Cosma kümmerte sich um die Gäste an den Tischen und schob mir demnach immer mal wieder nebenher Bestellzettel über die Theke, während sie schon weiter ihre Runden drehte, Leute begrüßte, weitere Bestellungen annahm, dann Cocktails oder Bier bei mir abholte, dann das Ganze wieder von vorne. Aber Alles in keinem allzu hektischen Tempo, wofür ich auch ehrlich dankbar war. Dadurch baute sich einfach kein zu großer Druck auf und ich konnte mich fast entspannt an die neue Arbeit gewöhnen. Ich hob schon automatisch den Blick von der Theke an, über die ich einmal fix drüber wischte, weil einer der Kunden beim Anheben des Glases ein klein wenig Bier verschüttet hatte. Kam vor, war nicht weiter tragisch. Jedenfalls bedeutete ich dem mir fremden jungen Mann mit einer kurzen Handgeste, dass ich gleich bei ihm sein würde, bevor ich noch das letzte bisschen Bier von der Theke entfernte und dann den Lappen wieder in der Nähe des Spülbeckens ablegte. Anschließend ging ich die zwei, drei Meter zu ihm rüber und schenkte ihm wie jedem anderen Kunden auch ein warmes, aber nicht zu aufdringliches Lächeln, bevor er mich auch schon begrüßte. Wirkte zumindest auf den ersten Blick so, als würde er auch zu dem netten Teil der Kundschaft gehören. "Hey... ja, erster Tag heute. Mal sehen, ob sie mich da behält.", meinte ich dazu mit einem leichten Schulterzucken, konnte ich doch noch nicht sagen, ob meine Anwesenheit hier von Dauer sein würde. Kam ganz darauf an, ob Cosma mich letztendlich für brauchbar befinden würde, oder eben nicht. Dann fiel mir wieder ein, dass er der Kerl war, der hier Geburtstag zu haben schien, war die Barchefin ihm doch vorhin um den Hals gefallen. "Alles Gute zum Geburtstag.", wünschte ich ihm, weil ich es schlicht für angebracht hielt, auch wenn er ein Fremder war. Gangster von der Mafia hin oder her, man hatte mir in meiner Kindheit Manieren und Anstand beigebracht. Anders hätte ich in dem Teufelskreis der Mafiosos auch gar nicht überlebt, war es doch oft wichtig gewesen, zur richtigen Zeit auch die richtigen Dinge zu sagen oder manchmal, wenn es angebracht war, auch einfach mal die Klappe zu halten. "Willst du was trinken?", hängte ich dann meinem Job getreu bleibend noch diese eine Frage an. Ich fand es ganz angenehm, dass die Musik hier drin nicht so laut war, wie in so manch anderer Bar. Deutlich hörbar und verständlich, aber nicht so ohrenbetäubend, dass man sich eher schon schreiend unterhalten musste. So reichte es, dass ich mich während der Unterhaltung ein klein wenig nach vorne beugte, um den Kerl besser verstehen zu können.
Okay. War also noch nichts in trockenen Tüchern. Ich nickte verständnisvoll. "Verstehe", untermauerte ich meine Aussage noch einmal verbal. "Und danke", hängte ich schließlich hinten dran. Zwar interessierten mich Geburtstagswünsche nicht sonderlich, aber ich wollte auch nicht unhöflich sein. Auf seine Frage nach einem Drink schnappte ich mir die Karte, die rechts leben mir auf der Theke lag. Ich wusste zwar von einem Großteil der Getränke hier, wollte heute aber gerne etwas neues ausprobieren. Nachdem ich fast eine ganze Minute schweigend nach einem geeigneten Drink gesucht hatte, seufzte ich schließlich. Nichts, was meiner aktuellen Laune entsprach. "Hmm, ich denke, ich überlass' das dir. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich trinken will und bin daher für Überraschungen offen", murmelte ich. Wenn man das Murmeln nennen konnte. Für Leute außerhalb der Bar würde ich jetzt vermutlich in normaler Lautstärke reden, aber in Anbetracht dessen, dass hier Musik lief, musste ich wohl ziemlich leise gewesen sein. "Du bist nicht von hier, oder?", wieder eine Frage, die ich mir hatte selbst beantworten können. Natürlich kam er nicht von hier. Mir war schon von Anfang an aufgefallen, dass Sabin kein Norwegisch sprach und auch der Akzent, den sein Englisch hatte ließ darauf schließen, dass er nicht aus der näheren Umgebung kam. Dahingehend war ich schon neugierig geworden, wie es halt so in meiner Natur lag. Aber ich wollte nicht aufdringlich wirken. Entsprechend würde ich das Gespräch vorsichtig anfangen und vielleicht nach ein, zwei Drinks näher darauf eingehen wollen. Aber fürs Erste brauchte ich ein paar Drinks um warm zu werden. Die Laune musste einfach deutlich besser werden, damit auch ich mich ein wenig entfalten konnte. Dann würden hier die Drinks auch auf mich gehen und ich würde zum achten Mal jedem erzählen, was für einen tollen Job ich doch hatte und welche Kunstwerke meine Liebsten waren.
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Ich nickte Mael noch einmal leicht zu, beließ die ersten beiden Aussagen dann aber auch damit. Was sollte ich auch noch großartig dazu sagen, war einfach nicht notwendig. Ich war vielleicht hier der neue Barkeeper, er hatte heute Geburtstag, Sache geklärt. Auf meine Frage hin schwieg er aber erstmal und sah sich die Karte an, obwohl er sicher öfter hier war, wenn ihm auffiel, dass ich sonst für gewöhnlich nicht hinter dieser Theke stand. Demnach würde er sicher auch die Karte kennen, zumindest halbwegs. Aber er schien nicht zu wissen, was er eigentlich wollte, wie mir seine Worte auch deutlich unterstrichen. Ich durfte mir also aussuchen, was der Kerl zu trinken kriegen würde. Das war zugegeben die erste richtige Hürde, die sich mir an diesem Abend stellte. Woher sollte ich wissen, was auch nur annähernd seine Geschmacksnerven traf, wenn ich ihn vor ein, zwei Minuten zum ersten Mal gesehen hatte? War er eher der Typ für herbe oder süße Cocktails? Shit, keine Ahnung. "Dann garantier' ich aber für Nichts.", stellte ich recht nachdenklich fest, ehe ich mich kurzerhand dazu entschied, einfach eine meiner eigenen Kreationen zu mischen. Nicht, als hätte ich damals bewusst einen eigenen Cocktail kreieren wollen, ich hatte viel mehr beschwipst versucht, aus einigen Resten etwas Brauchbares hinzukriegen. Hatte zum damaligen Zeitpunkt auch gut eine Stunde gedauert und mich Alles bis auf den letzten Tropfen gekostet, bis ich zufrieden gewesen war und gut was an Getränken verschwendet hatte. Aber gut, darüber hatte ich mir da auch keine Gedanken machen müssen. Was nicht mehr da war, wurde mir wieder gebracht, sobald ich das in Auftrag gab. Selber einkaufen gehen? Selten. Jedenfalls hatte ich mir eben jenen namenlosen Cocktail Zuhause dann hin und wieder nochmal gemischt und getrunken, ich müsste die Zutaten also doch noch ziemlich gut im Kopf haben. So mischte ich einige auf den ersten Blick ungewöhnliche Spirituosen und Säfte zusammen, die zu Beginn einen eher trockenen, herberen Geschmack hatten, weil der Alkohol durchkam, im Abgang aber doch süß wurden, weil sich dann der Saft noch deutlich bemerkbar machte. Wenn ihm das nicht passte, hatte er wohl einfach Pech. Ich schob ihm den Cocktail also schließlich - sogar perfektionistisch, wie ich es in Hinsicht auf Alkohol tatsächlich nur zu gerne war, noch mit ein, zwei Stücken Obst am Rand versehen - zu, nickte noch einmal leicht. "Steht zwar nicht auf der Karte, aber... ja.", kommentierte ich noch mehr oder weniger unsinnig, bevor meine Aufmerksamkeit dann seiner Frage galt, die er mir während des Mischens schon gestellt hatte. Ich war in meinem Job hier bisher aber noch nicht so ganz multitaskingfähig. "Nein... geborener Italiener. Bin erst vor kurzem nach Oslo gezogen.", gab ich ihm, wieder mit einem schwachen Lächeln, ein paar Eckdaten zu mir, bei denen ich keinen Grund dafür sah, sie ihm vorzuenthalten. Wieso auch, konnte er damit an sich ja nicht viel anfangen, außer meine Herkunft zu deuten. Weil gerade aber keine neuen Bestellungen eintrudelten und der erste Ansturm besänftigt schien, stützte ich mich erst einmal mit dem Arm auf der Theke ab, leicht in seine Richtung gelehnt. "Du wohnst schon länger hier, nehm ich an..?", stellte ich ihm eine Gegenfrage, einfach um das Gespräch am Laufen zu halten, solange ich Nichts zu tun hatte. Aufgefüllt werden musste auch noch Nichts, war also in Ordnung, soweit ich das sehen konnte. Wenn nicht, dann würde der kleine Teufel von Chefin mir das zeitnah mitteilen und unmissverständlich unter die Nase reiben, da war ich sicher.
