er würde dich vermutlich genau so wenig umbringen, wie ich es bis jetzt getan habe. Aller Voraussicht nach befinden wir uns noch eine ganze Weile in der Luft, also stehen die Chancen gut, dass er es bis zur Landung schon wieder vergessen hat und du wieder clean bist. Aber das ist ja auch nur ein Angebot meinerseits, die Entscheidung obliegt natürlich ganz dir." Dass es sich mehr oder weniger so anhörte, als würde ich ihn dazu überreden wollen, nach der Tablette zu greifen, war so nicht beabsichtigt. Ob er jetzt auf mein Angebot eingehen oder es weiterhin dankend ablehnen würde... egal, wofür er sich entschied, mir brachte es keinen entscheidenden Vorteil in irgendeiner Hinsicht, handelte ich doch in der Sache ziemlich uneigennützig. Ich wusste ja, dass er starke Schmerzen haben musste, hatte sein Bein doch wirklich nicht gut ausgesehen, da wollte ich ihm einfach die Möglichkeit einräumen, sich mit etwas stärkeren Schmerzmitteln zu betäuben. Es würde einen jetzt auch nicht direkt in ein Paralleluniversum ballern, aber der Grad der Betäubung war doch ein merklich anderer im Vergleich zu den herkömmlichen und legal erhältlichen Arzneimitteln. Aber gut, hier irgendjemanden zu irgendwas überreden wollte ich nicht, aber vorerst würde das Teilchen wohl dort liegen bleiben. Für den Fall, dass er es sich später eventuell anders überlegte. Als er schließlich darauf zu sprechen kam, dass ich mir eventuell einen Hund zulegen sollte, schüttelte ich binnen weniger Sekunden entschlossen mit dem Kopf. "Ich bin überhaupt kein Hundefreund. Mit Tieren im Allgemeinen kann ich nicht sonderlich viel anfangen, wenn ich ehrlich sein soll.", outete ich mich als einer der wenigen Menschen, die sich weder als Katzen- noch als Hundemensch bezeichnen würden. Schlicht weil ich beides nicht leiden konnte und mir demnach auch weder das Eine, noch das Andere anschaffen würde. Mal ganz abgesehen davon, dass die Zeit für mein eigenes Leben schon vorne und hinten nicht reichte. Wie sollte ich denn da noch ein weiteres Leben - menschlich, wie tierisch - gemanagt kriegen? Nein, danke. Aber die darauffolgende Idee... ja, die sollte mich tatsächlich ansprechen. "Zum Skateboarden würde ich mich allerdings überreden lassen. Das hat mein Bruder früher auch gemacht, als wir noch klein gewesen waren.", erinnerte ich mich an einen winzigen, absolut unwichtigen und weniger verkorksten Teil meiner Vergangenheit zurück. An einen Tag, an dem noch alles in Ordnung gewesen war und Iljah und ich ganz unbeschwert in der Straße unserer Siedlung spielten. Das waren Zeiten gewesen - schöne Zeiten, aber irgendwann schien auch dieser Erinnerung die Farbe entwichen zu sein, was mich leise seufzen ließ. Ich legte den Gedanken an die guten Tage ganz bewusst ab, indem ich mit dem Kopf schüttelte, dann hob ich meinen Blick wieder an, weil dieser kurzzeitig auf meine Hände gefallen war. Offensichtlich war es vollkommen egal, was man tat. Sobald man still sitzen musste, holten einen die unliebsamen Gedanken von Zeit zu Zeit ja doch wieder ein und man konnte nichts dagegen tun. Das war wohl so ziemlich der einzige Grund, warum ich mir mittlerweile kaum noch Freizeit einräumte und lieber ständig auf Achse war. Ja, wenn mich ein X-Stunden Tag mal wieder geschlaucht hatte, dann begrüßte ich ein wenig Ruhe, aber nur, weil ich wusste, dass ich dann ohne Weiteres ins Land der Träume abzischen würde und ich mich nicht noch an sinnlosen Gedankenspielen festhielt. Grundlegend hatte ich deshalb auch ein echtes Problem mit Langstreckenflügen und plante nicht nur zum Betanken der Maschine einen kurzen Zwischenstopp ein, sondern auch, damit ich meinen Kopf wieder frei bekam.
