Sie hatte geahnt, dass er ihr damit kommen würde. Sie wollte ehrlich sein, ihm das gleiche Vertrauen schenken wie er ihr - und das war sein Dank. ~Das nennt man emotionale Erpressung, Mike. Und von dir hätte ich das nicht erwartet~, dachte sie verärgert, sagte es aber nicht laut. Hatte er denn nicht zugehört? Die Gang betraf sie nicht mehr, Dante war etwas wie ein Freund für sie. Ihn wollte sie nicht ausliefern, das hatte er nicht verdient. Nicht einmal er. Leslie kannte kein Erbarmen, als Mike sie so bittend ansah. "Er war für mich da, als du es nicht warst, Mike", sagte sie kühl und entzog ihm ihre Hände. Ihr war bewusst, dass das alles Andere als nett war, aber schliesslich hatte er sie eben nicht anders behandelt. "Und wenn du selber nicht weisst, ob mir unsere Beziehung nicht wichtiger ist als diese Freundschaft - darauf werde ich nicht antworten." Das Einzige, was sie in gewisser Weise traf, war, dass Mike weniger Zeit für sie haben würde. Noch weniger. Aber sie war sich sicher, dass sich das nicht ändern würde, wenn sie ihm die Informationen über Dante gab. Denn dann gäbe es ein anderes Problem, und danach wieder etwas. Es würde nie ein Ende haben, und Leslie war nicht so naiv, ihm das zu glauben. Und nun erschien es nur noch abwegiger, ihm davon zu erzählen, für Dante einige Aufträge ausgeführt zu haben. Es hatte sie Überwindung gekostet, ihm überhaupt von Dante Lockwood zu erzählen. Sie hatte erwartet, dass ihr Freund das verstehen und nachvollziehen konnte. Aber offensichtlich war dem nicht so. Auf seine letzte Frage antwortete sie mit einer Gegenfrage: "Was hat Dante überhaupt damit zu tun? Es sind die 'Panthers', die Schwierigkeiten verursachen werden. Nicht er." Ihr war die Lust vergangen, Mike über ihn aufzuklären; das hiess, sie hatte sie kaum je besessen. Vor ihrer Zeit als Paar, ganz am Anfang, da hatte sie auch nicht nach seinen Verflossenen gefragt. Leslie hatte ihm diese Privatsphäre gelassen. Wieso stand es ihr nicht zu, etwas, eine Person, für sich zu behalten?
"Soll ich dich dran erinnern, dass ich dich hab fliehen lassen, als du in Raphaels Büro eingedrungen warst? Hast du das etwa schon vergessen?" Er kochte vor Wut, benahm sich jedoch auch etwas trotzig, weil er nicht bekam, was er wollte. Dennoch fühlte es sich für hn an, als ob Leslie ihm in den Rücken fallen würde. Und warum? Weil sie einem "Freund" helfen wollte. Wie gut kannte sie ihn denn,dass sie ihn vor der Gang beschützen wollte? Mike hatte Dinge über diesen Mann gehört, die ihm ganz und gar nicht gefielen, ein grausam brutaler Mann. "Mir gefällt nicht, dass du dich mit so einer kranken Person abgibst. Weißt du, in was für eine Gefahr du dich begibst?", fragte er sie drängend. Er fuhr sich aufgebracht durch das Haar, stand auf, konnte nicht mehr ruhig dasitzen. Unruhig lief er auf und ab. ~Ich werde Leslie hinterherspionieren müssen.~ Innerlich hielt erinne.Konnte er wirklich so etwas tun? Seine eigene Freundin ausspionieren? Doch blieb ihm etwas anderes übrig? Er würde sehr vorsichtig sein müssen, denn Leslie kannte sein Gesicht, seinen Gang viel zu gut, sie würde ihn immer und überall erkennen. Ein schlechtes Gewissen machte sich in Mike breit. ~Nein, das kann ich nicht bringen.~
