Das war wahrscheinlich ein sehr guter Einwand. Bevor ich irgendwem hinterher joggen oder überhaupt erstmal wieder richtig laufen konnte, würden sicher noch mehrere Wochen ins Land ziehen müssen. Mit dem Kiesel bei Seite fegen gestaltete es sich ohne zwei funktionstüchtige Beine ähnlich schwierig und auch der Arm wollte noch nicht bewegt werden. Zwar glaubte ich ohnehin zu wissen, dass die Russin sich kaum festhalten lassen würde, egal wie sehr sie am Anfang noch auf dem Holzbrett hin und her wackelte, aber ich wollte für den Ernstfall eben trotzdem fit sein. Womöglich konnte ich sie, solange sie es nicht mit zu viel Geschwindigkeit anging, hier und da zumindest noch gerade so festhalten, bevor sie auf den Boden fiel. Rückwärts zumindest, wenn ich seitlich leicht nach hinten versetzt neben der Brünetten herging. Aus Erfahrung konnte ich nämlich sagen, dass einem Stürze aufs Steißbein gerne eine Woche oder mehr in den Knochen hingen. Prellungen in der Region waren wirklich unschön und nach vorne konnte Vahagn sich zumindest selbst ein bisschen mit den Händen abstützen. Wenn man nach hinten fiel war das dann schon wesentlich schwieriger so zu deichseln, dass man sich möglichst wenig weh tat. "Guter, nicht ganz irrelevanter Einwand...", bestätigte ich erst einmal mit einem leichten Nicken und hob den Zeigefinger kurzzeitig an, nachdem ich meinen Kopf aus der Stütze gelöst hatte und legte den Unterarm dann wieder auf der Armlehne ab. Saß im Anschluss dann auch ein wenig aufrechter, aber immer noch irgendwie ein bisschen schief. War halt bequemer, auch wenn mein Rücken langfristig sicher protestieren würde."Aber so wie ich das sehe kommst du ja sowieso nicht zeitnah nach Kuba, also sollte bis dahin relativ sicher Alles verheilt sein. Es sei denn natürlich, du willst mich früher schon wieder besuchen... dann sag ich auch nicht nein.", ließ ich die hübsche junge Frau ganz unschuldig grinsend wissen, dass sie liebend gern ein bisschen Urlaub mit mir machen durfte, wenn ihr urplötzlich doch der Sinn danach stand. War natürlich trotzdem relativ unwahrscheinlich- so ganz nüchtern betrachtet - und außerdem müsste ich sie dann wohl entweder in mein Bett lassen und mich selbst aufs Sofa verbannen, oder umgekehrt. Selbst, wenn ich meine Finger bei mir behielt, wollte Vahagn vermutlich eher nicht riskieren, dass ich ihr zu nah auf die Pelle rückte. Zumindest auf dem heutigen Stand. Bei dem folgenden, sicher eher wenig ernst gemeinten und gegen Ende sehr zerstreuten Kommentar wurde mein Grinsen immer breiter und gen Ende konnte ich es mir leider um keinen Preis verkneifen, kurzzeitig ein kleines bisschen zu lachen. Nur leise und nicht lang, weil ich es doch ziemlich schnell wieder zu ersticken versuchte, um nicht wieder irgendeine Form von negativer Stimmung seitens Vahagn herauf zu beschwören. Aber es war eben schlichtweg ein bisschen süß und kam vollkommen unerwartet, gerade das Gestotter am Ende. War ich ja so gar nicht von ihr gewohnt, war sie sonst doch immer so entschlossen und selbstsicher mit jedem Wort, das sie aussprach. Aber so ganz durchdachte hatte sie ihre Aussage diesmal im Voraus wohl nicht. "Du willst es doch nur noch unerträglicher machen, dass ich mir die ganze Flirterei verkneife... gib's zu.", erwiderte ich zuerst nur reichlich sarkastisch, weil ihre vorherigen Worte einfach so furchtbar einladend waren, um etwas Unsittliches zu erwidern. Zwar hatte die Brünette es mir nicht wortwörtlich verboten, sie mit Anmachsprüche zu bombardieren, aber ich wollte mich da dennoch erstmal ein bisschen zurückhalten. Bisher hatte das schließlich jedes Mal zu nichts Gutem geführt und ich wollte die gute Laune ungern riskieren. Das Gespräch lief gerade gut und so stand mir eher nicht im Sinn das jetzt den nächsten Bach runterstürzen. "Aber ja, ich versuch's aus meinem Kopf zu streichen, wenn's dir lieber ist.", gab ich dann etwas tiefer, bedauernd ausatmend noch ein paar Worte von mir, die mir selbst so gar nicht schmeckten, weil ich eben doch stattdessen lieber wieder mit der Brünetten geflirtet hätte. Außerdem wusste ich, dass sich dieser Moment so schnell ganz sicher nicht mehr aus meinem Kopf verbannen lassen würde. Dazu war er für unsere Verhältnisse zu ungewöhnlich und außerdem der erste seiner Sorte gewesen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mir war von Anfang an klar gewesen, dass dieser Ausrutscher nicht unkommentiert bleiben würde und wie so oft sollte ich mit dieser Annahme Recht behalten. Eine teilweise belustigend wirkende Resonanz des Norwegers folgte prompt, was mich wieder mit den Augen rollen ließ. Ihm jetzt erneut böse zu sein, wäre wohl ebenso unangebracht gewesen, wie es das auch schon beim ersten Mal gewesen war, deswegen hielt ich mich mit bissigen Kommentaren in diese Richtung zurück. Stattdessen zog ich wieder einmal das rechte Bein an meinen Oberkörper, nur um Tauren dann mit dem Kopf schüttelnd anzusehen. „Also erst mal… nein, so schnell habe ich nicht vor, auf Kuba Urlaub zu machen. Italien ist immerhin warm genug und spricht mich optisch definitiv mehr an.“, stellte ich unnötigerweise und mit einem Grinsen auf den Lippen fest. Also ja, genug Zeit, um unsere Verletzungen auszukurieren war allemal. Bis dato hatte ich auch noch keinen weiteren Kunden, den es nach Kuba verschlagen sollte, also war ein zeitnaher Besuch im Land der Zigarren und des guten Rums eher unwahrscheinlich. Nur zum Skaten würde ich die Strecke wohl kaum fliegen, lag zwischen den beiden Inseln doch eine nicht zu verachtende Distanz. Wäre ja auch blöd, wenn nicht. Sabin sollte sich so weit wie es nur irgendwie möglich war von Italien fernhalten, weshalb ich die letzte Ecke Kanadas oder Russlands in seinem Fall bevorzugt hätte. Aber gut, er, beziehungsweise auch der Rest seiner Truppe, bestand eben auf ein warmes, sonniges Ländchen, wo man sich am Stand rösten konnte, um die Sorgen des Alltags zu vergessen. Dass das irgendwann negativ auf sie zurückfallen würde, konnte ich schon heute prophezeien. Sollte mich aber ehrlich gesagt nicht weiter beschäftigen, immerhin ging ich hier nur meinem Job nach und alles, was drum herum passierte, ging mich absolut nichts an. Und wenn sie morgen auf Kuba von den Südländern überrascht werden würden, tja, dann war das wohl so. Hauptsache, das Geld würde seinen Weg in meine Tasche finden, alles andere war mir herzlich egal. Da konnte auch das gute Aussehen des jungen Mannes zu meiner Rechten nichts dran deuteln, auch wenn er das vielleicht gerne so hätte. Dafür lag mir an so etwas wie Freundschaft einfach nicht genug, als dass ich mich durch ein paar lieb und nett gemeinte Worte derart einlullen lassen würde, nur um ihm förmlich auf den Schoß zu springen, sobald er mich darum bat. Ne ne. Das mochte vielleicht bei der Rothaarigen funktionieren, schien ihr doch alleine an dem Engländer schon sehr viel zu liegen – da hätte sicher auch Tauren leichtes Spiel – aber ganz bestimmt nicht bei mir. Ich schüttelte den Gedanken mit einem irritierten Gesichtsausdruck ab, weil sich das Ganze gerade wieder in eine absolut absurde Richtung zu entwickeln drohte. Der noch folgende Kommentar seitens des Norwegers diesbezüglich machte es jetzt nicht unbedingt besser, die Gedanken wieder auf den rechten Weg zu bringen. „Ja, aber natürlich doch.“, antwortete ich ironisch und rollte erneut mit den Augen. „Du weißt doch, es anderen Leuten schwer zu machen ist quasi meine Paradedisziplin.“, ergänzte ich die eingangs weniger ernst gemeinten Worte noch um eine wahrheitsgemäße Aussage. Wobei sich mir unweigerlich die Frage aufdrängte, ob ich ihn in der letzten halben Stunde eigentlich ermahnt hatte, was die ganzen Flirtversuche anging. Denn von seinen sonst so aufdringlichen Worten hatte ich jetzt schon lange nichts mehr gehört. Ob er sich meinen Ausraster bezüglich der Geschichte rund um das Thema Beziehungen dermaßen zu Herzen genommen hatte? Wenn dem so wäre, musste ich wohl meinen imaginären Hut vor ihm ziehen, denn dann konnte man Tauren auch eine gesunde Portion an Taktgefühl einräumen. Gestört hatte es mich schließlich nicht, aber na klar, wenn man auch nur ein wenig Hirn besaß, dann mied man das Thema dann doch lieber gänzlich und versuchte es nicht mit halben Sachen.