Als ich merkte, dass Sabin seine ganze Konzentration in meinen etwas spezielleren Wunsch steckte, hielt ich so lange die Klappe, bis er sich mit dem fertigen Ergebnis zu mir umdrehte. Der Cocktail wanderte über die Theke und sprach mich zumindest optisch schon mal sehr an. Ich nickte ihm dankend zu, prostete ihm mit dem Glas in der Hand zu und nahm dann den ersten Schluck. Schmeckte gar nicht mal verkehrt. Zugegebenermaßen war ich ein wenig misstrauisch geworden, als ich gesehen hatte, was er da so alles rein gemischt hatte, aber es traf absolut meinen Geschmack. So passierte es, dass ich schon fast die Hälfte des Glases ausgetrunken hatte, bevor ich auf seine Frage einging. Allerdings nur sehr knapp, denn das, was er davor gesagt hatte, war für mich sehr viel interessanter. "Ehm, ja, ich lebe schon etwas länger hier... Italien sagtest du? Wenn du mich fragst, sind dort die besten Künstler geboren. Ich meine... da Vinci, Gentileschi, Caravaggio... ich liebe die Bilder!", euphorisch schlug ich das halbleere Glas auf den Tresen, verschüttete leider ein wenig des guten Fusels. "Sie hatten so viel Ausdruck in ihrem Bildern. Ich habe einige Originale ergattern können, mein Gott. Wenn du mal darüber nachdenkst. Manche von den Bildern sind mehrere hundert Jahre alt, aber so gut erhalten!", philosophierte ich weiter, bevor mir auffiel, dass ich für Außenstehende ein wenig verrückt rüber kommen müsste. So aus dem Nichts über so ein seltsames Thema zu reden. "Tut mir Leid, ich bin Dozent für Kunstgeschichte", entschuldigte ich mich deshalb grinsend. Ja, ich konnte mich in sowas stundenlang verlieren. Nur musste ich feststellen, dass relativ wenige Leute sich für die Art von Kunst interessierten, die ich mir gerne ansah. Mal ganz abgesehen davon, dass man bei gegenwärtiger Kunst einfach nur das Kotzen bekommen könnte. Da malen 13 Jährige irgendwelche Rechtecke in verschiedenen Farben auf eine weiße Leinwand und tada, ein Bild im Wert von mehreren Tausenden Euro. Komplett surreal, absolut nicht nachvollziehbar für mich. Da fehlte einfach die nötige Leidenschaft für das Gemalte. Aber ich stellte grundsätzlich viel zu hohe Ansprüche an die heutige Gesellschaft. Und da ich genau das wusste, enttäuschte es mich gar nicht mehr so sehr, wenn mal wieder einer der dummen Studenten ein modernes Bild der Renaissance vorzog. Man konnte wirklich an einer Hand abzählen, wer die Arbeit der damaligen Künstler noch wertschätzte. Erneut setzte ich das Glas an. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich merkte, wie eine leichte Welle der Frustration angerollt kam, die es zu ertränken galt.
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Gespannt hatte ich abgewartet, was er denn nun von dem Gemisch halten würde. Ich atmete innerlich erleichtert auf, als er nicht zögerte, nach dem ersten probeweisen Schluck gleich noch ein paar mehr zu nehmen. Also Glück gehabt, was meine Wahl anging. Eine Sorge weniger. Mael lebte schon länger hier, wie ich erwartet hatte. Darauf ging er allerdings gar nicht weiter ein, weil es für ihn der eindeutig unwichtigere Teil des Gesprächs zu sein schien, kam er doch gleich wieder auf meine eigene Herkunft zu sprechen. Darauf, dass es in Italien furchtbar viele begnadete Künstler gab, was ich auch keinesfalls verneinen konnte. Es überforderte mich allerdings doch fast ein wenig, dass er gleich mit einem Wasserfall an Kunstgerede loslegte, weil ich persönlich damit nie viel am Hut gehabt hatte. Das einzige, was ich dazu irgendwie beitragen konnte, war die Tatsache, dass ich in meiner vorherigen kleinen Villa auch das eine oder andere kleinere Gemälde hängen gehabt hatte, ganz einfach deshalb, weil es Räumen gleich viel mehr Extravaganz verlieh. Es waren aber überwiegend keine namhaften Künstler gewesen, weil ich es nicht eingesehen hatte, für ein - in meinen Augen eher simples - Bild viele tausend Euro zu bezahlen, dafür war ich zu geizig und zu wenig in Kunst interessiert... ganz im Gegenteil zu dem Dozenten hier, der schon in seinen wenigen Sätzen richtig aufzublühen schien, wofür es sich auch prompt entschuldigte. Naja, das war eben so das Los eines Barkeepers - sich über Gott und die Welt unterhalten, solange es dem Kunden entsprach. Es war also quasi mein Job, mich zwangsweise für sein Gerede über Kunst zu interessieren, aber das war okay, schien der Dunkelhaarige bis jetzt doch ganz in Ordnung zu sein. "Ja, da hast du Recht... Italien ist wohl das Mekka der Kunst.", stimmte ich ihm mit einem Nicken zu, bedeutete ihm dann, das Glas kurz anzuheben, damit der verschüttete Teil des Cocktails gar nicht erst auf dem Tresen festzukleben begann, sondern gleich von mir weggewischt werden konnte. Nicht nur was die Malerei anging, es gab auch unzählige berühmte Bildhauer in meinem Heimatland. "Ich hatte ein kleines Ölgemälde von Bellini, dass dir sicher gefallen hätte... aber so sehr wie du interessier' ich mich wohl nicht für Kunst, nein.", merkte ich gegen Ende mit einem schiefen Grinsen an, legte dann den Lappen wieder weg. "Ich bin übrigens Sabin.", hielt ich es irgendwie für angebracht, mich namentlich vorzustellen, weil es doch den Anschein hatte, als würde ich mich noch ein paar Minuten mit dem Kunstfanatiker herumschlagen.
Das Mekka für Kunst. Ich lachte laut auf, denn da hatte er absolut Recht. Ich war schon des Öfteren in Italien gewesen, um mich nach neuen, zum Verkauf stehenden Gemälden, zu informieren. Hinsichtlich des Preises sparte ich nicht an den falschen Ecken. An Geld sollte es mir nämlich nicht mangeln. Man wollte meinen, dass Dozenten für Kunstgeschichte schlecht bezahlt werden würden, aber wie das Leben so wollte, hatte ich natürlich das ganz große Glück gehabt, dass die Universität, an der ich als freier Dozent angestellt war, sehr viel Wert auf das Thema Kunstgeschichte legte. Auf der Ebene der Universitätsleitung saßen viele Kunstliebhaber, die für einen guten Dozenten gerne mal mehrere tausend Euro im Monat in die Hand nahmen, damit dieser das Wissen an die Gesellschaft weiter gab. Und an dem Punkt kam ich ins Spiel. Aufgrund meiner sehr guten Referenzen von den besten Schulen und Universitäten in England, wurde ich quasi auf Knien angefleht, für die Universität Oslo zu arbeiten. Und da der Preis definitiv stimmte, sah ich dort damals meine strahlende Zukunft in Norwegen. In Gedanken an die alten Zeiten, hatte ich fast vergessen, Sabin zu antworten. Tja, Kunst war leider kein Thema für Jedermann, aber man konnte es einem nicht verübeln. Manche interessierten sich für Fußball - worin ich zum Beispiel absolut keinen Sinn sah - und andere eben für etwas anderes. Wo würden wir hinkommen, wenn jeder den gleichen Geschmack hätte? Da wäre ja nichts mehr besonders gewesen. "Ich bin Richard. Du kannst mich aber auch einfach Richie nennen", antwortete ich auf seine letzte Aussage, bevor ich noch mal auf das Thema Kunst einging. "Bellini ist einer meiner Lieblingskünstler, also ja, es hätte mir womöglich gut gefallen. Ich nehme an, du hast es verkauft, bevor du hierher gekommen bist? Das dürfte ein gutes Startkapital gewesen sein", stellte ich nachdenklich fest und ging im Kopf die mittlerweile schon leicht verschwommenen Zahlen zu den Werten von Bellinis Bildern durch. Da konnte man sich von einem Bild im Durchschnitt einen Kleinwagen leisten, wenn man es heutzutage verkaufen würde. "Auch wenn du dich nicht für Kunst interessiert", ich lehnte mich etwas über die Theke, sprach - wenn man das hier in der Musik noch so nennen konnte - etwas leiser "... du kannst damit so viel Asche machen, glaub mir. Wenn du nur ein halbwegs geschultes Auge für Originale hast, kannst du damit ganz große Leute hier in Norwegen bedienen." Während Sabin meine Sauerei auf der Theke weg wischte, setzte ich das Glas zum Leeren an, schob es dann wieder in seine Richtung und erhob mich vom Hocker. "Der Cocktail war super, danke dir. Zahlen werde ich, bevor die Bar zu macht. Wenn du jemals was zu Kunst wissen möchtest und wie man daraus gut Kohle macht, komm mich doch einfach mal in der Universität besuchen, dann zeige ich dir ein bisschen was." Mit diesen Worten hob ich die Hand zum Abschied und verschwand in einer Menge tanzender Barbesucher.
