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| Zuletzt Online: 19.01.2025
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Auch Tauren schien der Meinung zu sein, dass ich das Rauchen besser schnellstmöglich wieder einstellte, was ich mit einem schwachen Nicken kommentierte. Wahrscheinlich würde ich das auch, konnte aber nicht versprechen, es in der Zukunft gänzlich sein zu lassen. Wenn es hart auf hart käme, dann griff ich lieber wieder zu den Zigaretten, anstatt mich erneut in den Drogensumpf zu stürzen. Kippen ließen einen wenigstens nicht derart am Rad drehen, wie es etwaige andere abhängig machende Konsumgüter taten. Der Gedanke an all die zurückliegenden Zwischenfälle, die ich während meiner aktiven Konsumphase provoziert hatte, ließ mich leise seufzen und einen weiteren Zug von dem Glimmstängel nehmen. Dieses Mal allerdings bedacht darauf, nicht zu viel von dem Rauch meine Lungen fluten zu lassen. Mit dem Handrücken wischte ich mir im Anschluss die Tränenflüssigkeit aus den Augen, bevor auch nur ein Tropfen auf die Idee kam, meine Wange hinunterzulaufen. "Ich denke, nach der Schachtel bin ich ohnehin erst mal bedient...", mutmaßte ich und zuckte nachdenklich mit den Schultern. Die Packung war beinahe leer. Es würde mir zwar kein Loch in den Geldbeutel reißen, den Bestand aufzufüllen, denn Tabakwaren waren auf Kuba verhältnismäßig günstig, aber was man nicht mit Geld zahlte, zahlte man dafür mit der Gesundheit und die war mir irgendwie... naja, wichtig? Ein bisschen ironisch war das jetzt schon, immerhin hatte ich vor noch nicht allzu langer Zeit alles menschenmögliche daran gesetzt, mich und meinen Körper ins Verderben zu stürzen, bis ich auf kalten Entzug gesetzt wurde und schließlich Samuele in mein Leben getreten war. Wenn man so wollte, konnte man durchaus sagen, dass mich das toleranter hatte werden lassen, ja. Mit einem schiefen Grinsen sah ich zu dem Norweger rüber, aber meine Mundwinkel waren nicht besonders ausdauernd. Je länger Tauren sprach, umso mehr sanken sie wieder ab, bis ich mich schließlich wieder von ihm abwandte und meinen Blick auf die Zigarette zwischen meinen Fingern heftete. Vahagn und Samuele schienen sich laut Aussage des jungen Mannes relativ ähnlich zu sein, was mich nicht besonders glücklich stimmte. Bisher hatte ich das Gefühl gehabt, die beiden waren wie Äpfel und Birnen - komplett unterschiedlich eben, nicht zu vergleichen. Dass ich jetzt auf eine ähnlich verkorkste Beziehung zusteuerte, wie die zwischen dem Norweger und der Russin war besorgniserregend, eigentlich wollte ich das nicht. Sammy einfach so gehen zu lassen kam aber auch nicht infrage, so viel war sicher. Dass es dafür Regel brauchte, musste mir Tauren nicht zwei mal sagen. Sollte ich den Italiener in meinem Haus mit einer anderen Person intim werden sehen, gäbe es höchstwahrscheinlich Mord und Totschlag und um genau das zu vermeiden, mussten wir vorab klären, was in Ordnung war und was nicht. Ich schluckte schwer. Eigentlich war für mich absolut gar nichts in Ordnung, alleine der Gedanke daran, wie er sich von jemand anderem anfassen ließ, trieb mir förmlich die Gallensäure in die Speiseröhre. "Da hast du Recht. Ehrlich gesagt muss ich aber selber noch überlegen, ob ich das mit mir vereinbaren kann... irgendwie... fühlt es sich nicht gut an.", stellte ich unzufrieden fest. Vielleicht würde mir ja noch etwas anderes einfallen. Vielleicht musste ich mir selber einfach in den Arsch treten? Was, wenn ich schon längst nicht mehr so panische Angst vor Sex hatte und mein Gehirn einfach nur eine kurze Schocktherapie brauchte, um wieder anständig zu funktionieren? Wieder normal zu denken, wie vor dem Zwischenfall. Es klang gleichermaßen absurd wie auch einleuchtend und ich beschloss, Tauren diesbezüglich nach seiner Meinung zu fragen. "Meinst du... der Kopf hat vielleicht eine Art Reset-Button? Vielleicht geht es mir ja tatsächlich schon wieder besser und ich denke nur noch, dass dem nicht so ist? Wer weiß, wenn ich mich darauf einlasse - auf Sex mit Sam, meine ich -, vielleicht... eventuell bin ich ja schon wieder der Alte und weiß es nur noch gar nicht?" Es war überraschend, wie viel Überzeugung und Hoffnung in meinen Worten mitschwang, obwohl ich wusste, dass nun ich derjenige war, der den Anschein machte, nicht zu verstehen, wie ein Trauma funktionierte. Die Taktik, die ich dem jungen Mann vorschlug, mochte vielleicht bei weniger gravierenden Ängsten funktionieren, bei kleinen Schatten, die sich eigentlich leicht überspringen ließen, aber eine Vergewaltigung? Ich konnte nicht glauben, dass ich wirklich so dumm war, von meinen eigenen Worten derart überzeugt zu sein.
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Ja, ein mulmiges Gefühl war wohl kaum zu vergleichen mit der Panik, die mich ergriff, wenn ich nur daran dachte, mich vor einem Mann - egal auf welcher Basis, ob vertraut oder nicht - zu entblößen. Und ich spürte, dass es Tauren leidtat, was mir widerfahren war, auch wenn er es nicht aussprach und schon gar nichts dafür konnte, dennoch sollte er sein eigenes Trauma nicht kleiner reden, als es eigentlich war. Schlimmer war schlimm, aber trotzdem nicht weniger... schlimm. Ließ einen nicht nennenswert weniger leiden. Meine Narben waren überwiegend psychisch, nicht sofort sichtbar. Taurens körperliche Blessuren hingegen schon. "Nur weil mir etwas, in deinen Augen vielleicht schlimmeres, widerfahren ist, musst du dein Unwohlsein deswegen nicht gleich degradieren. Du hast genauso gelitten.", stellte ich ruhig fest und schenkte dem jungen Mann ein schwaches Lächeln. Sein Leid war genauso schlimm wie mein eigenes, nur eben auf eine andere Art und dafür verdiente er mindestens das gleiche Maß an Einfühlsamkeit und Verständnis, was er mir gegenüber gerade an den Tag legte. Außerdem war das hier kein Wettbewerb. Es ging nicht darum, wer es mit mehr Schäden aus diesem gottverdammten Hotel geschafft hatte. Wir beide lebten noch und hatten gleichermaßen mit den Folgen zu kämpfen. Ich seufzte und ließ mich nach hinten gegen die Lehne fallen, drehte meinen Kopf aber direkt wieder in Richtung des Norwegers, welcher aufgrund der prekären Situation augenscheinlich zu seinen Zigaretten greifen wollte, weil sein Kopf das Nikotin brauchte, um wieder einen einigermaßen klaren Gedanken fassen zu können. Zumindest vermutete ich das, weil mich in diesem Moment ein ähnliches Gefühl heimsuchte. "Nimm' ruhig...", murmelte ich und streckte meine Hand nach der auf dem Tisch liegenden Zigarettenschachtel aus. Ich selbst nahm mir ebenfalls einen Glimmstängel und schob die Packung anschließend zum untermauern meiner vorangegangenen Worte ein Stück in Taurens Richtung. Während ich nach dem Feuerzeug angelte, ließ ich mir die Worte des Norwegers einen Augenblick lang durch den Kopf gehen. Er musste sich nicht scheuen, mir Ratschläge zu geben. Ich war alt genug, selber zu beurteilen, ob ich diese für gut befand oder in die Kategorie Ablage P rund einordnete. Genau aus dem Grund war es mir ja überhaupt so wichtig gewesen, dass er herkam und sich mein Gejammer anhörte. Nicht nur, weil ich mir meine Meinung bestätigen lassen oder mir eine andere anhören wollte, sondern eben auch einen Ratschlag gebrauchen könnte, wie ich in dieser Situation weiter verfahren sollte. Und was Tauren sagte, hatte schon Hand und Fuß. Der Gedanke daran, Sammy einen Freipass dafür zu geben, sich den Sex, dem ich ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in naher Zukunft bieten konnte, woanders zu holen, vergiftete zwar jede einzelne Faser meines Körper - und sprach dazu noch gegen ziemlich viele meiner bisherigen Prinzipien -, aber nüchtern betrachtet war es tatsächlich der einzige Weg, ihn auf lange Sicht nicht zu verlieren. So zumindest die Theorie. Allerdings barg das Ganze auch ein gewisses Risiko. Was wäre, wenn er sich plötzlich anderweitig verliebte und sich früher oder später von mir lossagte? Wenn ihn plötzlich jemand anderes mit genügend Intellekt verzauberte und ihn mir somit aus meinen kraftlosen Händen riss? Alleine die Vorstellung daran ließ mein Herz ganz schwer werden und in einem von Anfang an zum Scheitern verurteilten Versuch, sich dem Druck auf meinen Lungen zu entziehen, zog ich einmal zu heftig an der Zigarette. Ich hustete und saß binnen Sekunden kerzengerade, um besser nach Luft ringen zu können. Mir standen die Tränen in den Augen, als ich mich nach etwa dreißig Sekunden wieder gefangen hatte und ich verzog unzufrieden das Gesicht. "Deswegen rauche ich eigentlich nicht...", stellte ich grummelnd fest und schnippte den Glimmstängel am Aschenbecher ab. Ich hasste dieses Gefühl, wenn sich die Lunge durch die Schadstoffe allein schon perforiert anfühlte. Sich dann auch noch zu veratmen war die Hölle. Aber zurück zum eigentlichen Thema. "Tut er auch...", bestätigte ich den Norweger kurzerhand in seiner Aussage, dass Sam mir guttat. "Ich bin viel glücklicher, seit er an meiner Seite ist. Und der Kater ist auch ein nettes Plus. Eigentlich bin ich ja kein Katzenfreund, aber Bandit... er ist schon süß." Der Gedanke an das dreieinhalbbeinige Fellknäuel ließ mich wieder schwach lächeln. "Vermutlich ist das genau der Grund, warum mich das heute Nacht so getroffen hat... ich weiß nicht. Ich hab ihm vertraut, wir waren bisher immer auf einer Wellenlänge und ich war der Meinung, ihm das Gefühl gegeben zu haben, dass er über alles mit mir reden kann. Aber offenbar nicht." Suchte ich die Schuld letzten Endes jetzt doch bei mir? Versuch' es gar nicht erst, ermahnte ich mich selbst. Ich versuchte wohl nur ziemlich verzweifelt, mir irgendwie schönzureden, was ich selbst bereits gedacht hatte und Tauren letzten Endes auch aussprach: Ich würde Samuele wohl teilen und darauf hoffen müssen, damit die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Es fiel mir wirklich schwer, dem jungen Mann zuzustimmen und doch nickte ich langsam. "Vermutlich hast du Recht... ich sehe bisher auch keinen anderen Weg." Und damit nahm ich einen weiteren Zug, unentschlossen, ob ich künftig mehr rauchen würde, um die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu kriegen oder doch wieder aufzuhören, weil es ein guter Kompromiss war.
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Auch wenn mir gerade wirklich nicht nach lachen zumute war, gab ich zumindest ein im Ansatz belustigtes Schnauben von mir, als Tauren auf die Nacht zu sprechen kam, die auf die ein oder andere Art in einem Desaster geendet hatte. "Ja, genau über diese Nacht spreche ich... sorry, hab' vergessen, dass du dich nur vage daran erinnerst, was ich zu dir gesagt habe.", stimmte ich ihm zu und entschuldigte mich im selben Atemzug weniger ernst gemeint dafür, dass ich ein kleines Vergesserchen war. Anschließend richtete ich mich auf dem Stuhl etwas auf und beugte mich nach vorne, um die Ellbogen auf meinen Knien abzustützen und meinen Kopf nachdenklich zwischen den Schultern baumeln zu lassen, während ich gespannt auf eine Antwort des Norwegers wartete. Das dauerte allerdings einen Augenblick und ich stand kurz davor, aus der Haut zu fahren, weil mir Tauren viel zu lange brauchte. Dabei waren es eigentlich nur ein paar Sekunden, bis er mir schließlich seine Meinung zu dem ganzen Spektakel kundtat. Und wie ich erwartet hatte, waren wir ziemlich genau der gleichen Ansicht. Fanden beide, dass es ein absolutes Unding war, mein Trauma hinzustellen, als würde es sich irgendwann schlicht und ergreifend in Luft auflösen. Auch die noch folgenden Worte des jungen Mannes bestätigten mich zunehmend mehr darin, dass mein Standpunkt absolut nachvollziehbar und Sam derjenige war, der sich daneben benommen hatte. Es wäre zwar Quatsch zu behaupten, dass es mir mit der Erkenntnis jetzt besser ging, aber ich fühlte mich zumindest ein bisschen weniger... delulu.Dass Tauren selbst unter den Italienern gelitten hatte, war mir gar nicht mehr so bewusst, was nicht daran lag, dass es mir egal war oder ich mich nicht dran erinnerte - ich hatte es, wie so vieles aus der Zeit, einfach verdrängt. Demnach wanderten meine eigenen Augenbrauen nun auch etwas nach oben und ich drehte den Kopf in Richtung des Norwegers, um ihm als Zeichen dafür, dass ich zuhörte und verstand, ein wenig zuzunicken. "Die Schweine haben uns wirklich fürs Leben gezeichnet...", stellte ich stumpf fest und konnte ein weiteres, dieses Mal deutlich abfälligeres Schnauben nicht unterdrücken. "Ich... ich meine...", setzte ich an und musste feststellen, dass ich bei dem Gedanken daran, was mir widerfahren war, unweigerlich zu Stottern anfing. Tauren wusste, wie er selbst schon sagte, nicht, was hinter geschlossenen Türen alles passiert war und ich wiederum bezweifelte, ihm gegenüber Lichts ins Dunkle bringen zu können, ohne dabei in Tränen auszubrechen, aber: "Ich glaube, dass das, was für dich Keller sind, für mich der Sex ist. Nur, dass ich wirklich in Panik ausbreche.", umschrieb ich vorsichtig und ohne weiter ins Detail zu gehen, wie schlimm es um mich stand. Wenn Keller, die er nicht kannte, ihm schon mulmig zumute werden ließen, dann konnte er sich ausmalen, wie es für mich war, wenn ich... naja, nackte Männer sah und etwaige sexuelle Interaktionen im Raum standen. Ob ich vielleicht doch noch ans andere andere Ufer schwimmen und meine Zukunft lieber mit einer Frau verbringen wollen würde? Denkbar unwahrscheinlich. Vielleicht fiel es mir leichter, mich auf intimer Ebene wieder mehr einzulassen, ja, weil ich kaum darum fürchten musste, einer Frau unterlegen zu sein, aber irgendwie konnte ich es mir trotzdem nicht vorstellen. Der Gedanke an einen fraulichen Körper reizte mich gar nicht, wobei auch ein männlicher Körper momentan keine anregende Wirkung auf mich hatte. Jetzt einen aussagekräftigen Vergleich zu ziehen war also eigentlich gar nicht wirklich möglich. Außerdem war ich ja verliebt, Hals über Kopf sogar, wenn man das so sagen konnte. Samuele hatte ein paar verstorben geglaubten Schmetterlingen in meinem Bauch neues Leben eingehaucht und ich fand, dass das schon ein verdammt großer Fortschritt war. Wir kuschelten regelmäßig und auch das Küssen war mir von Mal zu Mal leichter gefallen. Dass er sich jetzt daran aufhing, dass ich mir an dieser einen Herkulesaufgabe noch immer die Zähne ausbiss, brachte mich mehr aus der Fassung, als ich es mir eingestehen wollte. Ich sah Tauren entsprechend betreten an, als er mir seine Sicht der Dinge im Bezug auf das Fremdgehen mitteilte und über seine Feststellung bezüglich seiner eigenen Freundin sowie seine abschließend an mich gerichtete Frage hätte ich beinahe gelacht, wenn mir nicht grundsätzlich nach Heulen zumute gewesen wäre. "Also was Vahagn angeht, kann ich dich komplett verstehen. Manchmal ist es besser, einfach nicht zu wissen, was möglicherweise gelaufen ist, damit man sich selbst besser fühlt.", stellte ich erst einmal ruhig und mit einem schwachen Schulterzucken fest, dass es mir in seiner Situation vermutlich ähnlich gegangen wäre. Vor allem, wenn man einen begründeten Verdacht hatte, dass eben Irgendwas passiert war. Bevor ich zum Beantworten seiner Frage ansetzte, warf ich beinahe entgeistert die Arme in die Luft und konnte mich nur durch äußerste Anstrengung dazu zwingen, auf dem Stuhl sitzenzubleiben. Am liebsten wäre ich eigentlich aufgesprungen und hätte losgewütet. "Ich wünschte, wir hätten es... darüber geredet, meine ich. Er wollte es wohl, hat sich aber anscheinend nicht getraut. Ich kann es ja auch irgendwo verstehen, weil ich selber nicht so richtig weiß, wie ich reagiert hätte. Aber ich bin der Meinung, dass alles besser gewesen wäre, als... naja, das jetzt halt. Im Nachhinein oder auch vorab kann man Vieles sagen, was man in der Situation aber vielleicht ganz anders gesehen hätte, weißt du?" Vor allem, wenn man ein so sensibles Thema besprach, war eine sachliche Unterhaltung manchmal gar nicht so einfach. "Nur was gibt es in der Hinsicht für Möglichkeiten, die beide Parteien gleichermaßen zufriedenstellen? Korrigier' mich, wenn ich falsch liege, aber eigentlich gibt es doch nur drei Optionen: Entweder wir trennen uns, weil Sam sagt, er besteht auf Sex und ich ihm den nicht bieten kann; ich stimme zu, dass er sich anderweitig vergnügt, was mich definitiv unglücklich machen würde oder er steckt zurück und akzeptiert, dass ich vielleicht niemals dazu in der Lage sein werde, mit ihm intim zu werden... Also auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, wenn du mich fragst." Aber irgendwas mussten wir tun. Es war zwingend notwendig, dass wir uns aussprachen und eine Lösung fanden. Ich wollte die Beziehung zu ihm zumindest äußerst ungerne so enden lassen.