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Nein, da war mir das Risiko zu groß. Ich war dem Amerikaner in der letzten Zeit eindeutig zu oft auf der Nase herum getanzt und ich wusste, dass sein Geduldsfaden bei Weitem nicht endlos war. Außerdem war es einfach grundlegend falsch und sorgte sicher nicht dazu, das sich die Beziehung zwischen uns weiter verbesserte, wenn er was davon mitbekam. Allgemein sollte ich wohl wirklich erneut ein bisschen an meiner Einstellung arbeiten - ich wurde langsam aber sicher nachlässig in ungefähr jeder Hinsicht. "Ich hab mir schon viel zu viel erlaubt und er hat schon viele Leute für deutlich weniger umgebracht... und Hunter vergisst nie Irgendwas, das ihm nicht passt. Absolut nie, das kann ich dir so doppelt und dreifach unterschreiben. Er trägt mir Dinge von vor eineinhalb Jahren immer noch nach.", stellte ich erst einmal mit einem leichten Kopfschütteln fest. "So schlimm sind die Schmerzen auch nicht mehr, verglichen mit der Folter nur Peanuts. Eigentlich bin ich auch wirklich nicht der Typ für Drogen in jeglicher Form, ich sollte mir das schnell wieder abgewöhnen.", legte ich leicht murmelnd, etwas nachdenklich weniger eine Rechtfertigung und mehr nur eine Feststellung aus. Ich war ohnehin noch nie der Ansicht gewesen, dass man sich dafür rechtfertigen musste, wenn man nicht zu Rauschmitteln greifen wollte. War schließlich im Grunde das schlaueste und gesündeste, das man machen konnte. Im Gegenzug verurteilte ich aber auch nicht jeden, der sich hin und wieder mal den Schädel mit solchen leer pustete, weil ich den Druck in diesem Metier eben zu gut kannte... zumindest so lange, bis sich das mir gegenüber negativ auswirkte, weil das eine bestimmte Sicherung in meinem Hirn betätigte. Wenn man jedoch nur Schmerzen vorübergehend betäubte ging das zweifelsfrei klar. Als Vahagn dann preisgab sich für keinerlei Getier begeistern zu können zuckte ich nur noch mit den Schultern. War halt nicht jeder Mensch ein Tierfreund und ich für meinen Teil brauchte jetzt auch nicht unbedingt eins im Haus, hatte ich schließlich noch nie im Leben gehabt. Konnte, wenn man allein lebte und die Zeit dazu hatte, aber sicher ein netter Mitbewohner sein, falls man nicht ganz so allein Zuhause sein wollte. Um viel Zuhause herum zu sitzen fehlte mir aber selbst häufig die Zeit, weswegen ich dahingehend noch nie einen Gedanken verschwendet hatte. Da hatte ich lieber nur hin und wieder den etwas übergewichtigen Labrador des Nachbarn gestreichelt, wenn mir jener mitsamt Herrchen im Treppenhaus begegnet war. Das Skateboarden hingegen schien eher ihr Interesse zu wecken, was mich doch kurzzeitig ein bisschen grinsen ließ, weil mir der Gedanke daran einfach gefiel. Jedoch schien die Brünette hingegen wieder mal kurzzeitig abzudriften, weshalb ich beschloss sie besser nicht weiter nach jenen Erinnerungen zu fragen, obwohl meine Neugier das durchaus gerne so handhaben würde. Dabei interessierte es mich schon wirklich wie ihr Bruder so war und ob sie noch Kontakt zueinander hatten, oder ob er stattdessen irgendwann für sie gestorben war. Klang zwar nicht so, aber ich konnte es im Voraus nicht wissen und hatte eben erst versprochen, nirgends weiter nachzustochern - fiel mir jetzt schon schwer. "Gut, dann machen wir das... bevor ich dir irgendwelche Tricks beibringen kann, sollte ich vermutlich aber selbst erst nochmal üben. Meine Zeit als aktiver Skatepark-Besucher liegt ja dann doch schon zwei oder drei Jahre zurück.", redete ich stattdessen noch ein bisschen mehr von mir selbst und musste mir unweigerlich ins Gedächtnis rufen, wie oft es mich bei etwaigen Versuchen schon auf den Beton geklatscht hatte. Für irgendwelche schützenden Polster an Armen oder Beinen war ich aber natürlich viel zu erwachsen und außerdem lernte man mit Schmerz besser. Ich zumindest. "Kannst du's denn ein bisschen oder müssen wir ganz von vorne anfangen?", schob ich noch eine kurze Frage hinten an, die für mich als - eventuell - zukünftiger Fahrlehrer ja doch nicht irrelevant war. Vielleicht hatte sie ihrem Bruder damals nur zugesehen, oder aber sie hatte sich selbst ein oder zwei Mal aufs Brett gestellt und sich daran versucht.