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Ja, hätte er also tatsächlich auch was mit anfangen können, was mich nicht sonderlich wunderte, weil Bellini eben doch sehr bekannt war. Auch, wenn es kein großes Bild gewesen war, sondern eher eine Zwischengröße aus A5 und A4 - keine Ahnung, was er sich dabei gedacht hatte, war mir aber auch egal - , so hatte es doch den gewissen Charme gehabt, war schön anzusehen. Und ja, ich wünschte wirklich, ich hätte Zeit dazu gehabt, das Gemälde noch - legal - zu verkaufen, bevor ich geflüchtet war, aber dazu war nach meiner Kurzschlussentscheidung, zu den Bullen zu gehen, leider absolut keine Zeit gewesen und so stand ich hier mir nahezu vollkommen leeren Händen, was das Geld anging. Konnte vermutlich froh sein, dass ich im Zeugenschutzprogramm überhaupt sowas wie Fördergelder bekam und das vermutlich auch nur, weil ich eben so unfassbar viele Informationen auf den Tisch gelegt hatte, die meinen eindeutigen Tod in Italien besiegelt hätten, wäre ich noch da. So konnte ich wohl nur hoffen, dass Niemand mehr die Möglichkeit haben würde, zu intensiv nach mir zu suchen, denn ich war mir fast sicher, dass die Arschlöcher mich selbst hier in den skandinavischen Gefilden aufspüren würden. Aber zurück ins Hier und Jetzt. "Nein... dazu war leider keine Zeit mehr. Ich bin quasi komplett blank.", stellte ich mit einem Seufzen fest, das wohl sehr deutlich machte, dass ich eigentlich viel Besseres als das spärliche Zusammenkratzen von Arbeitslohn in einer Kneipe gewohnt war. Deswegen waren seine folgenden, etwas leiseren Worte wohl umso interessanter für mich. Ich wusste jetzt schon, dass ich es genauso wie damals mit meinem 0815-Bürojob früher oder später sicher wieder leid sein würde, Monat für Monat jeden Cent bei Seite legen zu müssen, um ansatzweise Etwas ansparen zu können. Geduld war nicht gerade einer meiner Stärken, aber ich wusste auch, dass mein zweiter Schatten - alias Sydney - ganz sicher nicht begeistert davon wäre, wenn ich mir etwas Anderes als einen normalen Job suchte, um an Kohle zu kommen. "Merk' ich mir..", meinte ich diesbezüglich also erstmal nur noch und hob ebenfalls kurz die Hand, bevor Richie in der Menge untertauchte und aus meinem Blickfeld verschwand.
Es vergingen gut eineinhalb Monate, in denen ich immer wieder an meine Grenzen stoßend versuchte, mich wieder an das Leben eines ganz normalen Bürgers zu gewöhnen. Der Sprachkurs lief soweit ganz gut, auch wenn mir die Schreibweise noch so gar nicht lag, aber das mit dem Sprechen klappte ganz gut. Mein Akzent kam noch etwas zu sehr durch, aber am Vokabular scheiterte es absolut nicht. Auch den Job in der Bar hatte ich bekommen, was Cosma doch recht zufrieden mit meiner Probearbeit gewesen und sie war mir auch nicht mehr so unsympathisch wie es noch ganz am Anfang der Fall gewesen war. Ihr Wortlaut war oft kühl, aber das war in Ordnung, war ich doch nicht auf Kuschelkurs mit ihr aus. Obwohl Alles gut zu laufen schien, machte sich aber von Tag zu Tag mehr die Unzufriedenheit in mir breit, die Sydney unweigerlich ab und an zu spüren bekam, wenn ich hochgradig gereizt war und das italienische Temperament einfach durchkommen ließ. Nicht, dass wir uns so gar nicht verstanden, aber es war halt schon Alles irgendwie... naja, schwierig eben. Das war vermutlich auch der Grund, warum mich meine Füße an diesem freien Nachmittag zu Oslos Universität trugen. Der Sprachkurs war an diesem Mittwoch schon geschafft und in die Bar musste ich auch nicht mehr, hatte heute Nacht frei. Ich erkundigte mich bei einer Dame im großzügigen, weitläufigen Eingangsbereich nach Richard und sie schien wirklich verzückt von meinem italienischen Akzent, was mich beim Weitergehen auf dem Weg zum Büro des Dozenten mit dem Kopfschütteln ließ. Was hatten die hier alle mit meinem Akzent? Noch so eine Sache, die mir zunehmend auf den Zeiger ging. Als ich auf dem Namensschild neben einer Tür im ersten Stock dann das entsprechende Namensschild von O'Lorean sah, klopfte ich einfach mal an. Vielleicht hatte ich Glück und er war da, hatte Zeit und gab gerade keine Vorlesung... oder was auch immer man sonst noch so als Dozent zu tun hatte, keine Ahnung. Andernfalls würde ich wohl einfach warten... oder, wenn es mir doch zu lange dauerte, wieder gehen.
Welch wunderschöner Mittwochmittag. Seit Tagen war es mal wieder etwas wärmer geworden, die Sonne schien durch das große Panoramafenster meines Büros im zweiten Stockwerk der Universität. Mit einer Tasse Tee in der einen und einem roten Fineliner in der anderen Hand, korrigierte ich gerade einige Klausuren aus der letzten Woche. Die Klasse, die ich von meinem Vorgänger übernommen hatte, war mir anfangs mächtig auf den Keks gegangen. Alles nur durch Geld verwöhnte Rotzlöffel ohne Sinn und Verstand für wirklich gute Kunst. Es war zum Kotzen gewesen, aber es blieb mir nichts anderes übrig, als cool zu bleiben, wenn ich den Job behalten wollte. Die bisher größte Herausforderung war für mich, eine unkultivierte Klasse neu zu formen, aber seitdem ich die Lernmethoden etwas verändert hatte, waren auch die Klausuren, die ich jetzt korrigierte, zufriedenstellend. Der Schnitt lag zwischen gut und sehr gut, was mich zufrieden die Tasse Tee abstellen ließ. Ich schob gerade die letzte korrigierte Arbeit zur Seite, als es an der Tür klopfte. "Herein", bat ich mit lauter Stimme, während ich mich in meinem Ledersessel nach hinten legte. Als die Tür aufging und ein mir bekanntes Gesicht dahinter erschien, stand ich allerdings auf, umrundete meinen Schreibtisch und streckte Sabin grinsend meine Hand zur Begrüßung entgegen. "Was für eine Überraschung, dich hier zu sehen. Bitte", ich deutete mit ausgestrecktem Arm auf die freien, ebenfalls sehr bequemen, aber etwas kleineren Ledersessel vor meinem Büroarbeitsplatz "nimm doch Platz. Willst du was trinken?", fragte ich rhetorisch. Für mich gehörte es einfach zum guten Ton, zumindest ein Glas Wasser anzubieten. Wenn er dann noch etwas anderes - ein Whiskey oder Ähnliches - haben wollte, dann würde ich das entsprechend nachreichen. Da ich nicht überheblich genug war, mir eine persönliches Assistentin zulegen zu wollen, kümmerte ich mich selber um ein Glas für Sabin, welches ich mittels einer vollen Karaffe für ihn auffüllte. Ich räumte anschließend wieder alles an seinen Platz, bevor ich mich selbst wieder ihm gegenüber in den Sessel fallen ließ. Da ich mir nicht vorstellen konnte - so böse sich das anhörte -, dass Sabin sich hier an der Universität einschreiben wollte und Kunstgeschichte studieren wollte, ging ich davon aus, dass es andere Gründe hatte, warum er mich aufsuchte. Entsprechend neugierig faltete ich die Hände zusammen, lächelte ihn fast schon freundschaftlich an. Ich wusste natürlich, dass er die Stelle bei Cosma bekommen hatte und sich entsprechend bei der doch sehr zynischen und etwas emotionslosen jungen Frau behaupten konnte. Somit war er jetzt auch mehr oder weniger ein Freund von mir. "Wie kann ich dir helfen?", eröffnete ich schließlich das Gespräch, wusste im Prinzip aber schon, worauf das ganze hier hinauslaufen würde.