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Na immerhin schien es wenigstens einem von uns einigermaßen gut zu gehen. Nicht, dass es mir dadurch mit meiner eigenen Misere besser ging, aber ich freute mich, dass Tauren endlich wieder lächeln konnte. Zwar sah ich ihn einen Moment lang verwirrt an, während ich meine eigene Zigarette ansteckte, weil mir nicht sofort klar war, wen er mit V meinte, aber die nachfolgenden Worte seinerseits schafften dahingehend Klarheit. Ich nickte langsam und mein Blick richtete sich abwesend nach vorne. "Ich hab' doch gesagt, es wird alles wieder gut." Hatte ich zwar nicht gesagt und genauso wenig daran geglaubt, aber so oder so ähnlich hatte ich ihm beschrieben, wie es ablaufen könnte, wenn Tauren der Russin wirklich am Herzen lag. Dass er eben nicht derjenige sein musste, der zu Kreuze kroch, sondern Vahagn sich auch etwas bemühen würde, wenn ihr die Beziehung zu dem Norweger wirklich wichtig war. Es hatte augenscheinlich eine ganze Weile gedauert, die den jungen Mann zum Teil wirklich unausstehlich hatte werden lassen, aber naja. Wenn sie nun wieder da war, sollte sich die schlechte Laune bei Hunters Handlanger alsbald gänzlich in Luft auflösen. Er war ja jetzt schon kaum wiederzuerkennen, ihm stand die Glückseligkeit förmlich quer über das Gesicht geschrieben. Sehr zu meinem Bedauern wohlgemerkt, denn ich hätte gerne mit jemandem gesprochen, der sich in einer ähnlich beschissenen Situation befand, damit wir uns beide gegenseitig bemitleiden konnten. Ich nahm einen tiefen Zug von dem Glimmstängel, ließ das Nikotin förmlich jede Faser meines Körpers langsam vergiften, ehe ich den Rauch mit einem tiefen Seufzen in die Luft pustete. "Brauchte was, um meine Nerven zu beruhigen.", murmelte ich und drehte langsam meinen Kopf in Richtung des Norwegers. "Ich... wir... Sam und ich hatten gestern Streit.", fuhr ich fort und so gerne ich auch mit offenen Karten spielen wollte, es fiel mir irgendwie schwer, darüber zu reden. Allerdings hatte ich den jungen Mann herbestellt, um eben genau das zu tun. Um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Ich wollte wissen, was er davon hielt und mir eine zweite Meinung einholen. Vielleicht hatte ich ja tatsächlich ein wenig überreagiert und Sam zu Unrecht verurteilt. "Er kam heute Nacht nach Hause und... erst mal wusste ich überhaupt nicht, dass er unterwegs ist, was ja jetzt nicht schlimm ist. Ich meine... er ist erwachsen, kann seine eigenen Entscheidungen treffen und so, aber eigentlich sind wir da ziemlich transparent miteinander. Ich sag ihm, wenn ich was vorhabe, wo ich hin gehe und Sam mir normalerweise auch.", fing ich erst einmal an, eines der weniger dramatischen Probleme zu erläutern. Wie gesagt, so richtig gestört hatte es mich auch nicht. Ja, es war untypisch für ihn gewesen, mir einfach nichts zu sagen, aber jeder hatte so seine Tage, wo man manches einfach vergaß. Also alles gut, kein Ding. "Und... als er dann die Tür rein ist, sehe ich einen fetten Knutschfleck an seinem Hals, der er definitiv nicht von mir hatte. Sam...", ich zögerte, nestelte mit Daumen und Zeigefinger ein wenig an dem Filter der Zigarette herum, den Blick auf den Boden gerichtet. "Er hat mir dann gesagt, dass irgendeine Frau ihm um den Hals gefallen ist. Ich... ich weiß nicht, es war alles irgendwie total seltsam und ist dann auch schnell eskaliert. Eigentlich wollte ich das Gespräch gestern nicht führen, weil ich, wie du schon weißt, der Meinung bin, dass das zu nichts geführt hätte, aber dann sind die Emotionen einfach übergekocht. Er hat sich angegriffen gefühlt, ich hab' mich angegriffen gefühlt. Aber... Also klar, ich hab' sicher auch nicht so nette Sachen gesagt, aber man. Sam lässt sich abknutschen und bittet mich dann im Nachhinein um Verständnis. Das kann er doch nicht ernst meinen, oder?" Je länger ich redete, umso leichter fiel es mir auch und ich spürte, wie die Wut auf den Italiener langsam zurückkam. Ich würde behaupten, ein ziemlich verständnisvoller Mensch zu sein. Nachtragend, aber verständnisvoll. Keine Ahnung, wie ich reagiert hätte, wenn er von Anfang an ehrlich das Gespräch mit mir gesucht hätte. Ob ich erwachsen genug gewesen wäre, nicht beleidigt oder verletzt zu sein, sondern empathisch. Das hatte ich ihm zwar vor einigen Stunden zugesichert, aber jetzt war ich mir da gar nicht mehr so sicher. Nachdenklich griff ich nach meiner Tasse, lugte hinein und musste feststellen, dass ich den Inhalt bereits restlos vernichtet hatte. Super. Warum hatte ich sie nicht vorhin mit nach drinnen genommen, um mir nachzuschenken? Weil du mit deinen Gedanken gerade woanders bist, Richie, erinnerte mich mein Verstand und ich stellte das Behältnis entnervt zurück. "Es gab dann auch ein paar Sachen, die mich richtig sauer gemacht haben. Er hat mich gefragt, ob ich glaube, dass ich mein Trauma irgendwann überwinden würde." Mit einem Schnauben beförderte ich die Überreste der Zigarette schnipsend über das Ende der Terrasse hinweg ins Grüne. Rügte mich kurze Zeit später dafür selbst, weil das eigentlich nicht meine Art war und nahm mir vor, den Stummel später wieder einzusammeln. Aber es war eine Kurzschlussreaktion gewesen, weil ich immer noch nicht darüber hinweg war, dass Sam mir so eine blöde Frage gestellt hatte. Wenn ich Hellseher gewesen wäre, dann würde ich wohl kaum hier auf Kuba meinen Alltag in einem Drogenlabor verbringen. Da konnte Sammy sich sicher sein.
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Es war einen Moment lang still am anderen Ende der Leitung und ich befürchtete kurz, Tauren habe einfach aufgelegt. Etwas irritiert nahm ich das Handy vom Ohr und prüfte, ob die Verbindung noch stand. Ich wollte gerade dazu ansetzen, ihn zu fragen, ob er noch dran war, als er mir mit verschlafener Stimme versicherte, sich zeitnah auf den Weg zu machen. Ich nickte stumm und als ich realisierte, dass er mich gerade gar nicht sehen konnte, murmelte ich ein leises "Okay, danke, bis gleich." Nachdem ich dem Norweger bestätigt hatte, wo er mich vorfinden würde, legte ich auf und das Handy wanderte etwas energisch auf die Theke. Dass es dabei zu Bruch gehen könnte, interessierte mich nicht. Ich seufzte, dann versorgte ich den Kater, der ungeduldig um meine Bein schlich, mit frischem Nassfutter und setzte eine Kanne Kaffee auf. Das Koffein würde mir zwar wohl kaum dabei helfen, wieder einen klaren Gedanken zu fassen, aber über den Punkt, wo das schwarze Gold mir effektiv dabei half, wacher zu werden, war ich ohnehin schon lange hinaus. Ich trank Kaffee nur noch, weil er mir schmeckte. Während die Filtermaschine mit einer Mischung aus monotonen Brummen und Gurgeln neben mir arbeitete, lehnte ich mich mit der Hüfte an die Theke und verschränkte die Arme vor der Brust - mein Blick dabei auf dem fressenden Kater geheftet. Als mir einige Minuten später das verheißungsvolle Klack der Kaffeemaschine signalisiert, die vorgesehene Arbeit vollbracht zu haben, löste ich mich aus der Starre und angelte zwei Tassen aus dem Schrank hinter mir. Tauren würde sicherlich auch etwas trinken wollen, richtig? Fürs Erste goss ich jedoch nur mir etwas ein, weil ich nicht wollte, dass das Getränk komplett kalt war, bis der Norweger eintraf. Mit der Tasse und meiner Schachtel Zigaretten bewaffnet schlurfte ich schließlich raus auf die Terrasse und zog die Tür hinter mir zu, damit der Kater nicht auf dumme Ideen kam. Wieder vernichtete ich binnen kürzester Zeit zwei Glimmstängel und als ich von meiner Position hinter dem Haus aus hörte, dass ein Wagen in die Auffahrt rollte, drückte ich gerade den kläglichen Rest der Zigarette im Aschenbecher aus. Diesen hatte ich eigentlich extra für rauchende Gäste - was in aller Regel nur Tauren war - angeschafft, denn wenn es etwas gab, was ich noch mehr verabscheute als Rauchen an sich, dann war es Rauchen in der Wohnung. Entsprechend hatte ich den jungen Mann immer noch draußen gescheucht und nun saß ich selber hier. Sehr ironisch. Ich erhob mich und durchquerte den Bungalow, um dem Norweger die Tür zu öffnen, noch bevor er überhaupt dazu kam, die Klingel zu betätigen. Aus müden und erschöpften Augen sah ich ihn an und... Moment mal - irgendwas stimmte hier nicht. Einige Sekunden lang beäugte ich meinen Freund nachdenklich. Warum war er so gut gelaunt? Das letzte Mal, als ich Tauren gesehen, beziehungsweise gehört hatte, war er ziemlich genervt gewesen, von guter Laune keine Spur in Sicht. Und jetzt stand er vor mir, ein breites Lächeln zierte seine Lippen. Ich konnte nicht anders, als verwundert die Augenbrauen nach oben zu ziehen. Das war auch der Grund, weshalb ich verzögert auf seine Frage nach einer Tasse Kaffee antwortete. "Ehm... hi.", begrüßte ich ihn zögerlich, dann schüttelte ich den Kopf und machte ihm Platz, sodass er eintreten konnte. "Ja, klar. Hab' dir schon eine Tasse rausgestellt.", fügte ich wenige Sekunden später hinzu, dass ich bereits an ihn gedacht hatte. Ich schloss die Tür hinter ihm, kaum hatte er das Haus betreten, bevor ich mich an dem jungen Mann vorbei schob und erneut die Küche ansteuerte. Inzwischen war der Kaffee vermutlich nicht mehr so heiß, wie noch vor einigen Minuten, aber immer noch angenehm temperiert. Mit der halbvollen Tasse schloss ich wenig später wieder zu ihm auf und bedeutete Tauren mit einem Kopfnicken, mir nach draußen zu folgen. Dort war es inzwischen recht angenehm und jede Minute, die ich nicht in dem Wohnzimmer verbringen musste, war eine gute Minute. Auf der Terrasse angekommen stellte ich die Tasse auf dem kleinen Tischchen, an dem jeweils rechts und links ein Stuhl stand, ab, ehe ich mich mit einem Seufzen wieder auf meine vier Buchstaben fallen ließ. Ich griff zu der Zigarettenschachtel, zog eine Kippe heraus und bot dem Norweger im Zuge dessen ebenfalls eine an. "Wie geht's dir?", fragte ich, weil ich ihn nicht sofort mit meinen Problemen zumüllen wollte. Außerdem interessierte mich ernsthaft, ob etwas vorgefallen war, von dem ich bisher nichts wusste. Nachdem Tauren seit der Trennung täglich mit unfassbar schlechter Laune um sich warf, war sein verhältnismäßig entspanntes Auftreten gleichermaßen überraschend wie besorgniserregend.
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~ le sprüng zu le nächste tag, morgens, irgendwann... 08:30 Uhr, weil er konnte nicht schlafen und möchte, dass tauren es auch nicht kann ~
Es grenzte wirklich an ein Wunder, dass ich nach dem Streit von vor wenigen Stunden überhaupt in den Schlaf gefunden hatte. Kaum war Samuele aus dem Haus gestürmt, war ich auf dem Sofa unter Tränen zusammengebrochen und naja... scheinbar irgendwann der Erschöpfung wegen eingenickt. Freiwillig eingeschlafen war ich auf keinen Fall, dafür war mein Hirn viel zu beschäftigt damit gewesen, die Auseinandersetzung auf Dauerschleife wieder und wieder vor meinem inneren Auge abzuspielen. Sammys Geständnis, dann die Offenbarung seiner Gefühle und wie er mich kurz vor seinem Verschwinden genannt hatte - gottverdammter Wahnsinniger. Es versetzte mir mit jedem neuen Durchlauf einen erneuten Stich ins Herz. Der einzige Grund, warum ich nach gut anderthalb Stunden wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen war, war Bandit. Der Kater hatte sich im Laufe unserer immer lauter werdenden Unterhaltung und dem finalen Türknallen seines Besitzers ans andere Ende des Bungalows verzogen und traute sich nur vorsichtigen Schrittes wieder heraus. Checkte vorsichtig die Lage ab. Als er mich auf dem Sofa hatte sitzen sehen, war er behutsam um meine Beine geschlichen und hatte sich anschließend auf meinem Schoß niedergelassen. Bestand dann darauf, dass ich ihm durch das kurze Fell strich und das hatte irgendwie eine unfassbar beruhigenden Wirkung gehabt. Ich war zwar immer noch viel zu aufgewühlt, als dass an Schlaf wirklich zu denken war, aber ich weinte immerhin nicht mehr. Nur ein leises Schluchzen hier und da, bevor ich schließlich wider Erwarten zur Seite weggekippt und eingepennt war. Irgendwann, es müsste gegen sechs Uhr früh gewesen sein, riss ich die Augen wieder auf. Ein Albtraum hatte mich zurück in die kalte Realität katapultiert und mich schweißgebadet vom Sofa aufspringen lassen. Mein Kreislauf schien gar nicht begeistert darüber zu sein und ich musste mich wenig später kurz an der Sofalehne festhalten, weil meine Beine unter meinem plötzlichen Gewicht wegzubrechen drohten. Ich atmete einmal tief durch, strich mir eine an der Stirn klebende Strähne aus dem Gesicht, bevor ich meinen Blick durch das, mit Ausnahme auf den Kater, leere Wohnzimmer gleiten ließ. Es fühlte sich an, als würde die plötzliche Leere mich förmlich erdrücken und ich musste ganz dringend hier raus. Ich beschloss, einen kleinen Spaziergang zu machen und mir unterwegs eine Schachtel Zigaretten zu kaufen. Normalerweise rauchte ich nicht, hatte es auch noch nie gerne getan, aber ich brauchte gerade etwas, um meine strapazierten Nerven zu beruhigen. Am liebsten wäre mir natürlich etwas Härteres gewesen, aber diesen Gedanken verwarf ich genau so schnell wieder, wie er mir gekommen war. Niemals wieder würde ich mich freiwillig in dieses Rabbit Hole werfen, wenn ich noch genug mentale Stärke aufbringen konnte, dies zu verhindern. Es war kurz nach 08.00 Uhr in der Früh, als ich mich auf dem Rückweg befand. Bereits fünf Zigaretten hatte ich schon verqualmt und ich fühlte mich immer noch kein Stückchen besser. Auch der Anblick des Sonnenaufgangs, die noch halb schlafenden Randbezirke der Stand und das Meer hatten es nicht geschafft, mich auf andere Gedanken zu bringen. Ständig dachte ich darüber nach, ob ich mich während unseres Streits falsch verhalten hatte, ob es vielleicht sogar meine Schuld gewesen war, dass Sam sich zu diesem Schritt gezwungen gesehen hatte, sich hinter meinem Rücken anbaggern lassen zu müssen, aber so richtig einsehen wollte ich das eigentlich nicht. Ja, ein Gespräch wäre mit mir vermutlich nicht sehr einfach geworden und hätte mich sicherlich auch ziemlich verletzt, aber ich kam trotzdem zu dem Entschluss, dass es das Beste gewesen wäre, was Sam in seiner Situation hätte tun können. Der Fehler hatte nicht bei mir gelegen, warum fühlte ich mich dann trotzdem so schlecht? Ich seufzte, kaum hatte ich das Haus wieder betreten, die Tür hinter mir geschlossen und mir die Schuhe von den Füßen gestrichen. Ein Blick auf das Display meines Handys ließ mich überlegen, ob ich Samuele nicht anrufen sollte, weil ich das Ganze doch gerne geklärt hätte, aber dafür war es sicherlich noch viel zu früh. Zum einen schlief der Italiener bestimmt - wo auch immer, ich wollte es vermutlich gar nicht so genau wissen - und zum anderen lag der Streit gerade einmal vier Stunden zurück. Ich war meine angestauten Emotionen noch lange nicht los und jetzt ein klärendes Gespräch zu führen war mindestens genauso sinnlos, wie der Streit, den wir vom Zaun gebrochen hatten. Aber ich musste mit irgendwem reden, wollte nicht alleine sein mit den Stimmen in meinem Kopf, weshalb ich schließlich seufzend die Nummer des Norwegers wählte. Er schien mir in der Kontaktliste der Einzige zu sein, dem ich es am ehesten zutrauen würde, jetzt schon wach zu sein und den Willen zu besitzen, mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Sich meine Probleme anzuhören, auch wenn er rein gar nichts unternehmen konnte, damit ich mich wirklich, wirklich besser fühlte. Aber es würde mir schon helfen, einfach nicht alleine zu sein. Es dauerte eine ganze Weile, bis die müde Stimme Taurens sich zu Wort meldete. "Hey... ehm... sorry, wenn ich dich... eh... schläfst du noch?", stammelte ich nervös eine vollkommen überflüssige Frage. Wenn er noch schlief, würde er jetzt wohl kaum mit mir reden. "Tut mir leid, ich wollte dich eigentlich nicht wecken, aber... aber hast du Zeit? Ich meine... kannst du vorbei kommen? Mir... mir geht es nicht so gut und ich bräuchte jemanden, mit dem ich reden kann.", fuhr ich fort, während ich auf müden Beinen und mit gesenktem Blick in Richtung Küche schlurfte. Bandit, der bis eben noch auf dem Sofa residiert hatte, folgte mir auf leisen, aber schnellen Pfoten, weil er genau wusste, dass es an der Zeit war, eine Dose Nassfutter zu öffnen.