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Auch sie war wütend, aber sie wollte ihre Fassung nicht verlieren. Seine Antwort machte es jedoch schwer für sie, ihn nicht auch noch provozieren zu wollen. Und so rutschte vielleicht ein Satz hinaus, der nicht so klug war. "Du hättest es nicht tun müssen, es war deine Entscheidung. Und rate mal, dank welcher Person ich da drinnen war. Oder sollte ich sagen, für welche Person ich mich da hinein begeben habe?" Sie presste genervt die Lippen aufeinander und atmete tief aus. Aber dass Mike Dante als 'kranke Person' bezeichnete, war zu viel. "Dante ist keine Gefahr! Jedenfalls nicht für mich! Denkst du, du bist weniger krank? Wenn ich dich erinnern darf" - um seine eigenen Worte zu benutzen - "dann bist du in einer Gang, die sich 'Cold Killers' nennt." Inzwischen war sie selbst aufgestanden und hatte sich Mike in den Weg gestellt. Sie wollte, dass er sie ansah, wenn er schon unbedingt auf Streit aus war. Was sie für ihren Teil jedoch nicht wollte. Nun war sie es, die zögernd nach seiner Hand griff. "Mike", sagte Leslie und gab sich wirklich Mühe, ruhig zu klingen. "Stell dir doch einfach vor, du hättest mir das nicht erzählt. Du wüsstest nicht, wer Dante ist, und ich wüsste nicht, dass er in Gefahr ist. Dann würdest du auf eigene Faust dich auf die Suche nach ihm machen, als wäre nichts gewesen." Es war ein diplomatischer Vorschlag und sie hoffte, er war sich dessen bewusst. Allerdings konnte sie nicht garantieren, dass sie nicht trotzdem Dante warnen würde.
Er schaute sie zornig an, wollte ihr nicht zuhören. Mike lachte bitter und entzog ihr seine Hand. "Dann kann ich mich ja jetzt auf die Suche machen, nach deinem Dante." Er verließ ihr Zimmer und nahm seine Jacke vom Kleiderhaken. "Anscheinend fühlst du dich zu kranken Kerlen hingezogen", rief er gehässig. ~Irgendwie habe ich mir den Abend heute ganz anders vorgestellt.~ Mike hielt inne, rieb sich übers Gesicht. Kaum musste er mehr für die Gang tun, stritten sich Leslie und er, dabei hatten sie eigentlich eine gute Zeit miteinander gehabt. Er lehnte sich gegen die Wand, schlüpfte halbherzig in seine Schuhe hinein, langsam, da ihn plötzlich jegliche Energie verlassen hatte. Sein Zorn verrauchte schnell und zurück blieb nur ein dumpfes und beklemmendes Gefühl der Reue. Er atmete schwer aus, wollte nicht wieder hinaus in die kalte Nacht, sondern bei Leslie bleiben. Es tat ihm Leid, dass er sofort so giftig geworden war und sie auch noch versucht hatte, zu erpressen. Manchmal ging eben doch sein Temperament mit ihm durch, eine Charakterschwäche, eindeutig.
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~...Mein Dante? Ach, komm schon. Dein Ernst?~ Doch plötzlich war er wirklich aus dem Zimmer verschwunden. "Mike!" Sie unterdrückte einen Fluch, ging ihm aber nicht sofort hinterher. Eigentlich wollte sie schmollend in ihrem Zimmer zurückbleiben. Was sie jedoch nicht wollte, war, dass er ging. Leslie hatte sich so darauf gefreut, den Abend mit ihm zu verbringen. Gerade, weil er auch vor einigen Stunden erst so unsicher darum gebeten hatte. Das war es schliesslich, was sie dazu brachte, ihm doch in den Flur zu folgen. "Hey. Ich bin auch krank, okay? Das sind wir doch alle ein bisschen. Bleib hier. Bitte", sagte sie sanft und ein wenig verzweifelt. Sie stellte sich allerdings nicht vor die Tür. Wenn er gehen wollte, dann sollte er das eben tun. Es war dann allerdings seine Schuld, dass er die wenige Zeit, die sie miteinander verbrachten, noch weiter minimierte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen, aber das wollte sie nicht. Sie hatte keinen Grund dafür, jedenfalls nicht direkt. Oder so sah Leslie das jedenfalls nicht. Sie wusste jedoch nicht, wie sie ihn sonst hierbehalten sollte, falls er wirklich abhauen wollte. "Es ist spät, und es zieht ein Sturm auf. Geh nicht weg", bat sie. Und wenn sie dann weiter diskutieren würden, war es eben so. Obwohl sie das Gefühl hatte, dass sein Zorn für einen Moment verraucht war; jedenfalls schien er selbst etwas unsicher, was er tun sollte.