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Gut, wenn er partout nicht wollte, würde ich ihn keineswegs dazu drängen, die Tablette an sich zu nehmen. Dann blieb sie da eben liegen, bis ich sie entweder in einer geistiger Umnachtung vom Tisch wischte oder später selbst auf sie zurück griff. Wie auch immer, für den weiteren Verlauf des Gesprächs war sie jedenfalls nicht mehr von Relevanz und wurde daher relativ zügig von mir ausgeblendet. Ich hatte nämlich keine besonders große Lust, mich jetzt weiter an dem Thema Hunter aufzuhängen, weil es doch deutlich schönere Sachen gab, über die man reden konnte. Zwar schätzte ich es sehr, dass er diesen Großauftrag hier in meine Hände gegeben hatte und den nötigen Respekt hatte ich ihm gegenüber - meistens - auch, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass mich seine Angewohnheiten oder etwaige negativen Eigenschaften eigentlich nicht sonderlich interessierten. Deswegen konnte ich Taurens letzte Aussage bezüglich des Gedächtnis ähnlich eines Elefanten wieder nur mit einem leisen Lachen kommentieren. "Okay, okay, schon gut. Ich lass sie einfach da liegen. Solltest du dich noch umentscheiden, kannst du dir die Tablette gerne nehmen.", antwortete ich ruhig, hob dabei beschwichtigend die unverletzte Hand und ließ das Angebot somit für ihn offen stehen. Noch bevor darauf jedoch irgendeine Art von Resonanz folgen konnte, hängte ich gleich ein paar erklärende Worten hinten dran, die sich auf meinen bisherigen Umgang mit einem Skateboard bezogen. "Na ja, ich bin jetzt schon das ein oder andere Mal auf einem Schiff gewesen, dass durch einen Sturm schippern musste. Gleichgewicht habe ich also in jedem Fall, weshalb ich mir durchaus zutrauen würde, gerade auf einem Skateboard fahren zu können, ohne mich dabei auf die Schnauze zu legen. Aber wehe, da taucht plötzlich ein Bordstein auf oder so. Mehr als den sterbenden Schwan wirst du wohl am Anfang nicht von mir zu sehen bekommen.", hielt ich ihm indirekt vor Augen, dass wir wohl ziemlich bein Null anfangen müssten und plötzlich drängte sich mir die Frage auf, wann ich mich das letzte Mal so lange mit jemanden unterhalten hatte und aus meiner sonst so eisigen Schale heraus gekrochen kam. Ich meine, das, was ich gerade tat, konnte man nicht unbedingt als sich öffnen bezeichnen und von einem lebensfrohen Menschen mit sozialen Kompetenzen war ich auch noch meilenweit entfernt, aber es war schon irgendwie ungewohnt, so ungezwungen und nicht mit ständig ins Gesicht gezogenen Augenbrauen mit dem jungen Mann hier zu reden. Auch die Tatsache, dass ich heute überdurchschnittlich viel gelacht hatte, machte mich ein bisschen stutzig, aber das schob ich ganz gekonnt auf meinen durchgehend etwas benebelten Geisteszustand am heutigen Tag. Schließlich ballerte ich mir seit heute früh ständig neue Tabletten rein, trank zwischendurch mal einen Whiskey oder ein Glas Vodka, was die ganze Sache weiß Gott nicht besser machte. Wie auch immer. Jedenfalls hatte ich jetzt auch nicht unbedingt ein großes Problem, mal ein wenig aus mir heraus zu kommen. War ja nur für ein paar Stunden und danach hatte die Welt ihre geschätzte