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Tauren und ich mochten in vielerlei Hinsicht ziemlich verschieden sein, waren durch und durch ein ungleiches Paar, aber wenn es um den Sex ging, dann waren wir mittlerweile wirklich ein eingespieltes Team. Obwohl das letzte Mal bereits einige Monate zurücklag, wusste der junge Mann noch immer, welche Knöpfe er drücken musste, um mich um meinen Verstand ringen zu lassen und ich liebte alles daran. Es war einfach herrlich unkompliziert, wenn man Hand in Hand arbeitete, ohne dabei auch nur ein einziges Wort miteinander wechseln zu müssen. Es gab wenig, was mich akut störte, sobald wir anfingen, miteinander intim zu werden, aber sich währenddessen zu unterhalten war irgendwie... naja, noch nie wirklich meine Stärke gewesen. Klar, am Anfang hatten wir das natürlich getan, um auf beiden Seiten festzuhalten, was man so mochte oder vielleicht mal ausprobieren wollte und, ganz wichtig, was ein absolutes No-Go war. Das hatte mit der Zeit aber immer mehr nachgelassen, weil weder Tauren noch ich in der Hinsicht auf den Kopf gefallen waren. Irgendwann hatten wir uns an der heuristischen Methode Trial and Error versucht und so unsere Erfahrungen gesammelt. Es war ja auch keinesfalls so, als hörte ich den Norweger nicht gerne reden, aber als Frau hatte man es bekanntlich ohnehin schon schwerer, weil man sich unfassbar auf die Zielgrade konzentrieren musste, da war jede Ablenkung in etwa wie Fahrradfahren mit einem Stock in den Speichen. Außerdem verstand der junge Mann sein Handwerk und ließ sich nicht zwei mal bitten, meiner Aufforderung nachzukommen. Genießerisch legte ich den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich diesen Mann einfach liebte? Wie geschickt er mit seinen Lippen umgehen konnte, um auch noch der letzten verkrüppelte Faser meines Körpers Leben einzuhauchen war einfach unglaublich. Ich hätte Stunden hier sitzen und mich einfach von ihm berühren lassen können - Tauren hätte sich sicher ohne Umschweife dazu bereit erklärt. Allerdings war das noch lange nicht alles und es sollte - nein, würde! - ganz bestimmt noch ein ganzes Stück besser werden, wenn die Beule, gegen die ich meine Hüfte weiterhin rieb, nicht zu viel versprach. Es fiel mir wirklich schwer, noch länger einen einigermaßen kühlen Kopf zu bewahren und so war ich ganz froh, dass der Norweger mich alsbald auf die Matratze beförderte, um sich den beiden letzten Kleidungsstücken an seinem Körper anzunehmen. Damit räumte er mir zudem genug Zeit ein, um mich um meine eigene Unterwäsche kümmern zu können. Weil ich damit deutlich schneller war als er, hatte ich im Anschluss noch die ein oder andere Gelegenheit, ihn lüstern bei seinem Treiben zu beobachten. Ich verfolgte jede seiner Bewegungen mit Argusaugen, damit mir auch die noch so kleinste Reaktion nicht verborgen blieb. Was die Verhütung anging, um die sich Tauren zwischenzeitlich kümmerte, hätte ich beinahe eingeworfen, dass er sich keine Sorgen machen müsste, weil ich direkt nach dem unschönen Zwischenfall einen Frauenarzt aufgesucht hatte, um künftig noch mehr auf der sicheren Seite zu sein, aber ich schluckte die auf meiner Zunge liegenden Worte einfach runter. Ich nahm an, er war sich im Klaren darüber, dass ich in Russland nicht enthaltsam gelebt hatte, weil genau dieser Punkt in der Vergangenheit bereits ein heiß diskutiertes Streitthema gewesen war. Zwar hatte ich natürlich sehr viel mehr Wert auf entsprechenden Schutz gelegt, weil man nie wusste, was die Männer so mit sich herumschleppten, aber wenn es Tauren ein besseres Gefühl gab, heute ein Kondom zu benutzen, dann war ich die Letzte, die etwas dagegen einzuwenden hatte. Deshalb lächelte ich ihn auch nur an und nickte leicht. Wartete nur darauf, dass er mir endlich wieder näher kam, war er für meinen Geschmack deutlich zu langsam mit dem Ausziehen gewesen. Aber wie hieß es so schön? Gut Ding will Weile haben... oder so. Es dauerte aber eigentlich auch gar nicht besonders lange, kam mir wohl nur so vor, bis ich die feuchten Lippen des jungen Mannes wieder auf den meinen spürte. Kurze Zeit später begannen sie zu wandern und ich schloss in voller Vorfreude auf das was gleich folgen würde die Augen. Das anfängliche Seufzen ging nahtlos in ein leises Stöhnen über, als sich Taurens Finger zielstrebig ihren Weg zwischen meine Beine bahnten. Schon jetzt war mein Blick ziemlich diesig, als ich die Augen wenig später wieder aufschlug, weil sich der Norweger neben mir regte. Er ließ sich von meiner offensichtlichen Feuchtigkeit nicht zwei Mal bitten, endlich loszulegen, was ich mit einem erfreuten Japsen quittierte. Ich hatte fast schon vergessen, wie gut sich der junge Mann anfühlte... und was für ein Arschloch er eigentlich sein konnte, indem er sich so quälend langsam bewegte, dafür aber definitiv nicht an Tiefe sparte. Es dauerte nicht lange, bis mir in regelmäßigen Abständen ein lustgetränktes Stöhnen über die Lippen rollte und ich mich ihm im Rahmen meiner Möglichkeiten immer mehr entgegen drängte. Dabei schlang ich meine schlanken Arme um seinen Hals. Streckte sie anfangs recht weit aus, um ihm zärtlich, nicht zu grob über den Rücken zu kratzen, bis meine Hände schließlich in seinem Nacken zum Erliegen kamen, um dort erneut vereinzelt mit ein paar Haarsträhnen zu spielen. Wenn ich mir bis eben noch nicht ganz sicher gewesen war, ob ich es für eine gute Idee gehalten hatte, ihn mit meinen Berührungen getriezt zu haben, dann war ich es jetzt auf jeden Fall. Nachdem die ersten Wellen der Lust meinen Körper förmlich gelähmt hatten, entspannten sich meine Muskeln allmählich wieder und ich war in der Lage, mich langsam entgegen der gleichmäßigen Stöße zu bewegen.
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Wie ich es bereits erwartet hatte, brauchte es nicht mehr viel, bis Tauren einknickte und die weiße Fahne hisste. Aufgab, gegen das Verlangen anzukämpfen, mich genauso sehr spüren zu wollen, wie das umgekehrt der Fall war. Ein breites Grinsen zierte meine Lippen, als der junge Mann fast schon etwas resigniert klingend verlauten ließ, dass er mich nicht mehr loslassen konnte. An dem Punkt wusste ich, dass wir beide alle berechtigten Einwände restlos über Bord geworfen hatten und uns einander einfach hingeben würden. Es dauerte nicht lange, bis sich der junge Mann unter mir zu regen begann und wir uns wenig später in einer mehr oder minder sitzenden Position wiederfanden. Tauren verlor keine Zeit und kümmerte sich ohne Umschweife darum, mir den gerade erst übergezogenen Hoodie wieder über den Kopf zu ziehen und gen Boden zu befördern. Kaum war das erste lästige Stück Stoff weg, griff ich mit der freien Hand an meinen eigenen Rücken, um den Verschluss meines Sport-BHs mit einer geübten Handbewegung zu öffnen. Dieser fand sich schließlich keine zehn Sekunden später neben dem Pullover auf den Dielen wieder und auch das dünne Shirt des Norwegers sollte recht bald folgen. Natürlich nicht, ohne dass wir uns zwischenzeitlich gegenseitig mit durch und durch leidenschaftlichen Küssen und Zungenspielchen den Atem raubten. Das Gefühl, als ich mich mit meinen nackten Brüsten an den warmen Oberkörper des jungen Mannes schmiegte, war unbeschreiblich. Die Schmetterlinge, die sich bei dieser Berührung im unteren Bereich meines Körpers schlagartig ausbreiteten, riefen eine angenehme Gänsehaut hervor und entlockten mir ein zufriedenes Seufzen, welches an den vollen Lippen meines Liebsten relativ schnell verebbte. Ich warf meine noch immer leicht feuchten Haare über meine Schultern und löste mich Sekunden später schwer atmend von den Lippen meines Freundes, um ihn mit der weiterhin in seinem Nacken ruhenden Hand dazu zu animieren, die Liebkosungen an meinem Schlüsselbein und Dekolleté fortzuführen. Letztlich war mir wohl aber ziemlich egal, wo genau ich seine Lippen nun eigentlich spürte. Auch an meinen Armen oder den Beinen hätten sie wahrscheinlich ein ebenso entzückendes Kribbeln hervorgerufen. Auch wenn ich mir liebend gerne Zeit damit ließ, Tauren noch etwas auf die Folter zu spannen, indem ich mich provokant an seiner Körpermitte rieb, ging mir das alles hier irgendwie nicht schnell genug. Dabei hetzte uns niemand und Zeit hatten wir definitiv auch genug, es war nur... alles so unfassbar schön. Mir hatte das gefehlt, denn auch vor unserer Trennung war die Intimität aufgrund meiner Geheimniskrämerei in Hinsicht auf die Abtreibung relativ kurz gekommen. Ich selber hatte kaum mehr selbst die Initiative ergriffen und Taurens Versuche mehr und mehr abgeblockt. Weil der Gedanke an die unschöne Auseinandersetzung, woraufhin ich schließlich einen Keil zwischen uns geschlagen hatte, aber gerade gut verwahrt in einer der dunkelsten Ecken meines Gehirns verstaut war, ließ ich mich davon gar nicht weiter beirren. War so leidenschaftlich, als wäre nie etwas zwischen uns vorgefallen, als ich meine Hände an Taurens Armen hinabwandern ließ. Ungeduldig zupfte ich am Saum der Jogginghose und bedeutete dem jungen Mann damit - und mit einem lüsternen Blick -, dass er sich diese gefälligst von den Beinen streifen sollte. Wenn es nach mir ging, dann war ein langes Vorspiel heute auch nicht unbedingt notwendig. Ich persönlich war überraschenderweise schon ausreichend in Stimmung. Wie es um den Norweger dahingehend stand, würde er mir sicher unmissverständlich zu verstehen geben. Wenn nötig, dann hatte ich jedenfalls kein Problem damit, noch ein paar Minuten mehr in das Liebesspiel zu investieren. Wir hatten so lange ohne einander ausgehalten, da machte ein Vorspiel mehr oder weniger jetzt auch keinen großen Unterschied mehr. Auch wenn ich mich für diesen Gedanken gerade selber hasste, hatte ich wirklich das Gefühl, ich unterhielt mich hier gerade mit einem zickigen Kleinkind. Ja, ein Streit war immer nochmal etwas anderes, als die gängigen Auseinandersetzungen, die irgendwann jede noch so harmonische Beziehung heimsuchten. Und ja, auch der beschwipste Zustand des Italieners mochte einen negativen Einfluss auf den Verlauf der Unterhaltung haben, aber was Samuele da von sich ließ... also das ging wirklich auf keine Kuhhaut mehr. Ich konnte nicht anders, als den jungen Mann einen Moment lang sprachlos und mit fassungsloser Miene anzustarren. Irgendwie hatte ich gehofft, er würde noch einmal die Kurve kriegen, je länger er sprach, aber nein... es wurde kein Stück besser. "Was ist das denn für eine bescheuerte Frage?", platzte es auf seine Frage, ob ich denn daran glaubte, dass ich meine Angst irgendwann nochmal wieder in den Griff bekam aus mir heraus und warf dabei vollkommen unkontrolliert meine Arme in die Luft. Im Anschluss daran drehte ich mich von Samuele weg und lief ein paar Schritte im Kreis, in der verzweifelten Hoffnung, so das Gefühl einer aufkommenden Episode - so hatte ich damals zu meinen aktiven Konsumzeiten den Punkt genannt, an dem ich länger schon nichts mehr geraucht hatte und drohte, den Verstand zu verlieren - beschwichtigen zu können. Es funktionierte, allerdings nicht so gut, wie ich mir das gewünscht hatte. Ich spürte den Anflug von Hysterie, diese unangenehme Aufregung, wie sie durch meine Blutbahnen schoss und als ich nach etwa fünfzehn Sekunden wieder vor Sam zum Stehen kam, glich mein Gesichtsausdruck einer Grimasse, die so auch aus einem schlechten Horrorfilm hätte stammen können. Meine Lippen waren zu einem unnatürlich schrägen Grinsen verzogen, meine Augen weit aufgerissen. "Warte, ich schau' mal eben in meine Glaskugel." Um diese Worte zu untermauern, formte ich mit den Händen vor den Augen des Italieners eine unsichtbare Kugel, die ich mir erst von rechts, dann von links ansah. "Soll ich dir vielleicht auch noch die Lottozahlen von Morgen sagen?", flötete ich weiter vor mich hin und wenn uns ein Außenstehender jetzt beobachtete, dann würde er sicher denken, ich hätte unfassbar gute Laune. Dabei war das genaue Gegenteil der Fall. Statt gut gelaunt war ich überfordert, verletzt und absolut nicht mehr Herr meiner Sinne, so viel war sicher. Ich konnte gar nicht sagen, was plötzlich los war, aber Samuele hatte mit seinen Worten, vor allem in Hinblick auf mein Trauma, einen absolut unangenehmen Triggerpunkt in mir getroffen. Jetzt war ich derjenige, der sich wie ein Kind verhielt, so unreif und lächerlich, wie ich mich gerade aufführte. Genauso schnell, wie das unter ADHS leidende Kind in mir die Kontrolle an sich gerissen hatte, so schnell hatte es diese auch wieder abgegeben. Mein Gesichtsausdruck verdunkelte sich schlagartig und die von mir imaginär geformte Kugel zerschellte nach einer wegwerfenden Handbewegung meinerseits vor unseren Füßen. "Ich hab' echt versucht, mich hier zusammenzureißen, aber was soll die Scheiße? Jetzt mal ehrlich, woher soll ich das denn wissen? Mir wäre es auch lieber, wenn mein Magen sich nicht jedes Mal bei dem Gedanken an einen nackten Schwanz verkrampfen würde, aber so funktionieren Traumata nun mal nicht. Und dann... und dann... kommst du hier rein...", ich deutete mit der linken Hand schwungvoll in Richtung Tür, dann auf die Stelle, auf der Sam gerade stand, zeichnete so symbolisch den Weg nach, den er gegangen war, ehe ich fortfuhr: "Und beichtest mir, dass du Scheiße gebaut hast, nur um dann die Rolle der zickigen Diva einzunehmen, die genau weiß, was sie verbockt hat und sich trotzdem noch in Selbstmitleid suhlt, nachdem sie ihrem Gesprächspartner Worte in den Mund gelegt hat, die absolut gar keinen Sinn ergeben. Also ja... ja, ich glaube, es wäre das Beste, wenn du für heute einfach verschwinden würdest. Vielleicht läuft das nächste Gespräch besser, wenn der Alkohol nicht mehr dein logisches Denken beeinflusst." Samuele machte auf mich nicht den Eindruck, als war er stark betrunken, da hatte ich ihn schon ganz anders erlebt, aber er verhielt trotzdem absolut untypisch und das konnte ich nicht länger ertragen. Auch wenn das normalerweise nicht meine Art war, war es mir gerade auch ziemlich egal, wo er heute Nacht schlafen würde. Hauptsache nur nicht in meinem Haus.