Mike sackte in sich zusammen. Er kickte die Schuhe weg und drehte sich zu Leslie um, zog sie an sich und umarmte sie fest. "Es tut mir Leid", flüsterte er mit erstickter Stimme. Er hatte sich kindisch und unfair Leslie gegenüber benommen, sie hatte das wirklich nicht verdient. "Ich respektiere deine Entscheidung." Mike brachte etwas Abstand zwischen sie beide, aber nur, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Er strich ihr mit der Hand über die Wange, legte jedoch kurz darauf seine Stirn in Falten und sagte:"Ich kann dich nicht davon abhalten, diesen Kerl weiterhin zu sehen oder?" Man hörte deutlich aus seiner Stimme heraus, dass ihm dieser Gedanke missfiel. ~Du hast gesagt, dass er nicht gefährlich für dich ist. Aber warum bist du dir da bloß so sicher?~ Tatsächlich begann nun ein richtiges Gewitter und er hörte, wie der Regen in Strömen gegen die Fenster klatschte. Ab und zu vernahm er ein Grollen, welches ihm eine Gänsehaut über den Körper jagen ließ. Seltsamerweise hoffte er darauf, dass dieser Dante womöglich bei diesem Gewitter umkam. ~Wahrscheinlich wäre dann meine Arbeit vorrüber. Obwohl, wahrscheinlich müsste ich dann trotzdem die Wohnung ausfindig machen.~ Am liebsten hätte er genervt gebrummelt, doch er ließ es sein, wollte sich stattdessen lieber auf Leslie konzentrieren und ihre gemeinsame Zeit genießen.
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Etwas überraschend war die Umarmung dann doch, selbst für Leslie, die sich mit launischen Menschen bestens auskennen sollte, wo sie doch oft selber einer war. Sie legte erleichtert ihre Arme um ihn. "Du musst dich nicht entschuldigen", antwortete sie und meinte es auch so. Dass es ihm leid tat, merkte sie ja daran, wie er sich verhielt. Auf seine Frage hin schüttelte sie zwar ehrlich, aber etwas hilflos den Kopf. "Nein. Er ist das, was einem Freund noch am Nähesten kommt. Ich meine, schau dir an, wenn ich sonst habe: Leonora." Es sollte nicht abfällig klingen, aber ob sie sie wirklich als Freundin bezeichnen konnte? Seltsamerweise dachte Leslie sogar, dass sie wahrscheinlich noch weniger vertrauenswürdig war als Dante. Und gerade in einer Stadt wie New York City war es nicht einfach, Leute zu finden, die aufrichtig und gut waren. Sie konnte zwar nicht behaupten, dass Dante es war, aber im Prinzip jetzt. Vielleicht war der neue Mitbewohner okay, aber den hatte sie auch noch nicht zu Gesicht bekommen. Leslie nahm Mike die Jacke wieder aus der Hand und hängte sie auf, wo sie vorher gewesen war. "Ich hasse es, mit dir zu streiten", sagte sie leise und strich ihm das zu lange Haar aus der Stirn.
