Die Sekunden, die die Frau zum nachschauen brauchten, waren beinahe schlimmer als all verschiedenen Momente, in denen sie sich von Mike getrennt hatte. Denn hier ging es um Leben und Tod. Als die Dame ihr endlich antwortete, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Sie erwiderte sogar das Lächeln zaghaft - allerdings nur für einen kurzen Moment, dann legte sich ihre Stirn in Falten. "Und... also, unter den Toten auch nicht?", hauchte sie. Da Leslie jedoch fast sicher wusste, dass dies auch nicht der Fall war - die Empfangsdame wäre wohl kaum so freundlich und beruhigend gewesen, liefen ihr vor Erleichterung tatsächlich einige Tränen das Gesicht herunter. ~Ich will es aber von ihr hören... Oh Gott, danke... Und wenn er doch...?~ Plötzlich und ohne einen besonderen Zusammenhang kam ihr in den Sinn, dass sie völlig zerzaust aussehen musste, und sie strich sich die Haare glatt und zupfte an ihrer Jacke. Nun erinnerte sie sich auch, wie überstürzt sie Leonora verlassen hatte. ~Ich werde ihr eine Sms schreiben und mich entschuldigen, sobald ich hier Gewissheit habe.~
Das hätte sie gleich mitsagen können, da hatte die junge Frau recht. "Nein, auch nicht unter den Toten." Anscheinend war heute ein wahrer Glückstag für das Mädchen. Es hieß zwar, dass die Verletzten und Toten Einbrecher gewesen waren, doch sie urteilte nicht. Sie kannte die Beweggründe nicht und sah vor sich nur ein verschrockenes Mädchen, dass sich um ihren Liebsten sorgte. "Bestimmt wartet er auf sie", fügte die Empfangsdame noch aufmunternd hinzu, als sie die Tränen über das Gesicht der Blonden kullern sah. Sie musste ihn wirklich lieben. ~So eine liebe Kleine...~ Es kamen hinter ihr plötzlich mehrere Leute angetrudelt, die ebenfalls wissen wollten, ob sich deren Angehörige unter den Opfern befanden. Sie lächelte nocheinmal dem Mädchen zu und wandte sich dann an die aufgeregten Menschen.
Won't you help me be on my way? - Angus & Julia Stone
Sie hatte es ja schon vermutet, aber dennoch war die Bestätigung noch einmal sehr erleichternd für sie. "Herzlichen Dank!", sagte sie und meinte es auch so. Auf dem Weg nach draussen schrieb sie Leonora die Sms. "Tut mir leid für eben. Bin auf dem Weg zurück." Nachdem sie sich ungesehen wieder in einen Vogel verwandelt hatte, flog sie zurück zum Flohmarkt. Wenn Leonora nicht mehr da war, dann würde sie eben zurück in die Wohnung gehen. Lange war sie nicht weg gewesen, vielleicht eine halbe Stunde. Aber Leslie konnte auch verstehen, falls Leonora sich auf den Heimweg gemacht hatte. Um einiges gemächlicher als zuvor flog sie zurück und drehte einige Kreise über dem Flohmarkt, in der Hoffnung, ihre Freundin wiederzufinden. Sie erblickte sie nicht, landete aber trotzdem, da sie noch einmal eine Runde drehen wollte. Viel Zeit, alles zu erkunden, hatte sie ja nicht gehabt. ~Vielleicht sollte ich auch Mike mal anrufen...~
Sie saß in der Küche und kraulte den schwarzen, schnurrenden Kater. Miauend war er ihr hinterhergelaufen und hatte sie somit überredet. Vielleicht tat so ein Kater der Gemeinschaft ganz gut. Sie musste selbstverständlich noch die anderen beiden fragen, ob das für sie in Ordnung ginge. An Davids Tür hatte sie noch nicht geklopft, trank erst einmal einen warmen Kaffee, um sich aufzuwärmen. Der Spiegel stand wartend im Flur, sie hatte es sich leicht gemacht und einem Jungen den Hals verdreht, damit er diesen für sie in ein Taxi schleppte. Bei diesem Gedanken musste Leonora lächeln. Wenn sie sich auf eines Verlassen konnte, dann auf ihren Charme, der die Männer betörte und die Frauen daz brache, sie zu hassen. Tatsächlich war Leslie das erste weibliche Geschöpf, die sie irgendwie Freundin nennen konnte. Noch war ihre Beziehung zu ihrer Mitbewohnerin etwas steif und merkwürdig, doch das würde sich bestimmt mit der Zeit legen. Der Kater uf ihrem Schoß gähnte. "Du bist aber auch echt niedlich", sagte sie zu diesem und er schaute sie aus dunklen Augen aus an. "Na dann, los geht's." Sie hob ihn hoch und lief mit ihm zu der Zimmertür von David, klopfte dreimal bestimmt an diese. Vielleicht war er nicht einmal zu Hause?
Mike (Mensch) Krankenhaus
Nur träge öffneten sich seine Augen. Es war trüb um ihn herum und er verstand nicht, wo er war. Mike versuchte sich aufzusetzen, doch er konnte es nicht, was ihn nur mehr aufbrachte. Ein Gerät, an das er angeschlossen war, begann laut zu Piepen, als er weiterhin versuchte, aufzustehen. Eine junge Frau kam herein und rief anscheinend nach weitern Pflegern. "Bitte beruhigen sie sich, sie müssen sich ausruhen", sagte nun eine Stimme ganz nah an seinem Ohr. Seine AUgen richteten sich auf das Gesicht, das links neben ihm aufgetaucht war, er hatte es nicht einmal wahrgenommen. "Wo..", fing er an, konnte jedoch nicht mehr weiterreden, da ihm das zu sehr weh tat. "Sie befinden sich im Krankenhaus. Keine Sorge, es geht ihnen gut. Sie dürfen sich bloß nicht aufregen. Haben sie Schmerzen?" So viele Informationen auf einmal. Er nickte bloß, wusste nicht einmal, ob er gerade wirklich welche hatte. Er wusste nur, dass ihm im nächsten Moment leichter wurde. Mike seuftzte leise und sah, wie sich nun die Menschen entfernten, außer der jungen Frau, die zu Anfang reingekommen war. Er sammelte seine gesamte Kraft und presste heraus: "Leslie? Blond, klein. War sie da?" Die Frau schaute ihn mit traurigen Augen an, obwohl sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen, sie lächelte nämlich immer noch. "Nein, sie war nicht da. Nur ein blondes Mädchen, dass sich als Freundin von einem Dante vorgestellt hat." Mikes Augen weiteten sich und sofort ging das Gerät wieder los, piepte laut. "Bitte beruhigen sie sich!" Doch Mike machte nun anstalten, sich aus dem Bett zu rollen. Als ob die Menschen aus dem Boden hochgeschossen waren, war der Raum wieder voll und hektisch. Er gab ein krächzendes Schreien von sich, als seine Arme an das Bettgestell befästigt wurden. Doch er wurde immer müder und müder und schließlich hörte er auf, sich zu wehren und schloss seine Augen, hätte vermutlich geweint, wäre er nicht so unglaublich müde.