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V... Es war ein einzige Buchstabe und doch ließ er mir aus Taurens Mund einen angenehmen Schauer über den Rücken laufen, was sehr wahrscheinlich der aktuellen Situation geschuldet war. Wie wir ineinander verschlungen dalagen und nicht von den Lippen des jeweils anderen wegkamen... da klang wahrscheinlich jedes gesprochene Wort für mich außerordentlich verführerisch. Naja, bis auf den kläglichen Versuch seitens des Norwegers, dem ganzen Spaß hier einen Riegel vorzuschieben. Ich hatte mich gerade zwangsläufig ein wenig von ihm distanziert, um wieder etwas von dem absolut überbewerteten Sauerstoff in meine Lungen zu lassen, als Tauren mehr schlecht als recht seine Bedenken in Worte zu fassen versuchte. Einen Moment lang sah ich ihn etwas wehleidig an, streichelte atemlos mit dem Daumen seitlich seinen Unterkiefer entlang, ehe ich langsam, nicht sehr überzeugt nickte. Mein Körper sagte mir zwar, einfach weiterzumachen, denn irgendwann würde er sich ganz bestimmt darauf einlassen, so wie er jetzt schon um seine Beherrschung rang, aber er hatte ja Recht. Es gab noch eine Dinge, die wir besser vorher aus der Welt schaffen sollten, bevor wir wieder miteinander intim wurden. Ein sehr wichtiger Punkt stand sogar im direkten Zusammenhang mit einer dieser leidenschaftlichen Nächte. Aber... aber es war einfach so schwer, mich ihm jetzt nicht vollends hinzugeben. Zwei verdammt lange Monate hatten wir absolut nichts voneinander gehabt, uns beide so sehr nach der Nähe unserer besseren Hälfte gesehnt, da lud der erste gemeinsame Abend einfach dazu ein. "Hmm, wahrscheinlich hast du Recht.", murmelte ich unzufrieden an seine Lippen, wollte es eigentlich nicht wahrhaben. Das zeigte ich auch ganz deutlich, indem ich mich kein Stück weiter von ihm distanzierte. Selbst wenn ich wirklich gewollt hätte, wäre das auch gar nicht so einfach gewesen, denn Tauren hielt mich ziemlich vehement weiter an sich gedrückt, was mir deutlich signalisierte, dass auch er nicht hundertprozentig von seinen eigenen Worten überzeugt zu sein schien. Meine Hand, die bis eben noch an seiner Wange gelegen hatte, wanderte ein Stück weiter nach oben, verschwand sehr bald in den zerzausten Haaren und spielte dort vereinzelten mit ein paar Strähnen. "Dann solltest du mich jetzt lieber loslassen, bevor wir uns hier doch noch vergessen.", flüsterte ich verheißungsvoll und funkelte ihn dabei herausfordernd von oben herab an. Marilyn Monroe wäre in diesem Moment wahrscheinlich unheimlich stolz auf meinen Schlafzimmerblick gewesen, den ich vollkommen mühelos an den Tag legte. Zwar rührte dieser eher daher, dass ich tatsächlich müde war und mein Körper sich nur schwer dazu animieren ließ, in so einer zum Schlafen einladenden Umgebung die Augen aufzuhalten. Andererseits brodelte da auch aber dieses Verlangen nach mehr in mir, womit ich gerade definitiv nicht allein war. Der Norweger konnte zwar versuchen mich davon zu überzeugen, dass er es für zu früh hielt, schon wieder miteinander zu schlafen, aber sein Körper verriet mir definitiv das Gegenteil. Grund genug für mich, eher keinen Gang runter zu fahren. Stattdessen überwand ich die ohnehin schon kaum vorhandene Distanz zwischen uns, um meine geröteten Lippen an die sensible Haut am Hals, knapp unter seinem Ohr zu legen und dort ein paar zärtliche Küsse zu verteilen. Währenddessen bewegte ich mich mit meinem Körper in die einzige Richtung, die mir aus der aktuellen Position heraus möglich war - nämlich weiter auf ihn drauf. Ich schob mein Bein vorsichtig - schließlich wollte ich ihn jetzt nicht unnötig durch Ungeschicklichkeit verletzten - über seine Körpermitte und saß schließlich breitbeinig auf seinem Bauch. Taurens Hand, die bis eben noch an meiner Hüfte gelegen hatte, rutschte dadurch ein gutes Stück weiter nach unten und ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass die mehr oder weniger unfreiwilligen Berührungen mich nicht bereits unglaublich elektrisierten. Das war es, was ich die letzten zwei Monate über ständig gesucht und doch nicht gefunden hatte. Kaum war es die Hand dieses bestimmten jungen Mannes, die an meinem Hintern lag, wich auch schon jegliche Müdigkeit förmlich aus meinem Körper und wurde durch bloßes Verlangen abgelöst. Es dauerte nicht lange, bis wir an dem Punkt angekommen waren, den ich von Anfang an eigentlich gar nicht hatte erreichen wollen. Es brauchte nur ein paar blöd formulierte Sätze und wir traten einander auf den Schlips, fühlten uns vom jeweils anderen absolut missverstanden und fassten die Worte in einem völlig falschen Kontext auf. Der Zug, dieses Gespräch einigermaßen wohlwollend zu beenden, war damit abgefahren und wenn jetzt niemand einlenkte, dann würden wir uns hier und heute noch richtig in die Haare kriegen. Anfangs sah es noch ganz danach aus, dass ich derjenige war, der klein bei geben und die Fortsetzung der Unterhaltung vertagen würde, bis Samuele meines Erachtens nach ein bisschen zu frech wurde. Mit etwas zu viel Ironie um sich warf und dann auch noch erwartete, dass ich Verständnis für die beschissene Situation hatte, in die er sich ganz alleine hineinmanövriert hatte. "Ich wäre für dich da gewesen, Samuele, wenn du mit mir darüber geredet hättest, was dich belastet, bevor du dich von irgendeiner Schlampe hast angraben lassen - das weißt du ganz genau." Ich konnte nicht vermeiden, nun doch auch etwas aufbrausender zu klingen. Dabei war meine Stimme nicht ansatzweise so fest, wie ich es mir in dieser Situation gewünscht hätte. Sams Worte hatten mich nämlich ziemlich getroffen, entsprechend schwang ein leicht verletzter Unterton mit. Dachte er wirklich, ich war ihm nicht unglaublich dankbar dafür, dass er mir durch diese schwere und absolut unschöne Zeit meines Lebens geholfen hatte? Scheiße, ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass er mit einer der Hauptgründe gewesen war, wieso ich überhaupt wieder auf den rechten Pfad gefunden hatte. Er hatte viel zu viel gegeben und war zudem eine so großartige Bereicherung für mein Leben gewesen, als dass ich seinen Intellekt nicht vollumfänglich und vor allem clean genießen wollte. Dass er mir jetzt vorwarf, als Dank für die Hilfe nicht für ihn da zu sein, obwohl er derjenige gewesen war, der den Mund nicht aufbekommen und große Scheiße gebaut hatte, war nicht nur ein Messerstich ins Herz, sondern auch in den Rücken. Meine Arme lösten sich wie von selbst aus der defensiven Haltung vor meiner Brust und baumelten nun ein wenig verloren neben meinem Körper, auch mein Blick verzog sich etwas, weil der Schmerz langsam doch die Überhand gewann und die Wut auf den jungen Mann in den Hintergrund rückte. "Ich bin vielleicht traumatisiert, aber nicht blöd. Natürlich weiß ich, wie wichtig Sex für einen Menschen sein kann. Mir ging es doch mal ähnlich, aber... du kannst nicht von mir erwarten, dass ich jetzt Verständnis für dich aufbringe, wenn du mir noch nicht einmal die Chance eingeräumt hast, mir auch nur irgendwie Gedanken darüber zu machen.", stellte ich mit einem angespannten Schulterzucken fest. Irgendwie war mir das Thema gerade unglaublich unangenehm, denn bis heute hatte ich eigentlich nie das Gefühl gehabt, dass die fehlende Intimität ein Dorn im Auge des Italieners war. Gut, ehrlicherweise hatten wir darüber bisher auch noch nie wirklich gesprochen, weil das nach Agnolos Entführung für mich ziemlich schwere Kost gewesen war, aber Samuele wusste, dass ich von allen, mit denen er aus dem kriminellen Metier bisher zutun gehabt hatte, mit Abstand derjenige war, mit dem man sich am ehesten auf erwachsener Ebene unterhalten konnte. Und wie ich bereits angesprochen hatte, war ich mir durchaus darüber im Klaren, dass Sex für viele Paare ein sehr wichtiges Thema war. Nur weil ich nach wie vor überhaupt keinen Drang verspürte, sogar noch immer ziemliche Angst davor hatte, hieß das nicht, dass ich ihn nicht verstanden hätte. Aber eine gesunde Beziehung baute nun mal auf ehrlicher Kommunikation auf und wie hieß es so schön - nur den Redenden kann auch geholfen werden. Wenn er größere Angst davor hatte, dass ich mich durch ein solch wichtiges Gespräch genötigt, gedrängt oder schlecht fühlte, dann war das sein Problem und er durfte es jetzt nicht zu meinem machen. Ich würde eine solche, wenn auch nur indirekte, Schuldzuweisung nicht akzeptieren.
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Taurens Reaktion auf meine scheinbar noch nicht wieder richtig warm gewordene Hand ließ mich leise kichern. Wann war ich eigentlich zu einem kleinen Schulmädchen mutiert, wenn ich mit dem Norweger zusammen war? Ich klang ja ätzend, konnte mich selbst kaum hören. Das Kichern zu unterdrücken war aber leider auch keine Option, es bahnte sich seinen Weg über meine Lippen ganz von selbst. Außerdem schien es den jungen Mann gar nicht zu stören, nur ich hatte aus unerfindlichen Gründen wieder ein Problem damit. Naja. Vielleicht würde ich im Laufe der künftig hoffentlich besser funktionierenden Beziehung in dem Punkt noch wachsen und verstehen, dass loszulassen manchmal eben bedeutete, sich unter anderem auch mal kindlich zu verhalten. Gerade bei uns beiden, deren Kindheit nicht ganz so unbeschwert verlaufen war, war ein Teil unserer jüngeren Persönlichkeit in der Entwicklung einfach auf der Strecke geblieben. Es auf diesem Wege zu heilen, brachte langfristig inneren Frieden und davon konnten sowohl Tauren als auch ich selbst echt was gebrauchen. Dass die Wohnung ohne mich recht leer gewesen war, konnte ich gut verstehen. Es war mir zuerst auf Kuba, dann in Russland ähnlich ergangen. Zwar hatte ich immer entweder Iljah, Michail oder irgendeinen One-Night-Stand - deren Namen mir bereits am Morgen danach schon wieder entfallen waren - um mich herum gehabt, aber das Gefühl der Leere hatte mein Herz dennoch heimgesucht. Und das hatte sich scheiße angefühlt. Richtig scheiße sogar. Umso mehr genoss ich es, jetzt neben dem Norweger im Bett zu liegen und mich seinen Streicheleinheiten hinzugeben. Was die Sache mit dem Jetlag anging... "Schwer zu sagen.", setzte ich murmelnd zu einer Antwort an, rollte mich dann mit dem Oberkörper ein Stück weit auf den Rücken. Eben so weit, wie es mir möglich war, wenn Tauren mein Bein im Griff und ich den Arm unter seinem Shirt hatte. Dann sah ich nach oben an die Decke, als müsste ich erst in mich hineinfühlen, wie müde ich denn wirklich war. "Ich bin schon... müde irgendwie. Aber... nur körperlich, weißt du? Ich glaube, ich hatte heute einfach ein bisschen zu viel Action. Der Flug, die Autofahrt, das Wetter... unser Gespräch. Das geht schon ein bisschen an die Substanz. Andererseits möchte ich eigentlich noch gar nicht schlafen, sondern lieber noch ein bisschen kuscheln. Wir haben viel aufzuholen.", fuhr ich fort und rollte mich gegen Ende der Aussage wieder in meine Ausgangsposition zurück. Ich zog den Arm unter Taurens Shirt hervor und legte die Hand stattdessen an seine Wange, erhob mich dann doch wieder ein wenig und stützte mich auf dem Ellbogen meines zwischen uns befindlichen Armes ab, um so von oben auf ihn herabzusehen. Mein müder Blick suchte seine Augen und für einen Moment besah ich mir dieses wunderschöne Gesicht. Ich hätte hier sicherlich noch Stunden damit verbringen können, ihn einfach nur anzusehen und mich glücklich zu schätzen, dass er mich zurückgenommen hatte. "Hattest du etwa noch was vor oder warum fragst du?", stellte ich ihm mit hochgezogener Augenbraue und einem schiefen Grinsen eine Gegenfrage. Dabei hielt ich mit der Hand an seinem Kinn inne und hob meinen Kopf auf etwa die gleiche Höhe an, sodass sich unsere Lippen beinahe berührten. Ich konnte seinen Atem bereits sehr deutlich spüren. "Und lüg' mich jetzt nicht an. Du weißt, ich kann dich lesen wie ein Buch.", säuselte ich und stahl mir einen weiteren Kuss von den mittlerweile leicht angeschwollenen Lippen. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, intensivierte sich das weiche Gefühl noch einmal und ich brachte mich damit beinahe selbst um den Verstand. Dabei wollte ich ihn doch eigentlich nur ein bisschen ärgern. Blöd nur, dass mein Körper sich mindestens genauso nach ihm sehnte, wie mein Kopf. Und da änderte leider auch meine körperliche Erschöpfung oder die Tatsache, dass das vermutlich keine gute Idee war, nichts dran. War das denn verwunderlich? Würde er denn gerne etwas von mir hören wollen, wenn ich Scheiße gebaut hatte, mit der ich unsere Beziehung potenziell aufs Spiel setzte? Vermutlich eher nicht. Vielleicht würde er sich anhören, was ich zu sagen hatte, um sich im Nachhinein darüber Gedanken machen zu können, aber von wollen konnte wirklich nicht die Rede sein. Und genau so ging es mir jetzt auch. Ich erinnerte mich daran, wie ich Tauren vor nicht allzu langer Zeit einmal gesagt hatte, dass ein von Emotionen geleitetes Gespräch selten gut enden würde. Man hörte einander nicht mehr richtig zu, verletzte sich gegenseitig und ging als Resultat daraus oftmals getrennte Wege - mindestes kurzzeitig. Dessen war ich mir vollumfänglich bewusst. Zwar war ich hier und da definitiv ein Vertreter der Doppelmoral, aber in diesem Fall hatte ich wirklich kein Interesse daran, Samuele unnötig zu verletzen, wenn es sich vermeiden ließ. Ihn schien das zwar nicht sonderlich gestört zu haben, mir ein Messer in die Brust zu rammen, aber das bedeutete nicht gleich, dass ich es ihm gleichtun musste. Er war mir wichtig, ich hatte ihn durch unsere gemeinsame Zeit und die vielen schönen Dinge, die wir bereits miteinander erlebt hatten, lieben gelernt. Ich würde nicht zulassen, dass ich mich durch meine Emotionen jetzt dazu hinreißen ließ, ihm gegenüber unfair zu werden. Aber er konnte sicher auch nachvollziehen, wie beschissen es mir nach seiner Beichte jetzt ging, oder? Dass er sich zudem von einer Frau diesen hässlichen Knutschfleck hatte verpassen lassen, machte die Sache nicht unbedingt besser. Ich wusste von Anfang an, dass Sam Interesse an beiden Geschlechtern hatte, aber dass ihm ausgerechnet eine Frau den Verstand geraubt hatte, ließ mich schnaubend den Kopf schütteln. Da änderte auch der Fakt nichts dran, dass da scheinbar nicht mehr gelaufen war. "Hör' zu, Sam. Du hast Recht, ich habe eigentlich gerade nicht wirklich Lust dir zuzuhören, wie du versuchst dich dafür zu rechtfertigen, dass sich eine Frau an deinen Hals geschmissen hat und du nichts dagegen unternommen hast. Hören möchte ich es trotzdem, damit ich mich, sobald ich mich wieder etwas beruhigt habe, damit auseinandersetzen kann, weißt du? Ich weiß, du bist nicht dumm und dir dessen vollkommen bewusst, was du getan hast. Genauso weißt du auch, dass du mich damit furchtbar verletzt hast und ich dich gerade nicht in meiner Nähe haben möchte. Ich brauche Zeit, um mir Gedanken darüber zu machen. Ein anständiges Gespräch ist wegen meinen negativen Emotionen für mich gerade schlichtweg nicht möglich." Obwohl ich wusste, dass meine Worte nur zum Besten für uns beide waren, fühlten sie sich an wie Säure, die meinen Mundraum gnadenlos verätzte. Sich erwachsen zu verhalten, wenn die Gefühlte drohten einen zu übermannen, war nicht ganz einfach. Scheinbar schienen dem Italiener noch ein paar Worte im Hals steckengeblieben zu sein und ich forderte ihn mit einer Bewegung meiner Hand dazu auf, fortzufahren. Als er nicht reagierte, fügte ich meiner vorherigen Aussage noch ein paar Worte hinzu. "Weil du was nicht wolltest, Samuele? Mir sagen, dass du mit einem traumatisierten Krüppel nicht zurechtkommst? Angst hattest, dass ich irgendeine Dummheit anstellen würde, wenn du mir sagst, wie du dich fühlst? Dass dich dein neues Leben so unglücklich macht, obwohl ich an allen Ecken und Enden versuchte, dir zu helfen." Ah. Scheinbar hatte ich schon ein bisschen zu viel gesagt und mich im Laufe meiner Aufzählung doch ein wenig in Rage geredet. So viel dann zum Thema, mir später in Ruhe Gedanken machen zu wollen. Naja. Es war wohl nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es bei uns harmoniebedürftigen Spinnern mal richtig krachen würde.