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War aber schade, wenn man mich fragte. Zwar war ich mir eigentlich recht sicher, dass es auf Kuba auch ohne Vahagn schöne Frauen gab - weil es die eigentlich fast überall gab, wenn man sich nicht optisch strikt auf ein bestimmtes Schema beschränkte -, aber die Russin war und blieb schlichtweg interessant. Nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern auch wegen ihrer Art. Ich würde nicht sagen, dass mir per se alle Frauen zu Füßen lagen, aber für gewöhnlich hatte ich es trotzdem eher leicht. Da war das hier irgendwie eine nette Abwechslung, wo die Brünette doch recht schwierig im Umgang war. Auch ganz ungeachtet dessen, dass sie wohl in keinem Fall leicht rum zu kriegen war. Davon ab war ich mir auch sicher, dass wir durchaus Spaß zusammen haben konnten, wenn Vahagn sich darauf einlassen würde, mal für ein paar Tage einfach nur zu leben und nicht ständig in Arbeit zu versinken. War auch echt nicht gesund, da wunderte es mich doch gleich deutlich weniger, dass sie so leicht reizbar war. "Bedauerlich.", stellte ich dahingehend also nur noch fest, dass ich mich durchaus für einen kurzen Urlaub von ihr in meiner Nähe hätte begeistern können. War mir aber eigentlich vorher schon klar gewesen, dass sie Wahrscheinlichkeit da gegen Null ging. Leider. Die noch folgenden Worte der jungen Frau würde ich wohl ohne zu zögern so unterschreiben. Sie hatte schlichtweg ein Händchen dafür nur schwer mit sich reden zu lassen, da war diese Aussage durchaus zutreffend. Wie es mit ihrer rein geschäftlichen Ader aussah konnte ich natürlich nicht gut beurteilen, vielleicht war sie da unter Umständen manchmal weniger anstrengend. War für mich ja ohnehin nicht relevant, würde ich wohl nie oder nur sehr unwahrscheinlich irgendwann mal in der Position stehen mit Vahagn persönlich irgendwelche Dinger zu drehen. Mir stand wirklich nicht der Sinn nach meiner eigenen, kleinen Mafia. Sowohl die Russin, als auch der Amerikaner waren sehr gute Beispiele dafür, warum das so gar nicht für mich in Frage kam. Bis jetzt wagte ich es auch noch stark zu bezweifeln, dass ich mal irgendwann so weit kommen würde beispielsweise nahe an Ashtons Position ranzukommen. Aber gut, das würde mir nur die Zukunft selbst zeigen. "Ist okay. Lieber psychische, als noch mehr körperliche Folter.", antwortete ich reichlich sarkastisch, seufzte leise und rutschte mit den Augen zum Fenster neben ihr ab. War beides blöd, aber ich konnte mir gerade nicht noch gebrochene Knochen oder mehr Stichwunden oder gar Schussverletzungen leisten. Dann doch lieber ein paar gemeine Worte von der Brünetten. War allerdings kein gutes Thema zum Weiterreden, weshalb ich beschloss noch woanders anzusetzen. "Hörst du Musik? Mich entspannt sie immer.", stellte ich ihr also eine wirklich sehr simple Frage, den Blick wieder in ihre Augen gerichtet. Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Brünette auch dazu nie wirklich viel Zeit fand, aber ich ließ mich natürlich gern eines Besseren belehren. Ich für meinen Teil war was die Musikrichtungen anging ja sehr vielseitig.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Dem war so absolut Nichts mehr hinzuzufügen. Zwar hatte man nach psychischer Folter in der Regel noch eine ganze Weile länger damit zu kämpfen, als physische Wunden zum Heilen brauchten, aber es schränkte einen zumindest nicht in seinem Bewegungsapparat ein. Das war nämlich so der Punkt, der mich mit Abstand am meisten nervte. Die Schmerzen waren zwar echt unangenehm, aber den Arm oder das Bein partout nicht mehr als nötig bewegen zu dürfen, weil die Verletzung sonst einfach nicht zuheilen wollte, war viel, viel schlimmer. Ich fühlte mich in der letzten Zeit wie ein verdammter Krüppel, dem man beim Anziehen helfen musste, weil ich es alleine nicht geregelt bekam und mir dabei ständig weh tat. War einfach zum Kotzen, weshalb ich die Heilung meines Arms nun doch auch ein bisschen mehr kontrollierte und wirklich darauf achtete, ihn nicht unnötig zu belasten, wie beispielsweise mit dem nach vorne über die Lehne beugen, wie ich es gerade getan hatte. "Tja, hättet ihr euch doch mal mal Sibirien entschieden. Ich bin oft in Russland, da stünden die Chancen vermutlich besser, wenn es um ein Wiedersehen geht.", äußerte ich schmunzelnd, wobei ich es ihnen - der Gruppe - absolut nicht nachtragen konnte, dass sie sich doch lieber für Kuba entschieden hatten. Zwar schätzte ich meine kalte Heimat, herrschte da doch das ganze Jahr über genau das gleiche Klima, wie in meinem Herzen, aber Sonne war halt auch schön. Vor allem die warmen Sommernächte in Italien waren einfach atemberaubend. Da konnte selbst ich mich einmal dazu aufraffen, mir ein bisschen mehr Freizeit einzuräumen, um am Hafen Palermos die Füße ins lauwarme Wasser zu stecken und ein bisschen die Seele baumeln zu lassen. Klang nicht unbedingt nach mir und abkaufen würde es mir vermutlich auch niemand, dass ich das hin und wieder doch auch genoss, Dinge zu tun, die normale Menschen auch so taten, aber was sollte ich sagen? War wohl einfach noch der letzte klägliche Rest meines alten Ichs, das solche einfachen Kleinigkeiten noch zu schätzen wusste. Na ja. Der Themenwechsel kam für mich dann doch relativ plötzlich und ich sah Tauren etwas verdutzt an, was nicht zuletzt daran lag, dass ich durch die dämpfende Wirkung des Medikamentes ein bisschen länger zum Verarbeiten von Informationen brauchte. Als mir schließlich klar wurde, was der junge Mann denn jetzt genau von mir wollte, zuckte ich mit der unverletzten Schulter und wandte den Blick zum Nachdenken kurz ab. "Puh, schwierig. Eigentlich nicht, nein. Ab und an mal ein bisschen russischer Hip Hop, aber ansonsten...",stellte ich nachdenklich fest, wobei mich dieser ganze Smalltalk Mist irgendwie überfragte. Tat man wirklich so, als würde man sich für den ... na ja, Musikgeschmack des jeweils anderen interessieren? Mich juckte das nicht die Bohne, ob jemand nun Rap, Rock oder von mir aus auch klassische Musik hörte - war ja immerhin sein eigenes Ding und so lange ich damit nicht belästigt wurde, war es mir auch vollkommen egal. Deswegen sparte ich mir eine entsprechende Gegenfrage, auch wenn eine Unterhaltung so wohl kaum funktionierte, aber es war schwer, sich für etwas begeistern zu können, was man eigentlich überhaupt nicht wissen wollte. Tat mir auf der einen Seite ja schon ein bisschen, aber auf der anderen dann auch wieder nicht. Was mich dann allerdings sehr viel eher interessierte war, wie es für die Gruppe in Kuba eigentlich weitergehen sollte. Er hatte erwähnt gehabt, dass Hunter wohl noch das ein oder andere Mal auf mich zukommen wollen würde und wusste da im Detail scheinbar ein bisschen mehr als ich, weshalb ich kurzerhand das Thema in diese Richtung lenkte. "Wisst ihr denn eigentlich schon, was ihr in Kuba machen wollt?", fragte ich deshalb ohne zu zögern. Ich ging nicht davon aus, dass sie mir ins Geschäft pfuschen wollten, hatte Tauren sich doch vorhin schon dagegen ausgesprochen, aber ich nahm dennoch gerne alle Informationen auf. Nur für den Fall der Fälle eben...
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Sibirien... ich meine, ich war ja wirklich Niemand, der mit Kälte ein großes Problem hatte. Auch wenn ein Bruchteil meiner genetischen Wurzeln in den USA lag - der Nachname kam schließlich nicht aus Skandinavien -, war ich die kalten Temperaturen und den nie wirklich heiß werdenden Sommer in Norwegen schon gewohnt. Natürlich wäre Sibirien zweifelsohne nochmal eine andere Hausnummer im Winter, aber man gewöhnte sich bestimmt daran, wenn man es denn auch wirklich wollte. Trotzdem war ich aber ganz froh, dass Hunter - und Sabin als Italiener sicher auch - es vorzog in wärmere Gefilde umzusiedeln. Zum einen, weil ich tatsächlich noch nie wirklich aus Skandinavien raus gekommen war und mir das dahingehend noch fremd war, meine Neugier weckte und zum Anderen, weil ich dann mal nicht 24/7 mit dicker Jacke herumlaufen musste. Zwar musste man als Verbrecher nun wirklich nicht viel Wert auf sein Aussehen legen, aber ich tat das dennoch. Schlichtweg deshalb, weil mich das normaler aussehen ließ, als ich es war. Gut, die Narbe im Nacken zog jetzt den einen oder anderen Blick auf sich, wenn ich keinen Schal trug, aber ansonsten hätte man wohl wirklich von mir denken können, dass ich ein ganz normaler, junger Mann war... was sicher auch daran lag, dass man durch die langen Klamotten nur selten mal welche der anderen Narben sah, die meinen Körper zierten. Um diese Brandmarke kam man in meinem Job schlicht und ergreifend nicht rum. "Also ich hab ja Nichts gegen Kälte, aber Sibirien wär auf Dauer schon echt ungemütlich.", stellte ich nochmal hörbar für die Russin fest und zuckte leicht mit den Schultern. "Außerdem bin ich aus Skandinavien noch nie raus gekommen, da sollte mein einziges Ziel außerhalb jetzt nicht was noch kälteres sein, finde ich.", fügte ich wahrheitsgemäß noch ein paar sarkastische, aber durchaus wahrheitsgemäße Worte an. Ein bisschen - sehr viel - Sonne klang gerade jetzt, wo ich anfangs noch viel Zeit zum Nichtstun haben würde und die Anderen längst an zig Vorbereitungen für den Neuaufbau saßen, unheimlich sympathisch. Apropos - Vahagn schien sich mit der Musik nicht lange aufhalten zu wollen und schwenkte just in diesem Moment dann zu jenem Thema. Fragte mich, was denn so in Kuba geplant war und ich ließ die rechte Augenbraue nach oben wandern, musterte ihre Gesichtszüge einen Moment lang. Warum glaubte sie, dass ich ihr das sagen würde? Ich meine, ja, zugegeben war meine Zunge der Brünetten gegenüber fürchterlich locker und würde ich mein Respekt-Level Hunter gegenüber nicht langsam wieder aufbauen wollen, dann hätte es unter gewissen Umständen vielleicht passieren können, dass ich ihr ein paar Anhaltspunkte gab. Aber das war auch so eine Sache, für die theoretisch mein Kopf rollen konnte, sofern der Amerikaner das spitz bekam. "Grob, ja. Sabin fährt seinen Geschäftszweig wohl einfach neu auf, weil er da keine große Konkurrenz haben wird und so wie ich Hunter kenne wird er vermutlich erstmal die halbe oder ganze Insel komplett scannen, bevor er sich endgültig festlegt, was von seiner bisherigen Einkommensstrategie noch wirklich brauchbar ist und was nicht. Oder wo sich neue Goldgruben auftun, die er nutzen kann, weil er dafür echt einen siebten Sinn hat. Aber das ist wohl auch schon Alles, was ich dir dazu sagen kann... beziehungsweise darf.", ließ ich Vahagn also sowohl Alles, als auch irgendwie gleichzeitig gar nichts wissen. Ich glaubte zwar nicht, dass sie dem Amerikaner gegenüber irgendwelche gemeinen Pläne schmieden wollte, aber erstens konnte ich mir da nicht zu einhundert Prozent sicher sein und zweitens sollte ich mich schlicht ganz dringend an die Loyalität und den vernachlässigten Respekt halten. Schlimm genug, dass ich kurzzeitig wirklich darüber nachgedacht hatte, eine oder zwei kleinere Details in meine Antwort einzuschleusen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Na ja, okay. Das würde ich als Ausrede wohl durchgehen lassen, aber auch nur, weil ich ihn dahingehend sehr gut verstehen konnte. Mich hätte es vermutlich auch ohne die Firma meines Vaters irgendwann in eine der wärmeren Regionen dieser Gott verlassenen Erde getrieben. Das hatte unzählig viele Gründe, die ich hier und jetzt sicher nicht alle aufzählen würde. "Na gut, da hast du vielleicht Recht.", ließ ich ihn also wissen, dass ich seine Beweggründe für eher wärmere Gegenden verstand und auch nachvollziehen konnte. "Aber es wundert mich, dass du bis jetzt noch nicht aus Norwegen raus gekommen bist. Du machst mir eher den Eindruck, als wärst du ein Jetsetter. Mal hier, mal da - halt überall und nirgendwo, dachte ich." Klar, so als Fußabtreter eines Gangsterbosses hatte man wohl verhältnismäßig wenig Freizeit, wurde dazu vermutlich auch nicht gerade überdurchschnittlich gut bezahlt, aber so eine Reise nach... keine Ahnung, Deutschland, England oder eventuell Tschechien müsste doch eigentlich drin sein, oder? Ich wusste zwar, dass es auch in den besagten Ländern durchaus recht frisch sein konnte, aber es war - bis auf in Sibirien eben - überall deutlich wärmer als in Norwegen. Man hätte sich also trotzdem aufgewärmt, selbst wenn es tagelang nur geregnet hätte, aber gut. "Es gibt ja echt selten etwas, dass mir wirklich Leid tut, aber in der Hinsicht muss ich dir echt mein Mitleid bekunden. Das heißt, du hast noch nie den schiefen Turm von Pisa gesehen? Oder den roten Platz in Moskau? Nicht einmal das Great Barrier Reef?", meine Stimme klang für meine normalen Verhältnisse wohl ziemlich hoch und ich musste ihn ganz entgeistert angesehen haben, als ich all die bemerkenswerten Sehenswürdigkeiten aufzählte, aber ich konnte einfach nicht glauben, dass es wirklich Menschen gab, die vollkommen zufrieden in einem Land leben konnten, ohne sich weite Teile der Welt nicht mindestens einmal angesehen zu haben. Ja, eventuell sprach da tatsächlich ein kleines Bisschen die Begeisterung fürs Reisen aus mir, aber lag das nicht in der Natur der Menschen, ihre Umgebung auskundschaften zu wollen? Für mich war es das Normalste dieser Welt und da so etwas wie Reisekosten bei mir grundsätzlich nicht existierten, nutzte ich hier und da natürlich die Gelegenheit für einen kleinen Ausflug. Mal ganz abgesehen davon, dass mich meine Kunden ohnehin an allerlei Orte schickten, deren Namen mich bei ihrer Erwähnung an ihrer Existenz hätten zweifeln lassen, wenn ich nicht schon einmal dagewesen wäre. Es war einfach spannend, was es so für interessante Ecken gab und die Kulturen erst! Das ganze, verschiedene Essen, die Snacks, Getränke. Alles war so unfassbar vielfältig und er gab sich mit Farikal und ein bisschen Brot zufrieden. Wie frustrierend. Aber gut, ich wollte nicht weiter darauf herum reiten, war ich gedanklich doch schon wieder viel weiter gewesen, als ich es eigentlich sein sollte. Ich holte mich mit einem schwachen, nach wie vor ungläubigen Kopfschütteln zurück ins Hier und Jetzt, lauschte dabei seinen darauffolgenden Worten. Sabin würde sein Geschäft wieder aufleben lassen, Hunter die Lage abchecken. Alles in allem waren das nicht sehr viele Informationen, aber irgendwie hatte ich auch gekonnt verdrängt gehabt, dass mich das überhaupt nichts anzugehen hatte. Zwar arbeiteten Hunter und ich nach wie vor mehr oder weniger zusammen - beziehungsweise ich aktuell für ihn -, aber was seine Pläne fürs Geschäft betraf, hatte ich wohl kein Anrecht auf irgendeine Art von Auskunft. Ich seufzte also leise und wischte mir mit der Hand des gesundes Arms angestrengt über das Gesicht. "Du glaubst nicht, wie fertig ich bin. Keine Ahnung, was ich mir bei der Frage jetzt gerade gedacht oder erhofft habe. Vermutlich gar nichts.", stellte ich recht leise fest. Ganz offensichtlich vernachlässigte ich hier gerade mehr als die Aufrechterhaltung meiner eiskalten Mauer. Dabei verstand ich bei geschäftlichen Dingen doch normalerweise keinen Spaß. Aber ja, eventuell wäre es gar nicht so verkehrt, wenn ich langsam die Augen zumachen würde. Nicht, dass mir am Ende selbst noch etwas heraus rutschte, das niemanden etwas anzugehen hatte.