Won't you help me be on my way? - Angus & Julia Stone
Nachdem Leonora und Leslie aufgebrochen waren, hatte er versucht, auf dem Sofa zu schlafen. Es erwies sich jedoch als zu kurz für seine langen Beine und ausserdem behagte ihm das helle Tageslicht nicht, weshalb er es sich kurzerhand als Kater gemütlich gemacht hatte. So konnte er sich erholen und war gleichzeitig wachsamer als in menschlicher Gestalt. Nicht, dass es einen Grund gegeben hätte, wachsam zu sein... oder machte er sich schon Sorgen wegen diesem Dante oder den Panthern? Wie auch immer, als Leonora alleine zurückkehrte, zuckte er die Ohren, blinzelte einmal und döste dann weiter, da sie ihn nicht bemerkt zu haben schien. Erst als er sie mit jemandem sprechen hörte und sie daraufhin in Richtung seines Zimmers lief, öffnete er die Augen ganz und streckte sich. ~Ist sie doch nicht alleine zurückgekommen?~ Er sprang vom Sofa und tapste in den Flur zu Leonora, blickte zu ihr hoch - und liess ein Fauchen von sich hören. Es war unwillkürlich passiert, was ihn beunruhigte, da er manchmal das Gefühl hatte, dass das Tier überhand gewann, wenn er dessen Gestalt benutzte. ~Aber die Vermutung stimmt. Ich wette, dass das kein normaler Kater ist.~ David verwandelte sich zurück und beäugte argwöhnisch das Fellbündel in Leonoras Armen. "Und was genau soll das?" Da sein Blick fest auf der Katze haftete, war unmissverständlich, was er mit 'das' gemeint hatte.
Leslie (Mensch) Flohmarkt - Manhattan
Als erstes schaute sie bei der Dame mit den Spiegeln vorbei, aber da ihrer nicht mehr da stand, vermutete sie, dass Leonora ihn doch irgendwie mitgenommen hatte. Danach lief sie durch die Menschenmenge und betrachtete die einzelnen Waren, die zum Verkauf angeboten wurden. Ihr Vorhaben, Mike zu benachrichtigen, hatte sie wieder vergessen, denn sie erachtete es nicht für wichtig, da sie ihn aus irgendwelchen Gründen nicht mit dem explodierten Loft in Verbindung brachte. Stattdessen kaufte sie sich eine hübsche Halskette, die ihr gefiel (und für die sie wahrscheinlich mehr zahlte, als sie wert war; nachdem der Verkäufer ihr Interesse bemerkt hatte) und ein Kerzenglas, das sie jetzt im Winter in ihrem Zimmer oder in Wohnzimmer hinstellen wollte. Als es für sie nichts mehr zu entdecken gab, machte sie sich auf den Heimweg. Dieses Mal machte Leslie einen Bogen um den Central Park, da sie keine Lust hatte, auf irgendwelche hysterische, verwirrte oder überreagierende Gang-Mitglieder zu treffen. Durch diesen Bogen kam sie an einem Lebensmittelhandel vorbei, den sie kurzerhand betrat, da sie vor wenigen Tagen erst gesehen hatte, wie es um ihre Vorräte stand. Nach diesem weiteren kleinen Einkauf hatte sie kalt und wollte endlich zurück in die Wärme, weshalb Leslie nun zielstrebig den Heimweg antrat.
Reflexartig drückte sie den Kater an sich und legte schützend eine Hand auf dessen schwarzes Fell. "Das ist ein Kater. Hast du keine Augen im Kopf?" Der Kater beäugte David neugierig, schien der Unterhaltung zuzuhören. Jedenfalls schien es so. Doch wirklich verstehen tat er ja sowieso nicht, was sie gerade besprachen. "Leslie und ich haben ihn im Park gefunden und irgendwie gerettet. Und seitdem läuft er uns hinterher..." Sie kraulte ihn leicht hinter seinem linken Ohr und leise begann das schwarze Fellbündel zu schnurren. "Schau doch. Er ist so niedlich. Außerdem kann so ein Haustier bestimmt nicht schaden. Es wird unsere Gemeinschaft nur fördern", sagte sie so optimistisch wie es nur ging. Um David auch ein wenig abzulenken, trat sie ein paar Schritte beiseite und deutete auf den großen Spiegel. "Den haben Leslie und ich ebenfalls gekauft. Der eignet sich doch mal total für unseren Flur. Findest du nicht?" Sie strahlte ihn, also den Spiegel, an und konnte sich schon vorstellen, wie die Gäste jedes al mit einem Staunen diesen betrachten würden. ~Welcher Besuch eigentlich? Mike? Oder mein Männerbesuch? Wohl kaum...~ Dann würde der Spiegel einfach Leslie und Leonora, vielleicht auch David erfreuen, wenn sie nah Hause kamen. Sie ging auf den Spiegel zu und sagte: "Schau mal, das bist du." Sie sprach mit dem ater. Dieser schaute mit tierischen Augen in den Spiegel, verlor bald das Interesse, hob den Kopf und miaute einmal. Leonora lachte auf und ließ ihn runter. Der Kater ging auf David zu und lief schnurrend zu seinen Beinen, schmiegte sich an diese und gab offenbar sein Bestes, das niedlichste Kätzchen auf der Welt zu sein.