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Kaum hatte ich angeklopft ertönte auch schon die mir bekannte Stimme und bat mich herein. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und drückte den Henkel der Tür nach unten, um einzutreten. Der junge Mann begrüßte mich freudig und hieß mich willkommen. "Hi... ja, danke.", waren meine ersten, noch etwas überforderten Worte, weil er mit einer Art von Freundlichkeit auf mich einstieg, die ich so direkt nicht erwartet hatte. Wie ein Kerl wie er und die grummelige Barfrau Freunde werden konnten, war mir um ehrlich zu sein ein Rätsel, wirkten die beiden auf den ersten Blick vollkommen unterschiedlich, quasi wie Tag und Nacht. Auf jeden Fall ließ ich ihn mit den Worten "Wasser reicht.", wissen, dass ich vorerst nicht mehr als ein Glas Wasser benötigen würde. Sollte mir später noch nach etwas Anderem der Sinn stehen, konnte ich es Richie immernoch wissen lassen. Ich sah mich, nachdem ich mich hingesetzt hatte, erst einmal ein klein wenig in seinem Büro um. Ja, wirkte eindeutig wie das Quartier eines Kunstliebhabers, waren doch einige außergewöhnliche Bilder an der Wand zu finden und auch ein, zwei aufwendigere, kleine Skulpturen in der antik wirkenden Vitrine zu sehen, die teilweise wohl auch als Aktenschrank diente. Fast schade um das teure Stück Holz, aber es fügte sie dennoch perfekt ins restliche Bild des Raumes ein. Bevor ich dann auf seine Frage antwortete, machte ich es mir noch einmal richtig bequem, setzte mich ein wenig zurecht und nahm einen Schluck aus dem Wasserglas, bevor ich zum Reden ansetzte. "Ich mach's kurz... ich brauch' Schotter und das möglichst zeitnah.", kam ich direkt auf den Punkt, ohne es ihm schön zu reden oder großartig auszuschweifen. "Du hattest die Sache mit dem Kunsthandel erwähnt... und ich würde gerne mehr darüber wissen, wenn das Angebot noch steht.", definierte ich meinen Wunsch, meine Aussichten genauer und lehnte mich ein wenig mehr auf dem recht bequemen Stuhl zurück, den ich vermutlich sogar lieber in meinem Wohnzimmer stehen hätte, als das billige Sofa. Die Hände faltete ich vor dem Bauch, musterte Richie, sah ihn abschätzend an, während ich auf seine Reaktion wartete. Vielleicht hatte er es sich ja schon wieder anders überlegt, konnte auch möglich sein.
Wie ich es mir bereits gedacht hatte, kam Sabin noch einmal auf das Angebot zu sprechen, was ich ihn vor etwa anderthalb Monaten bei meiner Geburtstagsfeier gemacht hatte. Sollte mir nur Recht sein, neue Geschäftspartner waren immer gerne gesehen. Fand ich ja trotzdem nett, dass er nicht wie selbstverständlich auf mich zukam, sondern noch einmal nachfragte, ob das Angebot noch stand. Wenn ich ein Arschloch gewesen wäre, hätte ich jetzt sagen können, dass es dafür schon längst zu spät war und er gefälligst zusehen sollte, aber ich wusste ja Kontakte zu pflegen und manche brauchten einfach ein bisschen Zeit. Das war so ziemlich das selbe, wie mit Blumen. Manche blühten innerhalb von wenigen Tagen, andere wiederum brauchten Wochen oder eben Monate, um sich zu entfalten. Und einen guten Gärtner erkannte man daran, dass er wusste, was die Blumen zum Blühen brauchten. In Sabins Fall eben Kohle. "Klar steht das Angebot noch", nahm ich erst einmal ein bisschen Spannung aus der Konversation. "Das passt sich heute richtig gut. Ich habe noch eine Vorlesung und muss dann zu einem Termin in meinem Atelier. Wenn du möchtest, kannst du dich gerne zu meinen Studenten setzen und ich nehme dich danach einfach mit", bot ich mit einem fragenden Blick in seine Richtung an. Ich hatte für heute Nachmittag einen Deal terminiert, der mir auf einen Schlag mehrere tausend Euro einbringen würde. Klar, ging ein Großteil davon an ein paar Hintermänner weg, aber am Ende blieb noch genug übrig. Ein Otto-Normal-Verbraucher könnte von dem einen Einkommen sicher ein bis zwei Monate sorglos leben. Und ich war gerne bereit, das Geld auch mit Sabin zu teilen, insofern er mir ein wenig helfen würde. Wir brachten es mal auf den Punkt. Bilder und Papiere fälschten sich nicht von alleine. Das würde ich ihm natürlich erst einmal nicht so direkt sagen, aber ich hielt ihn für intelligent genug, dass er das selber schon herausfinden würde. Außerdem würde es passen, wenn er die Vorlesung heute besuchen würde. Passend dazu bearbeitete ich mit meinen Studenten nämlich gerade das Gebiet der Kunstfälschung, die größten Skandale und wieso es so schwer ist beziehungsweise war, Bilder zu fälschen. Es wäre also eine gute Vorbereitung auf das Thema gewesen. Und wer nahm bitte nicht gerne das Angebot an, bei einem der renommiertesten Kunstlehrer der Universität Oslo kostenlos eine Vorlesung besuchen zu dürfen? Abwartend beugte ich mich ein Stück in seine Richtung, streckte meine Hand zu einem Handschlag aus. "Deal?", fragte ich grinsend. "Glaub mir, du wirst es nicht bereuen."
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Okay, er schien es sich also nicht anders überlegt zu haben, was ich doch wirklich gut fand. Nicht nur, weil ich dann vielleicht bald nicht mehr an der Armutsgrenze leben musste, sondern auch, weil ich sonst jetzt wohl wieder einen unangenehmen Abgang hätte machen müssen, weil ich sonst tatsächlich gar Nichts von ihm wollte. Nur das Geld, das vielleicht in seinen Taktiken und seinem Wissen auf mich wartete, war für mich von Bedeutung, nicht er selbst. Umso besser war es, dass Richard mir auch gleich noch mehr Input gab und mich dazu einlud, doch einfach seinen Kurs zu besuchen, bis er wieder Zeit hatte. Zugegeben stellte ich mir ein Kunstseminar nicht besonders spannend vor, aber so oder so musste ich die Zeit ja irgendwie überbrücken und es war auch schlicht unabdingbar, mich mit dem Thema ausführlicher auseinander zu setzen, wenn ich darauf Kohle scheffeln wollte. Außerdem musste ich Nichts dafür zahlen, ganz im Gegensatz zu den meisten Studenten hier, also warum entgehen lassen? "Deal.", willigte ich ohne Zweifel in meiner Stimme aufkommen zu lassen und griff noch im selben Moment nach seiner Hand, um meine Entscheidung noch mit der körperlichen Geste zu bekräftigen. Mein Blick ruhte dabei auf seinen Augen, wobei ich nicht wusste, wonach ich darin eigentlich suchte. Vielleicht nach Irgendetwas, das mir verraten würde, wenn der junge Mann hier vor mir Etwas Dummes im Sinn hatte. Wenn es eins gab, das ich hasste, dann war es nämlich über den Tisch gezogen zu werden. Meistens erkannte ich sowas auch frühzeitig, war meine Menschenkenntnis doch recht gut und mein Hirn doch auf genau Sowas getrimmt - ohne diesen siebten Sinn starb man in der Mafia nämlich ganz schnell. "Und das hoffe ich. Kann mir Sowas jetzt nämlich nicht leisten.", stellte ich doch noch einmal klar, dass ich die Sache ziemlich ernst meinte und ziemlich verstimmt sein würde, wenn Richie nicht hielt, was er mir bis jetzt mehr oder minder versprach. Wir unterhielten uns nur noch flüchtig, bevor seine Vorlesung begann und ich mich in einer der hinteren, weniger besetzten Reihen auf einen der Stühle sinken ließ. Ich machte es mir so bequem, wie es auf diesen simplen Stühlen möglich war, legte meine Jacke - es war doch angenehm warm hier drinnen - auf dem ebenfalls leeren Platz nehmen mir ab und lehnte mich Etwas nach hinten, während ich begann seinen Worten über Kunst zu lauschen.