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Wundern tat es mich für meinen Teil kein Stück, dass ich nie wirklich weit von Zuhause weggekommen war. Es hatte schlicht immer wieder neue Gründe dafür gegeben, die mir das Ganze gekonnt ausgeredet hatten. Denn an sich hatte Vahagn durchaus Recht damit, dass ich theoretisch gerne mal ein bisschen mehr von der Welt sehen wollte. Es gab viele Länder, die grundlegend mein Interesse in ihrer Vielfältigkeit oder Einzigartigkeit weckten, aber da hin zu kommen war lange finanziell komplett unmöglich gewesen und seit ich für Hunter arbeitete war zwar der Knackpunkt Geld bei Seite, dafür mangelte es aber an Zeit und einer anderen, ganz bestimmten Sache. Deswegen folgte auch erstmal ein recht tiefes, unzufriedenes Seufzen, bevor ich langsam aber sicher zu einer Antwort ansetzte. "Ja, keine Ahnung... aus Norwegen raus war ich zwar, aber weiter als mit einem Roadtrip bis nach Dänemark bin ich nie gekommen - das hier ist dementsprechend auch mein erster Flug. Dänemark ist zwar optisch ein bisschen anders, aber immer noch Skandinavien, ähnlich halt. Ich würd' schon gern mehr von der Welt sehen, aber bis ich bei Hunter angekommen bin war dafür nie Kohle da und jetzt fehlt überwiegend die Zeit. Außerdem will ich nur ungern allein irgendwohin... klar komm ich allein zurecht und neue Leute kennen lernen fällt mir echt nicht schwer, aber ich hab gern Jemanden um mich rum, den ich kenne. An reisefreudigen Freunden mangelt's mir noch mehr, als an Zeit.", erklärte ich das Ganze so ein kleines bisschen, zuckte kaum sichtbar mit den Schultern und wendete den Blick ein bisschen nachdenklich nach unten auf meine Oberschenkel ab. War einfach schade, das Ganze. Ich hatte meinen damaligen, etwas normaleren Freundeskreis kurz vor dem Wechsel zum Quartier des Amerikaners verloren. Allerdings nicht wegen Hunter selbst, sondern weil die Jungs einfach gemerkt hatten, dass ich etwas zu große Probleme hatte und da nicht mit reingezogen werden wollten, was sicher schlau gewesen war. Zwar hatten jene auch keine weißen Westen gehabt, jedoch nicht mit mehr als ein paar geklauten Autos und ein paar Drogen getickt. Das war im Vergleich zu dem, was ich inzwischen tat, nun wirklich fast nicht mehr als überhaupt kriminell zu bezeichnen. "Aber keine Panik, das war jetzt keine indirekte Bitte an dich mich sonstwohin zu verschiffen oder gar zu begleiten.", schob ich gleich noch ein paar ironische Worte hinten an, damit sie die Ausführung meines Problems dahingehend nicht falsch verstehen konnte. Ich wollte mir hier nicht unterstellen lassen müssen, sie um Irgendwas anzubetteln. Sobald ich wieder fit war würde der Amerikaner mir sicher sowieso doppelt und dreifach Arbeit aufhalsen und dafür ein paar andere, bis dahin ausgelaugte Mitarbeiter Pause machen lassen. Stand also in keinem Fall zeitnah zur Debatte. Außerdem gab es auf Kuba sicher auch ein paar Ecken zu erkunden, mit denen ich mich vorerst begnügen konnte, wenn ich mal frei hatte - ab aufs Board und los. Vahagn war dann im Anschluss diejenige, die mit dem Seufzen dran war und ja, das könnte womöglich der Grund für die etwas unangebrachte Frage gewesen sein. Schließlich gab sie mir ja auch keinerlei Infos über ihre eigenen Machenschaften, da war es von vornherein unwahrscheinlich gewesen, dass ich es ihr damit nicht gleich tat. So hatte ich schließlich nicht einmal was, dass ich Hunter im Fall der Fälle eines Gegenschlags anbieten konnte, um mein Leben - zum x-ten Mal, falls ich noch ein paar mehr Leben gut hatte - zu verschonen. Aber war ja nicht weiter schlimm, merkte die Brünette doch jetzt auch selbst, dass sie sich in eine Einbahnstraße bugsiert hatte. "Willst du schlafen? Dann lass' ich dich in Ruhe... hast sowieso schon länger mit mir geredet, als ich gehofft hab.", bot ich der hübschen jungen Frau leicht lächelnd an mich zurück auf meinen eigenen Platz zu verziehen und sie friedlich schlummern zu lassen, wenn ihr der Sinn danach stand. Wir waren schließlich noch etliche Stunden bis nach Kuba unterwegs und wenn die Russin später irgendwann nochmal die Lust zu einem Wortwechsel packen würde, dann konnten wir ja wieder das Gespräch aufnehmen. Weit weg war sie schließlich nicht und das Buch wartete auch immer noch auf mich. Seit Monaten.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Mhm, manchmal sollte es wohl einfach nicht sein. Da wünschte man sich nichts sehnlicher, als seinen trostlosen Heimathafen ein einziges Mal zu verlassen, und dann zog Gott - oder wer auch immer da oben auf einen wartete - seinen Strich durch die Rechnung. Wirklich bedauerlich. Ich persönlich wüsste ja nicht, wo ich mich heute befinden würde, wenn ich nicht diesen regelmäßige Ausgleich hatte. Der stetige Tapetenwechsel war inzwischen gar nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken und es würde mich wohl Stück für Stück in Richtung eines tiefen Lochs drängen, wenn ich irgendwann aus mir unerfindlichen Gründen mal nicht mehr reisen konnte. Angesichts meiner etwas missratenen Vergangenheit sah ich das mal hier, mal da sein mittlerweile wohl als ein Stück Freiheit an, welches ich mir ungerne wieder wegnehmen lassen wollte. Gott sei Dank hatte das ja aber aktuell auch niemand vor und somit musste ich mir darüber jetzt nichts zwangsweise den Kopf zerbrechen. Meine Laune war gerade nämlich viel zu gut, als das ich sie mir durch unliebsame Gedanken kaputt machen lassen wollen würde, nur weil jene versuchten, sich ihren Weg ans Tageslicht zu erkämpfen. Aber nichts da. Ja zurück in die Kiste und ab ins Eck. Statt mich also weiter mit meinen eigenen Problemen zu beschäftigten, nahm ich mich erstmals unterbewusst denen eines Anderen an, indem ich Tauren wieder meine volle Aufmerksamkeit zukommen ließ und seinen Worten Gehör schenkte. Gut, klar, Reisen war teuer, als junger Mann, der vermutlich nicht immer kriminell gewesen war... schwierig. Irgendwann spielte Kohle keine Rolle mehr, okay, aber da diese nicht von ungefähr kam, ließ sich nur erahnen, wie viel Freizeit er dann noch übrig hatte. So ziemlich gar keine nämlich. Aber... das schien wider Erwarten nicht der ausschlaggebende Punkt zu sein und als der Norweger mir offenbarte, dass er schlicht und ergreifend ungerne alleine reiste, wusste ich nicht, ob ich jetzt beide Augenbrauen in die Höhe reißen oder einfach nur leise lachen sollte. Am Ende entschied ich mich für beides, wobei letzteres nicht sehr lange anhielt. Schließlich stand es mir nicht im Sinn, mich über ihn lustig zu machen, aber es war... keine Ahnung, einfach ein bisschen komisch und noch bevor ich dahingehend etwas sagen konnte - vermutete ich doch, dass er sich von mir jetzt selbiges Angebot erhoffte, wie das an mich gerichtete in Hinsicht auf das Skaten -, nahm er mir bezüglich diesen Gedankenganges gleich den Wind aus den Segeln. Gut, dann war das auf jeden Fall schon mal geklärt. "Okay, okay. Schon gut.", hob ich wieder einmal nur beschwichtigend meine heile Hand, grinste. "Aber lass mich dir wenigstens anbieten, dich mal mitzunehmen, wenn ich geschäftlich noch mal 'nen Abstecher nach Kuba machen sollte. Italien sollten wir dann zwar meiden - hinterher kommst du sonst nicht mehr an einem Stück wieder -, aber ich kann dir Moskau zeigen, wenn ich meinen Bruder besuche und dann setz' ich dich einfach in den nächsten Flieger zurück, wenn du keinen Bock mehr hast. Wie klingt das für dich?", unterbreitete ich dem Norweger ein Angebot, dass so in dieser Form noch nie einer von mir erhalten hatte. Schließlich erinnerte ich mich noch zu gut daran, wie ich das Gesicht verzogen hatte, als es erstmals darum ging, Hunter mitsamt seiner Mannschaft aus Norwegen raus zu bringen. Auf Kohle hatte ich da wirklich nicht verzichten wollen, denn Kerosin und die Bezahlung meiner Männer wuchs schließlich nicht auf Bäumen. Von der Wartung der Reisemittel mal ganz abgesehen. Tauren sollte sich also glücklich schätzen, dass mich die Medikamente - ja, genau - redselig werden ließen und ich für gewöhnlich zu meinem Wort stand, egal, unter welchen Umständen ich dieses gegeben hatte. Schließlich war ich selbst dafür verantwortlich, welcher Art von Drogen ich mich hingab und wenn ich unter Einfluss etwaiger Rauschmittel stand, dann musste ich damit rechnen, hier und da eventuell Sachen zu sagen, die mich irgendwann - vielleicht nicht heute oder morgen - einmal einholen würden. So wie dieses Angebot eben. Aber zumindest jetzt, wo diese entspannte, lockere Stimmung herrschte, schien ich damit überhaupt kein Problem zu haben. Bot es ihm an, als würde ich immer so uneigennützig handeln. Dabei war ich nicht sehr viel spendabler, als es beispielsweise Hunter war, but okay. Als Antwort auf die letzte Frage des jungen Mannes bekam Tauren ein langes und ausgiebiges Gähnen, welches überdeutlich signalisieren sollte, dass ich absolut und sowas von schlafen wollen würde. Zwar war ich geistig noch echt auf Zack, aber körperlich ging es mit mir momentan wirklich steil bergab und wenn das so weiter ging, würde ich wohl auch den gesamten Aufenthalt in Lissabon verschlafen. Das war zwar weniger meine Intention, aber ich hatte das Gefühl, dass mein Körper die Ruhe einfach brauchte und sie sich, wenn es sein musste, eben mit Gewalt holte. Sei's drum... "Wäre wohl besser, ja. Hab's heute schon mit einer Hand voll Tabletten probiert, aber so langsam glaube ich, dass das nicht wirklich etwas bringt, wenn man nicht zumindest ein paar Stunden schläft.", murmelte ich nachdenklich vor mich hin und schenkte ihm gegen Ende ein schwaches, kaum sichtbares Lächeln. Tat schon fast weh, die Mundwinkel in dieser Position zu halten, aber war ja auch nicht für lange. Binnen weniger Sekunden hatte ich mich etwas mehr aufgerichtet, um den komfortablen Sitz der First Class mittels Knopfdruck in eine halbwegs bequeme Position zu bringen, sodass man nicht direkt eine Nackenstarre erlitt, wenn man mal für länger als fünf Minuten wegdöste. Ich musste ja sicher nicht noch einmal erwähnen, wie sehr ich es hasste, wenn mir der Nacken schmerzte.