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~Ich kann es immer noch nicht fassen. Hinter der Explosion steckt bestimmt Raphaels Gang, daran besteht kein Zweifel. Haben sie gar keine Skrupel? Sind ihnen denn alle Mittel recht? Wollten sie Dante etwa töten? Ich dachte, es ginge nur darum, ihn zu finden. Gut, dass ich Mike nicht geholfen habe. Dem werde ich meine Meinung sagen, wenn er sich wieder blicken lässt. Dachte er wirklich, ich würde ihm dabei helfen, Dante umzubringen?! Er hat ja schon immer Leute ausgenutzt, wenn es darum ging, an seine Ziele zu kommen. Ich hatte nur gehofft, es gäbe Dinge, vor denen er halt machen würde... Personen, vor denen er halt machen würde... mich... Ich kann nicht verstehen, wie ich einmal teil davon sein konnte. Nicht, dass ich jetzt ein guter Mensch wäre, leider nicht so gut, wie ich es gerne wäre - aber das hier? Das ist eine völlig neue Ebene. Das ist brutal. Das ist kindisch. Das ist... ich weiss es nicht. Ich kenne Dante ja nicht einmal besonders gut, ich weiss nicht, was zwischen ihnen vorgefallen ist. Trotzdem: Mike hat mir verschwiegen, dass sie ihn töten wollten. Wie kann er nur?~ Leslie war tief in ihre Gedanken versunken. Sie stapfte durch die verschneiten, matschigen Strassen, die morgen wohl vereist sein würden. In wenigen Stunden würde es bereits wieder dämmern. Sie war froh darüber, dass den Tag über beinahe immer viele Leute unterwegs waren, denn plötzlich fühlte sie sich schutzlos. Es war gefährlich in den Strassen New Yorks, das wurde ihr heute mehr denn je bewusst - und all diese Leute hatten keine Ahnung davon, was oder wer auf sie lauern könnte, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Sie taten Leslie deswegen leid, und zur selben Zeit fragte sie sich, ob es nicht besser wäre, wie sie ahnungslos zu sein.
David (Mensch) Wohnung
Er runzelte die Stirn und fixierte immer noch misstrauisch das Fellbündel in Leonoras Armen. "Hm", gab er nur von sich und machte keinerlei Anstalten, das Tier kennenlernen zu wollen, etwa dadurch, es an seiner Hand schnuppern zu lassen. ~Ich weiss ja nicht. Man denke nur an alle die Haare, die es hinterlässt... und ich bin immer noch nicht überzeugt, dass es ein normaler Streuner ist. Was ist, wenn es ein Panther ist, der uns ausspioniert?~ Als Leonora ihn jedoch auf den Spiegel aufmerksam machte, konnte er deutlich mehr Begeisterung zeigen. David lächelte und nickte zustimmend. Ja, der Spiegel gefiel ihm. "Er passt wirklich gut in den Flur", sagte er, um seiner Mitbewohnerin eine kleine Freude zu machen. Aber sie hatten wirklich ein hübsches Möbel erworben. Apropos - "Wo ist denn Leslie?", fragte David. Nicht, weil es ihn sonderlich interessierte, sondern mehr, weil es interessant war, dass Leonora alleine zurückgekehrt war. Beziehungsweise mit dem Kater, der gerade um seine Beine strich. Er ignorierte das Tier.
Als er den Spiegel lobte, strahlte Leonora vor Freude. "Er sieht so schön aus, wir mussten ihn einfach haben. Tatsächlich hat Leslie ihn ausgesucht. Ich wollte einen größeren haben." Dass der andere Spiegel auch noch mehr verzierter und beinahe schon überfüllt gewirkt hatte, sagte sie nicht, da sie schlichtweg diese Ansicht nicht vertrat. Sie runzelte ihre Stirn, als David sie fragte, wo denn überhaupt deren Mitbewohnerin sei. "Ich... weiß es nicht. Sie ist so plötzlich vom Flohmarkt geflohen. Vielleicht wegen dieser Exlosion, die in einem Loft stattgefunden hat. Vielleicht dachte sie sich, dass die ColdKillers etwas damit zu tun haben und sie erkundigt sich gerade nach Mike." Der Kater, der es offenbar ziemlich gemein von David fand, dass er ihn nicht beachtete, stolzierte in Leonoras Zimmer davon, schritt aber nur wenige Sekunden später wieder aus diesem hinaus, um in Leslies zu verwschwinden. Leonora fragte sich, ob ihr Zimmer vielleicht zu sehr nach Parfum und Kosmetikartikeln roch, was dem Kater zu unangenehm war. "Ich würde auch das Katzenklo beisteuern. Oder wir lassen ihn immer raus und er wird keine pure Hauskatze sein. Er scheint ja auch draußen gut zurecht zu kommen." Sie merkte, dass ihre letzten Worte gefährlich waren. Gefährlich in dem Sinne, dass David ihr zustimmen würde und kein Grund mehr darin bestehen würde, den schwarzen Kater zu behalten. "Aber etwas Liebe und Wärme würde ihm bestimmt gut tun. Und uns auch."
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Sie war nicht mehr weit von ihrer WG entfernt. Die Strassenecke war sogar schon in Sichtweite. Leslie war jedoch mitten auf der Strasse stehengeblieben und hatte ihr Handy hervorgekramt. Keine Nachricht von Mike. ~Verletzte und Tote~, klang es in ihren Ohren nach. Wen hatte Raphael geschickt, um den Anschlag zu verüben? Seine kleinen Handlanger oder doch wichtigere Mitglieder? Sie wählte Mikes Nummer, aber eine mechanische Stimme erzählte ihr, dass es den Anschluss nicht gab, den sie zu erreichen versuchte. ~So verzweifelt, wie er Dante finden wollte, muss er doch dabei gewesen sein, als das Loft explodiert ist...~ Endlich mischte sich Angst zur Wurt, die sie über ihren Freund verspürte. Nein - es war mehr, es war Panik. Ihr Herz fühlte sich an, als wenn es von einer eisigen Hand zerquetscht würde. Mittlerweile hupten die Autos, weil sie immer noch mitten auf der Kreuzung stand. Mit unsicheren Schritten überquerte sie die Strasse und klopfte gegen die Scheibe eines Taxis, die daraufhin heruntergelassen wurde. "Sind sie frei?" Tür öffnen, einsteigen, zuziehen. Losfahren, an jeder roten Ampel ungeduldig mit den Fingern auf ihren Oberschenkel trommeln, dem skeptischen Blick des Fahrers im Rückspiegel begegnen. Es sind nur zehn Minuten, fünfzehn. "Alles okay?" Tapfer nicken. Aus dem Fenster starren. Warten. Die Minuten ziehen sich wie Kaugummi. Endlich waren sie da. Leslie zahlte und stieg aus.