Gut, dann waren wir also im Geschäft. Ich stand gemeinsam mit Sabin auf, um das Büro zu verlassen. Wir schlenderten einen langen Gang entlang, auf dem uns ein paar meiner Studenten entgegen kamen. Gemeinsam suchten wir den Sitzungssaal auf, in dem ich gleich meine Vorlesung halten würde. Sabin nahm in der hintersten Reihe Platz, während ich die Treppenstufen nach unten nahm. Am Schreibtisch angekommen, klippte ich mir ein kleine Mikrofon an den Kragen meines Hemdes, damit auch die Zuhörer in der letzten Reihe mitbekamen, worüber ich gleich dozieren würde. Aus meiner Hosentasche zog ich einen kleinen unscheinbaren USB Stick, welchen ich in den Laptop auf dem Schreibtisch steckte. Dieser projizierte wenig später meine vorbereitete Präsentation. Auf der ersten Seite war nur ein Name zu sehen. In großen Druckbuchstaben stand dort Wolfgang Beltracchi. "Hallo zusammen", begrüßte ich die Gruppe, ließ meinen Blick über die fragenden Gesichter wandern. "Weiß einer von Ihnen, was es mit diesem Namen hier auf sich hat?" Mit einem Laserpointer, der ebenfalls zum Equipment des Schreibtisches gehört umkreiste ich den angeschlagenen Namen. Ich gab den jungen Menschen ein wenig Zeit, ihre Vorschläge einzubringen, bevor ich die Frage auflöste. "Beltracchi", ich blendete einen Mann Mitte sechzig ein, langes, graues Haar, bedeckt von einem Fischerhut "ist ein deutscher Maler und einer der bekanntesten Kunstfälscher der Welt." Stille. "Ich möchte Ihnen heute einiges zum Thema Kunstfälschungen erzählen. Ich werde die Arten von Kunstfälschungen thematisieren, die Problematik dahinter und Ihnen im Anschluss ein paar Tipps geben, was sie beachten sollten, wenn sie Gemälde oder Ähnliches fälschen wollen." Die Masse lachte. Klar, schließlich gingen sie davon aus, dass ich nur Scherze machte. Alleine der Gedanke brachte mich zum Grinsen und machte mir richtig Laune auf die folgenden anderthalb Stunden. "Wolfgang Beltracchi, geboren als Fischer am 04. Februar 1951 in Höxter, Deutschland, ist der schlechthin. Er fälschte unter anderem Bilder von Heinrich Campendonk, Max Ernst und Fernand Léger. Es wird geschätzt, dass Beltracchi damit zwischen zwanzig und achtzig Millionen Euro im Jahr verdient haben soll." Ich merkte, wie ich langsam die Aufmerksamkeit der Gruppe gewann. So redete ich noch eine ganze Weile über den renommiertesten Kunstfälscher der Geschichte, beantwortete Fragen der Schüler, bevor ich mich den Arten und Fakten von Fälschungen widmete. "Zuerst sollten Sie wissen, dass 40 bis etwa 60 % der auf dem Markt existierenden Gemälde, Bilder und Skulpturen Schätzungen zu urteilen Fälschungen sind. Die Dunkelziffer liegt wohl weitaus höher, da betrogene Käufer sich oft zu stolz sind, einzusehen, dass sie sich haben betrügen lassen. Zwar ist Kunst schön anzusehen, aber ich gebe Ihnen den Tipp, sich besser nicht in Galerien und Ateliers nach Originalen umzuschauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ein Bild kaufen, dessen realer Wert bei weniger als 200 Euro liegt ist sehr hoch. Die meisten Originale Picassos, Rembrandts und Von Gogh sind in entsprechenden Museen ausgestellt und sind nicht für den Verkauf gedacht." Witzig, dass das gerade aus meinem Mund kam. War ich doch derjenige, der sich immer wieder darüber freute, eine naive Seele um eine große Summe Geld betrogen zu haben. "Damit haben wir den wichtigsten Teil der Stunde schon abgehakt. Jetzt wollen Sie natürlich auch wissen, was so alles gefälscht wird und wo es sich so richtig lohnt, hm? Nun, das ist ganz einfach. Alles, was am Markt hohe Preise erzielt wird gefälscht. Alleine die Frauen unter Ihnen. Wie viele von Ihnen haben eine Handtasche?" Die Arme schlugen förmlich in die Luft. Bis auf eine junge Frau in der ersten Reihe hatten alle die Hände gehoben. "Sind Sie sich ganz sicher, dass Ihre Handtaschen und Ihre Pelzmäntel wirklich von Louis Vuitton oder Gucci sind? Und was macht Sie da so sicher?" Es entstand eine wilde Diskussion, hatte ich da doch einen empfindlichen Punkt getroffen, aber es war nun mal, wie es war. "Jetzt beruhigen Sie sich bitte alle wieder. Merken Sie, dass das ein hitziges Thema ist? Aber ich sage Ihnen, gerade die Fälschung von Klamotten ist sehr beliebt. Warum? Weil jeder von Ihnen Klamotten braucht. Und jeder von Ihnen trägt augenscheinlich gerne Markenklamotten. Warum also echtes Leder verwenden, was in der Herstellung sehr viel teurer ist als Kunstleder? Überlegen Sie doch einmal, wie viel Geld Sie machen könnten, wenn Sie trotzdem den teuren Preis verlangen? Da haben Sie umgerechnet vielleicht Materialkosten von maximal fünfzig Euro und pro Stück können Sie bis zu fünfhundert Euro Plus machen. Hört sich doch verlockend an, oder? Kunstfälscher nutzen dafür einen einfachen Trick. Natürlich sieht man in der Herstellung kaum einen Unterschied, aber was die Sache letzten Endes interessant macht ist die Signatur. In jeder Jacke, in jeder Tasche und an jedem Schuh finden Sie sie. Blöderweise ist das der Punkt, an dem die meisten Kunstfälscher ihr Geld verdienen. Sie gehen in ein Kaufhaus, sehen die Gucci und denken gar nicht mehr weiter darüber nach, ob die Tasche nun echt oder ein Plagiat ist." Nachdenklich spazierte ich vor dem Schreibtisch hin und her. "Was ist damit sagen möchte ist, dass Kunstfälschung nicht nur simples Nachmalen von Bildern aus alter Zeit ist. Auf diese Art werden Sie im Übrigen kaum Erfolg haben, wenn Sie nicht wissen, mit welcher Farbe der Maler gemalt hat. Denn allgemein bekannt ist ja der Fakt, dass die Wissenschaft und die Technik heutzutage sehr fortschrittlich sind und da es vor dem 20. Jahrhundert beispielsweise keine Bindestoffe in den Farben gab, werden Sie spätestens ab dem Punkt in den Knast wandern." Mahnend, wie ein Vater, der seinen Sohn rügte, hob ich den Zeigefinger. "Außerdem fordert eine Gesamtfälschung viel künstlerisches Talent. Das ist bei einer Signatur zum Beispiel nicht von Nöten. Überlegen Sie sich also gut, wie Sie Ihr Geld verdienen möchten, wenn Sie sich dazu entscheiden, Kunst zu fälschen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Experten immer mehr zu Arschlöchern mutieren und Gemälde ins Labor schicken, um die Farbe auf Echtheit zu überprüfen." Schallendes Gelächter, noch immer hielten sie es für einen Witz, den ich erzählte. "Zu guter letzt und damit möchte ich die heutige Stunde auch beenden: die Fälschung von Signautren ist ein sehr simples Geschäft, denn es gibt eine Menge Leute da draußen, die sich vielleicht für Kunst interessieren, aber keine Ahnung von der Materie haben. Man könnte die bekannte Mona Lisa in der heutigen Zeit - wo Picasso logischerweise schon verstorben ist - einen Pferdekopf malen, dann setzt man die Unterschrift drunter und verkauft es als aktuelle Auflage Da Vincis. Und damit Sie nicht als einer dieser armen Seelen enden, hoffe ich, dass Sie mir in dieser Stunde besonders zugehört haben und beim nächsten Einkaufen zweimal hingucken, ob ihr geliebter Mode Designer auch wirklich ihre Jacke geschneidert hat." Ich schloss die Präsentation, legte das Mikro ab und genoss einen Moment den schallenden Applaus des Publikums. Nachdem alle Studenten den Saal verlassen hatten, ging ich auf Sabin zu, nickte in Richtung Ausgang. "Hat es dir gefallen?", fragte ich grinsen, während ich ihm mit einem Handzeichen bedeutete, mir zu meinem Auto zu folgen.
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Ich folgte Richards Vorlesung mit auf der Hand abgestütztem Kopf, während der Ellbogen entsprechend auf der Armlehne stützte, hielt ihn permanent im Blick. Es war nicht so, dass ich es nicht interessant fand. Das war also auch nicht der Grund, warum ich meine Augenbrauen gefühlt von Minute zu Minute tiefer ins Gesicht zog, was ich grundsätzlich immer machte, wenn ich fortwährend am Grübeln war. Es könnte natürlich einfach Zufall sein, dass er ausgerechnet heute fröhlich über die Fälschung von Gemälden berichtete und das mit seinem eigentlichen Geschäft nicht viel zu tun hatte. Dass der junge Mann stattdessen vollkommen legalen Geschäften nachging, um sich neben dem Gehalt als Dozent noch ein paar Münzen dazu zu verdienen. Aber mich beschlich schon jetzt das ungute Gefühl, dass ich mich ungewollt in eine sehr... missliche Lage buxiert hatte. Sollte er nämlich wirklich Kunst fälschen und mich da mit reinziehen, war es das mit dem legalen Leben schon wieder gewesen. Nicht, als hätte ich selbst etwas dagegen, war ein bisschen Bilder verkaufen ja lange nicht mit meinen Taten bei der Mafia zu vergleichen und in einen moralischen Konflikt mit mir selbst würde es mich demnach nicht bringen, aber ich wusste nur zu gut, dass die Finanziers meines Zeugenschutzprogramms die Geschichte ein kleines bisschen sehr anders sahen. Sollte es also der Fall sein, müsste ich mir demnach sehr gut überlegen, ob es mir das Risiko wert war... und auch einen Plan B für den Fall, dass ich eben damit aufflog, obwohl ich als Ex-Mafioso natürlich ziemlich gut darin war, Dinge unter Verschluss zu halten. Es war dennoch etwas Anderes, wenn eine FBI-Agentin bei einem Zuhause mit auf dem Sofa saß. Zwar kannte ich O'Lorean wirklich noch nicht lange oder besonders gut, aber er wirkte doch wie Jemand, der durchaus gewitzt genug sein könnte, um kriminelle Machenschaften zu planen... gut, das war nur logisch, dumme Leute wurden selten Dozenten. Ich ließ die Masse einfach an mir vorbeiziehen, spürte doch einige Blicke auf mir, weil ich nunmal nicht wirklich wie ein Student aussah und natürlich auch Niemandem bekannt war, aber Erwidern tat ich keinen einzigen. Erst als Richie fast bei mir angekommen war, erhob ich mich ebenfalls langsam von meinem Stuhl und warf mir die Jacke dann über die Schultern, während ich neben ihm den Saal verließ. "War schon interessant..", erwiderte ich nickend auf seine Frage, wobei der kritische, nachdenkliche Unterton aber doch seinen Weg in meine Stimme fand. Draußen an der frischen Luft angekommen schob ich automatisch die nackten Hände in die gefütterten Jackentaschen, folgte dem jungen Mann zu seinem Wagen, der bald erreicht war. Ich ließ mich auf den Beifahrersitz sinken, nachdem das Auto entriegelt war und meine blanke Neugier ließ mich umgehend eine Frage formulieren, als er seine Tür ebenfalls geschlossen und ich mich angeschnallt hatte. "Nur Witze?", hakte ich also nach, drehte den Kopf zu ihm und fokussierte ihn dann ungeniert mit meinen Augen, deren Ausdruck schon etwas stechend war, einzig die Wahrheit forderten und zuließen. Er würde schon wissen, was ich meinte, ohne dass ich es aussprach - wenn nicht hätte ich aber auch kein Problem letzteres zu tun.