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Wie bitte? Also das Lachen verstand ich, war wohl nachvollziehbar. Schließlich war ich nachts auf den Straßen ja auch oft allein unterwegs und hatte damit kein Problem, aber Irgendwas an dem allein in ein fremdes Land fliegen behagte mir einfach nicht. Ich wusste weder woran es lag, noch woher es kam. Womöglich hätte ich das auch einfach mal ausprobieren sollen und hätte am Ende dann festgestellt, dass ich doch gar kein so großes Problem damit hatte allein irgendwo im Ausland zu sein, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Ins kalte Wasser springen musste ich schließlich nicht selten. Jedenfalls glaubte ich eingangs doch wirklich, mich beim Angebot der Brünetten verhört zu haben und sah mit hochgezogener Augenbraue an. Suchte für einen Moment lang ihre Gesichtszüge nach irgendwelchen eindeutigen Anzeichen dafür ab, dass das nur ein dummer Witz war und sie das nicht ernst meinte - fand aber keine. Außerdem schien sich meine Frage von vorhin auch gleich mit erledigt zu haben, weil die Russin noch im selben Atemzug mit erwähnte, dass sie ihrem Bruder hin und wieder mal einen Besuch abstattete. So schlecht konnte das Verhältnis zu ihm also eher nicht sein, würde Vahagn ihn sonst sicher tunlichst meiden. Womöglich war er eines der wenigen positiven Dinge in ihrem Leben, aber da konnte ich wohl viel drüber nachdenken, wenn der Tag - oder der Flug - lang war. Würde sich mir schon auch noch offenbaren, sofern ich bis dahin nicht sowieso die Geduld verloren und selbst nachgefragt hatte. "Dann... sag ich da natürlich nicht nein.", ließ ich sie mit einem schwachen Grinsen und leicht schief gelegtem Kopf schließlich wissen, dass ich ein Angebot wie dieses kaum ausschlagen würde. Wieso sollte ich auch? Eine kleine Reise inklusive Vahagn klang durchweg verlockend. Die junge Frau bejahte auch meine Frage und so nickte ich noch während sie sprach ein bisschen. Wie gesagt waren wir beide hier ohnehin schon viel weiter gekommen, als ich mir zu Beginn erhofft hatte, also würde ich jetzt nicht meckern. "Dann hol' das lieber nach.", stimmte ich ihr zu, weil es nun mal einfach so war, dass man hier und da ein paar Stunden Schlaf nicht verschmähen durfte. Brauchte der Körper eben früher oder später, daran ließ sich Nichts rütteln. Also erhob ich mich langsam in aller Ruhe noch ein weiteres Mal vorsichtig von dem Sitz, blickte noch einmal kurz zu Vahagn und verabschiedete mich mit den Worten "Schlaf gut." vorerst von ihr, bevor ich mich wieder zu Ashton quälte. Der schlief nach wie vor, schnarchte inzwischen leise vor sich hin und so war meine nächste Amtshandlung meine Kopfhörer aus der Tasche zu kramen, die ich beim Einsteigen nur kurzerhand unter den Sitz geschoben hatte. Viel war da nicht drin. Nur das, was wegen dem Geld und den Klamotten in keine der anderen beiden Reisetaschen von mir mehr gepasst hatte. Ich warf nur noch einen letzten, kurzen Blick zu der Brünetten rüber, bevor ich mir noch eine die Kopfhörer aufsetzte und wenig später mit meinem Handy verband, nur um kurz darauf wieder das digitale Buch zu öffnen.
Es vergingen noch ein paar Stunden bis wir letztlich das erste Mal wieder auf festem Boden ankamen. Ich war um ehrlich zu sein auch heilfroh darum, weil mir langsam der Hintern weh tat und der untere Rücken bei meiner überwiegend schiefen Sitzerei auch anfing zu Zwicken. Dementsprechend hatte ich mich erst einmal ausgiebig gestreckt - sofern das mit kaputtem Arm und auch Bein möglich war - und mir provisorisch noch eine Schmerztablette eingeworfen, bevor es für einen Zwischenstopp aus dem Flugzeug raus ging. Ich hatte inzwischen doch ziemlich Hunger, weshalb ich mich dahingehend im ersten Moment einigen anderen von Hunters Schergen anschloss und mir bei einem Imbiss ein asiatisches Nudelgericht mitgehen ließ. Allerdings konnte ich auch beim Essen wegen den lästigen Stichwunden nicht lange stehen bleiben und schmiss mich letztlich auf eine der umstehenden Bänke, die wesentlich unbequemer als der Sitz im Flieger war. Nachdem ich mich satt gegessen hatte blieb ich zufrieden seufzend noch kurz sitzen und gab meinem Magen Zeit mit dem Verdauen anzufangen, bevor dann wieder mal die reizende Brünette unweit ihres Schoßhundes Holovanov in mein Blickfeld trat. Gerade zur rechten Zeit, wo sich doch eben erst eine Frage in meinem Hirn festgesetzt hatte. Also stand ich relativ zügig auf - was ich trotz Schmerzmittel ein kleines bisschen mit verzogenem Gesicht bereuen musste -, bevor ich halbwegs zeitnah zu den beiden aufschloss. "Sag mal... wie lang sind wir hier eigentlich? Reicht das für 'nen kurzen Ausflug?", fragte ich also ganz ungeniert nach. Immerhin hatten wir's vorhin erst übers Reisen gehabt und hey, bevor ich mir hier den Arsch endgültig wund saß, weil ich nicht lang stillstehen konnte und ein Rundgang am Flughafen doch reichlich sinnlos wäre - wieso nicht, wenn die Zeit für ein paar Minuten irgendwo in der Stadt ausreichte? Wenn Vahagn selbst nicht mitwollte müsste ich wohl noch andere Gesellschaft finden, aber irgendwer würde sich schon erbarmen. Hoffentlich.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Für gewöhnlich war Schlaf so eine Geschichte, in die ich mich mehr oder weniger hinein quälen musste. In der Regel brauchte es mich bestimmt an die dreißig bis sechzig Minuten, bis sich meine Gedanken so weit beruhigt hatten, dass dann in der darauffolgenden Stunde mit etwas Ruhe zu rechnen war, aber heute? Trotz des nicht zum Durchschlafen konzipierten Sitzes und den zwischenzeitlichen etwas lauteren Gesprächen hier in der First Class, brauchte ich vielleicht zehn, maximal fünfzehn Minuten, bis ich mich ins Land der Träume verabschiedet hatte und erst durch die Hand meines treuen Gefährten auf der Schulter wieder aufwachte. Holovanov war kurz vor der Landung noch einmal durch die Gänge gelaufen und hatte alle darum gebeten, sich wieder anzuschnallen, weil der Pilot bald in den Sinkflug übergehen würde. Und das hieß auch für mich, den Sitz in seine Ausgangsposition zurück zu schieben und mich aufrecht hinzusetzen, damit ich den Gurt anlegen konnte. Ich nickte meiner rechten Hand noch leicht zu, als er mich fragte, ob alles in Ordnung sei und gähnte dabei einmal ausgiebig, woraufhin sich der junge Mann mit einem leichten Grinsen auf den Lippen wieder in den hinten Teil des Flugzeugs verabschiedete. Noch immer ziemlich müde, streckte ich mich erst einmal so weit, wie das der kaputte Arm zuließ, dann wartete ich in aller Ruhe den Landevorgang ab. Als das Flugzeug immer ruhiger und langsamer wurde, schnallte ich mich bereits wieder ab und als die Geräusche der Triebwerke gänzlich verklungen waren, stand ich auf, um mich am Rest der Mannschaft vorbei ein weiteres Mal ins Cockpit zu begeben. Dort sprach ich wie immer - es war fast ein festes Ritual -, meinen Dank für den sicheren Flug aus, ehe ich mit meinen Männern die weitere Route besprach und was bei dem Zwischenstopp in Lissabon jetzt gleich alles anstehen würde. Zu allererst würde das Flugzeug neu betankt werden, um auch den Rest der darauffolgenden Zeit noch sicher durch die Wolken gleiten zu können. Dann stand noch ein allgemeiner Check der Maschine an und die Überwachung des Luftraums über dem Atlantik, weil beim Co-Piloten die Meldung eingegangen war, dass dort aktuell verstärkt auf fremde Flugzeuge oder Schiffe geachtet wurde, was mir überhaupt nicht gefiel. Vor der Abreise hatte ich mich extra noch einmal darum gekümmert, zu schauen, ob auch alles problemlos ablaufen würde, aber in der Zwischenzeit hatte sich da wohl ein kleines bisschen was geändert, was mich leise seufzen, aber verständnisvoll mit dem Kopf nicken ließ. Ich willigte ein, mir den Funkspruch anzuhören, sobald ich die Betankung überwacht und mir kurz die Beine vertreten hatte. Jene taten nach dem stundenlangen herumsitzen nämlich langsam weh und wollten ein bisschen bewegt werden. Ich begrüßte es daher sehr, dass sich die Tür des Fliegers alsbald öffnen sollte und wir über die Treppe schließlich einen Fuß aufs Festland setzen konnten. Daraufhin drehte ich mich einmal langsam um mich selbst, um mir einen Überblick zu verschaffen, wo wir uns befanden, bei dem ich am Ende feststellte, dass wir wie gewohnt am Arsch der Welt des Flughafens Lissabon auf einer vermutlich ausrangierten Landebahn befanden. Fernab vom regulären Flugverkehr, dafür in der Nähe von etlichen Fressbuden und der Bucht, die auf kurz oder lang in den Atlantik münden würde. Holovanov war hinter mir aus dem Flieger gestiegen und machte mich auf ein, auf uns zurollendes Fahrzeug aufmerksam. Ich musste in der Dunkelheit - war es doch schon relativ spät - die Augen ein wenig zusammenkneifen um zu erkennen, dass es sich dabei um das Tankfahrzeug handelte, neben dem ich kurzerhand her lief, um ihn zum Einfüllstutzen des Superjets 100 zu lotsen. Gemeinsam mit dem Mitarbeiter einer ortsansässigen, privaten Fluggesellschaft - die offiziell im Register der unzähligen Flughäfen geführt war, aber ganz inoffiziell Migranten ins Land brachte - überwachte ich den Vorgang für eine Weile, bis ich mir sicher war, dass das Kerosin auch ja da ankam, wo es gebraucht wurde, ehe ich das Flugzeug erneut umrundete, um Vova einzusammeln, der geduldig auf mich gewartet hatte, damit wir ein wenig Proviant einkaufen gehen konnten. Ich persönlich brauchte für den restlichen Flug noch das ein oder andere Obst, wollte nicht nur einen Haufen Fast Food aus einen der überteuerten Buden hier mitnehmen, sondern meinen Körper tatsächlich mit so etwas wie Vitaminen beim Heilungsprozess unterstützen. Noch bevor wir allerdings den Flugplatz gänzlich verlassen hatte, sah ich aus dem Augenwinkel Tauren auf uns zu humpeln, der uns prompt mit ein paar Fragen bombardierte, noch bevor ich überhaupt hatte Luft holen können. Offensichtlich hatte er sich bereits an einer der Fressbuden etwas zu Essen geholt, was wohl auch in meinem Fall gar nicht so schlecht gewesen wäre. Nur mit einer Hand ließ sich so schlecht eine Box voll Nudeln oder ein Döner halten. Also war ich dahingehend relativ eingeschränkt. Na ja. "Anderthalb Stunden sind wir auf jeden Fall noch hier.", antwortete ich knapp, wieder verhältnismäßig kühl im Vergleich zu unserem Gespräch von vorhin. Das lag aber nicht zuletzt daran, dass wir jetzt auch nicht mehr unter uns waren und ich alles daran setzte, den eiskalten Mantel in der Öffentlichkeit auch ja durchgängig zu tragen. Nicht, dass mich hier noch jemand von Herzen Lachen hörte. "Hast also ein bisschen Zeit, dir die Stadt anzugucken. In die Richtung geht es zum Meer. Ist ganz schön da.", gab ich ihm noch einen Tipp mit auf den Weg und hob zur Verdeutlichung den gesunden Arm in die Richtung, in der die Bucht lag, welche ich angesprochen hatte. Und die war wirklich wunderschön. Es war nicht das erste Mal für mich hier in Lissabon, zählte Portugal im Allgemeinen doch zu meinen liebsten Reisezielen der letzten Zeit. Aus dem Grund war mir auch die abgelegene Landebahn hier bekannt, die sich zwar noch immer auf dem Gelände des offiziellen Flughafens befand, jedoch mittlerweile außerhalb sämtlicher Tower lag. Auch der Typ, der das Flugzeug betankte war natürlich kein Fremder mehr, hatte er jetzt doch schon das ein oder andere mal dafür gesorgt, dass wir ohne Bedenken weiter fliegen konnten. Kostete mich in der Regel aber auch genug Geld, da konnte man das ja wohl schon erwarten.