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Eine Sache, die ich im Laufe unserer Beziehung gelernt hatte, war, den Norweger zu lesen wie ein Buch. Er mochte immer noch einen Großteil der Leute um ihn herum täuschen können, wenn er das denn wollte, aber bei mir hatte Tauren kein leichtes Spiel mehr. Ehrlicherweise machte er gerade aber auch keinen Hehl daraus, dass er mich am liebsten komplett ohne Klamotten gesehen hätte. Das wäre selbst einem Blinden mit Krückstock aufgefallen, so wie er mich kurzzeitig mit seinem Blick auszuziehen versuchte. Aber mich störte das nicht und ich konnte es verstehen. Zwar war ich in den letzten zwei Monaten sexuell recht aktiv gewesen, allerdings hatte in der Hinsicht kein Mann Tauren je das Wasser reichen können und auch auf etlichen anderen Ebenen war der junge Mann absolut konkurrenzlos geblieben. Sein Charakter und sein Aussehen waren einmalig und ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich seit unserer Aussprache - die lediglich aus einem Versprechen und einer Entschuldigung bestanden hatte - nicht darüber nachdachte, mich ihm einfach an den Hals zu werfen. Guter Sex hatte mir genauso gefehlt, wie der junge Mann an sich. Ich hielt es jedoch für keine gute Idee, gleich in unserer ersten gemeinsamen Nacht seit langer Zeit all in zu gehen. Schließlich gab es einige Dinge, über die wir dringend noch sprechen mussten. Die Wiedervereinigung jetzt als Vorwand zu nutzen, die zum Teil wirklich schwerwiegenden Ereignisse einfach ins letzte Eck unserer beiden Hirne zu pferchen und uns stattdessen der puren Lust hinzugeben war weder sinnig noch zielführend für die positive Entwicklung unserer Beziehung. Aber er machte es mir unglaublich leicht, ihn ein bisschen aus der Fassung zu bringen und Tauren wusste, wie viel Spaß mir das machte. Das hatte es damals schon, als er sich um gekümmert hatte, weil ich selber dazu nicht mehr in der Lage gewesen war und bis heute hatte sich das auch nicht geändert. Wieder zog ich argwöhnisch die Augenbrauen hoch. Hatte er mich gerade süß genannt? Der hochgewachsene Schönling wusste, wie viel ich von dem Geplänkel durchschnittlicher Beziehung hielt - nämlich gar nichts -, aber wenn es das war, was ihn glücklich machte, dürfte er mich meinetwegen gerne öfter so nennen. Im Umkehrschluss musste er jedoch damit leben, jedes Mal einen blöden Spruch von mir gedrückt zu bekommen, weil ich das nicht einfach auf mir sitzenlassen konnte. Ich war nicht süß, sondern ein Monster. Auf meine ganz eigene Art und Weise, nicht über Mord und Totschlag definiert, wie sich die meisten anderen Menschen eine solche Titulierung verdienten. Und ich war mir sicher, Tauren konnte das aus eigener Erfahrung bestätigen. "Nenn' mich noch einmal so und ich zeig' dir, wie süß ich wirklich werden kann...", richtete ich zwinkernd eine vermeintliche Drohung an den jungen Mann und sie klang müder, als ich es mir gewünscht hätte. Ich war zwar nicht mehr ansatzweise so schlecht gelaunt wie noch vor wenigen Minuten, als ich mit meinem Finger die Klingel betätigt hatte, aber müde war ich trotzdem, da konnte auch unsere Wiedervereinigung nichts gegen ausrichten. Entsprechend waren auch die Worte des jungen Mannes Musik in meinen Ohren und ich kam seiner Aufforderung ohne zu zögern oder Widerworte zu geben nach. Langsamen Schrittes bewegte ich mich in Richtung des Schlafzimmers, welches wir uns vor Monaten in aller Regelmäßigkeit geteilt hatten und ließ mich dort angekommen erschöpft ins Bett fallen. Etwas irritiert musste ich feststellen, dass auf meiner Seite des Bettes etwas fehlte. Ich schluckte schwer, als ich nach kurzzeitiger Überlegung feststellte, dass es sich um mein damaliges Kissen handelte. Betreten über die Tatsache, dass er es nicht aushalten konnte, meinen Geruch jeden Abend in der Nase zu haben, wenn ich nicht da war - und nicht vorgehabt hatte, je wiederzukommen -, senkte ich den Blick auf meine Hände, die ich über der Bettdecke ineinander verschränkt hatte. Als Tauren wenig später zu mir aufschloss, hob ich den Kopf wieder an, lächelte schwach und entschuldigend. Er kümmerte sich sofort um das fehlende Kissen und ich beschloss, vorerst nichts weiter dazu zu sagen. Wir hatten wieder zueinander gefunden und das war doch erst einmal das Wichtigste, oder? Alles weitere konnten wir besprechen, sobald wir beide etwas geschlafen hatten. Ich wartete geduldig darauf, dass der junge Mann zu mir unter die Decke gekrochen kam und sich richtig positioniert hatte, schüttelte in der Zwischenzeit selbst das Kissen zurecht, bevor ich mich schließlich an seinen warmen Körper kuscheln konnte. Meinen Kopf legte ich auf seinem Oberarm ab und drehte ihn ein Stück nach oben, um Tauren von der Seite aus ansehen zu können. Mit einem schiefen Grinsen quittierte ich die noch folgende Frage des Norwegers, weil ich genau wusste, weshalb er sich danach erkundigte. Ich hatte meine Hand auf seiner Brust abgelegt, ein Bein angewinkelt über seins gelegt. "Ich denke, meine Hände dürften nicht mehr so kalt sein. Aber das kannst du mir besser sagen.", murmelte ich und ließ meine Finger über seinen Bauch bis zum Saum des dünnen Shirts wandern, um wenig später darunter zu schlüpfen. Ich positionierte die Hand auf dem schrägen äußeren Bauchmuskeln und ließ dort meinen Daumen über die warme Haut wandern. "Worte können gar nicht beschreiben, wie sehr ich das hier vermisst habe. Wie sehr ich dich vermisst habe.", fügte ich noch ein paar müde Worte hinzu und reckte meinen Kopf etwas, um ein paar liebevolle, sanfte Küsse an seinen Hals zu hauchen. Wenn es nach mir ginge, müsste der Abend so wie er gerade verlief, nicht zwangsläufig enden. Samuele versuchte gar nicht, sich rauszureden und ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich dazu sagen sollte. Für einen unfassbar langen Moment starrte ich ihn einfach wortlos an. Versuchte die Gefühle zu sortieren, die mich zu übermannen drohten. Ich stand kurz davor, meinen Mund aufzumachen, da kam mir der Italiener zuvor. Wir müssen reden. Ach, was er nicht sagte, wirklich? "Du willst jetzt reden?", blaffte ich ihn an und das Unverständnis war mir quer über das Gesicht geschrieben. Ich selbst erschrak über den verbitterten Unterton meiner Worte, war aber nicht in der Lage, diesen zu unterdrücken. Er sprudelte einfach aus mir heraus. Mit einem Schnauben löste ich mich aus meiner versteiften Körperhaltung und verschränkte die Arme vor der Brust. "Bitte, rede. Ich bin gespannt, was du zu sagen hast.", knurrte ich weiter, obwohl ich vermutlich nicht bereit war, eine sachliche Unterhaltung mit meinem Freund zu führen. Dafür war das Entsetzen und das Gefühl des Verrats gerade viel zu präsent. Egal, was der junge Mann gleich sagen würde, ob er noch mal auf seinen Ausrutscher zu sprechen kam... er konnte sich nicht herausreden, dass irgendjemand an seinem Hals gehangen und er das zugelassen hatte. Dafür waren die Knutschflecken viel zu präsent. Ich hoffte nur für ihn, dass... ja, was hoffte ich eigentlich? War er mir wirklich fremdgegangen oder hatte er lediglich fremdgeknutscht? Alleine der Gedanke daran, dass Sam es überhaupt in Erwägung gezogen hatte, auch nur irgendwas davon zuzulassen, war wie ein Schlag in den Magen und hinterließ einen unangenehm schnell anwachsenden Knoten. Ich merkte schon jetzt, wie die Übelkeit mich zu übermannen drohte und ich befürchtete, mich im Zuge unserer Unterhaltung übergeben zu müssen. War das der Dank dafür, dass ich ihm in diesen schwierigen Zeiten zur Seite stand? Ihm dabei half, sich seiner neuen und zugegebenermaßen unfreiwilligen Situation anzupassen? Mich ihm mehr und mehr geöffnet hatte? Ich konnte es einfach nicht fassen, wollte es gar nicht. Zwar wurde der Schmerz, den ich daraus resultierend fühlte, momentan noch von einem Schwall Wut übertüncht, würde mich aber in einer stillen Minuten sicherlich noch einholen. Fürs Erste war ich aber ganz zufrieden, dass der Ärger überwog, denn ich wollte mir in dem Moment nicht noch auch die Blöße geben, vor Samuele zu weinen. Das wäre zwar nicht das erste Mal gewesen, aber Schwäche in einer Situation wie dieser zu zeigen, bot nur unnötig viel Angriffsfläche, falls er vorhatte, auch noch das letzte Bisschen Selbstvertrauen in mir zu zerstören. So schätzte ich den jungen Mann eigentlich nicht ein, bis gerade eben dachte ich aber auch noch, ich könnte ihm vertrauen. Tja, da war ich wohl selber schuld, würde ich sagen. Mit vor der Brust verschränkten Armen und einem Blick, der hätte töten können, hielt ich den jungen Mann bewusst davon ab, weiter in den Wohnbereich einzutreten. Er wollte reden, bitte, das konnten wir in dem kleinen Flur gerne tun. Dann wäre der Weg für ihn nicht mehr ganz so weit bis nach draußen, wenn ich mich im Laufe der Unterhaltung dazu entschloss, ihn mit Sack und Pack vor die Tür zu setzen.
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Wenn es um den Punkt ging, mich in den unmöglichsten Situationen trotzdem zum Lachen zu bringen, dann war Tauren vermutlich einer der wenigen Menschen - vielleicht sogar der Einzige -, dem das in aller Regelmäßigkeit gelang. Ganz allgemein schien der Norweger einen unglaublich großen Einfluss auf mein Gemüt zu haben. Anfangs hatte mich genau das davon abgehalten, meine Gefühle für ihn zu akzeptieren, weil... weil es einfach seltsam gewesen war. Ich war immer so eisern gewesen, egal, worum es ging und das absolut ohne Anstrengungen. Das Gelächter blieb aus, wenn mir nicht der Sinn danach stand, ich stellte meine getroffenen Entscheidungen nicht infrage und entschuldigen tat ich mich ohnehin äußerst selten. Kaum war der junge Mann in mein Leben getreten, hatte er meine Welt in diesen Belangen gänzlich auf den Kopf gestellt. Es war daher weniger verwunderlich, dass ich mich anfangs dagegen gewehrt hatte, oder? Inzwischen ließ ich mich jedenfalls mehr und mehr darauf ein, es störte mich mit jedem Tag wenigen, was ganz allein Taurens Hartnäckigkeit zu verdanken war. Er hörte nicht auf, mich mit Liebe und Verständnis zu bombardieren, wie hätte ich da langfristig meine Mauern intakt halten sollen? Das war schlichtweg nicht möglich. Irgendwie war ich gedanklich ziemlich abgedriftet und hatte den Norweger bestimmt eine ganze Weile wortlos angestarrt, während ein weiterhin recht schwaches Lächeln meine Lippen zierte. Erst Taurens Worte und die darauffolgenden Küsse holten mich wieder zurück in die Gegenwart. Gemessen an seinen eher langsamen Bewegungen schien es ihm auch nicht in den Kram zu passen, sich von mir zu lösen, damit wir uns beide aus- beziehungsweise umziehen konnten, aber er wusste genauso gut wie ich, dass das schlichtweg notwendig war. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass bereits hören konnte wie die Erkältung anklopfte. Ich ließ mir also mit gemischten Gefühlen das Oberteil über den Kopf ziehen, hielt es nach entsprechender, wenn auch indirekter Aufforderung kurz fest und beobachtete im Anschluss daran, wie der Norweger sich seines Hoodies entledigte. Dabei bemühte ich mich noch nicht einmal darum, meinen Blick von ihm abzuwenden - ganz im Gegenteil. Ich hatte ihn vor Monaten schon sehr gerne angesehen und daran hatte sich absolut nichts geändert. Er hatte einen tollen Körper, von dem ich wahrscheinlich nie genug bekommen würde. Obwohl wir uns nun schon relativ lange kannten und ich Tauren des Öfteren oberkörperfrei oder ganz nackt gesehen hatte, fand ich immer noch Motive zwischen all seinen Tattoos, die ich bis dato noch nicht wahrgenommen hatte. Es wurde entsprechend nie langweilig und ich konnte ihn stundenlang einfach nur ansehen. Momentan wäre es mir allerdings lieber gewesen, ihn stundenlang zu spüren. Kuschelnd mit ihm im Bett zu liegen, um all die Nähe zueinander, welche uns in den letzten zwei Monaten so schmerzlich gefehlt hatte, aufzuholen. Geduldig wartete ich darauf, dass der Norweger mir sein Oberteil aushändigte. Ich seufzte zufrieden, als ich mir dann den grauen - und vor allem warmen! - Pullover über den Kopf gezogen hatte, machte allerdings keinerlei Anstalten, die Kapuze zurückzuschieben. Es war zwar nicht besonders angenehm, wenn sich die nassen Haare unter dem Stoff an meinen Schädel drückten, aber meine Ohren genossen die zusätzliche Wärme viel zu sehr. "Danke...", murmelte ich und schlang die Arme um meinen Körper. Unnötig zu erwähnen, dass das Oberteil nicht ansatzweise so gut saß, wie es bei dem jungen Mann der Fall gewesen war und ich mehr oder weniger darin versank. Aber es war angenehm warm und kuschelig, ganz wie ich es vermutet hatte. Ich beschloss, mir öfter wieder Taurens Pullover auszuleihen, auch wenn meine Klamotten noch im Schrank zu sein schien. Er hatte sie nicht entsorgt? Der irritierte Blick meinerseits, den der Norweger mit seiner Offenbarung hervorgerufen hatte, ließ sich leider nicht unterdrücken, entspannte sich dafür aber sehr schnell wieder. Weil er selbst den Blick abgewandt hatte, dürfte es ihm noch nicht einmal aufgefallen sein. Ich wusste nicht, ob ich etwas anderes erwartet hatte, lagen von ihm doch ebenfalls noch Sachen in meinem Kleiderschrank auf Kuba, aber... gerechnet hatte ich damit trotzdem nicht. "Ich glaube nicht, dass ich heute noch etwas von meinen Sachen braue, aber gut zu wissen.", kommentierte ich seine Aussage mit einem Lächeln. Wie er meinte Worte jetzt interpretierte, blieb ihm überlassen. Dass er wenig später noch meine Hose haben wollte, ließ mich allerdings eine Augenbraue anheben. "So langsam ist aber mal gut, oder?", witzelte ich und fand mich damit ab, dass meine Stimme heute nicht mehr fester würden werde. Sie blieb eher leise, zögerlich, als hätte ich Angst, etwas Falsches sagen zu können. Noch während ich redete, begann ich bereits damit den Knopf zu öffnen, um seiner Aufforderung trotzdem nachzukommen. Durch den viel zu langen Hoodie fühlte es sich ja noch nicht einmal an, als wäre ich halbnackt, denn der Stoff fiel noch ein gutes Stück über meinen Hintern und meine Oberschenkel. Allerdings nicht genug, um der Gänsehaut vorzubeugen, die sich beinahe schlagartig ausbreitete, als ich die Hose von meinen Beinen streifte und Tauren ebenfalls in die Hand drückte. Irgendwie war heute nicht wirklich mein Tag gewesen und sollte es wohl auch nicht mehr werden. Zu sagen, ich hatte furchtbar geschlafen, wäre noch eine ziemliche Untertreibung gewesen, so oft ich wie ich durch Alpträume verfolgt aufgewacht war, aber beim Schlafmangel allein war es leider nicht geblieben. Es war einer dieser Tage, an dem alles schiefging, was nur schiefgehen konnte. An denen einen alles aufregte - wo man sowieso schon schlecht gelaunt war und dann auch noch mit dem Arm gegen die Türklinke lief. Genau so ein Tag war heute. Nachdem ich relativ schwer aus dem Bett gekommen war, stellte ich fest, dass ich bereits ein Loch in einem Paar neu gekaufter Socken hatte, beim Duschen fiel mir auf, dass mein Duschgel leer und mein morgendlicher Kaffee schmeckte irgendwie komisch. Von der Arbeit wollte ich gar nicht anfangen zu reden. Bereits auf dem Weg zum Labor hatte mein Wagen seltsame Geräusche von sich gegeben, welche ich versuchte mit lauter Musik auszublenden und trotz gewohnt übertriebener Vorsicht hatte ich es beinahe geschafft, Sabin und mich im Laufe des Abends in die Luft zu jagen, weil ich zwei Reagenzgläser mitsamt Inhalt vertauscht hatte. Glücklicherweise waren infolgedessen nur ein paar Glasbehältnisse gesprungen und mit einem anschließenden Knall zu Bruch gegangen. An dem Punkt hatte ich keinen wirklichen Sinn mehr darin gesehen, dem Tag noch eine Chance zu geben und war fluchend nach Hause gefahren. Das Radio war natürlich ausgefallen und so begleitete mich auf dem Rückweg nur das monotone Klopfen, welches ich vorhin bereits gehört hatte. In der Hoffnung, mich gleich mit Sammy auf dem Sofa verkriechen zu können, lenkte ich den Wagen in die Auffahrt. Kaum war ich ausgestiegen und hatte den Weg in Richtung Haustür eingeschlagen, schob ich nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Der Bungalow lag komplett im Dunklen, es sah so aus, als wäre Samuele gar nicht Zuhause. Nachdem ich die Tür geöffnet hatte und über die Türschwelle getreten war, war ich mir dessen sogar ziemlich sicher. Wo war er? Ich dachte kurz darüber nach, ob ich eine Verabredung oder Ähnliches vergessen hatte, aber soweit ich mich erinnerte, hatte er nichts dergleichen angeschnitten. Leise seufzend und sichtlich angespannt beförderte ich den Hausschlüssel an seinen vorgesehenen Platz neben der Tür und streifte mir die Schuhe von den Füßen. Ein Blick auf das Display meines Handys verriet mir, dass Sam mir keine Nachricht hinterlassen hatte und ich überlegte kurz, ob ich ihn anrufen und fragen sollte, wo er war und wann er nach Hause kommen würde. Letztlich entschied ich mich jedoch dagegen, aus dem ganz einfachen Grund, dass ich ihm vertraute und ihm eine Auszeit mehr als gönnte. Sam war eine unfassbare Hilfe im Haushalt und darüber hinaus heilte er einige der viel zu tief sitzenden Wunden, die ich aus der Zeit mit Agnolo davongetragen hatte. Und das alles, obwohl sein einstiges Leben in Schutt und Asche lag. Er selbst genug Baustellen hatte, um die er sich eigentlich hätte kümmern müssen. Trotzdem stand ich immer an erster Stelle und genau deswegen schien es mir mehr als fair, ihm eine ungestörte Auszeit zu gönnen. Ich ging nicht davon aus, dass er sich auf der Insel unbedingt in Gefahr befand und machte mir daher auch keine allzu großen Sorgen. Der einzige, vor dem Samuele Angst haben müsste, wäre Hunter und der hatte momentan wirklich keinen Grund, sich den Italiener zur Brust zu nehmen. Aber brauchte er den überhaupt? Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken daran, dass mein Freund sich möglicherweise in Gefahr befand, loszuwerden und kümmerte mich lieber darum, aus den Klamotten rauszukommen. Durch die kleine Explosion im Labor, war vor allem meine Hose mit Rußpartikeln übersät, das Oberteil war von dem Kittel glücklicherweise geschützt worden. Nichtsdestotrotz landete beides im Wäschekorb und ich duschte noch ein weiteres Mal am heutigen Tag, bevor ich mich erschöpft im Wohnzimmer auf die Couch fallen ließ und den Fernseher einschaltete. Bandit schlich sich wenige Minuten später zu mir und zauberte mir immerhin ein schmales Lächeln auf die Lippen. Wenigstens du bist hier, dachte ich, als ich mit der Hand über sein weiches Fell streichelte. Für eine Weile versumpfte ich vor der Flimmerkiste, bis sich mein Magen zu Wort meldete und mich wissen ließ, dass es Zeit für einen kleinen Snack war. Es war inzwischen kurz vor vier und Samuele war immer noch nicht wieder Zuhause. Mich beschlich so langsam die Vermutung, dass er es heute auch nicht mehr täte. Vielleicht blieb er die Nacht über bei einem Freund. Wieder schlich sich ein Seufzen über meine Lippen und es kostete mich unglaublich viel Kraft, mich vom Sofa aufzuraffen, um in die Küche zu schlurfen. Ich würde mir nur noch ein Brot machen und anschließend in Bett gehen, nicht länger auf den Italiener warten. Das schien ich überraschenderweise aber auch gar nicht mehr zu müssen. Ich hatte mich gerade gegen die Theke gelehnt und darauf gewartet, dass das Toast aus dem Toaster sprang, als ich die Haustür hörte. Nur wenige Sekunden später ertönte auch schon die liebliche Stimme des Mannes, an den ich mein Herz verloren hatte. "Ich komm' gleich!", rief ich zurück. Aus einem Schrank auf Kopfhöhe entnahm ich einen Teller und stellte ihn auf der Arbeitsfläche ab, bevor ich die Küche verließ. Sofort etwas besser gelaunt, schloss ich mit einem Lächeln auf den Lippen zu Sam auf. "Na, Spaß gehabt?", fragte ich gerade heraus, als ich nur noch etwa zwei Meter von ihm entfernt war. Bereits auf die Distanz konnte ich gehen, dass seine Wangen vom Alkoholkonsum gerötet waren und mir damit bestätigten, dass er scheinbar mit Freunden unterwegs gewesen sein musste. Als ich quasi direkt vor ihm stand, wich das Lächeln und all die mühevoll zusammenraffte, ohnehin kaum vorhandene gute Laune aber auch schon wieder gänzlich aus meinem Körper. Offenbar hätte ich mir die Frage, ob er Spaß gehabt hatte, eigentlich schenken können, waren die roten Flecken an seinem Hals doch Antwort genug. So wie es aussah, hatte er ein bisschen zu viel Spaß gehabt. Mein Blick verdunkelte sich schlagartig und mein Verstand war plötzlich wie leer gefegt. Sprach er es selber an oder hoffte er darauf, dass ich es einfach so stehenlassen würde, was natürlich nicht der Fall gewesen wäre?