Ich lieben neben Sabin nach draußen, hatte meine Hände ebenfalls in den tiefen Taschen meines Mantels vergraben. Als ich mich auf den Fahrersitz meines Autos fallen ließ, wollte ich kurz die Ruhe nach der Vorlesung genießen, aber Mazzanti machte mir da einen Strich durch die Rechnung. Meine Mundwinkel zuckten unauffällig, den Blick ließ ich nach vorne gerichtet. "Nur Witze", bestätigte ich neutral und startete den Motor, um kurz darauf den Parkplatz der Universität zu verlassen. Es dauerte etwa fünfzehn Minuten, bis ich den Wagen inmitten eines sehr noblen Viertels von Oslo in einer freien Parklücke abstellte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich mein Atelier vor dem bereits mein Kunde wartete. Verwundert, dass der Herr, mit dem ich heute Geschäfte machen würde, schon da war, schloss ich schnell die Karre ab und überquerte, ohne auf Sabin zu warten, die Straße. "Schön, dass Sie da sind", begrüßte ich den Unbekannten mit einem schiefen Grinsen. Er nickte knapp, schien nicht sonderlich angetan davon zu sein, dass er hatte warten müssen, aber gut. Ich konnte ja auch nicht damit rechnen, dass jemand schon vor dem abgesprochenen Termin aufscheint. War im Endeffekt dann auch nicht mein Problem. Ich akzeptierte, dass mein Kunde heute nicht sonderlich gut gelaunt schien, schob mich flink an ihm vorbei, um die Tür zur Galerie zu öffnen. Wortlos schaltete ich das Licht an und bot damit den finalen Einblick auf meine Sammlung. Viele Originale. Nicht unbedingt legal erworben, aber wer die Papiere besaß, besaß halt auch die Macht. Das war Fakt. "Was kann ich heute für Sie tun? Suchen Sie etwas bestimmtes?", fragte ich höflich, während ich meinen Mantel ablegte und voll in die Rolle des Geschäftsmannes schlüpfte. Schade eigentlich, dass ich heute keinen besser gelaunten Client hatte, wäre es doch für die Einführungsrunde in das Geschäft besser gewesen. Na ja, was soll's. Es schien, als wäre sich der stämmige Mann Mitte vierzig noch uneinig darüber, was er denn genau haben wollte, bis er schließlich an einem Gemälde von Van Gogh stehen blieb. Er schilderte mir kurz, warum unbedingt dieses Gemälde haben wollte, obwohl es mich eigentlich nicht die Bohne interessierte. Seine Frau sei wohl auf der Suche nach einem schönen Bild für die Küche und da der Meister her wohl mehrere Millionen schwer war, sollte es ja ein Original sein. Ich nickte nur beiläufig, tat ganz interessiert. Auf die Frage, ob ich denn Papiere für das Original hatte, sah ich endlich eine Aufgabe für meinen heutigen Assistenten. "Natürlich habe ich die", ich drehte mich zu meiner jungen Begleitung. "Bist du so gut und gehst mal an den Tresor, im Raum nebenan? Der Code ist das Geburtsjahr des Mannes, über den ich heute geredet hatte." Ich grinste, widmete mich dann wieder ganz dem Kunden zu. "Mein Kollege wird Sie Ihnen bringen", sagte ich höflich, lächelte wie ein charmanter Vertreter. Man musste eben nur wissen, wie.
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Ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich Richie Glauben schenken konnte. Vielleicht war er doch einfach viel zwielichtiger, als er auf den ersten Blick wirkte. Ich würde mich wohl leider einfach überraschen lassen müssen, wurde ich aus seiner ebenso knappen Antwort schlicht nicht mal ein kleines bisschen schlauer und ließ mich einfach mit zu dem gehobenen Wohnviertel verschleppen, wo schon Jemand ungeduldig auf uns zu warten schien, beziehungsweise eben auf den Dozenten. Ich folgte mit ein klein wenig Abstand sowohl zum Gebäude, als auch im Atelier. Ich beobachtete das Verkaufsgespräch - sofern man das so nennen konnte, waren die Worte doch meist recht knapp gewählt und sehr einseitig auf Kundenseite - aus ein paar Metern Entfernung. Erst, als Richie dann sein Wort an mich richtete, richtete ich meinen Blick wieder ganz gezielt in deren Richtung, löste ihn von den teuer aussehenden Bildern. Ich sinnierte unweigerlich darüber, ob sie jetzt echt waren oder nicht, aber auf diese Entfernung war das sowieso nicht zu beurteilen. Erst recht nicht von mir, kannte ich mich doch mit der Materie noch viel zu wenig aus und widmete mich deshalb nach einem kurzen verwirrten Blick und einem darauf folgenden Nicken von den beiden Herren ab, um durch die edle, hölzerne Tür in den Raum nebenan zu schlüpfen. Nur wegen guter Manier, aus Gewohnheit schloss ich die Tür wieder hinter mir, suchte den Raum nach dem besagten Tresor ab, der nach wenigen Sekunden ausfindig gemacht war. Was das Passwort anging war er scheinbar gerne kreativ, wechselte es bestimmt auch öfter, wenn es so ein aktuelles Thema hatte... aber war es jetzt 1951 oder 1953 gewesen? Ich versuchte es zuerst mit letzterem, was die verschlossene kleine Tür mit einem kurzen Piepen quittierte, nicht aufging. Also versuchte ich es mit der Einundfünfzig, was dann auch hinhaute, nach einem längeren Piepton das Schloss klicken und die Tür öffnen ließ. Es waren mehrere Dokumente darin zu finden, aber nur eines, das sich auf Van Gogh bezog, weshalb es das richtige sein musste. Also nahm ich es kurzerhand heraus und drückte die kleine Metalltür zurück ins Schloss, bevor ich erneut zu den beiden anderen stieß. Dem betagten Herren die Urkunde mit einem sanften Lächeln und den Worten "Hier, bitteschön.", überreichte. Er begann sie zu mustern, während ich einfach aufrecht daneben stehend dabei zusah, ohne mit meinem Blick zu aufdringlich zu werden. Dienstleistung war mehr oder weniger mein Gebiet, wenn auch ganz und gar nicht hier in der Kunstbranche... falls es überhaupt letztere war und nicht viel mehr eher wieder die Branche der Kriminalität, in der ich mich so herrlich gut auskannte.
Während Sabin die Unterlagen holte, um die ich gebeten hatte, hielt ich noch eine Weile Smaltalk mit dem potenziellen Kunden. Es dauerte einen kurzen Moment, bis er die gewünschten Papiere in den Händen hielt, schien aber dann sehr zufrieden zu sein. Na klar, für die meisten waren die Papiere noch wichtiger als das Objekt selbst. Scheinbar dachte keiner daran, dass auch die gefälscht werden konnten. War zwar aufwendig, aber Scheck, der mir kurz darauf von dem schlaksigen, absolut ahnungslosen Mann in die Hand gedrückt wurde, war mir die Mühe wert. Ich war einen kurzen, prüfenden Blick auf die eingetragene Summe und nickte. "Ich werde es Ihnen sofort einpacken", sagte ich wieder in diesem freundlichen, professionellem Ton, gab den Check an meinen Kollegen weiter. "Ich bin sofort wieder da", verabschiedete ich mich in den Nebenraum, um dort eine entsprechende Umverpackung für das teure Gemälde zu holen. Natürlich wäre es für ein Original weitaus wichtiger gewesen, aber ich wollte nicht schon wieder damit anfangen. Wenig später hängte ich das verkaufte Gemälde ab, verpackte es so, dass es nicht beschädigt werden konnte und wandte mich dann wieder an meinen Gast. "Soll ich Ihnen das Bild verräumen?", fragte ich mit einem charmanten Lächeln, woraufhin mein Gegenüber nickend das Angebot annahm. Draußen stand ein großer schwarzer Van, auf den wir zielstrebig drauf zu liefen. Kurz bevor wir den Transporter erreichten, sprangen die beiden hinteren Türen auf und zwei schwarz gekleidete Männer mit Pistolen sprangen heraus. Zugegeben hatte ich mich etwas erschrocken, aber ich blieb cool. Und ich bedeutete Sabin mit einem ruhigen Nicken, es mir gleich zu tun. "Bundespolizei Oslo, stellen Sie das Bild gut sichtbar an das Auto dort drüben", einer der beiden Männer nickte in Richtung eines Golfs, wo ich das Plagiat Van Gogh' behutsam abstellte. Dann nahm ich langsam die Hände hoch. "Was kann ich heute für Sie tun, Officer?", fragte ich mit einem schmalen Grinsen. Es war jetzt in etwa das vierte oder fünfte Mal, dass eine so tolle Razzia statt fand und so langsam war ich es echt leid. Es nervte, denn es lief immer gleich ab. Hände hoch, ins Atelier. Papiere vorzeigen.. vorne würden wohl Experten sitzen, die sich die Unterlagen anschauen und geknickt sein würden, weil wieder alles... echt war. Für den Moment war ich den Bullen immer einen Schritt voraus, gute Connections waren einfach der Schlüssel zu einem laufenden Unternehmen. Und wenn man Leute in der Forschung kannte, dann war man immer etwas weiter. Denn wenn etwas noch schneller agierte als der Staat, dann war es die Forschung. Binnen weniger Minuten wurden Sabin und ich wie vorhergesehen zurück ins Atelier gedrängt, während sich Experten und bewaffnete Polizisten an uns vorbei drängten.