Er seuftzte schwer. "Nun gut, aber bitte sei dann vorsichtig. Er mag zwar im Moment noch nett zu dir sein, aber er ist unberchenbar." ~Außerdem hab ich so ein ungutes Gefühl bei ihm.~ Dass er eifersüchtig war, wollte er ihr nicht sagen. Schließlich war es ihr einziger Freund. Und bei diesen Gedanken nagte es ihm unangenehm in der Magengegend. Doch er schob diesen Gedanken beiseite. Als Leslie ihm die Haare wegstrich, lächelte er kurz. "Ich muss wie wieder abschneiden. Aber ich komme einfach nicht dazu." Er küsste Leslie auf die Stirn und begab sich wieder in ihr Zimmer, setzte sich nun völlig entkräftet auf ihr Bett. "Wirst du mich immer noch lieben, wenn ich zu lange Haare habe?", fragte er sie scherzhaft. Die Erschöpfung in Mike wurde immer größer und er sehnte sich nach etwas Schlaf. Doch andererseits ließ ihn die Sache zwischen Leslie und Dante nicht in Ruhe. War Dante überhaupt einer von ihnen? ~Ganz bestimmt. Aber seltsamerwiese weiß niemand, in was für Tiere er sich verwandeln kann. Doch genug gedacht. Ich werde noch genügend Zeit haben, um darüber mir den Kopf zu zerbrechen.~
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Beinahe hätte sie aufgelacht, tat es jedoch nicht. ~Und das weisst du, weil du ihn persönlich kennst.~ Ironie war im Moment unangebracht, also sprach sie den Gedanken nicht aus. "Du bist doch auch unberechenbar", warf sie Mike stattdessen im Spass vor. Sie folgte ihm zurück ins Zimmer und setzte auf seinen Schoss, legte wieder ein wenig die Arme um seinen Körper. "Ich weiss nicht, muss ich?", witzelte sie. Einerseits war sie froh, dass der Streit vorbei war, andererseits war es seltsam, Spässe zu machen, wenn man vor zehn Minuten noch heftig diskutiert hatte. Irgendwie fand sie auch, dass die Sache noch kein richtiges Ende gefunden hatte. Bestimmt würden sie noch einmal darüber reden, aber nicht mehr heute. Mike sah müde aus, und sie war es ehrlich gesagt auch. Bis vor einer Stunde hatte Leslie schliesslich noch geschlafen, und die Müdigkeit war nur zeitweise aus Freude darüber, dass er doch gekommen war, verflogen. Nun kehrte sie jedoch langsam zurück und machte sich deutlich spürbar. "Was hältst du davon, wenn wir schlafen gehen?" Sie sprach aus, was sie wohl beide dachten. Morgen war auch noch ein Tag, und vielleicht war es gut (für Mike) mal eine Nacht über die Sache mit Dante zu schlafen. Leslie hatte ihn zwar noch etwas fragen wollen, aber das erschien ihr nicht mehr so wichtig. Wie gesagt, sie konnte das immer noch morgen tun.
"Das wäre wunderbar", sagte er lächelnd, schlang seine Arme um Leslie und ließ sich mit ihr nach hinten fallen. "So ein richtiges Bett ist viel bequemer, als die Matratzen in der Fabrikhalle", sagte Mike und sein Rücken stimmte ihm zu. Seine Augen fielen ihm immer wieder zu und schon etwas geistesabwesend strich er ihr durch das Haar. "Ok, komm, schlüpfen wir unter die Decke." Er ließ von ihr ab und zog sich bis auf seine Unterwäsche aus und kletterte dann unter die Decke. Er fühlte sich geborgen und all seine Anspannungen lößten sich in Luft auf. Immer war er aufmerksam, schaute sich skeptisch um, ob nicht jemand ihn verfolgte. Nur bei Leslie spürte er diese Paranoia, die seine Nerven zu belasten begann, nicht. Kurz kam ihn der Gedanke, dass er ja die Gang verlassen könnte, um mit Leslie ganz normal zu leben. Er musste deswegen leise auflachen. "Denkst du, dass wir jemals ein normales Leben führen werden?", fragte Mike seine Freundin müde, war kurz davor einzuschlafen, wollte jedoch unbedingt ihre Antwort hören. Angestrengt versuchte er wach zu bleiben, seine Augen konnte er schon nicht mehr offen halten. Der Regen prasselte weiter gegen die Fensterscheibe und erzeugte ein beruhiendes Geräusch.