Eiskönigin wieder. Aber bis dahin würde ich mich wohl noch eine Weile lang von optisch netter Gesellschaft und dem damit verbundenen, mir etwas zu optimistischen Charakter berieseln lassen. Wer wusste schon, ob ich daraus nicht noch etwas lernen konnte? Wobei ... ne, dazu müsste wohl erst einmal die Bereitschaft bestehen, etwas an meinem bisherigen Auftreten grundlegend ändern zu wollen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Gut, dann war die Sache ja vorerst abgehakt. Sollte ich doch noch dringendes Bedürfnis zum Tod oder nach einer berauschenden Substanz zum Einnehmen entwickeln, blieb mir diese Option weiterhin offen, aber ich ging eher nicht davon aus. Höchstens vielleicht dann, wenn die Brünette wieder Erwarten die Schotten erneut dicht machte und mich wieder nichts als blanke Abweisungen spüren ließ. Hielt ich zumindest zum jetzigen Zeitpunkt allerdings für recht unwahrscheinlich, schien Vahagn doch langsam aber sicher bereit dazu zu sein, sich etwas entspannteres als Beleidigungen oder miese Witze zum Thema zu machen. Allem voran gerade die Geschichte mit dem Skateboard, wogegen ich rein gar nichts einzuwenden hatte. Ihre Worte ließen mich dann aber doch ein bisschen auflachen, wo die Vorstellung doch irgendwo amüsant war. Dass ein Sturz durchaus lustig aussehen und gleichzeitig wahnsinnig schmerzhaft sein konnte, war mir leider nichts Neues. Vermutlich existierten die Videos auf den Handys meiner damaligen Freunde zum Glück ohnehin nicht mehr. "Ich muss dir leider sagen, dass am Anfang auch durchaus ein etwas zu groß geratener Kieselstein vollkommen ausreichend ist, um dich vom Brett zu fegen und eine hochgradig unelegante Bruchlandung hinlegen zu lassen.", ließ ich die junge Frau mit noch immer zu einem leichten Grinsen angehobenen Mundwinkeln wissen, dass es gar nicht unbedingt eine richtige Bordsteinkante brauchte, um die Rollen ordentlich ins Ruckeln zu bringen, beziehungsweise kurzzeitig stark stocken zu lassen. Was hatte ich mich am Anfang immer darüber aufgeregt, dass man im Winter eigentlich gar nicht erst aufs Board zu steigen brauchte, weil überall der Split herumlag, was in Norwegen gefühlt drei Viertel eines Jahres der Fall war. Inzwischen war ich da doch deutlich standfester, aber Straßen mit voraussichtlich vielen Steinen sollte man dennoch grundlegend meiden. Machte da nämlich schlicht und ergreifend so gar keinen Spaß, lud stattdessen nur zum Fluchen und Hinfallen ein. "Aber gut, zur Not hol' ich den Besen raus und kehr' die Straße ein Stück, eine Weltreise wirst du am Anfang wohl kaum machen... und falls doch schnall' ich mir einen Verbandkasten auf den Rücken und zieh die Laufschuhe an.", fügte ich mit einem entspannten Schulterzucken noch ein paar Worte mehr hinten ran, die gegen Ende wohl wieder recht sarkastisch klangen, weil es zu letzterem eher nicht kommen würde. Hatte ich früher für mich selbst tatsächlich aber auch immer gemacht, als ich erst mit dem skaten angefangen hatte. Zwar war ich in der schmalen Gasse vor der damaligen Wohnung meiner Eltern - die streng genommen nicht gemietet, sondern ziemlich sicher nur besetzt gewesen war - trotzdem zusätzlich mit Rissen und Mulden auf der Straße konfrontiert worden, aber zumindest die lästigen Steine hatte ich vorher beseitigt. Dass mich das gleich zu Beginn recht standfest hatte werden lassen war jetzt im Nachhinein nur ein Vorteil gewesen, auch wenn es in der Lernphase zahlreiche Stürze zur Folge gehabt hatte. Die paar blauen Flecken und Kratzer waren neben den Blutergüssen von den Schlägen meines Vaters jedoch ohnehin ziemlich sicher nur weniger bis gar nicht aufgefallen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Da