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Der Kauf schien erfolgreich abgewickelt, aber ich wahrte einfach weiterhin die offene, freundliche Mine gegenüber dem Typen, der sich nur wenig später als nicht so super kunstinteressiert herausstellte, wie er vorgab. Kein wirklicher Interessent, sondern lediglich ein Köder für die Bullen war. Ich war Richie nach draußen gefolgt und den Scheck über eine wirklich hohe Summe, die mir im ersten Moment fast die Augen hatte herausfallen lassen, hielt ich dabei noch immer in den Händen. Knicken sollte man den ja lieber nicht, wobei ich ihn doch vor Schreck einfach fallen ließ, als die Hintertüren des Vans plötzlich aufsprangen, was mich automatisch gleich wieder einen Schritt zurücktreten ließ. Solche Szenarien hatte ich schon zuhauf gesehen, aber normalerweise hielt ich selbst dabei eine Waffe in der Hand. Machte im Ernstfall einfach platt, was platt gemacht werden musste. Das hier war anders und zugegeben machte mein Herz doch auch ein oder zwei ungeplante Hüpfer, als einer der beiden den Scheck aufhob, nachdem ich die Hände gehoben hatte. Dann wurde ich auch noch abgetastet, was mir unweigerlich einen Flashback an meinen Einmarsch beim italienischen Polizeirevier gab. Aber ich hatte mir für fast jede Situation eine perfekte Maske über die letzten Jahr hinweg zusammengeschneidert und deswegen wirkte ich nach wie vor ruhig nach außen hin. Auch, als ich unsanft mit dem Gesicht nach vorne an den schwarzen Van bugsiert wurde, während Richard dazu aufgefordert wurde, drinnen reinen Tisch zu machen. Spätestens jetzt konnte er höchstens noch seiner Mutter - konnte ja nicht wissen, dass die gute Frau hinüber war - erzählen, dass er hier was Legales abzog. Die Polizei handelte sicher auch hierzulande nicht ohne grundlegenden Verdacht, hätte gar keine Erlaubnis zum Eingreifen ohne einen triftigen Grund. Der war hier offenbar gegeben, wie mir schmerzlich bewusst wurde. Aber nur ein paar Minuten später durfte ich die Hände wieder sinken lassen und meine Wange vom kalten Metall des Wagens lösen, weil sie wohl Nichts gefunden hatten. Man konnte an ihren Gesichtern deutlich sehen, wie sehr sie das ernüchterte, dass sie mit ihrer nicht vorhandenen Ausbeute nicht einmal im Ansatz zufrieden waren und demnach zogen sie nur sehr missmutig wieder neue Wege, fuhren mitsamt des angeblichen Kunstexperten wieder davon. Auch mit dem Scheck, aber das Bild ließen sie da. Naiv, wenn man mich fragte, aber das konnte mir ja herzlich egal sein. Als sie eindeutig außer Reichweite waren, wohl schon gut zwei Minuten seit ihrer Abfahrt vergangen waren, drehte ich mich mit absolut finsterem Blick zu Richard um. Hätte ihn am liebsten am viel zu ordentlichen Kragen gepackt und gegen den edlen Metallzaun gedrückt, bis ihm die Luft wegblieb. Aber ich sollte nicht in alte Muster zurückfallen, was mir ehrlich schwer fiel, weshalb ich die Hände zu Fäusten ballte. "Wenn du mich auch nur noch ein einziges Mal anlügst schwöre ich dir, dass es das letzte Mal war.", knurrte ich ihm ins Gesicht, stieß dem jungen Mann dabei dem Zeigefinger grob an die Brust, wobei ich ihm deutlich lieber einfach einen Kinnhaken gegeben hätte, damit er wusste, dass ich es ernst meinte. Wenn es eine Sache gab, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann waren es Lügner.
Wie bereits prophezeit, zogen sowohl die Kunstexperten, als auch die Polizisten schon bald wieder von dannen. Ich verließ mit der Gruppe zusammen das Atelier, sah dem Van noch einen kurzen Moment hinterher, bevor ich durch die Nase Luft schnaubte. Ich musste meine Gesichtszüge wirklich beherrschen, war ich innerlich doch gerade sehr aufgewühlt. Genervt, frustriert und wütend... Wütend darüber, dass das Geld, was heute in Aussicht gestanden hatte, mit dem Van davon gefahren war. Etwa zwei Minuten lang war es still in den noblen Gassen von Oslo, bis der temperamentvolle Italiener mir nahezu an den Kragen sprang. In diesem Moment verfinsterte sich auf mein Blick ein wenig. Für gewöhnlich war ich ja ein netter Mensch, half gerne und verzieh einiges, aber seine Reaktion machte mich wirklich... aufbrausend. Dennoch blieb meine Stimme ruhig, ich wollte mich nicht auf sein Niveau hinab begeben, weswegen ich mich lediglich ein wenig aufbaute. Zwar war Sabin noch immer größer als ich, aber ich war immerhin auf Augenhöhe mit ihm. "Wir wissen alle, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können. Der Künstler muss wissen, auf welche Art er die anderen von der Wahrhaftigkeit seiner Lügen überzeugen kann", war das Einzige, was ich mittlerweile mit einem schmalen Grinsen antwortete. "Ist doch nichts passiert", hängte ich an und zuckte mit den verhältnismäßig schmalen Schultern. Ehrlich gesagt wusste ich nicht genau, wo sein Problem lag. Okay, offensichtlich störte es ihm mehr, dass ich ihn angelogen hatte, als das er gerade inmitten einer Razzia festgehalten worden war, aber es gab doch weitaus Schlimmeres. Ich war schließlich naiv genug gewesen, zu glauben, dass Sabin wusste, worauf er sich einließ. Immerhin gab es kaum legale Wege, innerhalb von wenigen Stunden mehrere tausende Euro zu verdienen. Sollte mir nicht wieder passieren. Das nächste Mal würde ich direkt auf die Leute zugehen und sagen... Hey, ich bin Dozent für Kunstgeschichte an einer Uni und nutze meine außergewöhnlichen Fähigkeiten und Verbindungen um Gemälde zu fälschen und sie zu verkaufen, hast du nicht Lust, mitzumachen? Sollte ich mir überlegen, schien sinnvoller. Zumindest, wenn es nach Sabin' Logik ging. Auf das provokante Fingertippen auf meiner Brust ging ich gar nicht weiter ein. Der junge Mann schien sich in meinen Augen einfach nicht richtig unter Kontrolle zu haben, suchte ein Ventil, um mir nicht direkt in die Fresse zu schlagen. Ich war zwar kein Psychiater - obwohl Kunst ja nah dran war - aber ich merkte, dass Sabin aufgewühlt war und ihn etwas beschäftigte. Und wenn ich richtig lag, war der Grund dahinter, dass er selber nicht ganz sauber war. Mit meinen nächsten Worten ging ich auf volles Risiko. Entweder kassierte ich jetzt wirklich eine wohl verdiente Schelle, oder aber ich zog den gekränkten Geist auf meine Seite. "Ich würde mir an deiner Stelle überlegen, mit wem du dich anlegst. Meine Connections können und werden dir von Nutzen sein, sofern du lernst, dich zu beherrschen. Ist ja keine Art, jemanden so anzugehen, nur weil er einem nicht direkt unter die Nase gerieben hat, dass seine Weste nicht ganz so weiß ist, wie man annimmt.", schnaubte ich ihm entgegen, die Augenbrauen noch immer tief ins Gesicht gezogen. Ich wandte mich von ihm ab und dem Bild zu. Für was er sich letzten Endes entscheiden würde, wusste ich nicht. Für mich war das Bild, was noch immer einsam an den Wagen gelehnt dastand erst mal deutlich wichtiger.