David (Mensch) Wohnung
Er, der selber erst von seinem Nickerchen aufgewacht war, schaute Leonora verwundert an. "Eine Explosion?", wiederholte er dümmlich. ~Verdammt, warum bekomme ich so Zeug eigentlich immer erst als Letzter mit?~ Die ganze Sache mit den Panthern, dem plötzlich auftauchenden Kater und jetzt noch die Explosion stank zum Himmel. Seine Härchen auf den Armen stellten sich auf. Er hatte ein ganz ungutes Gefühl. "Ja... Ja, bestimmt tut sie das." David sah zu, wie das Tier durch die Wohnung tigerte, als sei es bereits seine eigene. Der würde sich nicht als Hauskatze halten lassen, das konnte er auf den ersten Blick sehen. Hoffentlich würde der Kater in einigen Tagen selbst genug von ihnen drei haben und verschwinden. "Wie du möchtest. Aber ich fütter ihn weder durch noch reinige ich das Klo. Wenn du ihn behalten willst, übernimmst du die Verantwortung. Ich trau dem nicht über den Weg", sagte David misstrauisch, als das Tier in Leslies Zimmer verschwand. Leonora mochte ihn für verrückt halten, es war ihm egal - aber das mit dem schwarzen, teuflischen Tier etwas nicht stimmte, war für David klar.
Dass David die Information mit der Explosion scheinbar etwas mitnahm, nahm Leonora gar nicht wahr. Sie winkte bloß mit der Hand ab und gab ein: "Jaja", von sich, als er ihr erklärte, dass sie das Katzenklo zu säubern und den Napf zu füllen hätte. Sie hatte kein problem damit. Sie sah sich als Katzenmensch, konnte Hunde nicht so sehr leiden und das obwohl eine ihrer Tiergestalten die eines Wolfes war. Doch sie mochte ihre Tigergestalt sowieso viel lieber. Ihr viel schmerzlich auf, dass sie sich schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr hatte verwandeln können. Dieses normale Leben ließ sie normal werden. Ließ sie zu einer gewöhnlichen New Yorkerin werden. Ihre Mimik veränderte sich, als ihr das bewusst wurde. Ganz kalt und steif war plötzlich ihr Gesicht, wie das einer Porzellanpuppe. Hatte sie nicht abenteuerlich sein wollen? Stattdessen war sie auf einen Flohmarkt gegangen. ~Was ja auch sehr cool ist.~ Das stimmte zwar, doch wirklich aufregend war das vielleicht für 15 jährige Starbucks Mädchen, die dann Snapchat Stories hochluden oder so. Leonora fasste sich an die Stirn und runzelte sie. Was war sie doch für ein langweiliges Weib geworden. Sie schloss kurz ihre Augen, holte tief Luft und drappierte dann ihre Haare neu. "Lass uns irgendetwas anstellen, David!", sagte sie mit euphorischer Stimme, die schon verkündete, das sie nichts Gutes im Schilde führte.
Mike (Mensch) Krankenhaus
Dantes Freundin. Nicht seine? Hatten sie Schluss gemacht? Wieder? On. Off. On. War es nicht gerade On? Warum war denken bloß so schwer, so träge, wie ein Elefant an heißen Tagen, ein Afrikanischer, der hatte große Ohren, der konnte sich mit den großen Ohren Luft zuwedeln. Mike ließ mit geschlossenen Augen langsam seinen Kopf zur linken Schulter drehen. Dann zur rechten. Und genau das tat er die ganze Zeit. "Er hat schlimme Brandwunden. Und wir wissen immer noch nicht, wie sein Name lautet. Die Polizei würde gerne Fingerabdrücke nehmen, um zu schauen, ob er schon in deren Register ist, doch mit diesen Verletzungen ist das noch nicht möglich... Wir sollen sie aber auf dem Laufenden halten, er ist einer der wichtigesten Zeugen." Er war Zeuge, Zeuge des Feuers, der Hitze, ein Held. Er hatte Raphael gerettet. Hoffte er. Wo war er? Auch Dantes Freundin geworden? Wäre er nicht so schwach gewesen, hätte er aufgelacht. Er wollte schlafen, er war so müde. Doch Mike schaffte es nicht, diesen einen Schritt zu machen, der ihn in die Tiefen seines Unbewussten Denkens befördert hätte. Und so lag er da. Kopf links. Kopf rechts.
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Er zog seine Brauen hoch. Eigentlich glaubte er nicht so richtig daran, dass sie imstande war, für irgendetwas, geschweige denn ein Tier, Verantwortung zu übernehmen. Aber dann, wieder, wirkte der Kater durchaus so, als könne er sich im Notfall alleine durchschlagen, so wie er es bisher sowieso getan haben musste. Ein Einzelgänger. Einsam. Genau wie er, David. Auf einmal überkam ihn eine ungeheure Lust, sich zu betrinken und dann mit einem hübschen Mann zu vergnügen. Das sah ihm so gar nicht ähnlich, und deshalb reizte es ihn umso mehr. Auch in Leonora schien eine Veränderung vorzugehen, von der David bewusst nichts mitbekam, unterbewusst aber sehr wohl: Denn als sie auf einmal voller Tatendrang vorschlug, etwas anzustellen, war der plötzliche Themen- und Stimmungswechsel überhaupt nicht seltsam. Stattdessen war er Feuer und Flamme. "Zuerst was du willst. Und am Schluss in eine Bar", sagte er und seine Augen blitzten voll Unternehmungslust auf. Im Prinzip unterschieden sie sich nicht einmal so stark voneinander. Ausser, dass er vielleicht um einiges ehrlicher und korrekter als sie war. Aber zu ihrem Eigennutzen handelten sie beide.