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Sie lächelte in sich hinein, als er die Matratzen erklärte. Gott, wie lange war das her? Leslie befand sich schon mehr oder weniger in ihrem 'Pyjama', einzig ein Sweatshirt streifte sie noch über, weil es ihr in der Wohnung zu kalt war. "Du hast immer noch nicht deine eigene Wohnung?", fragte sie, obwohl sie es wüsste, wenn es so wäre. Hätte er ihr vermutlich erzählt. Sie schmiegte sich an Mike und schloss die Augen. Auch als er sie etwas fragte, öffnete sie sie nicht wieder. Ihr Geist war noch einigermassen wach, aber ihre Lider schmerzten beinahe vor Müdigkeit. "Niemals", antwortete sie und klang dabei auf eine Weise traurig. Denn nicht einmal, wenn sie aus New York weggingen, würden sie von ihrer Geschichte davon kommen. Irgendjemand oder -etwas würde es immer geben, das sie verfolgen oder gar zwingen würde umzukehren. Das war jedenfalls ihre Ansicht, denn Menschen wie Raphael - oder Blake, oder Dante - hatten ihre Leute überall. Davonlaufen hatte keinen Zweck. "Es wäre schön...", sagte sie noch leise und war dann wirklich kurz davor, einzuschlafen. "Gute Nacht, Mike." Les war froh, dass er da war.
Er wusste, dass Leslie recht hatte. Nach allem, was sie durchgemacht hatten, wäre ein normales Leben schier unmöglich. Bloß sehnte er sich gerade so sehr danach, dass er sich einbildete, dass wenn sie es bloß wirklich wollen würden, es auch irgendwie hinbekommen könnten. Seine Gedanken verhedderten sich immer mehr und er nuschelte gerade noch ein: "Schlaf gut", bevor er einschlief. Er wurde unsanft geweckt, indem die Tür von Leslies Zimmer aufgerissen wurde und Leonora hereinplatze. "Aufstehen! Leslie du hast Besu... Oh, du hast ja schon... Bitte sag mir nicht, dass er nackt ist." Mike hätte am liebsten sofort rumgejammert. "Hau ab", murmelte er verschlafen und fühlte sich überhaupt nicht ausgeruht. "Es ist schon 11 Uhr, meine Lieben. Wollt ihr nicht mal langsam aufstehen. Und Leslie, du musst mal kurz aufstehen. Bitte. Jetzt." ~Ganz schön ungeduldig, diese Leonora.~ Für seinen Geschmack war sie ihm viel zu wach für diesen Morgen. Er überlegte, ob er sie mit einer Socke berwefen sollte, doch da verließ sie schon das Zimmer. ~Auch gut.~ Er schmiegte sich wieder an Leslie und wollte einfach weiterschlafen.
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Nicht nur Mike wurde unsanft aus dem Schlaf gerissen. ~Nein. Nein, nein, nein...~ Nur weil es elf Uhr war, hiess es nicht, dass sie wegen dem viel geschlafen hatten. Gestern war es doch ziemlich spät geworden, und das entsprach nicht gerade dem Wach-werden und Aufstehen, dass sie sich vorgestellt hatte. Leslie stöhnte leise auf und drehte sich zu Mike, mit dem Gesicht weg von der Tür. Auf Leonoras regelrechte Salve von Worten reagierte sie gar nicht erst. "Nicht jetzt", sagte sie, wusste aber genau, dass das nichts bringen würde. Wenn sie nicht aufstand, würde Leonora in zwei Minuten wiederkommen, und das, bis sie sich in Bewegung gesetzt hatte. Also stieg sie doch aus dem Bett, wenn auch sehr widerwillig. "Sie hat gesagt: 'kurz', also geh ich nachher wieder ins Bett", murmelte sie zu sich selber, um sich zu beruhigen. Und weil sie Mikes Wärme und die Decke jetzt schon vermisste. "Gleich wieder da", sagte sie entschuldigend in Richtung von Mike und warf einen bedauernden Blick auf das Bett. Ein Seufzen entfuhr Leslie noch, ehe sie sich die Haare zurück strich und aus dem Zimmer trat. "Wer will was von mir?", fragte sie und klang sichtlich genervt. Konnte sie schon gut, trotz der Schlaftrunkenheit. ~Und wenn es nicht absolut notwendig ist, ich schwöre bei Leonoras Leben, kann sie was erleben...~
Er saß in der Küche, trank seinen Tee und lächelte kurz Leonora an, die sich wieder zu ihm gesellte. "Ich habe sie geweckt", teilte sie ihm mit. Dante nickte ihr zu. Er spürte, dass Leonora so etwas wie Enttäuschung ausstrahlte, wenn Leslie ebenfalls anwesend war, vielleicht sogar Eifersucht. Er war kein Idiot, er hatte Leonora sehr wohl immer in seinem Café bemerkt und ihre vielversprechenden Blicke. "Guten Morgen, Sonnenschein", sagte Dante mit einem kleinen Lächeln um die Mundwinkel herum. "Mach dich zurecht, wir haben heute eine Menge vor." Leslie sah sehr müde aus, er fragte sich, ob sie bis jetzt noch im Bett gelegen hatte.