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Ah, Kunst war also eine Lüge. Es war ja auch gar Nichts passiert. Schön, dass der Werte Herr das so sah, aber vielleicht war ich da ganz einfach anderer Meinung. Vielleicht hatte ich hier in Oslo keine Kriminalakte und die Bullen hatten sich für meine Personalien auch nicht interessiert. Aber spätestens dann, wenn sie eben doch Irgendwas gefunden hätten, wären ich eindeutig viel zu interessant für sie geworden und ich hätte mir mein neues Leben hier in die Haare schmieren können. Andererseits war ich mir selbst schon wieder nicht mehr sicher, ob ich diese Art von Leben überhaupt haben wollte. Mich für ein paar Euro die Stunde zu Tode ackern war noch nie mein Ding gewesen und mich Leuten wie Richard, die Jemandem scheinbar gerne die Wahrheit enthielten, wenn es Ihnen von Nutzen war, unterzuordnen... nein, ich war mir sehr sicher, dass ich das auch nicht konnte. Dafür hatte ich viel zu lange eine viel Macht besitzende Stelle bei den Mafiosos bezogen und vielleicht wäre es besser, wenn sie mich einfach umlegten. Es würde mir so viel ersparen. Angst vor dem Tod hatte ich nicht, noch nie. Wenn es so sein sollte, dann kam es eben so. Wenn nicht, dann nicht. Aber die Zeit, die ich in meinem Leben noch hatte, wollte ich nicht mit Leuten verbringen, die sich nicht einmal an die simpelsten meiner Regeln hielten, eine persönliche Form von Ehrenkodex, die ich mir einfach über die ganzen letzten Jahre hinweg angeeignet hatte. Eine davon war die Sache mit der Lügerei. Hatten meine Dealer mich angelogen waren sie entweder nur noch vom Boden gekratzt worden oder hatten sich nach der Lektion kaum laufen könnend davongeschleppt, eben je nachdem, ob sie vorher schonmal negativ aufgefallen waren. Nur konnte ich dem Typen hier nicht einfach mal eben so die Birne weich prügeln, wenn mir danach war. Also konnte ich schon, fanden gewisse Leute aber sicher ganz und gar nicht witzig. Aber als er dann meinte, ich solle doch aufpassen, mit wem ich mich anlegte, platzte mir doch noch die nicht vorhandene Hutschnur. Er hatte keine Ahnung davon, wen er hier vor sich hatte und hatte demnach auch keine derartigen Worte in meine Richtung zu fällen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich das ganz einfach für noch respektloser hielt als die Lüge davor. Er mochte Ahnung von Kunst haben, aber Jemanden zu provozieren, der ganz augenscheinlich sowieso schon gereizt war, hielt ich für nicht besonders intelligent. Dozent hin oder her. Also packte ich ihn - mich meinem leider vorhandenen, italienischen Temperament beugend - doch noch am Kragen, jedoch an der Rückseite, schleifte ihn förmlich zu dem Zaun, der mir schon vorher so sympathisch gewesen war und knallte ihm mit der Hand in seinem Nacken das Gesicht an die schmalen, teils verschnörkelten Gitterstäbe. "Es ist mir scheißegal, wen du hier kennst und für wen du dich hältst. Lieber kratz' ich an der verdammten Armutsgrenze, als mich von einer Ratte belügen und provozieren zu lassen. Pass' gefälligst auf, wie du mit mir redest.", zischte ich ihm wütend die vorerst letzten Worte für heute ans Ohr, bevor ich ihn ebenso unsanft wieder losließ und mich umgehend abwendete, um nach Hause zu gehen. Zu Fuß, weil ich ganz einfach ein Ventil für all die Energie brauchte, die sich gerade in mir anstaute. Selbst wenn es Stunden dauern würde, war mir das jetzt lieber als Bahn zu fahren. Mal davon abgesehen, dass das wieder unnötige Kosten wären. Ich bekam zwar oft gutes Trinkgeld, aber einen Geldscheißer hatte ich nach wie vor nicht. Meine erste Amtshandlung Zuhause wäre eine Forderung an Sydney. Sie tat gut daran mir bisher gekonnt Alles vorzuenthalten, was die Mafia anging. Ob sie Fortschritte gemacht hatten, meine Informationen für auch nur Irgendwas gereicht hatten, oder nicht. Aber ich hatte ein verdammtes Recht darauf zu erfahren, wie die Dinge standen. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass das keine Sache war, die mir wohl von Tag zu Tag mehr den Verstand raubte. Unwissenheit war eine der schlimmsten Strafen überhaupt.
Hmhm. Zugegebenermaßen hatte ich schon damit gerechnet, dass hier doch gleich die relativ kurze Lunte abgebrannt war, aber es tat halt schon weh, als mein Gesicht die kalten Gitterstäbe mit nicht zu verachtender Geschwindigkeit kennen lernten. Normalerweise gefielen mir ja so Speed-Datings, aber das hier war doch etwas anderes. Ich fiel mit einem stumpfen Röcheln auf die Knie, wartete bis das Testosteronbündel wieder von mir abgelassen hatte. Seine letzten Worte zauberten mir ein süffisantes Lächeln auf die blutverschmierten Lippen. Sabin hielt sich aber nicht weiter mit mir auf und suchte relativ bald schon das Weite, was ich als Anlass nahm, mich wieder auf die Füße zu stemmen. Mit schmerzverzerrter Miene hangelte ich mich an den Gitterstäben, mit denen ich gerade hatte Bekanntschaft schließen dürfen, wieder auf die Beine. Ich konnte das Blut, welches mir von der Nase in den Mundraum floss schon schmecken. Herrlich, dieser süße Geschmack von Eisen und anderen Mineralien, die neben Kaffee wohl die Essenz des Lebens waren. Vorsichtig wischte ich mir mit dem mittlerweile zerknittertem Hemd die, mit Blut vermischten Sabberfäden aus dem Gesicht, fuhr mir durch die zerzausten Haare. Dass Sabin noch einmal auf mich zukommen würde, war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Ich ließ seine letzten Worte noch einmal Revue passieren, konnte aber nur den Kopf schütteln. So wirklich sicher, was er damit bezwecken wollte, war ich mir nicht. Ich musste vor niemanden Angst haben, schon gar nicht vor einem Testosteron gesteuerten, italienischen Jungbullen, den man noch nicht abgesamt hatte. Also ließ ich das alles erst einmal so stehen, bezog mich noch einmal auf die Aussage, die ich am Vormittag schon getätigt hatte. Ein guter Gärtner wusste, was seine Blümchen brauchten. Und wenn ich nicht ganz Unrecht hatte, dann war mit meiner Aussage ihm gegenüber schon ein großer Schritt in die richtige Richtung gemacht worden. Mittlerweile war ich mir nämlich ziemlich sicher, dass ein so Gewalt bereiter Mensch nicht immer legal arbeitete. Und wenn das stimmte, war ich für ihn früher oder später von Nutzen. Dann war meine Zeit gekommen. Fürs Erste verräumte ich aber erst mal das Bild wieder ins Atelier, wo ich mir auf dem Rückweg meinen Trenchcoat über den Arm warf und das Geschäft für heute schloss. Die Lust auf Verkaufsgespräche war mir nach der Aktion wirklich vergangen und ich brauchte erst einmal ein Bier... oder am Besten etwas härteres. Und wo konnte man hier gut und günstig einen Saufen? Richtig... im Smith and Wesson.
Irgendwie war es den Tag über ruhig gewesen. Ich hatte mir fast schon Sorgen gemacht, als Sabin für eine so lange Zeit - unbeaufsichtigt wohl gemerkt - draußen herum streunte. Zwar waren es nicht unbedingt die Sorgen, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, sondern das er doch schneller als gedacht wieder etwas ausgefressen haben könnte. Eigentlich stand ich in der Pflicht, mindestens drei Monate kontrollierend neben ihm herzulaufen und ihn auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Als sich jedoch heraus stellte, dass er mit seinem Job doch einen recht geregelten Tagesablauf hatte, wo kaum Zeit blieb, Faxen zu machen, hatte ich die Regeln dahingehend ein bisschen schleifen lassen. Umso mehr beschlich mich das Gefühl, dass er am heutigen Tag rückfällig geworden war. Gerade, als ich mir die Schuhe angezogen hatte, um nachzusehen, ob er vielleicht doch noch in die Bar beordert worden war, flog die Tür beinahe auf. Erschrocken zuckte ich im ersten Moment zusammen, atmete dann aber tief durch, als ich keinerlei Kratzspuren oder Abschürfungen, sprich Hinweise auf eine Schlägerei, feststellen konnte. Dennoch merkte ich, dass etwas nicht stimmte und legte aus dem Grund den Kopf fragend zur Seite. "Alles in Ordnung?", murmelte ich fragend, schob die Schuhe gerade wieder von den Füßen. "Bitte informiere mich das nächste Mal, wenn du so lange weg bist. Ich möchte zumindest wissen, wo du dich aufhältst, sonst muss ich die Regeln doch wieder strenger einhalten", schob ich direkt hinterher. Wir verstanden uns mittlerweile relativ gut. So gut, wie sich ein Ex-Mafiosi und eine FBI Agentin eben verstehen konnten, aber ich musste auch ein wenig an meine Arbeit denken. Ich wurde immerhin dafür bezahlt, quasi den Babysitter zu spielen. Und wenn die Kinder aus der Reihe tanzten, dann musste man entsprechend etwas härter durchgreifen. Da ich aber nicht sofort wieder der Spielverderber sein wollte, bat ich Sabin, am Tisch Platz zu nehmen. Ich wollte darüber reden, wo er heute so lange war. Und ich würde keine Ruhe geben, bis ich eine plausible Erklärung dafür bekommen hatte.
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