hatte er vermutlich Recht, ja. Es war eine Sache, während gleichbleibenden, schaukelnden Bewegungen das Gleichgewicht zu halten, aber eine ganz andere, wenn man mitten im Flow plötzlich unterbrochen wurde. Zumindest eben in der Anfangszeit. Wie es danach aussah, wenn man erstmal ein paar Runden gedreht hatte, konnte ich so pauschal natürlich noch nicht sagen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass man durch mehrmaliges Üben eigentlich nur besser werden konnte. Und wenn es nach dem fünfzehnten oder zwanzigsten Mal dann immer noch nicht klappen wollte, sollte man sich eventuell überlegen, ob man nicht doch lieber zu Fuß ging oder auf das Fahrrad, beziehungsweise in meinem Fall auf das Auto zurück griff. Denn ich war der Meinung, dass sich das Ganze irgendwann von selbst einspielte, wenn man eine Sache immer und immer wieder tat. Ließen sich allerdings überhaupt keine Fortschritte verzeichnen, lag einem das Skaten dann eben nicht... oder das Autofahren... oder, oder, oder. Prinzipiell ließ sich diese Anschauung auf vielerlei Dinge im Leben beziehen, es wäre zu viel, jetzt jedes Kind einzeln beim Namen zu nennen. "Eventuell sollten wir beide dann noch etwas damit warten, bis unsere Verletzungen einigermaßen abgeheilt sind. Mir ist die Narbe am Arm jetzt schon einmal aufgerissen, das brauche ich echt kein weiteres Mal.", stellte ich grummelnd und mit einem Blick in Richtung der besagten Wunde fest. Ich war zwar froh, dass es nur den linken Arm getroffen hatte und ich mit rechts immer noch in der Lage war, zumindest eine Handfeuerwaffe oder ein Messer zu bedienen, aber dieses Handicap ließ mich teilweise noch ein bisschen paranoider werden - schließlich konnte ich mich auf und mit einer Seite nun mal nicht richtig wehren - und ich war froh, wenn der Mist endlich überstanden war. Zumindest so weit zuwuchs, dass ich gefahrlos saftige Ohrfeigen verteilen konnte, ohne Angst haben zu müssen, dass die Naht direkt wieder aufriss. Aber gut, ich hatte es mir ja selbst zuzuschreiben, dass das passiert war und war somit die letzte, die sich diesbezüglich beschweren durfte. Jetzt, wo sich langsam aber sicher ein wärmender Mantel, hervorgerufen durch die Medikamente, um meine Schultern legte, hatte ich nicht einmal mehr das Bedürfnis, mich deswegen jetzt zu echauffieren. Stattdessen nahm ich den Arm in der Schlinge einfach so hin, versuchte, ihn weitestgehend zu ignorieren, was ohne das ständig präsente Zwicken rund um den Einschuss gar nicht mal mehr schwer war. "Damit wärst du wohl der erste Mann, der mir den Hof macht. Also so... indirekt halt, wegen... na ja, dem Fegen...? Das... vergiss es.", platzte es plötzlich aus mir heraus, wobei ich gen Ende dann doch nur noch irgendwelchen unsinnigen Quatsch vor mich hin stotterte, weil mir einfach viel zu spät klar wurde, wie doppeldeutig mein Kommentar doch gewesen war. Dabei war das ganz sicher nicht meine Absicht gewesen und ich verspürte das dringende Bedürfnis, sofort wieder in mein Schneckenhaus zurückzukehren, aus dem ich bis dato meine zwei Fühler gestreckt hatte. Klar, konnte man mein Verhalten jetzt auf die einsetzende Wirkung der Tabletten schieben, aber für gewöhnlich hatten diese keinen besonders großen Einfluss auf meine sonst so distanzierte, kalte Art, also nein. Daran lag es ganz sicher nicht, dass ich mich gerade seit Langem mal wieder etwas... ungezwungener im Umgang mit Menschen fühlte und generell etwas entspannter war. Na ja... vielleicht lag es ja doch an den Pillen. Anders konnte ich mir nämlich nicht erklären, wieso das bitte auf einmal so sein sollte.
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