Leslie (Mensch) Krankenhaus
Was sollte sie sagen? Wenn Mike wirklich unter den verletzten war - was dann? Die Empfangsdame hatte bestimmt nicht gewechselt in der letzten halben Stunde. ~Improvisieren.~ Sie schritt auf den Empfang zu. Die Dame erkannte sie, lächelte fragend. "Ehm, hallo nochmals. Habe ich mein Handy hier gelassen? Ich wollte - sie wissen schon, Dante, anrufen, aber habe mein Handy nicht gefunden." - "Nein, da wurde nichts abgegeben." - "Sicher? Könnten sie nicht noch einmal nachschauen? Ich mache mir solche Sorgen um ihn." Glaubhaft war sie allemal; ihre Stimme zitterte vor Aufregung, und sie konnte wetten, dass ihre Wangen ganz fleckig waren. Die Dame drehte sich zur Seite und wählte eine Nummer. Leslie beugte sich über die Theke. Da, in ordentlicher Handschrift: Zimmer 305 - 308, Explosionsopfer und daneben Fragezeichen bei allen Personen, die sie vermutlich nicht hatten identifizieren können. "...alles klar, danke. Nein, da wurde nichts - Miss? Miss?" Leslie hatte sich gerade noch in den Aufzug gezwängt, bevor dessen Türen schlossen, und schaffte es, sich dem Blick der Empfangsdame zu entziehen. Das hoffte sie jedenfalls. Ping, dritter Stock. Sie stieg aus, eine Krankenschwester ein. 303, 4, 5. Leslie sah sich um, öffnete die Tür einen Spalt und linste hinein. Sie kannte die Person nicht. Im Moment, als sie die Tür wieder ins Schloss zog, öffnete sich die 304 und zwei Krankenschwestern und ein Arzt kamen hinaus. Die halbe Sekunde reichte, um an den Umrissen von Füssen unter einer weissen Bettdecke die von Mike zu erkennen. Leslie senkte den Blick, als die Mediziner an ihr vorbeigingen, doch die waren so im Stress, dass sie sie gar nicht bemerkten. Sie öffnete die Tür zu Mikes Zimmer, schlüpfte hinein und blieb, als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, im Eingang stehen.
Davids Enthusiasmus stachelte Leonora bloß weiter an und beinahe schon fiebrig zählte sie an ihren Fingern die Möglichkeiten ab: "Also da gäbe es diese eine Wohnung, in die ich schon seit geraumer Zeit einbrechen wollte, es aber seltsamerweise nicht getan habe. Warum auch immer. Sehe ich immer auf dem Weg zur Arbeit, man, man, man, du wirst mir nicht glauben, was für Kram die haben. Bin einmal als Motte hochgeflogen und habe dank der ach so tollen bodenhohen Fenstern sehen können, was die für Zeugs haben. Dann gäbe es da noch dieses eine Sushi Restaurant, das ich auch gerne mal crashen würde... Außerdem hätte ich auch mal wieder Lust auf menschen verstören im Central Park, indem wir in unseren tierischen Gestalten sie berauben." War das wild genug? Aufregend genug? Sie wusste es gerade nicht so genau. SIe hatte das Gefühl, dass sie schon viel zu lang nichts mehr Verrücktes getan hätte und wenn sie nichts dagegen unternahm, würde sie es bald verlernen und in ihrer langweiligen Wohnung ein langweiliges Leben fühen. Doch sie war Leonora Sanchez, war in diese Stadt zurückgekommen, um ursprünglich ihren Bruder zu ermorden und nicht, um eine brave Hausfrau zu werden. Zwar war das mit der Ermordung auch nicht so gelaufen, wie sie gedacht hätte, aber gut. Auch nicht so schlimm.Solange sie von ihm in Ruhe gelassen wurde, war das schon in ordnung. Dann war er praktisch tot für sie. "Und in der Bar, helfe ich dir ein tolles Mädel abzuschleppen!", sagte Leonora mit sehr viel Eifer in der Stimme. Dass er schwul war, wusste sie offensichtlich nicht.
Mike (Mensch) Krankenhaus
Dumpf hörte er, wie Leute ein- und ausgingen. Er wusste, dass er nicht alleine in diesem Zimmer lag, neben ihm war auch jemand. Was es einer aus der Gang? Er hätte gerne die Augen geöffnet, doch sie fühlten sich an, als ob sie zugenäht worden wären.Dieser Gedanke versetzte ihn in Oanik, jedenfalls wäre sein Puls wohl nach oben gegangen, wenn er nicht gleichzeitig von den Schmerzmitteln so high gewesen wäre. Und so dachte er einfach nur sehr stark daran, seine Augenlider zu heben und siehe da, es funktionierte sogar. Zwar nur äußerst langsam, doch wenigstens etwas. Zuerst nahm er nur sehr verschwommen seine Umwelt wahr und seine Augen wollten auch nicht so recht fokussieren. Er drehte seinen Kopf in die Richtung, von der er dachte, dass wohl dort sein leidensgenosse lag. Doch er drehte sie zur Tür und starrte verwirrt die person an, die da stand. Er konnte nur die Umrisse erkennen, denn seine Augen begannen zu tränen vom Licht und das, obwohl es recht dämmtig gehalten wurde im Zimmer. War es wieder eine Krankenschwester? Wenn es männliche Krankenschwestern waren, hießen sie dann Krankenmänner? Er wollte fragen: "Wer ist da?", doch stattdessen kam nur ein krächzendes: "Wer?", aus ihm heraus.
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Belustigt verschränkte er die Arme. "Ich glaube, es reicht, wenn wir mit einem davon anfangen", sagte er bestimmt. "Lass uns in die Wohnung einbrechen. Was möchten wir denn stehlen? Für unser eigenes Appartement oder um es zu verkaufen oder beides?", zählte er geschäftig an den Fingern auf. David sah an sich runter. Umziehen müsste er sich nicht, nur Stiefel und eine Jacke überwerfen; er war bereit zum Aufbruch. Als sie sich anbot, ihm bei der Wahl seines 'Mädels' behilflich zu sein, lächelte er in sich hinein. David machte sich jedoch nicht die Mühe, sie zu korrigieren. Spielte es eine Rolle, dass er schwul war? Nein, also konnte er es auch dem Zufall überlassen, ob sie es herausfinden würde oder nicht. ~Es sei denn... Es sei denn, wir gehen in eine Schwulenbar. Dann sollte ich sie vielleicht vorwarnen.~ Aber vielleicht ergab sich am Ende ja auch gar nichts. Erst mal würden sie sich auf den Einbruch konzentrieren. "Sag mal, das Vieh willst du einfach unbeaufsichtigt in der Wohnung lassen? Mit dem stimmt doch was nicht", sagte er und blicke etwas skeptisch in Richtung von Leslies Zimmer.