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Vahagn ließ zum Glück gar nicht lange mit einer Antwort auf sich warten, auch wenn mir der Tonfall dabei nicht so wirklich gefiel. Aber klar, war wohl naheliegend, dass sie jetzt eher wieder die Schotten dicht machte. Je nachdem, was sie sich vorhin eingeschmissen hatte, war womöglich schon ein Teil der beflügelnden Wirkung verschwunden und außerdem waren wir jetzt eben nicht mehr allein. Trug sicherlich auch so seinen Teil dazu bei. In jedem Fall nahm ich aber, was ich kriegen konnte und eineinhalb Stunden klangen doch wirklich so, als wäre ein Ausflug gut machbar. Selbst für mich mit meiner vorübergehenden Gehbehinderung sollte das im Rahmen der Möglichkeiten liegen - erst recht, wenn das Meer offenbar gar nicht weit weg war. Ich folgte ihrer Hand mit meinem Blick, während sie in die entsprechende Richtung deutete und musste unwillkürlich zu lächeln anfangen. Südländisches Meer und das zum Greifen nah. Schon irgendwie ironisch, dass es erst den Krieg mit der italienischen Mafia brauchte, damit es mich ans andere Ende Europas verschlug, aber da wollte ich mich jetzt auch gar nicht drüber beschweren. Schließlich hatte ich mir das Leben als ein kleiner Anteil von Hunters Gefolgschaft damals selbst ausgesucht, auch wenn ich irgendwie schlicht nicht damit gerechnet hatte, dass Etwas dermaßen ausarten würde. Naja, jedenfalls wusste ich jetzt wo ich hin wollte und im Grunde auch mit wem, nur rechnete ich mir da gerade nicht so besonders gute Chancen aus. Die Russin war zwar nicht konkret abweisend, aber doch merklich kühler als noch vor ein paar Stunden, wo wir uns recht angeregt miteinander unterhalten hatten. "Klingt sehr verlockend.", stellte ich mit einem Lächeln erst einmal wahrheitsgemäß fest, dass mich die Aussicht auf die Bucht durchaus reizte. Zwar lag Oslo selbst auch in einer großen Bucht und zum Meer war es nicht wirklich weit, aber das war überhaupt nicht miteinander vergleichbar. Da war eben nicht dieser südeuropäische Flair vorhanden. Von mir aus hätten wir hier ja auch ruhig einen ganzen Tag Zwischenstopp machen können, aber das das nicht im Bereich des Möglichen - und vor allem Sinnvollen - lag, war leider eine unumstößliche Tatsache. "Hast du noch was Wichtiges zu tun? ... wenn nicht würd's mich freuen, wenn du mitkommst.", schob ich der Brünetten meine Frage zu, stützte mich weiter einseitig auf die Krücke. Laufen war angenehmer als zu Stehen, aber für den Moment war das Ganze erträglich. "Nicht, dass der Krüppel sich so ganz ohne Guide verläuft.", fügte ich noch ein paar sarkastische Worte hinzu und legte schwach grinsend den Kopf schief, während ich abwartend zu ihr rüber sah. War natürlich nicht ganz ernst gemeint - wenn man als Hunters Scherge keinen guten Orientierungssinn hatte oder zumindest entwickelte, dann war es ganz schnell vorbei mit einem. Man musste sich instinktiv unter Druck in der Nacht zurechtfinden können ohne erst darüber nachdenken zu müssen, sonst wurde man ganz schnell das Futter für andere Kriminelle. Aber hier und jetzt war es kein schlechter Vorwand dafür mich erstens nicht ganz ernst nehmen zu müssen und zweitens witterte ich trotz Vahagns wieder etwas distanzierterer Art eine winzige kleine Chance dafür, dass sie vielleicht trotzdem mitkam. Womöglich nur im Beisein ihres Schoßhundes, was dann weniger angenehm und entspannt wäre - aber immer noch besser, als ganz allein gehen zu müssen. Ich musste bei Verneinung der Brünetten wohl einfach darauf hoffen, dass Björn oder Ivar mitkamen. Ich war jetzt mit beiden nicht übermäßig eng befreundet, kannte sie aber ganz gut und sie waren beide noch etwas jünger als ich. Hatten damit am ehesten noch einen Drang danach, die Pause nicht nur zum Herumsitzen, sondern für eine kleine Erkundungstour zu nutzen. In Stein meißeln würde ich aber auch das nicht, weil besonders Ivar noch ziemlich angeschlagen von der Fehde mit den Italienern war - naja, mal sehen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Eigentlich hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass ich Tauren nach den hoffnungsvollen Worten im Flugzeug so schnell nicht mehr los werden würde, denn er hatte jetzt ganz offensichtlich Blut geleckt. Hatte festgestellt, dass ich ab und an doch ein wenig zugänglicher sein konnte, wenn ich das wollte, aber momentan... passte mir das eigentlich überhaupt nicht. Zwar lag die Verantwortung der Betankung und auch der Überprüfung des Flugzeuges nun ganz offiziell in den Händen meiner Männer und ich musste mich später nur noch um den Funkspruch kümmern, was hieß, dass ich tatsächlich so etwas wie ein bisschen Freizeit hatte, nur wollte ich die ursprünglich ein bisschen anders verbringen. Schließlich kaufte sich das Obst nicht von alleine ein und ich wollte außerdem schauen, ob der nahe gelegene, so spät noch geöffnete Supermarkt zufällig das tolle Parfum im Angebot hatte, welches sich sonst nur überteuert importieren ließ. Aber der Norweger, welcher wie ein kleines Häufchen Elend auf seiner Krücke stützend meine Antwort abwartete, schien meine Pläne dahingehend durchkreuzen zu wollen. Ich seufzte leise und wischte mir mit einer Hand etwas angestrengt über das Gesicht. Streng genommen hätte ich ihn jetzt einfach abweisen und ihn alleine losziehen lassen können, aber sollte er hier in der Stadt tatsächlich verloren gehen, könnte das auch für mich Ärger bedeuten. Zwar sollte jeder der Mitreisenden genug Verantwortung für sich selbst übernehmen können, aber es war ja auch irgendwo in meinem Interesse, dass die volle Anzahl an Passagieren unversehrt ins Flugzeug zurück kehrte, bedeutete das im Umkehrschluss natürlich auch mehr Geld für mich. Zumindest war das so mein Gedankengang, der schließlich als Ausrede herhalten musste, als ich mein Wort an meine rechte Hand richtete. Erst einmal bat ich ihn auf russisch darum, dass er alleine einkaufen gehen sollte und was genau ich mir wünschte. Er sollte sich zudem auch etwas für sich und Dmytro mitnehmen. Dann wechselten die Herkunft der Worte zu Englisch, weil Holovanov anders als der überwiegende Rest meiner Mannschaft der Weltsprache mächtig war. "Wenn wir in einer dreiviertel Stunde nicht zurück sind, kommt uns suchen. Ich bringe ihn zum Steg und pass auf, dass ihm nichts passiert.", war alles, was ich zum Abschluss noch von mir hören ließ und daraufhin nur ein knappes Nicken als Resonanz bekam. Ein etwas durchdringender Blick lag dagegen auf dem Norweger neben mir, zu dem ich mich umgedreht hatte, um ihn mit einem leichten Nicken in Richtung des Wassers zu lotsen. "Wir wollen ja nicht, dass Hunter mir den Kopf abreißt, wenn du plötzlich ins Wasser fällst und absäufst.", äußerte ich ihm gegenüber in einem hörbar ironischen Tonfall. War eben sehr unwahrscheinlich, dass ich ihm da hätte helfen können, wenn er tatsächlich ausrutschen und einen Abgang ins Wasser machen würde. Ich konnte zwar schwimmen, aber dafür brauchte man für gewöhnlich zwei Arme und na ja... was das anging, war ich nun mal etwas verhindert. Ich hatte gerade einen Fuß vor den anderen gesetzt, da packte mich Holovanov - zu seinem Glück an der unverletzten - Schulter, um mich noch einmal zu sich herum zu drehen und mir ein paar aufgebrachte, besorgte Worte entgegen zu bringen. Ob ich mir sicher war bei dem, was ich tat und ob er nicht doch lieber mitkommen sollte. Natürlich alles außerhalb eines für Tauren verständlichen Sprachgebrauchs, was bei dem kurzen Schlagabtausch beinahe den Anschein erweckte, als würden wir streiten. Dabei wurde ich einfach nur ein kleines bisschen lauter, bestimmter, als ich meine Befehle noch einmal wiederholte und damit schließlich für Ruhe sorgte. "Beweg' dich.", blaffte ich den jungen Mann, der sicher an die zwei bis drei Köpfe größer war als ich, noch an, dass er nicht dafür bezahlt wurde, mit mir zu diskutieren und meine Entscheidungen infrage zu stellen. Schließlich war ich nicht blöd genug, mich unbewaffnet in einer prinzipiell fremden Stadt zu bewegen, sollte Tauren also tatsächlich Faxen machen, dann konnte ich mich auch mit einem Arm wehren. Zum jetzigen Zeitpunkt ging ich allerdings nicht davon aus, dass ihm danach der Sinn stand. Warum auch? Das Gespräch von vorhin war nach anfänglichen Startschwierigkeiten doch noch wunderbar verlaufen. Gab also, aus meiner Sicht zumindest, keinen Grund, sich gegenseitig abstechen oder erschießen zu wollen.