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Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, die wir schweigend und ineinander verschlugen im Flur des Norwegers herumstanden. Ich genoss jeden einzelnen Augenblick, blendete alles andere um uns herum vollständig aus und konzentrierte mich ausschließlich auf Taurens Berührungen. Das sanfte Streicheln, der Kuss auf meinen Haaransatz, es hatte mir alles so unglaublich gefehlt. Mittlerweile war mir klar geworden, wie sehr ich diesen Mann an meiner Seite haben wollte und ich war unfassbar froh, dass er das genauso zu sehen schien. Wir deshalb wieder zueinander gefunden hatten, denn wir waren beide gleichermaßen daran zerbrochen, voneinander getrennt gewesen zu sein. Mit Taurens letzten Worten war mir auch das letzte Bisschen Gestein von meinem kaputten Herzen gefallen, ich konnte endlich wieder atmen. Fast fühlte ich mich wie neu geboren, als das Weine nach einigen Minuten ebenfalls sein Ende gefunden hatte. Das hatte mich zwar ziemlich müde gemacht, woran sicher auch die noch immer nassen Klamotten nicht ganz unschuldig waren - Kälte ließ einen bekanntlich immer müder werden, weil das Blut aus dem Gehirn in Richtung Herz floss, um dies wohl temperiert zu halten -, aber der Tag würde wohl kaum noch besonders lange dauern. Aller Wahrscheinlichkeit nach war der jungen Mann mir gegenüber mindestens genauso erschöpft wie ich. Wenn nicht von einem anstrengenden Tag, dann aber auf jeden Fall von der kräftezehrenden Unterhaltung. Und wenn ich ihn richtig verstanden hatte und er es zudem wirklich ernst meinte, dann würde ich heute hier bleiben und mir nach einer viel zu langen Zeit endlich wieder das Bett mit ihm teilen. Kaum vorstellbar, dass ich morgen dann tatsächlich neben ihm aufwachen würde. In den letzten Monaten war es mir von Tag zu Tag schwerer gefallen, morgens die Augen aufzuschlagen, weil mir doch recht schnell klar geworden war, dass die Hoffnung allein Tauren nicht plötzlich zu mir ins Bett zaubern würde. Nachdem wir einige Minuten bloß rumgestanden und die Nähe des jeweils anderen hatten auf uns wirken lassen, löste sich der Norweger etwas von mir. Am liebsten hätte ich ihn direkt wieder zurückgezogen, aber ihm schien etwas im Sinn zu stehen, gegen das ich mich ebenfalls nicht wehren würde. Ich hob zwar nur etwas zögerlich den Blick in sein Gesicht an, als er mich mit seiner Hand an meiner Wange erneut dazu aufforderte, aber es fiel mir deutlich leichter als noch vor wenigen Minuten. Der müde Anblick des jungen Mannes versetzte mir nach wie vor einen Stich ins Herz, aber das schwache Lächeln machte das Ganze etwas weniger schmerzhaft. Es kostete mich unglaublich viel Kraft, aber ich versuchte trotzdem, auch meine Mundwinkel etwas anzuheben. Vermutlich sah ich aus wie der letzte Idiot mit meinen aufgequollenen Augen, den aufgedunsenen Wangen, den nassen Haaren und dem schiefen Lächeln, aber das war mir egal. Und Tauren ganz offensichtlich auch, ansonsten hätte er wohl kaum noch seine Lippen auf meine gelegt. Nur allzu gerne erwiderte ich den zuerst sanften, dann immer leidenschaftlicher werdenden Kuss. Man konnte die zwei monatige Trennung förmlich schmecken, ganz sicher aber fühlen und am liebsten hätte ich gar nicht mehr von ihm abgelassen. Allerdings löste er sich kurze Zeit später bereits wieder von meinen Lippen und war mindestens genauso außer Atem, wie ich es war. Merkte an, dass es wahrscheinlich das Beste wäre, wenn ich zeitnah aus den durchnässten Klamotten raus kam und damit hatte er gar nicht mal so unrecht. Alleine der Temperaturunterschied zwischen Moskau und Havanna machte mir schon zu schaffen, seit ich aus dem Flugzeug ausgestiegen war, wohlgemerkt. Wenn ich jetzt noch länger in der klammen Hose und dem semi-dünnen Oberteil steckte, würde ich mir mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit eine Erkältung oder Schlimmeres einfangen. Die Aufforderung Taurens war in der aktuellen Situation allerdings etwas... naja, ungünstig formuliert? Ich wusste, worauf er hinauswollte und das sich hinter seinen Worten keine Anspielung befand und doch konnte ich ein leises Lachen und einen unqualifizierten Kommentar nicht unterdrücken. Schon gar nicht, wenn er sich beim Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, nur noch tiefer in die Scheiße ritt. "Du hörst dich an, wie ein pubertierender Jugendlicher, der auf die wahrscheinlich unklügste Art und Weise versuch, sein erstes Date ins Bett zu kriegen...", murmelte ich und es war, als wäre ein Teil der alten Vahagn schon wieder zurück. Der Teil, der nicht auf den Mund gefallen war und immer einen frechen Spruch in petto hatte. An dem sich Tauren unglaublich lange die Zähne ausgebissen hatte. Für den er mich lieben gelernt hatte... "Aber ja, klingt nicht verkehrt. Dein Hoodie im übrigen auch nicht.", fügte ich wenig später noch eine Bestätigung und eine indirekte Aufforderung, mir sein Oberteil zu geben, hinzu. Ihm war sicher nicht ansatzweise so kalt wie mir, er würde das sicher verkraften. Mittlerweile wieder etwas breiter lächelnd, hob nun ich meine Hand an seine Wange, um sanft über die Konturen seines markanten Unterkiefers zu streicheln. Müssten wir uns fürs Umziehen eigentlich voneinander trennen?
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Und wieder war da diese unerträgliche Stille. Tauren blieb stumm, gab keinen Mucks von sich. Warum sagte er verdammt nochmal nichts? Ich hätte mich am liebsten geohrfeigt für meine Worte, denn kurzzeitig beschlich mich das Gefühl, sie vollkommen umsonst ausgesprochen zu haben. Innerhalb weniger Sekunden flammte der Selbsthass wieder in mir auf und versuchte mühevoll, meine eigens mit den Füßen getretene Würde vom Boden zu kratzen, um doch noch die Biege zu machen, als ich plötzlich eine vertraute Wärme an meinem Hals spürte. Gleichermaßen erschrocken wie erleichtert über die Berührung schloss ich die tränenden Augen und hielt den Atem an. An diesem Punkt war es mir fast schon egal, was der Norweger noch zu sagen hatte, aber irgendetwas musste ich jetzt von ihm hören. Am liebsten natürlich, dass er mich mit Kusshand zurücknahm und wir alles gemeinsam durchstehen konnten, wenn ich mich nur darauf einließe, aber ich hätte es auch verstanden, wenn das Kapitel für ihn bereits abgeschlossen war. Denn ich war vieles zu ihm gewesen, aber bestimmt nicht immer fair. Hatte ihn sehr oft verletzt - ob wissentlich oder unwissentlich spielte dabei nur eine sekundäre Rolle, beides war gleichermaßen schlimm - und wenn er das nicht mehr wollte, dann wäre ich die Letzte gewesen, die ihn deswegen mit Vorwürfen bombardiert hätte. Zwar wusste ich nicht, wie das Leben dann für mich weitergehen würde, aber das war dann nicht mehr sein Problem. Den Kampf hätte ich mit mir selbst ausfechten müssen, wusste dann aber immerhin, wie die Dinge zwischen uns nun standen. Mein Herz machte einen Satz, als Tauren mein Kinn anhob und mich somit dazu zwang, ihm direkt in die Augen zu sehen. Am liebsten hätte ich mich gewehrt und sofort wieder von ihm abgewandt, aber erneut arbeitete mein Körper lieber gegen mich und verkrampfte sich. Es fiel mir unglaublich schwer, die Augen offen zu halten und all das Leid, welches ich verursacht hatte, auf mich wirken zu lassen. Es fühlte sich an, als würde mein Herz jeden Moment explodieren, je länger mich der Norweger mit seinen glasigen Labradoraugen ansah. Der Druck in meiner Brust war langsam nicht mehr nur unangenehm, sondern richtig schmerzhaft. Was, wie ich wenig später feststellte, wohl zum Großteil eher daran lag, dass ich noch immer nicht ausgeatmet hatte und mein Körper mir überdeutlich signalisierte, dass ich das verdammt nochmal so langsam tun sollte. Aber ich konnte es nicht. Nicht, solange ich nicht wusste, ob nach den wenigen vielversprechenden Worten noch ein Aber folgen würde, was durchaus möglich gewesen wäre. Ich konnte für ihn die einzige Frau in seinem Leben bleiben und er müsste nicht mal lügen, wenn er behauptete, mich zu vermissen. Beides bedeutete nicht sofort, dass er mir verzeihen und noch eine Chance geben würde. Also wartete ich und Gott sei Dank erlöste mich Tauren bereits wenige Sekunden später. Mit einem langgezogenen Schluchzen atmete ich endlich wieder aus und fiel wie von selbst ein Stück nach vorne gegen seine Brust. Ich vergrub meinen Kopf förmlich in seiner Halsbeuge und wollte am liebsten in ihn reinkriechen, anstatt nur das Handtuch fallen zu lassen, um meine Arme fest um seinen Oberkörper zu schlingen. "Ich verspreche es...", wisperte ich und nickte hektisch. Hatte vorher kein Stück darüber nachgedacht, ob ich überhaupt in der Lage war, dieses Versprechen halten zu können. Jetzt hatte ich ihm jedoch mein Wort gegeben und würde alles in meiner Macht stehende tun, dieses auch zu halten. Selbst wenn das im Umkehrschluss bedeutete, künftig wieder einige Kämpfe mit meinen inneren Dämonen aufnehmen zu müssen. Kein Kampf könnte mich je so in die Knie zwingen, wie es die Trennung von der womöglich einzigen richtigen Liebe meines Lebens getan hatte. Und laut Tauren könnten und würden wir gemeinsam alles schaffen, das klang doch gut, oder? "Es tut mir so leid... alles, was ich dir angetan habe. Ich werde versuchen, es wieder gut zu machen... auch das verspreche ich dir.", hängte ich eine für mich untypische Entschuldigung und ein weiteres Versprechen gleich noch hinten dran, als ich endlich wieder genug Sauerstoff in den Lungen hatte, um nicht komplett kraftlos und außer Atem zu klingen. Die Frage war nur, ob die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausreichend war. Ich wollte es glauben, wirklich, aber mein grundsätzlich eher pessimistisch veranlagtes Gehirn strampelte vehement dagegen an. Für den Moment unterdrückte ich dessen Einfluss jedoch lieber damit, die lang ersehnte Nähe Taurens zu genießen. Seinen Geruch aufzusaugen, mich von ihm wärmen, trösten und mich selbst einfach fallen zu lassen. Nein, so schnell würde er mich vermutlich nicht mehr loswerden.
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Scheinbar hatte der junge Mann tatsächlich einen kleinen Denkanstoß gebraucht, um sich daran zu erinnern, wen er kürzlich umgelegt hatte. Auch wenn ich es zu unterdrücken versuchte, entlockte mir sein Kommentar bezüglich der hinterlassenen Spuren ein leises Lachen. Es war kaum hörbar, vielmehr ein Kichern und nicht ansatzweise ausreichend, meine Mundwinkel anzuheben. "Er hat ein Händchen dafür, ja...", stimmte ich ihm leise zu. Traute mich noch immer nicht, meinen Blick anzuheben. Zu groß war die Angst, sofort in Tränen auszubrechen, wenn ich den Schmerz in seinem Gesicht sehen würde. Schmerzen, die er nur wegen mir erlitt. Alleine der Gedanke daran hatte mein Herz über die letzten Wochen hinweg schon unendlich schwer werden lassen. Der Druck in meiner Brust wuchs immer weiter an und bei Taurens nachfolgenden Worten drohte ich beinahe zu ersticken. Er hatte den Gedanken nicht ertragen, dass Michail in meiner Nähe war. Dass ich wieder Angst haben musste. Wie gerne wäre ich ihm nach der Aussage um den Hals gefallen, aber ich hatte meine Entscheidung getroffen und wollte... nein, konnte jetzt nicht zurückrudern. Es war zu seinem Besten, das redete ich mir zumindest ein. Eigentlich war ja jetzt alles gesagt, oder? Ich hatte mich bedankt, mein Vorhaben damit erledigt und konnte eigentlich den Heimweg antreten. In meine Wohnung auf Kuba zurückkehren und den Alltag hinter mich bringen, bis Iljah die nächste Fuhre abholen und ich im Zuge dessen wieder zurück nach Russland fliegen würde. Aber warum wollten meine Füße nicht reagieren, als ich zum Gehen ansetzte? Egal, wie sehr ich es versuchte - es schien, als würden mich tonnenschwere Betonklötze an meinen Füßen an Ort und Stelle halten. Ich bewegte mich keinen Millimeter und starrte einfach nur auf das Handtuch in meinen Händen. Hätte Tauren nicht noch eine Frage an mich gerichtet, wäre ich höchstwahrscheinlich ein paar Stunden einfach so dagestanden. Als die Worte des jungen Mannes zu mir durchgedrungen waren und mein Körper sich langsam aus der Trance zu lösen schien, machte ich den Fehler und riss meinen Kopf nach oben. Mein Blick traf sofort den meines Verflossenen und wenn ich bis hierhin noch daran geglaubt hatte, ich würde mich an meinen Plan halten, war ich mir spätestens jetzt gar nicht mehr so sicher. "Ich... also...", fing ich an zu stammeln, wusste überhaupt nicht, was ich ihm antworten sollte. Nachdem ich für circa zehn bis zwanzig Sekunden geschwiegen hatte, um meine Gedanken zu ordnen, entschloss ich mich dafür, es einfach mit der Wahrheit zu versuchen und zu schauen, was sich daraus so entwickelte. "Ja... eigentlich war ich nur deswegen hergekommen.", räumte ich erst einmal ein, dass mir ursprünglich nicht mehr im Sinn gestanden hatte. Wieder kehrte kurzzeitig Stille ein. Ich seufzte und fuhr dann fort: "Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher... Es ist irgendwie... Man, ich vermisse dich." Wenn es möglich gewesen wäre, sich beim Sprechen etwas zu brechen, dass hatte ich das gerade getan. Die Kontrolle über meine Stimmlage schien ich komplett verloren zu haben und außerdem blinzelte wie eine Bekloppte. Konnte selber nicht glauben, was ich da gerade sagte, aber es war nicht weniger als die Wahrheit. Zwar in der abgespeckten Variante, weil ich gar nicht so viel Luft atmen konnte, wie ich Worte aussprechen wollte, aber naja. Schnell wandte ich den Blick wieder von Taurens Gesicht ab, in der Hoffnung, so gegen die sich anbahnenden Tränen ankämpfen zu können, aber ich hatte längst verloren. Stumme Tränen kullerten über meine heiß gewordenen Wangen, tropften an meinem Kinn angekommen gen Boden und versiegten im Handtuch, das ich seit einer Weile beinahe schmerzhaft umklammerte. Als könnte ich mich daran festhalten, um nicht von dem Sturm aus Gefühlen und Emotionen in meinem Inneren davongeblasen zu werden. "Ich vermisse dich so sehr. Jeden verdammten Tag wünsche ich mir, du würdest neben mir liegen, wenn ich die Augen aufmache. Und... und... ich hasse mich so sehr für das, was ich dir angetan habe. I-ich dachte, es wäre das Beste, einfach zu gehen und dich eine Frau finden zu lassen, die dir das bieten kann, w-was du verdienst, a-aber dich jetzt so zu sehen..." Ich brach ab. Meine Stimme war dünn, sie zitterte merklich und es war kaum zu übersehen, dass ich mit der Situation gerade maßlos überfordert war und mich der innere Zwiespalt förmlich auseinander riss. Eigentlich hätte mir doch klar sein müssen, dass das Gespräch so verlaufen würde, als ich mich dazu entschlossen hatte herzukommen. Hatte ich das vielleicht bewusst in Kauf genommen? Darauf gepokert, dass wir uns noch einmal aussprechen und dann wieder alles gut werden würde?