Leslie (Mensch) Krankenhaus
~Mike, Mike...~ Obwohl sie vorher so unglaublich wütend auf ihn gewesen war, war sie jetzt nicht in der Lage, Wut empfinden. Wie könnte sie auch, wenn er von Kopf bis Fuss bandagiert und verarztet im Bett lag? Kaum ein Wort herausbrachte? Sein Anblick brach beinahe ihr Herz. Für die Person im Bett daneben hatte sie keinen Blick übrig; sie nahm sie nicht wahr, als ob sie nicht existierte. Leslie ging langsam näher. Sie nahm den Holzstuhl, der beim Tischchen stand, mit und stellte ihn neben Mikes Bett, vorsichtig darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen, die ihn erschrecken könnten. Ihre Bewegungen waren ganz langsam. Sie öffnete ihre Jacke, zog sie aus, hängte sie über die Lehne und setzte sich. Zuerst schaute sie ihn an. Selbst sein hübsches Gesicht war unter Verbänden versteckt, nur seine Augen lagen frei, völlig ermattet und ertrübt. Bestimmt von den Medikamenten. Behutsam nahm Leslie seine Hand in ihre und strich sanft darüber. Dann begann sie leise zu weinen.
"Also das eine Gemälde will ich unbedingt hier in unserer Wohnung aufhängen. Ich will gar nicht wissen, wie viel es gekostet hat." Leonora musste bei ihrem letzten Satz belustigt auflachen und fuhr dann fort: "Holen wir uns erst einmal so viel Kram wie möglich. Die einzige Bedingung: Es muss uns gefallen. Dann können wir ja sehen, was wir damit anstellen." Sie wedelte mit ihrer Hand herum, um zu zeigen, dass sie sich später darüber Gedanken machen würden. Jetzt galt es erst einmal wieder aufregend zu sein und sich lebendig zu fühlen. Wie lange war es schon her gewesen, dass sie so etwas unternommen hatte. Summend betrat sie ihr Zimmer, betrachtete ihren mit Klamotten bemüllten Bürostuhl. Sie kramte in in dem Haufen herum, griff zwischen die Hosen und Pullis, bis sie endlich den gesuchten Gegenstand in ihren Händen hielt. Ihren Gürteln mit den Messern dran, die sie so gekonnt werfen konnte, dass sie eine Fliege, die auf einem Tisch saß, an den Flügeln aufspießen konnte. Sie legte sich diesen um und kehrte zu David zurück, der wieder einmal etwas abfälliges über ihren neuen Mitbewohner sagte. "Was soll der schon anstellen? Es ist bloß ein Kater", sagte sie und unterdrückte einen allzu genervten Tonfall. Sie zog ihren Mantel an und schenkte David ein süffisantes Lächeln. "Also, wollen wir?" Manchmal wünschte sie sich, sie könnte sich in ein besseres Tier verwandeln, als in eine Motte. Es lohnte sich so gut wie nie von einem Ort zum nächsten zu fliegen, da sie in dieser Gestalt einfach furchtbar langsam war. Sie würden sich also ein Taxi holen müssen oder schlichtweg laufen. Leonora begann ebenfalls schon nachzudenken, in welche Bar sie dann mit David gehen wollte. Wenn sie ihre erbeuteten Schätze dann deponiert hätten, würden sie zur Feier des Tages einen Umtrunk machen. Vielleicht in der Bar, wo sie selber arbeitete? Dort würden sie einen Rabatt erhalten, das wäre der Vorteil. Doch war es eine so gute Idee, in ein Lokal zu gehen, dass sich so nah an der Wohnung befand, in die sie einbrechen wollte? Also lieber nicht. Sie würden schon etwas finden. Sie fragte sich, auf welche Art von Frauen David wohl stand. Zum ersten Mal sah sie ihn so aufgeregt. Normalerweise war er eher ruhig und gelassen, wenn nicht sogar desinteressiert. Manchmal nervte sie diese Haltung, da sie ihr etwas arrogant vorkam, doch dieser David, ja, das schien ein Kerl zu sein, mit dem man Abenteuer erleben konnte. Genau das brauchte sie jetzt. Nach ihrer Begegnung mit Blake war ihr wieder einmal nur allzu schmerzlich bewusst geworden, dass sie sich langsam zu einer verkorksten Person hin entwickelte. Also nichts wie weg von dieser langweiligen Zukunft und schnell etwas dagegen unternehmen! Kurz fragte sie sich, ob sie nicht Leslie eine Notiz hinterlassen sollten, doch dann entschied sie sich doch dagegen. Das einzige, was Leslie wohl stören würde, wäre, dass sie sie nicht mitgenommen hatten.
Mike (Mensch) Krankenhaus
Angestrengt beobachtete er die Person, die sich wortlos einen Stuhl nahm, sehr behutsam und dann neben sein Bett setzte. Eine Träne lief aus seinem rechten Auge, jedoch nicht, weil er traurig war, sondern weil seine Augen das Licht störte. Der Gast, es musste ein Gast sein, denn ein Arzt oder eine Krankenschwester hätte bestimmt etwas gesagt, nahm seine Hand und streichelte diese vorsichtig. Mikes Mund stand leicht offen, da seine Nase zu war, wie bei einem Schnupfen. Konzentriert schaute er von der Hand, die seine hielt, auf den Arm der zugehörigen Hand. Immer weiter hinauf mit dem Blick, bis er das Gesicht erblickte. Unter den Bandagen runzelte er sein Gesicht und seine Augen nahmen einen leicht verwirrten Blick an. Diese blonden Haare, diese braunen Augen. Eindeutig. "Leslie", sagte er mit kratziger Stimme und seine Unterlippe begann zu bluten, da seine Lippen so trocken waren. Er hätte gerne das Blut weggeleckt, doch seine Zunge fühlte sich so seltsam schwer an. Mike brachte tatsächlich ein Lächeln zustande, was nur dazu führte, dass ein kleines rotes Rinnsal an seinem Kinn langsam und träge hinabfloss. "Du hier?", fragte er und obwohl seine Stimme so ziemlich versagte, konnte man die Freude aus ihr heraushören. ~Nimm das, Dante! Leslie ist meine Freundin.~ Mikes Augen folgten der ersten Träne, die Leslies Wange hinablief und dann der zweiten und dritten. Er hätte ihr so gerne tröstende Worte zufeglüstert, doch er war zu müde. Außerdem wollte er auch etwas bemitleidet werden, denn seine Situation war alles andere als unterhaltsam. Es kostete ihn eine Menge Anstrengung, doch er nahm einen Finger von ihr in seine Hand und drückte diesen sacht. Gerne hätte er zu seiner Freundin gesagt, sie solle sich doch zu ihm legen, doch stattdessen kam nur ein Ächzen zustande. ~Hier muss doch irgendwo Wasser sein oder?~ Mike schaute Leslie eindringlich an und versuchte ihr diese Gedanken telepathisch mitzuteilen. Was er nicht wusste, war, dass sich eigentlich so gut wie gar nichts an seiner Mimik änderte.