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Aber natürlich. Sie hatte gewusst, dass es Dante war. Wer hätte es auch sonst sein sollen? Allerdings freute sie sich dieses Mal nicht besonders über seinen Anblick. Es war, als wollte er den vorläufig begrabenen Streit zwischen ihr und Mike geradezu provozieren. Das würde sie nicht zulassen. Dante bekam weder eine Begrüssung, noch ein Lächeln. "Du vielleicht, mein Tag fängt erst in ungefähr einer Stunde an", gab sie schlecht gelaunt zurück. Sie sass nicht ab, weil sie eigentlich sofort wieder verschwinden wollte. In ihr Bett. Zu Mike. "Wir reden heute Abend. Jetzt geh." Leslie vermied es absichtlich, seinen Namen auszusprechen. Es war ihr auch egal, wie forsch und unhöflich sie wirken musste, im Gegensatz zu Dante, der ganz der höfliche Engländer war. "Bitte", fügte sie hinzu und hoffte inständig, dass er seinen Tee zuende getrunken hatte. Dante konnte nicht einfach vorbei kommen, wenn er wollte. Er hätte gestern etwas sagen können, aber einfach hereinzuschneien und zu verlangen, dass sie sich fertigmachte um mit ihm mitzugehen - nein. Ganz sicher nicht. Leslie wollte ihn zwar sprechen, jedoch bestimmt nicht jetzt und mit Mike zwei Räume entfernt. Am Abend würde sie spazieren gehen, und Dante konnte sie dann schon finden oder auch anrufen, wie er wollte. Aber nicht jetzt.
Er hob eine Augenbraue an und musterte Leslie kritisch. ~Nanu? Wieso dieser scharfe Ton?~ Er konnte sich das nicht erklären. "Was ist denn hier los?", hörte er eine brummelige Stimme sagen. Hinter Leslie tauchte ihr Freund auf. Dieser besah ihn skeptisch. "Wer bist denn du?", sagte Mike und das nicht gerade freundlich. Dante unterdrückte ein Lächeln. "Ein Bekannter von Leonora und Leslie. Ich hatte etwas für heute geplant." Mike wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. "So..." Er wirkte noch verschlafener als Leslie und hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich vollständig zu bekleiden. "Bist du auch einer von uns?", fragte er nun, es klang neugierig. "Sag dus mir", entgegnete Dante und stellte seine Tasse ab. Mike, der offensichtlich für so ein Gespräch gerade nicht zu haben war, zuckte bloß mit den Schultern und verließ die Küche. "Also? Wie wärs, wenn wir heute etwas unternehmen, Leslie?", fragte Dante sie.