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Tauren schien ähnlich überrascht zu sein, mich zu sehen, wie ich es gewesen war, als ich festgestellt hatte, dass ich die Idee herzukommen und mich zu bedanken tatsächlich für gut befand. Sowas lag mir normalerweise eher nicht und ich war bemüht, Gespräche dieser Art zu vermeiden, wenn es ging. Aber es schien mir angemessen in Anbetracht der Tatsache, dass er sicher auf eigenes Risiko und ohne einen entsprechenden Auftrag seitens Hunter operiert hatte. Er sich damit - wie so oft - auf ziemlich dünnem Eis bewegte, obwohl er mir absolut nichts schuldig war. Er hätte mich meinem Schicksal einfach überlassen und Michail weiterhin sein Unwesen treiben lassen können. Dass der Norweger anfänglich gar nicht zu wissen schien, wofür ich mich bedanken wollte, wunderte mich erst einmal nicht. Tauren war sicher ziemlich geschockt, mich so plötzlich auf seiner Türschwelle stehen zu sehen, möglicherweise waren deshalb ein paar Synapsen in seinem Hirn durchgebrannt. Oder aber er war ein Arsch und bestand darauf, aus meinem Mund zu hören, wofür genau ich ihm denn dankbar war, weil er wusste, wie schwer mir so etwas fiel. Vielleicht war das so eine Art beschissene Machtdemonstration oder so. Fürs Erste glaubte ich das aber nicht und trat deshalb wortlos ein, nachdem der junge Mann mir entsprechend Platz gemacht hatte. Meine Füße trugen mich ohne Umschweife in die Räumlichkeiten, die ich vor wenigen Monaten noch so etwas wie mein Zuhause genannt hatte. Wenn ich mich nicht in meiner eigenen Wohnung aufgehalten hatte, dann war ich hier gewesen, um unzählige Nächte gemeinsam mit dem Norweger zu verbringen. Es sah so aus und roch noch genau so, wie zum Zeitpunkt, als sich unsere Wege getrennt hatten. Ich zögerte nicht lange und steuerte ohne Umschweife erst einmal das Badezimmer an, um mir ein Handtuch zu holen, mir dem ich zumindest meine Haare ein wenig trocknen konnte. Tauren würde schließlich nichts dagegen haben, wenn ich mich an seinem Inventar bediente, oder? Wenn er genau so fühlte wie ich, dann dürfte ich mich sehr wahrscheinlich sogar ohne ein weiteres Wort in sein Bett legen, ohne befürchten zu müssen, direkt wieder vor die Tür gesetzt zu werden. Denn ich war inzwischen an genau diesem Punkt angekommen. So stark mein Drang auch war, die Distanz zu ihm weiterhin aufrecht zu erhalten, um ihn nie wieder verletzen zu können, so sehr wünschte ich ihn mir wieder zurück. Ich vermisste ihn schrecklich. Sein Lachen, seine gute Laune, seine Art, sein Geruch... einfach alles. Also nein, wären die Rollen gerade vertauscht, hätte ich definitiv nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn er sich einfach ins Bett gelegt hätte. Ich wäre ihm wortlos gefolgt und hätte mich in seine Arme gekuschelt, bevor mir die Tränen über die Wangen gelaufen wären. Kaum war ich mit einem Handtuch bewaffnet zu ihm zurückgekehrt, fragte Tauren erneut, wofür ich mich eigentlich bedanken wollte und spätestens jetzt hätte ich eigentlich skeptisch werden müssen. Schließlich war es recht unwahrscheinlich, dass er plötzlich vergessen hatte, Michail auf dem Gewissen zu haben. Seine Liste von bereits getöteten Menschen dürfte zwar ziemlich lang sein, aber es handelte sich bei meinem Ex Freund ja nicht um irgendeinen Unbekannten oder einen Kollateralschaden. Er sollte sich also bestenfalls noch daran erinnern können, ihm die Kehle aufgeschlitzt zu haben. Argwöhnisch schob ich die Augenbrauen zusammen, während ich mit dem Handtuch dürftig meine Haare bearbeitete. "Naja... du weißt schon...", murmelte ich und drückte mich eigentlich davor, es noch einmal laut auszusprechen, weil es mir irgendwie... unangenehm war. Dann aber riss ich mich zusammen, atmete tief ein und schloss für wenige Sekunden die Augen, in denen ich meinen Stolz herunterschluckte und über meinen Schatten sprang, bevor ich zu den nachfolgenden Worten ansetzte: "Danke, dass du dich um Michail gekümmert hast. Ich... ich hab gesehen, wie Iljah ihn... entsorgt hat, aber... aber er bestreitet, es selber gewesen zu sein und naja... du warst doch vor Kurzem in Russland, also habe ich eins und eins zusammengezählt.", erklärte ich zögerlich. Den Blick, nachdem ich die müden Lider wieder aufgeschlagen hatte, stur auf den Boden gerichtet. Die Nervosität überkam mich und ich begann damit, mit den Fingern unruhig an den Kanten des Handtuchs herumzunesteln.
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Die letzten zwei Monate hatten mir überaus deutlich vor Augen geführt, warum ich nie wieder Gefühle für einen Mann hatte entwickeln wollen. Es hatte mich verdammt lange gebraucht, um über meine letzte gescheiterte Beziehung hinwegzukommen und meine Liebe zu Michail war nicht einmal im Ansatz so innig gewesen wie die zu Tauren. Ich befürchtete daher, dass ich noch eine ganze Weile mit den Schlafstörungen und den Aggressionsproblemen zu kämpfen haben würde, die mich seit meinem Schlussstrich in der Wohnung des Norwegers verfolgten. Ich hatte gedacht, es würde besser werden, wenn ich die Insel verließ und ins kalte Russland zurückkehrte. Mich dort in Arbeit stürzte, um auch ja keine freie Minute zum Nachdenken zu haben. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mir noch schlechter gehen würde und doch war genau das der Fall gewesen. Zwar ging mein Plan insoweit auf, dass ich tagsüber keine Zeit hatte, mir über alles, was vorgefallen war, den Kopf zu zerbrechen, dafür war die Nacht umso erbarmungsloser. Ich konnte mich nicht dran erinnern, wann ich zuletzt so beschissen geschlafen hatte - wenn ich denn überhaupt zur Ruhe gekommen war. Die meisten Nächte war ich wachgelegen, hatte geweint und mich tags drauf mit einer ungesunden Mengen Koffein am Laufen gehalten. Essen tat ich auch nicht mehr regelmäßig, sodass ich bereits nach wenigen Tagen ziemlich kränklich aussah und mich körperlich mindestens genauso beschissen fühlte, wie psychisch. Auf meinem Gesicht zeichneten sich tiefe Augenringe ab, meine Lider waren angeschwollen und von einem rötlichen Schimmer umrandet. Ich hatte es ja doch nicht geschafft, nicht ständig an Tauren und unsere letzten gemeinsamen Minuten zurückzudenken. Die Bilder spielten sich in aller Regelmäßigkeit wie von selbst vor meinem inneren Auge ab und das Wissen, dass der Norweger ähnlich, vermutlich sogar heftiger unter der Trennung litt als ich, ließ mein Herz ganz schwer werden. Ich war gegangen, weil ich ihn nie wieder verletzen wollte, aber je länger ich durch Moskaus Straßen tigerte, umso klarer wurde mir, dass ich das noch eine ganze Weile unbewusst tun würde. Er hatte so sehr an mir gehangen, dass er wahrscheinlich noch eine ganze Weile brauchen würde, um über meine Abreise und den finalen Cut, den ich gesetzt hatte, hinwegzukommen. Wie töricht ich doch gewesen war... Dass ich inzwischen wieder mehr Zeit mit Iljah und Michail verbrachte, verhalf meiner Laune auch nicht unbedingt dazu, sich zu verbessern. Mein Ex war wie gewohnt ziemlich aufdringlich, wenn mein großer Bruder außer Haus war und mir nicht ständig aus der Nase zu ziehen versuchte, warum ich plötzlich wieder in die Heimat zurückgekehrt war. Es war anstrengend die beiden Männer auf Abstand zu halten und so zog ich mich wirklich nur dann in mein Zimmer zurück, wenn ich einen Abend lang keine Möglichkeit hatte, bei irgendwelchen One-Night-Stands unterzukommen, mit denen ich verzweifelt versuchte, meine Gefühle zu verdrängen. Unnötig zu erwähnen, dass keiner der Männer mich auch nur im Ansatz so befriedigen konnte, wie der Norweger seinerzeit. Weder auf intellektueller noch auf sexueller Ebene, was sicher auch zum Großteil daran lag, dass ich diese Möglichkeit niemanden wirklich einräumte. Tauren hatte sich seinen Platz in meinem Herzen hart erarbeiten müssen, ersetzen konnte ihn so schnell also sowieso niemand. Wenn das überhaupt je ein Mann wieder schaffen würde. Nach der Trennung von Michail hatte ich zwar genau das Gleiche gedacht und es war doch anders gekommen, aber Stand heute würde das wohl kein zweites Mal passieren. Irgendwann musste ich ja schließlich aus meinen Fehlern lernen, oder? Seit etwa drei Wochen war die Stimmung im Hause Gniwek irgendwie seltsam. Iljah war selber kaum noch Zuhause und wenn ich ihn überraschenderweise einmal am Frühstückstisch zu Gesicht bekam, dann wirkte er abwesend, fast schon distanziert. Normalerweise hätte mich das in Alarmbereitschaft versetzt, aber weil er mir seither nicht mehr auf die Nerven ging und mich in Ruhe meine Wege gehen ließ, ohne mich über den ehemaligen Mann an meiner Seite oder meine Rückkehr ausquetschen zu wollen, blieb ich gelassen und sprach ihn nicht weiter darauf an. Interessant war jedoch zu sehen, wie sein Umgang mit Michail war, denn dieser war... quasi nicht mehr vorhanden. Mein Bruder mied meinen Ex-Freund seit geraumer Zeit, was untypisch war, denn die beiden verbrachten normalerweise einen Großteil ihrer Freizeit zusammen. Aber auch das störte mich nicht weiter, war die einkehrende Ruhe Zuhause eine willkommene Überraschung. Abends war ich mittlerweile so gut wie jeden Tag alleine und konnte in meinem eigenen Bett endlich den Schlaf nachholen, welchen ich in den Laken von den verschiedensten Männern nicht gefunden hatte. Es war schließlich ein Donnerstagabend gewesen, der mein ganzes Leben verändern sollte. Ich kam gerade von einer Geschäftsreise aus Twer, etwa zweieinhalb Stunden von Moskau entfernt, zurück, als die offenstehende Haustür mein Misstrauen weckte. Die Temperaturen in Russland bewegten sich noch immer im zweistelligen Minusbereich, die Tür zum Lüften aufzureißen würde das Innere des Hauses binnen weniger Minuten in ein Kühlhaus verwandeln. Ich war drauf und dran, nach der Waffe unter meinem dicken Wintermantel zu greifen, als der hochgewachsene Russe mit einem Müllsack über den Schultern aus der Tür trat. Überrascht riss ich die Augen auf und schloss wenig später zu Iljah auf, der versuchte, das schwere Gepäck umständlich auf den Schultern zu balancieren, während er mit einer Hand in seiner Hosentasche nach dem Autoschlüssel kramte. Es war bereits dunkel und der Russe schwer damit beschäftigt, auf dem mit Eis bedeckten Boden nicht auszurutschen, dass er sich beinahe zu Tode erschreckte, als ich aus dem Schatten der Dunkelheit ins Licht getreten war und ihn fragte, was er da tat. Just in dem Moment färbten wenige Tropfen, die aus dem Müllsack liefen, den Schnee zu unseren Füßen rot. Einen Moment lang starrte ich das Blut sprachlos an, bevor ich meinen Blick wieder in Iljahs Gesicht anhob. Er sagte nichts und kümmerte sich lieber erst einmal darum, den Ballast im Kofferraum seiner S-Klasse zu verstauen. In weiser Voraussicht hatte er diesen ebenfalls mit Folie ausgelegt, damit der Innenraum von den Ausscheidungen des Toten, den er ganz offensichtlich gerade verschwinden lassen wollte, nicht ruiniert wurde. Erst als er den Kofferraumdeckel zugeschlagen hatte, traute ich mich ihn zu fragen, wen er da gerade abtransportiert hatte und was mit ihm geschehen war, obwohl ich mir die Frage beinahe selber hätte beantworten können. Denn außer uns zwei hatte eigentlich kein anderer etwas im Haus zu suchen, außer... Michail. Der Russe erklärte mir kurz und knapp, dass er seinen besten Freund mit aufgeschlitzter Kehle auf dem Sofa sitzend vorgefunden hatte und ich wusste zuerst nicht, was ich mit der Information anfangen sollte. Viel mehr war ich gerade damit beschäftigt, das Gefühl zu beschreiben, welches die Worte Michail und tot im Zusammenhang in mir ausgelöst hatten. Ich fühlte mich auf einmal sehr viel leichter. Als wäre gerade ein unfassbar großer Stein von meinem Herzen gefallen. Wenig später setzte ich zu der Frage an, warum er ihn umgebracht hatte, aber Iljah ließ mich gar nicht ausreden und unterbrach mich damit, dass der Mord nicht zu seinen Lasten ginge. Er aber mittlerweile nicht mehr besonders traurig darüber war, weil er bescheid wusste. Nicht über alles natürlich, aber entweder war es ihm tatsächlich endlich gedämmert, was für eine Missgestalt Michail gewesen war oder aber ein Vögelchen hatte es ihm gezwitschert. Jedenfalls gab er sich genau so ratlos über den möglichen Täter. Er schien zu überlegen, wer dafür hätte in Frage kommen können, als es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Vor wenigen Tagen noch hatte er mir gesagt, dass Tauren nach Russland kommen würde. Irgendwas Geschäftliches zu erledigen hatte im Bezug auf die Geldwäsche, die Hunter mit meinem Bruder hier am laufen hatte. Wenn Iljah es also nicht gewesen war, musste ja der Norweger dahinter stecken. Eine andere Möglichkeit gab es gar nicht. Wie in Trance wandte ich mich von dem jungen Mann ab und betrat langsamen Schrittes das Haus. Ging am Wohnzimmer vorbei, dessen Sofa und Fußboden aussah, als wäre hier ein Tier qualvoll ausgeblutet, direkt in mein Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir und noch bevor ich mein Bett erreicht hatte, brach ich heulend zusammen. Ich weinte nicht um Michail, um Gottes Willen, ich weinte, weil ich endlich frei war. Ich endlich wieder atmen konnte, ohne Angst haben zu müssen, jemals wieder die gierigen Griffel meines missratenen Ex-Freundes fürchten zu müssen. Natürlich war ich irgendwo auch ziemlich geschockt, aber in erster Linie war ich dem Norweger unfassbar dankbar dafür, dass er nicht aufgegeben und sich, trotz dass ich ihn verlassen hatte, um die Beseitigung meines größten Feindes auf diesem von Gott verlassenen Planeten gekümmert hatte. Und das war wohl der Grund, warum ich wenige Tage später wieder Fuß auf kubanischen Boden setzte. Ich hatte mich noch einmal mit Iljah unterhalten, das Geschehene etwas sacken lassen und war schlussendlich zu der Entscheidung gekommen, dass ich Tauren zumindest meinen Dank aussprechen wollen würde. Persönlich, weil ich das über das Telefon nicht übers Herz brachte. Sicher spielte es auch eine nicht zu verachtende Rolle, dass ich den jungen Mann unfassbar vermisste und mich mit jedem Tag mehr nach ihm sehnte, aber ich belog mich schon seit ich ins Flugzeug gestiegen war selbst mit der Aussage, dass dem nicht so war. Ich nur schnell vorbeihuschen, ihm danke sagen und dann wieder abzischen würde. So war zumindest der Plan, an den ich mich zu halten versuchen würde, denn einknicken stand heute nicht auf meiner To-Do-Liste. Ich hatte auf die nächste Abholung aus Kuba gewartet, um als Passagier gemeinsam mit Iljahs Handlangern mitzufliegen. Natürlich war ausgerechnet heute wieder einer dieser Tage auf Kuba, die sich durch ihren heftigen Regen auszeichneten. Weil ich anders als mein großer Bruder wusste, dass das Wetter auf der Insel normalerweise deutlich wärmer war als Zuhause, hatte ich in meinen Rucksack nur ein paar Shirts und eine kurze Hose gestopft, in die ich auf halbem Wege geschlüpft war. Der dicke Mantel und die gefütterte Jeans hatte ich im Flieger zurückgelassen. Bereits auf der siebenstündigen Autofahrt nach Havanna hatte ich das bereut, denn ich fing zu frösteln an. Umzukehren war jedoch keine Option. Vielleicht hätte ich in meiner Wohnung noch irgendwo eine Regenjacke gehabt, aber ich wollte das Aufeinandertreffen nicht noch weiter in die Länge ziehen. Entsprechend war ich klatschnass, als ich in der Nacht meine Hand an Taurens Klingel hob, ohne überhaupt zu wissen, ob der junge Mann heute da war. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich mich womöglich einfach vor der Tür auf die Treppenstufen gesetzt und gewartet. Ich würde das jetzt durch ziehen und wenn es mich noch so viel Überwindung kostete. Allerdings müsste ich lügen, würde ich behaupten, nicht mit dem Gedanken gespielt zu haben, kurz nachdem ich es im Inneren der Wohnung schellen hörte, wieder auf dem Absatz Kehrt machen zu wollen. Es tat sich auch eine ganze Weile erst einmal nichts, was mich resigniert seufzen ließ. Ich stand kurz davor, mich hinzuhocken, als der Norweger mir wider Erwarten doch noch die Tür öffnete. Überrascht darüber, dass er nach so langer Zeit trotzdem noch die Tür geöffnet hatte, sah ich ihn an. Nein, ich starrte ihn an. Saugte sein Antlitz förmlich mit meinen Augen auf, weil es für meinen Geschmack viel zu lange her gewesen war, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. "Hey.", rang ich mir eine leise und gekrächzte Begrüßung ab, weil die Stille zwischen uns langsam unangenehm wurde. "Kann ich... kann ich reinkommen? Ich... wollte mich bei dir bedanken.", folgten wenig später ein paar weitere Worte. Ich schlang indessen meine eigenen Arme um meinen Oberkörper, weil die nassen Klamotten auf der Haut sich wie kleine Eiskristalle anfühlten. Auf Kuba war es auch während es regnete relativ warm, aber der Wind war hässlich. Zudem arbeitete mein Körper noch an unzähligen anderen Baustellen in meinem Inneren und hatte daher eher weniger freie Kapazitäten, mich irgendwie warm zu halten.