Won't you help me be on my way? - Angus & Julia Stone
Er nickte zustimmend und lächelte. „Kunst. ‚Alle Kunst ist völlig nutzlos‘. Hat Oscar Wilde mal gesagt. Also müssen wir es haben.“ Was für Leonora vielleicht rätselhaft klingen mochte, machte für David Sinn. Er streifte einen Pullover über und trat in den Flur, wo er auf Leonora traf. Ihren Gürtel quittierte er mit einer hochgezogenen Braue. ~Ich dachte, wir gehen stehlen, nicht Leute verschnippeln.~ Aber er gab keinen Kommentar von sich, denn er hatte keine Lust auf eine weitere Diskussion. Das betraf auch die Sache mit dem Kater. Ihre Wohnung, ihre Regeln. Und wenn das Vieh an seine Sachen ging, würde es sich im eisigen Hudson River wiederfinden. „Wir gehen… mit dem Taxi?“, fragte er ungläubig, als sie keine Anstalten machte, sich zu verwandeln. „Und wie willst du das verfluchte Bild nach Hause bekommen? Den Taxifahrer ermorden?“, fragte er und deutete nun doch auf ihre Messer. David schüttelte den Kopf, dann lachte er. Schliesslich war das Stehlen sein Metier, nicht Leonoras. Nur klaute er normalerweise Dinge, die sich unter der Jacke verstecken liessen und keine grossen Gegenstände. „Wir werden ein Auto ausleihen müssen, wenn wir so viele Dinge mitgehen lassen werden, wie du behauptest“, sagte er entschieden. Nachdem er auch endlich in seine Schuhe und Jacke geschlüpft war, gingen sie los. Zu ihrem Vorteil war es schon drauf und dran zu dämmern, so dass sie die Nacht auf ihrer Seite hatten. Leonora musste zwar den Weg bestimmen, aber er konnte die Augen nach einem Vehikel offen halten, das nicht sofort vermisst werden würde.
Leslie (Mensch) Krankenhaus
Mit ihrer freien Hand kramte sie ein Taschentuch aus der linken Tasche ihrer Jacke. Als sie ein unbenutztes erwischt hatte, tupfte sie sacht die Bluttropfen von seinem Kinn. Sie schniefte, als er ihren Namen nannte, und drückte das Taschentuch gegen seine Lippen, vielleicht etwas fester als beabsichtigt. "Ja, ich bin hier. Ich wünschte, ich wäre es nicht, aber ich bin es nun mal." Sie klang nicht sauer, nicht aufgebracht, auch nicht genervt. Sondern so, als hätte sie ihn nach der Uhrzeit gefragt. Eher sanft sogar – ergeben war vielleicht das richtige Wort. Auf Mike wartete eine Diskussion, die mal wieder im Streit enden würde. Nicht jetzt und nicht morgen. Aber sie war unvermeidbar und Leslie graute es vor ihr. Ihr Blick begegnete seinem und sie nahm das Drücken ihres Fingers als Zärtlichkeit auf, woraufhin sie ihm ihre Finger entzog und das Gesicht in ihren Händen vergrub. Sie wusste immer noch nicht, ob Dante in Sicherheit war. Aber was sie wusste war, dass sich Mike seine schwerwiegenden Verbrennungen höchstwahrscheinlich beim Mordversuch an Dante geholt hatte. Das führte Leslie mehr als jeder Streit vor die Augen, mit wem sie zusammen war, und sie begann sich zu fragen, ob sie damit leben konnte: damit, einem Mörder. Sie wollte sich nicht von ihm trennen - nicht schon wieder, ha - aber es war klar, dass es Veränderungen geben musste und geben würde, ansonsten würde ihre Beziehung daran zerbrechen. Und sie wollte nicht ausprobieren, wie viele Brüche ihr Verhältnis noch durchmachen musste, bis der Schaden irreparabel war. Leslie wischte sich die Tränen fort, schnäuzte sich mit dem etwas blutigen Taschentuch die Nase und fokussierte ihren Blick wieder auf Mike. „Wie lange musst du hier bleiben?“, wollte sie wissen. Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. „Ich hatte solche Angst um dich“, gestand sie endlich und schluckte schwer. Mit dem Ärmel ihres Pullovers tupfte sie sich die Augen trocken, um nicht wieder zu weinen. Dann richtete sie sich auf. „Hast du Schmerzen? Soll ich eine Schwester rufen? Möchtest du Wasser? Sind die Bandagen locker genug?“ Es nützte ihr nichts, wie ein Häufchen Elend dazusitzen, und ihm noch viel weniger. Es war besser, wenn sie sich nützlich machte. Sich um ihn zu kümmern, würde sie ablenken.