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Im Grunde rechnete ich eher schon mit einer Abfuhr, nachdem Vahagn sich doch sichtlich entnervt übers Gesicht rieb. Da tat es mir dann - fast - ein kleines bisschen leid, dass ich mich ihr schon wieder aufhalsen wollte. Obwohl es das eigentlich nicht musste, weil ich doch wirklich ein sehr umgänglicher Mensch war und mich nicht einmal dran erinnern konnte, wann ich persönlich mal Irgendwem Probleme bereitet hatte. Ich wollte ja nicht von ihr, dass sie mich in einem Rollstuhl von A nach B schob oder mir irgendwie aktiv Personenschutz leistete, weil mich hier in Portugal wohl kaum Irgendwer suchen oder gar angreifen würde. Aber es war trotzdem einfacher, wenn ich mich nicht auf Verdacht allein in Richtung der Bucht schleppte. Die Russin blieb da eben schlicht meine erste Wahl, jetzt wo ich doch ganz gut wusste, dass sie sehr wohl auch anders konnte. Ich folgte dem Gespräch mit ihrem Handlanger nicht, weil ich von dem Gerede ohnehin nichts verstand, bis die Brünette letztlich ins Englische umschwenkte und damit wieder meine Ohren aufmerksam machte. Eine dreiviertel Stunde sollte sicherlich genug sein und so nickte ich die Sache geistig quasi mit ab, während ihr Handlanger das Ganze kurz darauf scheinbar weniger entspannt sah. Ich verfolgte das Szenario schweigend, wusste Vahagn doch schlicht und ergreifend am besten, was sie wollte. Ich stellte Hunters Belange auch nie in Frage und ich glaubte auch nicht, dass Ashton das tat... aber Hunter war auch keine lädierte junge Frau, also waren Holovanovs Bedenken womöglich doch ein bisschen begründet. Nicht, dass ich behaupten wollen würde, dass die hübsche Brünette nicht trotzdem sehr gut auf sich aufpassen konnte, kaputtes Schlüsselbein hin oder her. Jedenfalls war ich heilfroh darum, dass Vahagn sich weiter für den kleinen Ausflug mit mir aussprach und sich letztendlich dicht gefolgt von mir in die vorher angezeigte Richtung in Bewegung setzte. "Hab ich wohl Glück gehabt, dass du dich meinem lädierten Selbst freiwillig annimmst, hm?", fragte ich weiterhin ein wenig sarkastisch angehaucht und absolut rhetorisch, während wir die ersten Meter zurücklegten. War nüchtern betrachtet nämlich eigentlich gar keine so gute Idee hier jetzt loszuziehen, wenn wir doch beide nicht ganz fit waren. Zwar hatte ich hier eigentlich Nichts zu befürchten, aber wie es da um die Russin stand wusste ich nicht und mehr als mein Messer trug ich momentan auch nicht bei mir. Ich könnte dem Rückstoß einer Waffe in meinem derzeitigen Zustand schlicht kaum gegenhalten. Die Blutergüsse am Oberkörper waren auch noch nicht alle verschwunden, wäre alles in allem also einfach schrecklich schmerzhaft für mich. "Denkt er ich tu' dir was?", hakte ich dann aber doch mal nach, weil es mich einfach interessierte. Schließlich war ich so ungefähr die letzte Person der Insassen des Fliegers, die der Brünetten ein Haar krümmen würden. Ehrlich gesagt wusste ich auch nicht, was ich tun würde, wenn mir Hunter ernsthaft sowas auftragen würde - unabhängig davon, dass es hochgradig unwahrscheinlich war, dass der Amerikaner ausgerechnet mich mit einem solchen Attentat losschickte. Immerhin war Vahagn nicht einfach Irgendjemand, sondern schon eine namhafte Persönlichkeit. Das würde er vermutlich eher gleich selbst machen oder höchstens von Ashton durchführen lassen. Glücklicherweise hatte ich dahingehend als vermutlich eher nichts zu befürchten.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ich konnte den unzufriedenen Blick Holovanovs förmlich in meinem Rücken spüren, als ich ihm jenen zugewandt hatte, um mich kurz darauf mit dem ebenfalls gesundheitlich angeschlagenen Norweger in Bewegung zu setzen. Für Außenstehende mussten wir ganz sicher ein super Bild abgeben, wie wir uns mehr schlecht als recht in Richtung des Wasser begaben - wobei ich mit meinen Beinen ja Gott sei Dank keine Schwierigkeiten hatte, anders als Tauren, der buchstäblich am Krückstock lief. Nichtsdestotrotz würde wohl auch ich die Aufmerksamkeit von Passanten auf mich ziehen, stellte man sich doch immer gleich unweigerlich die Frage, was jemanden zugestoßen war, der seinen Arm in einer Schlinge mit sich trug. Ging zumindest mir so, vielleicht war ich dahingehend aber auch immer einfach nur neugierig. Jedenfalls brauchten wir uns keine Sorgen um etwaige fragende Blicke machen, denn die Straßen waren größtenteils leer. Hier und da vereinzelt mal eine Person, die zur späten Stunde noch unterwegs war, aber ansonsten nichts als anhaltende Ruhe. Wir hatten uns gerade ein paar Meter von meinem Handlanger entfernt gehabt, als ich auf die sarkastische Frage des jungen Mannes schwach grinsend mit dem Kopf schüttelte. "Solltest du, ja. Eigentlich habe ich noch ein bisschen was zutun, aber ich kann das nicht einfach so stehen lassen, dass du noch gar nichts von der Welt gesehen hast.", richtete ich ein paar deutlich ruhigere und weniger kühle Worte in Form einer Antwort an ihn, während ich mich seinem langsamen Tempo entsprechend angepasst neben ihm her bewegte. Dass Tauren nicht wie gewohnt einen schnellen Schritt an den Tag legen konnte, war offensichtlich, aber es war ja auch nicht weit und ganz so eilig hatten wir es schließlich auch nicht. Gab also keinen Grund, warum wir uns unnötig hetzen und uns beiden damit absolut keinen Gefallen tun sollten, indem wir uns nur noch mehr Schmerzen zufügten. Bei der zweiten, an mich gerichteten Frage verblasste das Grinsen allerdings sofort wieder und ich seufzte leise. "Ist 'nen bisschen komplizierter. Er gehört eigentlich gar nicht so richtig zu... mir. Und ja... hat schon so seine Gründe, warum er übervorsichtig ist, wenn ich mit Fremden alleine unterwegs bin. Liegt, denke ich, nicht unbedingt an dir. Oder vielleicht doch, aber dann eher wegen deiner Nationalität - er kann Norweger nicht ausstehen.", druckste ich mich um die eigentliche Wahrheit herum und versuchte die etwas verkrampfte Antwort gen Ende mit ein paar ironischen Worten aufzulockern. Fakt war jedoch, dass Holovanov ursprünglich für mich abgestellt wurde, um mehr oder weniger ein Auge auf mich zu haben. Sein eigentlicher Einsatzort war die Zentrale in Russland - bei meinem Bruder. Von dem ich Tauren jetzt auch schon das ein oder andere Mal erzählt hatte, wie mir rückblickend auffiel. So viel zum Thema, dass ich die Vergangenheit dort beließ, wo sie hingehörte. War nur gar nicht so einfach, wenn man sich plötzlich mit Jemanden unterhielt und man diesem Jemand gegenüber Dinge ansprach, die sich in ihrem Verlauf nur über die Vergangenheit erklären ließen. Unangenehm, wenn man mich fragte, denn irgendwie stand mir das ein kleines bisschen dabei im Weg, mich Tauren gegenüber noch etwas mehr zu öffnen, weil ich schlicht und ergreifend eigentlich nicht vor hatte, mich jetzt in eine Therapiestunde mit ihm zu begeben. Warum sollte ich auch? Würde ich das wollen, gab es zig andere Menschen in meinem Leben, die mich schon eine ganze Ecke länger kannten und denen ich ein Stück weit mehr vertraute, als dem demolierten Schönling hier zu meiner Rechten. Aber der Vorteil an einem Gespräch mit ihm wäre, dass er mit den Informationen im Prinzip überhaupt nichts anfangen konnte, oder? Wir würden uns aller Wahrscheinlichkeit nach vielleicht nur noch ein weiteres Mal sehen, aber das wäre es auch schon gewesen. Kontakt zu meinen Männer hatte er auch nicht, somit fiel auch das Risiko weg, dass dahingehend irgendwelche Informationen durchsickern würden, also warum sollte ich die Möglichkeit dann nicht nutzen, mich ein wenig bei ihm auszukotzen?
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Prompt waren wir unter uns schien die Brünette gleich wieder ein bisschen ungezwungener unterwegs zu sein. Nicht so locker wie noch im Flugzeug, aber doch schon merklich angenehmer, wenn man mich nach meiner Meinung fragte. Ich konnte mit sachlich-kühlem oder gar parallel noch gereizten Tonfall gut umgehen, hatte ich da doch den besten Lehrmeister gehabt, aber mir war ein entspanntes Gespräch bei Weitem lieber. "Dann lass' mich dir hiermit meinen aufrichtigen Dank aussprechen.", erwiderte ich gespielt hochtrabend, aber durchaus ernst gemeint. Schließlich wollte ich ja wirklich gern ein bisschen mehr von der Welt sehen und wenn das nur eine Bucht an der Küste Portugals für ein paar Minuten war. Das war in jedem Fall besser als weiter am Flughafen zu versauern. Flugzeuge und Landebahnen gab es wohl in jedem Land, da reizte mich das doch weit weniger als diese schöne Alternative - erst recht mit der reizenden Begleitung, die ich nicht missen wollte. Allerdings schien Vahagn meine noch folgende Frage eher ein wenig sauer aufzustoßen. Es schien mir im Gegenzug aber auch einfach schwierig zu sein mal Irgendwas zu fragen, das nicht zwangsläufig an irgendeiner Ecke eine Sache mit einband, über die sie ungern reden wollte. So beschloss ich gleich beim Wechsel ihres Gesichtsausdruck und dem wieder verhalteneren Tonfall das Thema besser schnell wieder zu begraben, beziehungsweise nicht weiter nachzuhaken und mich nur noch minder dazu zu äußern, während ich mich weiter mittels der Krücke vorwärts schleppte. War jetzt nicht so als müsste ich in Zeitlupe gehen, aber ich hinkte schlichtweg ziemlich und da war es nur gut, dass die Russin so nett war sich mir dahingehend anzupassen. "Da kann ich ihn wirklich beruhigen. Ich hab viel zu viel Skrupel, um auf eine Frau loszugehen... außer sie schießt auf mich, dann würd' ich's mir vermutlich nochmal überlegen.", offenbarte ich Vahagn mit ein paar weiteren Worten, dass ich es absolut nicht für gut befand, wenn sich Männer in einem der Geschlechter wegen ungleichen Zweikampf die Oberhand nahmen. Natürlich waren Frauen nicht per se alle schwach, aber nur die wenigsten hatten einem körperlich fitten Mann etwas entgegen zu setzen. Da brauchten sie eben schon eine gute Portion Glück oder eine Schusswaffe, womit sie zweifelsfrei ebenbürtig waren. Die Tödlichkeit einer Schussverletzung hing schließlich nicht vom Geschlecht der Person ab, die geschossen hatte. Wenn mein Leben da also wirklich in Gefahr wäre, war das eine andere Geschichte. Ohne Bewaffnung, die über Fäuste und ein schlichtes Messer hinausging, tat ich höchstens das Nötigste, um mich zu schützen - sprich mit geübten Handgriffen festhalten und im allerschlimmsten Fall ausknocken, aber das war es dann auch schon. Umgebracht wurde von mir so schnell keine. "Also nichts für ungut - ich glaub' schon, dass du mir durchaus was entgegenzusetzen hättest, wenn wir beide fit wären, aber... ich bin eben größer und ein Kerl.", hängte ich noch ein paar leicht entschuldigend klingende Worte mehr mit einem schwachen Grinsen ran, weil ich nicht wollte, dass es so klang, als würde ich der Brünetten mit starkem Charakter unterstellen, das sie unfähig war sich selbst zu verteidigen. Wäre dem so, stünde sie ja sicher nicht da, wo sie jetzt war. "Meine Nationalität hab ich ja jetzt mehr oder weniger auch abgelegt, also...", ging ich zum Schluss auch noch auf den letzten Satz ein, wobei ich nicht weniger ironisch klang. Schließlich war ich inoffiziell weiterhin fast vollblütiger Norweger, aber auf dem Papier sah das Alles jetzt ein bisschen anders aus. Nebenher ließ ich mich gerne auch ein bisschen von dem Geruch ablenken, der in der Luft lag - die frische Meeresbrise schien näher zu kommen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Und da war es wieder: das so geschätzte Taktgefühl des Norwegers. Ganz offensichtlich hatte Tauren trotz meiner Versuche, die Sache ein wenig lockerer zu sehen, direkt bemerkt, dass das Thema eher zu jenen gehörte, die ich lieber auf sich beruhen ließ, anstatt näher auf sie eingehen zu wollen. Prinzipiell handelte es sich hierbei ja jetzt um nichts Schlimmes und es war auch kein Geheimnis, dass Holovanov noch nicht lange bei mir in Italien war, aber ich konnte absolut nicht einschätzen, wie viele und vor allem welche Art von Rückfragen der junge Mann stellen würde, die ich entweder beantworten oder ihm stattdessen eine Szene machen musste. Und das war einfach der springende Punkt, an dem ich noch mit mir haderte, näher darauf einzugehen. Ich befand mich auf dem besten Wege, mich einfach mit dem Arsch drauf zu setzen, was für Gegenfragen mir Tauren stellen würde, weil es momentan nur Vorteile zu geben schien, einfach mal ein wenig zu reden, zu verarbeiten, aber zu hundert Prozent sicher war ich mir eben noch nicht. Dass der Invalide mir während meines Denkprozesses dazwischen grätschte und mich bedingt seiner folgenden Worte die Augenbrauen tief ins Gesicht ziehen ließ, machte das Ganze nicht unbedingt einfacher. Gerade deshalb nicht, weil ich die Worte jetzt schon wirklich oft gehört hatte - so oder so ähnlich nicht zuletzt aus Iljahs Mund. Er soll ja bloß ein bisschen auf dich aufpassen. Da draußen gibt es genug Männer, die sich durch ihre Stärke profilieren wollen und denen es egal ist, welches Geschlecht ihr Gegenüber hat. Es fühlte sich an, als hätten wir erst gestern über die Versetzung des Handlangers in ein anderes Land gesprochen, dabei war es jetzt bestimmt schon an die zwei Jahre her. Mochte ja sein, dass ich damals hilfebedürftig ausgesehen hatte, aber mittlerweile wusste ich mich auch einem Mann gegenüber zu verteidigen. Zumindest dann, wenn nicht gerade alles schief ging, was schiefgehen konnte. Kein Messer dabei, Hände gefesselt, Arm gebrochen... Solange ich körperlich bei guter Gesundheit war, hatte ich zumindest keine Angst, mich in einen Zweikampf zu begeben, wenn es unbedingt sein musste. Wie dieser ausging war dann zwar eine andere Geschichte, aber ich wollte das nur mal klar gestellt haben. Aus Prinzip war ich allerdings eher der Typ fürs Schießen. War halt weitaus sicherer und die Wahrscheinlichkeit, dass einem dabei die Nase gebrochen wurde, auch eher gering. Nichtsdestotrotz konnte ich diesen Spruch einfach nicht mehr hören, egal, wie ernst gemeint seine vorangegangene Entschuldigung auch sein mochte. "Ja ja, wie oft ich das jetzt schon gehört habe - es hängt mir echt zum Hals raus. Ich habe langsam verstanden, dass Männer von Natur aus stärker sind. Auch ohne, dass du oder mein Bruder mich da dran erinnern müsstet.", entgegnete ich also ein wenig genervt und rollte währenddessen leicht mit den Augen. Es brauchte vielleicht noch ein, zwei Minuten, bis das Wasser in mein Sichtfeld rückte und ich nach einer Möglichkeit zum Sitzen Ausschau hielt. Ich könnte zwar noch eine ganze Weile einfach hin und her laufen, weil wir ja ohnehin gleich wieder für mehrere Stunden sitzen würden, aber bei Tauren sah es dahingehend eher schlecht aus. Das dachte ich mir jedenfalls. Konnte natürlich auch sein, dass er sich fit wie ein Turnschuh fühlte und lieber noch ein paar Meter weiter laufen wollen würde, als sich hinzusetzen. Jedenfalls schob ich die Hand des gesunden Armes in meine Hosentasche, seufzte und entschied mich kurzerhand, ihn direkt darüber aufzuklären, warum er damit gerade einen mehr oder weniger wunden Punkt getroffen hatte. Ich war das Nachdenken langsam satt und verließ mich ganz einfach auf mein Bauchgefühl, welches mich in der Regel eigentlich nicht täuschte, wenn es um die Frage ging, was richtig und was falsch war. "Es nervt einfach... mit genau solchen Worten hat Iljah Holovanov an meiner Seite geparkt. Ich meine, nicht, dass ich jetzt schlecht über einen von beiden reden möchte, aber ich bin eine erwachsende, junge Frau. Ich weiß was ich tue und dafür brauche ich keinen Schoßhund, der rund um die Uhr ein Auge auf mich hat. Schließlich bin ich nicht auf den Kopf gefallen und weiß diesen misslichen Umstand in der Evolution schon ein bisschen zu kompensieren. Und wenn's halt mal nicht klappt, dann ist das wohl so. Aber ich möchte mir nicht vorwerfen müssen, mich nur hinter meinen Männern versteckt zu haben, weil ich als arme, schwächliche Frau nichts alleine geregelt kriege.", brachte ich die Sache schließlich auf den Punkt und sprach damit aus, was mir momentan so im Kopf herum schwirrte und eben auch - was sehr selten vorkam - worin gerade mein Problem mit Taurens Aussage begründet lag. Für gewöhnlich explodierte ich ja direkt wie eine Bombe, wenn ich mir auf den Schlips getreten fühlte, aber es schien, als könnte man bei dem jungen Mann auch auf anderem Wege etwas erreichen, als mit purer Gewalt und lautem Krach.