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Eigentlich wäre das ein Thema gewesen, mit dem ich mich sehr wahrscheinlich lieber alleine beschäftigt hätte. Jetzt war ich jedoch ganz froh, es nicht getan und mich stattdessen dazu entschlossen zu haben, mit Irina darüber zu reden. Ich war unglaublich dankbar dafür, dass die junge Frau sich meinen inneren Zwiespalt bis zum Ende angehört hatte und nicht von meiner Seite gewichen war. Alles in ihrer Macht stehende tat, um mich davon abzuhalten, aus der Wut heraus vielleicht einen folgenschweren Fehler zu begehen. Mich aus dem Gedankenstrudel riss, der mich, wäre ich alleine gewesen, vermutlich an den Rande des Wahnsinns getrieben hätte. Und genau das war der Grund, warum ich nicht mehr ohne diese Frau sein wollte. Ja, sie war überdurchschnittlich oft anstrengend, strapazierte meine Nerven tagtäglich bis aufs Äußerste, aber wenn es darauf ankam, dann war sie da. Vielleicht war es naiv von mir zu glauben, dass das mit uns für immer halten würde, aber ich wünschte es mir. Es schien spielend leicht für Irina zu sein, ihre warmen Hände um mein kaltes Herz zu legen und mich damit auf mittel- bis langfristiger Sicht zu einem besseren Menschen zu machen. Dass die Russin mir ihr Wort gab, mich im Ernstfall im Rahmen ihrer Möglichkeiten darüber in Kenntnis zu setzen, damit ich im Umkehrschluss für sie da sein konnte, gab mir zumindest schon mal ein bisschen besseres Gefühl. Es machte zwar in Hinsicht auf Vahagn nichts ungeschehen oder gar besser, aber wie Irina mir mit ihren nachfolgenden Worten auch noch mal bestätigte, war das ohnehin nicht mehr möglich. Ich konnte nur noch im Nachhinein versuchen, so gut wie möglich für meine Schwester da zu sein. Wie gerne hätte ich die Brünette jetzt in den Arm genommen und mich für meine damalige Ignoranz entschuldigt. Wieder hing ich meinen Gedanken hinterher und bemerkte deshalb gar nicht, wie sich meine Freundin neben mir zu regen begann. Meine Hände über ihre Beine glitten und schließlich plump neben mir aufs Sofa rutschten, weil die Knie, auf denen sie bis eben geruht hatten, nicht mehr da waren. Nur langsam, wie in Trance hob ich meinen Kopf an und sah zu der Schwarzhaarigen. Dabei erwischte ich sie mit meinem Blick kaum noch, hatte sie sich binnen weniger Sekunden auf meinem Schoß niedergelassen. Ich starrte kurzzeitig auf das Sofakissen, gegen das Irina bis eben noch gelehnt hatte, dann verspürte ich auch schon zwei warme Hände an meinen Wangen, die mein Gesicht bestimmt in die richtige Richtung drehten. Mit einem abwesenden Blick sah ich in das Gesicht meiner Liebsten, die mir wenig später versicherte, dass ich nichts, aber auch rein gar nichts hätte tun können, um das, was Vahagn widerfahren war, ungeschehen zu machen. Es stand nur noch in meiner Macht, ihr unterstützend zur Seite zu stehen. Sie an der Hand zu nehmen und in Richtung eines glücklicheren Lebens zu geleiten. Ich ließ die Worte einen Moment lang auf mich wirken, dann löste ich mich aus meiner verkrampften Körperhaltung und nickte langsam. Ich legte meine Arme um die Hüfte der jungen Frau, die mich trotz allem, was ich ihr angetan hatte und egal, wie ich mit ihr umgegangen war, immer noch bedingungslos zu lieben schien. Mit aller größter Anstrengung rang ich mir ein schmales Lächeln ab. "Wahrscheinlich hast du Recht.", stimmte ich ihr zu, dass meine Schwester nicht automatisch ein komplett anderer Mensch gewesen wäre, wäre ich damals für sie da gewesen. So richtig überzeugt war ich davon zwar nicht, was auch deutlich aus dem unsicheren Tonfall herauszuhören war, aber ich musste zurück zu meinem Realismus finden. Durfte meine Sicht auf die Dinge nicht ausschließlich von Emotionen leiten lassen, die mich früher oder später wahrscheinlich unter sich begraben hätten. Das war ich einfach nicht. Kurzzeitig in ein Loch zu fallen war okay, das tat jeder mal, aber man musste dann auch wieder herauskriechen und der Wahrheit ins Gesicht sehen. Alles, was ich jetzt noch tun konnte, nachdem ich jahrelang nichts getan hatte, war, für Gerechtigkeit zu sorgen. Das zu tun, was ich schon längst hätte tun müssen und wovon ich Tauren bedauerlicherweise abgehalten hatte. Ich würde Michail zur Rechenschaft ziehen und ihn für alles, was er meiner Schwester angetan hatte, büßen lassen. In der Hoffnung, die Brünette würde so den Frieden finden, der ihr damals verwehrt geblieben war. "Danke, Liebes... für alles. Ich sage dir das vermutlich viel zu selten, aber ich bin dir unglaublich dankbar dafür, dass du es mit mir aushältst, auch wenn ich es dir nicht immer leicht mache.", richtete ich nach einer kurzen Pause noch ein paar aufrichtige Worte an Irina. Inzwischen war mein Blick wieder etwas klarer, ich war wieder ansprechbarer, als ich meine Hand anhob und sie an Irinas Hals legte, um sie die letzten Zentimeter, die zwischen unseren Gesichtern noch waren, an meine Lippen heranzuziehen. Dabei schlossen sich alle Gefühle, die in den letzten Minuten meinen Körper geflutet hatten, zusammen und vereinten sich in einem gleichermaßen liebevollen wie leidenschaftlichen Kuss.
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Irina und ich sprachen dieselbe Sprache, ich verstand also jedes Wort, was sie sagte und trotzdem ergaben sie für mich anfangs keinen Sinn. Vahagn wusste doch, dass ich als ihr großer Bruder immer für sie da war. Damals schon und das hatte sich bis heute auch nicht geändert. Warum also hätte sie mir nicht erzählen wollen, wenn tatsächlich etwas Schlimmes vorgefallen war? Ich hätte ihr doch helfen können. Es brauchte einen Moment, in dem ich über Irinas Worte nachdachte, bis ich begriff. Und natürlich, sie hatte vollkommen Recht. Eigentlich hatte ich mir meine Frage gerade auch schon selber beantwortet, indem ich resümiert hatte, was meine Reaktion auf die Trennung der beiden gewesen war - Unverständnis. Wenn ich mich recht erinnerte, dann hatte ich meine Schwester nie gefragt, wie es ihr damit ergangen war. Sie nicht tröstend in den Arm genommen und mit ihr über die Gründe des Zerfalls ihrer Beziehung gesprochen. Stattdessen hatte ich lieber meinen besten Freund bemitleidet und aufzumuntern versucht. Natürlich war es dann naheliegend gewesen, dass ich ihr nicht geglaubt hätte und statt den Verrat der eigenen Familie über sich ergehen lassen zu wollen, hatte Vahagn lieber geschwiegen um damit den häuslichen Frieden zu wahren. Und zu welchen Preis das alles? Gott, was war ich dumm gewesen... Mir jetzt Vorwürfe zu machen würde jedoch auch nichts bringen, das wusste ich. Ich konnte die Vergangenheit nicht mehr ändern, sehr wohl aber die Zukunft. Eine Entschuldigung war wohl das Mindeste. Sowohl an meine Schwester, als auch an Tauren, der offenbar vollkommen Recht in der Annahme war, dass mit Michail etwas gewaltig nicht stimmte. In dem Punkt bestätigte mich Irina mit ihren kommenden Worten noch zusätzlich und ich rang kurzzeitig wirklich um meine Beherrschung. In mir tobte ein Sturm der Gefühle und ich fand nur deshalb etwas Ruhe, weil die junge Frau so beschwichtigend zu mir sprach. Mir versicherte, dass mein Freund - der er bald nicht mehr sein würde - sie nie unsittlich berührt hatte. Nur hier und da mal versucht hatte, seine Hand auf ihre Schulter oder ihren Arm zu legen. Für mich war das zwar immer noch zu viel Körperkontakt, aber es beruhigte mich trotzdem. Nicht zuletzt trugen sicher auch Irinas zärtlichen Berührungen ihren Teil dazu bei, dass ich die Augen schloss und einmal tief durchatmete. Mich dazu zwang, die Schultern wieder zu entspannen und allgemein etwas lockerer zu werden. Alles war gut. Naja, mehr oder weniger zumindest. Für den Moment auf jeden Fall. "Ich verstehe...", grummelte ich dennoch hörbar unzufrieden, hob meine Hand an meine Brust und legte sie auf die von Irina. Mit einem sanften Druck umschloss ich die zierlichen Finger und sah der meiner besseren Hälfte wieder in die Augen. "Sollte jemals irgendwer... dich anfassen... hab' bitte keine Angst, es mir zu sagen, okay? Versprich' mir, dass du dir von mir helfen lässt und dich traust, mich anzusprechen. Egal, mies gelaunt ich vielleicht drauf sein mag. Es gibt nie einen schlechten Zeitpunkt, über so etwas zu sprechen." Wenn ich schon Vahagn diese Sicherheit nicht hatte geben können, dann wenigstens meiner Freundin. Witzig allerdings, dass gerade ich das sagte, wo ich mir doch selber des Öfteren genommen hatte, wonach mir der Sinn stand. Frauen vor Irina in aller Regelmäßigkeit wie ein Stück dreht behandelt hatte, aber das mit der Russin war... das war anders. Ja, auch bei ihr war ich schon einmal übergriffig geworden, aber ich hatte mich dabei nicht ansatzweise so gut gefühlt, wie bei etlichen anderen Frauen davor. Es hatte mir leid getan und ich hatte mich aufrichtig bei der jungen Frau entschuldigt. Nicht, dass das im Ansatz ausreichend war, den seelischen Schmerz irgendwie zu lindern, aber viel mehr, als ihr anschließend zu versichern, dass es nicht mehr vorkommen würde, konnte ich nun mal nicht. Und bisher hatte ich mein Versprechen an sie nicht gebrochen. War auch überhaupt nicht nötig, denn die Schwarzhaarige überschüttete mich zuhauf mit Liebe und Sex, dafür musste ich nur alle paar Wochen durch die Haustür stiefeln und sie in meine Arme schließen. Einfacher ging es quasi gar nicht. "Scheiße, fühle ich mich gerade komisch. Ich... ich kann das noch nicht einmal beschreiben.", seufzte ich leise und ließ mich tiefer in das Polster sinken. Am liebsten wäre ich gerade gänzlich im Sofa versunken. Die Physik dahinter hätte ich vermutlich eher noch erklären können, als all die Gedanken und Emotionen, die gerade in meinem Schädel kreisten. Einerseits fühlte ich mich verantwortlich für die drastische Wesensveränderung meiner Schwester, dann kochte da in mir noch diese unbändige Wut und alles in allem war ich ziemlich verzweifelt. "Ich meine... wie schon gesagt, hatte meine Schwester schon immer ihre ganz eigene Art irgendwie, aber... aber glaubst du, wenn da nichts vorgefallen wäre oder sie mit mir gesprochen hätte, dass sie heute... ein glücklicherer Mensch wäre?", stellte ich Irina murmelnd eine Frage, die ich eigentlich gar nicht auszusprechen vermochte. Denn wahrscheinlich kannte ich die Antwort bereits und wusste daher, dass ich nicht bereit war, sie zu hören. Und doch brauchte ich das gerade. Die Bestätigung, dass Tauren Recht und ich als großer Bruder auf ganzer Strecke versagt hatte.
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Es waren Unterhaltungen wie diese, die ich an der Beziehung mit Irina am meisten schätzte. Wenn wir uns nicht stritten, sondern entspannt gemeinsam auf dem Sofa saßen oder im Bett lagen, Zärtlichkeiten austauschten und über Gott und die Welt sprachen. Wenn ich einfach abschalten und loslassen konnte, ohne Angst haben zu müssen, dass sie mich auslachte, weil ich ihr mein Herz ausschüttete. Bisher gab es nur eine einzige Person neben Irina, mit der ich auf dieser Ebene Konversationen hatte führen können und dieser Mensch war niemand geringeres als meine Schwester gewesen. Damals eben, bevor der geschwisterliche Zusammenhalt nach und nach in die Brüche gegangen war. Es tat entsprechend gut, sich endlich mal wieder etwas Ballast von der Seele reden und sich eine Meinung oder Eingebung einholen zu können. Außerdem waren die Streicheleinheiten, die mir Irina währenddessen immer zuteil kommen ließ, Balsam für meine kaputte Seele. So gab ich mich auch dieses Mal bereitwillig den sanften Berührungen der Russin hin, während meine eigenen Finger auf ihrer Haut ein paar Kreise zogen. Eine ganze Weile sah ich Irina nicht an, hielt meinen Blick stur nach vorne gerichtet, als sie mir ihre Sicher der Dinge schilderte. Dabei analysierte ich jedes ihrer Worte akribisch in Gedanken, nickte hin und wieder nur zustimmend, war ansonsten aber eher ruhig. Ich zog hier und da ein paar Schlüssel, überlegte, was am wahrscheinlichsten war, nur um wenig später zu der ernüchternden Erkenntnis zu kommen, dass trotz all der Überlegungen trotzdem noch zwei von ihr angesprochene Szenarien im Rennen waren: Entweder es war tatsächlich etwas passiert und ich war zu beschäftigt gewesen, denn ja, das war auf jeden Fall zu der Zeit, wo ich schon im Familiengeschäft tätig war oder Tauren war wirklich nur eifersüchtig. Hatte zu viel hineininterpretiert, weil sich Vahagn nie gegen die Berührungen von Michail zur Wehr gesetzt hatte, obwohl sie schon immer eine sehr willensstarke Frau gewesen war. Mir fiel auf, dass ich mich mit der Zeit zu sehr in meinen Gedanken verrannt und Irina deshalb seit einer ganzen Weile keine Antwort gegeben hatte. "Sorry... ich war gerade irgendwie in Gedanken versunken.", entschuldigte ich mich dafür, dass sie kurzzeitig Selbstgespräche hatte führen müssen, weil ich so still geworden war. Anschließend setzte ich dazu an, meine Gedanken zu ihren Vermutungen mit ihr zu teilen. "Du hast schon Recht. Vahagn ist schon etwas speziell, aber sie war noch nie auf den Mund gefallen. Ich wüsste nicht, warum sie mir das hätte verschweigen sollen. Damals war sie auch noch nicht... naja, so distanziert. Wir hatten eigentlich ein gutes Verhältnis.", murmelte ich nachdenklich. Das ergab einfach keinen Sinn. Andererseits... wenn ich so darüber nachdachte, dann hatte sich ihr Verhalten erst nach der Trennung so stark verändert. Nachdem ich ihr wieder und wieder einzureden versucht hatte, dass Michail ein toller Kerl war und sie fantastisch zusammengepasst hatten. Dass sie dumm gewesen war, ihn abgeschossen zu haben. War ich mit dieser Aussage vielleicht einen Schritt zu weit gegangen? Hatte ich Michail so sehr in Schutz genommen, dass Vahagn befürchtete, ich würde ihr nicht glauben, wenn sie mir erzählte, was er ihr im Nachhinein alles angetan hatte? Gut möglich. Ich konnte mich sehr gut daran erinnern, dass der Stress mir damals sehr zugesetzt hatte. Es war daher gar nicht so unwahrscheinlich, dass ich meiner jüngeren Schwester oftmals ziemlich entnervt gegenübergestanden hatte. In Kombination mit der Tatsache, dass ich Tauren eigentlich auch als niemanden einschätzte, der voreilige Schlüsse zog, dämmerte mir langsam, dass ich wirklich einen unverzeihlichen Fehler begangen zu haben schien. Und als ich diesen realisierte, wandte ich den Blick von meiner Freundin ab, starrte auf meine zur Ruhe gekommenen Hand auf Irinas Bein. Worte konnten nicht beschreiben, wie ich mich innerlich gerade fühlte. Eine sehr ungesunde Mischung aus Selbsthass, Wut und Verzweiflung fraß sich durch jede einzelne Zelle meines Körpers und zum ersten Mal seit ewigen Zeiten, wusste ich nicht mehr wohin mit meinen Emotionen. Einerseits kochte es in mir, andererseits war mir zum Heulen zumute. Einzig und alleine die noch folgenden Worte der Schwarzhaarigen stabilisierten den Damm, der wenig später vermutlich gebrochen wäre. Statt Tränen loderte jetzt eine Flamme der Wut in meinem Augen, als ich Irina wieder ansah, kurz nachdem sie mir mitteilte, dass Michail sich auch ihr gegenüber schon einmal auffällig verhalten hatte. "Inwiefern seltsam?", wollte ich bestimmt wissen und verkrampfte mich im selben Augenblick etwas. War quasi sofort bereit dazu, mich noch heute um den Rückflug nach Russland und die Beseitigung dieses Parasiten zu kümmern, wenn er es ernsthaft für eine gute Idee gehalten hatte, nicht nur meiner Schwester, sondern auch meiner Liebsten zu nahe gekommen zu sein. Sollte Irina die Vermutung Taurens bestätigen, würde sehr, sehr bald ein Kopf rollen.
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