Bei Davids philosophischem Erguss zog sie eine Augenbraue hoch und beließ es kommentarlos. Sie hatte sich noch nie so wirklich für Bücher oder Philosophie und den ganzen anderen Kram interessiert. Schöne Dinge mochte sie mehr, also Gemädle, Skulpturen etc. etc. etc. Auch seinen Blick, den er ihr schenkte, als er ihren Gürtel erblickte, ignorierte sie. Man konnte nie wissen und so waren sie sicherer. Außerdem versteckte sie doch den Gürtel unter ihrem Mantel, also war doch alles halb so wild. Sie zog die Tür hinter sich zu und schloss ab, lief die Treppen eilig runter und ging dann neben David her. Bei seinem nächsten Kommentar hätte sie gerne gesagt, dass sie kein Problem damit hätte den Taxifahrer zu zerschnippeln, vor allem könnte man sich doch vermummen und ihm drohen, aber dann hätte man Zeugen und... Sie mochte es nicht, wenn sie Unrecht hatte. Sie war impulsiv und temperamentvoll, sie konnte sich keine Pläne ausdenken, diese Aufgabe hatte sie immer anderen Köpfchen übergeben. Schon allein ihre Ankunft in New York war unbedacht gewesen, doch so war sie nun einmal. Immer dem Bauchgefühl folgen. Sie lief mit verschränkten Armen die Straße entlang und achtete darauf, nicht auszurutschen, denn es war immer noch kein Salz auf die Straßen und die Gehwege gestreut worden. Kurz fragte sie sich, wo denn jetzt eigentlich Leslie steckte, doch der Gedanke verschwand so schnell wie er auch gekommen war, denn jetzt war sie mit Wichtigerem beschäftigt. Ihr Blick suchte die Straßen und Seitenstraßen ab, doch in ihren Augen sah sie kein Fahrzeug, dass stehlenswert aussah. Diese Aufgabe würde sie wohl ebenfalls ihrem Mitbewohner überlassen. Sie war der direkte Typ, der einen unschuldigen Passanten mal ausrabute, Brieftasche und Uhr her, Geld raus, Geldbörse fallen lassen und weiter gehts. Solche großen Raubzüge hatte sie bis jetzt noch nie gemacht, was ihren Nervenkitzel umso steigerte. Nach außen hin wirkte sie zwar elektrisiert, aber nicht wie ein Frischling, der gerade etwas neues erlebte. Sie bewahrte immer noch ihre gefasste Maske.
Mike (Mensch) Krankenhaus
"Aaah", gab er kraftlos von sich, als sie seine Lippe abtupfte und dann ziemlich fest auf diese mit dem Taschentuch draufdrückte. So ganz verstand er diese Handlung nicht, doch sie war sowieso schon im nächsten Moment vergessen. Mike gab sich Mühe, ihren Satz zu verstehen. Wollte sie jetzt hier sein oder nicht? ~Warum sollte sie es nicht wollen? Ich bin ihr Freund.~ Wie um sich selbst zu beruhigen dachte er die ganze Zeit den letzten Satz, folgte mit trägen Augen ihren Bewegungen und schaute sie noch lange mit glasigen Augen an, obwohl sie ihm eine Frage gestellt hatte. Verspätet kam er zu sich und nuschelte: "Weiß nich". Momentan wusste er generell nicht sehr viel, die Erinnerungen kamen nur langsam zurück, was wahrscheinlich an seinen Schmerzmitteln lag. Sein gehirn arbeitete nur träge und refüllte momentan nur die Aufgaben, die die Leiden des Körpers senkten und sein Körper verlangte gerade nach Wasser. Stand nicht auf seinem Nachttisch ein Glas Wasser? Oder war es eine Flasche Wasser? Er hatte sie zwar nicht gesehen, aber er war sich sicher, dass dort so etwas in der Art stehen musste, das gehörte sich so. Als Leslie ihn mit weiteren Fragen durchlöcherte schüttelte er nur abwehrend seinen Kopf und murmelte leise: "Neinneinnein..." Er wollte jetzt nichts. Außer Wasser. Und Mitleid. "Leslie... Wasser", sagte er und bemerkte, dass er nicht mehr ihren Finger in der Hand hielt, als er diesen Drücken wollte, was aber auch selbsterklärend war, denn schließlich saß seine Freundin nicht mehr auf dem Stuhl, sondern stand neben dem Bett.
Won't you help me be on my way? - Angus & Julia Stone
Im Stillen amüsierte er sich darüber, dass die, die mit grosser Klappe und voller Tatendrang einen Einbruch vornehmen wollte, eigentlich keine Ahnung davon hatte, wie das gescheit anzustellen war. David selbst hatte zwar auch selten so etwas Grosses vorgenommen, aber er war bei einigen Raubtouren dabei gewesen und wusste in etwa, worauf sie achten mussten. Es wäre gut gewesen, wenn sie mehr als nur zwei Personen gewesen wären, von wegen Fluchtfahrzeug etc. etc. Aber es würde schon gehen, schliesslich waren sie übermenschlich. Er entdeckte einen schwarzen Honda, der scheinbar einige Jahre auf dem Buckel hatte und schon länger dastand, so dass er kaum vermisst werden würde. Möglichst unauffällig brach er, nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihn ausser Leonora niemand sah, die Tür auf. "Et voilà", sagte er zufrieden und löste die Zentralverriegelung. "Du kannst einsteigen." David selbst setzte sich vor das Steuerrad, begann unter der Armatur etwas zu hantieren und nach einigem Stottern brummte der Motor. "Du sagst mir, wo ich abbiegen muss. Los geht's", sagte er aufgedreht und fuhr aus der Seitengasse hinaus, um sich in den Verkehr zu reihen.
Leslie (Mensch) Krankenhaus
Die Sinne von Mike schienen ziemlich benebelt zu sein, weswegen sie schon froh darüber war, dass er seinen Wunsch nach Wasser mitteilen konnte. Erleichtert, etwas tun zu können, nahm sie die Flasche vom Nachttisch und goss Wasser hinein. Sie kniete sich neben das Bett, strich ihm das verschwitzte Haar aus der Stirn und führte dann ganz vorsichtig das Glas an seine Lippen, damit er daran nippen konnte. "Was mach ich nur mit dir", murmelte sie zu sich selbst und nahm das Glas immer wieder weg, damit er schlucken konnte. So ging das, bis er genug hatte, und sie stellte das Glas wieder hin. "Möchtest du etwas Ruhe, willst du schlafen?", fragte sie ihn und setzte sich vorsichtig auf den Bettrand. Leslie nahm seine Hand in ihre und strich sanft darüber. "Oder soll ich dir zur Ablenkung etwas erzählen?" Ihr fiel auf, dass sie sehr selten Gelegenheit dazu hatten, miteinander in aller Ruhe zu reden. Na gut, jetzt war es eher sie als er, die das Gespräch führte, aber trotzdem. Wie selten sassen sie beieinander, ohne spätestens nach einer eher kurzen Weile zu streiten. Ausserdem wollte Leslie auch sich selbst ablenken. Von einer Zukunft träumen oder in einer glücklichen Erinnerung schwelgen, weil sie wusste, das Ersteres meistens bald in pessimistische Gedanken umschwang.