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Hach ja, da war sie wieder - die etwas zu empfindliche Ader der jungen Brünetten. Da hatte ich schon halbwegs sachte versucht außen herum zu manövrieren und hatte versehentlich trotzdem einen wunden Punkt getroffen, was nun echt nicht meine Absicht gewesen war. Aber ich ließ mich ja - wohl oder übel - auch eines Besseren belehren und schenkte ihren Worten weiterhin meine Aufmerksamkeit, sah auch immer wieder zu ihr rüber und musterte ihre Gesichtszüge, während sie mehr oder minder vor sich hin fluchte. War schon irgendwann verständlich - wenn man immer wieder auf ein und die gleiche Sache hingewiesen wurde und schlicht nichts an den gegebenen Tatsachen ändern konnte, dann nervte das. Man konnte sich dann auch ohne, dass einem das Irgendwer unter die Nase rieb, gut daran erinnern. Schließlich war es vermutlich unvermeidbar, dass es der Russin hier und da selbst auch mal auffiel, dass sie als Frau evolutionsbedingt eben weniger Kraft als ein Mann hatte. "Das... hab ich auch gar nicht so gemeint. Sorry.", ließ ich Vahagn leicht gemurmelt dieses Mal eine wortwörtliche Entschuldigung zukommen. Ich wollte nicht, dass sie mir das jetzt krumm nahm. Wollte ihr nicht auf die Nerven gehen, wo sie sich doch schon dazu abgerungen hatte mich auf meinem Weg hierhin zu begleiten. Bevor ich aber weiterredete kam das Wasser in Sicht und zog meine Augen damit für ein oder zwei Minuten gänzlich auf sich. Eigentlich war mir an sich schon danach, noch ein paar Meter zu laufen, aber zum einen tat mein Arm langsam von der Abstützerei weh und zum anderen wollte ich mein zweites, intaktes Bein nicht auch noch an eine Sehnen- oder Gelenksentzündung verlieren. Deswegen hielt ich selbst wohl ebenfalls nach einer Sitzgelegenheit Ausschau und wollte mich aber eigentlich ungern mit irgendeiner Bank zufrieden geben, die am Ende noch ein paar Meter weit vom Wasser weg stand. Aus Sicherheitsgründen oder was auch immer. Stattdessen ging ich noch ein paar Meter mehr neben der Brünetten her, weil ich weiter vorne eine nicht besonders hohe Mauer sah, die die Promenade direkt vom Wasser dahinter abtrennte. Sie schien auf den ersten Blick aus der Ferne eine bequeme Breite zum drauf sitzen zu haben, also sollte das mein Ziel werden. Bis wir dort ankamen fand ich meine Stimme aber trotzdem nochmal wieder. "Ich meine, wenn du unfähig wärst dich zu verteidigen, dann wärst du wohl kaum lebend aus dem von Italiern verseuchten Hotel gekommen, sondern hättest das One-Way-Ticket mit Leichensack gekriegt.", wollte ich mit ein paar wenigen, ruhigen Worten unterstreichen, dass ich sie nicht in irgendeine blöde Schublade hatte stecken wollen. "Und du wärst wohl kaum da, wo du jetzt bist... ich weiß zwar nicht was du genau Alles machst, aber wenn dir 'ne Horde Russen und Italiener folgt kannst du den Job ja nicht so verkehrt machen.", fügte ich ein paar weitere, gen Ende leicht sarkastische Worte hinzu. Ich meine, ich war eigentlich wirklich kein von Vorurteilen oder Klischees behafteter Mensch, aber alle Russen, die ich bisher gesehen oder mit denen ich geredet hatte, passten eben vollkommen in das Bild, dass die ganze Welt von jenen Landsleuten hatte. Ziemlich starrsinnig, forsch und optisch meistens auch so ein Volk für sich - ohne das böse zu meinen. Und was ich von Italienern hielt... na ja, Sabin war zwar schwer in Ordnung, aber ich hatte wirklich kein dringendes Bedürfnis noch mehr kennen zu lernen. Dahingehend hatte seine ehemalige Gefolgschaft gute Dienste geleistet. Kaum an der Mauer angekommen lehnte ich die Krücke an jene, nur um festzustellen, dass mein Vorhaben reichlich umständlich und vielleicht auch ein bisschen schmerzhaft werden würde. Da sich der Gedanke aber nicht mehr aus meinem Kopf vertreiben lassen, ich gern direkt am Wasser sitzen und die Füße darüber baumeln lassen wollte, kam folgendes Szenario: Ich lehnte die Krücke erstmal an die steinerne Mauer, die mir nicht mal ganz bis zur Hüfte ging. Setzte mich dann hin, was so weit auch nicht besonders schwer war. Das erste Bein bekam ich auch noch halbwegs sicher über die Mauer, aber mit dem zerstochenen wurde es dann schwer. Ich musste den einzigen funktionstüchtigen Arm wieder von der Mauer nehmen und ihn möglichst mit dem Rest meines Körpers gut ausbalanciert dazu kriegen, das kaputte Bein sachte mit anzuheben. Kaum hatte ich das Bein drüber geriet ich auch kurz ins Wanken und hielt mich reflexartig wieder an der Mauer fest. "Sag nix.", meinte ich kurz darauf nur grinsend von Ironie getränkt mit einem Kopfschütteln zu Vahagn, weil das Ganze sicher wahnsinnig bescheuert ausgesehen haben musste. Dann setzte ich mich noch ein bisschen zurecht und richtete den Blick wieder geradeaus aufs Wasser, weil das einfach schön anzusehen war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ja, eben! Ganz genau so war es und nicht anders, verdammt nochmal. Hätte ich damals keinen Weg gefunden, mich unter einem Haufen schießwütiger und schlecht gelaunter Männer zu behaupten, dann wäre ich mit jenen Leuten ja wohl kaum da, wo ich heute stand. Sie folgten mir blind, waren loyal und stellten bis auf ganz wenige Ausnahme keine, von mir getroffene Entscheidung infrage. Das kam nicht von irgendwoher oder weil ich einmal nett Bitte gesagt hatte. Nein, es hatte mich zahlreiche an Blut, Schweiß und zur damaligen Zeit noch Tränen gekostet, mich durchzusetzen, aber ich hatte es geschafft. Mir alleine den Respekt einer Anführerin erarbeitet und war dabei mehr als ein Mal auf die Schnauze gefallen. Es hatte mich mehr als ein Mal Knochenbrüche oder irgendeine andere Art von absolut unschönen Verletzungen gekostet, mir diesen Rang zu erarbeiten, da war es ziemlich frustrierend, wenn man weiterhin mit irgendwelchen blöden Vorurteilen zu kämpfen hatte. Tauren schien meinen Ärger in diese Richtung ganz augenscheinlich zu verstehen und entschuldigte sich umgehend für die anfangs nicht gerade weise gewählten Worte, was ich stillschweigend abnickte. Fürs Erste zumindest, er war ja noch lange nicht fertig mit reden und so wie er mich nicht unterbrochen hatte, unterbrach auch ich ihn nicht, als wir die letzten paar Meter bis zu einer Bank liefen. Diese wurde von dem Norweger allerdings links liegen gelassen, wollte er augenscheinlich also noch ein bisschen laufen. Das dachte ich zumindest, bis er an der Abtrennung der Promenade vom Wasser an einer kleinen Mauer anhielt, was mich ihn kurzzeitig fragend ansehen ließ. Wollte er jetzt hier stehen bleiben? Offensichtlich nicht, was er mir kurz darauf unmissverständlich klar machte, als er seine Gehhilfe abstellte, um sich nur wenige Sekunden später auf der Mauer niederzulassen, von wo aus er ziemlich abenteuerlich aussehende Manöver vollzog, die mich beinahe an die Grenze zum Herztod trieben, so unsicher, wie Tauren da hin und her wackelte. Anfangs war noch alles gut, alles schick gewesen, aber als es darum ging, auch noch das verletzte Bein über die Erhöhung zu hieven, hatte ich ihn sicherheitshalber mit einer Hand an der Schulter festgehalten. Nur für den Fall, dass er das Gleichgewicht verlor, wobei ich bezweifelte, dass ich dem Fall dann noch hätte entgegenwirken können. Wo wir dann wieder beim Thema evolutionstechnische Ungleichheit bei der Kräfteverteilung zwischen Mann und Frau waren. Gut, tief gefallen wäre er vielleicht nicht, aber wie bereits erwähnt, konnte ich unter den gegebenen Umständen momentan nicht den Rettungsschwimmer spielen, weshalb ich auf solche waghalsigen Vorhaben gut und gerne hätte verzichten können. Gen Ende, als ich dachte, es wäre geschafft, geriet der junge Mann nämlich tatsächlich noch einmal ins Straucheln und ließ zusätzlich zu dem beinahe einsetzenden Herzinfarktes gleich auch den Druck auf meiner Hand erhöhen, um ihn unsanft, wenn auch nicht besonders grob, auf die Mauer zu drücken. "Herrgott noch mal.", fluchte ich leise, weil das plötzliche Zusammenziehen sämtlicher Muskeln durch den Schreck auch die meines linken Armes inkludierte, was wiederum ein unangenehmes Zwicken rund um den Einschuss zur Folge hatte. Als der stechende Schmerz nach einigen Sekunden abgeklungen und wieder einigermaßen auszuhalten war, ließ auch ich mich auf der Mauer nieder, wobei ich deutlich weniger Probleme damit hatte, meine Beine auf die andere Seite zu befördern. Nachdem wir also eine halbwegs bequeme, mit den Füßen über dem Wasser baumelnde, Position eingenommen hatten, genoss ich für ein paar Minuten die dann einkehrende Ruhe und den tollen Ausblick, ehe ich ein paar leise Worte von mir hören ließ. "Ich kann mir vorstellen, dass du das vorhin nicht so gemeint hast.", spielte ich auf seine Entschuldigung bezüglich der von seiner Seite aus weniger ernst gemeinten Worte an, die mich jedoch augenblicklich einen Gang höher hatten schalten lassen. "Aber wie du schon sagtest: Könnte ich mich nicht durchsetzen, hätte ich wohl kaum so viele Anhänger, die sich mir bereitwillig unterwerfen und ja, die Arbeit, die ich mache, ist nicht verkehrt. Sie ist sogar richtig gut und da fühle ich mich einfach vor den Kopf gestoßen, wenn mir so etwas wie körperliche Unterlegenheit unterstellt wird.", redete ich nachdenklich, den Blick stur auf das Meer gerichtet weiter. Zwar sah ich absolut keinen Grund, warum ich mich diesbezüglich rechtfertigen sollte, aber mir war gerade irgendwie danach. Einfach ein bisschen reden... "Ich wollte dich deswegen auch nicht so anranzen, aber es ist so viel einfacher, diese schroffen Worte jemanden an den Kopf zu schmeißen, der sie einfach so hinnimmt und sich bestenfalls noch entschuldigt, als Jemanden, der dann anfängt, mit mir zu diskutieren." Ja, das hörte sich nicht unbedingt fair an, aber immerhin war ich ehrlich und ließ Tauren wissen, dass er für mich momentan wie eine Art Punching Ball war. Schließlich hatte er mir angeboten, mich ihm gegenüber auszulassen, wenn ich dringend wen zum Reden brauchte und außerdem hatte er mich wissen lassen, dass er die fiesen Worte, sowie den schroffen Tonfall gut wegstecken konnte. Ich wollte hier jetzt also keine Beschwerden hören.