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Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie Mikes Stimme hinter sich vernahm. ~Oh mein... ~ Vor Schreck, weil sie ihn nicht gehört hatte und weil er Dante gegenüberstand, stützte sie sich einen Moment am Tisch ab, ehe sie sich wieder gefasst hatte. Bevor sie die Situation retten konnte - oder verschlimmern, wer wusste das bei Leslie schon so genau - war ihr Freund jedoch schon wieder aus der Küche verschwunden. Dankbar schloss sie kurz die Augen. Vielleicht auch, weil sie wirklich noch müde war. Als sie die Augen wieder öffnete, senkte sie den Blick auf Dante hinab. "Hast du mir nicht zugehört?", fragte sie genervt zurück. Offensichtlich hielt sie, wenn sie am Morgen noch müde war, niemanden aus ausser Mike. Und keine der beiden Personen, die im Raum standen, sahen ihm ähnlich. "Vor heute Abend unternehmen wir gar nichts, und du tauchst hier nicht mehr ohne Vorwarnung auf", entgegnete sie spitz. "Ich würde gerne wieder zurück ins Bett, wenn's genehm ist?", sagte sie und schnaubte leicht. Nein, der Morgen verlief so ganz und gar nicht ihrer Vorstellung. ~Wieso war er... Was wird Leonora denken? - Ach, egal.~, realisierte sie erst jetzt, dass Mike nicht der Meinung gewesen war, er müsse sich etwas überziehen. Sie sollte eindeutig wieder ins Bett.
"Glaubst du wirklich, dass er heute für dich Zeit haben wird? Dabei ist er doch auf der Suche. Wenn ich mich nicht irre, sucht er sogar mich", sagte er amüsiert. Leonora, die anscheinend gerade nicht durchblickte, schuate bloß stumm abwechselnd von Dante zu Leslie. "Du musst verstehen, dass ich dir noch nicht zu 100% vertarue, Leslie. Momentan bist du die einzig lebende Person die weiß, wo sich meine Wohnung befindet. Und du hast einen festen Freund, der rein zufälligerweise mich aufsoüren soll. Sollte er also urplötzlich vor meiner Tür stehen, weiß ich, wem ich das zu verdanken habe. Und ich wäre ziemlich enttäuscht, da wir beide uns doch so gut verstehen." Dante erhob sich und bedankte sich bei Leonora für den Tee. Er betrat den Flur und zog seinen Mantel an. "Dein Freund hat ein erstaunliches Temperament. Ich denke, wenn er wirklich verzweifelt ist, wird er alles dran setzen, meine Adresse zu bekommen. Sei also auf der Hut", sagte er, als er sich gerade die Schuhe anzog. Mit den Worten "Guten Tag", verabschiedete er sich.
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Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass sie nicht den ganzen Tag mit Mike verbringen würde, verbringen konnte. Das hatte sie weder erwartet noch gehofft. Dennoch tat es weh, dass Dante das aussprach. Sie hatte das Gefühl, dass er kein Recht dazu hatte, sich so in ihr Leben einzumischen. Er stiftete auch so genug Unruhe. Und sie war es leid, ständig übervorteilt und ausgenutzt zu werden. Von dem, was er sagte, liess Leslie sich nicht einschüchtern. Sie folgte ihm in den Flur. "Ich habe es ihm nicht erzählt, okay? Ich will mich da nicht einmischen, das ist nicht meine Sache." Sie war nicht mehr in der Gang und hatte absolut nichts damit zu tun, ausser, das Mike ihr Freund war. Es war nicht fair, dass man ihre Dinge anheften wollte, die sie nicht einmal betrafen. Also kam nun der bedeutend wichtigere Part: "Ja, Mike wird alles dafür tun, deine Wohnung zu finden. Und wenn er es schafft, dann ist es eben blöd gelaufen für dich. Ich werde ihm nicht helfen, aber ich werde dich auch nicht beschützen. Und das wirst du mir nicht anhängen können, weil du weisst, dass es nicht meine Schuld ist. Guten Tag", sagte sie eisig und hielt Dante die Tür auf. Im Moment hatte sie nicht besonders Lust, ihn am Abend zu treffen. Oder überhaupt sonst irgendwann. Sie war auch plötzlich nicht mehr sicher, ob sie es gut fand, ihn gestern Abend wiedergesehen zu haben. Es brachte nur Schwierigkeiten mit sich. Zum Beispiel den Streit mit Mike, den hätte sie verhindern können. Und damit diese schreckliche Szene eben. Ihr Schicksal schien sie gerade wirklich zu hassen, dabei war doch alles so gut gewesen. Oder wenigstens akzeptabel, konnte man sagen.
I thought of angels, choking on their halos, get them drunk on rose water. See how dirty I can get them, pulling out their fragile teeth and clip their tiny wings. #FallOutBoy #JustOneYesterday