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Nachdem wir uns beide von dem kurzzeitigen, von mir herauf beschwörten Schrecken erholt hatten, kehrte erstmal ein kleines bisschen Ruhe ein, was ich als wahnsinnig entspannend empfand. Allein schon wegen der leise vor sich hin rauschenden, eher nur kleinen Wellen und weil irgendwo im Hintergrund hier und da mal leise eine Möwe zu hören war. Zwar waren letztere, wenn man was zu Essen in der Hand hatte und es tagsüber war, durchaus nervig und gierig, wenn sie an Touristen gewohnt waren, aber das war im Hafengebiet Oslos nicht viel anders. War hier sicher eine andere Art von Möwe, aber klingen taten sie im Endeffekt wohl alle ziemlich gleich. Höchstens dann nicht mehr, wenn man sie nebeneinander setzte und schreien ließ, indem man ihnen ein Stück Brot oder Ähnliches hin schmiss, um das sie sich streiten konnten. Vahagn meldete sich schließlich aber doch wieder zu Wort und ich drehte langsam den Kopf in ihre Richtung, während ich ihr zuhörte. Nun ja, streng genommen blieb sie halt aber nun einmal unterlegen, ganz nüchtern betrachtet. Wenn man jetzt sämtliche Hilfsmittel wegließ, dann sah es für sie in einem Faustkampf mit einem geübten, männlichen Schläger schlichtweg nicht gut aus. Natürlich war es unrealistisch zu glauben, dass sie unbewaffnet aus dem Haus ging - weil so dumm in unserem Metier eigentlich gar keiner war und die junge Frau hier wohl erst recht nicht -, aber so rein theoretisch eben. Wäre jedoch natürlich nicht förderlich für dieses Gespräch das auch nochmal so zu sagen, weshalb ich diese Gedanken ganz gekonnt für mich behielt. Ich war schließlich nicht hergekommen, um mich ins Wasser schubsen zu lassen. "Alles gut, ich versteh das schon.", erwiderte ich also stattdessen mit einem leichten Nicken, was ja auch kein Stück gelogen war. Ich fände das Ganze an ihrer Stelle sicherlich auch nicht besonders nett, also war das für mich damit erledigt. Bei ihren folgenden Worten musste ich unwillkürlich lächeln und wusste nicht einmal wirklich, warum das so war. Vielleicht, weil es eine sehr indirekte Entschuldigung war. Oder aber einfach nur, weil sie so herrlich ehrlich war. Oder weil sie mehr oder weniger zugab, dass es doch gar nicht schlimm war sich ein bisschen mit mir zu unterhalten, weil ich einfach nicht der Typ Mensch war, der dann immer stur dagegen hielt. Vielleicht auch ein bisschen von allem zusammen. Ich mochte diese Eigenschaft an mir und fühlte mich schlichtweg gut damit, durch ihre Worte zusätzlich etwas bestätigt. "Naja, kommt wohl immer noch ein bisschen darauf an, was du sagst... aber bis ich mal ungemütlich werd' dauert's wirklich lang, das stimmt wohl.", meinte ich schulterzuckend und noch immer mit einem recht unbeschwerten Lächeln auf den Lippen. Ich war ganz sachlich betrachtet wohl der einzige Kerl in Hunters Reihen, der nicht schnell austickte. Die meisten fanden sich schon so bei dem Amerikaner ein und viele andere eigneten sich diese Eigenschaft im Verlauf der Zeit noch an. Zwar tickte kaum einer so schnell aus wie der Chef selbst, aber viel brauchte es bei den meisten eben trotzdem nicht, um ein gezücktes Messer oder Schlimmeres hervorzurufen. Ich war da ganz anders. Natürlich ließ ich mir grundlose Provokation gerade von Feinden nicht einfach so gefallen, aber ich ließ sie gar nicht erst mental so nahe an mich heran, dass sie mir mit ihren schlechten Drohungen und Beleidigungen Irgendwas konnten. Meine Gefühle ins Negative manipulierten, um sich durch Unachtsamkeit auf meiner Seite einen Vorteil zu erkaufen - nicht mit mir, da mussten sie echt früher aufstehen. "Früher hab' ich mir sowas mehr zu Herzen genommen, aber seit ein paar Jahren schalt' ich entweder nur noch auf Durchzug, wenn Jemand lauter wird oder lenke eben ein, wenn's wie in diesem Fall hier Sinn macht. Ich gehe Streit einfach gern aus dem Weg, beziehungsweise lasse ungern überhaupt erst einen entstehen.", hängte ich gegen Ende etwas nachdenklicher werdend noch ein paar mehr Worte hinten ran, ließ die Augen dabei zurück aufs Meer wandern und die Mundwinkel sanken von allein wieder zurück in eine neutrale Position. Ich fuhr mit dieser Methode ganz einfach wesentlich besser, machte mir im Nachhinein keine Gedanken mehr darüber - oder zumindest nur selten - und die Sache war dann erledigt. Ich hatte sämtliche meiner Kindheitsjahre damit verbracht zu lernen, wie man einen Streit am besten beilegte, um Schlägen zu entgehen. Nicht, als hätte das auch ausnahmslos immer funktioniert bei einem nüchtern sehr aggressiven Vater, aber es hatte mir doch immer wieder Schläge erspart, wenn ich ihm einfach Recht gegeben oder gespurt hatte, obwohl er oft nichts als Bullshit von sich gegeben hatte. Natürlich machte ich das so jetzt nicht mehr, inzwischen war ich schließlich mehr als ausreichend in der Lage dazu mich verbal oder auch körperlich zu wehren, wenn es notwendig war. Aber es war wohl einfach Fakt, dass ich Streit nicht leiden konnte. Erst recht nicht, wenn man mit ungeklärten Dingen im Raum stehend auseinander ging. Das Bedürfnis Unstimmigkeiten zu klären und zu beseitigen war meinerseits einfach sehr groß und das würde sich sehr sicher auch nie mehr ändern. "Jedenfalls bist du da an der richtigen Adresse und ich stell mich liebend gern weiterhin zur Verfügung.", schüttelte ich die eher unliebsamen Gedanken mit ein paar letzten Worten an die Brünette neben mir ab, weil ich nun wirklich nicht hergekommen war, um mir zum eine millionsten Mal den Kopf über meine kaputte Kindheit zu zerbrechen. Das konnte ich dann auch erst wieder machen, wenn ich allein war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Schön, dann schien das Thema ja für heute vom Tisch zu sein und ich hoffte stillschweigend, dass es auch dabei bleiben würde. Zum jetzigen Zeitpunkt ging ich jedoch stark davon aus, schließlich war Tauren, ebenso wenig wie ich selbst, nicht auf den Kopf gefallen und würde sich ganz bestimmt merken, dass er damit nichts als meinen Zorn auf sich zog. Sollte er doch dumm genug sein, die Geschichte noch ein weiteres Mal aufzurollen, würde meine Reaktion darauf jedoch ganz anders und bei weitem nicht mehr so gesittet ausfallen, das konnte ich ihm versprechen. Zwar war das im aktuellen Augenblick unerheblich, aber ich wollte es einfach klar gestellt haben. Für den Fall der Fälle eben. Mit einem leichten Nicken tat ich seine wenigen, verständnisvollen Worten ab, ehe ich mich von Antlitz des Meeres los riss, um mit meinem Blick stattdessen den seinen zu suchen. Ich lauschte den noch folgenden Worten aufmerksam, wobei ich unweigerlich ein kleines bisschen anfing zu lächeln. Er hob sich mit dieser Eigenschaft wohl ziemlich vom Rest der Truppe ab, aber das war in meinen Augen nicht immer etwas Schlechtes. Mir persönlich war es ja grundlegend egal, wie meine Männer charakterlich drauf waren, solange es ihrer Loyalität und der zu leistenden Arbeit keinen Abbruch tat, aber zwischen Hunters und meine Gruppierung Vergleiche aufzustellen war wohl auch ziemlich gewagt. Schließlich erwartete ich von meinen Handlangern nur äußerst selten, dass sie mal jemanden gezielt abmurksen sollten, stand bei mir eben der Transport von Ware im Fokus und mehr, als dem ein oder anderen nicht zahlungswilligen Kunden die Fresse zu polieren, kam, was physische Gewalt anging, in der Regel eigentlich nicht oft vor. Klar, nicht selten waren auch dadurch schon Leute gestorben, aber das Tatmotiv war eben nicht reine Willkür oder die Erfüllung eines Auftrags, sondern eher etwas in Richtung... Kollateralschaden. Ja, das traf den Nagel wohl auf den Kopf. Da wollte man dem Arschloch nur einen Denkzettel verpassen und jener kratzte aufgrund von schweren Hirnblutungen dann halt ab. Kam vor, war jetzt nichts Weltbewegendes - weder für mich, noch für einen meiner Männer. Aber gut, wie auch immer. Jedenfalls stellte ich mir jetzt bestimmt schon zum zweiten Mal am heutigen Abend die Frage, was ich davon halten sollte, mich einem empathischen Auftragskiller zu öffnen, den ich eigentlich überhaupt gar nicht kannte, aber noch bevor ich den Gedanken weiter ausführen konnte, schob ich ihn lieber beiseite. Ich wollte mir jetzt nicht den Kopf darüber zerbrechen, was passieren würde, wenn Variable x eintraf, sondern mich lieber voll und ganz auf mein Bauchgefühl verlassen. Und dieses sagte mir just in diesem Moment, dass ich sein Angebot einfach abnicken, akzeptieren und im besten Fall direkt darauf zurückgreifen sollte, weil sich über die Jahre doch schon Einiges angestaut hatte, was ich mir gerne einmal von der Seele geredet. Aber alles auf einmal... nein, dazu konnte ich mich erstens nicht überreden und zweitens, würde es wohl den zeitlichen Rahmen von fünfundvierzig Minuten ja sowas von sprengen. Also beließ ich es bei einem leisen Seufzen, als ich meinen Blick wieder aufs Meer richtete und das rechte Bein, wie so oft, an meinen Oberkörper zog, um den heilen Arm auf dem Knie abzulegen. "Danke, ich weiß dein Angebot zu schätzen.", hatte ich das heute nicht schon einmal gesagt? Na ja, bedanken konnte man sich wohl nie oft genug. "Wie lange steckst du denn jetzt schon... in der ganzen Scheiße? Also in dem kriminellen Metier, meine ich? Denn entweder scheinst du einen ziemlich unkaputtbaren Charakter zu haben oder du bist einfach noch ziemlich... unberührt.", fragte ich im Bezug auf seine Erklärung relativ vorsichtig, weil nun ich wider Erwarten diejenige war, die auf das Thema Vergangenheit zu sprechen kam. Das war aber ganz bewusst so gewollt, schien es mir nicht richtig, einfach vollkommen zusammenhangslos darauf loszureden, was bei mir in der letzten Zeit alles so schief gelaufen war. Und weil mir absolut kein besserer Einstieg für einen Smalltalk einfiel, musste eben diese ziemlich... stumpfe Frage herhalten, in der Hoffnung, dass sich zumindest der Verlauf des Gesprächs dann ein bisschen besser entwickelte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #